Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 27. März 2014 - I-8 U 79/13

Gericht
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin wird - unter jeweiliger Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Übrigen - das am 23. Mai 2013 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.0000 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2008 sowie weitere 2.544,90 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 24.02.2011 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren künftigen immateriellen sowie alle weiteren vorangegangenen und künftigen materiellen Ansprüche, die ihr infolge der fehlerhaften Behandlung ab Dezember 2007 noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 56% und die Beklagten 44%. Von den Kosten des Berufungsverfahren tragen die Klägerin 58% und die Beklagten 42%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die am 4.7.1950 geborene Klägerin rutschte am 21.12.2007 auf ihrer vereisten Terrasse aus und stürzte auf den Rücken. Wegen anhaltender Beschwerden suchte sie am 22.12.2007 die Notfallambulanz des Kreiskrankenhauses in D… auf; Trägerin der Klinik ist der Beklagte zu 4), Chefarzt der orthopädischen Abteilung war der Beklagte zu 1). Eine klinische Untersuchung ergab Schmerzen im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule und einen Klopfschmerz über dem thorakolumbalen Übergang; Durchblutung, Motorik und Sensibilität der unteren Extremität waren intakt. Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule in zwei Ebenen (vgl. 111 GA) zeigten einen deutlich höhengeminderten Brustwirbelkörper 12; eine daraufhin veranlasste Computertomographie belegte eine ventrale Fraktur mit leichter Impression des vorderen Wirbelkörperdrittels ohne Einstrahlung in die Hinterkante des letzten rippentragenden Wirbelkörpers. Man empfahl der Patientin eine Stabilisierung des betroffenen Wirbelsäulenabschnitts in Form einer Kyphoplastie. Am 23.12.2007 fand ein Aufklärungsgespräch zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) statt, nach welchem die beiden Beteiligten einen standardisierten Aufklärungsbogen unterzeichneten. Am 27.12.2007 führte der Beklagte zu 1) unter Assistenz des Beklagten zu 3) den geplanten Eingriff durch. Anschließend klagte die Patientin über ein Taubheitsgefühl und Schmerzen in den Füßen; im weiteren Verlauf traten Hypästhesien in beiden Oberschenkeln und im Bereich des rechten Fußes sowie eine Minderung des Harndrangs in Erscheinung. Angesichts dessen fertigte man am 1.1.2008 Röntgenaufnahmen an (vgl. 120 GA) und veranlasste am folgenden Tag eine Computertomographie (vgl. 120 ff GA), bei welcher sich ein deutliches Wundhämatom zeigte. Der Beklagte zu 3) riet im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs am 3.1.2008 zu einer Entfernung dieser Blutansammlung; diesen Eingriff führte der Beklagte zu 1) am folgenden Tag durch; dabei saugte er das Hämatom ab und entfernte zudem ein erbsengroßes Fragment des bei der Voroperation ausgetretenen Zements. Am 10.1.2008 wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen; in dem von der Beklagten zu 2) verfassten Abschlussbericht empfahl man zur Weiterbehandlung eine krankengymnastische Übungstherapie, die Vermeidung eines wirbelsäulenbelastenden Verhaltens für drei Monate und eine Wiedervorstellung zur klinischen und radiologischen Kontrolle in vier Wochen. Am 29.2.2008 erschien die Patientin in der orthopädischen Ambulanz; sie berichtete bei dieser Gelegenheit über ein Nachlassen der Schmerzen, aber ein Fortbestehen des Taubheitsgefühls in beiden Beinen; man riet zu einem abwartenden Vorgehen. Der weiterbehandelnde niedergelassene Orthopäde diagnostizierte eine beidseitige Lumboischialgie und überwies die Klägerin Ende März 2008 wegen anhaltender Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich mit Taubheit in beiden Beinen sowie im Genitalbereich und einer zunehmenden Blasenschwäche zu einer Kontrolluntersuchung in das Krankenhaus der Beklagten zu 4). Dort stellte sie sich am 28.3.2008 letztmals vor; man veranlasste wegen der Persistenz der Beschwerden eine Magnetresonanztomographie. Im weiteren Verlauf stellte man einen deutlichen Austritt des Zementmaterials im Bereich des 12. Brustwirbelkörpers sowohl nach ventral als auch nach dorsal fest (vgl. Bericht des Sankt K…. Hospitals F…. vom 10.6.08, 61 f GA); die damit verbundene Einengung des Spinalkanals führte zu einem sensiblen Querschnittsyndrom mit Miktions- und Defäkationsproblemen. Aus diesem Grund wurde in einem anderen Krankenhaus am 10.6.2008 ein operativer Eingriff durchgeführt, bei welchem intradurales Fremdmaterial entfernt wurde; anschließend nahm die Patientin an einer Rehabilitationsmaßnahme teil.
