Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss, 24. Jan. 2014 - I-24 U 149/13
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 29.05.2013 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kleve gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussverfahren zurückzuweisen.
Der Kläger erhält Gelegenheit, zu den Gründen binnen einer Frist von
z w e i W o c h e n ab Zugang schriftsätzlich Stellung zu nehmen.
Der für den 18.02.2014 bestimmte Senatstermin entfällt.
1
G r ü n d e:
2I.
3Die Berufung des Klägers gegen das am 29.05.2013 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kleve hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats im Urteilsverfahren. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
41.
5Der Einspruch der Beklagten ist zulässig, insbesondere nicht verfristet. Es ist davon auszugehen, dass eine Zustellung erst mit tatsächlicher Kenntniserlangung von dem Vollstreckungsbescheid erfolgte (§ 189 ZPO), der Einspruch mithin innerhalb der Einspruchsfrist eingelegt worden ist. Jedenfalls aber wäre der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
6a.
7Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass hier keine wirksame Ersatzzustellung an die Anschrift in R. möglich war, da die Beklagte dort im Zeitpunkt der Zustellung nicht wohnte. Die Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO setzt voraus, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird (BGH v. 22.10.2009, IX ZB 248/08, juris, Rn. 15 mwN). Entgegen der Auffassung des Klägers genügt der bloße, dem Empfänger zurechenbare Rechtsschein, dieser unterhalte unter der jeweiligen Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume, für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht. Dies ergibt sich aus dem unmissverständlichen Wortlaut der §§ 178 bis 181 ZPO, nach dem nur in der Wohnung beziehungsweise den Geschäftsräumen oder durch Einwurf in die hierzu gehörenden Postempfangsvorrichtungen zugestellt werden kann, nicht aber dort, wo lediglich der Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums besteht (BGH v. 16.06.2011, III ZR 342/09, juris, Rn. 13f.).
8Für den Begriff der "Wohnung" im Sinne der §§ 180 ff. ZPO kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auf das tatsächliche Wohnen, mithin darauf an, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt und insbesondere, ob er dort schläft. Die Räumlichkeiten verlieren ihre Eigenschaft als Wohnung, wenn der Zustellungsempfänger sie nicht mehr zu den vorgenannten Zwecken nutzt, sondern den räumlichen Mittelpunkt seines Lebens an einen anderen Aufenthaltsort verlagert. Ob dies der Fall ist, ist nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen, wobei auch Sinn und Zweck der Zustellungsvorschriften zu beachten sind (BVerfG v. 15.10.2009, 1 BvR 2333/09, juris, Rn. 16 mwN). Die bloße Absicht des bisherigen Inhabers der Wohnung, dort künftig nicht mehr wohnen zu wollen, genügt allerdings nicht. Dieser Wille muss vielmehr, ähnlich wie bei der Aufhebung des Wohnsitzes nach § 7 Abs. 3 BGB, in seinem gesamten Verhalten zum Ausdruck kommen. Zwar setzt die Aufgabe einer Wohnung nicht voraus, dass ihr Inhaber alle Merkmale beseitigt, die den Anschein erwecken könnten, er wohne dort auch weiterhin. Der Aufgabewille muss aber, wenn auch nicht gerade für den Absender eines zuzustellenden Schriftstückes oder die mit der Zustellung betraute Person, so doch jedenfalls für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter erkennbar sein. Hierauf kann nicht verzichtet werden, weil sonst Möglichkeiten zur Manipulation eröffnet würden (BGH v. 22.10.2009, IX ZB 248/08, juris, Rn. 18 mwN).
9Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend davon auszugehen, dass die Beklagte ihre Wohnung nicht mehr an der Zustelladresse des Vollstreckungsbescheides in R. hatte. Sie selbst hat vorgetragen, dass sie dort nicht wohnte, das Haus vielmehr unbewohnt war. Diese - vom Kläger bestrittene Behauptung - hat sie letztlich auch bewiesen. Das Landgericht hat die Zeugenaussagen zutreffend gewürdigt, wonach das Wohnhaus seit Jahren von außen erkennbar einen unbewohnten Eindruck vermittele, lediglich einzelne Briefe an diese Anschrift adressiert seien, die gemeinsam auch für das Nachbarhaus zur Verfügung stehende Mülltonne nicht benutzt werde und die Nachbarin vor dem Haus liegende Zeitungen aufsammele. Demgegenüber kommt dem Umstand, dass die Beklagte dort formell polizeilich gemeldet ist, nur untergeordnete Bedeutung zu.
10Der Beklagten war es auch nicht verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Zustellung zu berufen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es eine unzulässige Rechtsausübung darstellt, wenn der Zustellungsadressat eine fehlerhafte Ersatzzustellung geltend macht, obwohl er einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat (BGH v. 16.06.2011, III ZR 342/09, juris, Rn. 15; BVerfG v. 15.10.2009, 1 BvR 2333/09, juris, Rn. 17f.: wiederholte Bezeichnung der Zustellungsanschrift als seine Adresse). Entsprechendes kann hier jedoch nicht festgestellt werden. Es ist weder ersichtlich noch dargetan, dass die Beklagte dem Kläger gegenüber den Anschein erweckt hat, sie wohne in R. Vielmehr hat der Kläger unstreitig sämtliche Post – mit Ausnahme des Mahnbescheides und des Vollstreckungsbescheides in der hier fraglichen Gebührenangelegenheit - an die Anschrift der Beklagten in S. gesandt (GA 72,73, 76, 77, 78). Bezeichnenderweise ist auch in den vorgelegten Vergütungsvereinbarungen die Anschrift in S. genannt (GA 84, 87). Allein der Umstand, dass sich an dem Haus in R. noch ein Namensschild mit dem Namen der Beklagten befand, ist nicht geeignet, eine dolose Absicht der Beklagten zu belegen.
