Oberlandesgericht Bamberg Beschluss, 18. Mai 2018 - 1 Ws 183/18
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Urteil einreichenOberlandesgericht Bamberg Beschluss, 18. Mai 2018 - 1 Ws 183/18 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen den Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 07.12.2017 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der dem Verurteilten durch das Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
II.
„Grundlage für eine vollständige Anrechnung ist eine entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB (…). Eine unmittelbare Anwendung scheidet aus, da die Norm nur die Anrechnung von aus Anlass der Tat und bis zur Rechtskraft des Urteils erlittener Freiheitsentziehung vorsieht (vgl. OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 [253]; Fischer, StGB 62. Aufl., § 51 Rdn. 8 mit weit. Nachweisen). Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung sind dagegen gegeben. Es besteht eine planwidrige Gesetzeslücke (siehe dazu nachfolgend a); zudem ist der hier zu beurteilende Sachverhalt mit dem in § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB geregelten Tatbestand im Hinblick auf die Interessensituation so vergleichbar, dass die dort vorgesehene „Vollanrechnung“ angesichts des Regelungszwecks und -plans des Gesetzgebers geboten erscheint (siehe dazu nachfolgend b).
a) Eine planwidrige Gesetzeslücke liegt vor.
aa) Zwar erfasst § 67 Abs. 4 StGB, der nur eine beschränkte Anrechnung vorsieht, seinem Wortlaut nach auch den Fall der Erledigung der Unterbringung gemäß § 63 StGB wegen einer anfänglichen Fehldiagnose. Denn dann kommt es entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift ebenfalls zur Aufeinanderfolge von Maßregel und Strafe. Gegen einen solchen - auch die Erledigung wegen anfänglicher Fehlprognose umfassenden - weiten Anwendungsbereich sprechen jedoch sowohl die Historie als auch der Sinn und Zweck der Norm (so auch OLG Dresden OLG-NL 1996, 23; vgl. zudem OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 [253]).
§ 67 StGB ist durch das 2. StrRG vom 4. Juli 1969 in das StGB eingefügt worden. Das bis dahin geltende Kumulationsprinzip, welches eine Aufeinanderfolge von Strafe und Maßregel ohne Anrechnungsmöglichkeit vorsah, wurde durch das vikariierende System abgelöst. Hiernach war regelmäßig zunächst die Maßregel und dann erst - unter vollständiger Anrechnung des Maßregelvollzugs - die Strafe zu vollstrecken. Im Zuge des 23. StrÄndG vom 13. April 1986 wurde § 67 Abs. 4 StGB neu gefasst und die vollständige Berücksichtigung der Zeit im Maßregelvollzug wiederum eingeschränkt. Nach der - soweit es Satz 1 betrifft - heute noch geltenden Fassung wurde das letzte Drittel der Strafe von der Anrechnungsmöglichkeit ausgenommen (vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte BVerfG NJW 2012, 1784 ff. Rdn. 5 ff.). Zu den Gründen wird in der BT-Drucks. 10/2720, S. 13 Folgendes ausgeführt:
„Für die Neufassung des § 67 Abs. 4 StGB sind die gleichen Gesichtspunkte maßgebend, die der Regelung des § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG zugrunde liegen. In dem Bericht des federführenden Bundestags-Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit aus der 8. Wahlperiode (BT-Drucksache 8/4283, S. 6, rechte Spalte) heißt es hierzu:
Zum anderen trägt die Regelung der Erwägung Rechnung, dass der Drogenabhängige unter dem Druck einer drohenden Freiheitsstrafe eher bereit sein wird, sich einer Therapie zu unterziehen. Um zu verhindern, dass dieser Druck bei Freiheitsstrafen, deren Dauer kürzer ist als die erforderliche Behandlungszeit, dadurch gegenstandslos wird, dass die Zeit der Therapie auf die Freiheitsstrafe voll angerechnet wird, erfolgt eine Anrechnung nur solange, bis aufgrund der Anrechnung zwei Drittel der Strafe als verbüßt anzusehen sind. Der Rest der Strafe wird alsdann zur Bewährung ausgesetzt, so dass als motivierender Faktor der Druck der bedingten Strafaussetzung erhalten bleibt.
