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| Die Verfügungsklägerin möchte der Verfügungsbeklagten untersagen lassen, näher bezeichnetes Verlegematerial vom Bauvorhaben I. zu entfernen, nachdem der VOB-Bauvertrag von der Verfügungsklägerin wegen Zeitverzugs gekündigt worden war und die Verfügungsklägerin für die Weiterführung der Arbeiten auf der Baustelle angelieferte Stoffe und Bauteile nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B in Anspruch genommen hat. |
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| Ergänzend wird auf Ziffer I der Gründe des Beschlusses des Senats vom 22.11.2011, AZ: 10 W 47/11, verwiesen. Es handelt sich gegenüber diesem Verfahren um ein einstweiliges Verfügungsverfahren mit umgekehrten Parteirollen, in dem die jetzige Verfügungsbeklagte Herausgabe unter anderem des jetzt streitgegenständlichen Materials verlangt hat. |
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| Mit Urteil vom 19.10.2011 hat das Landgericht Stuttgart dem Verfügungsantrag stattgegeben und der Verfügungsbeklagten untersagt, näher bezeichnetes Material von der Baustelle zu entfernen, und hat für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,-- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monate angedroht. Die Verfügungsbeklagte sei dem Vortrag einer berechtigten fristlosen Kündigung wegen Versäumung der Ausführungsfrist und der gesetzten Nachfrist nicht substantiiert entgegen getreten. Die Verfügungsklägerin habe deshalb gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B auf die Baustelle angelieferte Stoffe für die Weiterführung der Arbeiten gegen angemessene Vergütung in Anspruch nehmen dürfen. Nach Zugang dieser Erklärung dürfe ein Auftragnehmer die Baustoffe nicht mehr wegnehmen. Der Verfügungsgrund ergebe sich daraus, dass sich die Verfügungsbeklagte eines Anspruchs auf Herausgabe berühmt und verbotene Eigenmacht der Verfügungsklägerin geltend gemacht habe. Auch wenn die Verfügungsklägerin wegen der Ankündigung einer gerichtlichen Freigabeverfügung nicht habe befürchten müssen, dass ihr die Verfügungsbeklagte ohne gerichtlichen Titel die beanspruchten Baustoffe entziehen würde, habe wegen des anwaltlich erhobenen Vorwurfs der verbotenen Eigenmacht nach § 858 BGB die eingereichte Schutzschrift gegen den zu erwartenden gerichtlichen Antrag der Verfügungsbeklagten zur Wahrung ihrer Rechte nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B nicht ausgereicht. Gegen einen Besitzschutzanspruch könne sich die Verfügungsklägerin nämlich gemäß § 863 BGB nicht mit ihrem Anspruch nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B verteidigen. |
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| Bis zur Erledigungserklärung sei auch der das Vorbehaltseigentum des Lieferanten der Verfügungsbeklagten umfassende Anspruch begründet gewesen. |
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| Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Es bestehe kein Verfügungsanspruch. Es treffe nicht zu, dass die Verfügungsklägerin berechtigt sei, die Baustoffe, die Gegenstand des Verfahrens seien, zu verwerten, bevor zwischen den Parteien eine angemessene Vergütung vereinbart worden sei. Die Verfügungsklägerin habe auf ein Angebot der Beklagten nicht reagiert. § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B begründe kein Selbsthilferecht des Auftraggebers. Vielmehr müsse der Auftraggeber seinen Anspruch notfalls gerichtlich durchsetzen. |
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| Auch ein Verfügungsgrund sei nicht gegeben. Die Verfügungsbeklagte beabsichtige nicht, ohne gerichtliche Entscheidung sich wieder in den Besitz der Gegenstände zu bringen. Durch ihren Antrag wolle die Verfügungsbeklagte lediglich sicherstellen, dass die Materialien erst dann verwendet würden, wenn sie sich mit der Verfügungsklägerin auf einen Kaufpreis geeinigt habe. |
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| Die Verfügungsbeklagte beantragt: |
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| Das Urteil des Landgerichts Stuttgart wird abgeändert. Der Antrag wird abgewiesen. |
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| Die Verfügungsklägerin beantragt, |
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| die Berufung zurückzuweisen. |
