Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 22. Nov. 2004 - 14 AR 7/04

published on 22/11/2004 00:00
Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 22. Nov. 2004 - 14 AR 7/04
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Gericht

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Tenor

Zuständig ist die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Tübingen.

Gründe

 
I.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. S. Deren Alleingesellschafterin ist nach der Gesellschafterliste die Beklagte zu 1, die auch als Geschäftsführerin im Handelsregister eingetragen ist. Ihr Ehemann, der Beklagte zu 2, war nach dem Vorbringen des Klägers faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin, weil er nach außen hin als ihr Geschäftsführer aufgetreten ist und sich auch so bezeichnet hat. Der Kläger nimmt die Beklagten nach § 64 Abs. 2 GmbHG auf Ersatz von Zahlungen in Anspruch, die nach dem in der Klageschrift behaupteten Eintritt der Zahlungsunfähigkeit geleistet worden sein sollen. Der Kläger hat deshalb am 27.09.2004 eine Klageschrift beim Landgericht Tübingen eingereicht und darin beantragt, die Sache vor der Kammer für Handelssachen zu verhandeln. Der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen hat am 29.09.2004 die Zustellung der Klage verfügt, die Parteien darauf hingewiesen, dass die Kammer für Handelssachen funktionell unzuständig sein dürfte, um Mitteilung gebeten, ob Verweisungsantrag gestellt werde, und darauf hingewiesen, dass auch eine Verweisung von Amts wegen in Betracht komme. Er hat eine Frist zur Stellungnahme bis 12.10.2004 gesetzt. Per Telefax vom 12.10.2004 haben die nicht anwaltlich vertretenen Beklagten u.a. mitgeteilt: „...eine Klage in oben genannter Angelegenheit weisen wir ausdrücklich zurück und verweisen auf die Möglichkeit gemäß § 97 Abs. 1 GVG an die Zivilkammer.“ Mit Beschluss vom 12.10.2004 hat der Vorsitzende die Kammer für Handelssachen für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an eine Zivilkammer des Landgerichts Tübingen verwiesen. Der Einzelrichter der Zivilkammer hat mit Verfügung vom 21.10.2004 seinerseits ausgeführt, dass die Zivilkammer nicht funktionell zuständig sei. Der Verweisungsbeschluss der Kammer für Handelssachen sei nicht bindend, weil ihm jede rechtliche Grundlage fehle und er objektiv willkürlich sei, so dass der Grundsatz des gesetzlichen Richters verletzt sei. Die von der Kammer für Handelssachen vorgenommene Auslegung des Begriffs „Vorsteher“ sei nicht vertretbar und im Verweisungsbeschluss auch nicht begründet worden, die zitierte Kommentarstelle belege die dort vertretene Auffassung nicht. Außerdem sei das rechtliche Gehör nicht gewährt. Deshalb beabsichtige die Zivilkammer, sich für funktionell unzuständig zu erklären und die Sache dem Oberlandesgericht vorzulegen. Den Parteien wurde in der Verfügung eine Frist zur Stellungnahme bis 02.11.2004 eingeräumt. Mit Beschluss vom 08.11.2004 hat sich die Zivilkammer dann für funktionell unzuständig erklärt und die Sache gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Ergänzend wird dort ausgeführt, Bedenken gegen die Bindungswirkung würden sich aus der Häufung von Verweisungsbeschlüssen dieser Kammer für Handelssachen mit zweifelhafter Begründung ergeben.
II.
Zuständig ist die Kammer für Handelssachen.
1. Das Oberlandesgericht ist für die Entscheidung zuständig. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen einer Kammer für Handelssachen und einer Zivilkammer desselben Gerichts ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anzuwenden (OLGR Stuttgart 2002, 455; OLGR Stuttgart 1999, 98; OLGR Celle 2004, 370; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 1220; OLG Brandenburg NJW-RR 2001, 429; Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 94 Rn. 9).
