Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Urteil, 03. Sept. 2012 - 1/12

ECLI:ECLI:DE:LVGSH:2012:0903.LVERFG1.12.0A
bei uns veröffentlicht am03.09.2012

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Kommunalverfassungsbeschwerde gegen die durch Art. 10 Nr. 3 des Haushaltsbegleitgesetzes zum Haushaltsplan 2011/2012 vom 17. Dezember 2010 (GVOBl S. 789 – HHBegleitG -) eingeführte Verpflichtung, Eltern oder volljährige Schülerinnen oder Schüler an den Kosten der Schülerbeförderung zu beteiligen. Er sieht sich durch diese Verpflichtung in seinem Recht auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 46 Abs. 1 und 2 der Landesverfassung (LV) verletzt.

2

1. Im schleswig-holsteinischen Schulgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. August 1990 (GVOBl S. 451) war die Beteiligung der Eltern oder der volljährigen Schülerinnen oder Schüler an den Kosten der Schülerbeförderung in § 80 Abs. 2 wie folgt geregelt:

3

§ 80
(1) […]
(2) Die Kreise bestimmen durch Satzung, welche Kosten für die Schülerbeförderung als notwendig anerkannt werden. Die Satzung kann vorsehen, daß nur die Kosten notwendig sind, die beim Besuch der nächstgelegenen Schule der gleichen Schulart entstehen würden. Stellt der Träger der Schülerbeförderung für die Schülerinnen und Schüler Zeitkarten eines Verkehrsunternehmens zur Verfügung, die aufgrund der Tarifgestaltung und des Fahrplanangebotes des Unternehmens neben den Schulwegen auch zu Fahrten für private Zwecke nutzbar sind, kann die Satzung ferner vorsehen, daß die Ausgabe der Zeitkarten von einer Beteiligung der Eltern oder der volljährigen Schülerin oder des volljährigen Schülers an den Kosten abhängig gemacht wird.
(3) - (5) […]#

4

Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens in Schleswig-Holstein vom 24. Januar 2007 (GVOBl S. 39), in Kraft getreten gemäß Art. 2 mit Wirkung zum 1. Januar 2007, wurde das schleswig-holsteinische Schulgesetz (SchulG) insgesamt neu gefasst. Der nun maßgebliche § 114 Abs. 2 lautete:

5

§ 114
Schülerbeförderung
(1) […]
(2) Die Kreise bestimmen durch Satzung, welche Kosten für die Schülerbeförderung als notwendig anerkannt werden. Die Satzung kann vorsehen, dass nur die Kosten notwendig sind, die beim Besuch der nächstgelegenen Schule der gleichen Schulart entstehen würden; davon auszunehmen sind die Fälle, in denen das nächstgelegene Förderzentrum wegen fehlender Aufnahmemöglichkeiten nicht besucht werden kann. Die Satzung hat vorzusehen, dass die Eltern oder die volljährige Schülerin oder der volljährige Schüler an den Kosten der Schülerbeförderung in Höhe von 30 % des Betrages beteiligt werden, der für eine Monatskarte für Schülerinnen und Schüler im Rahmen des öffentlichen Personennahverkehrs nach dem jeweils geltenden Tarif aufzuwenden wäre (Eigenbeteiligung). Übernimmt der Träger der Schülerbeförderung die Kosten der Zeitkarte eines Verkehrsunternehmens und kann diese für den öffentlichen Personennahverkehr genutzt werden, kann die Satzung eine Eigenbeteiligung vorsehen, die den nach Satz 3 zu ermittelnden Betrag in angemessener Höhe übersteigt, soweit das Fahrplanangebot und das Alter der Schülerin oder des Schülers eine Verwendung über den Schulweg hinaus in erheblichem Umfange ermöglichen. Die Satzung hat abweichend von Satz 3 und 4 vorzusehen, dass eine Beteiligung an den Kosten entfällt oder angemessen vermindert wird, soweit die Eltern oder die volljährige Schülerin oder der volljährige Schüler Fürsorgeleistungen zum Lebensunterhalt erhalten oder aus sonstigen Gründen eine Kostenbeteiligung eine unzumutbare Härte darstellen würde.
(3) - (5) […]

6

Diese zwingende Vorgabe an die Kreise, eine Eigenbeteiligung der Eltern oder der volljährigen Schülerinnen oder Schüler vorzusehen, wurde bereits ein Jahr darauf durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes und des Finanzausgleichsgesetzes vom 19. Februar 2008 (GVOBl S. 132) durch eine fakultative Regelung ersetzt, die gemäß Art. 2 Satz 1 des Änderungsgesetzes rückwirkend zum 9. Februar 2007 in Kraft trat. § 114 Abs. 2 SchulG erhielt nun folgende Fassung:

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§ 114
Schülerbeförderung
(1) […]
(2) Die Kreise bestimmen durch Satzung, welche Kosten für die Schülerbeförderung als notwendig anerkannt werden. Die Satzung kann vorsehen, dass nur die Kosten notwendig sind, die beim Besuch der nächstgelegenen Schule der gleichen Schulart entstehen würden; davon auszunehmen sind die Fälle, in denen das nächstgelegene Förderzentrum wegen fehlender Aufnahmemöglichkeiten nicht besucht werden kann. Die Satzung kann ferner vorsehen, dass die Eltern oder die volljährige Schülerin oder der volljährige Schüler an den Kosten der Schülerbeförderung angemessen beteiligt werden.
(3) - (5) […]

8

Auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen der Landesregierung und den kommunalen Landesverbänden vom 28. November 2008 beteiligte sich das Land in den Jahren 2009 und 2010 mit Ausgleichszahlungen an die Kreise in Höhe von jährlich 6,5 Mio. € an den Kosten der Schülerbeförderung (Schreiben des Ministeriums für Bildung und Kultur an den Vorsitzenden des Finanzausschusses des Landtages vom 15. Oktober 2010, Landtags-Umdruck 17/1337, und vom 3. Dezember 2010, Anlage zu Landtags-Umdruck 17/1610). Im Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2009/2010 waren diese Zahlungen im Einzelplan 07 (Ministerium für Bildung und Frauen) in Kapitel 07 10 (Allgemeine Bewilligungen zur Sicherung der Unterrichtsversorgung) in Titel 633 02 ausgewiesen als „Zuweisungen an die schleswig-holsteinischen Kreise als anteilige Kompensation für Schülerbeförderungskosten“. Der Titel enthielt die Erläuterung, mit den veranschlagten Mitteln solle eine Ausgleichszahlung des Landes an die Kreise für nicht erzielte Einnahmen aus der ursprünglich mit der Schulgesetznovelle vorgesehenen festen Elternbeteiligung an der Schülerbeförderung geleistet werden. Von den Ausgleichszahlungen des Landes entfiel auf den Beschwerdeführer ein Betrag von etwa 430.000,00 € jährlich.

9

Der Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2011/2012 weist für das Jahr 2011 noch entsprechende Zuweisungen in Höhe von 3,7917 Mio. € (entspricht 7/12 von 6,5 Mio. €) aus, für das Jahr 2012 ist keine Zuweisung vorgesehen. Der Titel enthält die Erläuterung, dass es sich um eine Einsparung zur Einhaltung des Konsolidierungspfades handele und dass die Zuweisungen als anteilige Kompensation für Schülerbeförderungskosten zum 31. Juli 2011 enden.

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Durch Art. 10 Nr. 3 HHBegleitG erhielt § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG unter Beibehaltung von Satz 1 und 2 die mit der Kommunalverfassungsbeschwerde angegriffene Fassung. Sie trat gemäß Art. 30 Abs. 5 HHBegleitG am 1. August 2011 in Kraft und lautet:

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§ 114
Schülerbeförderung
(1) […]
(2) […] Die Satzung hat vorzusehen, dass die Eltern oder die volljährige Schülerin oder der volljährige Schüler an den Kosten der Schülerbeförderung beteiligt werden (Eigenbeteiligung).
(3) - (5) […]

12

Der Entwurf der Landesregierung vom 23. August 2010 für das Haushaltsbegleitgesetz zum Haushaltsplan 2011/2012 (Landtags-Drucksache 17/741) hatte in § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG eine Regelung enthalten, die wie die Ursprungsfassung aus dem Jahre 2007 eine Eigenbeteiligung in Höhe von 30 % der Kosten einer Monatskarte vorsah. Den Materialien ist nicht zu entnehmen, warum die Vorgabe zur Höhe der Eigenbeteiligung im Gesetzgebungsverfahren gestrichen wurde. Jedenfalls enthielt bereits die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 14. Dezember 2010 (Landtags-Drucksache 17/1042) keine Vorgabe zur Höhe der Eigenbeteiligung mehr.

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Begründet wurden die in dem Gesetzesentwurf der Landesregierung vorgesehenen Einsparungen allgemein mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung. Das Haushaltsbegleitgesetz, das die zur Absicherung des Haushaltsplanentwurfes erforderlichen dauergesetzlichen Änderungen zusammenfasse, diene unmittelbar der nachhaltigen Entlastung des Landeshaushaltes und der Einhaltung des verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Konsolidierungspfades (Landtags-Drucksache 17/741, S. 3). Hinsichtlich der vorgeschlagenen Änderung in § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG heißt es (Landtags-Drucksache 17/741, S. 44):

14

Das Schulgesetz vom 24. Januar 2007 sah eine Eigenbeteiligung an den Schülerbeförderungskosten vor. Die gesetzliche Verpflichtung für die Kreise und Schulträger, eine Eigenbeteiligung in dieser Höhe zu erheben, und die damit verbundenen Mehreinnahmen waren als Kompensation für die zuvor im Rahmen des Finanzausgleichs vom Land beanspruchten Mittel gedacht. Die obligatorische Eigenbeteiligung hat zu erheblichen Protesten in der Bevölkerung geführt. Sie wurde daher durch Artikel 1 des Gesetzes v. 19.02.2008 (GVOBl. Schl.-H. S. 132) rückwirkend abgeschafft und durch die zurzeit geltende Regelung - eine Eigenbeteiligung kann, muss aber nicht erhoben werden - ersetzt. Ergänzend verständigten sich die Landesregierung und die Landesverbände der Gemeinden und Kreise am 28. November 2008 auf eine jährliche Ausgleichszahlung des Landes in Höhe von 6,5 Mio. €. Nunmehr soll der Haushaltsansatz für die Ausgleichszahlung an die Kommunen entfallen. Dazu dient die Änderung des
§ 114 Abs. 2.

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2. Der Beschwerdeführer ist ein ländlich geprägter, strukturschwacher Flächenkreis mit geringer Bevölkerungsdichte. Im Kreisgebiet befinden sich sechs Gymnasien, 21 Grundschulen, sechs Regionalschulen, vier Förderzentren mit sieben Außenstellen sowie zwei Fachoberschulen, zwei Fachschulen, fünf Berufsfachschulen und ein berufliches Gymnasium.

16

Der Kreistag des Beschwerdeführers lehnte in seinen Sitzungen vom 9. und 17. Juni 2011 den Erlass einer Satzung zur Einführung einer Eigenbeteiligung an den Schülerbeförderungskosten ab. Das Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein ordnete nach Anhörung mit Bescheid vom 21. Juni 2011 an, der Kreistag des Beschwerdeführers habe bis zum 15. Juli 2011 tätig zu werden und der Kommunalaufsicht bis zum 18. Juli 2011 einen Satzungsbeschluss vorzulegen. Zugleich wurde die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer Klage beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht (Az. 6 A 197/11) und beantragte die gerichtliche Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (Az. 6 B 37/11).

17

Am 20. Juli 2011 erließ das Innenministerium im Wege der Ersatzvornahme an Stelle des Kreistages eine „3. Satzung zur Änderung der Satzung des Kreises Dithmarschen über die Anerkennung der notwendigen Kosten für die Schülerbeförderung vom 9. Oktober 2008 (Schülerbeförderungssatzung)“. Nach deren Artikel I wird § 8 der Schülerbeförderungssatzung dahingehend geändert, dass die Eltern oder die volljährigen Schülerinnen oder Schüler an den Kosten der Schülerbeförderung in den Jahrgangsstufen eins bis vier mit 50,00 € und in den Jahrgangsstufen fünf bis zehn mit 72,00 € (jeweils jährlich) beteiligt werden. Nach § 8 Abs. 2 sind diejenigen, die Leistungen nach dem SGB II, dem SGB XII oder dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, von der Eigenbeteiligung ausgenommen. Für die Beförderung von Schülerinnen oder Schülern, die ein Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung besuchen, wird nach § 8 Abs. 3 keine Eigenbeteiligung erhoben. Die Satzung orientiert sich an dem Satzungsentwurf, den die Verwaltung des Beschwerdeführers dem Kreistag zur Beschlussfassung vorgelegt hatte. Gegen diese Ersatzvornahme erhob der Beschwerdeführer ebenfalls Klage (Az. 6 A 200/11) und beantragte Eilrechtsschutz (Az. 6 B 38/11).

18

Das Verwaltungsgericht lehnte die Eilanträge mit Beschlüssen vom 19. August 2011 ab. Zur Begründung führte es in dem Verfahren 6 B 37/11 aus, § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG greife nicht in den durch Art. 28 Abs. 2 GG beziehungsweise Art. 46 Abs. 1 und 2 LV geschützten Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung ein und sei verhältnismäßig. Der Beschwerdeführer werde nur verpflichtet, überhaupt eine Eigenbeteiligung von Eltern oder volljährigen Schülerinnen oder Schülern vorzusehen. Vorgaben über deren Höhe und den Maßstab enthalte die Regelung nicht. Ihm sei es nicht verwehrt, differenzierte Regelungen zu treffen, insbesondere die regionalen Besonderheiten zu berücksichtigen. Auch sei zu berücksichtigen, dass die beanstandete Regelung den Beschwerdeführer unter rein fiskalischen Gesichtspunkten im Ergebnis ent- und nicht belaste.

19

Das Oberverwaltungsgericht wies die gegen diese Entscheidungen gerichteten Beschwerden des Beschwerdeführers mit Beschlüssen vom 17. Oktober 2011 - 2 MB 39/11 - und - 2 MB 40/11 - zurück. Der Beschwerdeführer werde - so die Begründung im Verfahren 2 MB 39/11 - durch die Regelung des § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG zwar in seiner Finanz- und in seiner Satzungshoheit betroffen, da den Kreisen die Möglichkeit genommen werde, von einer Eigenbeteiligung der Eltern oder der volljährigen Schülerinnen oder Schüler gänzlich abzusehen. Die Gesetzesänderung greife aber nicht in den Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts ein und sei weder willkürlich noch unverhältnismäßig. Sie verfolge das fiskalpolitische Ziel, dass die Kommunen die nicht länger gewährten Ausgleichszahlungen des Landes bei den Eltern oder volljährigen Schülerinnen oder Schülern refinanzierten. So solle trotz Wegfalls der Landesbeteiligung die Grundlage für die Finanzierung der Schülerbeförderung gesichert werden, ohne dass die Finanzausstattung der Kreise geschwächt werde. Damit diene die Regelung einem aus verfassungsrechtlicher Sicht legitimen Zweck. Hieran gemessen sei die Einführung einer obligatorischen Eigenbeteiligung an den Schülerbeförderungskosten ein taugliches und damit geeignetes Mittel. Die Regelung wahre weitest möglich die Gestaltungsfreiheit der Kreise, denen die Möglichkeit der inhaltlichen Ausgestaltung der Eigenbeteiligung in jeder Hinsicht verbleibe, einschließlich der Möglichkeit, sozialverträgliche Differenzierungen vorzunehmen. Die Vorschrift stelle sich daher auch als verhältnismäßig dar.

II.

20

Mit der am 23. Januar 2012 erhobenen kommunalen Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, dass er durch die seit 1. August 2011 geltende Fassung des § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG in seinem Recht auf kommunale Selbstverwaltung gemäß Art. 46 Abs. 1 und 2 LV verletzt werde.