Diese Erwägungen müssen in gleicher Weise für den Maßregelvollzug nach den §§ 63 und 64 StGB gelten. Die Bereitschaft, an der eigenen Rehabilitation mitzuwirken, soll auch in diesen Fällen durch den Druck einer jedenfalls noch nicht vollständig erledigten Freiheitsstrafe gefördert werden. Dabei nimmt der Entwurf - ebenso wie § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG - lediglich ein Drittel der Strafe von der Anrechnungsmöglichkeit des § 67 Abs. 4 StGB aus, d. h. den Zeitraum, der bei einer guten Sozialprognose des Verurteilten in jedem Falle aussetzungsfähig ist.“
Aus alledem wird deutlich, dass der Gesetzgeber die Anrechnungsmöglichkeit allein mit Blick auf den nach §§ 63, 64 StGB untergebrachten „Regelinsassen“ beschränken wollte. Dieser war nach den Vorstellungen des Gesetzgebers u.a. dadurch gekennzeichnet, dass er entweder unter einer Suchterkrankung litt oder eine psychische Störung aufwies, der nur durch den „heilsamen Druck“ - der ausstehenden Entscheidung über die Vollstreckung des letzten Strafdrittels - zu einer Mitarbeit an der eigenen Rehabilitation motiviert werden könne (so pointiert Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug 7. Aufl., S. 40 f.). Ersichtlich nicht im Blick hatte der Gesetzgeber dabei aber diejenigen Betroffenen, die allein aufgrund einer Fehldiagnose untergebracht waren und bei denen mangels einer maßgeblichen Erkrankung oder einer sonstigen Störung eine sinnvolle Behandlung von vornherein nicht in Betracht kam. Solcherlei Untergebrachte zu einer Mitarbeit an der eigenen Rehabilitation zu motivieren, muss ins Leere laufen und ist sinnlos.
bb) Einer analogen Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB stehen schließlich auch die Bestimmungen zur Wiederaufnahme (§§ 359 ff. StPO) nicht entgegen (a.A. OLG Frankfurt, OLG Brandenburg und der Senat a.a.O.). Denn spätestens mit der Einfügung des § 67[d eingefügt durch den Senat] Abs. 6 StGB im Zuge des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er auch mit Blick auf das Problem der anfänglichen Fehldiagnose der - von der Rechtsprechung bis dahin ohnehin schon favorisierten (und vom BVerfG in NStZ 1995, 174 gebilligten) - Vollstreckungslösung den Vorzug vor der Wiederaufnahmelösung gibt (vgl. dazu OLG Jena NStZ-RR 2011, 61; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 324 [325]; Berg/Wiedner, StV 2007, 434 mit weit. Nachweisen; a.A. OLG Dresden StraFo 2005, 432, das bei einer anfänglichen Fehldiagnose die Anwendbarkeit des § 67 Abs. 6 StGB überhaupt verneint; vgl. dazu die überzeugende Kritik von Berg/Wiedner a.a.O. S. 436 Fußnote 17). Offensichtlich ist, dass der Gesetzgeber dabei schlicht versäumt hat, eine weitergehende Anrechnungsmöglichkeit für die Fälle der anfänglichen Fehldiagnose zu schaffen. Denn dass der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang den Vollstreckungsgerichten einerseits die Möglichkeit einräumen wollte, auch eine auf einer anfänglichen Fehldiagnose beruhende Unterbringungsanordnung für erledigt zu erklären - und damit jedenfalls in ähnliche Weise wie ein Wiederaufnahmegericht wenn nicht das in Rechtskraft erwachsene Urteil, so doch jedenfalls dessen Auswirkungen für die Zukunft aufzuheben (vgl. eingehend dazu Radtke, Festschrift Schöch [2010], S. 695 [706]) -, andererseits aber vor allem mit Blick auf die nachfolgenden Fragen der Anrechnung des Maßregelvollzugs auf den beschwerlichen Weg der Wiederaufnahme verweisen wollte, findet in den Gesetzesmaterialien keine Stütze.