2. Nach § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG ist die Kammer für Handelssachen zuständig.
a) Die Zivilkammer ist nicht bereits deshalb zuständig, weil sie durch den Verweisungsbeschluss des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen gem. § 102 GVG gebunden ist. Ausnahmen von der Bindungswirkung bestehen, wenn die Verweisung objektiv willkürlich ist und dadurch den Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzt oder wenn das rechtliche Gehör nicht gewährt wird (Kissel/Mayer, a.a.O. § 102 Rn. 5; Zöller-Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 104 GVG Rn. 6 m.w.N.). Ob die Verweisung objektiv willkürlich ist, kann dahingestellt bleiben. Denn mit dem Verweisungsbeschluss wurde jedenfalls das rechtliche Gehör nicht gewährt. Der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen hat beiden Parteien eine Frist zur Stellungnahme bis 12.10.2004 gesetzt. Bereits am 12.10.2004, also vor Fristablauf, hat er den Verweisungsbeschluss erlassen.
b) Nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 a GVG liegt eine Handelssache vor, weil der Kläger beide Beklagte als „Vorsteher“ der Schuldnerin in Anspruch nimmt. Das gilt nicht nur für die Beklagte zu 1, die als Geschäftsführerin im Handelsregister eingetragen ist. Auch der Beklagte zu 2 ist als faktischer Geschäftsführer „Vorsteher“ der Schuldnerin gewesen. Dazu gehören bei der Kapitalgesellschaft nicht alleine diejenigen, die rechtlich dem geschäftsführenden Organ aufgrund ihrer formal ordnungsgemäßen Bestellung angehören. Diese Ansicht wird so auch nicht von Kissel/Mayer a.a.O., § 95 Rn. 14, oder von anderen Kommentatoren vertreten, bei denen nur die gesetzlichen Vertreter erwähnt werden. Das belegt nur, dass die Anwendung auf Rechtsverhältnisse mit faktischen Organmitgliedern bislang in Rechtsprechung und Literatur nicht problematisiert worden ist. Als faktischer Geschäftsführer wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Person angesehen, die rechtlich nicht dem geschäftsführenden Organ einer Kapitalgesellschaft angehört, tatsächlich aber wie ein Organmitglied auftritt und handelt, wobei zu dem entscheidenden Gesamterscheinungsbild dieses Auftretens maßgeblich auch ein Auftreten nach außen mit einem Handeln gehört, wie es üblicherweise der Geschäftsführung zugerechnet wird (BGHZ 104, 44; 150, 61). In dem Fall trifft diese Person die Insolvenzantragspflicht; gegebenenfalls haftet sie auch wegen deren Verletzung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG; vgl. dazu BGHZ 104, 44) und möglicherweise auch auf Ersatz von Auszahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung (§ 64 Abs. 2 GmbHG; offen gelassen in BGHZ 150, 61). Eine solche materiell-rechtliche Behandlung eines faktischen Organs als Organmitglied der Kapitalgesellschaft findet ihre verfahrensrechtliche Entsprechung darin, dass ein Rechtsstreit um den behaupteten Anspruch wegen des Handelns in faktischer Geschäftsführung das Rechtsverhältnis zwischen der Handelsgesellschaft und ihrem „Vorsteher“ im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 4 a GVG betrifft.
Für die Frage der funktionellen Zuständigkeit kommt es auf die Rechtsnatur des nach der Klagebegründung geltend gemachten Anspruchs an, wie er sich nach den Tatsachenbehauptungen des Klägers darstellt. Nach dem Vorbringen des Klägers war der Beklagte zu 2 faktischer Geschäftsführer der Schuldnerin, weil er mit seinem Handeln nach außen als Geschäftsführer aufgetreten und sich auch als solcher bezeichnet haben soll. Damit macht der Kläger einen Anspruch aus einem Rechtsverhältnis der Schuldnerin mit ihrem „Vorsteher“ geltend.
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(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt: 1. wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist;2. wenn es mit Rücksich

