Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 13. Juni 2018 - 3 Ss OWi 626/18

bei uns veröffentlicht am13.06.2018
nachgehend
Oberlandesgericht Bamberg, 3 Ss OWi 626/18, 25.06.2018

Gericht

Oberlandesgericht Bamberg

Tatbestand

Das AG hat den Betr. wegen fahrlässiger Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 31 km/h zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und gegen ihn wegen eines groben Pflichtenverstoßes i.S.d. §§ 25 I 1 1. Alt. i.V.m. § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd.Nr. 11.3.6 Tab. 1c zum BKat ein Regelfahrverbot für die Dauer 1 Monats nach Maßgabe des § 25 IIa 1 StVG angeordnet. Nach den Urteilsfeststellungen fuhr der Betr. am 15.03.2017 um 17.07 Uhr mit einem Pkw stadteinwärts, wobei die Geschwindigkeitsmessung mit dem Messgerät PoliScanSpeed mit der zugehörigen Softwareversion 3.2.4 durchgeführt wurde. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betr. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit der Verfahrensrüge wird im Wesentlichen beanstandet, dass das AG seinem Antrag auf Beiziehung der Messdatei und deren Überlassung an ihn zur Einsicht nicht nachgekommen sei. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.

Gründe

I.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nach § 79 I 1 Nr. 2 OWiG statthaften und auch sonst zulässigen, vom Einzelrichter gemäß § 80a III 1 i.V.m. § 80a I OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragenen Rechtsbeschwerde deckt keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. auf (§ 79 III 1 OWiG i.V.m. § 349 II StPO).

II.

Anlass zur ergänzenden Erörterung gibt dem Senat allein die Rüge der Verletzung des Grundsatzes auf rechtliches Gehör und auf Gewährleistung eines fairen Verfahrens, weil das AG dem Antrag auf Beiziehung der digitalen Messdatei nicht nachgekommen sei. Diese Beanstandung dringt nicht durch.

1. Es entspricht gefestigter Rspr. des Senats (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 = DAR 2016, 337 = StRR 2016, Nr. 8, 16 = OLGSt StPO § 147 Nr 10; 05.09.2016 – 3 Ss OWi 1050/16 = StraFo 2016, 461 = ZD 2017, 80; 24.08.2017 – 3 Ss OWi 1162/17 = DAR 2017, 715 [jeweils zur Messdatei]; 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17 = NStZ 2018, 235 = NZV 2018, 80 [zur Lebensakte]), der sich mittlerweile eine Reihe anderer Oberlandesgerichte - teilweise sogar unter ausdrücklicher Aufgabe ihrer bisherigen entgegengesetzten Rspr. - angeschlossen haben (vgl. nur OLG Oldenburg, Beschluss vom 13.03.2017 – 2 Ss [OWi] 40/17 = ZfS 2017, 469; OLG Hamm, Beschluss vom 10.03.2017 – 2 RBs 202/16 [bei juris] und 20.06.2017 – 4 RBs 169/17 [bei juris]; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 9.11.2017 – Ss Rs 39/2017 [bei juris] = BeckRS 2017, 131683; 25.10.2017 – Ss Rs 17/2017 [bei juris]; 15.11.2017 – 1 OWi 2 SsBs 52/17 [unveröffentlicht] und OLG Zweibrücken, Beschluss vom 28.02.2018 – 1 OWi 2 SsBs 106/17 [bei juris]; zustimmend auch: König, DAR 2016, 362, 371), dass die Nichtüberlassung von Unterlagen, die sich nicht bei der Akte befinden, weder einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör noch gegen den fair-trial-Grundsatz darstellt. Vielmehr handelt es sich bei dem Antrag auf Beiziehung entsprechender Unterlagen um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 II StPO) gerügt werden kann (OLG Bamberg, Beschl. vom 04.10.2017 - 3 Ss OWi 1232/17 [unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 12.01.1983 - 2 BvR 864/81 = BVerfGE 63, 45 = NJW 1983, 1043 = StV 1983, 177 = NStZ 1983, 273 = MDR 1983, 548 = EuGRZ 1983, 196; BGH, Urt. v. 26.05.1981 - 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500 = MDR 1981, 860]).

2. Der von der Verteidigung in der Gegenerklärung zitierte Beschluss des VerfGH Saarbrücken vom 27.04.2018 – 1 Lv 1/18, der in Fällen der vorliegenden Art sowohl einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs als auch gegen das faire Verfahren bejahen will, weil den Betr. eine „Darlegungs- und Beibringungslast“ [sic!] für das Vorhandensein von Messfehlern treffe, der er andernfalls nicht nachkommen könne, gibt dem Senat keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsansicht, die sich, wie bereits erwähnt, auf die Rspr. des BVerfG und des BGH gründet, abzuweichen. Der Auffassung des VerfGH Saarbrücken vermag der Senat aus den Gründen seiner zitierten Entscheidungen, aber auch deswegen nicht zu folgen, weil er einerseits die entgegenstehende Rspr. des BVerfG und des BGH übergeht und sich schon deshalb mit deren Argumentation nicht einmal im Ansatz auseinandersetzt, seine Begründung andererseits auf der mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbarenden Prämisse, dem Betr. obliege eine „Darlegungs- und Beibringungslast“, beruht und überdies grundlegende strafprozessuale Prinzipien außer Acht lässt.

a) Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) durch die Ablehnung des Antrags auf Beiziehung der digitalen Messdatei und sonstiger nicht zu den Akten gelangter Unterlagen, scheidet von vornherein aus. Es entspricht seit Jahrzehnten gefestigter Rspr. des BVerfG und des BGH, dass die Nichtbeiziehung von Beweismitteln oder Unterlagen den Schutzbereich des rechtlichen Gehörs nicht berührt (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 12.01.1983 - 2 BvR 864/81 = BVerfGE 63, 45 = NJW 1983, 1043 = StV 1983, 177 = NStZ 1983, 273 = MDR 1983, 548; BGH, Urt. v. 26.05.1981 - 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500 = MDR 1981, 860). Das BVerfG (a.a.O.) führt insoweit aus, der Anspruch auf rechtliches Gehör solle verhindern, dass das Gericht ihm bekannte, dem Beschuldigten aber verschlossene Sachverhalte zu dessen Nachteil verwerte. Art. 103 I GG sei hingegen nicht verletzt, wenn es um die Frage gehe, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, erst zu verschaffen habe, weil es nicht Sinn und Zweck der Gewährleistung rechtlichen Gehörs sei, dem Beschuldigten Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen. Der BGH (a.a.O.), der im Ausgangsverfahren zum selben Ergebnis gelangt war, hatte insbesondere hervorgehoben, unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs sei nur das maßgeblich, was für das Urteil oder das Verfahren Bedeutung erlangt habe. Was darüber hinaus für die Sachentscheidung Bedeutung erlangen könnte, sei dagegen zunächst nur für die Frage der Aufklärungspflicht von Interesse. Über diese grundlegende verfassungsgerichtliche und höchstrichterliche Rspr. setzt sich der VerfGH Saarbrücken hinweg, ohne sie auch nur zu erwähnen.

b) Ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegt ebenfalls nicht vor. Auch dies entspricht mittlerweile gefestigter Rspr. des Senats, die ihrerseits basiert auf der Rspr. des BVerfG und des BGH (vgl. hierzu zuletzt OLG Bamberg, Beschluss vom 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17 [unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 12.01.1983 - 2 BvR 864/81 sowie BGH, Urt. v. 26.05.1981 - 1 StR 48/81, jeweils a.a.O.]). Hiernach ist der fair-trial-Grundsatz von vornherein nicht berührt. Es geht vielmehr allein um die Frage der Aufklärungspflicht nach § 244 II StPO und im Rahmen dessen hat, wie der Senat in seinem Beschluss vom 04.10.2017 (OLG Bamberg a.a.O.) aufgezeigt hat, ein Betr. ausreichende Möglichkeiten, sich anderweitig an der Wahrheitsfindung aktiv zu beteiligen, ohne dass ein Rückgriff auf das fair-trial-Prinzip geboten wäre.

