Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss, 11. März 2015 - 1 Ws 32/15

bei uns veröffentlicht am11.03.2015

Tenor

Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 26. Januar 2015 aufgehoben.

Die Sache wird an die zuständige Kleine Strafkammer des Landgerichts Berlin abgegeben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

1

Mit Urteil vom 2. April 2013 hat das Amtsgericht Tiergarten den Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten Wahl und wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zum Nachteil der Geschädigten Becker zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt.

2

Die gegen das Urteil des Amtsgerichts gerichtete Berufung des Beschwerdeführers hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 15. Juli 2013 verworfen. Auf die Revision des Beschwerdeführers hat das Kammergericht das Urteil des Landgerichts Berlin mit Beschluss vom 2. Dezember 2013 unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten Wahl verurteilt worden ist, sowie im Gesamtstrafenausspruch.

3

In der neuen Berufungshauptverhandlung vor der 80. Kleine Strafkammer des Landgerichts Berlin erklärte der Beschwerdeführer am 17. Januar 2014 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Rücknahme der Berufung nachdem der Vollzug des Haftbefehls im Anschluss an inhaltlich nicht weiter protokollierte Erörterungen ausgesetzt worden war.

4

Der Beschwerdeführer verbüßt die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe seit dem 16. April 2014, seit November 2014 in der Justizvollzugsanstalt Billwerder in Hamburg.

5

Am 10. Oktober 2014 hat der Beschwerdeführer „Beschwerde gegen die Wiedereinsetzung des Haftbefehls“ eingelegt und insoweit ausgeführt, es sei nach Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht Berlin nicht zu einer erneuten Verhandlung gekommen, er, der Beschwerdeführer, bitte um Mitteilung, warum das Verfahren nicht erneut - unter Einvernahme von Zeugen - verhandelt werde.

6

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer die „Haftbeschwerde“ als Einwendung gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung gemäß § 458 StPO des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. April 2013 ausgelegt und diese Einwendung zurückgewiesen.

7

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten, der geltend macht, die Berufung nicht wirksam zurückgenommen, sondern nur einer Haftverschonung zugestimmt zu haben. Die Dolmetscherin habe er kaum verstanden. Im Übrigen sei die Zustimmung nur bedingt erklärt und durch eine illegitime Gegenleistung erwirkt worden, über die der Beschwerdeführer „getäuscht worden sein dürfte“.

II.

8

Die Beschwerde ist begründet. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist aufzuheben, weil sie nicht dazu berufen war, über den Antrag des Beschwerdeführers zu entscheiden.

9

Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag zu Unrecht als Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung nach § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO ausgelegt (§ 300 StPO). Zwar können mit dem Rechtsbehelf des § 458 StPO durch den Verurteilten Vollstreckungshindernisse geltend gemacht werden, zu denen grundsätzlich auch die fehlende Rechtskraft der Vollstreckungsgrundlage gehört (vgl. HansOLG Hamburg, Beschl. vom 30. Juni 2009 - 2 Ws 118/09, VRS 117 (2009), 201 [zu Zweifeln an der wirksamen Zustellung eines Gesamtstrafenbeschlusses]; Graalmann-Scheerer in LR 26. Aufl., § 458 StPO Rn. 6; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt StPO 57. Aufl. § 458 StPO Rn. 10). Soweit der Verurteilte aber die Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme bestreitet, erweist sich der - zunächst an die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde gerichtete, sodann vom Gericht erster Instanz bzw. nach § 462a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 462 Abs. 1 StPO von der Strafvollstreckungskammer zu entscheidende - Rechtsbehelf des § 458 StPO als unzulässig, weil der Streit über die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme ausschließlich durch das Rechtsmittelgericht zu klären ist.

