Tenor

Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Leistung von Rechtshilfe aufgrund des Ersuchens des Schwerstrafgerichts Bakirköy-Istanbul, 11. Kammer, vom 28. Juli 2014

v o r l i e g e n .

Gründe

 
I.
Das türkische Generalkonsulat in Stuttgart hat mit Schreiben vom 18. November 2014 ein Rechtshilfeersuchen des Schwerstrafgerichts Bakirköy-Istanbul, 11. Kammer, vom 28. Juli 2014 übermittelt. Dem Ersuchen liegt ein Strafverfahren gegen mehrere Angeklagte, darunter gegen die deutsche Staatsangehörige H. zugrunde. Mit Anklageschrift der Hauptstaatsanwaltschaft zu Bakirköy vom 13. März 2013 (Az. 2013-749) wird der Angeklagten und 15 weiteren Personen zur Last gelegt, bis zum 26. Juni 2005 als Mitglieder einer Organisation, die zum Zwecke der Begehung von Taten des Exports von Betäubungsmitteln gegründet wurde, mit Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben. Die Angeklagte H. wird beschuldigt, in der Zeit von Februar 2005 bis April 2005 in mehreren Fällen bei in der Türkei wohnhaften Mitangeklagten Heroin gekauft zu haben. Das Schwerstrafgericht Bakirköy-Istanbul, 11. Kammer, bittet im Wege der Rechtshilfe um Vernehmung der in Deutschland lebenden Angeklagten zu der gegen sie erhobenen Anklage.
Das Landgericht Tübingen hat am 26. November 2014 die Rechtshilfe bewilligt und die Sache mit Schreiben vom 26. Januar 2015 an das für die Vornahme der Rechtshilfehandlung zuständige Amtsgericht Reutlingen übersandt.
Das Amtsgericht Reutlingen hat am 8. Juni 2015 beschlossen, die Sache gemäß § 61 Abs. 1 IRG dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorzulegen. Es vertritt die Auffassung, dass die Leistung von Rechtshilfe unzulässig sei. Die Vernehmung der Angeklagten würde gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoßen, da die Angeklagte aufgrund derselben Vorwürfe bereits durch Urteil des Amtsgerichts Reutlingen vom 19. Dezember 2005 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde. Darüber hinaus laufe die erbetene Rechtshilfe ins Leere, weil eine spätere Auslieferung der Angeklagten aufgrund ihrer deutschen Staatsangehörigkeit nur im Rahmen des § 80 Abs. 1 Nr. 1 IRG in Betracht käme, was zu einer neuerlichen Strafvollstreckung in Deutschland und damit faktisch eben doch zu einer Doppelbestrafung führen würde.
Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat mit Schreiben vom 1. Juli 2015 die Akten vorgelegt und erklärt, dass vor dem Hintergrund des § 9 IRG und dem Umstand, dass eine Auslieferung wegen der deutschen Staatsangehörigkeit der Angeklagten weder zur Strafverfolgung noch zur Strafvollstreckung zulässig sein dürfte, die Zulässigkeit der beantragten Beschuldigtenvernehmung zumindest fraglich sein dürfte.
II.
Die Vorlage der Sache durch das Amtsgericht Reutlingen ist nach § 61 Abs. 1 Satz 1 IRG zulässig. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liegen die Voraussetzungen für die Leistung von Rechtshilfe vor.
1.
Rechtsgrundlage für die Gewährung von Rechtshilfe ist vorliegend Art. 1 Abs. 1 EuRhÜbK, vgl. § 1 Abs. 3 IRG. Unter diese Rechtshilfeverpflichtung fällt auch die Vernehmung einer deutschen Staatsangehörigen, gegen die in der Türkei Anklage erhoben wurde, durch einen deutschen Richter (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 5. Februar 2013, 1 Ausl 60/12, juris Rn. 9; OLG Karlsruhe, NJW 1990, 2208, zitiert nach juris; OLG Köln, Beschluss vom 12. Februar 2004, Ausl 25/04, zitiert nach juris).
2.
Grundsätzlich umfasst der Sachverhalt, aufgrund dessen die Angeklagte - zusammen mit ihrem damaligen Ehemann V. H. - vom Amtsgericht Reutlingen am 19. Dezember 2005 wegen jeweils zehn Verbrechen des gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit je einem Verbrechen des gemeinschaftlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wobei die Taten aufgrund von Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurden, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, auch die Taten, die - hinsichtlich der Angeklagten H. - der Anklageschrift der Hauptstaatsanwaltschaft zu Bakirköy vom 13. März 2013 zugrunde liegen. Entscheidend ist insoweit der gleiche Lebenssachverhalt und nicht die jeweils unterschiedliche rechtliche Würdigung der Ereignisse nach deutschem und nach türkischem Recht. Der Strafklageverbrauch steht der Leistung von Rechtshilfe vorliegend aber nicht entgegen.
Nach deutschem Recht verbürgt Art. 103 Abs. 3 GG den Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung (vgl. Schomburg in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage, Exkurs vor Art. 54 SDÜ, Rn. 5, S. 1667), verwehrt wird hierdurch grundsätzlich allerdings nur eine mehrmalige Verurteilung eines Straftäters durch deutsche Gerichte (BVerfGE 75, 1, juris Rn. 37; BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2011, 2 BvR 148/11, juris Rn. 32). Art. 103 Abs. 3 GG i.V.m. § 59 Abs. 3 IRG hindert die Leistung von Rechtshilfe daher nicht, da vorliegend nicht das Verhältnis zwischen deutschen Gerichten betroffen ist. § 59 Abs. 3 IRG soll gewährleisten, dass die gesetzlichen Beschränkungen, die für innerdeutsche Verfahren gelten (wie die Einschränkungen bei Zwangsmaßnahmen, Beschlagnahmeverbote, Beachtung des Steuergeheimnisses u. ä.), auch bei der Leistung von Rechtshilfe für ausländische Staaten Beachtung finden (vgl. Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., § 59 IRG, Rn. 31). Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, es sei nur für solche ausländischen Verfahren Rechtshilfe zu leisten, die der deutschen Strafprozessordnung entsprechen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 18.10.2000, 2 Ausl II 25/00, juris Rn. 6). Im Rechtshilferecht entscheidet über die Wirksamkeit eines Verfahrensaktes vielmehr das Recht, in dessen Geltungsbereich dieser Verfahrensakt vorgenommen wurde (OLG Celle, a.a.O., juris Rn. 11). Dies ist vorliegend das türkische Recht, auf dessen Grundlage das Schwerstrafgericht Bakirköy-Istanbul, 11. Kammer, entschieden hat, die Angeklagte in Deutschland richterlich vernehmen zu lassen. Diese Entscheidung - sowie die spätere Verwertbarkeit dieser Vernehmung - ist der Nachprüfung durch deutsche Stellen entzogen (OLG Celle, a.a.O., juris Rn. 11).
Eine umfassende Geltung des Grundsatzes ne bis in idem war bei Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht anerkannt; vielmehr bezog sich dieser Grundsatz ausschließlich auf innerstaatliche Sachverhalte (BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2007, 2 BvR 38/06, juris Rn. 11f.). Eine entsprechende Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 Satz 1 GG ist auch heute nicht feststellbar (BVerfGE 75, 1, juris Rn. 59; BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2007, 2 BvR 38/06, juris Rn. 21; BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2011, 2 BvR 148/11, juris Rn. 31; OLG Nürnberg, Beschluss vom 19. März 2014, 2 Ws 98/14, juris Rn. 26; Schomburg in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., Art. 54 SDÜ, Rn. 3). Vielmehr sehen Staaten gerade die Ausgestaltung und Ausübung ihrer Strafgewalt als wesentliches souveränes Recht an (BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2007, 2 BvR 38/06, juris Rn. 30).
3.
10 
Von der Frage der Zulässigkeit der Rechtshilfeleistung in Form der Vernehmung der Angeklagten durch ein deutsches Gericht ist die (sich möglicherweise anschließende) Frage der Auslieferung der Angeklagten an die Türkei zu unterscheiden. Hierfür gelten gesonderte Vorschriften, insbesondere Art. 9 EuAlÜbk, der einer Mehrfachverfolgung durch beide Vertragsstaaten in Form eines Auslieferungshindernisses entgegenwirken soll, wenn der Verfolgte wegen derselben Tat im ersuchten Staat bereits rechtskräftig abgeurteilt wurde (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 1985, 1 AK 15/08, zitiert nach juris). Dieses Auslieferungshindernis hat allerdings seinen Ursprung eher in dem Anspruch des Individualstaates, Entscheidungen der eigenen Justiz von äußeren Einflüssen freizuhalten und eigene Staatsangehörige vor einem Zugriff fremder Justizordnungen zu schützen (Schomburg in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., Exkurs zu Art. 54 SDÜ, Rn. 10, S. 1668).