21

Die Gesetzesänderung greife in seine vom Recht auf kommunale Selbstverwaltung umfasste Satzungs- und Finanzhoheit ein, indem sie ihm die Entschließungsfreiheit über das „Ob“ eines Tätigwerdens im Bereich der Eigenbeteiligung bei den Schülerbeförderungskosten entziehe. Sie nehme ihm die Möglichkeit, durch Ausübung seines Satzungsermessens differenzierende Regelungen bezüglich des „Ob“ zu treffen und auf regionale und soziale Besonderheiten Bedacht zu nehmen. Die gesetzliche Regelung übersehe Besonderheiten gerade der ländlichen Bereiche Schleswig-Holsteins. So entstehe bei Schulschließungen eine Doppelbelastung für Eltern, Schülerinnen und Schüler, die nicht nur verlängerte Fahrtzeiten hinzunehmen hätten, sondern sich zusätzlich noch an den dadurch entstehenden Beförderungskosten beteiligen müssten. Dies sei wegen der aufgrund der demographischen Entwicklung derzeitig notwendig werdenden Schulschließungen von besonderer Bedeutung.

22

§ 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG berühre zwar nicht den unantastbaren Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung, verstoße aber gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Regelung diene keinem legitimen Zweck, sondern allein dem fiskalpolitischen Ziel, den bislang gewährten Landeszuschuss zu den Schülerbeförderungskosten einzusparen. Die Regelung sei außerdem nicht erforderlich. Der Landeszuschuss hätte ebenso eingespart werden können, ohne den Kreisen die Entscheidung über das „Ob“ der Eigenbeteiligung zu entziehen. Vielmehr hätte es ausgereicht, ihnen - in Übereinstimmung mit der früheren Rechtslage - lediglich die Möglichkeit einzuräumen, den Wegfall des Landeszuschusses bei den Schülerbeförderungskosten durch eine Eigenbeteiligung der Eltern oder der volljährigen Schülerinnen oder Schüler zu refinanzieren.

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Etwas anderes folge auch nicht aus Art. 49 LV. Bei der Schülerbeförderung handele es sich um eine Selbstverwaltungsaufgabe, für die das Land nicht aufgrund des Konnexitätsprinzips einen kostendeckenden Ausgleich, sondern lediglich eine angemessene Finanzausstattung über den allgemeinen Finanzausgleich zur Verfügung zu stellen habe. Hierfür reiche es aus, den Kreisen die Möglichkeit zusätzlicher Einnahmen zu verschaffen, sollte deren Finanzsituation dies erfordern. Die zwingende Vorgabe einer Eigenbeteiligung ohne Rücksicht auf die Haushaltslage des jeweiligen Kreises führe vielmehr zu einer dem Sinn und Zweck des Finanzausgleichs nicht entsprechenden Nivellierung.

24

Der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 46 Abs. 1 und 2 LV sei sowohl eine abwehrrechtliche Dimension gegenüber Eingriffen des Staates in die eigenverantwortliche Einnahmen- und Ausgabenverwaltung eigen, als auch eine anspruchsbegründende positive Dimension, die den Kommunen eine aufgabenadäquate Finanzausstattung garantiere. Der Beschwerdeführer könne autonom entscheiden, auf welche der beiden Garantieebenen er sich berufe. Die Verpflichtung des Landes zur aufgabenadäquaten Finanzausstattung der Kreise könne nicht dazu führen, dass dem Beschwerdeführer Einnahmen aufgezwungen würden, wenn er der Auffassung sei, die Schülerbeförderung aus anderen Mitteln finanzieren zu können.

25

Der Beschwerdeführer sei bereit, das durch den Wegfall der Landeszuschüsse bei den Schülerbeförderungskosten entstehende Defizit hinzunehmen. Dieses sei in seine Haushaltskonsolidierungsbemühungen einzustellen. Aufgrund von Fehlbedarfszuweisungen und Konsolidierungshilfen des Landes sei sein Kreishaushalt letztlich ausgeglichen. Er sei bestmöglich organisiert und schöpfe - mit Ausnahme der in Rede stehenden Eigenbeteiligung - alle Einnahmemöglichkeiten aus. Dass er in den Vorjahren Landeszuweisungen bedurft habe, um Einnahmeausfälle zu kompensieren, sei auf Kürzungen des Landes beim kommunalen Finanzausgleich zurückzuführen.

26

Der Beschwerdeführer beantragt,

27

festzustellen, dass § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG in der Fassung des Art. 10 Nr. 3 des Haushaltsbegleitgesetzes zum Haushaltsplan 2011/2012 vom 17. Dezember 2010 (GVOBl S. 789 ff.) verfassungswidrig und daher nichtig ist.

III.

28

Zu der Verfassungsbeschwerde hat die Landesregierung Stellung genommen. Sie hält den Antrag für unbegründet. Die Vorgabe einer zwingenden Eigenbeteiligung sei gerechtfertigt. Sie diene dem legitimen Zweck der Refinanzierung des Wegfalls der Ausgleichszahlung des Landes und damit der Sicherstellung der Finanzkraft der Kreise und der Finanzierung der Schülerbeförderung. Zudem habe der Gesetzgeber ein Mindestmaß an landesweiter Beitragsgerechtigkeit herstellen wollen. Nur durch eine obligatorische Eigenbeteiligung habe in geeigneter Weise sichergestellt werden können, dass nicht einzelne Kreise aus politischen Gründen auf die Eigenbeteiligung verzichteten und damit politischen Druck auf andere Kreise auslösten, ihrerseits ebenfalls keine Eigenbeteiligung zu erheben. Die Regelung sei auch angemessen, da sie den Gestaltungsspielraum der Kreise weitest möglich wahre und es dem Beschwerdeführer unbenommen bleibe, unterschiedliche soziale Belange und regionale Besonderheiten zu berücksichtigen. Ihm sei lediglich verwehrt, von einer Eigenbeteiligung der Eltern oder volljährigen Schülerinnen oder Schüler gänzlich abzusehen. Dieser als gering einzustufenden Beeinträchtigung stünden gewichtige Gründe des Gemeinwohls gegenüber, nämlich das berechtigte Ziel, die mit erheblichen Fehlbeträgen belasteten Kreishaushalte durch den Wegfall des Landeszuschusses nicht noch weiter zu belasten und ein gewisses Maß an Beitragsgerechtigkeit herzustellen.

29

In der mündlichen Verhandlung hat sich der Landkreistag als sachverständiger Dritter geäußert.

B.

30

Das Landesverfassungsgericht entscheidet nach Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 LV, § 3 Nr. 4 Landesverfassungsgerichtsgesetz (LVerfGG) in Verbindung mit § 47 Abs. 1 LVerfGG über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen der Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Art. 46 Abs. 1 und 2 durch ein Landesgesetz. Kreise sind Gemeindeverbände im Sinne dieser Vorschriften (Urteil vom 26. Februar 2010 - LVerfG 1/09 -, NordÖR 2010, 155 ff., Rn. 39 m.w.N.). Der Beschwerdeführer muss einen Sachverhalt darlegen, aufgrund dessen eine Verletzung seiner Selbstverwaltungsgarantie möglich erscheint (BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1985 - 2 BvR 1808/82 u.a. - BVerfGE 71, 25 ff., Juris Rn. 31 ff.). Die Gemeinden und Gemeindeverbände müssen durch die angegriffene Regelung selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen sein (BVerfG, a.a.O., Juris Rn. 31 f.).

31

Die angegriffene Norm des § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG ist als formelles Landesgesetz tauglicher Beschwerdegegenstand nach § 47 Abs. 1 LVerfGG. Aus ihr folgt unmittelbar eine Verpflichtung der Kreise zum Erlass beziehungsweise zur Ergänzung einer Satzung, die zwingend eine Eigenbeteiligung von Eltern oder volljährigen Schülerinnen oder Schülern an der Schülerbeförderung vorzusehen hat. Daran ändert sich durch die Ersatzvornahme des Innenministeriums vom 20. Juli 2011 gemäß § 64 Kreisordnung (KrO) nichts. Diese Maßnahme dient lediglich der Umsetzung des unmittelbaren Gesetzesbefehls. Aufgrund der gegen die Ersatzvornahme gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten ist der Beschwerdeführer auch nicht etwa nunmehr gehalten, vorrangig den gegen sie eröffneten Verwaltungsrechtsweg zu erschöpfen. Zwar gilt im Bundesrecht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, der in dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG seinen Ausdruck findet. Das Landesverfassungsgerichtsgesetz verlangt eine Erschöpfung des Rechtsweges vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde jedoch nicht.

32

Die Verfassungsbeschwerde kann gemäß § 47 Abs. 2 LVerfGG nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden. Diese Jahresfrist ist mit der am 23. Januar 2012 beim Landesverfassungsgericht eingegangenen Beschwerdeschrift eingehalten worden. Die Änderung des § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG durch Art. 10 Nr. 3 HHBegleitG ist gemäß Art. 30 Abs. 5 HHBegleitG zum 1. August 2011 in Kraft getreten.

33

Der Beschwerdeführer behauptet, durch die angegriffene Norm in seiner durch Art. 46 LV geschützten Satzungs- und Finanzhoheit verletzt zu sein. Ob seine diesbezüglichen Ausführungen ausreichen, um seine Beschwerdebefugnis in einer den Anforderungen des § 20 Abs. 1 Satz 2 LVerfGG genügenden Weise darzulegen, erscheint fraglich. Denn der Beschwerdeführer könnte aufgrund seiner Haushaltssituation auch ohne die angegriffene Vorschrift dazu verpflichtet sein, in einer Satzung eine Eigenbeteiligung von Eltern beziehungsweise volljährigen Schülerinnen und Schülern bei der Schülerbeförderung vorzusehen (siehe unten C. I. 2., Rn. 37 bis 41). Dies soll hier jedoch offen bleiben, da die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet ist.

C.

34

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Die Bestimmung des § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG in der Fassung des Art. 10 Nr. 3 HHBegleitG ist mit der Landesverfassung vereinbar. Es bestehen schon Zweifel, ob durch die Verpflichtung aus § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG überhaupt in den Schutzbereich der von der Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 46 Abs. 1 und 2 LV umfassten Satzungs- und Finanzhoheit des Beschwerdeführers eingegriffen wird (I.). Jedenfalls berührt die Vorgabe einer zwingenden Eigenbeteiligung nicht den Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Sie stellt überdies eine geeignete und erforderliche gesetzliche Maßnahme zur Konsolidierung des Landeshaushaltes bei gleichzeitiger Vermeidung einer zusätzlichen Belastung der Kreishaushalte dar und wahrt die Grenzen der Verhältnismäßigkeit (II.).

I.

35

1. Nach Art. 46 Abs. 1 LV sind die Gemeinden berechtigt und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Die gleichen Rechte und Pflichten haben gemäß Art. 46 Abs. 2 LV die Kreise als Gemeindeverbände im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit.

36

Zu dem Schutzbereich des Art. 46 LV gehören unter anderem die Finanzhoheit, das heißt das Recht zur eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft einschließlich der Haushaltsführung, sowie die Satzungshoheit, das heißt die Befugnis zum Erlass abstrakt-genereller Regelungen (Groth, in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2006, Art. 46 Rn. 24 und 25). Die Finanzhoheit umfasst unter anderem die Steuer- und Abgabenhoheit, die den Gemeinden und Gemeindeverbänden erlaubt, ihre Einwohner aus eigenem Recht zu den aus der Aufgabenerfüllung resultierenden Lasten heranzuziehen (vgl. zu Art. 28 Abs. 2 GG: BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2010 - 2 BvR 2185/04 u.a. - BVerfGE 125, 141 ff., Juris Rn. 65 ff.). Das Recht, öffentliche Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen, beinhaltet die grundsätzliche Freiheit der Gemeinde oder des Gemeindeverbandes, über das Ob, Wann und Wie der Aufgabenwahrnehmung ohne staatliche Einflussnahme oder Bevormundung zu entscheiden (Groth, a.a.O., Rn. 18; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein/ Hofmann/ Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 28 Rn. 44 f.).

37

Die Schülerbeförderung ist eine öffentliche Aufgabe im Sinne von Art. 46 Abs. 1 LV. Sie wird durch § 114 Abs. 1 Satz 1 SchulG den Schulträgern der in den Kreisen liegenden öffentlichen Schulen und durch § 114 Abs. 1 Satz 2 SchulG in bestimmten Fällen den Kreisen als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe übertragen. Nach § 114 Abs. 2 Satz 1 SchulG bestimmen die Kreise durch Satzung, welche Kosten für die Schülerbeförderung als notwendig anerkannt werden. Die notwendigen Kosten werden nach § 114 Abs. 3 Satz 1 SchulG zu zwei Dritteln von den Kreisen und zu einem Drittel von den Schulträgern getragen. Diese Aufgabenübertragungen sind nach Art. 46 Abs. 4 LV zulässig. Die so übertragenen Aufgaben unterfallen dem Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 46 LV.

38

2. Durch die Änderung des § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG ist der Schutzbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie berührt. § 114 Abs. 2 Satz 1 SchulG verpflichtet die Kreise zum Erlass einer Satzung durch die bestimmt wird, welche Kosten für die Schülerbeförderung als notwendig anerkannt werden. Diese Satzung hat nach der angegriffenen Neufassung von Satz 3 zwingend vorzusehen, dass die Eltern oder die volljährige Schülerin oder der volljährige Schüler an den Kosten der Schülerbeförderung beteiligt werden. Demgegenüber konnten die Kreise vor der Gesetzesänderung selbst entscheiden, ob sie eine solche Eigenbeteiligung in der Satzung vorsehen wollten oder nicht. Damit ist sowohl die Satzungs- als auch die Finanzhoheit der Kreise berührt. Zwar wird den Kreisen die Regelungsbefugnis für die Eigenbeteiligung bei Schülerbeförderungskosten nicht entzogen. § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG enthält, anders als die Ursprungsregelung aus dem Jahre 2007 und der Gesetzentwurf vom 23. August 2010 (Landtags-Drucksache 17/741), keine Vorgabe zur Höhe der Eigenbeteiligung. Die Kreise haben daher einen Gestaltungsspielraum, etwa für sozialverträgliche Differenzierungen. Die Entscheidung über das „Ob“ der Abgabenerhebung und des diesbezüglichen Satzungserlasses wurde dem Beschwerdeführer durch die angegriffene Regelung wieder entzogen.

39

Der Regelung in § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG könnte allerdings die Qualität eines Eingriffs in den Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie des Artikel 46 Abs. 1 und 2 LV fehlen, wenn der Beschwerdeführer angesichts seiner Haushaltslage aufgrund einfachgesetzlicher - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender - Vorschriften ohnehin verpflichtet wäre, die Eigenbeteiligung als Einnahmequelle selbst dann auszuschöpfen, wenn diese durch § 114 SchulG nicht zwingend vorgegeben, sondern durch eine fakultative Regelung lediglich ermöglicht würde. So gewährleisten Artikel 46 Abs. 1 und 2 LV das kommunale Selbstverwaltungsrecht nur im Rahmen der Gesetze. Dies entspricht der Regelung des Art. 28 Abs. 2 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2010
- 2 BvR 2185 u.a./04 - BVerfGE 125, 141 ff., Juris Rn. 77 m.w.N.), der den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln, ebenfalls nur im Rahmen der Gesetze garantiert. Hierzu gehören auch die §§ 75 ff. der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein in der Fassung vom 28. Februar 2003 (GO) über die Haushaltsführung. Die dort statuierten Grundsätze sind bei der Bestimmung des Schutzzweckes und der Eingriffsintensität mit heranzuziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2010 - BVerwG 8 C 43.09 -, BVerwGE 138, 89 ff., Rn. 18).

