Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 12. Dez. 2014 - 10 W 102/14
Tenor
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts Herne vom 24.04.2014 teilweise abgeändert.
Ergänzend zu der bislang gewährten Einsicht in die letztwilligen Verfügungen des Erblassers werden dem Beteiligten zu 1) die aus der Anlage zu diesem Beschluss ersichtlichen Ablichtungen übersandt.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Am 09.03.1991 errichtete der Erblasser vor dem Notar I in K (UR-Nr. 138/1991) ein notarielles Testament, in welchem er eine Alleinerbin und den Beteiligten zu 3) als alleinigen Ersatzerben einsetzte sowie nähere Regelungen zu Vermächtnissen traf, hinsichtlich derer er auf eine Anlage zu dem Testament Bezug nahm; ferner ordnete er Testamentsvollstreckung mit der Aufgabe an, unter anderem die Vermächtnisse zu erfüllen. In der mit „Vermächtnisse“ überschriebenen Anlage wandte der Erblasser dem Beteiligten zu 1) zur Hälfte ein näher bezeichnetes Aktiendepot zu. Zudem setzte er unter acht weiteren Ziffern weitere Einzelvermächtnisse aus.
4Mit gesonderter handschriftlicher Verfügung vom 09.03.1991 traf der Erblasser Regelungen zur Vergütung des Testamentsvollstreckers. Diese ersetzte er mit einer weiteren handschriftlichen Anordnung vom 23.03.2001.
5In einer separaten handschriftlichen Verfügung vom 23.03.2001, überschrieben mit „Einzelvermächtnisse“ wandte der Erblasser dem Beteiligten zu 1) einen Betrag von 50.000 DM zu. Weitere Einzelvermächtnisse brachte er unter acht weiteren Ziffern aus. Abschließend verfügte er: „Diese Erklärung ersetzt diejenige vom 9.3.91 und die vom 8.3.97, versehen mit handschriftlichen Änderungen. Letztere befindet sich in meinen Unterlagen.“
6Mit – noch nicht eröffneter – Verfügung vom 28.01.2004, wiederum überschrieben mit „Einzelvermächtnisse“ traf der Erblasser weitere Bestimmungen, und ordnete an, diese Erklärung ersetze diejenigen vom 09.03.1991, 08.03.1997 und 23.03.2001.
7Das Amtsgericht hat die vorgenannten letztwilligen Verfügungen, mit Ausnahme der noch nicht im Original vorliegenden vom 28.01.2004, eröffnet und den Vermächtnisnehmern auszugsweise Fotokopien der sie betreffenden Verfügungen übersandt. Der Beteiligte zu 1) erhielt eine Ablichtung des notariellen Testaments vom 09.03.1991, jedoch ohne die Schlussbemerkungen und die Unterschriften. Weiterhin erhielt er aus der mit „Vermächtnisse“ überschriebenen Verfügung vom 09.03.1991 eine Ablichtung der das ihm zugedachte Aktiendepot betreffenden Passage. Ob eine Verfügung, ihm auch die ihn betreffende Passage aus der letztwilligen Verfügung vom 23.03.2001 zu übersenden, ausgeführt wurde, ist nicht ersichtlich.
8Den Antrag des Beteiligten zu 1) auf vollständige Akteneinsicht hat das Amtsgericht durch Beschluss mit der Begründung zurückgewiesen, mit dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse der anderen Beteiligten und auch der schutzwürdigen Vermögenssphäre des Erblassers sei eine weitergehende Übersendung von Ablichtungen oder eine vollständige Akteneinsicht nicht vereinbar. Das rechtliche Interesse des Beteiligten zu 1) als Vermächtnisnehmer gehe nur so weit, die ihn betreffenden Verfügungen von Todes wegen zu erfahren.
9Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1). Dieser begründet sein rechtliches Interesse damit, dass er darauf angewiesen sei, zu erkennen, wie die unterschiedlichen Verfügungen von Todes wegen zueinander in Beziehung stünden, um den Umfang seiner Rechte überprüfen zu können.