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(1) Der Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten richtet sich nach diesem Gesetz. (2) Strafrechtliche Angelegenheiten im Sinne dieses Gesetzes sind auch Verfahren wegen einer Tat, die nach deutschem Recht als Ordnungswi

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Ist für die Tat auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet, so ist die Auslieferung nicht zulässig, wenn 1. ein Gericht oder eine Behörde im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen den Verfolgten wegen der Tat ein Urteil oder eine Entscheidung mit ent

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Oberlandesgericht Nürnberg Beschluss, 19. März 2014 - 2 Ws 98/14

bei uns veröffentlicht am 19.03.2014

Tenor I. Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Ist Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkomme

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(1) Hält ein Gericht, das für die Leistung der Rechtshilfe zuständig ist, die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe für nicht gegeben, so begründet es seine Auffassung und holt die Entscheidung des Oberlandesgerichts ein. Das Oberlandesgericht entscheidet ferner auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht oder im Fall des § 66 auf Antrag desjenigen, der geltend macht, er würde durch die Herausgabe in seinen Rechten verletzt werden, darüber, ob die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe gegeben sind. Für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht gelten die §§ 30, 31 Abs. 1, 3 und 4, §§ 32, 33 Abs. 1, 2 und 4, § 38 Abs. 4 Satz 2, § 40 Abs. 1 sowie die Vorschriften des 11. Abschnittes des I. Buches der Strafprozeßordnung mit Ausnahme der §§ 140 bis 143 entsprechend. Für das weitere Verfahren gilt § 42 entsprechend.

(2) Örtlich zuständig sind das Oberlandesgericht und die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht, in deren Bezirk die Rechtshilfe geleistet werden soll oder geleistet worden ist. Sind Rechtshilfehandlungen in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte vorzunehmen oder vorgenommen worden, so richtet sich die Zuständigkeit danach, welches Oberlandesgericht oder, solange noch kein Oberlandesgericht befaßt ist, welche Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht zuerst mit der Sache befaßt wurde.

(3) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist für die Gerichte und Behörden, die für die Leistung der Rechtshilfe zuständig sind, bindend.

(4) Die Rechtshilfe darf nicht bewilligt werden, wenn das Oberlandesgericht entschieden hat, daß die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe nicht vorliegen.

(1) Die Auslieferung eines Deutschen zum Zwecke der Strafverfolgung ist nur zulässig, wenn

1.
gesichert ist, dass der ersuchende Mitgliedstaat nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zurückzuüberstellen, und
2.
die Tat einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat aufweist.
Ein maßgeblicher Bezug der Tat zum ersuchenden Mitgliedstaat liegt in der Regel vor, wenn die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde und der Erfolg zumindest in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist, oder wenn es sich um eine schwere Tat mit typisch grenzüberschreitendem Charakter handelt, die zumindest teilweise auch auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde.

(2) Liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 2 nicht vor, ist die Auslieferung eines Deutschen zum Zwecke der Strafverfolgung nur zulässig, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 vorliegen und die Tat
2.
keinen maßgeblichen Bezug zum Inland aufweist und
3.
auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht oder bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre, und bei konkreter Abwägung der widerstreitenden Interessen das schutzwürdige Vertrauen des Verfolgten in seine Nichtauslieferung nicht überwiegt.
Ein maßgeblicher Bezug der Tat zum Inland liegt in der Regel vor, wenn die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen im Geltungsbereich dieses Gesetzes begangen wurde und der Erfolg zumindest in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist. Bei der Abwägung sind insbesondere der Tatvorwurf, die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung und die grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen. Liegt wegen der Tat, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens ist, eine Entscheidung einer Staatsanwaltschaft oder eines Gerichts vor, ein deutsches strafrechtliches Verfahren einzustellen oder nicht einzuleiten, so sind diese Entscheidung und ihre Gründe in die Abwägung mit einzubeziehen; Entsprechendes gilt, wenn ein Gericht das Hauptverfahren eröffnet oder einen Strafbefehl erlassen hat.

(3) Die Auslieferung eines Deutschen zum Zwecke der Strafvollstreckung ist nur zulässig, wenn der Verfolgte nach Belehrung zu richterlichem Protokoll zustimmt. § 41 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.

(4) (weggefallen)

Ist für die Tat auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet, so ist die Auslieferung nicht zulässig, wenn

1.
ein Gericht oder eine Behörde im Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen den Verfolgten wegen der Tat ein Urteil oder eine Entscheidung mit entsprechender Rechtswirkung erlassen, die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt (§ 204 der Strafprozeßordnung), einen Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage verworfen (§ 174 der Strafprozeßordnung), das Verfahren nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen eingestellt (§ 153a der Strafprozeßordnung) oder nach Jugendstrafrecht von der Verfolgung abgesehen oder das Verfahren eingestellt hat (§§ 45, 47 des Jugendgerichtsgesetzes) oder
2.
die Verfolgung oder Vollstreckung nach deutschem Recht verjährt oder auf Grund eines deutschen Straffreiheitsgesetzes ausgeschlossen ist.

(1) Hält ein Gericht, das für die Leistung der Rechtshilfe zuständig ist, die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe für nicht gegeben, so begründet es seine Auffassung und holt die Entscheidung des Oberlandesgerichts ein. Das Oberlandesgericht entscheidet ferner auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht oder im Fall des § 66 auf Antrag desjenigen, der geltend macht, er würde durch die Herausgabe in seinen Rechten verletzt werden, darüber, ob die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe gegeben sind. Für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht gelten die §§ 30, 31 Abs. 1, 3 und 4, §§ 32, 33 Abs. 1, 2 und 4, § 38 Abs. 4 Satz 2, § 40 Abs. 1 sowie die Vorschriften des 11. Abschnittes des I. Buches der Strafprozeßordnung mit Ausnahme der §§ 140 bis 143 entsprechend. Für das weitere Verfahren gilt § 42 entsprechend.

(2) Örtlich zuständig sind das Oberlandesgericht und die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht, in deren Bezirk die Rechtshilfe geleistet werden soll oder geleistet worden ist. Sind Rechtshilfehandlungen in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte vorzunehmen oder vorgenommen worden, so richtet sich die Zuständigkeit danach, welches Oberlandesgericht oder, solange noch kein Oberlandesgericht befaßt ist, welche Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht zuerst mit der Sache befaßt wurde.

(3) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist für die Gerichte und Behörden, die für die Leistung der Rechtshilfe zuständig sind, bindend.

(4) Die Rechtshilfe darf nicht bewilligt werden, wenn das Oberlandesgericht entschieden hat, daß die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe nicht vorliegen.

(1) Der Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten richtet sich nach diesem Gesetz.

(2) Strafrechtliche Angelegenheiten im Sinne dieses Gesetzes sind auch Verfahren wegen einer Tat, die nach deutschem Recht als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße oder die nach ausländischem Recht mit einer vergleichbaren Sanktion bedroht ist, sofern über deren Festsetzung ein auch für Strafsachen zuständiges Gericht entscheiden kann.

(3) Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen gehen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften dieses Gesetzes vor.

(4) Die Unterstützung für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit mit einem Mitgliedstaat der Europäischen Union richtet sich nach diesem Gesetz.

(5) Die Unterstützung für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit, die den Auslieferungs- und Durchlieferungsverkehr mit der Republik Island oder dem Königreich Norwegen betrifft, richtet sich nach diesem Gesetz.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Auf Ersuchen einer zuständigen Stelle eines ausländischen Staates kann sonstige Rechtshilfe in einer strafrechtlichen Angelegenheit geleistet werden.

(2) Rechtshilfe im Sinne des Absatzes 1 ist jede Unterstützung, die für ein ausländisches Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit gewährt wird, unabhängig davon, ob das ausländische Verfahren von einem Gericht oder von einer Behörde betrieben wird und ob die Rechtshilfehandlung von einem Gericht oder von einer Behörde vorzunehmen ist.