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| Die Verfügungsbeklagte habe in der Berufungsschrift das Aktenzeichen des angegriffenen Urteils mit 40 O 39/11 KfH falsch angegeben. |
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| Auf das Angebot der Verfügungsbeklagten vom 30.8.2011 habe die Klägerin durchaus reagiert und sich mit den Lieferanten der Verfügungsbeklagten in Verbindung gesetzt, um von diesen die im Streit befindlichen und für das Weiterbauen notwendige Materialien zu erwerben. Auf das Material hätten teilweise keine Eigentums- oder Besitzansprüche der Verfügungsbeklagten mehr bestanden, weil sie die Materiallieferungen nicht bezahlt habe und die Lieferanten von ihrem Eigentumsvorbehalt Gebrauch gemacht hätten. Die von der Verfügungsbeklagten in ihrem Angebot vom 30.8.2011 verlangten Preise seien teilweise vielfach überhöht, was sich aus einem Vergleich der angebotenen Preise mit den von den Lieferanten der Verfügungsbeklagten an die Verfügungsklägerin abgegebenen Angebote zeige. |
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| Die Verfügungsbeklagte habe mit ihrem Schreiben vom 23.8.2011 angekündigt, das Material „morgen“ abzuholen. Am 25.8.2011 habe sich die Verfügungsbeklagte unberechtigt auf die Baustelle begeben. Für die Verfügungsklägerin lasse dies nur den Schluss zu, dass die Verfügungsbeklagte „Fakten schaffen“ wollte. |
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| Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten ist unbegründet. |
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| Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingereicht worden, auch wenn in der Berufungsschrift das erstinstanzliche Aktenzeichen des Landgerichts Stuttgart unzutreffend angegeben wurde. Mit der Berufungsschrift wurde eine Kopie der Ausfertigung des angegriffenen Urteils übersandt, aus der die zutreffende Geschäftsnummer zu entnehmen war. |
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| Der für den Erlass der einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsanspruch ist gegeben. |
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| Die Verfügungsklägerin hat sich bereits eigenmächtig in den Besitz der von der Verfügungsbeklagten auf die Baustelle verbrachten Materialien gesetzt (vgl. Senat, Beschluss vom 22.11.2011, AZ: 10 W 47/11 unter Ziffer II. 1. b). Zutreffend weist die Verfügungsbeklagte darauf hin, dass das Recht der Verfügungsklägerin aus § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B kein Wegnahmerecht begründete, sondern einen schuldrechtlichen Anspruch, der gegebenenfalls gerichtlich geltend zu machen ist. |
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| Hier ist die Verfügungsklägerin im Wege der Selbsthilfe nach § 229 BGB vorgegangen und hat nach der Ankündigung der Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 23.8.2011, ihre Baumaterialien abzuholen, am 25.8.2011 Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Gericht eingereicht. Als Folge dieser Selbsthilfe geht das Begehren der Verfügungsklägerin nicht auf eine Leistungsverfügung, die eine Herausgabe der betroffenen Baumaterialien zum Gegenstand hat, sondern auf eine Leistungsverfügung, die auf ein Unterlassen der Wegnahme gerichtet ist. Eine solche Leistungsverfügung ist hier zulässig, weil die geschuldete Handlung so kurzfristig für die Fortführung des Bauvorhabens benötigt wird, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist (vgl. Zöller-Vollkommer ZPO 29. Aufl., § 940 RN 6). |
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| Der Anspruch auf Herausgabe der Baumaterialien ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B mit dem Zugang der Erklärung der Inanspruchnahme der Baumaterialien entstanden (vgl. Kuffer in Heiermann / Riedl / Rusam VOB 12. Aufl. VOB/B § 8 RN 106 m.w.N.). Mit dieser Inanspruchnahmeerklärung wird das bereits mit der Einbeziehung des § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B in den Bauvertrag verbundene schuldrechtliche bedingte Angebot des Auftragnehmers auf Abschluss eines Übernahmevertrages angenommen (vgl. Senat a.a.O. Ziffer II 1. c). |