Hinzu kommt, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens bei einer anfänglichen Fehldiagnose zwar nach § 373 Abs. 1 StPO zur Beseitigung der früheren Maßregelanordnung führen würde. Eine Anrechnung des Maßregelvollzugs auf eine im neuen Urteil erkannte Strafe ist aber im Wiederaufnahmerecht nicht vorgesehen. Die §§ 359 ff. StPO regeln das Wiederaufnahmeverfahren bis hin zur erneuten Hauptverhandlung mit dem Ergebnis der Aufrechterhaltung des Urteils oder einer anderweitigen Entscheidung (§ 373 Abs. 1 StPO). Zur (etwaigen) Anrechnung schon vollstreckter Rechtsfolgen aus dem früheren Urteil verhalten sich die §§ 359 ff. StPO jedoch nicht. Eine solche Anrechnung ist zwar grundsätzlich nach § 51 Abs. 2 StGB möglich, nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift aber auf „Strafen“ beschränkt; eine Anrechnung von bereits vollstreckten Maßregeln auf Strafen ist nach § 51 Abs. 2 StGB nicht möglich (vgl. Fischer, StGB 62. Aufl., § 51 Rdn. 13; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB 29. Aufl., § 51 Rdn. 25; Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 373 Rdn. 30 bis 32; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., § 373 Rdn. 8, 9; Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen 3. Aufl., Rdn. 438). Insoweit verbleibt dem Verurteilten lediglich ein Anspruch auf Entschädigung nach §§ 1, 7 StrEG (vgl. Marxen/Tiemann a.a.O. Rdn. 560 ff.). Eine Kompensation allein nach den Regeln des StrEG wäre vorliegend aber ersichtlich unzureichend; sie stünde mit dem Grundrecht des Verurteilten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht in Einklang und verstieße gegen das Übermaßverbot (so BVerfG NJW 1995, 2405 unter Aufhebung des Beschlusses des OLG Frankfurt NStZ 1993, 252).
Nach alledem ist von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen.
b) Diese ist durch eine entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB zu schließen, da vorliegend eine vergleichbare Interessenlage besteht. Im Einzelnen:
Bei einem Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Freiheit einer Person nur soweit beschränkt werden darf, als dies im öffentlichen Interesse unbedingt erforderlich ist (vgl. BVerfGE NJW 2012, 1784 Rdn. 56 ff. mit weit. Nachweisen). § 51 Abs. 1 Satz 1 StPO stellt eine einfachgesetzliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Die in Gestalt der Untersuchungshaft erlittene Freiheitsentziehung soll nach allgemeinen Aufopferungsgrundsätzen ausgeglichen werden, da sie dem Bürger zur Absicherung der effektiven Strafverfolgung zugemutet worden ist (Maier in MK-StGB 2. Aufl., § 51 Rdn. 1). Ihr wie auch anderen Vorschriften wie z.B. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB, §§ 450 Abs. 1, 453c Abs. 2 Satz 1 StPO liegt der Gedanke zugrunde, dass eine staatlich veranlasste überobligatorische Freiheitsentziehung möglichst frühzeitig und effektiv, nämlich im Wege der „Naturalrestitution“ zu kompensieren ist. Eine solche Sichtweise entspricht zudem dem Gebot der grundrechtsschonenden Auslegung (vgl. dazu BGHSt 52, 191 [204]). Angesichts der Bedeutung des Freiheitsgrundrechts beabsichtigte der Gesetzgeber eine möglichst umfassende Anwendung des § 51 StGB. Dementsprechend ist die Regelung weit auszulegen (BVerfG NStZ 2000, 277 [278]; Maier a.a.O.). Der Rechtsgedanke des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB ist daher auch auf andere Fallgestaltungen übertragen worden, wie etwa der Bewilligung eines Härteausgleichs bei der Gesamtstrafenbildung wegen vollständiger Vollstreckung einer einbeziehungsfähigen Strafe (vgl. BGH NStZ 2010, 386; vgl. zudem BGH NJW 2008, 860 [863 f.] zur Kompensation von rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen und BGH NJW 2008, 307 [309] zur Kompensation einer Verletzung von Art. 36 WÜK).