aa) Die gegenteilige Auffassung des VerfGH Saarbrücken, die einen Verstoß gegen das faire Verfahren bejahen will, ist schon deswegen unhaltbar, weil sie auf einer unzutreffenden, grundlegenden Rechtsstaatsprinzipien zuwiderlaufenden Prämisse beruht. Der VerfGH führt für die Richtigkeit seiner These, der Anspruch auf rechtliches Gehör und der Fairnessgrundsatz seien verletzt, wenn dem Betr. kein Einblick in die Messdatei bzw. andere Unterlagen gewährt werde, als maßgebliches Argument an, dass ihn eine „Darlegungs- und Beibringungslast“ für das Vorliegen von Messfehlern treffe. Auch wenn der Begriff der ‚Beweislast‘ vermieden wird, stellt die Überbürdung einer „Darlegungs- und Beibringungslast“ auf einen Angeklagten im Strafprozess bzw. einen Betroffenen im Bußgeldverfahren nichts anderes als den Versuch dar, ihm den Nachweis seiner Unschuld aufzuerlegen. Dass dies mit rechtsstaatlichen Gedanken nicht in Einklang zu bringen ist, stellt eine Selbstverständlichkeit dar. Eine derartige Sicht widerspräche der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung, die in Art. 6 II EMRK eine positiv-rechtliche Normierung erfahren hat (vgl. nur BGH, Beschluss vom 28.07.2016 – AK 41/16 [bei juris]; LR/Esser StPO 26. Aufl., Art. 6 EMRK [Art. 14 IPBPR] Rn. 496). Zudem würde dadurch das Recht eines Angeklagten bzw. Betroffenen, zu dem Schuldvorwurf zu schweigen, geradezu in sein Gegenteil verkehrt. Eine derartige Rspr. liefe darauf hinaus, dass die Gewährung und der Umfang rechtsstaatlicher Prinzipien davon abhängig gemacht würden, ob und ggf. mit welchen Mitteln sich ein Betroffener gegen den Schuldvorwurf zur Wehr setzt. Dies wird schon dadurch verdeutlicht, dass andernfalls derjenige, der von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, von vornherein mit einer Verurteilung rechnen müsste. Damit würde sich aber bei Zugrundelegung der Gegenansicht gerade das Schweigen des Betroffenen zu dessen Nachteil auswirken, was rechtsstaatswidrig wäre. Eine solche Beschneidung der Aussagefreiheit, die Folge einer Rspr. wäre, die einem Angeklagten bzw. Betroffenen die „Darlegungs- und Beibringungslast“ für seine Unschuld auferlegt, würde das aus der Menschenwürde (Art. 1 I GG) resultierende Verbot verletzen, einen Betroffenen zum bloßen Verfahrensobjekt zu machen (vgl. LR/Gleß StPO 26. Aufl., § 136 Rn. 27 m.w.N. sowie [zur Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes] BGH, Urt. v. 06.03.2018 – 1 StR 277/17 [bei juris] m.w.N.). Dies erscheint umso bemerkenswerter, als der VerfGH Saarbrücken die Richtigkeit seiner Gegenansicht damit begründet, dass ein Betroffener, würde ihm nicht die Einsicht in die Messdatei gewährt werden, damit er seiner „Darlegungs- und Beibringungslast“ genügen könne, zum bloßen Objekt des Verfahrens würde. Mit anderen Worten: Nicht die Versagung der Beiziehung der digitalen Messdatei degradiert ihn zum Verfahrensobjekt, sondern die Annahme, diesen treffe eine „Darlegungs- und Beibringungslast“.

bb) Das Schweigerecht des Betroffenen gilt allgemein und wird auch nicht durch die Besonderheiten des standardisierten Messverfahrens (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19.08.1993 - 4 StR 627/92 = BGHSt 39, 291 = MDR 1993, 1107 = VM 1993, Nr 107 = NJW 1993, 3081 = ZfS 1993, 390 = NStZ 1993, 592 = NZV 1993, 485 = DAR 1993, 474 = DRiZ 1994, 58) und 30.10.1997 - 4 StR 24/97 = BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 321 = MDR 1998, 214 = NZV 1998, 120 = DAR 1998, 110 = BGHR StPO § 267 I Satz 1 Beweisergebnis 11) eingeschränkt, worauf der Senat bereits in seinen zitierten Beschlüssen vom 04.04.2016 - 3 Ss OWi 1444/15 und 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17 (jeweils a.a.O.) hingewiesen hat. Auch dort, wo standardisierte Messverfahren Anwendung finden, ist es keineswegs Aufgabe oder auch nur Obliegenheit des Betroffenen, seine Unschuld etwa „darzulegen“ oder gar „beizubringen“. Vielmehr obliegt es dem erkennenden Gericht, die Richtigkeit des erzielten Messergebnisses unter strenger Beachtung der Aufklärungspflicht (§ 244 II StPO) sorgfältig zu überprüfen. Eine Verurteilung setzt auch bei Geschwindigkeitsverstößen den positiven Nachweis der Schuld voraus. Der Tatrichter hat zu klären, ob der Beweis mittels des von dem Messgerät erzeugten Messwerts in einer Weise geführt ist, dass eine Verurteilung gerechtfertigt ist, was die volle Überzeugung des Tatrichters voraussetzt. Hierzu müssen die vom BGH genannten Prämissen des standardisierten Messverfahrens in rechtsstaatlich einwandfreier Weise festgestellt werden. Ist dies nicht der Fall, so drängt schon die Aufklärungspflicht dazu, das Messergebnis einer sachverständigen Überprüfung zu unterziehen. Eines Nachweises von Anhaltspunkten für Messfehler oder dergleichen durch den Betroffenen bedarf es hierzu nicht. Sind aber andererseits die Voraussetzungen für ein standardisiertes Messverfahren erfüllt, so kann das Messergebnis einer Verurteilung zu Grunde gelegt werden. Mit einer dem Rechtsstaatsprinzip zuwiderlaufenden „Darlegungs- und Beibringungslast“ oder aber einer „Richtigkeitsvermutung“ (so VerfGH Saarbrücken), die niemals Verurteilungsgrundlage sein darf, hat dies nichts zu tun. Vielmehr geht es allein um die Frage, ob bei Einhaltung der Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens das Messergebnis unter Berücksichtigung der Toleranzabzüge hinreichende Verurteilungsgrundlage sein kann. Dies hat der BGH aber in seinen beiden grundlegenden Entscheidungen (BGH a.a.O.) bejaht. Hiernach hat die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden ebenso wie die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen - die systemimmanenten Messfehler erfassenden - Toleranzwert gerade den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalles freizustellen. Zwar hat der BGH auch konstatiert, es bestehe kein Erfahrungssatz, dass die gebräuchlichen Geschwindigkeitsmessgeräte unter allen Umständen zuverlässige Ergebnisse liefern. Vielmehr sei eine absolute Genauigkeit, d.h. eine sichere Übereinstimmung mit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit, nicht möglich. Allerdings könne den nach den jeweiligen technisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen möglichen Fehlerquellen hinreichend durch die Berücksichtigung von Messtoleranzen Rechnung getragen werden. Darüber hinaus müsse sich der Tatrichter nur dann von der Zuverlässigkeit der Messungen überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben seien. Wie der BGH in seiner Entscheidung vom 30.10.1997 (a.a.O.) nochmals ausdrücklich bestätigt hat, ist der Tatrichter nur dann gehalten, die Zuverlässigkeit von Messungen, die mit einem standardisierten Messverfahren gewonnen worden sind, zu überprüfen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler bestehen. Diese „Anhaltspunkte“ sind freilich gerade nicht vom Betroffenen oder seiner Verteidigung darzulegen oder gar zu beweisen. Vielmehr hat der Tatrichter auch in solchen Fällen von Amts wegen die Beweisaufnahme darauf zu erstrecken, ob sich solche Anhaltspunkte ergeben.