10

Bei Zweifeln an der Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme hat das Rechtsmittelgericht, sofern es bereits mit der Sache befasst war, darüber eine feststellende Klärung durch förmliche Entscheidung herbeizuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2000 - 3 StR 257/00; Beschluss vom 5. Februar 2014 - 1 StR 527/13; BeckOK StPO/Cirener § 302 Rn. 13 m.w.N.). Zuständiges Gericht ist bei Zweifeln an der vor dem Berufungsgericht erklärten Rechtsmittelrücknahme die Kleine Strafkammer. Gegen ihre Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft.

11

Die Sache war daher an die 80. Kleine Strafkammer des Landgerichts Berlin abzugeben. Diese wird zu entscheiden haben, ob die Berufungsrücknahme - nach Zurückverweisung nur eines Teils der angefochtenen Entscheidung der 65. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Berlin durch das Kammergericht (vgl. dazu Jesse in LR 26. Aufl., § 302 Rn. 14 m.w.N.) - wirksam war.

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Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss, 11. März 2015 - 1 Ws 32/15 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 462 Verfahren bei gerichtlichen Entscheidungen; sofortige Beschwerde


(1) Die nach § 450a Abs. 3 Satz 1 und den §§ 458 bis 461 notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Dies gilt auch für die Wiederverleihung verlorener Fähigkeiten und Rechte (§ 45b d

Strafprozeßordnung - StPO | § 300 Falschbezeichnung eines zulässigen Rechtsmittels


Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich.

Strafprozeßordnung - StPO | § 458 Gerichtliche Entscheidungen bei Strafvollstreckung


(1) Wenn über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel entstehen oder wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden, so ist die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.

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Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2014 - 1 StR 527/13

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 527/13 vom 5. Februar 2014 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Februar 2014 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urtei
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Tenor Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 18. August 2016 wird auf seine Kosten verworfen. Gründe I. 1 Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgericht

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(1) Wenn über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel entstehen oder wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden, so ist die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.

(2) Das Gericht entscheidet ferner, wenn in den Fällen des § 454b Absatz 1 bis 3 sowie der §§ 455, 456 und 456c Abs. 2 Einwendungen gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde erhoben werden oder wenn die Vollstreckungsbehörde anordnet, daß an einem Ausgelieferten, Abgeschobenen, Zurückgeschobenen oder Zurückgewiesenen die Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung nachgeholt werden soll, und Einwendungen gegen diese Anordnung erhoben werden.

(3) Der Fortgang der Vollstreckung wird hierdurch nicht gehemmt; das Gericht kann jedoch einen Aufschub oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen. In den Fällen des § 456c Abs. 2 kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen.

Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich.

(1) Wenn über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel entstehen oder wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden, so ist die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.

(2) Das Gericht entscheidet ferner, wenn in den Fällen des § 454b Absatz 1 bis 3 sowie der §§ 455, 456 und 456c Abs. 2 Einwendungen gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde erhoben werden oder wenn die Vollstreckungsbehörde anordnet, daß an einem Ausgelieferten, Abgeschobenen, Zurückgeschobenen oder Zurückgewiesenen die Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung nachgeholt werden soll, und Einwendungen gegen diese Anordnung erhoben werden.

(3) Der Fortgang der Vollstreckung wird hierdurch nicht gehemmt; das Gericht kann jedoch einen Aufschub oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen. In den Fällen des § 456c Abs. 2 kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen.

(1) Die nach § 450a Abs. 3 Satz 1 und den §§ 458 bis 461 notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Dies gilt auch für die Wiederverleihung verlorener Fähigkeiten und Rechte (§ 45b des Strafgesetzbuches), die Aufhebung des Vorbehalts der Einziehung und die nachträgliche Anordnung der Einziehung eines Gegenstandes (§ 74f Absatz 1 Satz 4 des Strafgesetzbuches), die nachträgliche Anordnung der Einziehung des Wertersatzes (§ 76 des Strafgesetzbuches) sowie für die Verlängerung der Verjährungsfrist (§ 79b des Strafgesetzbuches).

