Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers (Bl. 28) gegen den Beschluss der 15. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 23.Mai 2003 (Bl.26) – 15 O 126/03 – wird zurückgewiesen.

Gründe

 
Die fristgerecht eingelegte, nach § 127 Abs.2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers (Bl. 28) gegen den die beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückweisenden Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 23.Mai 2003 (B. 26) hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage bereits dem Grunde nach verneint.
I.
Nach § 114 ZPO kann Prozesskostenhilfe nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht. Ob dies der Fall ist, ist anhand des vorgetragenen Sachverhalts und der angebotenen Beweise im Wege einer "summarischen" Prüfung zu beurteilen, die sich sowohl auf die rechtliche Seite (Schlüssigkeit der Klage im rechtlichen Sinn) als auch auf die tatsächliche Seite (Beweisbarkeit) erstreckt. Dabei ist – was die tatsächliche Ebene anbetrifft – eine sogenannte "Beweisantizipation" nicht generell unzulässig, so dass Prozesskostenhilfe verweigert werden kann, wenn rechtlich erheblicher Vortrag erkennbar nicht zu beweisen ist (BGH NJW 1988, 266; Zöller-Philippi, Kommentar zur ZPO, 23. Auflage, Rn.26 zu § 114 ZPO; Musielak-Fischer, Kommentar zur ZPO, 3. Auflage, Rn. 21 zu § 114 ZPO). Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht (BVerfG NJW 1997, 2745).
Diese Grundsätze gelten auch im Arzthaftungsprozess, wenngleich dort an die Substantiierung, insbesondere in medizinischer Hinsicht, keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (BGH NJW 1985, 676 = VersR 1985, 60). Es ist aber jedenfalls auch in medizinischer Hinsicht ein Mindestmaß an Schlüssigkeit erforderlich (Geiß-Greiner, 4. Auflage, S. 243).
II.
Bei dieser rechtlichen Ausgangslage kann dem Antragsteller Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil es aufgrund der in den Behandlungsunterlagen dokumentierten Befunde ausgeschlossen erscheint, dass dem Antragsteller der ihm obliegende Nachweis eines für seine Gesundheitsstörungen – schwere Entwicklungsstörung bei Microcephalie und Minderwuchs – ursächlichen Behandlungsfehlers durch einen Arzt oder eine Hebamme der Beklagten gelingen kann. Nach den Behandlungsunterlagen gibt es keinerlei greifbaren Anhaltspunkte für ein ärztliches Fehlverhalten bei der Geburt des mit guten Apgar- und pH-Werten geborenen Antragstellers, ebenso wenig dafür, dass die gesundheitlichen Defizite des Antragstellers überhaupt in der Zeit zwischen dem rechnerischen Geburtstermin und dem 13.10.1989 ihre Ursache haben. Solche Anhaltspunkte zeigt auch der Antragsteller nicht auf, sondern sein Vortrag beschränkt sich auf die Vermutung von intrauterinen Notzuständen nach dem errechneten Geburtstermin und bei der Geburt.
1. Der Antragsteller, dessen Geburtstermin auf den 2.10.1989 errechnet worden war, wurde am 13.10.89, 7.11 Uhr mit einem Gewicht von 3590 g, Apgar-Werten von 8,8,9,9 (nach 1, 2, 5 und 10 Minuten) und einem Nabelschnur-pH-Wert (arteriell) von 7,26 in der 42. SSW geboren. Hauptanknüpfungspunkt der beabsichtigten Klage ist die Behauptung, beim Antragsteller sei es im Hinblick auf den errechneten Geburtstermin am 2.10.1989 zu einer Übertragung gekommen mit der Folge, dass bereits in der Zeit zwischen dem 9.10. und dem 12.10.1989 intrauterine Notzustände aufgetreten seien, die eine Geburtseinleitung oder sofortige Schnittentbindung erfordert hätten. Infolge nachlassender Plazentafunktion sei es zu Schädigungen des Antragstellers im Mutterleib gekommen.
a) Für das Auftreten von intrauterinen Notzuständen gibt es keine Anhaltspunkte. Die aufgezeichneten Verläufe der CTG aus der Beobachtungszeit vor dem 13.10.1989 (vgl. die beigezogenen Krankenunterlagen) sind unauffällig und deuten in keiner Weise auf eine bedrohliche Situation des Antragstellers im Mutterleib hin. Anderes behauptet auch der Antragsteller nicht. Ebenso wenig gibt es sonstige Anhaltspunkte dafür, dass bereits vor dem 13.10.1989 die Plazenta in ihrer Funktion nachgelassen hat oder die Sauerstoffversorgung des Antragstellers im Mutterleib aus anderen Gründen beeinträchtigt gewesen ist.
b) Aus der Tatsache allein, dass der – statistische – Geburtstermin überschritten war, ergab sich deshalb keine Notwendigkeit, eine "Intensivüberwachung" oder sonstige weiterführende Untersuchungen durchzuführen. Eine Übertragung im medizinischen Sinn lag nicht vor. Diese beginnt erst ab einer Schwangerschaftsdauer von mehr als 42 SSW, wie der Antragsteller in dem vorgelegten Gutachten des Instituts für Medizinschadensbegutachtung selbst vorträgt (vgl. Pfleiderer et.al., Gynäkologie und Geburtshilfe, 3. Auflage, S. 423), so dass generell aus der Überschreitung des rechnerischen Geburtstermins Gefährdungen des Kindes nicht abgeleitet werden können. Besondere Symptome einer Gefährdung lagen nicht vor.
