Oberlandesgericht Rostock Beschluss, 15. Juli 2016 - 22 Ws_Reha 43/15
Gericht
Tenor
Die Anhörungsrüge der Betroffenen gegen den Senatsbeschluss vom 15.01.2016 wird zurückgewiesen.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
I.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 15.01.2016 die Beschwerde der Betroffenen gegen den ihre strafrechtliche Rehabilitierung ablehnenden Beschluss des Landgerichts Rostock vom 11.08.2015 als unbegründet verworfen. Gegen diese Entscheidung hat die Betroffene mit Schreiben vom 23.05.2016 Anhörungsrüge erhoben.
- 2
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Zuschrift vom 23.06.2016, die Anhörungsrüge als unbegründet zurückzuweisen. Die Betroffene hat dazu mit Schreiben vom 12.07.2016 Stellung genommen.
II.
- 3
1. Klarstellend weist der Senat zunächst darauf hin, dass die Vergabe eines neuen Geschäftszeichens für das Anhörungsrügeverfahren (22 Ws_Reha 18/16) auf einem Versehen der Serviceeinheit beruht. Die Rüge ist deshalb unter dem ursprünglichen Geschäftszeichen 22 Ws_Reha 43/15 bearbeitet worden.
- 4
2. Der zulässige Rechtsbehelf ist unbegründet; es liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor (§ 15 StrRehaG, § 311a StPO).
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Der Vortrag der Betroffenen erschöpft sich letztlich in einer Wiederholung und Vertiefung ihres Beschwerdevorbringens. Die Anhörungsrüge dient jedoch nicht dazu, das Beschwerdegericht dazu zu veranlassen, das Beschwerdevorbringen nochmals zu überprüfen.
- 6
Der Senat hat bei seiner Beschwerdeentscheidung vom 15.01.2016 weder Verfahrensstoff noch Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen die Betroffene zuvor nicht - schriftlich - gehört worden wäre. Auch wurde zu berücksichtigendes Vorbringen nicht übergangen, noch in sonstiger Weise der Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt.
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Der Umstand, dass der Senat die Rechtsansicht der Betroffenen zwar zur Kenntnis genommen hat, ihr aber im Ergebnis nicht gefolgt ist, stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Es ist schon grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 BvR 792/11 Rn. 16 mwN, wistra 2014, 434), zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht dazu verpflichtet ist, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2007 - 2 BvR 746/07). Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - gegen die Beschwerdeentscheidung kein weiteres Rechtsmittel gegeben ist (§ 15 StrRehaG, § 34 StPO). Jedenfalls wurde in vorliegender Sache der gesamte schriftliche Vortrag der Betroffenen, einschließlich ihrer Erwiderung vom 12.01.2016 auf die Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 21.12.2015 bei der Entscheidungsfindung des Senats berücksichtigt.
- 8
Der Senat war im Beschwerdeverfahren auch nicht zu einer mündlichen Anhörung der Betroffenen verpflichtet. § 11 Abs. 3 StrRehaG legt selbst für das erstinstanzliche Rehabilitierungsverfahren fest, dass eine mündliche Anhörung die Ausnahme ist. Für das Beschwerdeverfahren gilt dies nach § 15 StrRehaG i.V.m. § 309 Abs. 1 StPO entsprechend. Die von der Beschwerdeführerin angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25.06.2015 (NJW 2015, 3779) betrifft nur Fälle, in denen eine einfachrechtlich zwingend gebotene, d.h. gesetzlich vorgeschriebene mündliche Verhandlung unterblieben ist. Das Rehabilitierungsverfahren ist jedoch vom Gesetzgeber durchgängig als schriftliches Verfahren angelegt worden (vgl. § 7 Abs. 2, § 10 Abs. 2, 11 Abs. 3, § 12 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG). Aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes. Diese Vorschrift im Rang eines einfachen Gesetzes (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) steht gleichwertig neben den Bestimmungen des StrRehaG und wird deshalb von Letztgenannten als leges speciales verdrängt. Im Übrigen handelt es sich bei dem strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren nach den Abschnitten 1 und 2 des StrRehaG, anders als möglicherweise bei dem Entschädigungsverfahren nach Abschnitt 3 des Gesetzes, um kein Verfahren, mit dem zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen durchgesetzt werden sollen, oder um eine „strafrechtliche Anklage“. Von daher geht auch der Verweis der Betroffenen auf die Entscheidungen des EMGR vom 18.10.2010 - 41285/02 - und vom 05.05.2000 - 31382/96 - fehl, in denen es jeweils um Verfahren wegen einer Entschädigung in Geld ging, über die in den dort entschiedenen Fällen nicht durch unabhängige und unparteiische Gerichte im Sinne der Konvention befunden worden war, sondern durch spezielle Kommissionen, die u.a mit Vertretern der in Anspruch genommenen Entschädigungsfonds besetzt waren. Nur das wurde als konventionswidrig beanstandet (vgl. Urteil vom 18.10.2010 Rdz. 56 ff.), während der EGMR im Übrigen herausstellte, dass es Sache der jeweiligen nationalen Verfahrensordnung sei, wie das Verfahren im Einzelnen und die Beweiserhebung durchgeführt werde (a.a.O. Rdz. 64). In der Entscheidung des EGMR vom 25.05.2000 - 31382/96 - ging es allein um die Fragen, ob es sich bei Rehabilitierungsverfahren, auch wenn es dabei noch nicht um Geldforderungen geht, schon um „Streitigkeiten in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche“ handelt, was bejaht wurde, und sodann um die angemessenen Dauer solcher Verfahren. Auch dort ist jedoch zu der hier allein interessierenden Frage, wie solche Verfahren bezüglich der Beweiserhebung ausgestaltet sein müssen, insbesondere ob es dazu zwingend zu einer mündlichen Verhandlung oder persönlichen (mündlichen) Anhörung kommen muss, wie es die Betroffene meint, nichts judiziert worden.