cc) Bei Zugrundelegung dieser rechtlichen Ausgangssituation ist ein Rückgriff auf den Fairness-Grundsatz nicht geboten. Wie der Senat bereits aufgezeigt hat, handelt es sich bei dem Begehren auf Beiziehung von nicht bei den Akten befindlichen Unterlagen um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 II StPO) gerügt werden kann. Dies hat der BGH in einer grundlegenden Entscheidung zum Antrag auf Beiziehung sog. Spurenakten überzeugend dargelegt (BGH, Urt. v. 26.05.1981 - 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500 = MDR 1981, 860); auch das BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde die Richtigkeit der Einschätzung zum fair-trial-Grundsatz bestätigt (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1983 - 2 BvR 864/81 = BVerfGE 63, 45 = NJW 1983, 1043 = StV 1983, 177 = NStZ 1983, 273 = MDR 1983, 548 = EuGRZ 1983, 196). Diese Rspr. ist bis heute nicht aufgegeben worden. Vielmehr hat der BGH in einer neueren Entscheidung (BGH, Beschl. v 28.03.2017 – 4 StR 614/16 [bei juris]) nochmals explizit konstatiert, die abgelehnte Beiziehung von Akten hätte „nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 II StPO) gerügt werden“ können. Diese Rspr. wird im Übrigen von namhaften Stimmen geteilt (vgl. Meyer-Goßner NStZ 1982, 353, der treffend konstatiert: „Ob das Gericht diese Frage richtig beantwortet hat, ist an Hand der gesetzlichen Vorschriften - hier: des § 244 II StPO - zu klären; mit fair trial hat es nichts zu tun.“).

dd) Der Rekurs des VerfGH Saarbrücken, ein Betroffener dürfe nicht „bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern müsse die Möglichkeit erhalten, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen“, ist isoliert betrachtet zwar zutreffend, vermag aber einen Verstoß gegen den Fairnessgrundsatz nicht zu belegen. Der VerfGH übersieht nämlich, dass die einschlägigen Verfahrensbestimmungen zur Wahrung dieser Rechte ausreichende Möglichkeiten für den Betroffenen und die Verteidigung eröffnen und es deshalb eines Rückgriffs auf die Generalklausel des ‚fairen Verfahrens‘ überhaupt nicht bedarf. Vielmehr stellt der Gesetzgeber geeignete und auch ausreichende Instrumentarien im Verfahren zur Verfügung, die es ihm ermöglichen, in adäquater Weise bei der Ermittlung der Wahrheit, um die es allein geht, mitzuwirken. Er darf Aktenbestandteile einsehen und amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen (§ 46 I OWiG i.V.m. § 147 I und IV StPO), kann in der Hauptverhandlung das Fragerecht bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen ausüben (§ 46 I OWiG i.V.m. § 240 II StPO) und ihm steht es frei, an der Sachaufklärung durch Stellung von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen aktiv mitzuwirken. Im Falle der unzulässigen Einschränkung dieser Rechte hat er die Möglichkeit, sich mit entsprechenden Verfahrensrügen im Rechtsbeschwerdeverfahren dagegen zur Wehr zu setzen. Dies alles zeigt, dass der Gesetzgeber ausreichende Regelungen geschaffen hat, damit ein Angeklagter bzw. Betroffener sich aktiv an der Ermittlung der Wahrheit beteiligen kann. Ein von der Sachaufklärung losgelöstes Interesse kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens anerkannt werden, wie das BVerfG und der BGH (a.a.O.) überzeugend dargelegt haben. Denn es ist von vornherein nicht unfair, wenn Anträge zur Wahrheitsermittlung nichts beizutragen vermögen. Von einer Beschränkung der Rechte eines Betroffenen kann bei diesen Prämissen nicht die Rede sein. Schon gar nicht würde er dadurch zum Verfahrensobjekt gemacht.

ee) Schließlich verfängt auch der Hinweis des VerfGH Saarbrücken auf die „Waffengleichheit“ nicht. Denn zum einen findet dieser Grundsatz im Verhältnis zwischen Gericht und Angeklagten bzw. Betroffenen von vornherein keine Anwendung (BVerfG, Beschluss vom 15.01.2009 - 2 BvR 2044/07 = BVerfGE 122, 248 = EuGRZ 2009, 143 = NJW 2009, 1469 = JR 2009, 245 = JZ 2009, 675 = StV 2010, 497). Zum anderen stehen dem Gericht nicht beigezogene Unterlagen eben nicht zur Verfügung, so dass sich die vom VerfGH Saarbrücken erwähnte Problematik einer „Wissensparität“ gar nicht stellt. […]

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Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 13. Juni 2018 - 3 Ss OWi 626/18 zitiert 7 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

Strafprozeßordnung - StPO | § 147 Akteneinsichtsrecht, Besichtigungsrecht; Auskunftsrecht des Beschuldigten


(1) Der Verteidiger ist befugt, die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der Anklage vorzulegen wären, einzusehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen. (2) Ist der Abschluss der Ermittlungen noch nicht

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Bundesgerichtshof Urteil, 06. März 2018 - 1 StR 277/17

bei uns veröffentlicht am 06.03.2018

BGHSt: nein BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ________________________ GG Art. 20 Die Verletzung der Aussagefreiheit kann auch außerhalb von Vernehmungen nach §§ 136, 136a StPO zu einem Beweisverwertungsverbot führe

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juli 2016 - AK 41/16

bei uns veröffentlicht am 28.07.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS AK 41/16 vom 28. Juli 2016 in dem Strafverfahren gegen wegen Vorbereitens einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat u.a. ECLI:DE:BGH:2016:280716BAK41.16.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung

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(1) Der Verteidiger ist befugt, die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der Anklage vorzulegen wären, einzusehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen.

(2) Ist der Abschluss der Ermittlungen noch nicht in den Akten vermerkt, kann dem Verteidiger die Einsicht in die Akten oder einzelne Aktenteile sowie die Besichtigung von amtlich verwahrten Beweisgegenständen versagt werden, soweit dies den Untersuchungszweck gefährden kann. Liegen die Voraussetzungen von Satz 1 vor und befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft oder ist diese im Fall der vorläufigen Festnahme beantragt, sind dem Verteidiger die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung wesentlichen Informationen in geeigneter Weise zugänglich zu machen; in der Regel ist insoweit Akteneinsicht zu gewähren.

(3) Die Einsicht in die Protokolle über die Vernehmung des Beschuldigten und über solche richterlichen Untersuchungshandlungen, bei denen dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet worden ist oder hätte gestattet werden müssen, sowie in die Gutachten von Sachverständigen darf dem Verteidiger in keiner Lage des Verfahrens versagt werden.

(4) Der Beschuldigte, der keinen Verteidiger hat, ist in entsprechender Anwendung der Absätze 1 bis 3 befugt, die Akten einzusehen und unter Aufsicht amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen, soweit der Untersuchungszweck auch in einem anderen Strafverfahren nicht gefährdet werden kann und überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter nicht entgegenstehen. Werden die Akten nicht elektronisch geführt, können ihm an Stelle der Einsichtnahme in die Akten Kopien aus den Akten bereitgestellt werden.

(5) Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im Übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts. Versagt die Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht, nachdem sie den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat, versagt sie die Einsicht nach Absatz 3 oder befindet sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß, so kann gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Diese Entscheidungen werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.

(6) Ist der Grund für die Versagung der Akteneinsicht nicht vorher entfallen, so hebt die Staatsanwaltschaft die Anordnung spätestens mit dem Abschluß der Ermittlungen auf. Dem Verteidiger oder dem Beschuldigten, der keinen Verteidiger hat, ist Mitteilung zu machen, sobald das Recht zur Akteneinsicht wieder uneingeschränkt besteht.

