Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 07. Sept. 2016 - 1 Ws (RB) 39/16

bei uns veröffentlicht am07.09.2016

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Stendal vom 13. Juli 2016 (509 StVK 494/15) wird als unzulässig verworfen, weil die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht geboten ist (§§ 166 Nr. 3 JVollzG LSA, 116 Abs. 1 StVollzG).

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie seine notwendigen Auslagen hat der Beschwerdeführer zu tragen (§§ 166 Nr. 3 JVollzG LSA, 121 Abs. 1 und 4 StVollzG, 473 Abs. 1 StPO).

3. Der Gegenstandswert wird auf 1.000,00 € festgesetzt (§§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG).

Gründe

1

Ergänzend bemerkt der Senat:

2

Die Vollzugsplanfortschreibung (früher § 7 Abs. 3 S. 1 StVollzG, jetzt § 14 Abs. 3 JVollzG LSA) kann insgesamt mit der Behauptung angefochten werden, das Aufstellungsverfahren sei fehlerhaft durchgeführt worden bzw. die Fortschreibung genüge nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen; ferner kann die Vollzugsplanfortschreibung angefochten werden, wenn und soweit sie konkrete Einzelfallregelungen enthält (vgl. Hanseatisches OLG, Beschl. v. 13. Juni 2007, Rn. 42, 44, m.w.N., zitiert nach juris).

3

Bei der Prüfung der Flucht- und Missbrauchsgefahr bei der Unterbringung im offenen Vollzug oder bei der Gewährung von Vollzugslockerungen (früher §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 2 StVollzG, jetzt § 45 Abs. 3 JVollzG LSA) steht der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum zu, den die Strafvollstreckungskammer nur dahingehend zu überprüfen hat, ob die Behörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat. Dabei muss eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr positiv festgestellt werden; es reicht nicht aus, dass eine derartige Gefahr nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Zu den dabei zu ermittelnden und berücksichtigenden Umständen gehören vor allem die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, etwaige frühere Straftaten, die Umstände und das Gewicht der Tat sowie die Tatmotivation, sein Verhalten und seine Persönlichkeitsentwicklung im Vollzug. Fehlende Mitarbeit an der Behandlung reicht für sich allein zur positiven Feststellung der Missbrauchsgefahr ebenso wenig aus wie das Fehlen einer günstigen Sozialprognose (Hanseatisches OLG, Beschl. v. 13.06.2007, 3 Vollz (Ws) 26-28/07, Rn. 69, zitiert nach juris). Allgemeine Strafzwecke, wie Schuldschwere, Sühne und Vergeltung sind allein für die Gestaltung des Erkenntnisverfahrens von Bedeutung, nicht aber für die Gestaltung des nachfolgenden Strafvollzuges (KG Berlin, Beschl. v. 16. Februar 2015, 2 Ws 11/15, Rn. 366, zitiert nach juris).

4

Nach neuem Recht zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass bestimmte Strafgefangene für den offenen Vollzug bzw. für Lockerungen von vornherein ungeeignet sind, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor. Dies gilt insbesondere für Gefangene, gegen die wie hier eine Strafe wegen einer schwerwiegenden Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit oder das Leben vollzogen wird und die zudem erheblich suchtgefährdet sind (§ 45 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 6, § 22 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5 JVollzGB LSA).

5

Diesen Vorgaben wird die vorliegende Vollzugsplanfortschreibung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung gerecht. Der vom Antragsteller hiergegen einzig vorgebrachte Einwand, dass die Vollzugsplanfortschreibung keine Ausweitung der Lockerungen vorsehe, obwohl diese vom Sachverständigen ausdrücklich befürwortet worden seien, ist nicht berechtigt. Zum einen hat der Gutachter keinesfalls eine Ausweitung der Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt ausdrücklich befürwortet, sondern lediglich davon abgeraten, die Lockerungen auszusetzen oder zu reduzieren, und in diesem Zusammenhang festgestellt, dass mit einer Ausweitung für den Verurteilten eine Perspektive entwickelt werden könnte. Zum anderen befreit das Vorliegen eines Gutachtens nicht von der Verpflichtung zu einer selbständigen und eigenverantwortlichen Prüfung der Gefährlichkeit des Verurteilten, sodass ein Abweichen von den Empfehlungen des Gutachters möglich ist (vgl. OLG Köln, StV 2000, 155 f; OLG Zweibrücken, NStZ 2000, 446 , 447; NStZ 2001, 112; KG, StraFo 2014, 306; Jung, JuS 1982, 222, 223; KK-Appl, StPO, 7. Aufl., § 454, Rn. 12 a; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 454, Rn. 38; LK-Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 57 a, Rn. 50). Die JVA kann daher hinsichtlich des Umfangs der gewährten Lockerungen im Rahmen ihres Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraums von den Empfehlungen des Gutachters abweichen, wenn sie dies - wie hier auf S. 30 f des Vollzugsplans geschehen - nachvollziehbar begründet.