11b.
12Wenn man die Frage der „Wohnung“ - wie der Kläger - anders beurteilen und annehmen wollte, die Beklagte habe ihre Wohnung in R. und unterhalte an ihrem Geschäftssitz lediglich eine zweite oder gar keine Wohnung, wäre zwar von einer wirksamen Ersatzzustellung in R. auszugehen. Eine Ersatzzustellung in der Wohnung des Zustellungsadressaten ist auch dann zulässig, wenn er sich zur Zeit der Zustellung - auch für längere Zeit - nicht in der Wohnung, sondern in seiner Zweitwohnung aufhält. Erreicht ihn in einem solchen Falle das zuzustellende Schriftstück nicht, berührt dies nicht die Frage der Wirksamkeit der Zustellung; wenn der Zustellungsadressat allerdings wegen seiner Unkenntnis über die Zustellung eine Frist versäumt, ist zu prüfen, ob ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann (BGH v. 13.10.1993, XII ZR 120/92, LS 2, juris, Rn. 15). Hier wäre der Beklagten auf ihren mit dem Einspruch verbundenen Antrag vom 18.04.2012 (GA 16, 22) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen, da ein Verschulden an der Fristversäumung nicht ersichtlich ist. Die Beklagte musste unter den gegebenen Umständen nicht damit rechnen, dass der Kläger - obwohl er sämtliche sonstige Korrespondenz an die Anschrift in S. richtete - ausnahmsweise Mahnbescheid und Vollstreckungsbescheid an die Anschrift in R. adressieren würde.
132.
14Der vom Kläger geltend gemachte anwaltliche Vergütungsanspruch ist nicht begründet.
15Der Kläger hat seinen Anspruch bis heute nicht begründet. Zu Unrecht beruft er sich insoweit auf einen Verfahrensfehler des Gerichts. Das Landgericht hat ihn zutreffend gem. § 700 Abs. 3, 697 Abs. 1 ZPO (GA 19) und gem. § 700 Abs. 5 ZPO aufgefordert, den geltend gemachten Klageanspruch zu begründen (GA 19 und 31). Dies hat er nicht getan. Entgegen seiner Auffassung ist auch nicht ersichtlich, dass dem Landgericht eine weitergehende Hinweispflicht oblag. Der Kläger hatte an keiner Stelle deutlich gemacht, dass weiterer Vortrag folgen würde, wenn das Gericht zu erkennen gebe, dass der Einspruch als rechtzeitig angesehen werde. Dies lässt sich auch dem Schriftsatz vom 17.12.2012 (GA 48ff.) nicht entnehmen. Im Übrigen könnte auch nicht festgestellt werden, dass der Kläger deshalb seinen Klageanspruch nicht begründet hat, weil das Landgericht einen gesonderten Hinweis unterlassen hat. Bezeichnenderweise begründet der Kläger auch in der Berufungsinstanz seinen Klageanspruch nicht, obwohl ihm das erstinstanzliche Urteil bekannt war. Davon abgesehen durfte die Begründung in der Berufungsinstanz aber nach § 531 Abs. 2 ZPO auch kaum noch nachholbar sein.
16II.
17Der Senat weist darauf hin, dass eine Berufungsrücknahme vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO gemäß GKG KV-Nr. 1222 Nr. 1 S. 1 zu einer Gerichtsgebührenermäßigung führt; statt vier fallen nur zwei Gerichtsgebühren an.
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.
(1) Der Vollstreckungsbescheid steht einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich.
(2) Die Streitsache gilt als mit der Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden.
(3) Wird Einspruch eingelegt, so gibt das Gericht, das den Vollstreckungsbescheid erlassen hat, den Rechtsstreit von Amts wegen an das Gericht ab, das in dem Mahnbescheid gemäß § 692 Abs. 1 Nr. 1 bezeichnet worden ist, wenn die Parteien übereinstimmend die Abgabe an ein anderes Gericht verlangen, an dieses. § 696 Abs. 1 Satz 3 bis 5, Abs. 2, 5, § 697 Abs. 1, 4, § 698 gelten entsprechend. § 340 Abs. 3 ist nicht anzuwenden.
(4) Bei Eingang der Anspruchsbegründung ist wie nach Eingang einer Klage weiter zu verfahren, wenn der Einspruch nicht als unzulässig verworfen wird. § 276 Abs. 1 Satz 1, 3, Abs. 2 ist nicht anzuwenden.
(5) Geht die Anspruchsbegründung innerhalb der von der Geschäftsstelle gesetzten Frist nicht ein und wird der Einspruch auch nicht als unzulässig verworfen, bestimmt der Vorsitzende unverzüglich Termin; § 697 Abs. 3 Satz 2 gilt entsprechend.
(6) Der Einspruch darf nach § 345 nur verworfen werden, soweit die Voraussetzungen des § 331 Abs. 1, 2 erster Halbsatz für ein Versäumnisurteil vorliegen; soweit die Voraussetzungen nicht vorliegen, wird der Vollstreckungsbescheid aufgehoben.
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.
(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
- 1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, - 2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder - 3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.