(7) (weggefallen)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
AK 41/16
vom
28. Juli 2016
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Vorbereitens einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280716BAK41.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 28. Juli 2016 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Februar 2015 (6120 Js 206406/14 - 931 Gs) wird aufgehoben.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde am 25. Februar 2015 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Februar 2015 (6120 Js 206406/14 - 931 Gs) festgenommen. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe in der Zeit von Oktober 2013 bis zum 9. Februar 2014 in Syrien eine gegen das Leben gerichtete (§ 211 StGB) schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet , die nach den Umständen bestimmt und geeignet gewesen sei, die Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen, indem er sich eine Schusswaffe und eine Sprengvorrichtung verschaffte (§ 89a Abs. 1 und 2 Nr. 2 StGB); tateinheitlich hierzu habe er über Kriegswaffen die tatsächliche Gewalt ausgeübt, ohne dass der Erwerb der tatsächlichen Gewalt auf einer Genehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz beruht habe (§ 22a Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a KrWaffKontrG), sowie entgegen § 2 Abs. 3 WaffG i.V.m. Anl. 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.4 einen Gegenstand besessen, in dem unter Verwendung explosionsgefährlicher Stoffe eine Explosion ausgelöst werden könne (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 WaffG). In tatsächlicher Hinsicht wird dem Angeklagten insoweit zur Last gelegt , er habe sich ein Maschinengewehr des Typs Kalaschnikov, Handgranaten sowie eine mit Ammonium- und Kaliumnitrat gefüllte Rohrbombe verschafft, um sich an den Kampfhandlungen islamistischer Gruppierungen gegen das AssadRegime zu beteiligen; die Rohrbombe habe er am 9. Februar 2014 an die mit ihm nach islamischem Recht verheiratete H. übergeben, die mit der Sprengvorrichtung im Gepäck noch am selben Tage nach Deutschland habe zurückfliegen wollen.
2
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft sind nicht gegeben, weil deren weiterer Vollzug auf Grundlage des dem Haftbefehl zugrunde liegenden Sachverhalts angesichts des zwischenzeitlichen Verfahrensverlaufs nicht mehr verhältnismäßig ist (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO). Der Haftbefehl ist deshalb aufzuheben (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Im Einzelnen:

I.


3
Gegenstand der Haftprüfung durch den Senat ist ausschließlich der genannte Haftbefehl vom 24. Februar 2015.
4
1. Dem liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:
5
Der Haftbefehl ist dem Angeklagten am 25. Februar 2015 verkündet worden (§ 115 StPO). Am 1. Juli 2015 hat die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und des Verstoßes gegen das Waffengesetz Anklage zum Landgericht Frankfurt am Main erhoben. Dieses hat den Haftbefehl vom 24. Februar 2015 nach Maßgabe der Anklageschrift mit Beschluss vom 10. Juli 2015 aufrechterhalten, die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet und ausgeführt, es bestehe auch der dringende Tatverdacht dahin, dass sich der Angeklagte von einem Dritten habe Geld überweisen lassen, das für die Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Syrien bestimmt war (§ 89a Abs. 2 Nr. 4 StGB aF). Nachdem das Oberlandesgericht im Rahmen zweier Haftprüfungsverfahren (§§ 121, 122 StPO) am 8. September 2015 und am 22. Dezember 2015 jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet hatte, hat das Landgericht mit Beschluss vom 16. Februar 2016 den Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Februar 2015 in der Fassung des Beschlusses der Kammer vom 10. Juli 2015 aufrechterhalten, die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet und ausgeführt, dass auch der dringende Tatverdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 StGB bestehe, "der jedoch nicht Gegenstand des bislang vorliegenden Haftbefehls" sei. Mit Beschluss vom selben Tage hat es zudem im Hinblick auf die seiner Auffassung nach begründete Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (§ 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG) diesem die Akten über die Staatsanwaltschaft zur Entscheidung über die Übernahme der Sache vorgelegt. Der zuständige 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat zunächst im Rahmen der Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO mit Beschluss vom 4. April 2016 die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Er hat den Angeklagten für dringend verdächtig erachtet, sich während seines Aufenthalts in Syrien gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB strafbar gemacht zu haben, indem er die ihm vorgeworfenen Handlungen bei der in Syrien aktiven terroristischen Vereinigung "ISIG" begangen habe. Sodann hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts am 11. April 2016 - unter Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft - das Hauptverfahren vor dem Oberlandesgericht eröffnet und die Anklage der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 29. Juni 2015 mit der Maßgabe zur Hauptverhandlung zugelassen, dass die angeklagte Tat auch als tateinheitliche mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB zu würdigen sei, weil sich der Angeklagte durch diese Tat als Mitglied des "ISIG" beteiligt haben könne; dessen Zwecke und Tätigkeiten seien darauf gerichtet, Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder gemeingefährliche Straftaten wieBrandstiftung oder Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion zu begehen. Mit Verfügung vom 13. April 2016 hat der Vorsitzende des 5. Strafsenats Termin zur Hauptverhandlung , beginnend mit dem 13. Juni 2016, bestimmt.
6
Daneben hat der Generalbundesanwalt auf Grundlage der Auswertung einer im Wege der Rechtshilfe durch die Türkei im Februar 2016 erlangten CD ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten eingeleitet und mit Anklageschrift vom 25. Mai 2016 wegen weiterer Vorwürfe Anklage bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main erhoben (Az.: 5 - 3 StE 4/16 - 4 - 3/16). Gegenstand dieses Verfahrens ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich in zwei Fällen mitgliedschaftlich in einer ausländischen terroristischen Vereinigung betätigt (§ 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB), hierbei tateinheitlich gegen § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG verstoßen und in einem Fall hiervon zusätzlich ein Kriegsverbrechen gegen eine Person (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB) begangen, indem er als Mitglied des "ISIG" an Kampfhandlungen und der Verstümmelung der Leiche eines gegnerischen Kämpfers sowie deren propagandistisch nutzbarer Videoaufnahme mitgewirkt und hierbei ein Sturmgewehr besessen habe. Nachdem der Eingang dieser zweiten Anklage seitens des Generalbundesanwalts dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 24. Mai 2016 vorab angekündigt und diesem am selben Tage auch seitens des Hessischen Landeskriminalamtes mitgeteilt worden war, dass weitere Ermittlungen angestellt würden, die für dieses und das hier vorliegende Verfahren von Relevanz seien (Bd. VIII, Bl. 156), hat der Vorsitzende des 5. Strafsenats mit Verfügung vom 25. Mai 2016 die in hiesiger Sache bereits bestimmten zwölf Hauptverhandlungstermine aufgehoben und zunächst vierzehn neue Hauptverhandlungstermine, beginnend mit dem 22. August 2016 bestimmt. Im Verfahren 5 - 3 StE 4/16 - 4 - 3/16 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 16. Juni 2016 nach Maßgabe der dortigen Anklageschrift einen Haftbefehl erlassen und dem Angeklagten am 21. Juni 2016 gemäß § 115 StPO verkündet. Hinsichtlich dieses Haftbefehls ist Überhaft notiert.
7
Mit Beschluss vom 14. Juli 2016 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main die Anklage im Verfahren 5 - 3 StE 4/16 - 4 - 3/16 zur Hauptverhandlung zugelassen, den Haftbefehl vom 16. Juni 2016 aufrechterhalten und das vorliegende Verfahren zu dem Verfahren 5 - 3 StE 4/16 - 4 - 3/16 hinzuverbunden. Die Hauptverhandlung soll ab dem 22. August 2016 beginnen.
8
2. Danach ist der im Verfahren 5 - 3 StE 4/16 - 4 - 3/16 am 16. Juni 2016 durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main erlassene Haftbefehl entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts im vorliegenden Haftprüfungsverfahren nicht heranzuziehen. Prüfungsgegenstand im Haftprüfungsverfahren ist nur der nach § 122 Abs. 1 StPO vorgelegte Haftbefehl (KK-Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 121 Rn. 24). Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat indes den im Verfahren 5 - 3 StE 4/16 - 4 - 3/16 erlassenen Haftbefehl ausdrücklich nicht vorgelegt, sondern auf diesen in seinem Vorlagebeschluss vom 24. Juni 2016 nur informativ hingewiesen. Darüber hinaus ist Voraussetzung der Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO, dass der Haftbefehl vollzogen wird. Hieran fehlt es, wenn Überhaft notiert ist (vgl. KG, Beschluss vom 11. November 1996 - (4) HEs 160/96 (116/96), NStZ-RR 1997, 75; KK-Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 122 Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 121 Rn. 2; MüKoStPO/Böhm, § 121 Rn. 15), was hinsichtlich des im Verfahren 5 - 3 StE 4/16 - 4 - 3/16 erlassenen Haftbefehls vom 16. Juni 2016 der Fall ist. Zwar hat der Vertreter des Generalbundesanwalts im Rahmen der Verkündung dieses Haftbefehls erklärt, keinen Antrag auf Überhaft zu stellen (Verfahren 5 - 3 StE 4/16 - 4 - 3/16, Bd. "Vorgänge ab Anklageerhebung", Bl. 176). Die Überhaftnotierung folgt jedoch aus dem im dortigen Verfahren ergangenen Beschluss vom 14. Juli 2016 und ist darüber hinaus auch auf telefonische Nachfrage des Senats durch den Berichterstatter dieses Verfahrens bestätigt worden. Ob die Sachverhalte, die dem im Verfahren 5 - 3 StE 4/16 - 4 - 3/16 erlassenen Haftbefehl vom 16. Juni 2016 zugrunde liegen, mit dem in vorliegender Sache zu überprüfenden Vorwurf eine Tat im Sinne des § 121 StPO bilden, bedarf insoweit keiner Entscheidung.
9
Trotz der zahlreichen im vorliegenden Verfahren ergangenen Haftentscheidungen ist Gegenstand der Haftprüfung ausschließlich der Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt am Main in seiner Fassung vom 24. Februar 2015 und in dessen Folge ausschließlich der darin gegenüber dem Angeklagten erhobene Vorwurf. Es kann dahinstehen, ob in den verschiedenen Haftfortdauerentscheidungen des Landgerichts Frankfurt am Main und des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main eine Erweiterung des ursprünglichen Haftbefehls um den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB) zu sehen ist. Die Entscheidungen sind jedenfalls nicht gemäß § 115 StPO verkündet worden, der auch auf die Erweiterung des Haftbefehls entsprechend anwendbar ist. Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Verkündung des erweiterten Haftbefehls gemäß § 115 StPO, so darf er in einem Haftfortdauerbeschluss gemäß §§ 121, 122 StPO nicht berücksichtigt werden (BVerfG, Beschluss vom 20. September 2001 - 2 BvR 1144/01, NStZ 2002, 157, 158 mwN; KK-Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 121 Rn. 4, 25; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 115 Rn. 11; MüKoStPO/Böhm, § 121 Rn. 11). Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in der Vergangenheit als Haftprüfungsgericht gemäß §§ 121, 122 StPO entschieden hatte, hätte ihm überdies auch die Kompetenz zur Erweiterung oder Anpassung des Haftbefehls gefehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2014 - AK 31/14, juris Rn. 17; KK-Schultheis, StPO, 7. Aufl., § 121 Rn. 24a mwN).