Die vorgenannten Erwägungen greifen in gleicher Weise bei der Frage der Anrechnung von Maßregelvollzugszeiten, denen eine Unterbringungsanordnung zugrunde lag, die für erledigt erklärt worden ist, weil sie auf einer anfänglichen Fehldiagnose beruhte. Hier wie dort hat der Betroffene eine durch die gesetzlichen Zwecke von Strafe und Maßregel nicht gerechtfertigte Einbuße seiner persönlichen Freiheit erlitten und ein Sonderopfer erbracht. Während dies bei der Untersuchungshaft darauf beruht, dass ein Urteil, welches eine Freiheitsentziehung rechtfertigen könnte, noch gar nicht ergangen ist, liegt im zweiten Fall zwar schon ein Urteil vor, das jedoch hinsichtlich der Anordnung der Maßregel sachlich falsch und gesetzwidrig ist. Wenn aber schon eine allen gesetzlichen Regeln entsprechende Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB durch Anrechnung auszugleichen ist, muss dies erst recht gelten, wenn die Unterbringung auf einer von Beginn an falschen Diagnose beruhte und damit zu keiner Zeit hätte angeordnet und - bei materieller Betrachtung - vollzogen werden dürfen (vgl. Maier in MK-StGB 2. Aufl., § 67 Rdn. 124; Loos NStZ 1993, 254 [255]).
4. Die nach alledem gebotene unbeschränkte Anrechnung der Zeit im Maßregelvollzug führt schließlich auch nicht zu bedenklichen Schutzlücken (vgl. dazu Schneider, NStZ 2004, 649). Solcherlei Lücken sind (spätestens) mit dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 für die vorliegende Konstellation geschlossen worden. Der damals in das StGB eingefügte § 66b - in der heute gelten Fassung - erlaubt die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von besonders gefährlichen Betroffenen auch dann, wenn deren Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - wie hier - nach § 67d Abs. 6 StGB für erledigt worden ist und die weiteren in der Vorschrift genannten Voraussetzungen vorliegen.“
In den Fällen der §§ 174 bis 174c, 176 bis 180, 181a, 182 und 184b kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) werden Ziffer II. bis VI. des Beschlusses des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 7 als Strafvollstreckungskammer, vom 20. Dezember 2017 aufgehoben.
2. Im Vollstreckungsverfahren betreffend das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 3. Januar 2008 werden die Zeiten des Maßregelvollzugs nur bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind auf die Strafe angerechnet.
3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
- 1
Mit seit dem 15. Januar 2008 rechtskräftigem Urteil vom 3. Januar 2008 hat das Landgericht Frankfurt (Oder) den Verurteilten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie entschieden, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vor der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu vollziehen ist.
- 2
Mit Beschluss vom 9. März 2010 hat das Landgericht Frankfurt (Oder) die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mangels Erfolgsaussicht für erledigt erklärt und den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
- 3
Der Verurteilte befand sich im vorliegenden Verfahren vom 25. Juni 2007 bis 8. Oktober 2008 in Polizei- und Untersuchungshaft. Vom 9. Oktober 2007 bis 14. Januar 2008 war er vorläufig untergebracht nach § 126a StPO im M.-G.-Krankenhaus in E., vom 15. Januar 2008 bis 29. März 2010 im Maßregelvollzug nach § 64 StGB, vom 30. März 2010 bis 8. Juli 2015 im Maßregelvollzug nach § 63 StGB jeweils im M.-G.-Krankenhaus und seither weiter im Maßregelvollzug nach § 63 StGB in der A. Klinik N.-O. in H..
- 4
Mit Beschluss vom 20. Dezember 2017 hat das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 7 als Strafvollstreckungskammer, die Unterbringung nach § 63 StGB für erledigt erklärt und die Entlassung des Verurteilten aus dem Maßregelvollzug angeordnet (Ziffer I. des Beschlusses).
- 5
Da die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach Auffassung der Strafvollstreckungskammer auf einer anfänglichen Fehldiagnose im Erkenntnisverfahren beruhte, hat die Kammer weiter entschieden, dass die Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 3. Januar 2008 „durch Anrechnung der vollzogenen Maßregel vollständig vollstreckt ist“ (Ziffer II.) sowie weitere Anordnungen betreffend die nach Vollverbüßung der Strafe eintretende Führungsaufsicht getroffen (Ziffer III. bis VI.).