40

Nach § 75 GO hat die Gemeinde ihre Haushaltswirtschaft so zu planen und zu führen, dass die stetige Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist. Die Haushaltswirtschaft ist nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu führen. Der Haushalt soll in jedem Haushaltsjahr ausgeglichen sein. Gemäß § 76 Abs. 1 GO erhebt die Gemeinde Abgaben nach den gesetzlichen Vorschriften. Sie hat nach Absatz 2 S. 1 die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Finanzmittel aus Entgelten für ihre Leistungen und im Übrigen aus Steuern zu beschaffen, soweit die sonstigen Finanzmittel nicht ausreichen. Die Gemeinde darf gemäß Absatz 3 Kredite nur aufnehmen, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich ist oder wirtschaftlich unzweckmäßig wäre. Diese Vorschriften gelten gemäß § 57 KrO für die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Kreises entsprechend. Ein Fehlbedarf im Verwaltungshaushalt kann daher nur entstehen, wenn trotz aller Einsparmaßnahmen und vertretbarer Ausschöpfung aller Einnahmequellen die laufenden Ausgaben die Einnahmen übersteigen (Erps, in: Bracker/ Conrad/ Dehn/ Erps/ von Scheliha, Kreisordnung für Schleswig-Holstein - Kommentar -, Stand Mai 2005, § 57 Ziff. 2.6.1, S. 337).

41

Die Kommunen sind aufgrund dieser Vorschriften grundsätzlich gehalten, Abgaben - dies sind gemäß § 1 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Schleswig-Holstein (KAG) Steuern, Gebühren, Beiträge und sonstige Abgaben - sogar dann zu erheben, wenn dies nach den abgabenrechtlichen Vorschriften in ihrem Ermessen steht (von Scheliha/ Sprenger, Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein, in: Borchert/ Bracker/ Buschmann/ Galette/ Lütje/ von Scheliha/ Schliesky/ Schwind/ Sprenger, Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein - Kommentare - Band II, Stand April 2003, § 76 Rn. 3 f.). Soweit die sonstigen Finanzmittel nicht ausreichen, ist es den Kommunen - anders als dem Landesgesetzgeber - aufgrund der Vorrangregelung in § 76 Abs. 2 S. 1 GO im Interesse der öffentlichen Haushalte und der Beitragsgerechtigkeit zudem untersagt, gegenüber einem begünstigten Personenkreis auf vorteilsgerechte Entgelte für kommunale Leistungen zu verzichten und diese über Steuermittel zu Lasten der Allgemeinheit zu finanzieren (vgl. OVG Thüringen, Urteil vom 31. Mai 2005 - 4 KO 1499/04 - DVBl 2005, 1598, Juris Rn. 39). Das Ermessen der Kommune hinsichtlich der Entscheidung über das „Ob“ der Erhebung von Beiträgen kann daher auf Null reduziert sein, wenn Finanzierungslücken anderenfalls durch Steuern oder durch Kredite geschlossen werden müssten (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. Mai 2007 - 15 B 778/07 - DÖV 2007, 934 f., Juris Rn. 20 für Elternbeiträge zu Kindertageseinrichtungen; VGH Hessen, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 5 B 2017/11 - Juris Rn. 6 und OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 3. September 1998 - B 2 S 337/98 - Juris Rn. 24 für Straßenausbaubeiträge). Diese Grundsätze sind auf die Eigenbeteiligung bei den Schülerbeförderungskosten übertragbar, gleich ob man diese Eigenbeteiligung als Gebühr im Sinne von § 4 Abs. 1 KAG ansieht, die als Gegenleistung für die Inanspruchnahme einer besonderen Leistung erhoben wird (so VG Schleswig, Beschluss vom 17. September 2007 - 9 B 67/07 - NVwZ-RR 2008, 399 ff., Juris Rn. 17) oder als sonstige Abgabe außerhalb des KAG (so VG Gelsenkirchen, Urteil vom 27. Juli 2005 - 4 K 1648/02 -, Juris Rn. 32 und VG Potsdam, Beschluss vom 12. August 2004 - 12 L 505/04 - LKV 2005, 230 f., Juris Rn. 8), denn jedenfalls handelt es sich bei der Eigenbeteiligung um ein Entgelt im Sinne von § 76 Abs. 2 S. 1 GO.

42

Dem kann auch nicht durch einen Verweis auf etwaige höhere Einnahmen aus dem kommunalen Finanzausgleich begegnet werden. Zwar gehören diese Einnahmen zu den „sonstigen Finanzmitteln“ im Sinne der Vorrangregelung des § 76 Abs. 2 S. 1 GO (von Scheliha/ Sprenger, a.a.O., Rn. 10 noch zum Begriff „sonstigen Einnahmen“ in § 76 Abs. 2 GO a.F.). Es ist aber für Gemeinden anerkannt, dass diese sich nicht durch Verzicht auf Einnahmen, beispielsweise durch besonders niedrige Hebesätze bei der Gewerbesteuer, bedürftig machen dürfen, um derartige Leistungen zu erhalten oder einer Kreisumlage zu entgehen (LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. Juni 2006 - LVG 7/05 - NVwZ 2007, 78 ff., Juris Rn. 134; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 21. Juni 2011 - 2 MB 30/11 - NordÖR 2011, 448 ff., Juris Rn. 22). Nichts anderes gilt für Kreise. Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei der Gewährung von Fehlbetragszuweisungen zum Ausgleich unvermeidlicher Haushaltsfehlbeträge nach § 16 Abs. 2 des Gesetzes über den Finanzausgleich in Schleswig-Holstein (FAG) in der Fassung vom 7. März 2011 (GVOBl S. 76) die Haushaltsfehlbeträge unberücksichtigt bleiben, welche durch eigene Einnahmen abgedeckt werden können, wenn alle Einnahmequellen in zumutbarem Umfang ausgeschöpft werden (Erps, in: Bracker/ Conrad/ Dehn/ Erps/ von Scheliha, a.a.O., Ziff. 2.6.3, S. 338 f.).

43

Letztlich kann aber dahinstehen, ob diese haushaltswirtschaftlichen Vorgaben dazu führen, dass die von dem Landesgesetzgeber gewählte Regelung einer obligatorischen Eigenbeteiligung den Beschwerdeführer im Ergebnis nicht mehr belastet, als es bei einer fakultativen Regelung der Fall wäre, die dem Beschwerdeführer die Entscheidungsfreiheit darüber beließe, ob er die Eltern und volljährigen Schülerinnen und Schüler an den Kosten der Schülerbeförderung beteiligt. Denn selbst wenn die Vorgabe einer zwingenden Eigenbeteiligung bei den Schülerbeförderungskosten einen Eingriff darstellen sollte, ist dieser - was nachfolgend ausgeführt wird - jedenfalls gerechtfertigt.

II.

44

Die Garantie des Art. 46 Abs. 1 und 2 LV wird durch die Änderung des § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG nicht verletzt.

45

1. Die eigenverantwortliche Wahrnehmung der öffentlichen Aufgaben in ihrem Gebiet ist den Gemeindeverbänden nicht schrankenlos garantiert. Sie wird nur gewährleistet, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Dieser Gesetzesvorbehalt gilt auch für die kommunale Finanzhoheit als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (vgl. zu Art. 28 Abs. 2 GG: BVerfG, Beschlüsse vom 21. Mai 1968 - 2 BvL 2/61 - BVerfGE 23, 353 ff., Juris Rn. 41 ff. und vom 10. Juni 1969 - 2 BvR 480/61 - BVerfGE 26, 172 ff., Juris Rn. 31). Mit diesem Vorbehalt erkennt die Verfassung an, dass die kommunale Selbstverwaltung der gesetzlichen Ausgestaltung bedarf.

46

2. Dies bedeutet aber nicht, dass das Recht auf kommunale Selbstverwaltung zur Disposition des Gesetzgebers gestellt wäre. Der Rahmen der Gesetze darf nicht beliebig eng gezogen werden. Dem Zugriff des Gesetzgebers sind seinerseits Schranken gesetzt. Er darf nicht in den Kernbereich oder Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltung eingreifen (a) (BVerfG - als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein zu Art. 46 Abs. 1 und 2 LV -, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332 ff., Juris Rn. 123; BVerfG, Urteil vom 20. März 1952 - 1 BvR 267/51 - BVerfGE 1, 167 ff., Juris Rn. 9 f.; Beschluss vom 27. Januar 2010 - 2 BvR 2185/04 u.a. -, BVerfGE 125, 141 ff., Juris Rn. 91; stRspr.) und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (b) (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 24. Juni 1969, - 2 BvR 446/64 - BVerfGE 26, 228 ff., Juris Rn. 50 und vom 23. Juni 1987 - 2 BvR 826/83 - BVerfGE 76, 107 ff., Juris Rn. 37; stRspr.).

47

a) Zum Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts gehört kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog. Für Gemeinden bestimmt Art. 46 Abs. 1 LV, dass zum Kernbereich ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts die Befugnis gehört, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen (BVerfG, Beschlüsse vom 23. November 1988 - 2 BvR 1619/83 u.a. - BVerfGE 79, 127 ff., Juris Rn. 47 und vom 19. November 2002 - 2 BvR 329/97 - BVerfGE 107, 1 ff., Juris Rn. 45, jeweils zu Art. 28 Abs. 2 GG; Groth, in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2006, Art. 46 Rn. 32). Die Gemeindeverbände haben nach Art. 46 Abs. 2 LV im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit die gleichen Rechte und Pflichten wie die Gemeinden. Diese gesetzliche Zuständigkeit und damit den Gegenstand ihrer Selbstverwaltungsaufgaben regelt § 2 Abs. 1 und 2 KrO näher. Danach sind die Kreise berechtigt und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen, soweit diese von den kreisangehörigen Gemeinden und Ämtern wegen geringer Leistungsfähigkeit und Größe nicht erfüllt werden können und soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Daneben können sie durch Gesetz oder Verordnung zur Erfüllung einzelner Aufgaben verpflichtet werden.

48

Die durch die Selbstverwaltungsgarantie geschützten Hoheitsrechte müssen den Gemeinden und den Gemeindeverbänden im Kern erhalten bleiben (Urteil vom 26. Februar 2010 - LVerfG 1/09 - NordÖR 2010, 155 ff., Rn. 80 f.; BVerfG - als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein -, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 70; BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2010 - 2 BvR 2185/04 u.a. - BVerfGE 125, 141 ff., Juris Rn. 93). Der Kernbereich des Hoheitsrechts ist jedenfalls dann verletzt, wenn es beseitigt wird oder kein hinreichender Spielraum für seine Ausübung mehr übrig bleibt (BVerfG - als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein zu Art. 46 Abs. 1 und 2 LV -, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 -, BVerfGE 103, 332 ff., Juris Rn. 123; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 28 Rn. 22), etwa bei einer Regelungsdichte, die den Gemeinden die Möglichkeit nähme, eigenverantwortlich eine Hauptsatzung zu erlassen (BVerfG, Beschluss vom 19. November 2002 - 2 BvR 329/97 - BVerfGE 107, 1 ff., Juris Rn. 45).

49

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Regelung des § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG betrifft nur einen Teilbereich der Satzungs- und Finanzhoheit des Beschwerdeführers, nämlich die Eigenbeteiligung der Nutzungsberechtigten im Bereich der Schülerbeförderung. Zudem entzieht sie dem Beschwerdeführer nur die Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Frage, ob eine Eigenbeteiligung erhoben wird. Vorgaben zur Höhe der Eigenbeteiligung enthält die Regelung nicht. Durch eine solche Regelung werden weder die Satzungs- noch die Finanzhoheit der Kreise derart eingeengt, dass der Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts berührt wäre (vgl. ebenso VerfG Brandenburg, Urteil vom 20. November 2008 - VfGBbg 30/07 -, LVerfGE 19, 103 ff., Juris Rn.74).

50

b) Dem Gesetzgeber sind aber auch außerhalb des Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltung Schranken gesetzt. Beschränkungen der kommunalen Selbstverwaltungsaufgaben müssen zur Erreichung eines legitimen Zwecks (aa) geeignet (bb) sowie erforderlich (cc) und verhältnismäßig im engeren Sinne, das heißt angemessen (dd), sein (BVerfG Beschlüsse vom 23. Juni 1987
- 2 BvR 826/83 - BVerfGE 76, 107 ff., Juris Rn. 40 und vom 27. Januar 2010
- 2 BvR 2185/04 u.a. - BVerfGE 125, 141 ff., Juris Rn. 94; VerfG Brandenburg, a.a.O., Juris Rn. 76). Dem Gesetzgeber kommt hinsichtlich der Entscheidung, ob eine bestimmte normative Ausgestaltung eines Lebenssachverhalts im Interesse des Gemeinwohls liegt, ein Einschätzungs- und Bewertungsvorrang zu (BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1982 - 2 BvR 113/81 - BVerfGE 59, 216 ff., Juris Rn. 35).

51

aa) Mit der Aufstellung des Haushaltsplanes für das Haushaltsjahr 2011/2012 und mit dem Haushaltsbegleitgesetz zum Haushaltsplan verfolgte der Landtag zum Einen das übergeordnete Ziel der Einhaltung des verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Konsolidierungspfades (Landtags-Drucksache 17/741, S. 3), das heißt das Ziel, die Neuverschuldung des Landes den Vorgaben der Art. 53 Abs. 1 und 59a Abs. 1 LV gemäß ab dem Jahr 2011 jährlich um 10 % zu verringern und so bis zum Jahre 2020 auf Null zu reduzieren. Dementsprechend diente auch die Änderung des § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG dem Gesetzentwurf nach dazu, den Haushaltsansatz für die Ausgleichszahlung des Landes an die Kommunen im Bereich der Schülerbeförderung in Höhe von 6,5 Mio. jährlich entfallen zu lassen (Landtags-Drucksache 17/741, S. 44). Dieses legitime fiskalpolitische Ziel, Ausgaben des Landes zu reduzieren und hierdurch die Neuverschuldung zurückzuführen, ist zudem durch Art. 53 und 59a LV verfassungsrechtlich abgesichert.

52

Die Verpflichtung der Kreise, in den Schülerbeförderungssatzungen eine Eigenbeteiligung der Eltern oder der volljährigen Schülerinnen und Schüler vorzusehen, diente zum Anderen einem weiteren Ziel. Mit ihr sollte ersichtlich die durch den Wegfall der Ausgleichszahlungen bei den Kommunen entstehende Finanzierungslücke im Bereich der Schülerbeförderung geschlossen werden. Die Grundlage für die Finanzierung der Schülerbeförderung sollte trotz des Wegfalls der Landesbeteiligung gesichert werden, ohne dass die Finanzausstattung der Kreise geschwächt wird (ebenso OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17. Oktober 2011 - 2 MB 39/11 - NordÖR 2011, 559 f., Juris Rn. 17). Dieses weitere Ziel ergibt sich sogar unmittelbar aus der Gesetzesbegründung, die die Vorgeschichte ausdrücklich darstellt (Landtags-Drucksache 17/741, S. 44;
siehe oben A.I.1., Rn. 13).

53

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber dieses Ziel bereits bei der ersten Einführung einer obligatorischen Eigenbeteiligung im Jahre 2007 verfolgt hat. Der Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens in Schleswig-Holstein vom 28. September 2006 (Landtags-Drucksache 16/1000) enthielt in § 116 Abs. 2 Satz 3 SchulG noch eine fakultative Regelung, wonach die Satzung über die als notwendig anerkannten Kosten der Schülerbeförderung eine Eigenbeteiligung vorsehen konnte. Im Rahmen der durch den Bildungsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages durchgeführten schriftlichen Anhörung äußerte sich der Schleswig-Holsteinische Landkreistag in seiner Stellungnahme vom 30. November 2006 wie folgt (Landtags-Umdruck 16/1538, S. 10):

54

Die in § 116 verankerte Schülerbeförderung verursacht hohe Kosten für die Schulträger und die Kreise, die im Hinblick auf evtl. Veränderungen des Schulangebots und der Einführung von Ganztagsschulen in den nächsten Jahren voraussichtlich noch zunehmen werden. Unter Berücksichtigung der angespannten Haushaltslage der Kommunen wurde angeregt, zunächst eine generelle Eigenbeteiligung der Eltern an den Schülerbeförderungskosten zu prüfen.

55

Diese generelle Beteiligung der Eltern sollte jedoch, wenn sie kommt, vom Gesetzgeber festgelegt und somit im Schulgesetz abschließend verbindlich geregelt werden, da die Neuregelung als sogenannte Kompensationsmaßnahme vor dem Hintergrund des Eingriffs in den kommunalen Finanzausgleich eingeführt wird und nur dann quantifizierbare finanzielle Entlastungswirkungen für die Kommunen bringen kann, wenn sie landeseinheitlich gilt. Sofern Regelungen gelten, die über die angekündigten 30%-Regelungen hinausgehen, sollten diese fort gelten können.