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3. Die von der Betroffenen in ihrer Erwiderung vom 12.07.2016 auf die Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 23.06.2016 unter IV. aufgeführte Entscheidung des OLG Naumburg vom 03.12.2015 - 2 Ws (Reh) 45/15 - bindet den Senat nicht. Die Voraussetzungen einer Divergenzvorlage nach § 13 Abs. 4 StrRehaG ergeben sich daraus nicht. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die beträchtliche qualitative Unterschiede hinsichtlich der Gründe für die Anordnung der Heimerziehung zu denjenigen im vorliegenden Verfahren erkennen lässt, die umfassend und keineswegs nur mit ideologisch gefärbten oder lediglich vorgeschobenen Argumenten begründet (u.a. Diebstahl, Schuleschwänzen, wiederholtes nächtelanges oder sogar mehrtägiges oder wochenlanges Ausreißen aus dem Elternhaus) und die erst dann getroffen wurde, nachdem vielfältige mildere Erziehungsmaßnahmen nichts gefruchtet hatten. Die vom OLG Naumburg - nicht tragend - aufgestellte Regelvermutung, die Einweisung in ein Spezialheim dürfte in aller Regel unverhältnismäßig gewesen sein, wenn der Eingewiesene nicht zuvor erhebliche Straftaten begangen oder sich gemeingefährlich verhalten habe, teilt der Senat nicht. Eine solche gibt es bisher mit überzeugenden Gründen nur für den Jugendwerkhof Torgau. Für die Dauer ihres dortigen Aufenthaltes ist die Betroffene deshalb auch schon rehabilitiert worden.
- 10
4. Die Anhörungsrüge konnte nach dem Vorgesagten auch bei einer Auslegung als Gegenvorstellung gegen den Senatsbeschluss vom 15.01.2016 keinen Erfolg haben.
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Soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung entsprechend.
(1) Hat das Beschwerdegericht einer Beschwerde ohne Anhörung des Gegners des Beschwerdeführers stattgegeben und kann seine Entscheidung nicht angefochten werden, so hat es diesen, sofern der ihm dadurch entstandene Nachteil noch besteht, von Amts wegen oder auf Antrag nachträglich zu hören und auf einen Antrag zu entscheiden. Das Beschwerdegericht kann seine Entscheidung auch ohne Antrag ändern.
(2) Für das Verfahren gelten die §§ 307, 308 Abs. 2 und § 309 Abs. 2 entsprechend.
Soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung entsprechend.
Die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen sowie die, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, sind mit Gründen zu versehen.
(1) Ein Antrag soll bevorzugt bearbeitet werden, wenn dies unter den Gesichtspunkten der sozialen Dringlichkeit oder des Lebensalters des Antragstellers geboten erscheint.
(2) Vor der Entscheidung gibt das Gericht der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme. Hat die Staatsanwaltschaft den Antrag gestellt, ist der nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Antragsberechtigte zu hören.
(3) Das Gericht entscheidet in der Regel ohne mündliche Erörterung. Es kann eine mündliche Erörterung anordnen, wenn es dies zur Aufklärung des Sachverhalts oder aus anderen Gründen für erforderlich hält.
(4) Das Gericht kann das persönliche Erscheinen des Antragstellers anordnen. Leistet der Antragsteller dieser Anordnung keine Folge, kann das Gericht das Ruhen des Verfahrens anordnen. Der Antragsteller kann binnen sechs Monaten die Fortsetzung des Verfahrens beantragen.
(5) Ist zu erwarten, dass die Entscheidung über den Antrag unmittelbare Wirkung auf die Rechte eines Dritten haben wird, so ist auch dieser an dem Verfahren zu beteiligen. Absatz 1 und Absatz 3 Satz 1 gelten insoweit entsprechend.
Soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung entsprechend.