(3) Die Rechtshilfe darf nur geleistet werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen deutsche Gerichte oder Behörden einander in entsprechenden Fällen Rechtshilfe leisten könnten.

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

Tenor

I.

Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens insoweit mit Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar, als er das Verbot der Doppelverfolgung unter die Bedingung stellt, dass im Falle einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann?

2. Ist die genannte Bedingung des Art. 54 SDÜ auch dann erfüllt, wenn nur ein Teil (hier: Geldstrafe) der im Urteilsstaat verhängten, aus zwei selbstständigen Teilen (hier: Freiheits- und Geldstrafe) bestehenden Sanktion vollstreckt worden ist?

II.

Es wird beantragt, das Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren gemäß Art. 104b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.

III.

Das Verfahren über die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 28.01.2014 wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

IV.

Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschuldigten wird angeordnet.

Gründe

Der Beschuldigte befindet sich in dieser Sache seit seiner Auslieferung aus Österreich am 06.12.2013 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Regensburg vom 20.11.2013 (Geschäftszeichen III Gs 252413) in Verbindung mit dem Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 28.01.2014 (Aktenzeichen 2 Qs 1/14) ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat über die weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 28.01.2014 zu entscheiden.

I.

Dem Vorabentscheidungsersuchen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Zunächst hatte das Amtsgericht Regensburg am 25.02.2010 (Geschäftszeichen Gs 418/2010 III) Haftbefehl gegen den sich nicht im Inland aufhaltenden Beschuldigten wegen des dringenden Tatverdachts des bandenmäßigen Betruges gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1, Abs. 5 Strafgesetzbuch (künftig: StGB) zulasten des deutschen Staatsangehörigen S., begangen in M., am 20.03.2009, erlassen (Bl. 116-117 der Ermittlungsakte).

Danach liegt dem Beschuldigten folgender Sachverhalt zur Last:

„Der Beschuldigte ist Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Wechselgeldbetrügereien zusammengeschlossen hat. Der Beschuldigte handelt in der Absicht, sich durch die Begehung von Straftaten eine Lebensgrundlage zu schaffen.

Der Geschädigte S. suchte per Internet einen Investor für ein Bauvorhaben für eine Investmentsumme von 900.000 €. Daraufhin wurde er von einem unbekannten Täter, der sich als israelischer Geschäftsmann mit dem Namen W. ausgab, kontaktiert. Dieser präsentierte einen Herrn P. als interessierten Investor. Bei einem Treffen in Mailand mit Herrn P. stellte dieser den Beschuldigten unter dem Namen H. A. D. als eigentlichen Investor vor. Dabei wurde vereinbart, dass der Beschuldigte 500.000 € auf ein Treuhandkonto einbezahlen sollte. Eine weitere Zahlung von 400.000 € sollte bei einem weiteren Treffen in Mailand in bar vorgenommen werden. In der Folgezeit überredete Herr P. den Geschädigten außerdem, zu dem weiteren Treffen in Mailand 40.000 € in kleinen Scheinen mitzubringen, um diese gegen 40.000 € des Beschuldigten in 500 €-Scheinen umzutauschen, da italienischen Banken keine größeren Beträge in 500 €-Noten wechseln würden.

Am 20.3.2009 kam es zu einem erneuten Treffen zwischen dem Geschädigten und dem Beschuldigten im „Café C.“ in Mailand, bei dem der Geschädigte die vereinbarten 40.000 € im Koffer bei sich trug. Der Beschuldigte hatte einen Koffer mit Bargeld im Wert von 400.000 € bei sich. Der Beschuldigte täuschte dem Geschädigten durch Durchführung eines Wechselgeschäfts bei einer Bank vor, dass es sich bei dem Bargeld im Wert von 400.000 € um echtes Geld handeln würde, tatsächlich handelte es sich bei den im Koffer befindlichen 400.000 € um Fac-Simile. Der Geschädigte übergab dem Beschuldigten aufgrund der Täuschung Bargeld im Wert von 40.000 € und erhielt im Gegenzug 400.000 € in Fac-Simile.

Dem Geschädigten entstand hierdurch ein Schaden in Höhe von 40.000 €.“

Unter Zugrundelegung des Haftbefehls vom 25.02.2010 erließ die Staatsanwaltschaft Regensburg am 05.03.2010 einen Europäischen Haftbefehl (Aktenzeichen 125 Js 23396/09) gegen den Beschuldigten (Bl. 123 - 129 der Ermittlungsakte).

Am 08.10.2009 wurde der Beschuldigte aufgrund eines Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 27.08.2009 (Bl. 373 - 378 der Ermittlungsakte) in anderer Sache in der Republik Ungarn festgenommen und am 01.12.2009 in die Republik Österreich ausgeliefert. Das Ministerium für Justiz- und Polizeiwesen der Republik Ungarn teilte unter dem 28.05.2010 mit, dass die vollstreckende ungarischen Justizbehörde die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 05.03.2010 angeordnet habe (Bl. 153 der Ermittlungsakte). Bei der Vernehmung durch das Landesgericht Innsbruck am 31.03.2010 zu dem Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 05.03.2010 erklärte sich der Beschuldigte nicht mit dem vereinfachten Übergabeverfahren einverstanden und berief sich auf den Grundsatz der Spezialität (Bl. 146 - 149 der Ermittlungsakte). Das Landesgericht Innsbruck hat mit Beschluss vom 23.08.2010 (Aktenzeichen 30 HR 121/10x) die Übergabe des Beschuldigten an die deutschen Behörden zur Strafverfolgung wegen der im europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 05.03.2010 dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat unter Wahrung des Spezialitätsschutzes für zulässig erklärt (Blatt 694 - 701 der Ermittlungsakte). Das Oberlandesgericht Innsbruck hat der hiergegen vom Beschuldigten eingelegten Beschwerde mit Beschluss vom 29.09.2010 (Aktenzeichen 6 Bs 473/10z) keine Folge gegeben (Blatt 702 - 709 der Ermittlungsakte).

Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 26.08.2010 (Aktenzeichen 28 Hv 22/10v) ist der Beschuldigte in anderer Sache rechtskräftig zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden (vgl. Bl. 782 der Ermittlungsakte). Mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 22.10.2013 (Aktenzeichen 28 Hv 22/10v) wurde vom weiteren Vollzug dieser Freiheitsstrafe im Hinblick auf die vom Landesgericht Innsbruck und vom Oberlandesgericht Innsbruck in den genannten Beschlüssen für zulässig erklärte Auslieferung an die deutschen Behörden mit Wirkung der erfolgten Übergabe des Beschuldigten an die deutschen Behörden abgesehen (vgl. Bl. 747 - 748 und 782 der Ermittlungsakte).

Am 20.11.2013 erließ das Amtsgericht Regensburg einen erweiterten Haftbefehl (Geschäftszeichen III Gs 252413) gegen den Beschuldigten, der unter Ziffer I den bereits dem Haftbefehl vom 25.02.2010 zugrundeliegenden bandenmäßigen Betrug zulasten des deutschen Staatsangehörigen S., begangen in Mailand am 20.03.2009, sowie unter Ziffer II eine weitere Tat umfasst (Bl. 736 - 739 der Ermittlungsakte).

Die Überstellung des Beschuldigten von Österreich nach Deutschland erfolgte am 06.12.2013. Am selben Tag eröffnete das Amtsgericht Rosenheim dem Beschuldigten den Haftbefehl vom 20.11.2013, hob den früheren Haftbefehl vom 25.02.2010 auf und ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an (Bl. 793 - 796 der Ermittlungsakte).

Bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Regensburg am 10.01.2014 räumte der Beschuldigte die unter Ziffer I des Haftbefehls vom 20.11.2013 beschriebene Tat ein. Das Amtsgericht Regensburg beschloss daraufhin, dass der Haftbefehl aufrecht erhalten bleibt und weiterzuvollziehen ist (Bl. 828 - 829 der Ermittlungsakte).