56

Sollte sich dies auf der Ebene der Landesregierung nicht durchsetzen lassen, wird es ohne Anrechnung auf die Kompensation für ratsam erachtet, die Entscheidung über Art und Umfang einer Elternbeteiligung vollständig in die Entscheidungskompetenz der kommunalen Selbstverwaltung zu legen.

57

In den Bericht und die Beschlussempfehlung des Bildungsausschusses vom 17. Januar 2007 wurde ein entsprechender Änderungsvorschlag aufgenommen (Landtags-Drucksache 16/1145, S. 107: „Die Satzung hat vorzusehen, …“), der durch den Landtag angenommen und als § 114 Abs. 2 SchulG in entsprechender Fassung verabschiedet wurde. Wie eingangs dargestellt, wurde diese zwingende Vorgabe einer Eigenbeteiligung bereits ein Jahr darauf rückwirkend durch eine fakultative Regelung ersetzt und zugleich eine jährliche Ausgleichsleistung des Landes in Höhe von 6,5 Mio. € vereinbart. Der Gesetzgeber war sich ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs bei Schaffung der hier streitgegenständlichen Regelung dieser Vorgeschichte bewusst und hat sich gerade vor diesem Hintergrund verpflichtet oder jedenfalls veranlasst gesehen, als Ausgleich für den Wegfall der Zahlungen des Landes eine nicht lediglich fakultative, sondern obligatorische Eigenbeteiligung einzuführen.

58

bb) Die Änderung des § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG ist zur Erreichung dieser Ziele geeignet. Sie verschafft den Kreisen eine Einnahmequelle für die Finanzierung der Schülerbeförderungskosten. Dem steht nicht entgegen, dass die Regelung keine Vorgaben über die Höhe der Eigenbeteiligung enthält. Zwar wird den Kreisen hierdurch ein Entscheidungsspielraum eröffnet, so dass die genaue Höhe der Einnahmen aus der Eigenbeteiligung für den Landesgesetzgeber bei der Gesetzesänderung nicht absehbar war. Dies macht die Regelung aber nicht ungeeignet. Jede zusätzliche Einnahme verringert den Finanzbedarf der Kommunen und ist damit geeignet, dem Ziel der Vermeidung einer Finanzierungslücke bei den Schülerbeförderungskosten näher zu kommen. Eine Regelung ist nicht erst dann geeignet, wenn sie das angestrebte Ziel vollumfänglich erreicht. Der Gesetzgeber hat sich dazu entschlossen, den Kreisen einen Entscheidungsspielraum zu belassen, der die Intensität des Eingriffs in deren Finanzhoheit verringert. Die damit verbundene theoretische Möglichkeit, dass die Kreise den Spielraum zu ihrem eigenen finanziellen Nachteil gebrauchen und durch Festsetzung eines bloß symbolischen Beitrages auf Einnahmen weitestgehend verzichten könnten, macht die Regelung nicht ungeeignet. Aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung folgt, dass eine rein symbolische Eigenbeteiligung eine unzulässige Umgehung des § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG darstellen würde, die durch die Kommunalaufsicht unterbunden werden könnte (ebenso VG Schleswig, Beschluss vom 19. August 2011 - 6 B 37/11 -, S. 5 f.). Im Übrigen hat sich keiner der zehn übrigen Kreise in seiner jeweiligen Schülerbeförderungssatzung bei der Eigenbeteiligung auf einen solchen symbolischen Betrag beschränkt (siehe nachfolgend unter dd), Rn. 59). Die Regelungen sind vielmehr ausgesprochen differenziert und nehmen auf die sozialen Belange der Eltern und volljährigen Schülerinnen und Schüler Rücksicht, ohne dabei das Ziel der Verringerung der Belastung des jeweiligen Kreishaushaltes zu konterkarieren.

59

cc) Die Regelung ist auch erforderlich. Ohne die Vorgabe einer obligatorischen Eigenbeteiligung könnte das Ziel, die durch den Wegfall der Ausgleichszahlungen bei den Kommunen entstehende Finanzierungslücke im Bereich der Schülerbeförderung zu schließen und hierdurch die Grundlage für die Finanzierung der Schülerbeförderung zu sichern, ohne dass die Finanzausstattung der Kreise geschwächt wird, nicht gleichermaßen erreicht werden.

60

Dies zeigt die Entwicklung der Schülerbeförderungskosten im Jahre 2008. Unmittelbar nachdem durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Schulgesetzes und des Finanzausgleichsgesetzes vom 19. Februar 2008 (GVOBl S. 132) die zwingende Vorgabe einer Eigenbeteiligung der Eltern oder der volljährigen Schülerinnen oder Schüler rückwirkend zum 9. Februar 2007 durch eine fakultative Regelung ersetzt worden war, haben alle Kreise mit Ausnahme des Kreises Pinneberg die Satzungsregelungen über die Eigenbeteiligung - teils rückwirkend - aufgehoben. Angesichts dieser Vorgeschichte wäre nicht zu erwarten gewesen, dass bei einer Beibehaltung der fakultativen Regelung eine Eigenbeteiligung in einer nennenswerten Anzahl von Kreistagen politisch durchsetzbar gewesen wäre. Durch die zwingende Vorgabe einer Eigenbeteiligung ist der politische Druck von den Kreistagsabgeordneten genommen worden. Diese können gegenüber Eltern, Schülerinnen und Schülern auf die Entscheidung des Gesetzgebers und auf die politische Verantwortung des Landtages für die zwingende Vorgabe der Eigenbeteiligung aufgrund des Wegfalls des Landeszuschusses verweisen. Die angegriffene Regelung war daher erforderlich, um sicherzustellen, dass alle Kreise die durch den Wegfall der Landesmittel entstehende Finanzierungslücke durch eine Eigenbeteiligung bei den Schülerbeförderungskosten tatsächlich schließen und nicht aufgrund politischer Erwägungen in voller Höhe auf den Kreishaushalt durchschlagen lassen.

61

dd) Die Vorgabe einer zwingenden Eigenbeteiligung wahrt auch die Grenzen der Zumutbarkeit und Angemessenheit. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Beschränkung des Selbstverwaltungsrechts im engeren Sinne der Zumutbarkeit und der Angemessenheit der gesetzlichen Regelung erfordert eine Güterabwägung (BVerfG - als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein zu Art. 46 Abs. 1 und 2 LV -, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332 ff., Juris Rn. 124 ff.).

62

Die mit der angegriffenen Regelung verbundene Beschränkung des Selbstverwaltungsrechts des Beschwerdeführers steht nicht außer Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Gemeinwohlzweck, die Grundlage für die Finanzierung der Schülerbeförderung trotz des Wegfalls der Landesbeteiligung zu sichern, ohne die Finanzausstattung der Kreise zu schwächen. Durch die Regelung greift der Landesgesetzgeber nur geringfügig in die Satzungs- und Finanzhoheit des Beschwerdeführers ein. Von der in dem Gesetzentwurf der Landesregierung noch enthaltenen Vorgabe, eine Eigenbeteiligung von 30 % der Kosten einer Monatskarte zu erheben, wurde im Gesetzgebungsverfahren Abstand genommen. § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG regelt nur das „Ob“ der Eigenbeteiligung von Eltern und volljährigen Schülerinnen und Schülern, belässt dem Beschwerdeführer aber einen Spielraum sowohl hinsichtlich der Höhe der Eigenbeteiligung insgesamt als auch für die von ihm angeführten sozialverträglichen Differenzierungen. Dementsprechend haben neun der elf Kreise in Schleswig-Holstein zur Umsetzung der Änderung in § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG ihre Schülerbeförderungssatzungen um eine derart differenzierte Regelung über die Eigenbeteiligung ergänzt. Die Änderungen traten jeweils zum 1. August 2011 in Kraft. Die Satzung des Kreises Pinneberg sah bereits vor der Gesetzesänderung eine Eigenbeteiligung vor.

63

Die Regelungen stellen sich im Überblick wie folgt dar:

64

Kreis 

Satzung in der Fassung der/ vom…

Norm   

Inhalt

Herzogtum Lauenburg

6. Änderungssatzung vom 10. März 2011

 § 9

Eigenanteil 20-35% des Fahrkartenpreises, je nach Nutzbarkeit

Nordfriesland

2. Änderungssatzung vom 27. Mai 2011

§ 9a

Eigenanteil nur für das älteste Kind; 40,00 € pro Schuljahr in den Jahrgangsstufen 1-4, 80,00 € in den Jahrgangsstufen 5-10

Ostholstein

3. Nachtragssatzung vom 4. Juli 2011

§ 10

Eigenanteil von 60,00 € pro Jahr für das älteste Kind, 30,00 € für das zweitälteste, weitere Kinder frei; Leistungsempfänger nach SGB II und SGB XII frei, ebenso Eltern von Schülerinnen und Schülern in Schulen für Geistig- oder Körperbehinderte; Ratenzahlung möglich

Pinneberg

2. Nachtragssatzung vom 7. Mai 2008

§ 10

Eigenanteil von 42,00 € bis 164,40 € jährlich für das 1. Kind, je nach Nutzbarkeit der Fahrkarte; 50 % für das 2. Kind, ab dem 3. Kind frei; kein Eigenanteil für Grundschulen, Förderzentren, Behindertenbeförderung und integrative Beschulung; kein Eigenanteil für Leistungsempfänger nach SGB II und XII, AsylbLG oder WohngeldG; Absehen von Eigenanteil bei unzumutbarer Härte möglich

Plön   

14. April 2011 (Neufassung)

§ 10

30 % des Fahrkartenpreises für das 1. Kind, Ermäßigung auf 50 % hiervon für das 2. Kind, auf 25 % für das 3. Kind, weitere Kinder frei; Ratenzahlung und Befreiung in Härtefällen möglich

Rendsburg-Eckernförde

23. März 2011 unter Berücksichtigung der 1. Änderungssatzung vom 28. Juni 2011

§ 10

Eigenanteil von 84,00 € für das 1. Kind, 24,00 € für das 2. Kind, weitere Kinder frei; kein Eigenanteil bei Förderzentren; Verminderung um 50 % bei Bezug von Wohngeld oder Kindergeldzuschlag

Schleswig-Flensburg

1. Nachtragssatzung vom 9. März 2011

§ 11

Für das 1. Kind 80,00 € pro Jahr für die Jahrgangsstufen 1-4, 135,00 € pro Jahr für die Jahrgangsstufen 5-10; für das 2. Kind 60,00 € bzw. 100,00 €; für das 3. Kind und weitere Kinder 40,00 € bzw. 70,00 €; Leistungsempfänger nach SGB II und XII zahlen für das 1. Kind 40,00 € bzw. 70,00 €, weitere Kinder frei; keine Eigenbeteiligung bei Förderzentren; Ermäßigung und Befreiung in Härtefällen möglich

Segeberg

3. März 2011 (Neufassung)

§ 9

30 % des Fahrkartenpreises für das 1. Kind, ab dem 2. Kind Ermäßigung auf die Hälfte

Steinburg

3. Änderungssatzung vom 11. April 2011

§ 10

20 % des Fahrkartenpreises, Ermäßigung für das 2. Kind auf 50 %, ab dem 3. Kind frei; kein Eigenanteil für Leistungsempfänger nach SGB II und XII sowie bei Förderzentren und bei integrativen Schulen jeweils mit Schwerpunkt geistige Entwicklung; weitere Ausnahmen für bestimmte Schulen (Körperbehinderte, Hörgeschädigte, Blinde und Sehbehinderte)

Stormarn

Satzung, in Kraft getreten am 1. August 2011

§ 10

20 % des Fahrkartenpreises für das 1. Kind, ab dem 2. Kind frei; kein Eigenanteil für Leistungsempfänger nach SGB II und XII; Härtefallregelung

65

Wie diese Übersicht zeigt, kann dem Anliegen des Beschwerdeführers, diejenigen Eltern sowie volljährigen Schülerinnen und Schüler nicht doppelt zu belasten, die von den aufgrund der demographischen Entwicklung in ländlichen Räumen notwendig gewordenen Schulschließungen betroffen sind und nun längere Schulwege in Kauf nehmen müssen, durch eine differenzierende Satzungsregelung Rechnung getragen werden (ebenso VerfG Brandenburg, Urteil vom 20. November 2008 - VfGBbg 30/07 - LVerfGE 19, 103 ff., Juris Rn. 80).

66

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers verstößt der Landesgesetzgeber durch die Regelung in § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG auch nicht gegen das im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs bestehende Nivellierungsverbot. Das Nivellierungsverbot wird teils aus dem Begriff des Finanzausgleichs und aus dem Willkürverbot abgeleitet, teils mit dem Verbot der Aushöhlung der Selbstverwaltungsgarantie begründet. Es besagt, dass der Finanzausgleich vorhandene Finanzkraftunterschiede der Kommunen durch die Gewährung von Landesmitteln mildern, sie aber nicht völlig abbauen soll. Erst recht darf die tatsächliche Finanzkraftreihenfolge der Kommunen durch den Ausgleich nicht umgekehrt werden (vgl. BVerfG, Urteile vom 20. Februar 1952 - 1 BvF 2/51 - BVerfGE 1, 117 ff., Juris Rn. 45 und vom 27. Mai 1992 - 2 BvF 1/88 u.a. - BVerfGE 86, 148 ff., Juris Rn. 362; BVerwG, Urteil vom 25. März 1998 - BVerwG 8 C 11.97 - BVerwGE 106, 280 ff., Juris Rn. 22; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. Juli 2011 - VerfGH 32/08 - DVBl 2011, 1155 ff., Juris Rn. 61; StGH Niedersachsen, Urteil vom 4. Juni 2010 - StGH 1/08 - NdsVBl 2010, 236 ff., Juris Rn. 67; LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. Juni 2006 - LVG 7/05 - LVerfGE 17, 410 ff., Juris Rn. 103; VerfG Brandenburg, Urteil vom 16. September 1999 - VfGBbg 28/98 - LVerfGE 10, 237 ff., Juris Rn. 105; BayVerfGH, Entscheidung vom 12. Januar 1998 - Vf. 24-VII-94 - BayVBl 1998, 207 f., Juris Rn. 86). Dass durch § 114 Abs. 2 Satz 3 SchulG ein völliger oder weitgehender Abbau der bestehenden Finanzkraftunterschiede der Kreise herbeigeführt würde, ist angesichts des Umstands, dass es sich lediglich um eine Kostenbeteiligung handelt, bei der zwangsläufig ein Einnahmedefizit bleibt, nicht möglich.

III.

67

Das Verfahren ist kostenfrei (§ 33 Abs. 1 LVerfGG). Eine Kostenerstattung findet nicht statt (§ 33 Abs. 4 LVerfGG). Eine Entscheidung über die Vollstreckung entfällt (§ 34 LVerfGG).

IV.

68

Das Urteil ist einstimmig ergangen.


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Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Urteil, 03. Sept. 2012 - 1/12 zitiert 8 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 28


(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben,

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 90


(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwer

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Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Urteil, 03. Sept. 2012 - 1/12 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

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Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 20. Feb. 2012 - 6 B 38/11

bei uns veröffentlicht am 20.02.2012

Gründe I. 1 Der Kläger erstrebt den Erlass von - durch Dauerbescheid festgesetzten - La

Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 21. Juni 2011 - 2 MB 30/11

bei uns veröffentlicht am 21.06.2011

Tenor Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 6. Kammer - vom 01. Juni 2011 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Urteil, 26. Feb. 2010 - LVerfG 1/09

bei uns veröffentlicht am 26.02.2010

Tenor Die Amtsordnung für Schleswig-Holstein in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Februar 2003 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 112), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. März 2009 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 93), ist mittlerweil

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Gründe

I.

1

Der Kläger erstrebt den Erlass von - durch Dauerbescheid festgesetzten - Langzeitstudiengebühren nach dem Hochschulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt für das Wintersemester 2007/2008. Seine Klage mit dem Antrag, die beklagte Universität zur Aufhebung ihres ablehnenden Bescheids und zur Neubescheidung seines Erlassantrags zu verpflichten, ist vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht erfolglos geblieben. Die Beschwerde richtet sich gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts.