4Die Klägerin macht im Anschluss an ein Verfahren bei der hiesigen Gutachterkommission (Bescheid Prof. Dr. S… vom 20.8.10, Anlage K 3) und an mehrere Privatgutachten (Neurochirurg Prof. Dr. B… vom 22.3.09, Anlage K 1; Orthopäde Prof. Dr. R…. vom 26.5.09, Anlage K 2) Ersatzansprüche geltend. Sie hat behauptet, die Kyphoplastie vom 27.12.2007 sei aus medizinischer Sicht nicht indiziert gewesen; vielmehr wäre eine konservative Therapie angebracht gewesen. Zudem sei der Eingriff nicht einwandfrei durchgeführt worden, da das Führungsinstrument nicht – wie in dem Operationsbericht angegeben – transpedikulär, sondern transspinal zu dem betroffenen Wirbelkörper vorgeschoben worden sei; bei dieser Maßnahme sei der flüssige Knochenzement intradural zwischen Conus und Caudawurzeln eingedrungen und habe einen inkompletten sensiblen Querschnitt in Höhe des Brustwirbelkörpers 12 herbeigeführt. Den Beklagten sei ferner vorzuwerfen, die notwendige Revisionsoperation nicht unverzüglich veranlasst zu haben. Aus diesem Grund sei es zu einer Progredienz der Symptome gekommen; diese seien zwar durch den Eingriff vom 10.6.2008 weitgehend behoben worden; es seien aber Beeinträchtigungen geblieben, die bei einem einwandfreien ärztlichen Verhalten vermieden worden wären. Außerdem hätte der Beklagte zu 1) bei seiner Zweitoperation vom 4.1.2008 die ausgetretenen Zementanteile vollständig entfernen müssen, wodurch der weitere Eingriff vom 10.6.2008 entbehrlich geworden wäre. Die Forderungen seien schließlich auch auf ein Aufklärungsversäumnis zu stützen, da sie präoperativ nicht über die Komplikationsmöglichkeiten und die Behandlungsalternativen informiert worden sei; bei einer ordnungsgemäßen Belehrung hätte sie sich für ein konservatives Vorgehen entschieden. Infolge des ärztlichen Fehlverhaltens könne sie sich auf Dauer kaum selbständig fortbewegen; sie leide unter einem Taubheitsgefühl, welches sich vom Lendenwirbel- über den Genitalbereich bis zu den Füßen erstrecke; auch könne sie Harn und Stuhl nicht kontrollieren. Zum Ausgleich der immateriellen Beeinträchtigungen sei ihr ein Schmerzensgeld von mindestens 125.000 € zuzubilligen; auch seien die Beklagten verpflichtet, den in der Zeit vom 1.2.2007 bis zum 31.3.2011 entstandenen Haushaltsführungsschaden in Höhe von (50 Monate x 1.100 € =) 55.000 € (vgl. „Stundenplan“ der Klägerin, 34 ff GA) sowie die entstandenen Gutachterkosten von 3.000 € (vgl. Rechnungen Anlagen K 26 und 27) zu erstatten; schließlich seien alle weiteren materiellen und die künftig eintretenden immateriellen Schäden zu ersetzen.