- 6
Mit ihrer am 22. Dezember 2017 beim Landgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, welcher die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist und auf deren Verwerfung der Verurteilte angetragen hat, wendet sich die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) unter ausdrücklicher Billigung der Erledigterklärung der Maßregel gegen den Beschluss vom 20. Dezember 2017, soweit diesem eine vollständige, über zwei Drittel der Strafe hinausgehende Anrechnung der Zeiten des Maßregelvollzugs auf die Strafe zu Grunde liegt.
II.
- 7
Das einheitlich als sofortige Beschwerde auszulegende Rechtsmittel ist statthaft (§§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 1 und 3 Satz 1 StPO) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere binnen der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt. Es führt zur Aufhebung und Änderung des angefochtenen Beschlusses, soweit die Strafvollstreckungskammer die Zeit des Maßregelvollzugs vollständig auf die Strafe angerechnet hat.
- 8
1. Wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen, so ist gemäß § 67 Abs. 4 StGB die Zeit des Maßregelvollzugs auf die Strafe anzurechnen, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.
- 9
Bei dieser nur teilweisen Anrechnung der Maßregelvollzugszeiten nach § 67 Abs. 4 StGB bleibt es im Vollstreckungsverfahren auch dann, wenn die Anordnung des Maßregelvollzugs auf einer Fehldiagnose beruhen und deshalb ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB beim Verurteilten nicht vorgelegen haben könnte (BVerfG NStZ 1995, 174; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. September 2007, Az.: 2 BvR 1844/07, juris Rn. 5 f.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 11. Februar 2008, Az.: 1 Ws 12/08, juris Rn. 14 f.; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 58, 59 f. und Beschluss vom 3. Juni 2005, 3 Ws 298-299/05, juris Rn. 13 ff. und 18; LK-Schöch § 67 Rn. 29; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder § 67 Rn. 5; Jehle in Satzger/Schluckebier/Widmaier § 67 Rn. 27; Wolf NJW 1997, 779, 781).
- 10
2. Der gegenläufigen Ansicht, dass im Falle einer anfänglichen Fehldiagnose bereits verbüßter Maßregelvollzug analog § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB vollständig auf eine im gleichen Erkenntnis verhängte Strafe anzurechnen sei (so OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juli 2017, Az.: 4 Ws 305/16, juris Rn. 24; OLG Rostock, Beschluss vom 16. Januar 2017, Az.: 20 Ws 173/17, juris Rn. 37; KG, Beschluss vom 27. Januar 2015, Az.: 2 Ws 3/15, juris Rn. 28 ff.; OLG Dresden NStZ 1995, 520; MüKo-Maier § 67 Rn. 124) vermag sich der Senat in Anbetracht der entgegenstehenden Rechtskraft des erkennenden Urteils und der klaren gesetzlichen Regelung des § 67 Abs. 4 StGB nicht anzuschließen.
- 11
a) Nach rechtskräftig abgeschlossenem Erkenntnisverfahren steht der Feststellung einer auf einer Fehldiagnose beruhenden fehlerhaften Maßregelanordnung im Vollstreckungsverfahren bereits die Bindungswirkung des rechtskräftigen Strafurteils entgegen. Die Rechtskraft des erkennenden Urteils kann nur durch vom Gesetzgeber zugelassene Rechtsmittel verhindert oder - nach formeller Rechtskraft - unter den abschließenden, engen Voraussetzungen eines Wiederaufnahmeverfahrens durchbrochen werden. Denn die Überprüfung, ob die Maßregel nach durchgeführter Hauptverhandlung rechtswidrig und auf tatsächlich fehlerhafter Grundlage angeordnet wurde, ist allein dem besonderen Verfahrensgang nach §§ 359 ff. StPO vorbehalten. Hierüber können die Gerichte im Vollstreckungsverfahren nicht befinden (ausführlich hierzu: BVerfG NStZ 1995, 174, 175).