II.

2

Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

3

1. Die Revision ist nicht wegen Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

4

Dieser Zulassungsgrund ist erfüllt, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz, der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen in der Vorschrift genannten Gerichts aufgestellt worden ist, widersprochen hat. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist die Abweichung in der Beschwerdebegründung darzulegen. Den Ausführungen des Klägers lassen sich die Merkmale einer solchen die Revision eröffnenden Abweichung nicht entnehmen.

5

a) Der Kläger sieht eine Divergenzsituation dadurch begründet, dass das Oberverwaltungsgericht den Rechtssatz aufgestellt habe, für die Verpflichtungsklage sei nicht die im Zeitpunkt der Entscheidung geltende Rechtslage maßgeblich. Demgegenüber lasse sich dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2007 - BVerwG 4 C 9.07 - (BVerwGE 130, 113 = Buchholz 310 § 73 VwGO Nr. 40 Rn. 13) der Rechtssatz entnehmen, dass es für die Verpflichtungsklage auf die im Zeitpunkt der Entscheidung geltende Rechtslage ankomme. Mit diesem Vortrag missversteht der Kläger die genannten Entscheidungen.

6

Die Maßstäbe für die Bestimmung des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. m.w.N.: Urteil vom 31. März 2004 - BVerwG 8 C 5.03 - BVerwGE 120, 246 <250> = Buchholz 428 § 4 Abs. 3 VermG Nr. 20 S. 74 f.) geklärt. Danach ergibt sich aus dem Prozessrecht, dass ein Kläger mit einem Aufhebungsbegehren wie mit einem Verpflichtungsbegehren nur dann Erfolg haben kann, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsakts bzw. auf die erstrebte Leistung hat. Hingegen beurteilt sich nach dem materiellen Recht, ob ein solcher Anspruch besteht, das heißt ob ein belastender Verwaltungsakt den Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 VwGO rechtswidrig in seinen Rechten verletzt oder die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsakts im Sinne des § 113 Abs. 5 VwGO rechtswidrig ist. Dabei sind dem materiellen Recht nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst zu entnehmen. Aus ihm ergibt sich auch die Antwort auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

7

Auf diese Rechtsprechungsgrundsätze nimmt die von dem Kläger genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich Bezug (Urteil vom 13. Dezember 2007 a.a.O. Rn. 10). Gleiches gilt für die angefochtene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, denn diese führt aus (UA S. 5), dass sich nicht nach der Klageart, sondern nach dem materiellen Recht bestimme, welche Rechtsvorschriften für die Entscheidung heranzuziehen seien. Die von dem Kläger gerügte Divergenz besteht daher nicht.

8

b) Ins Leere geht auch die von dem Kläger erhobene weitere Divergenzrüge. Der Kläger entnimmt dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts den Rechtssatz, dass sich die materielle Rechtslage nach altem Recht bestimme, wenn der Gesetzgeber eine Neuregelung ohne Übergangsbestimmungen in Kraft gesetzt habe. Hingegen sei in einer derartigen Situation nach einem Rechtssatz, den das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 7. November 1985 - BVerwG 5 C 29.82 - (BVerwGE 72, 195 <196 f.> = Buchholz 451.65 Börsenrecht Nr. 4 S. 2 f.), vom 11. Februar 1999 - BVerwG 2 C 4.98 - (Buchholz 239.2 § 28 SVG Nr. 2 S. 2) und vom 26. April 1968 - BVerwG 6 C 104.63 - (BVerwGE 29, 304 <306, 308 f.> = Buchholz 232 § 65 BBG Nr. 2 S. 11) aufgestellt habe, das neue Recht einschlägig.

9

Aus diesem Vortrag ergibt sich eine nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO relevante Divergenz bereits deshalb nicht, weil es sich bei dem Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Februar 1999 mit dem angegebenen Inhalt um ein Fehlzitat handelt und im Übrigen die einander vermeintlich widersprechenden Rechtssätze nicht zu derselben Rechtsvorschrift formuliert worden sind. Während das angefochtene Urteil das Hochschulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt betrifft, beruhen die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. November 1985 und vom 26. April 1968 auf der Anwendung des bundesrechtlichen Börsenrechts bzw. des - nach § 127 Abs. 2 BRRG revisiblen - bremischen Beamtenrechts. Darüber hinaus könnte das im Urteil des Berufungsgerichts zu Grunde gelegte Landesrecht nach § 137 Abs. 1 VwGO in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht überprüft werden (vgl. dazu allgemein: Beschluss vom 7. Juni 2011 - BVerwG 6 B 6.11 - juris Rn. 4 m.w.N.). Ferner hat das Oberverwaltungsgericht bei der Auslegung und Anwendung des Landesrechts keinen Rechtssatz aufgestellt, mit dem es sich in Widerspruch zu einer entsprechenden, nach revisiblem Recht begründeten allgemeinen Aussage in den bezeichneten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts gesetzt hätte. Denn alle Entscheidungen gehen übereinstimmend davon aus, dass es eine Frage der Auslegung des jeweiligen Gesetzes ist, welche Bedeutung dem Fehlen von Übergangsvorschriften für die Maßgeblichkeit einer neuen Gesetzeslage für frühere Zeiträume zukommt.

10

2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

11

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Aus den Darlegungen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind.

12

a) Der Kläger möchte - anknüpfend an seine Ausführungen zum Revisionszulassungsgrund der Divergenz - zunächst grundsätzlich geklärt wissen, ob "die materielle Rechtslage nach neuem Recht zu bestimmen (ist), wenn der Gesetzgeber eine Neuregelung ohne Übergangsbestimmungen in Kraft setzt."

13

Diese Frage ist einer grundsätzlichen Klärung im Revisionsverfahren nicht zugänglich, weil ihre Beantwortung von einer Auslegung der im konkreten Fall anzuwendenden Rechtsvorschrift abhängt, die hier dem im Revisionsverfahren nicht überprüfbaren Landesrecht angehört.

14

b) Der Kläger hält weiter im Hinblick auf die Auslegung der Härtefallklausel des § 111 Abs. 8 Satz 4 und der Vorschrift des § 112 Abs. 4 des Hochschulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (HSG LSA) in seiner von dem Oberverwaltungsgericht angewandten Fassung vom 5. Mai 2004 (GVBl LSA S. 256) folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:

15

"Setzt der Erlass der Gebühr nach § 111 Abs. 8 Satz 4 Halbs. 2 HSG LSA in Fällen von Krankheit und Behinderung voraus, dass zusätzlich eine wirtschaftliche Notlage vorliegen muss? Muss die Krankheit oder Behinderung im Sinne des § 111 Abs. 8 Satz 4 Halbs. 2 HSG LSA im Zeitpunkt der Fälligkeit der Gebühr fortbestehen? Liegt eine unbillige Härte im Sinne des § 111 Abs. 8 Satz 4 Halbs. 2 HSG LSA nur dann vor, wenn neben der Krankheit die wirtschaftliche Notlage nicht durch eine Aufnahme einer Arbeit oder die Erschließung sonstiger Einkommensquellen abgewendet werden kann? Gehört zu den Einkommensquellen auch die Aufnahme eines Darlehens? Welche Anforderungen sind an den Kläger hinsichtlich der Darlegung fehlender anderer Arbeitsmöglichkeiten/ Einnahmequellen zu stellen? War das Hinausschieben der Gebührenpflicht nach § 112 Abs. 4 HSG LSA a.F. nur dann zulässig, wenn die Gebührenpflicht noch nicht erstmalig eingetreten war? Können Härtefallgesichtspunkte nach Ablauf des jeweiligen Semesters geltend gemacht werden?"

16

Auch diese Fragen führen nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Obwohl die Härtefallklausel des § 111 Abs. 8 Satz 4 HSG LSA im Grundsatz bundesverfassungsrechtlich geboten ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 31. März 2006 - 1 BvR 1750/01 - juris Rn. 35 und - 1 BvR 1771/01 - juris Rn. 29, 32 f.), gehört sie in ihrer konkreten Ausgestaltung dem irrevisiblen Landesrecht an (Beschluss vom 3. September 2010 - BVerwG 6 B 29.10 - juris Rn. 11). Der rein landesrechtliche Charakter der Vorschrift des § 112 Abs. 4 HSG LSA liegt nicht weniger klar zu Tage.

17

Einen bundesrechtlichen Bezug gewinnen die aufgeworfenen Fragen nicht dadurch, dass der Kläger geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe - jedenfalls - die Härtefallklausel des § 111 Abs. 8 Satz 4 HSG LSA unter Übergehung des Art. 12 Abs. 1 GG ausgelegt bzw. sich bei der Auslegung soweit vom Gesetzeswortlaut entfernt, dass ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG sowie Art. 12 Abs. 1 GG vorliege. Die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von Landesrecht vermag die Zulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Das Darlegungsgebot des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren in der Beschwerdebegründung im Einzelnen aufzuzeigen (stRspr, vgl. nur: Beschluss vom 3. September 2010 a.a.O. Rn. 5 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Den von dem Kläger (unter Verweis auf Eichberger, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Bd. 2, Stand September 2011, § 137 Rn. 83) angestellten Erwägungen über einen Durchgriff des Revisionsgerichts auf irrevisibles Landesrecht kann eine Relevanz nur im Rahmen einer bereits zugelassenen Revision, nicht aber - abgesehen von der hier nicht relevanten Konstellation einer Vorwirkung des § 144 Abs. 4 VwGO (vgl. dazu: Beschluss vom 3. September 2010 a.a.O. Rn. 10 f.) - im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zukommen.

18

3. Schließlich kann der Kläger mit seiner Rüge eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht durchdringen. Nach dieser Vorschrift ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies ist hier nicht der Fall.

19

a) Der Kläger rügt zu Unrecht einen Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, verbunden mit einer Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO.

20

Der Kläger führt aus, das Oberverwaltungsgericht habe in der mündlichen Verhandlung - nach seinem Verständnis der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts erstmalig - vertreten, dass Voraussetzung für den Erlass einer Langzeitstudiengebühr neben der Erfüllung eines der in § 111 Abs. 8 Satz 4 HSG LSA genannten Regelbeispiele eine unabwendbare wirtschaftliche Notlage sei. Das Oberverwaltungsgericht habe ihm keine Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen und in tatsächlicher Hinsicht weiter vorzutragen.

21

aa) Aus diesen Darlegungen ergibt sich keine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO. Denn der Kläger räumt selbst ein, dass die bezeichnete Problematik in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht zur Sprache gekommen ist.

22

bb) Ebenso wenig lässt das Vorbringen des Klägers in diesem Zusammenhang eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erkennen.

23

(1) Diesen Anspruch hat das Oberverwaltungsgericht nicht dadurch verletzt, dass es den protokollierten Wunsch des Klägers (Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 2011 S. 2), weiter dazu vorzutragen, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sei, eine wirtschaftliche Notlage durch Aufnahme einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit abzuwenden, nicht als förmlichen Antrag auf Einräumung einer Schriftsatzfrist nach § 173 VwGO i.V.m. § 283 Satz 1 ZPO analog oder auf Vertagung der Verhandlung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewertet und vor Verkündung des Urteils durch Beschluss beschieden hat (vgl. dazu allgemein: Urteil vom 10. Mai 1984 - BVerwG 2 C 41.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 149 S. 3 f.). Denn der anwaltlich vertretene Kläger hatte unmittelbar zuvor im Hinblick auf die Frage, ob eine wirtschaftliche Notlage allein einen Gebührenerlass nach § 111 Abs. 8 Satz 4 HSG LSA zu rechtfertigen vermöge, Schriftsatznachlass nur hilfsweise für den Fall des Unterliegens beantragt. Ebenfalls nur hilfsweise hat er unmittelbar anschließend zwei Beweisanträge im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Abwehr der wirtschaftlichen Notlage gestellt. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger klarstellen müssen, dass er sein Begehren auf weitere Vortragsgelegenheit zur Frage der Aufnahme entgeltlicher Tätigkeiten nicht in dem genannten Sinne nur hilfsweise angebracht hat.

24

(2) Das Oberverwaltungsgericht musste dem Kläger auch in der Sache die Gelegenheit zu weiterem Vortrag nicht einräumen. Denn die Frage der Möglichkeit, eine wirtschaftliche Notlage zu vermeiden, war ersichtlich in die gesamte Erlassproblematik dergestalt eingebettet, dass der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter mit ihrer Erörterung in der mündlichen Verhandlung rechnen mussten (vgl. zu diesem Maßstab: Beschluss vom 21. Dezember 1999 - BVerwG 7 B 155.99 - Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 29)

25

b) Auch der von dem Kläger geltend gemachte weitere Verstoß gegen § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, verbunden mit einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO, liegt nicht vor.

26

Der Kläger führt aus, das Oberverwaltungsgericht habe den von ihm mit Schriftsatz vom 17. Juni 2011 vorgelegten zwei medizinischen Bescheinigungen (Anlagen KC 1 und KC 2) deshalb keine Bedeutung beigemessen, weil er einen entsprechenden Vortrag nicht bereits erstinstanzlich angebracht habe. Das Oberverwaltungsgericht habe dabei übersehen, dass seine psychische Erkrankung vor der psychotherapeutischen Behandlung im Jahr 2011 nicht erkennbar gewesen sei. Wenn das Gericht der Auffassung gewesen sei, dass er zumutbare einfache entgeltliche Tätigkeiten hätte erledigen können, hätte es dies durch eine Beweiserhebung feststellen müssen. In diesem Vorbringen ist die Rüge angelegt, das Berufungsgericht sei dem von dem Kläger gestellten Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Hinderung an einer Arbeitstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen zu Unrecht nicht nachgekommen.

27

Auch diese Rüge greift nicht durch. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger die hilfsweise unter Beweis gestellte Behauptung tatsächlich - wie von dem Oberverwaltungsgericht angenommen - "ins Blaue hinein" aufgestellt hat (vgl. dazu: Beschluss vom 29. März 1995 - BVerwG 11 B 21.95 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266). Denn das Berufungsgericht hat unabhängig von dieser Annahme in nachvollziehbarer Weise begründet, weshalb es den hilfsweise angebotenen Beweis nicht erhoben hat: Der Kläger habe psychische Belastungen bisher stets nur im Hinblick auf Verzögerungen seines Studiums, nicht aber als Hinderungsgrund für die Aufnahme einer entgeltlichen Tätigkeit angeführt. Die durch den Hilfsbeweisantrag in Bezug genommene ärztliche Stellungnahme (Dr. R. vom 8. Juni 2011) beziehe sich gleichfalls nur auf einen geregelten Studienablauf und könne die Annahme nicht tragen, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, zumutbare einfache Tätigkeiten wie das Austragen von Zeitungen oder sonstige Hilfsarbeiten in der vorlesungsfreien Zeit oder studienbegleitend auszuüben. Immerhin habe der Kläger über einen gewissen Zeitraum als studentische Hilfskraft bis zu 20 Stunden monatlich gearbeitet. Auf diese Begründung geht der Kläger in seiner Beschwerde nicht ansatzweise ein.

28

c) Schließlich zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht - wie von dem Kläger beanstandet - seine aus § 86 Abs. 1 VwGO folgende Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, verletzt hat.

29

Der Kläger macht in dieser Hinsicht - soweit noch nicht behandelt - geltend, das Oberverwaltungsgericht habe seine familiären Pflichten vor dem Hintergrund des von ihm hierzu hilfsweise angebotenen Beweises zu Unrecht als unbeachtlich angesehen. Das Gericht sei zumindest verpflichtet gewesen, einem denkbaren Sachverhalt nachzugehen.