II.


10
1. Der weitere Vollzug des Haftbefehls vom 24. Februar 2015 ist nicht mehr zulässig.
11
Zwar ist der Angeklagte der ihm in diesem Haftbefehl vorgeworfenen Taten dringend verdächtig; wegen der Einzelheiten nimmt der Senat insbesondere Bezug auf die Beschlüsse des Landgerichts Frankfurt vom 10. Juli 2015 und vom 16. Februar 2016, auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 4. April 2016 sowie auf die Anklageschrift vom 29. Juni 2015. Gemessen an diesen Taten steht der weitere Vollzug des Haftbefehls indes außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
12
a) Bei der vorzunehmenden Prüfung ist das Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit, das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet wird, in besonderer Weise zu beachten. Wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, kann der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen nur ausnahmsweise zulässig sein. Der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen als Korrektiv gegenübergestellt werden; dabei kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zu.
13
Dieser ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung und verlangt, dass diese nicht außer Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe steht; er setzt ihr aber auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen. Gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung vergrößert sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs regelmäßig mit zunehmender Länge der Untersuchungshaft. Daraus folgt, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zudem nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu.
14
Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen sowie eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und der Sicherstellung der etwaigen späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder auch dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, juris Rn. 39 ff. mwN; BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - StB 5/16, juris Rn. 14 ff.).
15
b) Daran gemessen ist der Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Februar 2015 nicht aufrechtzuerhalten. Die Untersuchungshaft wird bereits seit mehr als siebzehn Monaten vollzogen; seit dem Eingang der Anklageschrift vom 29. Juni 2015 bei dem Landgericht Frankfurt am Main ist zwischenzeitlich mehr als ein Jahr vergangen, ohne dass mit der Hauptverhandlung begonnen wurde. Der Senat verkennt nicht, dass sich die seit Anklageerhebung angestellten Ermittlungen insbesondere aufgrund der erforderlichen Rechtshilfeersuchen schleppend gestaltet haben. Gegenüber dem hinter diesen Maßnahmen stehende Interesse an einer vollständigen Aufklärung der Tat und einer wirksamen Strafverfolgung hat mit zunehmender Verfahrensdauer indes - auch wenn den deutschen Justizbehörden insoweit kein Versäumnis vorzuwerfen ist - das in Haftsachen besonders zu beachtende Beschleunigungsgebot und der Freiheitsanspruch des Angeklagten erheblich an Bedeutung gewonnen; insbesondere war der die Haftgrundlage maßgeblich prägende Vorwurf des Vorbereitens einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat die gesamte Zeit als solches "verhandlungsfähig". Insoweit ist auch zu beachten, dass - auch nachdem sich die Verdachtslage hinsichtlich einer mitgliedschaftlichen Betätigung im "ISIG" so verdichtet hatte, dass das Landgericht Frankfurt am Main von einem dringenden Tatverdacht ausgegangen war (Beschluss vom 16. Februar 2016) und die Sache noch am selben Tage dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main zur Entscheidung über die Übernahme vorgelegt hatte (Bd. VII, Bl. 1626 ff.) - keine Gelegenheit ergriffen wurde, den Haftbefehl vom 24. Februar 2015 der geänderten Erkenntnislage anzupassen und dem Angeklagten gemäß § 115 StPO zu verkünden (vgl. zur diesbezüglichen Schutzfunktion der Verkündung BVerfG, Beschluss vom 20. September 2001 - 2 BvR 1144/01, NStZ 2002, 157, 158; KK-Graf, StPO, 7. Aufl., § 115 Rn. 1a; MüKoStPO/Böhm/Werner, § 115 Rn. 3). Dass das Landgericht Frankfurt am Main vor seinen Entscheidungen vom 16. Februar 2016 eine mündliche Haftprüfung durchgeführt hatte, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, da deren Gegenstand ausweislich des Protokolls zum Haftprüfungstermin vom 11. Februar 2016 nur der Haftbefehl vom 24. Februar 2015 war (Bd. VII, Bl. 1581). Auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in der Folgezeit den Haftbefehl vom 24. Februar 2015 trotz Möglichkeit hierzu nicht ordnungsgemäß erweitert. Der Senat verkennt schließlich nicht, dass dem Angeklagten im Hinblick auf die seit Februar 2016 neu gewonnenen Erkenntnisse und die sich hieraus ergebenden weiteren Tatvorwürfe eine erhebliche Freiheitsstrafe droht, die einen hohen Fluchtanreiz bietet und aufgrund dieser Tatvorwürfe auch der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) erfüllt ist. Auch dies rechtfertigt bei angemessener Berücksichtigung aller Umstände in dem vorliegenden Verfahren keine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit, die sich an dem der Haftprüfung zugrunde zu legenden Haftbefehl zu orientieren hat, um die Schutzfunktion der §§ 112 ff. StPO nicht leerlaufen zu lassen. Dies gilt umso mehr, als durch die Verlegung des Beginns der Hauptverhandlung vom 13. Juni auf den 22. August 2016 eine weitere Verzögerung eingetreten ist, mag die gemeinsame Verhandlung der mittlerweile verbundenen Verfahren für sich betrachtet auch sachgerecht sein.
16
2. Im Hinblick auf die Aufhebung des Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Februar 2015 ist nunmehr der im Verfahren 5 - 3 StE 4/16 - 4 - 3/16 am 16. Juni 2016 erlassene Haftbefehl des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main zu vollziehen. Das Oberlandesgericht Frankfurt wird gehalten sein, die Akten dieses Verfahrens innerhalb der Frist des § 121 Abs. 2 StPO vorzulegen.
Becker Mayer Tiemann
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
________________________
Die Verletzung der Aussagefreiheit kann auch außerhalb von Vernehmungen nach
§§ 136, 136a StPO zu einem Beweisverwertungsverbot führen.
BGH, Urteil vom 6. März 2018 – 1 StR 277/17 – LG Traunstein
ECLI:DE:BGH:2018:060318U1STR277.17.1
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 277/17
vom 6. März 2018 in der Strafsache gegen

1.