Mit Schriftsätzen seiner Verteidiger vom 10.01.2014 (Bl. 834 - 837 der Ermittlungsakte) und vom 14.01.2014 (Bl. 838 - 839 der Ermittlungsakte) legte der Beschuldigte hiergegen Beschwerde ein, beantragte den Haftbefehl aufzuheben und ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Er ist der Ansicht, er könne wegen der ihm zur Last gelegten Tat in Mailand vom 20.03.2009 (Ziffer I des Haftbefehls vom 20.11.2013) nicht mehr verfolgt werden, da nach dem Grundsatz des Verbotes der Doppelbestrafung („ne bis in idem“) gemäß Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: GrCh) sowie Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (im Folgenden: SDÜ) ein Verfolgungshindernis bestehe. Er weist darauf hin, dass er wegen dieser Tat bereits durch Urteil des Tribunale di Milano vom 18.06.2012, rechtskräftig seit 07.07.2012 (Aktenzeichen N 33709/11 RGNR; N 313/12) zu einer Strafe von einem Jahr Haft sowie 800 € Geldstrafe verurteilt worden sei (Bl. 820 - 824, 863 - 864 der Ermittlungsakte). Die Verurteilung sei in Abwesenheit erfolgt, da er sich zu diesem Zeitpunkt in Österreich in Strafhaft befunden habe. Die Staatsanwaltschaft beim Tribunale di Milano habe mit Bescheid vom 05.01.2013 (Aktenzeichen N SIEP 4882/2012) einen am 17.09.2012 ausgefertigten Beschluss in Sachen Aussetzung des Strafvollstreckungsbescheides widerrufen und die Inhaftnahme des Verurteilten zur Verbüßung der oben genannten Strafe von einem Jahr Haft sowie zur Begleichung der Geldstrafe in Höhe von 800 € verfügt (Bl. 826 - 827, 865 - 866 der Ermittlungsakte).

Mit weiterem Verteidigerschriftsatz vom 24.01.2014 (Bl. 871 - 875 der Ermittlungsakte) legte der Beschuldigte Zahlungsbelege der „Banka Nationale del Lavoro“ (Bl. 876 - 877 der Ermittlungsakte) vor, wonach die Geldstrafe aus dem Urteil des Tribunale di Milano vom 18.06.2012 über 800 € durch eine Zahlung vom 23.01.2014 beglichen worden sei. Entsprechend sei die Sanktion der Geldstrafe aus dem Urteil vollstreckt. Damit sei die vom Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht beantwortete Frage zu entscheiden, wie Art. 54 SDÜ bei Vollstreckung einer von mehreren Sanktionen auszulegen sei. Demgemäß sei hinsichtlich der Auslegung des Art. 54 SDÜ und einer möglichen Einschränkung durch Art. 20 GrCh ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu stellen.

Der Beschuldigte meint, er könne auch wegen der ihm in Ziffer II des Haftbefehls vom 20.11.2013 zur Last gelegten Tat nicht verfolgt werden, da die Strafverfolgung gegen den Grundsatz der Spezialität verstoße. Er sei ausschließlich wegen der im Europäischen Haftbefehl vom 05.03.2010 bezeichneten Tat (diese entspricht der in Ziffer I des Haftbefehls des Amtsgerichts Regensburg vom 20.11.2013 bezeichneten Tat) von Österreich nach Deutschland ausgeliefert worden.

Das Amtsgericht Regensburg half mit Beschluss vom 13.01.2014 der Haftbeschwerde nicht ab (Bl. 831 der Ermittlungsakte).

Das Landgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 28.01.2014 (Aktenzeichen 2 Qs 1/14) den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 10.01.2014 (Geschäftszeichen III Gs 2607/13) in Verbindung mit dem Haftbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 20.11.2013 (Geschäftszeichen III Gs 2524/13) mit der Maßgabe aufrecht erhalten, dass der Vollzug der Untersuchungshaft derzeit ausschließlich auf den in Ziffer I des Haftbefehls vom 20.11.2013 bezeichneten Sachverhalt gestützt werden kann, und im Übrigen die Beschwerde des Beschuldigten zurückgewiesen (Bl. 878 - 886 der Ermittlungsakte).

Zur Begründung führt es unter anderem aus, einer Verfolgung der in Ziffer I des angegriffenen Haftbefehls bezeichneten Tat stehe auch im Hinblick auf die Verurteilung durch das Tribunale di Milano vom 18.06.2012 der Grundsatz „ne bis in idem“ nicht entgegen. Der Beschuldigte unterliege gemäß § 7 Abs. 1 StGB der deutschen Strafgewalt. Ein Verfolgungshindernis ergebe sich weder aus Artikel 103 Absatz 3 Grundgesetz (künftig: GG) noch aus Art. 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 25 GG. Ein Strafklageverbrauch folge auch nicht aus Art. 54 SDÜ, da eine Vollstreckung der im Urteil des Tribunale di Milano vom 18.06.2012 verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr noch nicht begonnen hat. Hieran ändere sich nichts durch eine eventuelle Bezahlung der neben der Freiheitsstrafe verhängten Geldstrafe von 800 €. Dies ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der in Art. 54 SDÜ vorgenommenen Einschränkung des Doppelbestrafungsverbotes, nämlich ein „forum fleeing“ zu verhindern. Nichts anderes ergebe sich aus dem Verbot der Doppelbestrafung in Art. 50 GrCh. Diese Regelung enthält zwar keine Modifizierung durch Vollstreckungsbedingungen. Die in der Charta anerkannten Rechte könnten aber durch gesetzliche Regelungen eingeschränkt werden, die den Wesensgehalt der Charta achten. Art. 54 SDÜ sei eine solche einschränkende Regelung. Ein darüber hinausgehendes Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik, aus dem sich ein weitergehendes Verbot der Doppelbestrafung ergäbe, gebe es nicht (unter Hinweis auf Grützner/Pötz/Greß, Internationaler Rechtshilfeverkehr, 3. Auflage, II.I.16 Italien).

Gegen diesen Beschluss legte der Beschuldigte mit Schriftsätzen seiner Verteidiger vom 28.01.2014 und vom 10.02.2014 (Bl. 921 - 923 und 933 - 941 der Ermittlungsakte) weitere Beschwerde ein, mit dem Antrag, den Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 28.01.2013 dahingehend abzuändern, dass der Haftbefehl gegen den Beschuldigten aufgehoben und dieser aus der Haft entlassen werde, hilfsweise der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt und die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt werde. Er wendet sich gegen die Auffassung, dass Art. 50 GrCh durch die Schrankenregelung des Art. 54 SDÜ zulässigerweise eingeschränkt werden könne. Eine eindeutige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs existiere hierzu noch nicht; entsprechendes gelte für die Frage der Vollstreckung lediglich eines Teils der Strafe.

Das Landgericht Regensburg half der weiteren Beschwerde mit undatiertem Beschluss (Blatt 943 der Ermittlungsakte) nicht ab.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg beantragt, die weitere Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Eine Stellungnahme hierzu erfolgte nicht mehr.

II.

Der Senat hält die Beantwortung der Vorlagefragen für den Erlass seiner Entscheidung über die weitere Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 20.11.2013 für erforderlich. Sie ist entscheidungserheblich, ohne dass einschlägige oder übertragbare Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ersichtlich oder die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig wäre, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bliebe (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22.09.2011 - 2 BvR 947/11 StraFo 2011, 498 Rdn. 14, und vom 28.01.2013 - 2 BvR 1561 - 1564/12, Rdn. 178 nach juris). Der Senat legt sie deshalb dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 und 4 AEUV zur Vorabentscheidung vor.

Der Senat geht von Folgendem aus:

1. Die weitere Beschwerde des Beschuldigten ist statthaft (§ 310 Abs. 1 Nr. 1 Strafprozessordnung; künftig StPO) und auch im Übrigen zulässig. Der Senat hat somit in der Sache zu überprüfen, ob der Haftbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 20.11.2013 in der Gestalt, die er durch den Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 28.01.2014 gefunden hat, aufrechtzuerhalten ist.

Dies ist im Grunde der Fall, da die Voraussetzungen der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft vorliegen. Der Beschuldigte ist der ihm im genannten Haftbefehl unter Ziffer I zur Last gelegten Tat - allein auf diese wird aufgrund des Spezialitätsgrundsatzes die Untersuchungshaft derzeit gestützt - dringend verdächtig. Er hat diese eingeräumt. Der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StPO ist gegeben. Der Beschuldigte ist serbischer Staatsangehöriger. Er hat in Deutschland keinen Wohnsitz und auch sonst keine sozialen und familiären Bindungen. Es ist deshalb aufgrund der zu erwartenden Freiheitsstrafe davon auszugehen, dass er sich dem Verfahren durch Flucht entziehen wird. Die Fortdauer der Untersuchungshaft verstößt ersichtlich auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Beschleunigungsgebot.