2. Auch die Maßnahmen anlässlich der Spontangeburt des lebensfrischen Knaben am 13.10.1989 rechtfertigen nicht einmal die Vermutung eines Behandlungsfehlers geschweige denn die Möglichkeit eines Fehlernachweises. Sie sind erkennbar nicht zu beanstanden. Aus den Behandlungsunterlagen, die auch einem medizinischen Sachverständigen als einzig verwertbare Erkenntnisquelle zur Verfügung stünden, sind keine Ansatzpunkte zu entnehmen, die den Nachweis eines Behandlungsfehlers denkbar erscheinen ließen:
a) Gegen einen Fehler spricht schon, dass der Antragsteller nicht etwa in einem deprimierten Zustand, sondern mit Normalgewicht lebensfrisch ohne nachhaltige Adaptionsschwierigkeiten bei guter arterieller Sauerstoffversorgung und guter Apgarbewertung geboren wurde. Anzeichen für eine Unterversorgung oder ein Sauerstoffdefizit liegen nicht vor.
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b) In der Zeit nach der stationären Aufnahme der Mutter des Antragstellers um 1.00 Uhr des 13.10.1989 kam es nach 5.00 Uhr zu einer tieferen Dezeleration der Herztöne mit schneller Erholung und danach nochmals um 6.20 Uhr zu einer aus der CTG-Aufzeichnung ersichtlichen Dezeleration, wobei die Herztöne des Antragstellers kurzfristig bis auf Werte um 60 bis 80 Schläge/min absanken. Aus den Unterlagen und dem Geburtsprotokoll ist aber ebenso ersichtlich, dass hierauf sofort durch die Gabe von 2 ml Partusisten (Tokolyse zur Wehenhemmung) reagiert wurde mit der Folge, dass sich die Herztöne innerhalb kurzer Zeit wieder erholten. Dies ergibt sich aus den vorliegenden CTG-Befunden, die für die Folgezeit wieder im Normbereich liegende Werte zeigen.
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c) Nachdem es nach Gabe der für diesen Notfall verordneten Tokolyse nachweislich zur Erholung der Herztöne gekommen ist und auch vom Antragsteller nicht behauptet wird, dass in der Folgezeit (nach 6.20 Uhr) bis zur Austreibungsphase eine "Krise" eingetreten sei, gibt es keine Indizien für eine zwingende Indikation eines Kaiserschnitts. Die Gabe von Partusisten war wirksam, ausreichend und medizinisch korrekt.
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d) Dies weisen auch die weiteren Parameter nach der Geburt aus, die sich aus den Behandlungsunterlagen ergeben:
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So deuten die erhobenen Apgar-Werte von 8/8/9/9 in keiner Weise auf eine Sauerstoffunterversorgung im Mutterleib vor oder während der Geburt hin. Der ermittelte pH-Wert des Bluts der Nabelschnur war mit 7,26 unauffällig, so dass eine Azidose als Zeichen einer Hypoxie ausgeschlossen erscheint. Das abgegangene Fruchtwasser war "klar und reichlich". Mekonium wurde nicht festgestellt.
14 
Schließlich wurden auch bei den durchgeführten pädiatrischen Untersuchungen (U 1 bis U 7) keine Auffälligkeiten beschrieben, die auf einen Geburtsschaden hindeuten. Die vorliegende Microzephalie ist – wie die übrigen Entwicklungsdefizite des Antragstellers – keineswegs eine typische Folge einer intrauterinen oder geburtlichen Sauerstoffminderversorgung, sondern könnte eher – worauf die Antragsgegnerin hinweist – auf eine Schädigung in der Frühschwangerschaft oder auf einen genetischen Defekt hinweisen.
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3. In Anbetracht dieser durchweg regelgerechten Befunde ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller den Nachweis ursächlichen ärztlichen Fehlverhaltens führen könnte, nicht zu bejahen. Den Ausführungen im Privatgutachten fehlt die Grundlage im dokumentierten Sachverhalt. Wenn der Gutachter Dr. Giese aus dem "Eindruck der Großmutter", dass es sich um ein "altes Kind" handle, ohne sonstige Indizien das Vorliegen der sog. Runge-Zeichen als Ausdruck einer Übertragung annimmt, ist dies erkennbar medizinisch nicht fundiert, zumal die einzelne Symptome (Verfärbung der Haut, Waschfrauenhände, fehlende vernix caseosa, Dystrophie) nicht einmal konkret behauptet werden. Die Geburtsunterlagen weisen eine entsprechende Feststellung nicht aus.
16 
Da die beabsichtigte Klage somit ohne Erfolgsaussicht ist, kann dem Antragsteller Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden. Die sofortige Beschwerde ist zurückzuweisen.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 114 Voraussetzungen