2.



wegen Brandstiftung

ECLI:DE:BGH:2018:060318U1STR277.17.0
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 7. November 2017 in der Sitzung am 6. März 2018, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf, Prof. Dr. Radtke, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung vom 7. November 2017 –, Staatsanwältin – bei der Verkündung am 6. März 2018 – als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 7. November 2017 –, Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 7. November 2017 – als Verteidiger der Angeklagten M. , Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 7. November 2017 –, Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 7. November 2017 – als Verteidiger der Angeklagten R. , Justizobersekretärin – in der Verhandlung vom 7. November 2017 –, Justizangestellte – bei der Verkündung am 6. März 2018 – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 3. Februar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten M. und R. wegen vorsätzlicher Brandstiftung verurteilt, die Angeklagte M. zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und die Angeklagte R. zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Dagegen wenden sich die Revisionen der Angeklagten, jeweils mit der Sachrüge und verschiedenen Verfahrensrügen. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Die zur Tatzeit 52 Jahre alte Angeklagte M. kehrte nach wechselnden beruflichen Tätigkeiten und nach einer im Jahre 2004/2005 erfolgten Zwangsräumung ihrer damaligen Mü. Wohnung zu ihrer Mutter, der Angeklagten R. , zurück nach Ro. . Ab diesem Zeitpunkt ging sie keiner geregelten Tätigkeit mehr nach. Die beiden Angeklagten gründeten stattdessen eine GmbH für ein kunsthandwerkliches Gewerbe, wobei sie die Produkte zumeist an Krankenhäuser und Kliniken verkauften. Zugleich hatten sie 2008 ein Haus in O. angemietet, welches aber infolge von Mietschulden 2013 zwangsgeräumt wurde. Nach etwa viereinhalb Monaten ohne festen Wohnsitz mieteten die Angeklagten sodann eine Doppelhaushälfte in Ro. , in welcher am 19. Juli 2016 der verfahrensgegenständliche Brand gelegt wurde.
4
Nach den Feststellungen der Strafkammer kam es bei dem im Dezember 2013 abgeschlossenen Mietverhältnis zu Mietstreitigkeiten, welche zu einem Räumungsprozess führten, der am 13. Mai 2016 durch einen Vergleich beendet wurde. Hierauf gestützt wurde vom zuständigen Gerichtsvollzieher die Zwangsräumung für den 19. Juli 2016 festgesetzt.
5
Entsprechend einem von den beiden Angeklagten gefassten Tatplan erwarben sie am Räumungstag in einer nahegelegenen Tankstelle 5,58 l Benzin und brachten es in einem Benzinkanister zum Haus. Anschließend rief gegen 8.50 Uhr die Angeklagte M. beim Amtsgericht an, um das Ergebnis einer dort gerade laufenden Verhandlung zur Aufschiebung der Zwangsräumung nachzufragen, welches aber noch nicht vorlag. Beide Angeklagten nahmen daraufhin jeweils zehn Tabletten des Antidepressivums Sertralin ein. Anschließend verteilten sie an zehn räumlich voneinander getrennten Stellen im Haus sowie in der Garage jeweils zusammengerolltes Zeitungspapier und sonstiges brennbares Material, übergossen es mit Benzin und entzündeten dann die präparierten Stellen. Weil ein Teil des ausgebrachten Benzins verdampft und dadurch ein Benzindampf-Luft-Gemisch entstanden war, führte dies mit dem Anzünden zu einer explosionsartigen Verpuffung im Dachgeschoss. Die beiden Angeklagten, welche nach der Verpuffung zunächst auf den Balkon im Obergeschoss ausgewichen waren, gingen allerdings dann, um nicht bemerkt zu werden , wieder ins Haus hinein in den Bereich der offenen Balkontür. Dort hielten sie sich auf, bis sie schließlich von der durch Nachbarn herbeigerufenen Feuerwehr mittels Drehleitereinsatzes unverletzt gerettet werden konnten.
6
Infolge der Verpuffung im Dach, der zahlreichen Brandherde und des zur Löschung eingesetzten Löschwassers beim Einsatz der Feuerwehr entstanden zahlreiche Schäden am Haus, wodurch Reparaturkosten in Höhe von 161.536,48 € anfielen. Das Haus konnte erst nach Abschluss der Instandsetzungsmaßnahmen ab März 2017 wieder vermietet werden.
7
2. Das Landgericht hat sich seine Überzeugung hinsichtlich der Täterschaft der beiden Angeklagten maßgeblich auf Grund der Angaben der Angeklagten R. gegenüber dem behandelnden Arzt D. im Beisein der Zeugin KHMin K. , den späteren Äußerungen gegenüber KHMin K. sowie gegenüber dem Zeugen KHK F. am folgenden Tag, welche jeweils die Brandentstehung betrafen, gebildet. Die Angaben der Angeklagten gegenüber KHK Ra. , der die Angeklagte R. trotz ihrer nach Belehrung gemäß §§ 136, 163a StPO erfolgten Erklärung, sie wolle keine Angaben zur Sache machen, weiter befragt hatte, hat das Landgericht nicht verwertet. D. , den die Angeklagten nicht von der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht entbunden haben, hat von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO Gebrauch gemacht.

II.


8
A. Die Revision der Angeklagten R. hat bereits mit einer Verfahrensrüge umfassenden Erfolg.
9
1. Die Revision der Angeklagten R. beanstandet u.a., dass die Angeklagte R. unter Verletzung auf ihr Recht zu Schweigen polizeilich vernommen und „unmenschlich behandelt“ worden sei und beruft sich auf „§ 136 Abs. 1 S. 2, 136a Abs. 1 S. 1 StPO“ und „Art. 3 MRK“. Trotz des Wider- spruchs in der Hauptverhandlung habe die Strafkammer die Äußerungen der Angeklagten gegenüber dem behandelnden Arzt D. , die von derZeugin KHMin K. mitgehört wurden, sowie die anschließend gemachtenAngaben gegenüber KHMin K. und die weiteren Äußerungen am folgenden Tag gegenüber KHK F. bei der Fahrt zum Ermittlungsrichter zu Unrecht verwertet und ihre Überzeugungsbildung auf die rechtswidrig gewonnenen Erkenntnisse gestützt.
10
a) Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:
11
Die Angeklagte R. wurde noch im Bereich des Brandobjektes durch KHK Ra. über ihre Rechte nach §§ 136, 163a StPO belehrt. Sie äußerte daraufhin, wie auch ihre mitangeklagte Tochter, die Angeklagte M. , zur Sache nicht aussagen zu wollen. In der Folge wurden die beiden Angeklagten in unterschiedlichen Polizeifahrzeugen ins Klinikum Ro. verbracht, um mögliche gesundheitliche Folgen der Raucheinwirkungen abklären zu lassen. Mit der Begleitung der Angeklagten R. war die Kriminalbeamtin KHMin K. beauftragt worden, welche, wie bei der Kriminalpolizei üblich, Zivilkleidung trug. Auf dem Weg zum Auto fragte die Angeklagte R. die Beam- tin, obgleich es hierfür keinen Anlass gab, ob sie Ärztin sei, was diese verneinte und auf ihren Polizeibeamtenstatus hinwies.
12
Im Krankenhaus wartete die Zeugin KHMin K. mit derAngeklagten auf den zuständigen Arzt D. , wobei die Beamtin das Gespräch mit der Angeklagten in Kenntnis dessen fortführte, dass sich diese vor einem Gespräch mit einem Rechtsanwalt nicht zur Sache äußern wollte. Als der Arzt eintraf, ging sie zusammen mit der Angeklagten in das Behandlungszimmer.
13
Als die Angeklagte sich zur Untersuchung durch den Arzt teilweise entkleidete , fragte sie, ob sie hinausgehen sollte, erhielt jedoch weder vom Arzt noch der Angeklagten irgendeine Antwort, worauf sie im Raum verblieb. Die Angeklagte gab auf Befragen des Arztes an, sie habe, genauso wie ihre Tochter , die Angeklagte M. , zehn Tabletten des Medikamentes Sertralin ge- nommen. Zudem wäre viel Rauch entstanden. Sie hätten „Benzin ausgeschüttet und das ausgeschüttete Benzin angezündet, überall im Erdgeschoss“, davor hätten sie „Tabletten genommen“. Nachdem die Angeklagte auf Fragen des Arztes zur Brandentstehung und -entwicklung wie vorstehend geantwortet hatte , verließ die Zeugin KHMin K. kurz den Raum, um sich bei ihren Kollegen zu vergewissern, dass die Angeklagte bereits belehrt worden sei, und ging dann – nach Bejahung der Frage – in den Untersuchungsraum zurück, wo sie bis zum Ende der ärztlichen Untersuchung verblieb.
14
Danach begleitete die Zeugin KHMin K. die Angeklagte R. zur Bewachung auf die Intensivstation des Krankenhauses, für die sie bis 18.45 Uhr abgestellt war. Auch dort kam es zu weiteren Gesprächen, nachdem die Angeklagte die Zeugin KHMin K. mehrfach an ihr Bett kommen ließ, um in Erfahrung zu bringen, wie es ihrer Tochter gehe. Dabei äußerte sie u.a.
wörtlich, dass sie einfach „nicht mehr konnten“ und „wir haben einfach alles angezündet“.
15
Am nächsten Morgen transportierten die Zeugen KHK S. und KHK F. die Angeklagte zur Vorführung zum Amtsgericht Ro. , wobei sie erneut belehrt wurde. Nach der Belehrung führte der Zeuge KHK F. ein „Gespräch“, in dem sich die Angeklagte R. dahingehend einließ, dass „alles zuviel gewesen sei“.
16
b) Der Verwertung dieser Angaben – nach der Berufung auf das Schweigerecht der Angeklagten R. – haben beide Angeklagte am zweiten Hauptverhandlungstag vor der Vernehmung der Ermittlungsbeamten widersprochen. Trotz des Widerspruchs hat die Strafkammer ihre Überzeugung von der Mittäterschaft der Angeklagten R. und M. insbesondere auf die Aussagen der Zeugen KHMin K. und KHK F. gestützt. Die Angaben gegenüber dem Zeugen KHK Ra. am Tatort hat sienicht verwertet. Hinsichtlich der Verwertung der Angaben im Behandlungszimmer hatte die Strafkammer – im Gegensatz zur Vernehmung durch KHK Ra. – keine Bedenken , da der Angeklagten R. bewusst gewesen sei, dass die Polizistin den Untersuchungsraum nicht verlassen habe. Die Angaben am Krankenbett hält die Strafkammer für verwertbare freiwillige Spontanäußerungen außerhalb einer Vernehmungssituation, die Angaben gegenüber dem Zeugen KHK F. seien nach erneuter Belehrung eigenverantwortlich und aus freiem Willen erfolgt.
17
2. Die Verfahrensrüge hat Erfolg, weil die verfassungsrechtlich garantierte Selbstbelastungsfreiheit der Angeklagten R. verletzt wurde und dies zu einem Beweisverwertungsverbot führt.