30

Diesem Vorbringen mangelt es an der erforderlichen Substanz. Im Ergebnis bestätigt der Kläger hierdurch die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts, dass eine hinreichende tatsächliche Grundlage für das hilfsweise angebrachte Begehren des Klägers, Beweis über seine Hinderung an entgeltlicher Arbeit durch die Geburt seines Kindes zu erheben, nicht ersichtlich sei.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

Tenor

Die Amtsordnung für Schleswig-Holstein in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Februar 2003 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 112), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. März 2009 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 93), ist mittlerweile insofern mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 und Artikel 3 Absatz 1 der Landesverfassung unvereinbar, als sie in § 5 Absatz 1 Satz 1 die Möglichkeit eröffnet, dass sich die Ämter in Folge zunehmender Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben durch die Gemeinden zu Gemeindeverbänden entwickeln, sie aber für diesen Fall in § 9 keine unmittelbare Wahl der Mitglieder des Amtsausschusses als des zentralen Entscheidungsorgans der Ämter durch das Volk vorsieht.

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die verfassungswidrige Rechtslage bis spätestens zum 31. Dezember 2014 durch eine Neuregelung zu beseitigen. Bis dahin bleibt § 9 der Amtsordnung insgesamt anwendbar. § 5 Absatz 1 Satz 1 der Amtsordnung bleibt bis dahin insofern anwendbar, als die Vorschrift die Rechtsgrundlage für Übertragungen bildet, die bis einschließlich 26. Februar 2010 erfolgt sind.

Gründe

A.

1

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Landesverfassung (LV) es angesichts des gegenwärtigen Aufgabenstandes der Ämter gebietet, dass die Einwohnerinnen und Einwohner auch in den Ämtern eine Vertretung haben, die aus unmittelbaren Wahlen hervorgegangen ist.

I.

2

1. Das Verfahren knüpft an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - (BVerfGE 52, 95 ff.) an. Dem Bundesverfassungsgericht war seinerzeit gemäß Art. 37 Abs. 2 Landessatzung (LS) auf Grundlage des Art. 99 Grundgesetz (GG) die Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten innerhalb des Landes Schleswig-Holstein übertragen. Durch das am 27. Oktober 2006 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein vom 17. Oktober 2006 (GVOBl S. 220; vgl. Art. 44 LV) in Verbindung mit dem Gesetz über das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht (Landesverfassungsgerichtsgesetz - LVerfGG -) vom 10. Januar 2008 (GVOBl S. 25) ist diese Zuständigkeit am 1. Mai 2008 auf das neu errichtete Landesverfassungsgericht übergegangen, das insoweit Funktionsnachfolger des Bundesverfassungsgerichts ist.

3

2. In seinem Urteil vom 24. Juli 1979 (a. a. O.) hatte das Bundesverfassungsgericht ausgehend vom Aufgabenbestand der Ämter im Jahr 1979 die Frage, ob Art. 2 Abs. 2 LS es gebietet, dass die Einwohnerinnen und Einwohner auch in den Ämtern eine Vertretung haben, die aus unmittelbaren Wahlen hervorgegangen ist, verneint. Gemeindeverbände im Sinne des Art. 2 Abs. 2 LS seien nur die zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben gebildeten Gebietskörperschaften und diesen nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben vergleichbare kommunale Zusammenschlüsse.

II.

4

1. Die maßgeblichen Vorschriften der Landesverfassung lauten:

5
Artikel 2
Demokratie, Funktionentrennung
(1) Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus.

(2) Das Volk bekundet seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen. Es handelt durch seine gewählten Vertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie durch Abstimmungen.

(3) [...]
6
Artikel 3
Wahlen und Abstimmungen
(1) Die Wahlen zu den Volksvertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden und die Abstimmungen sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim.

(2) - (4) [...]
7
Artikel 46
Kommunale Selbstverwaltung
(1) Die Gemeinden sind berechtigt und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen.

(2) Die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit die gleichen Rechte und Pflichten.

(3) Das Land sichert durch seine Aufsicht die Durchführung der Gesetze. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) [...]
8

2. Ämter bestanden in Schleswig-Holstein bereits, als die Landessatzung am 12. Januar 1950 in Kraft trat (vgl. dazu die Amtsordnung vom 6. August 1947, GVOBl S. 38). Ihr Aufgabenkreis und ihre rechtliche Stellung sind inzwischen mehrfach neu gefasst worden, zuletzt durch die Amtsordnung für Schleswig-Holstein (AO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Februar 2003 (GVOBl S.112, zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. März 2009, GVOBl S. 93). Zur Zeit gibt es 87 Ämter mit insgesamt 1.036 amtsangehörigen Gemeinden und kleineren Städten. Ihre Einwohnerzahl reicht von rund 1.300 beim Amt Pellworm – ohne eigene Verwaltung – bis zu knapp 40.000 im Amt Südtondern. Die Zahl der amtsangehörigen Gemeinden bewegt sich zwischen drei bei den Ämtern Haseldorf, Oeversee und Schrevenborn und 34 im Amt Kirchspielslandgemeinden Eider. Zwei Ämter sind kreisübergreifend (Amt Großer Plöner See und Amt Itzstedt). Daneben gibt es weiterhin amtsfreie Gemeinden, von denen drei die Verwaltungsgeschäfte im Wege einer Verwaltungsgemeinschaft durch ein Amt führen lassen und vier kreisfreie Städte. Von den 87 Ämtern verfügen 75 über eine eigene Amtsverwaltung, wobei diese in neun Fällen durch eine amtsangehörige Gemeinde geführt wird. Die verbleibenden zwölf Ämter werden im Wege einer Verwaltungsgemeinschaft durch eine amtsfreie Gemeinde verwaltet (näher: Bülow, Die Gemeinde SH 2009, 98 <101-103>).

9

Die Ämter sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie bestehen aus Gemeinden, die seit der Änderung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AO durch das Erste Verwaltungsstrukturreformgesetz vom 28. März 2006 (GVOBl S. 28) nicht mehr demselben Kreis angehören müssen. Die Ämter dienen der Stärkung der Selbstverwaltung der amtsangehörigen Gemeinden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AO). Soweit es die Amtsordnung bestimmt oder zulässt, treten sie als Träger von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung an die Stelle der amtsangehörigen Gemeinden (§ 1 Abs. 1 Satz 3 AO). Über den Zusammenschluss von Gemeinden zu Ämtern, über die Änderung und Auflösung sowie über den Namen und den Sitz des Amtes entscheidet das Innenministerium nach Anhörung der beteiligten Gemeindevertretungen und Kreistage (§ 1 Abs. 2 Satz 1 AO). Das Amt soll zur Durchführung seiner Aufgaben eine eigene Verwaltung einrichten; alternativ kann es die Verwaltung einer größeren amtsangehörigen Gemeinde mit deren Zustimmung in Anspruch nehmen oder eine Verwaltungsgemeinschaft vereinbaren (§ 1 Abs. 3 AO). Die Ämter sollen ein abgerundetes Gebiet mit in der Regel nicht weniger als 8.000 Einwohnerinnen und Einwohnern umfassen (§ 2 AO).

10

Organe des Amtes sind der Amtsausschuss, die Amtsvorsteherin oder der Amtsvorsteher und bei hauptamtlich verwalteten Ämtern die Amtsdirektorin oder der Amtsdirektor. Sie entsprechen den Organen der Gemeinde (§ 24a AO), wobei an die Stelle der Gemeindevertretung der Amtsausschuss, an die Stelle der oder des Vorsitzenden der Gemeindevertretung die Amtsvorsteherin oder der Amtsvorsteher und an die Stelle der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters die Amtsdirektorin oder der Amtsdirektor, in ehrenamtlich verwalteten Ämtern wiederum die Amtsvorsteherin oder der Amtsvorsteher tritt. Der Amtsausschuss trifft alle für das Amt wichtigen Entscheidungen und überwacht ihre Durchführung (§ 10 Abs. 1 AO). Er wählt die Amtsvorsteherin beziehungsweise den Amtsvorsteher, die beziehungsweise der den Vorsitz im Amtsausschuss führt (§§ 11, 12 AO). Bei ehrenamtlich verwalteten Ämtern leitet die Amtsvorsteherin oder der Amtsvorsteher auch die Verwaltung (§ 13 AO), bei hauptamtlich verwalteten Ämtern (Ämter mit mehr als 8.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, bei denen die Hauptsatzung die hauptamtliche Verwaltung bestimmt) erledigt dies die Amtsdirektorin oder der Amtsdirektor, die oder der ebenfalls vom Amtsausschuss gewählt wird (§§ 15a, 15b AO). Dabei verfährt sie oder er nach den Grundsätzen und Richtlinien des Amtsausschusses.

11

3. Der Amtsausschuss wird nicht unmittelbar vom Volk gewählt. Die für seine Zusammensetzung maßgebliche Vorschrift lautet, soweit für das vorliegende Verfahren von Bedeutung:

12
§ 9
Zusammensetzung des Amtsausschusses
(1) Der Amtsausschuss besteht aus den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der amtsangehörigen Gemeinden. Gemeinden über 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner entsenden weitere Mitglieder in den Amtsausschuss. Ihre Zahl beträgt

in Gemeinden über 1.000 bis 2.000 Einwohnerinnen und Einwohner 1,

in Gemeinden über 2.000 bis 3.000 Einwohnerinnen und Einwohner 2,

in Gemeinden über 3.000 bis 4.000 Einwohnerinnen und Einwohner 3,

in Gemeinden über 4.000 bis 5.000 Einwohnerinnen und Einwohner 4,

in Gemeinden über 5.000 bis 6.000 Einwohnerinnen und Einwohner 5,

in Gemeinden über 6.000 bis 7.000 Einwohnerinnen und Einwohner 6,

in Gemeinden über 7.000 bis 8.000 Einwohnerinnen und Einwohner 7.

Gemeinden über 8.000 Einwohnerinnen und Einwohner bis 10.000, 12.000, 14.000 usw. Einwohnerinnen und Einwohner entsenden zusätzlich 1, 2, 3 usw. weitere Mitglieder. Für die Anzahl der weiteren Mitglieder ist die Einwohnerzahl maßgebend, die der letzten allgemeinen Wahl zu den Gemeindevertretungen zugrunde gelegen hat. Bei Gebietsänderungen gilt
§ 133 Abs. 2 der Gemeindeordnung
entsprechend. Die Gutsvorsteherin oder der Gutsvorsteher von gemeindefreien Gutsbezirken ist Mitglied des Amtsausschusses ohne Stimmrecht.

(2) Die Gemeindevertretungen wählen die weiteren Mitglieder des Amtsausschusses aus ihrer Mitte. Jede Fraktion kann verlangen, dass das von der Gemeinde zu entsendende weitere Mitglied oder die zu entsendenden weiteren Mitglieder auf Vorschlag der nach Satz 3 vorschlagsberechtigten Fraktion oder Fraktionen gewählt wird oder werden. In diesem Fall steht der Fraktion oder den Fraktionen das Vorschlagsrecht in der Reihenfolge der Höchstzahlen zu, die sich aus der Teilung der Sitzzahlen der Fraktionen durch 1, 2, 3 usw. ergeben. Für die Wahl gilt
§ 39 Abs. 1 der Gemeindeordnung
entsprechend. Die ehrenamtliche Bürgermeisterin oder der ehrenamtliche Bürgermeister wird auf den Wahlvorschlag der Fraktion angerechnet, der sie oder er im Zeitpunkt dieser Wahl angehört.

(3) Die Gemeindevertretungen wählen aus ihrer Mitte Stellvertretende für die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitglieder des Amtsausschusses. Die Hauptsatzung des Amtes bestimmt die Anzahl der Stellvertretenden je Mitglied des Amtsausschusses. Hat eine Fraktion das Verlangen nach Absatz 2 Satz 2 gestellt, erfolgt die Wahl der Stellvertretenden eines weiteren Mitglieds auf Vorschlag der Fraktion, die das weitere Mitglied vorgeschlagen hat; die Wahl der Stellvertretenden der ehrenamtlichen Bürgermeisterin oder des ehrenamtlichen Bürgermeisters erfolgt auf Vorschlag der Fraktion, der sie oder er im Zeitpunkt der Wahl der Stellvertretenden angehört. Für die Wahl gilt
§ 39 Abs. 1 der Gemeindeordnung
entsprechend. Die Stellvertretenden vertreten das Mitglied im Fall der Verhinderung in der Reihenfolge, in der sie vorgeschlagen sind.
§ 33 Abs. 1 Satz 5 der Gemeindeordnung
gilt entsprechend.

(4) - (6) [...]
13

4. Für die Aufgaben der Ämter bestimmt die Amtsordnung:

14
§ 3
Amt und Gemeinde
(1) Das Amt bereitet im Einvernehmen mit der Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister die Beschlüsse der Gemeinde vor und führt nach diesen Beschlüssen die Selbstverwaltungsaufgaben der amtsangehörigen Gemeinden durch. Ein Beschluss ist nicht auszuführen, soweit er das Recht verletzt. Beabsichtigt das Amt, einen Beschluss wegen Rechtsverletzung nicht auszuführen, hat es die Gemeinde unverzüglich zu unterrichten. Die Gemeinde kann nach Anhörung des Amtes mit Zustimmung der Kommunalaufsichtsbehörde beschließen, einzelne Selbstverwaltungsaufgaben selbst durchzuführen. Ist die Gemeinde in einem gerichtlichen Verfahren beteiligt, so wird sie durch das Amt vertreten; dies gilt nicht in den Fällen, in denen das Amt Verfahrensbeteiligter ist oder zwei amtsangehörige Gemeinden Verfahrensbeteiligte sind.

(2) Die Ämter sind ferner Träger der gesetzlichen und der ihnen nach § 5 übertragenen Aufgaben.

(3) [...]
15
§ 4
Gesetzliche Aufgaben der Ämter
(1) Das Amt ist Träger der ihm und den amtsangehörigen Gemeinden übertragenen Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung.
§ 3 Abs. 2 der Gemeindeordnung
gilt entsprechend.

(2) Den Ämtern können durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch Verordnung neue Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden.

(3) Das Amt besorgt die Kassengeschäfte oder die Aufgaben der Finanzbuchhaltung und die Vorbereitung der Aufstellung der Haushaltspläne für die amtsangehörigen Gemeinden.

(4) Das Amt hat über die öffentlichen Aufgaben, die mehrere amtsangehörige Gemeinden betreffen und eine gemeinsame Abstimmung erfordern, zu beraten und auf ihre Erfüllung hinzuwirken.
16
§ 5
Übertragene Aufgaben
(1) Über die Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 hinaus können mehrere amtsangehörige Gemeinden gemeinsam dem Amt Selbstverwaltungsaufgaben übertragen. Bei der Beschlussfassung haben die Mitglieder des Amtsausschusses, deren Gemeinden von der Übertragung nicht betroffen sind, kein Stimmrecht.

(2) Die Gemeinden können eine Rückübertragung verlangen, wenn sich die Verhältnisse, die der Übertragung zugrunde lagen, so wesentlich geändert haben, dass den Gemeinden ein Festhalten an der Übertragung nicht weiter zugemutet werden kann. Soweit erforderlich, erfolgt in diesen Fällen eine Auseinandersetzung in entsprechender Anwendung der für Gebietsänderungen der Gemeinden geltenden Vorschriften. Die Rückübertragung bedarf der Zustimmung der Kommunalaufsichtsbehörde, wenn das Amt mit der Rückübertragung nicht einverstanden ist.

(3) […]

(4) Die Kreise können den Ämtern Selbstverwaltungsaufgaben nur aufgrund gesetzlicher Bestimmungen übertragen.
17

Nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit (GkZ) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Februar 2003 (GVOBl S. 122), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2006 (GVOBl S. 285) dürfen keine Zweckverbände gebildet werden, soweit Gemeinden dem Amt nach § 5 Abs. 1 AO Aufgaben übertragen können. Eine Ausnahme besteht für Schulverbände (§ 56 Abs. 1 SchulG). Soweit sich Zweckverbände oder auf Gesetz beruhende sonstige Verbände ausschließlich aus mehreren oder allen Gemeinden eines Amtes zusammensetzen, gehen die Aufgaben der Verbände gemäß § 23 Satz 1 GkZ auf das Amt über. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GkZ können Gemeinden, Ämter, Kreise und Zweckverbände untereinander oder mit anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts oder mit rechtsfähigen Anstalten oder rechtsfähigen Stiftungen des öffentlichen Rechts durch öffentlich-rechtlichen Vertrag vereinbaren, dass einer der Beteiligten einzelne oder mehrere zusammenhängende Aufgaben der übrigen Beteiligten übernimmt.