2. Der Haftbefehl wäre aber dann aufzuheben, wenn wegen des ihm zugrundeliegenden Tatvorwurfs ein Verfolgungshindernis bestünde. Dies wäre der Fall, wenn die Verurteilung des Beschuldigten durch das Tribunale di Milano vom 18.06.2012 zu einer Strafe von einem Jahr Haft sowie 800 € Geldstrafe und die bereits erfolgte Begleichung der Geldstrafe die Strafverfolgung hindern würden. Für diese Fragen sind die Vorlagefragen entscheidungserheblich.

a. Ein Verfahrenshindernis folgt nicht aus Art. 103 Abs. 3 GG. Diese Vorschrift gewährt dem Einzelnen ein verfassungsmäßiges Recht, nicht wegen derselben Tat erneut bestraft zu werden. Im Strafprozess schafft dieses Prozessgrundrecht (vgl. BVerfGE 56, 22, 32) ein die Einstellung des neuerlichen Strafverfahrens wegen Strafklageverbrauchs gebietendes Verfahrenshindernis (vgl. nur Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. Einleitung, Rdn. 145 u. 171). Der in Art. 103 Abs. 3 GG verankerte Grundsatz „ne bis in idem“ gilt allerdings nur bei einer Erstverurteilung durch deutsche Gerichte (vgl. BVerfGE 75, 1, 15 f.; BVerfG StraFo 2008, 151, Rdn. 16 ff. nach juris; NJW 2012, 1202 Rdn. 32 nach juris). Eine solche liegt hier nicht vor.

b. Die Verfolgung der genannten Tat durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden verstößt nicht gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 GG. Eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 Satz 1 GG, nach der niemand wegen desselben Sachverhalts, dessentwegen er bereits rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, von einem anderen Staat, dessen Strafgewalt ebenfalls gegeben ist, erneut verfolgt oder bestraft werden darf, ist nämlich nicht feststellbar (vgl. ausführlich BVerfG StraFo 2008, 151, Rdn. 21 ff. nach juris; siehe hierzu auch BVerfG NJW 2012, 1202 Rdn. 31 nach juris; Ambos, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Vor §§ 3-7 Rdn. 65).

c. Somit kommt es darauf an, ob ein Verfahrenshindernis aufgrund des in Art. 54 SDÜ sowie Art. 50 GrCh geregelten Verbots der Doppelverfolgung besteht.

Die Bestimmung des Art. 54 SDÜ, die grundsätzlich auch Abwesenheitsurteile erfasst (EuGH NJW 2009, 3149 Rdn. 34 nach juris), lautet wie folgt:

„Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.“

Art. 50 GrCh mit der Überschrift „Recht, wegen derselben Straftat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden“ hat folgenden Wortlaut:

„Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.“

aa. Die Charta findet im vorliegenden Fall Anwendung (vgl. hierzu BVerfG NJW 2012, 1202 Rdn. 40 nach juris). Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 01.12.2009 (BGBl. II Seite 1223) gilt gemäß Art. 6 Abs. 1 des EU-Vertrages die Grundrechtecharta als bindendes Recht. Gemäß Art. 51 GrCh ist auch deren Anwendungsbereich eröffnet. Die Grundrechtecharta bindet in erster Linie die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 GrCh). Eine Bindung der Mitgliedstaaten sieht die Grundrechtecharta „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ vor (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 GrCh).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union finden die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung. Diese Definition des Anwendungsbereichs der Grundrechte der Union wird durch die Erläuterungen zu Art. 51 GrCh bestätigt, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 GrCh für deren Auslegung zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH Urteil vom 22.12.2010 - Rs. C-279/09, DEB, Slg 2010, I-13849 = ZIP 2011, 143, Rdn. 32). Gemäß diesen Erläuterungen „[gilt d]ie Verpflichtung zur Einhaltung der im Rahmen der Union definierten Grundrechte für die Mitgliedstaaten ... dann, wenn sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts handeln“. Die Anwendbarkeit des Unionsrechts umfasst somit die Anwendbarkeit der durch die Charta garantierten Grundrechte (EuGH Urteil vom 26.02.2013 - Rs. C-617/10, Frannson, NJW 2013, 1415 Rdn. 19-21).

Die für die Anwendung der Charta erforderliche „Durchführung des Rechts der Union“ liegt darin, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte die Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens, hier Art. 54 SDÜ, prüfen müssen. Denn dieses entfaltet seit seiner Einbeziehung durch das so genannte Schengen-Protokoll (Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union, BGBl. 1998 II S. 429 ff.) zum Amsterdamer Vertrag vom 02.10.1997 (Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl. EU Nr. C 340 vom 10.11.1997; BGBl. 1998 II S. 387 ff.) in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union dieselben Rechtswirkungen wie sekundäres Unionsrecht (BVerfG NJW 2012, 1202 Rdn. 40 nach juris m. w. N.).

bb. Anders als das Verbot des Art. 54 SDÜ ist das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 50 GrCh nicht ausdrücklich durch Vollstreckungsbedingungen modifiziert. Jedoch können gemäß Art. 52 Abs. 1 GrCh die in der Charta anerkannten Rechte durch gesetzliche Regelungen eingeschränkt werden, die den Wesensgehalt der Charta achteten.

(1) Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs stellt Art. 54 SDÜ eine solche einschränkende Regelung dar (vgl. BGHSt 56, 11 = NJW 2011, 1114 Rdn. 13 nach juris). Dies ergebe sich aus den Erläuterungen des Präsidiums des Konvents zur Ausarbeitung der Charta (ABl. EG 2004 C 310/453; aktualisierte Fassung ABl. EU 2007 C 303/17).

Gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV werden die in der Charta niedergelegten Rechte, Freiheiten und Grundsätze gemäß den allgemeinen Bestimmungen des Titels VII der Charta, der ihre Auslegung und Anwendung regelt, und unter gebührender Berücksichtigung der in der Charta angeführten Erläuterungen, in denen die Quellen dieser Bestimmungen angegeben sind, ausgelegt. Nach der Präambel der Charta und Art. 52 Abs. 7 GrCh sind die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung der Charta verfasst wurden, von den Gerichten der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen. Ausweislich der Präambel der Erläuterungen selbst stellen diese eine nützliche Interpretationshilfe dar, die dazu dient, die Bestimmungen der Charta zu verdeutlichen.

In den Erläuterungen zu Art. 50 GrCh heißt es: „Nach Art. 50 findet der Grundsatz ´ne bis in idem´ nicht nur innerhalb der Gerichtsbarkeit eines Staates, sondern auch zwischen den Gerichtsbarkeiten mehrerer Mitgliedstaaten seine Anwendung. Dies entspricht dem Rechtsbesitzstand der Union; siehe die Artikel 54 bis 58 des Schengener Durchführungsübereinkommens und Urteil des Gerichtshofs vom 11. Februar 2003, Rechtssache C-187/01 Gözütok (Slg. 2003, I-1345), Artikel 7 des Übereinkommens zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sowie Artikel 10 des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung. Die klar eingegrenzten Ausnahmen, in denen die Mitgliedstaaten nach diesen Übereinkommen von der Regel ,ne bis in idem‘ abweichen können, sind von der horizontalen Klausel des Artikels 52 Absatz 1 über die Einschränkungen abgedeckt“.

Danach bestehe nach Auffassung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs kein Zweifel, dass der Grundsatz „ne bis in idem“ auch im Blick auf Art. 50 GrCh nur nach Maßgabe von Art. 54 SDÜ gilt (BGHSt 56, 11 Rdn. 14 nach juris mit Hinweis auf Burchard/Brodowski StraFo 2010, 179, 184; im Ergebnis ebenso LG Aachen, StV 2010, 237 mit ablehnender Anmerkung Reichling). Diesen Rechtsausführungen schloss sich der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einem weiteren Verfahren mit Beschluss vom 01.12.2010 (2 StR 420/10, in juris) ausdrücklich an.