18
a) Es ist allerdings fraglich, ob das Gesamtgeschehen um die ärztliche Untersuchung der Angeklagten R. – wie die Beschwerdeführerin meint – als „Vernehmung“ im Sinne der §§ 136, 136a StPO anzusehen ist. Denn eine Vernehmung liegt nur dann vor, wenn der Vernehmende dem Beschuldigten in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihm Auskunft verlangt (BGH, Beschluss vom 13. Mai 1996 – GSSt 1/96 Rn. 21, BGHSt 42, 139, 145 f.). Dies mag hier, insbesondere im Blick auf die ärztliche Untersuchung, zweifelhaft sein. Aus dem Gesamtzusammenhang des Rügevorbringens und seiner hieraus deutlich gewordenen Angriffsrichtung lässt sich jedoch sicher entnehmen, dass die Beschwerdeführerin – über die Vernehmung hinaus – die Verletzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit der ärztlichen Untersuchung und ihrer Zuführung dorthin geltend machen wollte. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Beschwerdeführerin diesen Gesamtkomplex als Verstoß gegen Art. 3 MRK gewertet wissen will.
19
Der Senat braucht auch nicht zu entscheiden, ob die Beanstandung der Beschwerdeführerin als Rüge der Verletzung des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) auszulegen und zulässig ausgeführt wäre. Dem könnte entgegenstehen, dass sich der Fairnessgrundsatz (ebenso wie die hiermit korrelierende grundgesetzliche Verbürgung) nur auf das Verfahren in seiner Gesamtheit bezieht (vgl. LR-Esser, 26. Aufl., Art. 6 EMRK Rn. 183 ff.). Das Rügevorbringen befasst sich jedoch ausdrücklich nur mit den Geschehnissen um die Zuführung zum Arzt, dessen Behandlung, dem nachfolgenden Krankenhausaufenthalt sowie dem anschließenden Transport zum Ermittlungsrichter. Eine ausdrückliche Beanstandung des Fairnessgrundsatzes fehlt ebenso wie eine Information über den gesamten Verfahrensgang, die erst eine Gesamtbewertung des Verfahrens ermöglichen würde.