5Die Beklagten haben eigene Versäumnisse bestritten. Die Kyphoplastie sei wegen der starken Schmerzen der Patientin, der man eine mehrwöchige Korsettbehandlung habe ersparen wollen, indiziert gewesen. Der Eingriff sei einwandfrei durchgeführt worden; insbesondere sei es nicht zu einer Verletzung der Dura gekommen. Es sei ferner sachgerecht gewesen, die Revisionsoperation erst am 4.1.2008 durchzuführen; postoperativ auftretende neurologische Defizite seien nämlich häufig auf vorübergehende und spontan zurückgehende Irritationen von Nerven zurückzuführen. Bei dem Zweiteingriff habe man das ausgetretene Knochenzementmaterial vollständig entfernt; die angeblich noch am 10.6.2008 vorhandenen Reste seien erst später in die intradurale Position gelangt. Vor den ärztlichen Maßnahmen sei die Patientin regelmäßig über die mit der vorgesehenen Maßnahme verbundenen Vor- und Nachteile sowie über Komplikationsmöglichkeiten informiert worden. Vorsorglich haben die Beklagten den Verlauf nach der letzten Vorstellung vom 29.3.2008 sowie die angeblich verbliebenen Dauerfolgen mit Nichtwissen bestritten und den Umfang der geltend gemachten Forderungen beanstandet. Auch haben sie darauf hingewiesen, dass die Klägerin bereits seit dem Jahre 2004 unter Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule gelitten habe (KK des Orthopäden Dr. S…, 66 f GA).
6Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf hat durch Einholung schriftlicher Gutachten des Orthopäden Dr. S… (3.11.11, 103 ff GA; 24.4.12, 188 ff GA) Beweis erhoben und sodann durch Urteil vom 23.5.2013 (231 ff GA) unter Abweisung der weitergehenden Klage der auf Ersatz der künftigen materiellen Ansprüche gerichteten Feststellungsklage stattgegeben, der Klägerin ein Schmerzensgeld von 50.000 € zuerkannt sowie die Beklagten zum Ersatz eines Haushaltsführungsschadens in Höhe von 9.984 € sowie zur Erstattung von Gutachterkosten von 2.544,90 € verpflichtet.
7Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten, mit welcher sie die vollständige Abweisung der Klage begehren. Zu Unrecht sei das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen Dr. S… davon ausgegangen, dass die Kyphoplastie nicht transpedikulär, sondern – fehlerhaft – transspinal durchgeführt worden sei; die intraoperativ angefertigten Röntgenbilder ließen nicht auf ein solch unsachgemäßes Einbringen der Kyphoplastienadel schließen. Ihnen – den Beklagten – sei ferner nicht vorzuwerfen, die nach dem Eingriff aufgetretenen neurologischen Störungen verspätet erst nach vier Tagen durch bildgebende Verfahren abgeklärt zu haben; tatsächlich sei ein solches Abwarten gerechtfertigt gewesen, da irritierte periphere Nerven häufig die Tendenz hätten, sich nach kurzer Zeit spontan zu erholen; abgesehen davon könne nicht unterstellt werden, dass eine zeitlich vorgezogene Revisionsoperation zu einem für die Patientin besseren Ergebnis geführt hätte. Schließlich sei die Annahme, es seien nicht alle Knochenzementfragmente am 4.1.2008 aus dem Spinalkanal entfernt worden, nicht berechtigt; es könne nicht ausgeschlossen werden, dass bis zu dem Eingriff vom 10.6.2008 infolge von Bewegungen weitere Zementreste ausgetreten seien. Zu diesen Problemen hätte die erstinstanzliche Zivilkammer den beauftragten Sachverständigen von Amts wegen ergänzend anhören müssen. Die Erwägungen des Landgerichts zum Umfang des Schmerzensgeldes seien nicht nachvollziehbar, da jedenfalls im Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen keine wesentlichen Ausfallerscheinungen mehr festzustellen gewesen seien. Auch der Haushaltsführungsschaden sei fehlerhaft berechnet; es sei ungeklärt geblieben, ab wann nur noch ein Ein-Personen-Haushalt habe versorgt werden müssen.
8Die Beklagten beantragen,
9unter Abänderung des angefochtenen Urteils,
10die Klage abzuweisen.
11Die Klägerin beantragt,
12die Berufung zurückzuweisen,
13Sie tritt dem Rechtsmittel entgegen. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige habe die Versäumnisse der verantwortlichen Ärzte nachdrücklich bestätigt.
14Im Wege der Anschlussberufung verfolgt sie ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter. Angesichts ihrer erheblichen Beeinträchtigungen mit Kontinenzproblemen, Gangstörungen und Missempfindungen im Genitalbereich sei das zuerkannte Schmerzensgeld von 50.000 € deutlich zu niedrig. Die Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens seien zu Unrecht teilweise abgewiesen worden (vgl. zum Haushaltsführungsschaden 300 f GA).
15Die Klägerin beantragt daher, unter Abänderung des angefochtenen Urteils,
16die Beklagten nach den erstinstanzlichen Schlussanträgen zu verurteilen.