- 12
Deshalb ist ungeachtet der Frage, ob im Rahmen eines erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens eine vollständige Anrechnung der Maßregelvollzugszeiten auf die Strafe erfolgen müsste, die nur teilweise Anrechnung der Zeit des Maßregelvollzugs auf die Freiheitsstrafe auch im Falle einer anfänglichen Fehleinweisung in den Maßregelvollzug verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG aaO.; bestätigt durch Nichtannahmebeschluss vom 24. September 2007, Az.: 2 BvR 1844/07, juris Rn. 5 f.).
- 13
b) Zudem fehlt es an der für eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB notwendigen Gesetzeslücke, da § 67 Abs. 4 StGB nicht nur nach seinem Wortlaut und Wortsinn, sondern auch nach seinem Gesetzeszweck selbst im Falle einer Fehldiagnose Anwendung findet.
- 14
Die zeitliche Begrenzung der Anrechenbarkeit nach § 67 Abs. 4 StGB soll in Anbetracht der Möglichkeit, im Falle einer positiven Legalprognose die Vollstreckung der verbleibenden Reststrafe zur Bewährung auszusetzen, den Verurteilten zur Mitarbeit am Resozialisierungsziel motivieren oder den Erfolg der Behandlung stützen und sichern (BVerfGE 91, 1, 33; BT-Drs. 10/2720 S. 13; MüKo-Maier § 67 Rn. 120). Das gesetzgeberische Anliegen, den Verurteilten für die Dauer der Freiheitsentziehung zur Mitarbeit am Resozialisierungsziel und zur Schaffung der Voraussetzungen für eine günstige Legalprognose im Sinn des § 57 Abs. 1 StGB zu motivieren und ggf. den Verurteilten sodann unter dem Eindruck einer bedingten Reststrafaussetzung auch für die Zukunft zu einer straffreien Lebensweise zu veranlassen, ist ein allgemeingültiges Ziel und von der Richtigkeit der der Maßregelanordnung zugrunde liegenden Diagnose unabhängig (so ausdrücklich: BVerfG, Beschluss vom 24. September 2007, Az.: 2 BvR 1844/07, juris Rn. 6; OLG Brandenburg aaO. Rn. 15).
- 15
c) Die Nichtanwendung des § 67 Abs. 4 StGB widerspräche dem Willen des Reformgesetzgebers, der in Kenntnis des Streitstrands zwar die Erledigterklärung auch bei anfänglicher Fehldiagnose angeordnet, aber auf eine von § 67 Abs. 4 StGB abweichende Anrechnungsregelung im Vollstreckungsverfahren verzichtet hat (vgl. hierzu bereits: OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. Juni 2005, Az.: 3 Ws 298-299/05, juris Rn. 14).
- 16
Mit dem Gesetz zur nachträglichen Einführung Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1838) hat der Gesetzgeber den im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung entwickelten Grundsatz, dass eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf Grundlage einer anfänglichen Fehldiagnose im Vollstreckungsverfahren für erledigt zu erklären ist (vgl. BGHSt 42, 306, 310 m.w.N.), ausdrücklich gebilligt und in § 67d Abs. 6 StGB normiert. Dabei hat sich Gesetzgeber auch mit der seinerzeit diskutierten Frage, ob die Rechtskraft des erkennenden Urteils einer Erledigterklärung infolge anfänglich fehlerhafter Unterbringungsdiagnose entgegenstehen könnte, auseinandergesetzt und dies verneint. Die Gesetzesbegründung führt aus, dass sich die Frage, ob möglicherweise bereits die Unterbringungsdiagnose fehlerhaft war, im Erledigungsverfahren gar nicht stelle. Denn zum einen unterliege im Erledigungsverfahren im Hinblick auf die fortbestehende Rechtskraft des erkennenden Urteils nur der gegenwärtige und nicht der frühere Zustand des Untergebrachten der Beurteilung des Vollstreckungsgerichts. Zum anderen könne im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens auch aus tatsächlichen Gründen immer nur über die gegenwärtige Sachlage entschieden werden, weil nur zur gegenwärtigen psychischen Situation des Untergebrachten hinreichende gutachterliche Feststellungen getroffen werden könnten (so BT-Drs. 15/2887 S. 14). Dabei zitiert die Gesetzesbegründung zustimmend die oben unter Ziffer II. 2. a) aufgeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der zufolge der Ausspruch über die Erledigung einer möglicherweise von Anfang an ungerechtfertigten Maßregelanordnung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne, aber eine über § 67 Abs. 4 StGB hinausgehende Anrechnung von Maßregelvollzugszeiten wegen entgegenstehender Rechtkraft im Vollstreckungsverfahren nicht erfolgen könne. Aufgrund dieser Erörterungen ist eine planwidrige Regelungslücke auszuschließen (aA KG Berlin aaO. Rn. 37).