(2) Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 15.12.2011 (2 BvR 148/11, NJW 2012, 1202) die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und ergänzend darauf hingewiesen, dass nach dem Wortlaut und dem Aufbau der genannten Erläuterungen sich die Formulierung „Die klar eingegrenzten Ausnahmen [...] nach diesen Übereinkommen“ auf die drei Übereinkommen beziehungsweise deren Ausnahmebestimmungen, die in dem Satz zuvor aufgezählt werden, beziehe. Damit seien die Art. 54 bis 58 SDÜ erfasst. Die Ausnahmen seien - so die Erläuterungen - wörtlich „von der horizontalen Klausel des Artikels 52 Absatz 1 über die Einschränkungen abgedeckt“. Schließlich enthielten darüber hinaus die Bestimmungen aller genannten Übereinkommen (Art. 54 SDÜ, Art. 7 des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl EG 1995, C 316/49, und Art. 10 des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, ABl EG 1997, C 195/2) ein Doppelbestrafungsverbot, das voraussetzt, dass die Sanktion bereits vollstreckt worden ist oder derzeit vollstreckt wird oder nach dem Recht des verurteilenden Staates nicht mehr vollstreckt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht kommt zum Ergebnis, insofern erscheine es naheliegend, die genannten Bestimmungen - so wie der Bundesgerichtshof - als Einschränkungen im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GrCh aufzufassen (BVerfG NJW 2012, 1202 Rdn. 44 nach juris).

(3) Diese Auslegung entspricht auch der Einschätzung der Europäischen Kommission im Anhang zum Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafverfahren [KOM(2005) 696 endgültig, unter 11.2; abrufbar unter: http://eurlex.europa.eu,CELEX-Nummer: 52005SC1767]. Dort heißt es:

„Sowohl hinsichtlich der Vollstreckungsbedingung als auch der zulässigen Vorbehalte nach Artikel 55 des Schengener Durchführungsübereinkommens scheint ein gewisser Widerspruch zu Artikel 50 Grundrechtscharta zu bestehen. Dieser enthält im Gegensatz zum Schengener Durchführungsübereinkommen weder eine Vollstreckungsbedingung noch Ausnahmen. Nach Artikel 52 Grundrechtscharta dürfen jedoch Einschränkungen des Grundsatzes ne bis in idem vorgenommen werden, wenn sie notwendig und verhältnismäßig sind. Dass im Falle einer zulässigen zweiten Verfolgung jede wegen derselben Tat erlittene Freiheitsentziehung auf die ´zweite´ Sanktion angerechnet wird (Artikel 56 des Schengener Durchführungsübereinkommens), ändert nichts daran, dass nach Artikel 50 Grundrechtscharta Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit geprüft werden müssen.“

(4) Allerdings wird in der Literatur zunehmend die einschränkende Auslegung des Art. 50 GrCh durch den Bundesgerichtshof kritisiert (vgl. etwa Schomburg, in: Schomburg/Lagodny u. a., Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. Teil III E 1 SDÜ Art. 54 Rdn. 13 ff. und Teil X.C. EuGrCh Rdn. 14 ff.; Schomburg/Suominen-Picht NJW 2012, 1190 ff.; Böse GA 2011, 504, 505 ff.; Merkel/Scheinfeld ZIS 2012, 206, 209 ff.; F. Walther ZJS 2013, 16, 18 ff.; kritisch auch Nestler, HRRS 2013, 337 ff.), während andere Stimmen mit teils unterschiedlicher Begründung das Vollstreckungselement des Art. 54 SDÜ als Schrankenbestimmung zu Art. 50 GrCh ansehen, so dass für den Umfang des europäischen Nebisinidem-Grundsatzes weiterhin Art. 54 SDÜ maßgeblich sei (vgl. etwa Ambos, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Vor §§ 3-7 Rdn. 6 Fußnote 472; Burchard/Brodowski StraFo 2010, 179, 184; Eckstein ZIS 2013, 220, 221 [jedenfalls bis unmittelbar wirkende europäische Straftatbestände in Kraft treten]; Grotz, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., III.A 3.3. Übk von Schengen Rdn. 30; Hecker, JuS 2012, 261 ff., [der dennoch für eine Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV plädiert]; Rosbaud, StV 2013, 291, 292).

So wird bezweifelt, dass das in Art. 54 SDÜ als tatbestandliche Voraussetzung vorgesehene Vollstreckungselement eine „Ausnahme“ im Sinne der Erläuterungen darstellen soll, in der ein Mitgliedstaat von der Regel „ne bis in idem“ abweichen können soll. Dem stehe auch entgegen, dass mit der Beibehaltung des Vollstreckungselements nicht „die Mitgliedstaaten“ vom Doppelverfolgungsverbot abweichen würden. Vielmehr wäre - wenn man der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgen würde - die Weitergeltung des Vollstreckungselements gemäß Art. 54 SDÜ zum einen zwingend (und nicht fakultativ, wovon offensichtlich die Erläuterungen ausgehen) und ergäbe sich zum anderen direkt aus dem Unionsrecht (und nicht aus einem mitgliedstaatlichen „optout“, wovon die Erläuterungen auszugehen scheinen). Soweit man die in den Erläuterungen in Bezug genommenen „Ausnahmen“ nicht auf das Vollstreckungselement beziehe, werde dieser Auslegungshinweis auch nicht gegenstandslos. Vielmehr seien in Art. 55 SDÜ rechtsterminologisch also solche bezeichnete „Ausnahmen“ von „ne bis in idem“ vorgesehen. Diese seien fakultativ und mussten von den einzelnen Mitgliedstaaten bei Ratifikation des Schengener Durchführungsübereinkommens erklärt werden. Wenig nachvollziehbar erscheine auch die Annahme, die Verfasser hätten sich mit einem mehrdeutigen Hinweis in den Erläuterungen begnügt, soweit sie - noch dazu in Kenntnis von Wortlaut und Voraussetzungen des Art. 54 SDÜ - eine derart prominente Abweichung von der ne bis in idem Regel wie das Vollstreckungselement tatsächlich hätten beibehalten wollen. Im Übrigen betone der Europäische Gerichtshof ständig den engen Zusammenhang des Doppelverfolgungsverbots mit dem allgemeinen Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 AEUV und lege dementsprechend bezüglich Art. 54 SDÜ sowohl den Tatbegriff wie auch den Begriff der rechtskräftigen Erstentscheidung und das Vollstreckungselement betont weit aus (vgl. F. Walther ZJS 2013, 16, 19).

cc. Der Senat neigt dennoch dazu, der vom Bundesgerichtshof in Übereinstimmung mit der Kommission vertretenen Auffassung zu folgen.

Die Einwendungen des Beschuldigten gegen die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung des Art. 50 GrCh überzeugen nicht. Sein Hinweis darauf, dass die Grundrechtscharta dem Schengener Durchführungsübereinkommen zeitlich nachgefolgt ist, stellt das Ergebnis der vom Bundesgerichtshof vorgenommenen Auslegung nicht in Frage. Die Erläuterungen zur Grundrechtecharta berücksichtigen gerade das bereits vorhandene Schengener Durchführungsübereinkommen. Dass im Hinblick auf die temporale (Weiter-)Geltung von Art. 54 SDÜ trotz Inkrafttretens von Art. 50 GrCh nicht einfach auf den lex posterior-Grundsatz zurückgegriffen werden kann, ergibt sich im Übrigen aus Art. 9 des Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen vom 13.12.2007 zum Vertrag von Lissabon (Abl. EU 2008 Nr. C 115/322), wonach Übereinkommen, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon auf der Grundlage des EU-Vertrages zwischen Mitgliedstaaten geschlossen wurden „so lange Rechtswirkung [behalten], bis sie in Anwendung der Verträge aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert werden.“ Eine stillschweigende Aufhebung oder Änderung in jenem Sinne könnte zwar auch im Inkrafttreten einer sachlich vorrangigen Bestimmung liegen (so F. Walther ZJS 2013, 16, 18). Dies liegt aber vorliegend fern, da die Erläuterungen zu Art. 50 GrCh ausdrücklich die Art. 54 bis 58 SDÜ im Zusammenhang mit den Ausnahmen, in denen die Mitgliedstaaten von der Regel „ne bis in idem“ abweichen können, erwähnen.