17Die Beklagten beantragen,
18die Anschlussberufung zurückzuweisen.
19Sie halten eine Erhöhung des Schmerzensgeldes für unangebracht. Der Sachverständige habe im Zeitpunkt seiner Untersuchung im Jahre 2011 keine gravierenden Beeinträchtigungen mehr festgestellt. Das Vorbringen zum Haushaltsführungsschaden sei nicht nachvollziehbar, zumal die Klägerin nicht dargelegt habe, wann sie den ehelichen Haushalt verlassen habe.
20Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf die in dem Berufungsverfahren vorgelegten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
21II.
22Die zulässigen Rechtsmittel sind jeweils nur teilweise begründet.
23Die Berufung der Beklagten führt zur Abweisung des erstinstanzlich zuerkannten Haushaltsführungsschadens von 9.984 € nebst Zinsen; im Übrigen hat das Landgericht die Beklagten nach Grund und Höhe zu Recht verurteilt.
24Auf die Anschlussberufung der Klägerin war auszusprechen, dass die Beklagten auch für künftige immaterielle sowie bereits entstandene materielle Schäden haften, die ursächlich auf das streitgegenständliche Behandlungsgeschehen zurückzuführen sind; die weitergehend geltend gemachten Ansprüche hat das Landgericht zu Recht zurückgewiesen.
251. Zu der Berufung der Beklagten:
26Das Landgericht hat sich bei seiner Feststellung, dass die Kyphoplastie am 27.12.2007 nicht – wie es regelgerecht ist – transpedikulär, sondern behandlungsfehlerhaft transspinal durchgeführt worden ist, zu Recht und mit zutreffender Begründung auf die Feststellungen des orthopädischen Sachverständigen Dr. S... gestützt.
27Dr. S... hat in dem Kontroll-CT (Bilder 4 a – d, 120-122 GA) zweifelsfrei belegt gesehen, dass der Eingriff am 27.12.2007 transpinal durchgeführt worden ist. Er hat nachvollziehbar darauf verwiesen, dass auf Bild 4 d sowohl der transpinale als auch der transpedikuläre Zugangsweg gekennzeichnet ist, der betreffende Pedikel aber keinerlei Spuren zeigt, die eine Vertebroplastie/Kyphoplastienadel - bei transpedikulärem Vorgehen - hinterlassen würde (137 f GA). Der Sachverständige hat in seinem Ergänzungsgutachten (192 GA) weiter verdeutlicht, dass sich auf dem Bild 4 d – durch die dortigen Markierungen demonstriert – eindeutig die Verletzung der Bogenwurzel mit einliegendem intraspinalem Fremdmaterial bei nicht nachweisbarer Veränderung im Bereich des linken Pedikels, wie es bei einer transpedikulären Vorgehensweise darstellbar sein müsste, zeigt. Damit lässt sich mit den überzeugenden Ausführungen von Dr. S... zweifelsfrei beweisen, dass der Eingriff am 27.12.2007 behandlungsfehlerhaft transpinal statt transpedikulär erfolgte.
28Die Ausführungen von Dr. S... werden gestützt durch den neurologischen Privatgutachter der Klägerin, Prof. Dr. B.... (Anlage K 1), der bei – wie hier - fehlenden neurologischen Ausfällen, einer radiologisch bzw. neuroradiologisch nachgewiesenen, sog. stabilen Fraktur und einer angulären Kyphose im thorako-lumbalen Übergangsbereich unter 20 Grad, schon keine Indikation zu dem operativen Eingriff gesehen hat. Die Patientin hätte nach seinen Ausführungen vielmehr mit der konservativen Therapie eines Korsetts suffizient therapeutisch versorgt werden können. Die schließlich durchgeführte Kyphoplastie ist auch nach Prof. Dr. B.... nicht nach den Regeln der Kunst transpedikulär, sondern transpinal links vorgenommen worden (S. 13 des Gutachtens), wobei – wie dies auch Dr. S... beschreibt (138 GA) - die Dura verletzt worden ist und so der flüssige Zement intradural eindringen konnte und so zu einer Schädigung am Conus Medullaris geführt hat.
29Entgegen dem Vorbringen der Beklagten steht den Bewertungen von Dr. S... und Prof. Dr. B.... das Gutachten von Prof. Dr. S.... (Gutachterkommission, Anlage K 3) nicht entgegen. Vielmehr trifft die Bewertung von Dr. S... zu, dass die insoweit abweichenden Äußerungen der „Vorgutachter“ bei Kenntnis des (oben beschriebenen) CTs nicht nachvollziehbar sind.