(1) Der Antrag nach § 1 kann
- 1.
von dem durch die Entscheidung unmittelbar in seinen Rechten Betroffenen oder seinem gesetzlichen Vertreter, - 2.
nach dem Tode des Betroffenen von seinem Ehegatten, seinen Verwandten in gerader Linie, seinen Geschwistern oder von Personen, die ein berechtigtes Interesse an der Rehabilitierung des von der rechtsstaatswidrigen Entscheidung Betroffenen haben, oder - 3.
von der Staatsanwaltschaft, jedoch nicht, soweit der unmittelbar in seinen Rechten Betroffene widersprochen hat,
(2) Der Antrag kann bei jedem Gericht schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Der Antrag ist zu begründen.
(3) Der Antrag kann auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden.
(4) Die in Absatz 1 Nr. 1 und 2 genannten Verfahrensbeteiligten können sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Zu Bevollmächtigten können die im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Rechtsanwälte sowie Rechtslehrer an deutschen Hochschulen gewählt werden. Andere Personen können mit Zustimmung des Gerichts zu Bevollmächtigten gewählt werden. Für die Prozesskostenhilfe gelten dieselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.
(5) Verstirbt der Betroffene nach Antragstellung, können die nach Absatz 1 Nr. 2 oder 3 Antragsberechtigten binnen sechs Monaten die Fortsetzung des Verfahrens beantragen.
(1) Das Gericht ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei bestimmt es Art und Umfang der Ermittlungen, insbesondere etwaiger Beweiserhebungen, nach pflichtgemäßem Ermessen.
(2) Das Gericht kann dem Antragsteller aufgeben, für die Entscheidung benötigte Unterlagen und andere Beweismittel vorzulegen oder zu bezeichnen und die den Antrag begründenden Tatsachen glaubhaft zu machen. § 11 Abs. 4 Satz 2 und 3 dieses Gesetzes sowie § 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(3) Es wird vermutet, dass die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, wenn eine Einweisung in ein Spezialheim oder in eine vergleichbare Einrichtung, in der eine zwangsweise Umerziehung erfolgte, stattfand. Darüber hinaus wird vermutet, dass die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, soweit gleichzeitig mit der Unterbringung freiheitsentziehende Maßnahmen gegen die Eltern oder Elternteile aufgrund von Entscheidungen, die im Wege der Rehabilitierung für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben worden sind, vollstreckt wurden. Eine gleichzeitige Vollstreckung freiheitsentziehender Maßnahmen liegt vor, wenn zwischen der Unterbringung in einem Heim und der Vollstreckung der freiheitsentziehenden Maßnahmen ein Sach- und Zeitzusammenhang besteht.
(4) Dem Antragsteller sind auf sein Verlangen Abschriften der angegriffenen Entscheidung und der Anklageschrift zu erteilen, soweit diese zugänglich sind.
(5) Das Gericht kann die Durchführung einzelner Ermittlungen der Staatsanwaltschaft übertragen.
(1) Das Gericht entscheidet durch Beschluss. Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren, wenn nicht die Voraussetzungen einer Verkündung nach § 35 Abs. 1 der Strafprozessordnung vorliegen.
(2) In den Beschluss sind die Namen der Richter, der Verfahrensbeteiligten und ihrer Bevollmächtigten aufzunehmen. Der Beschluss enthält weiterhin
- 1.
die Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung, - 2.
die Feststellung, hinsichtlich welchen Vorwurfs und welcher Rechtsfolge die angegriffene Entscheidung aufgehoben wird, - 3.
die Dauer der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung, - 4.
den Betrag einer nach § 6 zu erstattenden Geldstrafe sowie die Feststellung, ob sonst ein Anspruch nach § 6 dem Grunde nach besteht.
(3) Der Beschluss ist zu begründen, soweit er mit der Beschwerde anfechtbar ist.
(4) Der Beschluss ist mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und den Verfahrensbeteiligten zuzustellen.
(1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.
(2) Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend.
(1) Gegen den Beschluss kann innerhalb eines Monats nach seiner Zustellung Beschwerde eingelegt werden.
(2) Der Beschluss unterliegt nicht der Beschwerde, soweit
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einem Rehabilitierungsantrag stattgegeben worden ist und kein Verfahrensbeteiligter dem Antrag widersprochen hat, - 2.
das Gericht einstimmig und auf Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, - a)
entschieden hat, dass die Rechtsfolgen der angegriffenen Entscheidung nicht in grobem Missverhältnis zu der zu Grunde liegenden Tat stehen, oder - b)
einen Antrag nach § 1 Abs. 6 als unzulässig verworfen hat.
(3) Über die Beschwerde entscheidet das Bezirksgericht oder das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat, in Berlin das Kammergericht. Das Beschwerdegericht entscheidet durch besondere Beschwerdesenate für Rehabilitierungssachen. § 9 gilt entsprechend.
(4) Will der Beschwerdesenat bei der Entscheidung einer Rechtsfrage von einer Entscheidung eines anderen Bezirksgerichts oder eines Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofes abweichen, hat er die Sache dem Bundesgerichtshof in entsprechender Anwendung von § 121 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes vorzulegen.