18

Den Ämtern fließen alle Verwaltungseinnahmen oder Verwaltungserträge zu, die im Zusammenhang mit der Erfüllung der von ihnen übernommenen sowie der ihnen übertragenen Aufgaben anfallen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über den Finanzausgleich in Schleswig-Holstein - FAG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Februar 2009, GVOBl S. 67, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Juli 2009, GVOBl S. 413). Ferner gewährt das Land den Ämtern allgemeine Finanzzuweisungen als Beitrag zur Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs (§ 2 Abs. 1 FAG) und Zweckzuweisungen (§ 2 Abs. 2 FAG). Soweit andere Finanzmittel den Finanzbedarf der Ämter nicht decken, wird bei den amtsangehörigen Gemeinden eine Amtsumlage erhoben (§§ 21, 22 AO, §§ 28, 29 FAG).

III.

19

Die Antragsteller beantragen festzustellen,
dass § 9 der Amtsordnung für Schleswig-Holstein unter Zugrundelegung des gegenwärtigen Stands der Aufgabenerfüllung gegen Art. 2 Abs. 1 und 2 sowie Art. 3 Abs. 1 der Landesverfassung verstößt und nichtig ist.

20

Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, die Ämter seien aufgrund der Entwicklung seit 1979, insbesondere aufgrund einer seither fortgeschrittenen Übernahme von Selbstverwaltungsaufgaben mittlerweile Gemeindeverbände im Sinne der Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 LV. Sie seien den zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben gebildeten Gebietskörperschaften nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben vergleichbare kommunale Zusammenschlüsse. Hierzu verweisen Sie auf mehrere Untersuchungen und Erhebungen zum Aufgabenbestand der Ämter. Deshalb bedürfe es einer Direktwahl der Mitglieder des Amtsausschusses.

IV.

21

1. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hält den Antrag für unbegründet. Er missachte den Vorrang der verfassungskonformen Auslegung, insbesondere des § 5 Abs. 1 und 2 AO, und richte sich überwiegend ausschließlich gegen die Rechtspraxis. Seit 1979 habe sich die Aufgabenwahrnehmung der Ämter nicht so sehr geändert, dass der Amtsausschuss auch formal unmittelbar demokratisch legitimiert werden müsse. Im Übrigen seien die Amtsorgane rein formal betrachtet zwar nur mittelbar demokratisch legitimiert, verfügten materiell aber über ein hohes Legitimationsniveau.

22

2. Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung tritt dem Antrag ebenfalls entgegen und bezweifelt bereits dessen Zulässigkeit angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1979 – 2 BvK 1/78 – (BVerfGE 52, 95 ff.). Unabhängig davon gebe die Entwicklung der Ämter und insbesondere die erhöhte Zahl der von diesen wahrgenommenen Aufgaben im Vergleich zu 1979 keinen Anlass zu einer veränderten Beurteilung. Die von den Antragstellern gewünschte gleichmäßige Repräsentation entsprechend der parteipolitischen Kräfteverhältnisse wäre verfassungsrechtlich bedenklich, weil sie die Repräsentation der Gemeinden in den Amtsausschüssen beenden würde und damit die Selbstverwaltung der Gemeinden gefährde.

23

3. In seiner Stellungnahme hat der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag betont, dass sich aus Sicht der Gemeinden das Modell der Ämter außerordentlich bewährt habe. Der Aufgabenbestand der Ämter sei in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen. Die den Ämtern übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben seien qualitativ und quantitativ zu bewerten. Unklar sei aber, wann eine Grenzüberschreitung im Sinne der Antragsteller vorliege. Gefordert sei daher in erster Linie eine politische Lösung. Falls verfassungsrechtlicher Handlungsbedarf bestehe, sei die unmittelbare Wahl aller Mitglieder des Amtsausschusses nicht die einzige Möglichkeit. Diese sei auch abzulehnen, weil dadurch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister als maßgebliche Vertreter ihrer Gemeinden nicht mehr automatisch im Amtsausschuss vertreten wären.

24

4. Der Städteverband Schleswig-Holstein hält in seiner Stellungnahme ebenfalls eine Bewertung der übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben für erforderlich. Die notwendige qualitative Auswertung der rechtstatsächlichen Untersuchungen sei schwierig. Im Ergebnis sei aber eine zunehmende Tendenz von der Übertragung von rein technischen Durchführungsaufgaben hin zu Aufgaben mit materiellem Gewicht zu erkennen. Problematisch sei aber nicht nur die indirekte Legitimation der Mitglieder des Amtsausschusses, sondern auch die unterschiedliche Repräsentation der Stadt- und Gemeindeeinwohnerinnen und -einwohner im Amt. Durch das Erste und Zweite Verwaltungsstrukturreformgesetz habe sich die Situation gegenüber der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1979 so entscheidend verändert, dass ein Festhalten an der geltenden Regelung bedenklich sei. Eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 5 und 9 AO sei nicht möglich, weil die qualitative Grenze der Aufgabenübertragung – insbesondere im Fall der Kumulierung von verschiedenen für sich betrachtet vielleicht wenig bedeutsamen Selbstverwaltungsaufgaben – nicht hinreichend genau bestimmt werden könne. Bei Feststellung eines verfassungswidrigen Zustandes sei es Aufgabe des Gesetzgebers, in wesentlichen Aufgabenbereichen für eine Klarstellung zu sorgen.

25

5. Auch der Schleswig-Holsteinische Landkreistag stellt in seiner Stellungnahme allein auf die übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben als entscheidungserheblich ab. Problematisch sei die Unvollständigkeit der hierzu vorliegenden Untersuchungen über die Entwicklung seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es lasse sich aber eine immer mehr zunehmende Aufgabenübertragung ablesen. Infolge der Verwaltungsstrukturreformgesetze des Jahres 2005 sei es zu einer Vergrößerung der Amtsstrukturen gekommen, die vermutlich zu weiterer Professionalisierung der Ämter und damit zu einem weiteren Sog von Aufgabenübertragungen führen werde. Vor diesem Hintergrund spreche nach dem ersten Anschein vieles dafür, dass die Ämter sich zu gebietskörperschaftsähnlichen Einrichtungen weiterentwickelt hätten, so dass jedenfalls heute eine unmittelbare demokratische Legitimation erforderlich sei. § 5 Abs. 1 AO sei eine Norm, die nach dem Verständnis des Gesetzgebers bei der Übertragung von Selbstverwaltungsangelegenheiten nur Ausnahmecharakter hätte haben sollen. Dieses Regel-Ausnahmeverhältnis habe sich umgekehrt. Ein Entgegenwirken, etwa durch die Kommunalaufsicht, sei faktisch nicht möglich. Daher spreche einiges dafür, entweder § 5 Abs. 1 AO wegen der mangelnden Begrenzbarkeit der Aufgabenübertragung in Selbstverwaltungsangelegenheiten für verfassungswidrig zu halten und einzuengen oder aber in § 9 AO die Direktwahl des Amtsausschusses vorzuschreiben.

B.

26

Der Rechtsweg zum Landesverfassungsgericht ist eröffnet. Es handelt sich um einen Antrag nach Art. 44 Abs. 2 Nr. 2 LV, § 3 Nr. 2 LVerfGG.

27

Der Normenkontrollantrag ist auch zulässig. Die Antragsteller sind gemäß Art. 44 Abs. 2 Nr. 2 LV, § 39 LVerfGG antragsberechtigt. Die Antragsteller machen Zweifel an der Vereinbarkeit einer Norm des Landesrechts, nämlich § 9 AO, mit der Landesverfassung geltend (§ 40 Nr. 1 LVerfGG). Dass diese Norm nach ihrem Vortrag im Wesentlichen nur aufgrund der Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO verfassungswidrig sein soll, ist unschädlich, weil die verfassungsrechtliche Prüfung von Amts wegen auch auf Vorschriften erstreckt werden kann, die mit der unmittelbar angegriffenen Vorschrift im Zusammenhang stehen (§ 42 Satz 2 LVerfGG). Sofern die Antragsteller zur Begründung auf die den Ämtern durch Gemeinderatsbeschluss übertragenen Aufgaben abheben, geschieht dies nicht zum Zwecke einer Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Beschlüsse oder gar tatsächlicher Handlungen der Gemeinden und Ämter, sondern im Hinblick auf die mittelbare verfassungsrechtliche und damit normative Bedeutung, die diesen Übertragungen beizumessen ist.

28

Dass das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob Ämter als Gemeindeverbände zu qualifizieren sind, bereits entschieden hat, steht einer erneuten Entscheidung nicht entgegen.

29

Im Grundsatz ist der Landesregierung zwar darin beizupflichten, dass das Verfahrenshindernis der entgegenstehenden Rechtskraft auch im schleswig-holsteinischen Verfassungsprozessrecht gilt. Es bezieht sich allerdings stets auf den Zeitpunkt, in welchem die Entscheidung ergeht und hindert nicht die Berufung auf neue Tatsachen, eine neue Rechtslage oder neue Rechtsauffassungen, die ausgehend von der Begründung der früheren Entscheidung geeignet sind, eine abweichende Entscheidung zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 1972 - 1 BvL 21/69 u.a. - BVerfGE 33, 199 ff., Juris Rn. 19-21; Urteil vom 12. März 1975 - 1 BvL 15/71 u. a. - BVerfGE 39, 169 ff., Juris Rn. 59; und Beschlüsse vom 18. Oktober 1983 - 2 BvL 14/83 - BVerfGE 65, 179 ff., Juris Rn. 9-10; vom 3. Juli 1985 - 1 BvL 13/83 - BVerfGE 70, 242 ff., Juris Rn. 19-20, 22; vom 8. März 1988 - 1 BvL 9/85 u.a. - BVerfGE 78, 38 ff., Juris Rn. 40; sowie vom 18. November 2003 - 1 BvR 302/96 - BVerfGE 109, 64 ff., Juris Rn. 191, stRspr.).

30

Hiervon ausgehend ist festzustellen, dass die Antragsteller mit den nach ihrem Vortrag seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - (BVerfGE 52, 95 ff.) hinzugekommenen Übertragungen von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter neue Tatsachen darlegen, die geeignet sind, eine abweichende Entscheidung zu ermöglichen. Ob eine solche Abweichung geboten ist, ist eine Frage der Begründetheit.

C.

31

Der Antrag ist auch begründet. Die Amtsordnung ist mittlerweile insofern mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV unvereinbar, als sie in § 5 Abs. 1 Satz 1 AO die Möglichkeit eröffnet, dass sich die Ämter in Folge zunehmender Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben zu Gemeindeverbänden entwickeln. Weder sind prozedurale Vorkehrungen in der Amtsordnung oder in anderen Gesetzen vorgesehen, die zur Wahrung der Garantie der Kommunalen Selbstverwaltung der Gemeinden nach Art. 46 Abs. 1 LV dieser Entwicklung entgegenwirken, noch ist bei inzwischen erheblich geändertem Aufgabenbestand für den Fall der Entwicklung zum Gemeindeverband in § 9 AO eine unmittelbare Wahl der Mitglieder des Amtsausschusses als des zentralen Entscheidungsorgans vorgesehen.

I.

32

Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV handelt das Volk durch seine gewählten Vertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden, sowie durch Abstimmungen. Art. 3 Abs. 1 LV bestimmt, dass für Wahlen zu den Volksvertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden und für Abstimmungen die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze gelten.

33

Der Verfassungsgeber hat mit diesen Bestimmungen das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG erfüllt und sich bei den Grundentscheidungen seiner Verfassung eng an das Grundgesetz angelehnt. Allerdings müssen im Unterschied zum Grundgesetz unmittelbar gewählte Volksvertretungen nicht nur in den Kreisen, sondern in allen Gemeindeverbänden bestehen (ebenso: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 61). Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass neben den Wahlen auch Abstimmungen möglich sind.

34

1. Nach Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 3 Abs. 1 LV muss in allen Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Volksvertretung bestehen, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.

35

Zwar ist der Wortlaut dieser Verfassungsbestimmungen offen formuliert und liest sich für die unbefangene Leserin und den unbefangenen Leser eher beschreibend. Gleichwohl enthalten die beiden Vorschriften eine bindende verfassungsrechtliche Vorgabe, nach der zwingend im Land sowie in allen Gemeinden und Gemeindeverbänden eine gewählte Volksvertretung bestehen muss. Mit ihrer Stellung am Anfang der Landesverfassung bekennt sich der Verfassungsgeber zu den Prinzipien der Volkssouveränität (Art. 2 Abs. 1 LV), der repräsentativen Demokratie (Art. 2 Abs. 2 LV) und eines demokratischen Wahlverfahrens (Art. 3 Abs. 1 LV) als fundamentale Prinzipien der demokratischen Grundordnung Schleswig-Holsteins. Die Wahlen und Abstimmungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden sind die Quelle demokratischer Legitimation für jegliches staatliches Handeln (vgl. Art. 2 Abs. 1 LV).

36

Diese bindende Vorgabe folgt für das Land und die Gemeinden aus dem systematischen Zusammenhang mit dem Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, nach dem in den Ländern, Kreisen und Gemeinden das Volk eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Art. 28 GG ist an die Länder adressiert, die diese Vorgabe in ihren Landesverfassungen eigenständig umsetzen (vgl. grundlegend: BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 90, stRspr.). Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 LV dienen der Erfüllung dieses bundesstaatlichen Homogenitätsgebots.

37

Anders als Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG nennen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV nicht die Kreise, sondern die Gemeindeverbände. Auch in Art. 46 Abs. 2 und 4, Art. 47 und Art. 48 LV werden nicht die Kreise, sondern die Gemeindeverbände genannt. Staatspraxis und Rechtsprechung haben diese Vorschriften auf die Kreise bezogen. Zugleich sind sie davon ausgegangen, dass sich der Begriff der Gemeindeverbände auch auf andere Körperschaften als die Kreise beziehen kann. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 24. Juli 1979 (a. a. O., Juris Rn. 61) vorausgesetzt, dass andere Gemeindeverbände als die Kreise von der bindenden Wirkung der insoweit wortgleichen Vorschriften der Landessatzung umfasst sein können. Dieses Verständnis war bei der Verfassungsreform von 1990 bekannt, bei der Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 LV insoweit ergänzt worden sind, dass nun auch Abstimmungen als zusätzliche demokratische Legitimationsquelle bezeichnet werden. Die Nennung von Gemeindeverbänden - und nicht von Kreisen - ist dabei nicht verändert worden.

38

2. Die Landesverfassung enthält keine Definition des Begriffs „Gemeindeverband“. Im Wege der Auslegung ist ihr zu entnehmen, dass ihr ein kombinierter formeller und materieller Gemeindeverbandsbegriff zu Grunde liegt. Gemeindeverbände sind die zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben gebildeten Gebietskörperschaften (formelle Gemeindeverbände) und diesen nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben vergleichbare kommunale Zusammenschlüsse (materielle Gemeindeverbände; vgl. zum Ganzen: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 62-68; ebenso VerfG des Landes Brandenburg, Beschluss vom 21. Januar 1998 - 8/97 - Juris Rn. 16–23 zur Brandenburgischen Landesverfassung und VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Juni 2001 - VerfGH 28/00, 30/00 - DVBl. 2001, 1595 <1596> zur Nordrhein-Westfälischen Landesverfassung).

39

Die wörtliche Auslegung des Begriffes des Gemeindeverbandes ist unergiebig, weil sie keine Bestimmung der wesentlichen Begriffsmerkmale ermöglicht. Sie lässt lediglich einen Rückschluss auf einen wie auch immer gearteten Verband von Gemeinden zu. Es handelt sich um einen typischen Sammelbegriff der bereits zur Zeit der Entstehung der Landesverfassung - als Landessatzung - unterschiedlich verwendet wurde und auch in der gegenwärtigen Gesetzessprache und Rechtswissenschaft ohne feste Konturen geblieben ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 -, BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 62). Einigkeit besteht nur darin, dass die Kreise Gemeindeverbände sind und die Zweckverbände wegen ihrer begrenzten Aufgaben nicht als Gemeindeverbände anzusehen sind. Der Begriff wird vom Landesgesetzgeber uneinheitlich verwendet (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 62), teils als Sammelbegriff für alle kommunalen Zusammenschlüsse, teils als Synonym für das Wort Landkreis beziehungsweise Kreis (so auch in § 4 Abs. 2 BeamtHaftG).