30Soweit Prof. Dr. S.... meint, dass sich der Beweis, dass die Nadellage bei der Operation am 27.12.2007 nicht durch den Wirbelbogen, sondern durch den Wirbelkanal mit Verletzung der harten Rückenmarkshaut geführt wurde, nicht erbringen lässt, bezieht sich dies offenbar nur auf seine Auswertung der intraoperativen Durchleuchtungsbilder (S. 6 des Gutachtens). Gleichwohl sieht Prof. Dr. S.... jedenfalls „eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür“ (S. 8 des Gutachtens), dass es bei der Operation am 27.12.2007 zu einer Verletzung der harten Rückenmarkshaut gekommen ist (Indiz für interspinales Vorgehen).
31Ähnlich verhält es ich mit der Erkenntnis des orthopädischen Privatgutachters der Klägerin, Prof. Dr. R.... (Anlage K 2), der – wie Prof. Dr. B.... - zwar eine Kyphoplastie für nicht indiziert sieht, aber für einen transpinalen Zugang „aus den Unterlagen“ keine Hinweise gefunden hat. Auch dies erklärt sich maßgeblich daraus, dass sich der Sachverständige hier lediglich auf die intraoperativen Röntgenbilder bezieht, die – nach seinen Ausführungen - eine transpinale Position des Führungsinstrumentes nicht erkennen lassen (S. 10 des Gutachtens). Eine Auseinandersetzung mit der postoperativen CT-Kontrolle vom 02.01.2008 (Bl. 122 GA), wie es Dr. S... vorgenommen hat, fehlt dagegen, ebenso wie eine Erklärung dafür, wieso es „dennoch“ (S. 10 des Gutachtens) zum Austritt von Knochenzement in den Wirbelkanal gekommen ist.
32Das Landgericht hat ferner zu Recht und mit zutreffender Begründung festgestellt, dass es behandlungsfehlerhaft war, dass im Anschluss an die Operation vom 27.12.2007 nicht sofort auf die postoperativ bestehenden neurologischen Störungen reagiert worden ist, sondern erst nach 4 Tagen eine Abklärung durch bildgebende Verfahren erfolgt ist. Der Einwand der Beklagten, dass das Auftreten neurologischer Störungen nicht unmittelbar postoperativ mit vollständig bildgebender Diagnostik abzuklären ist, sondern ein Zuwarten über einen gewissen Zeitraum durchaus üblich und vertretbar ist, da operationsbedingte leichte Nervschädigungen sich innerhalb kurzer Zeit zurückbilden können, ist unbegründet. Denn sämtliche Sachverständigen haben gefordert, dass zu einem behandlungsgerechten Vorgehen eine frühzeitigere Befunderhebung bzw. sofortige Revisionsoperation unverzüglich erfolgen musste.
33Dr. S... hat unmissverständlich ausgeführt, dass bei den intraoperativ dokumentierten Röntgenbildern mit Nachweis von Kyphoplastie-Zement im Spinalkanal sowie den von der Patientin angegebenen neurologischen Störungen direkt postoperativ eine CT-Bildgebung hätte durchgeführt werden müssen, aus der sich die weitere Behandlungsindikation mit Revisionsoperation ergeben hätte (139 GA). Erst, wenn sich – anders als hier - in der erneuten Schnittbildgebung, die unmittelbar postoperativ anzufertigen gewesen ist, eine lege artis durchgeführte Operation nachweisen lässt und der Ausschluss von intraspinal gelegenen Material durch die erneute Schnittbildgebung erfolgt, darf man sich auf die Ausschlussdiagnose „gestresster Nerv“ berufen; erst dann ist eine weitere konservative Behandlung möglich. Wenn sich jedoch, wie bei der Patientin geschehen, Vertebroplastiezement nach der Operation im Spinalkanal darstellt, so hat eine sofortige operative Revision zu erfolgen, da sonst bei weiter als schädigend auf den Nerven wirkender Druck durch den Fremdkörper, eine Regeneration des Nerven im weiteren Verlauf als unmöglich anzusehen ist. Hierdurch wird dann der mit den weiteren Ausführungen des Sachverständigen der Dauerschaden generiert (192, 193 GA).