Auch der Umstand, dass Art. 54 SDÜ nur im Schengenraum gilt, während Art. 50 GrCh für die gesamte Europäische Union Wirkung entfaltet, ändert an der Einschränkung des Art. 50 GrCh durch Art. 54 SDÜ nichts. In den Erläuterungen zur Grundrechtecharta wird dieser Umstand gerade durch den Hinweis auf die dort genannten Übereinkommen ausdrücklich angesprochen. Im Übrigen sind - wie oben ausgeführt - die Bestimmungen der Charta für sich genommen nicht tauglich, als „Recht der Union“ mitgliedstaatliches Handeln der Charta zu unterwerfen, das nicht in Durchführung anderweitigen Unionsrechts - hier des Schengener Durchführungsübereinkommens - ergangen ist. Das Doppelbestrafungsverbot des Art. 50 GrCh entfaltet seine Wirkung somit immer nur auf dem Boden mitgliedstaatlichen Handelns aufgrund bestimmter EU-Rechtsvorschriften.

Weder der Grundrechtecharta noch dem Vertrag von Lissabon oder anderen Normen ist somit zu entnehmen, dass der den Normgebern bekannte Art. 54 SDÜ durch Art. 50 GrCh verdrängt oder modifiziert werden sollte. Daher besitzt Art. 54 SDÜ nach wie vor Gültigkeit und ist als zulässige Einschränkung von Art. 50 GrCh zu werten.

d. Sofern der Europäische Gerichtshof die Frage dahin beantworten sollte, dass Art. 20 GrCh durch Art. 54 SDÜ zulässigerweise eingeschränkt wird, stellt sich die Anschlussfrage, ob der Umstand, dass der Beschuldigte bereits die gegen ihn in Italien verhängte Geldstrafe beglichen hat, während die Freiheitsstrafe von einem Jahr noch nicht vollstreckt worden ist, zu einem Verfolgungshindernis nach Art. 54 SDÜ führt.

aa. Zunächst liegt offensichtlich kein Fall vor, in dem nach dem Recht des Urteilsstaates die Strafe nicht mehr vollstreckt werden könnte. Wie sich aus dem Bescheid der Staatsanwaltschaft bei dem Tribunale di Milano vom 05.01.2013 ergibt, gehen die italienischen Behörden von einer Vollstreckbarkeit aus.

bb. Sodann dürften nach Auffassung des Senats auch die Bedingungen, dass die verhängte Sanktion bereits vollstreckt worden ist oder gerade vollstreckt wird, nicht gegeben sein.

Diese Tatbestandsalternativen von Art. 54 SDÜ sind jedenfalls nicht dadurch erfüllt, dass die Staatsanwaltschaft bei dem Tribunale di Milano den Bescheid vom 05.01.2013 erlassen hat, mit dem sie die Inhaftnahme des Verurteilten zur Verbüßung der Strafe von einem Jahr Haft sowie zur Begleichung der Geldstrafe in Höhe von 800 € verfügte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann der Umstand, dass eine rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe nach Übergabe eines Verurteilten durch einen anderen Staat im Urteilsstaat vollstreckt werden könnte, die Auslegung des Begriffs der Vollstreckung im Sinne von Art. 54 SDÜ nicht beeinflussen (EUGH Urteil vom 18.07.2007 - Rs. C-288/05 - Kretzinger, NJW 2007, 3412 Rdn. 63). Demgemäß kann diese Vollstreckungsbedingung definitionsgemäß nicht erfüllt sein, wenn ein Europäischer Haftbefehl nach einer strafrechtlichen Verurteilung in einem ersten Mitgliedstaat gerade zu dem Zweck ausgestellt würde, damit eine Freiheitsstrafe vollstreckt werden kann, die noch nicht im Sinne von Art. 54 SDÜ vollstreckt worden ist (EUGH a. a. O. Rdn. 60 und 64). Daraus folgt, dass eine bloße innerstaatliche Vollstreckungsanordnung einer Vollstreckung im Sinne von Art. 54 SDÜ ebenfalls nicht gleichzusetzen ist. Das Urteil vom 18.06.2012 könnte somit auch nicht im Blick auf eine mögliche Auslieferung des Beschuldigten nach Italien ein Verfahrenshindernis begründen. Italien hat bisher keinen Antrag auf Auslieferung gestellt. Die Möglichkeit, dass ein solcher Antrag noch gestellt wird, führt nicht dazu, dass rechtliche Konsequenzen, die ein solcher Antrag im Falle seines Erfolges hätte, ein Verfahrenshindernis begründen würden (vgl. BGHSt 56, 11 Rdn. 10 nach juris).

Auch der Umstand, dass der Beschuldigte die gegen ihn neben der Freiheitsstrafe verhängte Geldstrafe - der zudem im Verhältnis zur Freiheitsstrafe geringeres Gewicht zukommt - bereits beglichen hat, dürfte nicht dazu führen, dass die Sanktion als „bereits vollstreckt“ im Sinne von Art. 54 SDÜ anzusehen wäre. Dies wäre nach Auffassung des Senats nur der Fall, wenn sämtliche Teile der Strafe - hier also Freiheitsstrafe und Geldstrafe - bereits vollstreckt worden wären.

Ebenso dürfte mit der erfolgten Begleichung der Geldstrafe und der damit bewirkten teilweisen Vollstreckung der gegen den Beschuldigten verhängten Sanktion das Tatbestandsmerkmal, dass die verhängte Strafe „gerade vollstreckt wird“, nicht erfüllt sein, da kein gegenwärtiger Vollstreckungsakt vollzogen wird.

cc. Der Senat neigt somit dazu, das Vorliegen der Vollstreckungsbedingungen zu verneinen, sieht sich jedoch an einer entsprechenden Entscheidung dadurch gehindert, dass diese Frage durch den Europäischen Gerichtshof - soweit ersichtlich - bisher nicht entschieden wurde und die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts auch nicht offenkundig und zweifelsfrei im Sinne der „acteclair-Doktrin“ ist (vgl. EuGH Urteil vom 06.10.1982 - Rs. C-283/81 - CILFIT, NJW 1983, 1257), zumal der Bundesgerichtshof in einem Vorlagebeschluss (NStZ 2006, 106 Rdn. 24 ff.) eine abweichende Auffassung vertreten hat. Dort hatte der Verfolgte im Urteilsstaat Polizei- und/oder Untersuchungshaft erlitten, die auf die später verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen wäre. Der Bundesgerichtshof war der Ansicht, die Anrechnungsvorschriften würden im Ergebnis zu einer vorweggenommenen „Teilvollstreckung“ der später verhängten Freiheitsstrafe führen. Vor diesem Hintergrund sei zu fragen, ob der Begriff der „Vollstreckung“ in Art. 54 SDÜ auch eine durch eine Anrechnungsvorschrift bewirkte Teilvollstreckung mit umfasse, ob bereits eine ganz kurzfristige Teilvollstreckung genüge oder wieweit eine solche Teilvollstreckung gegebenenfalls erfolgt sein müsse, um dieses Tatbestandselement des Art. 54 SDÜ zu erfüllen. Dass jedenfalls eine vollständige Verbüßung der verhängten Freiheitsstrafe nicht erforderlich sein könne, sei offenkundig. So wie das deutsche Strafrecht in § 57 StGB eine Aussetzung der Reststrafenvollstreckung als Regelfall kenne, existierten auch in anderen Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften, welche zu einer Beendigung der Vollstreckung vor Ablauf der vollständigen Verbüßungsdauer führen. Demzufolge erschien es dem Bundesgerichtshof zwingend, dass eine solche „Teilvollstreckung“ im Regelfall und unter den weiteren Voraussetzungen des Art. 54 SDÜ zum gesamteuropäischen Strafklageverbrauch führen müsste. Soweit es nach einer Teilvollstreckung zum Erlass der Reststrafe komme, greife allerdings bereits Art. 54, 3. Variante SDÜ ein, da die Strafe dann nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann (NStZ 2006, 106 Rdn. 25 f. nach juris).