- 17
d) Gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht weiter, dass der Gesetzgeber auch nachfolgend mit dem Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 8. Juli 2016 (BGBl. I S. 1610) keine vollständige Anrechenbarkeit von Maßregelvollzugszeiten auf die Strafe normiert hat. Ziel der Reform war die (erneute) Stärkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Vermeidung von unverhältnismäßigen oder unverhältnismäßig langen Freiheitsentziehungen infolge von Unterbringungen nach § 63 StGB. Dabei sah sich der Gesetzgeber zu einer Vielzahl von Veränderungen veranlasst, u.a. auch dazu, die Anrechnungsvorschrift des § 67 Abs. 4 StGB um die Möglichkeit der Anrechnung verfahrensfremder Strafen gemäß § 67 Abs. 6 StGB zu erweitern und die Voraussetzungen der Erledigterklärung nach § 67d Abs. 6 StGB weiter zu konkretisieren. Auch im Lichte einzelner obergerichtlicher Entscheidungen, die trotz der klaren gesetzlichen Regelung des § 67 Abs. 4 StGB weiterhin eine vermeintlich planwidrige Regelungslücke aufzeigten, sah sich der Gesetzgeber jedoch nicht veranlasst, über § 67 Abs. 4 und 6 StGB hinausgehende Anrechnungsmöglichkeiten zu normieren. Stattdessen wiederholt die Gesetzesbegründung unter Verweis auf die einschlägige Verfassungsrechtsprechung, dass keine umfassende Anrechnung der Maßregelvollzugszeiten auf die Strafe erfolgen müsse, weil Freiheitsstrafe und Maßregel der Unterbringung nach rechtfertigendem Grund und Zielrichtung grundsätzlich nebeneinander stünden. Die Verfassung erlaube es dem Gesetzgeber, in Ausübung seiner Gestaltungsfreiheit eine nur teilweise Anrechnung der Zeit der Freiheitsentziehung im Maßregelvollzug auf die Freiheitsstrafe vorzusehen (BT-Drs. 18/7244 S. 27).
III.
- 18
Mangels vollständiger Anrechnung der Zeiten des Maßregelvollzugs auf die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 3. Januar 2008 ist die Strafe noch nicht vollständig verbüßt. Damit tritt auch nicht gemäß § 68f StGB von Gesetzes wegen Führungsaufsicht ein, so dass die die Führungsaufsicht betreffenden Anordnungen in Ziffer III. bis VI. des angefochtenen Beschlusses ebenfalls aufzuheben sind. Die Strafvollstreckungskammer wird nunmehr über die Frage einer Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB zu entscheiden haben.
IV.
- 19
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO. Hat die Staatsanwaltschaft ein erfolgreiches Rechtsmittel eingelegt, mit dem sie ihre Aufgabe wahrgenommen hat, Gerichtsentscheidungen ohne Rücksicht darauf, welche Wirkung damit für den Verurteilten erzielt wird, mit dem Gesetz in Einklang zu bringen, so trägt in der Regel die Staatskasse die Kosten und die notwendigen Auslagen des Verurteilten (Senat, Beschluss vom 19. Januar 2018, Az.: 2 Ws 5/18; Meyer-Goßner/Schmitt § 473 Rn. 17 m.w.N.). Eine entsprechend Konstellation kann hier angenommen werden.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen vorsätzlicher Straftaten oder eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen Straftaten der in § 181b genannten Art vollständig vollstreckt worden, tritt mit der Entlassung der verurteilten Person aus dem Strafvollzug Führungsaufsicht ein. Dies gilt nicht, wenn im Anschluss an die Strafverbüßung eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird.
(2) Ist zu erwarten, dass die verurteilte Person auch ohne die Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begehen wird, ordnet das Gericht an, dass die Maßregel entfällt.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.