34Übereinstimmend damit hat Prof. Dr. B.... geschildert, dass aufgrund des Umstandes, dass es unmittelbar postoperativ zu einem inkompletten sensiblen Querschnitt gekommen ist, nach den Regeln der ärztlichen Kunst sofort eine diagnostische Abklärung erfolgen musste.
35Schließlich hat Prof. Dr. R.... (Anlage K 2) ausgeführt, dass schon die intraoperativ angefertigten Röntgenaufnahmen trotz eingeschränkter Bildqualität den dringenden Verdacht auf hinter der Hinterwand des Wirbelkörpers lokalisierten Knochenzement aufkommen lassen, so dass im Zusammenhang mit den unmittelbar postoperativ festgestellten neurologischen Störungen die sofortige operative Revision hätte erfolgen müssen. Insofern stimmt er der Beurteilung von Prof. Dr. B.... ausdrücklich zu (S. 10 des Gutachtens).
36Insgesamt steht damit zweifelsfrei fest, dass den Beklagten jedenfalls ein Befunderhebungsfehler unterlaufen ist und die gebotene sofortige Erhebung des Befundes als ärztliche Reaktion eine sofortige Revisionsoperation erfordert hätte.
37Soweit die Beklagten in Frage stellen, ob und gegebenenfalls welche schädlichen Folgen hierdurch für die Patientin entstanden sind, bedarf dies keiner weiteren Aufklärung. Es mag sein, dass es zumindest zu den sekundär aufgetretenen neurologischen Ausfällen maßgeblich durch die lange Verweildauer des Fremdkörpers im Bereich des Conus und der Wurzeln gekommen ist (vgl. das Gutachten von Prof. Dr. B...., Anlage K 1, S. 15 des Gutachtens). Zu beachten ist aber, dass die Unterlassung der gebotenen Befunderhebung grundsätzlich zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führt, weil sich bei Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellte (vgl. BGH VersR 2004, 790). Infolgedessen kommt es nur noch darauf an, ob der Fehler – Unterlassen der sofortigen Revisionsoperation – generell zur Herbeiführung der Schädigung geeignet ist. In diesem Fall hätten dann die Beklagten nachzuweisen, dass ein - zumindest mitursächlicher - Kausalzusammenhang gänzlich unwahrscheinlich ist.
38Letztlich können diese Kausalitätsbetrachtungen hier aber dahinstehen, da sämtliche Beeinträchtigungen der Klägerin zumindest mitursächliche Folgen des ersten, unzweifelhaft schadensursächlichen Behandlungsfehlers in Form der nicht regelgerecht durchgeführten Kyphoplastie sind.
39Insofern kommt es auch nicht auf die weitere Rüge der Beklagten an, dass es - entgegen der Feststellung des Landgerichts - nicht behandlungsfehlerhaft war, bei dem Revisionseingriff am 04.01.2008 nicht sämtlichen Knochenzement aus dem Spinalkanal zu entfernen.
40Soweit die Beklagten die Schmerzensgeldbemessung des Landgerichts rügen, ist das unbegründet. Der Senat schließt sich der Bewertung des Landgerichts an, das sich hierbei zutreffend an den Feststellungen des Sachverständigen Dr. S... orientiert hat. Der Schwerpunkt der Schmerzensgeldbemessung liegt in den eingetretenen Dauerschäden. Zusätzlich zu berücksichtigen ist der Umstand, dass sich die Klägerin zwei Revisionsoperationen, am 04.01. und am 10.06.2008 hat unterziehen müssen, zwischenzeitlich Beschwerden bestanden und schließlich eine Reha-behandlung durchgeführt werden musste. Die Dauerfolgen äußern sich insbesondere über ein fortbestehendes starkes Kribbeln in beiden Beinen, das zu einem beständigen Kratzen verleitet, nachts auftretenden starken Krämpfen in den Beinen, einer Blasen- und Mastdarmstörung mit Dranginkontinenz, einem deutlich unsicheren verlangsamten Gangbild sowie einer Empfindungslosigkeit im Genitalbereich, damit auch beim Geschlechtsverkehr. Bei diesen Beeinträchtigungen ist das zuerkannte Schmerzensgeld von 50.000 € schon angemessen.