6

Im Übrigen betrifft die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer in ihrer konkreten Gestaltung einen einmaligen Einzelfall, ist verallgemeinernden Grundsätzen nicht zugänglich und hat ihren Schwerpunkt im Tatsächlichen, sodass sie nicht gem. § 116 Abs. 1 StVollzG rechtsbeschwerdefähig ist (vgl. Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl., § 116, Rn. 2).

7

gez. Dr. Otparlik               gez. Joost               gez. Scholz


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Referenzen - Gesetze

Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 07. Sept. 2016 - 1 Ws (RB) 39/16 zitiert 9 §§.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Strafvollzugsgesetz - StVollzG | § 116 Rechtsbeschwerde


(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. (2) Die Re

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 60 Gerichtliche Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, auch in Verbindung mit § 92 des Jugendgerichtsgesetzes


Für die Bestimmung des Werts in gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, auch in Verbindung mit § 92 des Jugendgerichtsgesetzes, ist § 52 Absatz 1 bis 3 entsprechend anzuwenden; im Verfahren über den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs ei

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 65 Wertfestsetzung in gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, auch in Verbindung mit § 92 des Jugendgerichtsgesetzes


In gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, auch in Verbindung mit § 92 des Jugendgerichtsgesetzes, ist der Wert von Amts wegen festzusetzen. § 63 Absatz 3 gilt entsprechend.

Strafvollzugsgesetz - StVollzG | § 7 Vollzugsplan


(1) Auf Grund der Behandlungsuntersuchung (§ 6) wird ein Vollzugsplan erstellt. (2) Der Vollzugsplan enthält Angaben mindestens über folgende Behandlungsmaßnahmen: 1. die Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug,2. die Verlegung in ein

Strafvollzugsgesetz - StVollzG | § 10 Offener und geschlossener Vollzug


(1) Ein Gefangener soll mit seiner Zustimmung in einer Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, daß er sich dem Vollzu

Referenzen

In gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, auch in Verbindung mit § 92 des Jugendgerichtsgesetzes, ist der Wert von Amts wegen festzusetzen. § 63 Absatz 3 gilt entsprechend.

Für die Bestimmung des Werts in gerichtlichen Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz, auch in Verbindung mit § 92 des Jugendgerichtsgesetzes, ist § 52 Absatz 1 bis 3 entsprechend anzuwenden; im Verfahren über den Antrag auf Aussetzung des Vollzugs einer Maßnahme der Vollzugsbehörde oder auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gilt § 52 Absatz 1 und 2 entsprechend.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Auf Grund der Behandlungsuntersuchung (§ 6) wird ein Vollzugsplan erstellt.

(2) Der Vollzugsplan enthält Angaben mindestens über folgende Behandlungsmaßnahmen:

1.
die Unterbringung im geschlossenen oder offenen Vollzug,
2.
die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt,
3.
die Zuweisung zu Wohngruppen und Behandlungsgruppen,
4.
den Arbeitseinsatz sowie Maßnahmen der beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung,
5.
die Teilnahme an Veranstaltungen der Weiterbildung,
6.
besondere Hilfs- und Behandlungsmaßnahmen,
7.
Lockerungen des Vollzuges und
8.
notwendige Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung.

(3) Der Vollzugsplan ist mit der Entwicklung des Gefangenen und weiteren Ergebnissen der Persönlichkeitserforschung in Einklang zu halten. Hierfür sind im Vollzugsplan angemessene Fristen vorzusehen.

(4) Bei Gefangenen, die wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 180 oder 182 des Strafgesetzbuches zu Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden sind, ist über eine Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt jeweils nach Ablauf von sechs Monaten neu zu entscheiden.

(1) Ein Gefangener soll mit seiner Zustimmung in einer Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, daß er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde.

(2) Im übrigen sind die Gefangenen im geschlossenen Vollzug unterzubringen. Ein Gefangener kann auch dann im geschlossenen Vollzug untergebracht oder dorthin zurückverlegt werden, wenn dies zu seiner Behandlung notwendig ist.

(1) Gegen die gerichtliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.

(2) Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(3) Die Rechtsbeschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. § 114 Abs. 2 gilt entsprechend.

(4) Für die Rechtsbeschwerde gelten die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Beschwerde entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.