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(1) Wird vor der Kammer für Handelssachen eine nicht vor sie gehörige Klage zur Verhandlung gebracht, so ist der Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten an die Zivilkammer zu verweisen.

(2) Gehört die Klage oder die im Falle des § 506 der Zivilprozeßordnung erhobene Widerklage als Klage nicht vor die Kammer für Handelssachen, so ist diese auch von Amts wegen befugt, den Rechtsstreit an die Zivilkammer zu verweisen, solange nicht eine Verhandlung zur Hauptsache erfolgt und darauf ein Beschluß verkündet ist. Die Verweisung von Amts wegen kann nicht aus dem Grund erfolgen, daß der Beklagte nicht Kaufmann ist.

(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:

1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist;
2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei;
3.
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist;
4.
wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist;
5.
wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben;
6.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.

(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.

(1) Handelssachen im Sinne dieses Gesetzes sind die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen durch die Klage ein Anspruch geltend gemacht wird:

1.
gegen einen Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuches, sofern er in das Handelsregister oder Genossenschaftsregister eingetragen ist oder auf Grund einer gesetzlichen Sonderregelung für juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht eingetragen zu werden braucht, aus Geschäften, die für beide Teile Handelsgeschäfte sind;
2.
aus einem Wechsel im Sinne des Wechselgesetzes oder aus einer der im § 363 des Handelsgesetzbuchs bezeichneten Urkunden;
3.
auf Grund des Scheckgesetzes;
4.
aus einem der nachstehend bezeichneten Rechtsverhältnisse:
a)
aus dem Rechtsverhältnis zwischen den Mitgliedern einer Handelsgesellschaft oder Genossenschaft oder zwischen dieser und ihren Mitgliedern oder zwischen dem stillen Gesellschafter und dem Inhaber des Handelsgeschäfts, sowohl während des Bestehens als auch nach Auflösung des Gesellschaftsverhältnisses, und aus dem Rechtsverhältnis zwischen den Vorstehern oder den Liquidatoren einer Handelsgesellschaft oder Genossenschaft und der Gesellschaft oder deren Mitgliedern;
b)
aus dem Rechtsverhältnis, welches das Recht zum Gebrauch der Handelsfirma betrifft;
c)
aus den Rechtsverhältnissen, die sich auf den Schutz der Marken und sonstigen Kennzeichen sowie der eingetragenen Designs beziehen;
d)
aus dem Rechtsverhältnis, das durch den Erwerb eines bestehenden Handelsgeschäfts unter Lebenden zwischen dem bisherigen Inhaber und dem Erwerber entsteht;
e)
aus dem Rechtsverhältnis zwischen einem Dritten und dem, der wegen mangelnden Nachweises der Prokura oder Handlungsvollmacht haftet;
f)
aus den Rechtsverhältnissen des Seerechts, insbesondere aus denen, die sich auf die Reederei, auf die Rechte und Pflichten des Reeders oder Schiffseigners, des Korrespondentreeders und der Schiffsbesatzung, auf die Haverei, auf den Schadensersatz im Falle des Zusammenstoßes von Schiffen, auf die Bergung und auf die Ansprüche der Schiffsgläubiger beziehen;
5.
auf Grund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb;
6.
aus den §§ 9, 10, 11, 14 und 15 des Wertpapierprospektgesetzes oder den §§ 20 bis 22 des Vermögensanlagengesetzes.

(2) Handelssachen im Sinne dieses Gesetzes sind ferner

1.
die Rechtsstreitigkeiten, in denen sich die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 246 Abs. 3 Satz 1, § 396 Abs. 1 Satz 2 des Aktiengesetzes, § 51 Abs. 3 Satz 3 oder nach § 81 Abs. 1 Satz 2 des Genossenschaftsgesetzes, § 87 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, es sei denn, es handelt sich um kartellrechtliche Auskunfts- oder Schadensersatzansprüche, und § 13 Abs. 4 des EU-Verbraucherschutzdurchführungsgesetzes richtet,
2.
die in § 71 Abs. 2 Nr. 4 Buchstabe b bis f genannten Verfahren.

Die Entscheidung über Verweisung eines Rechtsstreits an die Zivilkammer oder an die Kammer für Handelssachen ist nicht anfechtbar. Erfolgt die Verweisung an eine andere Kammer, so ist diese Entscheidung für die Kammer, an die der Rechtsstreit verwiesen wird, bindend. Der Termin zur weiteren mündlichen Verhandlung wird von Amts wegen bestimmt und den Parteien bekanntgemacht.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.