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| Zwar steht dem Auftragnehmer für die Inanspruchnahme der Baumaterialien eine angemessene Vergütung zu. Das Landgericht hat jedoch überzeugend festgestellt, dass der Übernahmeanspruch auch schon vor Abschluss der Vergütungsvereinbarung entsteht. Wenn sich die Parteien nicht einigen, so ist die angemessene Vergütung im Rechtsstreit durch das Gericht zu bestimmen (vgl. Kuffer in Heiermann / Riedl / Rusam a.a.O. RN 107; Vygen in Ingenstau / Korbion VOB 17. Aufl. § 8 Abs. 3 VOB/B RN 68). § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B will eine zügige Weiterführung des Bauvorhabens auch nach fristloser Kündigung des Bauvertrags erreichen. Diesem Zweck der Vorschrift würde es widersprechen, den Übernahmeanspruch im Zweifel von einer gerichtlichen Festsetzung der angemessenen Vergütung abhängig zu machen, die lange Zeit beanspruchen kann. Ansonsten wäre der Auftraggeber den Vergütungsforderungen des Auftragnehmers angesichts des häufig auf einer Baustelle herrschenden und im Fall einer Kündigung wegen Zeitverzugs regelmäßig eingetretenen Zeitdrucks weitgehend ausgeliefert. |
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| Ein Verfügungsgrund liegt vor, weil die Verfügungskläger aufgrund des Verhaltens der Verfügungsbeklagten nach der Erklärung der Inanspruchnahme ihrer Baumaterialien damit rechnen musste, dass die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung ihren possessorischen Besitzschutzanspruch geltend machen würde, gegen den die petitorische Einwendung aus § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B gemäß § 863 BGB grundsätzlich nicht erhoben werden kann (vgl. Senat, a.a.O. Ziffer II. 2). Zutreffend stellt das Landgericht fest, dass das Einreichen einer Schutzschrift bei Gericht aus diesem Grund keine ausreichende Verteidigung gegen einen Besitzschutzanspruch darstellen kann. Die Verfügungsklägerin musste sich nicht darauf verlassen, dass sie den Erlass einer solchen einstweiligen Verfügung aus possessorischem Recht der Verfügungsbeklagten mit Hinweis auf deren treuwidriges, sittenwidriges Verhalten abwehren würde, weil die Auftragnehmerin die einstweilige Verfügung zur Durchsetzung überhöhter Übernahmepreise einsetzen wollte. Dies gilt hier umso mehr, als die Verfügungsbeklagte eine unzulässige Überhöhung der von ihr angebotenen Übernahmepreise in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Abrede gestellt hat, ohne allerdings ausreichend zum eigenen Einkaufspreis bzw. der Kalkulation des Preises der übernommenen Gegenstände und einem angemessenen Gewinnzuschlag vorzutragen. |
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| Nach der Auffassung des Senats steht dem Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen eines besitzrechtlichen Anspruchs aus § 861 BGB eine auch nur vorläufig vollstreckbare Entscheidung entgegen, durch die das petitorische Gegenrecht gerichtlich anerkannt wird (vgl. Senat a.a.O. Ziffer II 2. b). Damit war und ist eine gerichtliche Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren über den Anspruch der Verfügungsklägerin aus § 8 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B der sicherste Weg, einen possessorischen Besitzschutzanspruch der Verfügungsbeklagten, der im Wege einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden kann, abzuwehren. Dieser Verfügungsgrund besteht auch nach der rechtskräftigen Abweisung des Verfügungsantrags der Verfügungsbeklagten durch den Beschluss des Senats vom 22.11.2011, AZ: 10 W 47/11, fort. Zwar erwächst diese ablehnende Entscheidung auch in eine beschränkte materielle Rechtskraft, so dass bei unveränderten Verhältnissen eine Antragswiederholung in der Regel unzulässig ist (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO 29. Aufl., vor § 916 RN 13 m.w.N.). Der Senat hat sich unter Ziffer II. 2. b) seines Beschlusses jedoch auch auf das nunmehr angegriffene Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19.10.2011, AZ: 40 O 73/11 KfH, gestützt. Würde aufgrund der rechtskräftigen Abweisung des possessorischen Verfügungsantrags durch den Beschluss des Senats vom 22.11.2011 der Verfügungsklägerin die von ihr beantragte einstweilige Verfügung verweigert werden, müsste sie damit rechnen, von der Verfügungsbeklagten erneut im Wege der einstweiligen Verfügung auf Herausgabe in Anspruch genommen zu werden, ohne sich auf eine entgegenstehende, zumindest vorläufig vollstreckbare gerichtliche Entscheidung berufen zu können. Diese Gefahr genügt als Verfügungsgrund für die von der Verfügungsklägerin beantragte einstweilige Verfügung. |
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