(1) Mit der Auslegung der Formulierungen „gerade vollstreckt“ und „bereits vollstreckt“ befasst sich - soweit ersichtlich - nur eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, die zur Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung und zu der vom Bundesgerichtshof vorgelegten Frage der Polizei- und Untersuchungshaft ergangen ist (vgl. Urteil vom 18.07.2007 - Rs. C-288/05 - Kretzinger, Slg 2007, I-6442 = NJW 2007, 3412). Dieser können jedoch keine Aussagen entnommen werden, die eine eindeutige Auslegung der Vollstreckungsbedingung für die vorliegende Fallgestaltung zulassen:

Danach ist eine Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, insofern, als mit ihr das rechtswidrige Verhalten eines Verurteilten bestraft wird, eine Sanktion im Sinne von Art. 54 SDÜ. Sie ist als Strafe zu betrachten, die „gerade vollstreckt“ wird, sobald das Urteil vollstreckbar geworden ist und solange die Bewährungszeit dauert. Anschließend, nach Ablauf der Bewährungszeit, ist die Strafe als „bereits vollstreckt“ im Sinne von Art. 54 SDÜ anzusehen (EUGH Urteil vom 18.07.2007, a. a. O.., Rdn. 42).

Zur vorweggenommenen Teilvollstreckung bemerkte der Gerichtshof, dass bei einer Polizei- und/oder Untersuchungshaft Art. 54 SDÜ schon seinem Wortlaut nach nicht gelten könne, bevor der Betroffene „rechtskräftig abgeurteilt worden ist“. In Gerichtsverfahren lägen sowohl die Polizeihaft als auch die Untersuchungshaft vor dem rechtskräftigen Urteil. Daraus folge, dass Art. 54 SDÜ für solche Zeiten des Freiheitsentzugs nicht gelten kann, auch wenn diese nach dem nationalen Recht bei der anschließenden Vollstreckung einer gegebenenfalls verhängten Freiheitsstrafe berücksichtigt werden müssen. Folglich sei die von einem Gericht eines Vertragsstaats verhängte Sanktion nicht im Sinne von Art. 54 SDÜ „bereits vollstreckt“ worden oder werde „gerade vollstreckt“, wenn der Angeklagte kurzfristig in Polizei- und/oder Untersuchungshaft genommen worden ist und dieser Freiheitsentzug nach dem Recht des Urteilsstaats auf eine spätere Vollstreckung der Haftstrafe anzurechnen wäre (EUGH Urteil vom 18.07.2007, a. a. O.. Rdn. 49 f. und 52).

(2) Anders verhält es sich zwar im vorliegenden Verfahren, in dem die bereits vollstreckte Geldstrafe eine Sanktion im Sinne des Art. 54 SDÜ darstellt. Die vom Gerichtshof dem Art. 54 SDÜ beigelegte Zweck- und Zielrichtung scheint jedoch die Auslegung zuzulassen, dass eine Teilvollstreckung im genannten Sinn kein Verfolgungshindernis nach Art. 54 SDÜ begründet.

Der Zweck des Artikel 54 SDÜ besteht darin, zu verhindern, dass eine Person aufgrund der Tatsache, dass sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, wegen derselben Tat im Gebiet mehrerer Vertragsstaaten verfolgt wird (EuGH Urteil vom 11. Februar 2003 Rs. C-187/01 und C-385/01 - Gözütok und Brügge, Slg 2003, I-1345-1397 = NJW 2003, 1173, Rdn. 38: EuGH Urteil vom 09.03.2006 - Rs. C-436/04 - Van Esbroek, Slg 2006, I-2333 = NJW 2006, 1781, Rdn. 33). Das Recht auf Freizügigkeit werde nur dann effektiv gewährleistet, wenn der Urheber einer Handlung weiß, dass er sich, wenn er in einem Mitgliedstaat verurteilt worden ist und die Strafe verbüßt hat oder gegebenenfalls endgültig freigesprochen worden ist, im Schengen-Gebiet bewegen kann, ohne befürchten zu müssen, dass er in einem anderen Mitgliedstaat deshalb verfolgt wird, weil diese Handlung in der Rechtsordnung des letztgenannten Mitgliedstaats einen unterschiedlichen Verstoß darstellt (EuGH Urteil vom 09.03.2006 - Rs. C-436/04 Van Esbroek, Slg 2006, I-2333 = NJW 2006, 1781 Rdn. 34; EuGH Urteil vom 22.12.2008 - Rs. C-491/07 - Turansky, Slg 2008, I-11039 = NStZ-RR 2009, 109 Rdn. 44 m. w. N.). Demgegenüber soll die in Art. 54 SDÜ vorgesehene Vollstreckungsbedingung verhindern, dass ein in einem ersten Vertragsstaat rechtskräftig Verurteilter dann, wenn dieser Staat die verhängte Strafe nicht hat vollstrecken lassen, nicht mehr wegen derselben Tat verfolgt werden kann und somit letztlich einer Strafe entgeht (EuGH Urteil vom 18.07.2007 - Rs. C-288/05 - Kretzinger, Slg 2007, I-6442 = NJW 2007, 3412 Rdn. 51).

Dieser Zweck der Vollstreckungsbedingung ist nach Ansicht des Senats auch dann gegeben, wenn der Urteilsstaat - wie hier - den Beschuldigten in Abwesenheit verurteilt hat, die Strafe nicht vollstreckt hat, der Verurteilte außerhalb des Urteilsstaats aufgegriffen wird und dann einen Teil der Sanktion - hier die Geldstrafe - begleicht. Dies kann nach Auffassung des Senats nicht dazu führen, dass der Beschuldigte hierdurch letztlich der vollständigen Vollstreckung der Strafe (hier der neben der Geldstrafe verhängten Freiheitsstrafe) entgehen kann.

III.

Der Antrag, das Vorabentscheidungsersuchen dem Eilverfahren gemäß Art. 104b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen, wird wie folgt begründet:

Die Auslegungsfrage bezieht sich auf die Vorschriften zum „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ in Art. 67 ff. AEUV (vgl. Nr. 34 der Hinweise zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen durch die nationalen Gerichte, ABl. C 160 vom 28.05.2011, S. 5). Zu diesen gehört der auf Grundlage von Art. 31 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 34 Abs. 2 lit. d EU alter Fassung (= Art. 82 Abs. 1 AEUV) erlassene Art. 54 SDÜ. Der Beschuldigte befindet sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Regensburg vom 20.11.2013 in Verbindung mit dem Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 28.01.2014 seit seiner Überstellung aus Österreich am 06.12.2014 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Es liegt somit der in Art. 267 Abs. 4 AEUV genannte Fall des Freiheitsentzugs vor (vgl. Nr. 37 der Hinweise zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen).

Die Berechtigung der Inhaftierung hängt von der Entscheidung der Vorlagefrage ab. Würde entgegen der Auffassung des vorlegenden Senats vom Gerichtshof die Vorlagefrage 1 verneint und die Vorlagefrage 2 bejaht, so würde ein Verfolgungshindernis bestehen, so dass sich der Beschuldigte zu Unrecht in Untersuchungshaft befinden würde. Im Hinblick darauf ist nach Ansicht des Senats eine besondere Dringlichkeit gegeben, die die Anwendung des Eilvorlageverfahrens gemäß Art. 104b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs rechtfertigt.

IV.

Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls kommt nicht in Betracht. Der einschlägig vorgeahndete Beschuldigte hat eine Freiheitsstrafe zu erwarten, die die Dauer der erlittenen und voraussichtlich noch zu erleidenden Untersuchungshaft deutlich übersteigen wird. Eine Haftverschonung (§ 116 StPO), die einem weiteren Vollzug der Untersuchungshaft als mildere Maßnahmen vorgehen könnte, kommt bei ihm aufgrund der hohen Straferwartung nicht in Betracht.

Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft ist auch unter Berücksichtigung der zu erwartenden Dauer des Vorabentscheidungsverfahrens verhältnismäßig. Der Senat hat die Durchführung eines Eilverfahrens beantragt. Dieses bietet die Aussicht, mit entscheidungserheblichen Fragen des Europarechts verbundene Strafsachen zu einem zügigen Abschluss zu bringen (vgl. F. Walther ZJS 2013, 16, 22 f.), wie etwa der Umstand zeigt, dass der Gerichtshof ein Vorlageersuchen auf einen entsprechenden Antrag des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 08.02.2012 -5 StR 567/11, in juris) innerhalb von zwei Monaten beantwortet hat (EuGH, Urteil vom 10.04.2012 - Rs. C-83/12 PPU, NJW 2012, 1641).