41Soweit sich die Beklagten gegen die Zuerkennung des Haushaltführungsschadens wenden, ist das begründet. Der Anspruch ist – wie von dem Landgericht grundsätzlich zutreffend erkannt – nicht schlüssig dargelegt; die erstinstanzlich vorgenommene Schätzung ist daher nicht zulässig.
42Die Klägerin hätte insbesondere auszuführen gehabt, welche Arbeiten sie in dem Haushalt vor dem Eintritt der durch den Behandlungsfehler entstandenen Beeinträchtigungen tatsächlich ausgeübt hat und welche dieser Arbeiten sie aufgrund ihrer Beeinträchtigungen nun nicht mehr oder nur eingeschränkt ausüben kann. Hieran fehlt es in jeder Weise. Der Verweis auf Tabellenwerke und eine „haushaltsspezifische MDE von 60 %“ sowie die Auflistung nicht weiter erläuterter Stundenpläne genügen den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag nicht. Auch die Listen, die mit Schriftsatz vom 25.11.2013 (302 ff. GA) in der Berufungsinstanz vorgelegt worden, ersetzen den notwendigen Vortrag nicht. Es bedarf deshalb nicht des Nachgehens der von der Klägerin angebotenen Beweise. Zudem trägt sie selbst vor, dass sie seit der Schädigung weitaus mehr Zeit im Haushalt verbringe als zuvor und ihr die Arbeiten nur noch schleppend von der Hand gingen. Soweit sie dennoch ihren Haushalt nahezu vollständig selbst erledigt, ist es zweifelhaft, ob überhaupt ein ersatzpflichtiger Haushaltsführungsschaden entstanden ist, da der Ersatz von Freizeit (Grenze ist die überobligationsmäßige Aufopferung) kein ersatzpflichtiger Vermögensschaden ist. Eine Differenzierung, welche Arbeiten die Klägerin aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht mehr hat ausführen können und welche durch Dritte übernommen werden mussten, hat die Klägerin auch zweitinstanzlich nicht vorgenommen. Dies war um so mehr veranlasst, als ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Dr. S... (143 GA), die Patientin angegeben hat, ihren Haushalt allein zu versorgen und lediglich Hilfe zu benötigen, wenn sie schwere Gegenstände tragen oder Überkopfarbeiten ausüben muss. Vor diesem Hintergrund ist die Schätzung des Landgerichts, das von einer „haushaltsspezifischen MDE von 20 %“ ausgeht für den Zeitraum von Januar 2008 bis März 2011, ohne tragfähige Grundlage.
432. Zu der Anschlussberufung der Klägerin
44Ein weitergehendes Schmerzensgeld bis zu 125.000 € oder mehr, wie es die Klägerin fordert, ist angesichts des noch verbliebenen Dauerschadens nicht gerechtfertigt. Insoweit ist – entsprechend der vorstehenden Ausführungen – ein Schmerzensgeld von 50.000 € angemessen und ausreichend.
45Ein (weitergehender) Ersatz des Haushaltsführungsschadens kann nicht gefordert werden; insofern fehlt es an einem schlüssigen Klagevortrag (s.o.).
46Die sonstigen materiellen Schäden in Höhe von 3.000 € (Bl. 296 GA) werden von der Klägerin nicht hinreichend substantiiert begründet; für eine Schadenschätzung fehlt daher auch insoweit die Grundlage.
47Soweit sich die Klägerin gegen die teilweise Abweisung des Feststellungsantrags wendet, ist die Anschlussberufung begründet.
48Die Feststellungsklage auf künftigen immateriellen Schadenersatz ist hier ohne weiteres zulässig und hinsichtlich unvorhersehbarer Schäden bzw. solcher Schäden, die mangels objektiver Vorhersehbarkeit noch nicht in die Schmerzensgeldbemessung einbezogen werden konnten auch begründet.
49Ein Feststellungsantrag kann ferner auf bereits entstandene, d.h. gegenwärtige materielle Schäden gerichtet werden; es ist nicht notwendig, bei einem – wie hier - noch in der Entwicklung befindlichen Schaden die bereits entstandenen materiellen Schäden im Wege der Leistungsklage zu verfolgen. Insoweit bedarf es unter den Umständen des Falles keiner besonderen Spezifizierung.
50III.
51Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
52Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
53Streitwert:
54Für die Berufung der Beklagten: 83.000 €.
55Für die Anschlussberufung der Klägerin: 150.000 €

Annotations
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.