(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Re

Zivilprozessordnung - ZPO | § 127 Entscheidungen


(1) Entscheidungen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ergehen ohne mündliche Verhandlung. Zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges; ist das Verfahren in einem höheren Rechtszug anhängig, so ist das Gericht dieses Rechtszuges zuständig.

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Tenor Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 28. Januar 2004 - 3 F 39/03 - wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahr

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(1) Entscheidungen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ergehen ohne mündliche Verhandlung. Zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges; ist das Verfahren in einem höheren Rechtszug anhängig, so ist das Gericht dieses Rechtszuges zuständig. Soweit die Gründe der Entscheidung Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei enthalten, dürfen sie dem Gegner nur mit Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden.

(2) Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe kann nur nach Maßgabe des Absatzes 3 angefochten werden. Im Übrigen findet die sofortige Beschwerde statt; dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt, es sei denn, das Gericht hat ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Die Notfrist beträgt einen Monat.

(3) Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe findet die sofortige Beschwerde der Staatskasse statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Partei gemäß § 115 Absatz 1 bis 3 nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten oder gemäß § 116 Satz 3 Beträge zu zahlen hat. Die Notfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe des Beschlusses. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung ist die Beschwerde unstatthaft. Wird die Entscheidung nicht verkündet, so tritt an die Stelle der Verkündung der Zeitpunkt, in dem die unterschriebene Entscheidung der Geschäftsstelle übermittelt wird. Die Entscheidung wird der Staatskasse nicht von Amts wegen mitgeteilt.

(4) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.