Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 06. Okt. 2015 - 15 SA 4/15
Gericht
Tenor
Das Amtsgericht Wuppertal ist verpflichtet, die Betreuungssache vom Amtsgericht Hattingen mit dem jetzigen Verfahrensstand fortzuführen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der in X wohnhafte Betroffene wurde nach einem Hirninfarkt seit dem 26.05.2015 in einer Rehabilitationsklinik in I behandelt. Auf deren Anregung hat das Amtsgericht Hattingen durch Beschluss vom 30.07.2015 im Wege der einstweiligen Anordnung den Beteiligten zu 2) zum vorläufigen Betreuer des Betroffenen mit umfassendem Aufgabenkreis bestellt. Der Betroffene befindet sich seit dem 12.08.2015 in der oben genannten Einrichtung in X.
4Durch Beschluss vom 30.07.2015 hat das Amtsgericht Hattingen die Sache nach Erledigung der Eilmaßnahme zur Fortführung des Verfahrens an das allgemein zuständige Amtsgericht Wuppertal abgegeben. Das Amtsgericht Wuppertal hat sich mit richterlichen Verfügungen vom 10.08., 31.08 und 14.09.2015 geweigert, die Betreuungssache zu übernehmen, weil noch über die Anregung des Beteiligten zu 2) vom 03.08.2015 zu entscheiden sei, für die Dauer seiner Urlaubsabwesenheit beginnend mit dem 10.08.2015 einen Ersatzbetreuer zu bestellen. Das Amtsgericht Hattingen hat daraufhin mit richterlicher Verfügung vom 21.09.2015 die Sache dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
5II.
6Der Senat ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 FamFG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen. Beide beteiligten Gerichte haben bezogen auf den gegenwärtigen Verfahrensstand ihre Zuständigkeit zur Fortführung des Verfahrens verneint. Die in § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG vorausgesetzte rechtskräftige Verneinung der jeweils eigenen Zuständigkeit liegt in dem Abgabebeschluss des Amtsgerichts Hattingen einerseits und der wiederholten Weigerung zur Übernahme des Verfahrens durch das Amtsgericht Wuppertal andererseits.
7In der Sache war das Amtsgericht Wuppertal als zuständig für die Fortführung des Betreuungsverfahrens zu bestimmen. Die Verteilung der Zuständigkeit zwischen den beiden beteiligten Gerichten ist in dem hier vorliegenden Fall aus § 272 Abs. 2 FamFG abzuleiten. Nach S. 1 dieser Vorschrift ist für einstweilige Anordnung nach § 300 (Bestellung eines vorläufigen Betreuers) „auch“ das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge bekannt wird. Die Zuständigkeit des Gerichts für Eilmaßnahmen tritt also neben die bestehen bleibende allgemeine Zuständigkeit des Gerichts des gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen (hier in X). Im Rahmen dieser besonderen örtlichen Zuständigkeit ist das Amtsgericht Hattingen hier tätig geworden, indem es den Beteiligten zu 2) durch Beschluss vom 30.07.2015 zum vorläufigen Betreuer des Betroffenen bestellt hat.
8Für den Fortgang des Verfahrens nach Erlass der Eilmaßnahme sieht § 272 Abs. 2 S. 2 FamFG vor, dass dem nach den allgemeinen Vorschriften (§ 272 Abs. 1 FamFG) zuständigen Gericht die angeordneten Maßnahmen mitzuteilen sind. Die Zuständigkeit des Eilgerichts beschränkt sich auf die vorläufige betreuungsrechtliche Maßnahme, welche durch die Dringlichkeit des Falles geboten ist. Es findet hier also entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Wuppertal nicht etwa eine Abgabe des Verfahrens nach den §§ 273, 4 FamFG statt, mit deren Vollzug die Zuständigkeit des übernehmenden Gerichts erst neu begründet würde. Vielmehr hat das Gericht des gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen nach der erfolgten Mitteilung der getroffenen Eilmaßnahme das Verfahren ohne Weiteres fortzuführen, weil es ohnehin bereits zuständig ist (vgl. BayObLG FGPrax 1996, 145; OLG Frankfurt FamRZ 2012, 1240). Auf die von dem Amtsgericht Wuppertal intensiv angestellten Erwägungen zur sog. Abgabereife kommt es danach hier nicht an. Das Eilgericht muss nur solche weiteren Verfahrenshandlungen vornehmen, die als Bestandteil zu der getroffenen Eilmaßnahme gehören, insbesondere eine etwa nach § 333 S. 2 FamFG zunächst unterbliebene Anhörung des Betroffenen nachholen (OLG Frankfurt FGPrax 2009, 161). Hier hat das Amtsgericht Hattingen indessen das Verfahren auf Bestellung eines vorläufigen Betreuers einschließlich der persönlichen Anhörung des Betroffenen verfahrensrechtlich völlig einwandfrei durchgeführt. Die Bestellung eines Ersatzbetreuers, die nach der abgeschlossenen Bestellung des vorläufigen Betreuers angeregt worden ist, ist demgegenüber eine Folgemaßnahme, die zweifelsfrei nicht zu der Eilmaßnahme gehört. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als der Betroffene sich zwischenzeitlich wieder in X aufhält, der vorläufige Betreuer seine Berufstätigkeit ebenfalls in X ausübt und demgemäß über die Bestellung und Auswahl eines Ersatzbetreuers unter Berücksichtigung örtlichen Verhältnisse zu entscheiden ist.