10II.
11Die gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist auch im übrigen zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht im Sinne von §§ 63 Abs. 1; 64 FamFG eingelegt.
12In der Sache erweist sich die Beschwerde nur teilweise als begründet. Der rechtliche Ausgangspunkt der angefochtenen Entscheidung ist zutreffend. Gemäß § 357 Abs. 1 FamFG ist nur derjenige berechtigt, eine eröffnete Verfügung von Todes wegen einzusehen, der ein dahingehendes rechtliches Interesse glaubhaft macht. Daraus folgt, dass die Befugnis zur Einsichtnahme nur in dem Umfang und an den Teilen der eröffneten Verfügung besteht, an denen der Antragsteller auch ein rechtliches Interesse hat. Dies ergibt sich aus einer restriktiven Interpretation der in § 357 Abs. 1 FamFG getroffenen Regelung, welche nach dem Normzweck geboten ist. Dieser soll sowohl den berechtigten Belangen des jeweils Berechtigten, als auch dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse der anderen Beteiligten und auch dem des Erblassers unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Datenschutzes Rechnung tragen (vgl. Mayer in Münchner Kommentar zum FamFG, 2. Aufl., § 357 Rn. 9 m. w. N.).
13Soweit vereinzelt vertreten wird, den Beteiligten eines Verfahrens sei in alle eröffneten Teile der Verfügungen von Todes wegen uneingeschränkt Einsicht zu gestatten, da dem Nachlassgericht keine materielle Prüfung des Betroffenseins auferlegt werden solle (vgl. Schlögel in Hahne/Munzig, Beck‘scher online-Kommentar zum FamFG, § 357 Rn. 8), vermag sich der Senat dem nicht in vollem Umfang anzuschließen. Der dem Nachlassgericht gesetzlich auferlegten Aufgabe, gemäß § 357 Abs. 1 FamFG das Bestehen eines rechtlichen Interesses zu prüfen, ist immanent, dass – jedenfalls in gewissem Umfang – auch materiell-rechtliche Fragen zu bedenken sind. Zudem bestimmt § 348 Abs. 3 S. 1 FamFG, dass den beim Eröffnungstermin nicht anwesenden Beteiligten nur der sie betreffenden Inhalt der Verfügungen von Todes wegen bekanntzugeben ist. Dies kann unter Berücksichtigung des Rechts, die Vorlage gemäß § 348 Abs. 2 S. 2 FamFG zu verlangen, zwar auch eine vollständige Übersendung erfordern, was regelmäßig der Fall ist, wenn anderweitige Verfügungen die erbrechtliche Stellung des jeweils Betroffenen beeinträchtigen, oder wenn dies nötig ist, um Rückschlüsse auf die Testierfähigkeit oder das Bestehen von Anfechtungsgründen ziehen zu können. Ein Vermächtnisnehmer muss demgegenüber regelmäßig nur erfahren, wer Erbe bzw. Testamentsvollstrecker ist, um sein Vermächtnis durchsetzen zu können (vgl. Muscheler in Münchner Kommentar zum FamFG, 2. Aufl., § 348 Rn. 33). Ein darüber hinausgehendes Einsichtsrecht kann sich für einen Vermächtnisnehmer etwa ergeben, wenn der Erbe behauptet, das Vermächtnis sei durch eine spätere Verfügung von Todes wegen widerrufen worden (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 17.03.2011, 1 W 457/10, juris).
14Allerdings ist auch zu bedenken, dass sich die Frage, ob eine testamentarisch bedachte Person als Erbe oder Vermächtnisnehmer eingesetzt ist, oft nur durch Auslegung der letztwilligen Verfügung ermitteln lässt. Gemäß § 2087 BGB muss der vom Erblasser verwandte Begriff hierfür nicht zwingend ausschlaggebend sein. Dies spricht dafür, einem Vermächtnisnehmer auch einen Einblick in den Gesamtzusammenhang zu geben, in den die ihn betreffende Anordnung eingebettet ist. Die Frage, wie weitgehend sich das Einsichtsrecht gestaltet, kann demnach nur im Einzelfall beantwortet werden. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob unterschiedliche Auslegungen des Testaments möglicherweise in Betracht kommen, ob die Verständlichkeit einzelner Regelungen die Kenntnis des Gesamtzusammenhangs voraussetzt und in welchem Umfang schützenswerte Belange Anderer konkret bestehen.
15Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hält es der Senat für erforderlich, aber auch ausreichend, dem Beteiligten zu 1) in dem sich aus den Anlagen zu diesem Beschluss ergebenden Umfang Kenntnis der letztwilligen Verfügungen zu geben. Zwar besteht vorliegend kein Zweifel daran, dass die Vermächtnisanordnungen tatsächlich solche sind und nicht etwa als Erbeinsetzungen auszulegen sind. Jedoch muss diese Wertung auch für den Beteiligten zu 1) nachvollziehbar sein. Zudem muss er in die Lage versetzt werden, beurteilen zu können, inwieweit die späteren, auf frühere Verfügungen bezugnehmenden Testamente diese ersetzt oder lediglich ergänzt haben. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Wertangaben und Einzelvermächtnisse nur begrenzt Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des Vermögens des Erblassers erlauben und ein besonderes Geheimhaltungsinteresse des Erblassers oder des Erben gegenüber dem Beteiligten zu 1) insoweit nicht erkennbar ist. Den berechtigten Belangen der übrigen Vermächtnisnehmer und des Testamentsvollstreckers ist insoweit Rechnung zu tragen, als dass die Namen der weiteren Vermächtnisnehmer und die zu Gunsten des Testamentsvollstreckers getroffene Vergütungsregelung zu schwärzen war.
16III.
17Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 1, 2 FamFG. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor.
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(1) Die Beschwerde findet gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.
(2) Der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegen auch die nicht selbständig anfechtbaren Entscheidungen, die der Endentscheidung vorausgegangen sind.
(1) Wer ein rechtliches Interesse glaubhaft macht, ist berechtigt, eine eröffnete Verfügung von Todes wegen einzusehen.
(2) Wer ein rechtliches Interesse glaubhaft macht, kann verlangen, dass ihm von dem Gericht eine Ausfertigung des Erbscheins erteilt wird. Das Gleiche gilt für die nach § 354 erteilten gerichtlichen Zeugnisse sowie für die Beschlüsse, die sich auf die Ernennung oder die Entlassung eines Testamentsvollstreckers beziehen.
(1) Sobald das Gericht vom Tod des Erblassers Kenntnis erlangt hat, hat es eine in seiner Verwahrung befindliche Verfügung von Todes wegen zu eröffnen. Über die Eröffnung ist eine Niederschrift aufzunehmen. War die Verfügung von Todes wegen verschlossen, ist in der Niederschrift festzustellen, ob der Verschluss unversehrt war.
(2) Das Gericht kann zur Eröffnung der Verfügung von Todes wegen einen Termin bestimmen und die gesetzlichen Erben sowie die sonstigen Beteiligten zum Termin laden. Den Erschienenen ist der Inhalt der Verfügung von Todes wegen mündlich bekannt zu geben. Sie kann den Erschienenen auch vorgelegt werden; auf Verlangen ist sie ihnen vorzulegen.
(3) Das Gericht hat den Beteiligten den sie betreffenden Inhalt der Verfügung von Todes wegen schriftlich bekannt zu geben. Dies gilt nicht für Beteiligte, die in einem Termin nach Absatz 2 anwesend waren.
(1) Hat der Erblasser sein Vermögen oder einen Bruchteil seines Vermögens dem Bedachten zugewendet, so ist die Verfügung als Erbeinsetzung anzusehen, auch wenn der Bedachte nicht als Erbe bezeichnet ist.
(2) Sind dem Bedachten nur einzelne Gegenstände zugewendet, so ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass er Erbe sein soll, auch wenn er als Erbe bezeichnet ist.
(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
- 1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.