20
Die Verfahrensrüge ist vielmehr als Rüge der Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit anzusehen, weil die Angeklagte R. im Kern beanstandet , dass sie wegen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen, der Notwendigkeit ärztlicher Hilfe und dem hartnäckigen Verhalten der Ermittlungsbeamten ihre Aussagefreiheit faktisch nicht wahrnehmen konnte. Eine solche Verfahrensbeanstandung ist auch jenseits einer einfachgesetzlichen Anbindung statthaft.
21
b) Die Rüge ist zulässig erhoben, weil die Vortragserfordernisse (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) auch mit Blick auf diesen nicht ausdrücklich benannten Verfahrensverstoß gewahrt sind. Ob es bei dieser Rüge eines vorrangigen Widerspruchs in der Hauptverhandlung bedurfte, ist nicht entscheidungserheblich, weil ein umfassender Widerspruch gegen die Verwertung von Zeugenaussagen vorlag (vgl. etwa zu § 136 StPO vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2014 – 5StR 176/14, BGHSt 60, 38, 40 Rn. 6 und vom 3. Dezember 2003 – 5 StR 307/03, NStZ 2004, 389; ablehnend bei Kernbereichsverletzungen: BeckOKStPO /Eschelbach, 29. Ed., StPO, § 257 Rn. 21).
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c) Die Rüge ist auch begründet.
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aa) Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) sind notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Oktober 1974 – 2 BvR 747/73, BVerfGE 38, 105, 113; vom 22. Oktober 1980 – 2 BvR 1172/79, BVerfGE 55, 144, 150 f. und vom 13. Januar 1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37, 43). Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist im Rechts- staatsprinzip verankert und hat Verfassungsrang (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Oktober 1974 – 2 BvR 747/73, BVerfGE 38, 105, 113; vom 22. Oktober 1980 – 2 BvR 1172/79, BVerfGE 55, 144, 150; vom 13. Januar 1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37, 43 und vom 14. Januar 2004 – 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1, 31). Er umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit innerhalb des Strafverfahrens (BVerfG, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 BvR 2048/13, NJW 2014, 3506 f. Rn.13). Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37, 49; Urteil vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98, BVerfGE 109, 279, 324). Der Beschuldigte muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. Oktober 1974 – 2 BvR 747/73, BVerfGE 38, 105, 113 und vom 13. Januar 1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37, 43; BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 – 3 StR 104/07, BGHSt 52, 11, 17 ff. Rn. 20, 26 f.).
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bb) Eine solche eigenverantwortliche Entscheidung war bei der Angeklagten R. nicht gegeben. Dies ergibt hier eine Gesamtbewertung der Vorgänge um die Zuführung der Angeklagten zu dem Arzt D. und die dort stattgefundene Untersuchung.
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Dabei ist entscheidend, dass sich die Angeklagte nach der ersten Belehrung im ununterbrochenen polizeilichen Gewahrsam befand, in dem zu keinem Zeitpunkt auf ihr Recht zu Schweigen Rücksicht genommen wurde. Letztlich war sie auf diese Weise einer dauerhaften Befragung ausgesetzt. Das begann schon während des Transports der Angeklagten zum Arzt. Dabei lenkte die Polizeibeamtin KHMin K. immer wieder das Gespräch auf die Tat, ebenso wie auch im Wartebereich vor dem Arztzimmer. Die Angeklagte hatte zuvor ausdrücklich von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Sie war – weshalb sie ja einem Arzt vorgestellt werden musste – in einer gesundheitlich sehr angeschlagenen Verfassung. Sie hatte eine Überdosis Psychopharmaka zu sich genommen und befand sich bei deutlich erhöhter Pulsfrequenz in der Angst, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Schon diese prekäre gesundheitliche Verfassung der dezidiert nicht aussagebereiten Angeklagten R. verbot weitere Fragen. Dies gilt umso mehr als die Angeklagte R. – wie sich aus ihrer Frage „sind Sie Ärztin“ ergibt – sie gar nicht als Kriminalbeamtin wahrgenommen hat.
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Weiterhin beeinträchtigten die Gesamtumstände der ärztlichen Untersuchung die Angeklagte R. in ihrer Aussagefreiheit. Die 75-jährige Angeklagte war dringend behandlungsbedürftig. Um einen korrekten ärztlichen Befund zu erhalten, war die Angeklagte R. gezwungen, möglichst genaue Angaben zur Brandentstehung zu machen, auch wenn dies mit einer Selbstbelastung einherging. Diese Zwangssituation hat die Zeugin KHMin K. mit ihrer Anwesenheit bewusst ausgenutzt, um die entsprechenden Erkenntnisse zu erheben, gerade weil sie genau wusste, dass die Angeklagte erklärt hatte, keine Angaben gegenüber den Ermittlungsbehörden machen zu wollen.
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Auch war ihre Anwesenheit bei der Untersuchung nicht deswegen erforderlich , um die Gefahr einer Flucht der Angeklagten zu unterbinden, was bereits daraus hervorgeht, dass sie nach sich und ihre Tochter belastenden Äußerungen der Angeklagten den Behandlungsraum verließ, um sich bei ihren Kollegen zu versichern, dass die Angeklagte belehrt worden war.
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Dabei ist es auch unerheblich, dass die Polizeibeamtin im Behandlungszimmer die Frage gestellt hatte, ob sie hinausgehen solle, ohne allerdings irgendeine Antwort zu erhalten. Dies konnte sie nicht automatisch als Zustimmung werten, weil auch die Möglichkeit bestand, dass die Frage weder vom Arzt noch der Angeklagten gehört worden war, zumal die Zeugin aus dem Vorgeschehen entnehmen musste, dass die bereits ältere Angeklagte in ihrer Orientierung offensichtlich beeinträchtigt war. Jedenfalls hätte die Zeugin bei dieser Sachlage sicherstellen müssen, dass ihre Frage trotz Ausbleibens einer Antwort Gehör gefunden hatte, was aber nicht erfolgt ist.
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cc) Danach kann es dahinstehen, ob das Arzt-Patienten-Gespräch wie im vorliegenden Fall nicht ohnehin einem absoluten Verwertungsverbot wegen einer Verletzung des Kernbereichsschutzes unterliegt (vgl. BGH, Urteile vom 10. August 2005 – 1 StR 140/05 Rn. 15, BGHSt 50, 206, 210 und vom 22. Dezember 2011 – 2 StR 509/10, BGHSt 57, 71, 74 ff. Rn. 13 ff.). Ist der Kernbereich betroffen, sind Ermittlungsmaßnahmen unzulässig (BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 – 2 BvR 236/08 Rn. 265, BVerfGE 129, 208, 265 f.; Urteil vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98 Rn. 152, BVerfGE 109, 279, 322 f.; vgl. auch BT-Drucks. 16/5846, S. 36 f.). Einen derartigen Schutz haben sowohl der Gesetzgeber als auch das Bundesverfassungsgericht im Falle von Arztgesprächen ausdrücklich für möglich gehalten (BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 – 2 BvR 236/08 Rn. 265, BVerfGE 129, 208, 265 f.; vgl. auch BT-Drucks. 16/5846, S. 36 f.). Näherer Vertiefung bedarf hier diese Frage indes nicht, weil bereits wegen des Verstoßes gegen die Aussagefreiheit ein Beweisverwertungsverbot besteht.
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dd) In Bezug auf die der ärztlichen Untersuchung nachfolgenden Gespräche der KHMin K. am Krankenbett, bestehen grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken gegen deren Verwertbarkeit, da die Angeklagte R. selbst die Zeugin hat rufen lassen, um von ihr Näheres zum Gesundheitszustand ihrer Tochter zu erfahren, und dann von sich aus einige Details zur Brandlegung erzählte, so dass insoweit ihr Schweigerecht von den Ermittlungsbehörden respektiert wurde. Allerdings hat das Landgericht seine Überzeugung von der Täterschaft beider Angeklagter neben den Äußerungen am Krankenbett und bei der Fahrt zum Ermittlungsrichter gegenüber KHK F. gerade auch auf ihre Angaben während der ärztlichen Untersuchung gestützt, so dass der Senat nicht ausschließen kann, dass der Tatrichter abweichende Feststellungen getroffen hätte, wenn er diese Angaben nicht in seine Gesamtschau aufgenommen hätte, zumal diese nahezu einem Geständnis gleichkommen.
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ee) Der Senat kann daher auch dahin stehen lassen, ob die Belehrung durch KHK F. am darauffolgenden Tag ausreichend war, oder er angesichts der unverwertbaren Erkenntnisse anlässlich der ärztlichen Untersuchung nicht eine qualifizierte Belehrung hätte erteilen müssen, durch welche die Angeklagte R. darüber in Kenntnis gesetzt worden wäre, dass die von ihr gegenüber dem behandelnden Arzt D. gemachten Äußerungen grundsätzlich unverwertbar sind. Insoweit kann der Senat nicht beurteilen, ob sie auch dann die fraglichen Mitteilungen gegenüber dem Zeugen KHK F. getätigt hätte, wenn ihr die Unverwertbarkeit der gegenüber dem Arzt gemachten Angaben bewusst gewesen wären. Jedenfalls gilt auch insoweit, dass der Senat keine Feststellungen treffen kann, ob – eine Verwertbarkeitunterstellt – die Angaben gegenüber KHK F. ohne die Angaben gegenüber D.
dem Tatrichter eine ausreichende Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten vermittelt hätten.
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B. Revision der Angeklagten M.
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Die Revision der Angeklagten M. hat im selben Umfang Erfolg. Auch deren Verurteilung ist im Wesentlichen auf die Angaben ihrer Mutter, der Mitangeklagten R. gestützt. Wegen seiner Absolutheit entfaltet dieses Beweisverwertungsverbot seine Wirkung auch auf die von den Eingriffen in die Aussagefreiheit der Mitangeklagten nicht unmittelbar betroffene Angeklagte M. . Dies gilt hier in besonderem Maße, weil die Angeklagte R. gegenüber ihrer Tochter zudem ein Zeugnisverweigerungsrecht gehabt hätte (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 15. Dezember 1987 – 5 StR 649/87, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 3), in dessen Ausübung mittelbar gleichfalls eingegriffen wurde.
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C. Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung, da der Senat nicht ausschließen kann, dass die Strafkammer ohne die unverwertbaren Erkenntnisse ebenso von der Täterschaft der beiden Angeklagten überzeugt gewesen wäre; denn gerade bei der ärztlichen Untersuchung hatte die Angeklagte R. sich eindeutig eingelassen: „Wir haben Benzin aus- geschüttet und das ausgeschüttete Benzin angezündet […]“. Diesen Vorgang hat sie danach nicht mehr in dieser Eindeutigkeit beschrieben. Zwar hat Sie im Krankenzimmer nochmals bekundet, „Wir haben einfach alles angezündet.“ und am darauf folgenden Tag, dass „ihr alles zu viel gewesen sei“. Diese Aus- sagen für sich allein hätten allerdings in eine Gesamtwürdigung eingestellt werden müssen. Sollte der einzelne Tatbeitrag aufgrund der verbleibenden Beweismittel zur Überzeugung der neuen Kammer nicht feststellbar sein, weist der Senat darauf hin, dass nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ ggf. auch wech- selseitig eine Beihilfetat der Angeklagten in Betracht kommen könnte.
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D. Nachdem die angefochtene Entscheidung bereits auf die bezeichnete Verfahrensrüge aufzuheben war, kommt es auf die Sachrüge nicht mehr an. RiBGH Prof. Dr. Graf ist im Urlaub und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum Raum Radtke Fischer Bär

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.