9Auch auf der Grundlage des von dem Amtsgericht Wuppertal eingenommenen Rechtsstandpunktes vermag der Senat seine Weigerung, das Verfahren zu übernehmen, nicht zu verstehen. Denn wenn die Gewährleistung einer Urlaubsvertretung für den bestellten vorläufigen Betreuer beginnend mit dem 10.08.2015 der entscheidende Gesichtspunkt für die Erforderlichkeit der Bestellung eines Ersatzbetreuers war, so bestand doch kaum Anlass für die Annahme, dass ein solches Bedürfnis im weiteren Zeitablauf nach Beendigung der Ferienzeit, insbesondere zum Zeitpunkt der letzten Erklärung der Ablehnung der Übernahme des Verfahrens am 14.09.2015, noch fortbestand. Dem Wohl der Betreuten wird mehr damit gedient, wenn ein Mindestmaß von Kooperationsbereitschaft im Verhältnis geographisch benachbarter Amtsgerichte gepflegt wird.
moreResultsText
Annotations
(1) Das zuständige Gericht wird durch das nächsthöhere gemeinsame Gericht bestimmt:
- 1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung der Gerichtsbarkeit rechtlich oder tatsächlich verhindert ist; - 2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke oder aus sonstigen tatsächlichen Gründen ungewiss ist, welches Gericht für das Verfahren zuständig ist; - 3.
wenn verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben; - 4.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für das Verfahren zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben; - 5.
wenn eine Abgabe aus wichtigem Grund (§ 4) erfolgen soll, die Gerichte sich jedoch nicht einigen können.
(2) Ist das nächsthöhere gemeinsame Gericht der Bundesgerichtshof, wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.
(3) Der Beschluss, der das zuständige Gericht bestimmt, ist nicht anfechtbar.
(1) Ausschließlich zuständig ist in dieser Rangfolge:
- 1.
das Gericht, bei dem die Betreuung anhängig ist, wenn bereits ein Betreuer bestellt ist; - 2.
das Gericht, in dessen Bezirk der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; - 3.
das Gericht, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge hervortritt; - 4.
das Amtsgericht Schöneberg in Berlin, wenn der Betroffene Deutscher ist.
(2) Für einstweilige Anordnungen nach § 300 oder vorläufige Maßregeln ist auch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge bekannt wird. Es soll die angeordneten Maßregeln dem nach Absatz 1 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 zuständigen Gericht mitteilen.
Als wichtiger Grund für eine Abgabe im Sinne des § 4 Satz 1 ist es in der Regel anzusehen, wenn sich der gewöhnliche Aufenthalt des Betroffenen geändert hat und die Aufgaben des Betreuers im Wesentlichen am neuen Aufenthaltsort des Betroffenen zu erfüllen sind. Der Änderung des gewöhnlichen Aufenthalts steht ein tatsächlicher Aufenthalt von mehr als einem Jahr an einem anderen Ort gleich.
Das Gericht kann die Sache aus wichtigem Grund an ein anderes Gericht abgeben, wenn sich dieses zur Übernahme der Sache bereit erklärt hat. Vor der Abgabe sollen die Beteiligten angehört werden.
(1) Die einstweilige Anordnung darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten. Reicht dieser Zeitraum nicht aus, kann sie nach Anhörung eines Sachverständigen durch eine weitere einstweilige Anordnung verlängert werden. Die mehrfache Verlängerung ist unter den Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 zulässig. Sie darf die Gesamtdauer von drei Monaten nicht überschreiten. Eine Unterbringung zur Vorbereitung eines Gutachtens (§ 322) ist in diese Gesamtdauer einzubeziehen.
(2) Die einstweilige Anordnung darf bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung die Dauer von zwei Wochen nicht überschreiten. Bei mehrfacher Verlängerung darf die Gesamtdauer sechs Wochen nicht überschreiten.