(2) Vor der Entscheidung sind die Staatsanwaltschaft und der Verurteilte zu hören. Das Gericht kann von der Anhörung des Verurteilten in den Fällen einer Entscheidung nach § 79b des Strafgesetzbuches absehen, wenn infolge bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß die Anhörung nicht ausführbar ist.

(3) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Unterbrechung der Vollstreckung anordnet, hat aufschiebende Wirkung.

(1) Wenn über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel entstehen oder wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden, so ist die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen.

(2) Das Gericht entscheidet ferner, wenn in den Fällen des § 454b Absatz 1 bis 3 sowie der §§ 455, 456 und 456c Abs. 2 Einwendungen gegen die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde erhoben werden oder wenn die Vollstreckungsbehörde anordnet, daß an einem Ausgelieferten, Abgeschobenen, Zurückgeschobenen oder Zurückgewiesenen die Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung nachgeholt werden soll, und Einwendungen gegen diese Anordnung erhoben werden.

(3) Der Fortgang der Vollstreckung wird hierdurch nicht gehemmt; das Gericht kann jedoch einen Aufschub oder eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen. In den Fällen des § 456c Abs. 2 kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 527/13
vom
5. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Februar 2014 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München II vom 7. Mai 2013 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 30 Fällen , jeweils in Tateinheit mit einem weiteren Fall der Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von „zwölf Monaten“ verurteilt.
2
Seine Revision bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Näher auszuführen ist Folgendes:
4
a) Die Revision gegen das am 24. Juli 2013 zugestellte Urteil wurde mit der im Schriftsatz vom 20. August 2013 angebrachten (nicht näher ausgeführten ) Sachrüge form- und fristgerecht begründet.
5
b) Mit Schriftsatz vom 30. September 2013 wurde „die mit dem Revisionsantrag am 20. August 2013 allgemein erhobene Sachrüge(unter anderem) wie folgt“ begründet:
6
Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung habe der Verteidiger für den Angeklagten eine von diesem dann bestätigte Erklärung zur Sache abgegeben. Auch ergebe das Hauptverhandlungsprotokoll, dass sich der Angeklagte zu einer näher bezeichneten, zuvor verlesenen SMS geäußert habe. Da es demgegenüber im Urteil heiße, der Angeklagte habe keine Angaben zur Sache gemacht, habe die Strafkammer entgegen § 261 StPO nicht das vollständige Ergebnis der Hauptverhandlung berücksichtigt.
7
c) Bei diesem Vorbringen handelt es sich um eine Verfahrensrüge (BGH, Beschluss vom 9. September 1982 - 4 StR 433/82, StV 1983, 8; Beschluss vom 13. September 1991 - 3 StR 338/91, StV 1992, 1, 2; vgl. auch Sanderin Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 176 mwN in Fn. 1152). Das aufgezeigte Vorbringen ist als Erläuterung der Sachrüge, nicht als Verfahrensrüge gekennzeichnet. Dies könnte unschädlich sein (vgl. § 300 StPO), wenn das Vorbringen der Sache nach den Anforderungen an eine ordnungsgemäß angebrachte Verfahrensrüge entspräche.
8
d) Dies ist jedoch nicht der Fall. Verfahrensrügen können nur innerhalb der Revisionsbegründungsfrist angebracht werden, hier binnen eines Monats nach Urteilszustellung (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO). Da das Urteil am 24. Juli 2013 zugestellt worden war (vgl. oben 1.a.), war diese Frist bei Eingang des Schriftsatzes vom 30. September 2013 abgelaufen. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist können zwar noch ergänzende Rechtsausführungen zu rechtzeitig geltend gemachten Rügen angebracht werden, aber keine neuen Rügen.
9
e) Ist aber eine Verfahrensrüge nicht rechtzeitig angebracht, so ist das Vorbringen ohne inhaltliche Prüfung zurückzuweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2004 - 1 StR 141/04; Beschluss vom 4. August 1998 - 1 StR 79/98, StV 1999, 407 mwN).
10
2. Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Wahl Rothfuß Jäger
Radtke Mosbacher