40

Im Rahmen der systematischen Auslegung ist auf die beiden Zusammenhänge abzustellen, in denen der Begriff des Gemeindeverbandes in der Landesverfassung erwähnt wird. Durch die Art. 46 bis Art. 49 LV wird den Gemeindeverbänden neben den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung eingeräumt, das heißt im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit die Befugnis, in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen. Dementsprechend bestimmt Art. 46 Abs. 2 LV ausdrücklich, dass die Gemeindeverbände – im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit – die gleichen Rechte und Pflichten (wie die Gemeinden) haben (ebenso zu Art. 39 bis Art. 42 LS: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 63).

41

Durch die Vorschrift des Art. 2 Abs. 2 LV und den sie ergänzenden Art. 3 Abs. 1 LV wird bestimmt, dass die Grundentscheidungen der Verfassung für das Prinzip der Volkssouveränität, der repräsentativen Demokratie und ein demokratisches Wahlverfahren nicht nur auf Landesebene gelten sollen, sondern auch in den Untergliederungen, den Gemeinden und Gemeindeverbänden. Der Landesverfassungsgeber hat sich damit ebenso wie das Grundgesetz für eine auf Selbstverwaltungskörperschaften aufgebaute „gegliederte Demokratie“ entschieden. Bei den Gemeindeverbänden handelt es sich also um solche Selbstverwaltungskörperschaften, die aus mehreren Gemeinden zusammengeschlossen sind und die Träger der allgemeinen, vom Volke ausgehenden Gewalt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 LV sind. Überall dort, wo diese allgemeine Gewalt unmittelbar durch selbstständige, vom Staat weitgehend unabhängige Rechtsträger ausgeübt wird, soll eine aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Volksvertretung bestehen (ebenso zu den wortgleichen Vorschriften der Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 LS: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 63).

42

Eine weitere Begrenzung des Begriffes Gemeindeverband ergibt sich daraus, dass die Gemeindeverbände mit den Gebietskörperschaften Staat und Gemeinde auf eine Stufe gestellt werden und zu den Gemeindeverbänden jedenfalls die gebietskörperschaftlich organisierten Kreise gehören. Daraus folgt zwar nicht zwingend, dass sämtliche Gemeindeverbände ebenfalls Gebietskörperschaften sein müssen, denn dann hätte der Verfassungsgeber das Wort „Gebietskörperschaft“ übernehmen können. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die auf einzelne Aufgaben beschränkten Zweckverbände, auch wenn sie öffentliche Gewalt ausüben, nicht von dem Begriff Gemeindeverbände erfasst werden sollten. Nach der Systematik sind demnach Gemeindeverbände nur solche aus mehreren Gemeinden zusammengesetzte Körperschaften des öffentlichen Rechts, die in größerem Umfang öffentliche Aufgaben von einigem Gewicht als Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen (ebenso: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 63).

43

Auch die teleologische Auslegung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV spricht für den kombinierten Gemeindeverbandsbegriff. Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Vermittlung unmittelbarer demokratischer Legitimation dort, wo im Land grundlegende substanzielle Entscheidungen getroffen werden. Das spricht dafür, die Mitbestimmung des Volkes in Form der Auswahl seiner Repräsentanten und – quasi als Kehrseite der Medaille – Verantwortlichkeit der zentralen Entscheidungsträger unmittelbar gegenüber dem Volk bei denjenigen Körperschaften zu fordern, die neben Land und Gemeinden in größerem Umfang öffentliche Aufgaben von einigem Gewicht wahrnehmen.

44

Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der Landessatzung bestätigt. Während der Ausschussberatungen (zu Art. 39 LS) bestand zwar keine konkrete gemeinsame Vorstellung über das Wesen der Gemeindeverbände, man war sich jedoch dahingehend einig, dass die Kreise als Gemeindeverbände zu qualifizieren sind, nicht jedoch die Ämter in ihrer Ausgestaltung im Jahr 1949 und auch nicht die Zweckverbände. Der umfassende Begriff wurde auch deshalb gewählt, um die künftige Entwicklung der Ämter oder neu zu bildender kommunaler Zusammenschlüsse zu Gemeindeverbänden nicht zu verstellen. Der Begriff des Gemeindeverbandes lässt sich deshalb positiv durch die konstituierenden Merkmale des Kreises und negativ durch die konstituierenden Merkmale der im Jahre 1949 bestehenden Ämter sowie der damals bestehenden Zweckverbände eingrenzen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvR 1/78 - BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 65 m.w.N.). Diese Ausführungen tragen, da die Kreise bereits Gebietskörperschaften waren und die Ämter sich noch wesentlich auf unterstützende Aufgaben beschränkten, ebenfalls den kombinierten Gemeindeverbandsbegriff und gelten unverändert fort. Mit der Schaffung der Landesverfassung ist keine erneute Diskussion über den Begriff des Gemeindeverbandes entstanden. Vielmehr hat der Verfassungsgeber in Kenntnis der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Vorschriften aus der Landessatzung überwiegend wortgleich in die Landesverfassung übernommen (vgl. Groth in: Caspar / Ewer / Nolte / Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 46, Rn. 3).

45

Soweit die Gemeindeverbandsbegriffe in Rechtsprechung und Literatur von dem kombinierten Gemeindeverbandsbegriff, den bereits das Bundesverfassungsgericht für die schleswig-holsteinische Landessatzung als maßgeblich ansah (Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O.), abweichen, geben die jeweiligen Ausführungen keine Veranlassung, für die Landesverfassung nun von einem anderen Gemeindeverbandsbegriff auszugehen. Mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV ist weder ein allein auf den Status als Gebietskörperschaft abstellender formeller Gemeindeverbandsbegriff zu vereinbaren, weil der Verfassungsgeber den Begriff der Gebietskörperschaft gerade nicht verwendet hat, noch ein weiterer materieller Gemeindeverbandsbegriff, der schon die Wahrnehmung von mehr als einer Selbstverwaltungsaufgabe genügen lässt, denn eine solche Körperschaft befände sich noch zu dicht am Zweckverband, den der Verfassungsgeber nicht erfasst wissen wollte. Unvereinbar mit der Landesverfassung ist auch ein Gemeindeverbandsbegriff, der ungeachtet des materiellen Aufgabenbestandes allein auf den strukturell-funktionellen Zweck abstellt. Er würde dem Zweck der Vorschriften, demokratische Legitimation dort zu vermitteln, wo gewichtige Selbstverwaltungsaufgaben selbstständig wahrgenommen werden, nicht gerecht.

46

3. Maßgeblich für die Vergleichbarkeit der Ämter mit den zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben gebildeten Gebietskörperschaften (Gemeinden und Kreise) sind nach dem materiellen Verbandsbegriff allein die den Ämtern - sei es durch Gesetz (§ 5 Abs. 4 AO), sei es auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO - übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben. Nur bezüglich dieser Aufgaben wird das Amt nach der gesetzlichen Regelung des § 3 Abs. 2 AO Träger der Aufgaben; es nimmt diese Aufgaben als eigene wahr.

47

a) Zwar sind danach die nach § 5 Abs. 4 AO vom Gesetz den Ämtern übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben zu berücksichtigen, sie spielen praktisch jedoch kaum eine Rolle. Eine Übertragungsmöglichkeit vom Kreis auf das Amt in diesem Sinne ist lediglich in § 4 Abs. 1 Satz 1 AG-SGB XII vorgesehen. Aufgrund der nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AG-SGB XII bestehenden Möglichkeit der Kreise, Richtlinien zu erlassen und Weisungen zu erteilen, sind diese Aufgaben im Ergebnis nicht anders zu behandeln als Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung (ebenso: Steinger ,Amtsverfassung und Demokratieprinzip, 1997, S. 96).

48

b) Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 Satz 1 AO offen gestaltete Zuweisung von Selbstverwaltungsaufgaben an die Ämter (sog. devolvierende, überwälzende Delegation, vgl. Engel , Das schleswig-holsteinische Amt bei Erledigung der Selbstverwaltungsangelegenheiten der amtsangehörigen Gemeinden, 1990, S. 142 f. und 161, Fn. 445; v. Mutius / Steinger, Die Gemeinde SH 1995, 231 <233>) bedarf es einer weiteren Eingrenzung. Dies betrifft zunächst das unterschiedliche Ausmaß, in dem von der Übertragungsmöglichkeit durch die amtsangehörigen Gemeinden Gebrauch gemacht wird, es betrifft aber auch die in der Praxis anzutreffenden stillschweigenden „Übertragungen“ von Selbstverwaltungsaufgaben

49

aa) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV setzen Gemeindeverbände nicht zwingend voraus, sondern knüpfen wie Art. 46 Abs. 2 und 3 sowie Art. 47 bis 49 LV an diejenigen Gemeindeverbände an, die nach einfachgesetzlichem Landesrecht bestehen. Abzustellen ist deshalb hinsichtlich der wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben auf die einfachgesetzliche Ausgestaltung der fraglichen Institution. So wie es der Landesgesetzgeber über die in der Verfassung verankerten kommunalen Gebietskörperschaften hinaus in der Hand hat, Körperschaften als Gebietskörperschaften auszugestalten (und sie damit formell zu Gemeindeverbänden zu machen), ist es allein seine Entscheidung, ob er einer von ihm institutionalisierten sonstigen kommunalen Körperschaft so viele und so gewichtige Selbstverwaltungsaufgaben überträgt, dass diese den kommunalen Gebietskörperschaften vergleichbar (und damit materiell ein Gemeindeverband) ist. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Gesetzgeber selbst Aufgaben auf die Ämter überträgt oder ob er – wie dies in § 5 Abs. 1 Satz 1 AO geschehen ist - den Gemeinden die Möglichkeit eröffnet, unbeschränkt Selbstverwaltungsauf-gaben auf ihr Amt zu übertragen. Entscheidend ist, dass die Wahrnehmung der derart übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben durch die Ämter von der gesetzgeberischen Konzeption der Institution Amt gedeckt ist.

50

Ausgangspunkt bleibt daher die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte sogenannte doppelte Anknüpfung einerseits an die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Bestandes an Selbstverwaltungsaufgaben, andererseits an den tatsächlichen Aufgabenbestand (Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Leitsatz, Juris Rn. 63, 68, 77; vgl. auch von Mutius / Steinger , Die Gemeinde SH 1995, 231 <233>; Schliesky , Amt-Gemeinde-Untersuchung 2002, in: SHGT , Das Amt - bewährt und zukunftsfähig -, Arbeitsheft 19, 2004, S. 9 <28>; Schliesky / Ernst / Schulz , Aufgabenbestand, Legitimationsbedarf und Entwicklungspotential der Ämter in Schleswig-Holstein, Arbeitspapier 90, 2009, S. 32; Steinger , Amtsverfassung und Demokratieprinzip, 1997, S. 87-88; a. A.: VerfG des Landes Brandenburg, Beschluss vom 21. Januar 1998 - 8/97 - Juris Rn. 26, 28-30 , jedoch ohne Auseinandersetzung mit BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - BVerfGE 52, 95 ff.,). Diese doppelte Anknüpfung beruht auf der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO. Die Norm beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben zuzulassen, die Übertragung selbst erfolgt aber durch die amtsangehörigen Gemeinden, die die Ausgestaltung des Bestandes an Selbstverwaltungsaufgaben des Amtes damit „in tatsächlicher Hinsicht“ in der Hand haben.

51

bb) Umgekehrt folgt aus der Anknüpfung an die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Selbstverwaltungsaufgaben der Ämter eine Beschränkung des anzustellenden Vergleichs auf diejenigen Selbstverwaltungsaufgaben, die auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO und in dessen gesetzlichem Rahmen übertragen wurden. Nur diese sind Ausdruck der gesetzgeberischen Konzeption der Institution Amt. Unbeachtlich sind deshalb alle „Übernahmen“ von gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben, für die es an einem Beschluss nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AO fehlt (ebenso: Bracker , Amtsordnung für Schleswig-Holstein - Kommentar, in: Bülow / Erps / Schliesky / von Allwörden , Kommunalrecht Schleswig-Holstein - Kommentare - Band II, Stand: 34. Nachlieferung 2009, § 5 Erl. 1 d; Wissenschaftlicher Dienst des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Gutachten zum Entwurf des Zweiten Verwaltungsstrukturreformgesetzes, Landtags-Umdruck 16/1596, S. 10) und alle Übertragungen durch lediglich eine amtsangehörige Gemeinde (zum Ganzen vgl. auch BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 85).

52

Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn es sich nicht mehr um Einzelfälle des Missbrauchs handelte (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979, a. a. O., Juris Rn. 85), sondern um eine strukturelle Entwicklung (vgl. Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 109), die Ausdruck einer allgemein praktizierten Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO wäre, mithin die Norm insoweit einen Inhaltswandel erfahren hätte. Denn die Auslegung des einfachen Rechts ist grundsätzlich Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen, weshalb auch bei der abstrakten Normenprüfung grundsätzlich diejenige Auslegung zugrundezulegen ist, welche die Vorschrift in der Rechtsprechung bzw. Rechtspraxis erfahren hat (vgl. Graßhof , in: Umbach / Clemens / Dollinger , Bundesverfassungsgerichtsgesetz - Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 2. Aufl., 2005, § 76 Rn. 43 m.w.N.). Von einem Inhaltswandel kann jedoch zur Zeit noch keine Rede sein, da fachgerichtliche Urteile, welche stillschweigende Übertragungen als mit § 5 Abs. 1 Satz 1 AO vereinbar ansehen, nicht ersichtlich sind. Es ist nicht einmal ersichtlich, dass die Gemeinden und Ämter allgemein davon ausgingen, sich mit stillschweigenden Übertragungen noch auf dem Boden der Amtsordnung zu bewegen.

53

c) Die verfassungsrechtliche Prüfung ist über den auf § 9 AO beschränkten Antrag hinaus auf § 5 Abs. 1 Satz 1 AO zu erstrecken, weil vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich maßgeblichen materiellen Gemeindeverbandsbegriffs diese Vorschriften in einem untrennbaren Zusammenhang stehen. In allen Verfahren, in denen die Verfassungsmäßigkeit einer Norm zu überprüfen ist, ist die verfassungsrechtliche Prüfung auch auf Vorschriften zu erstrecken, die mit der unmittelbar angegriffenen Vorschrift im Zusammenhang stehen, vgl. § 42 Satz 2 LVerfGG. Insoweit bestehen zwischen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Landesverfassungsgericht keine Unterschiede (zur wortgleichen Vorschrift des § 78 Satz 2 BVerfGG: BVerfG, Urteile vom 4. März 1975 - 2 BvF 1/72 - BVerfGE 39, 96 ff., Juris Rn. 27; vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 ff., Juris Rn. 35; und vom 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 u.a. - BVerfGE 109, 279 ff., Juris Rn. 340, stRspr.). Das ist aufgrund der vorstehend dargelegten Maßgeblichkeit des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO für die Qualifizierung der Institution Amt als Gemeindeverband und der Maßgeblichkeit dieser Qualifizierung für die Vereinbarkeit des § 9 AO mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV der Fall (ähnlich, allerdings bezogen auf § 5 AO insgesamt: Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 110).

54

4. Ermöglicht der Gesetzgeber durch § 5 Abs. 1 Satz 1 AO einen unterschiedlichen Bestand an Selbstverwaltungsaufgaben bei den einzelnen Ämtern, so ist die Entwicklung der Institution Amt zum Gemeindeverband nach der gesetzgeberischen Konzeption bereits abgeschlossen, wenn ein erstes Amt einen den kommunalen Gebietskörperschaften vergleichbaren Bestand an Selbstverwaltungsauf-gaben erlangt. Die Ämter sind dann als Gemeindeverbände zu qualifizieren, so lange wenigstens ein Amt diesen Bestand hält und der Gesetzgeber diesem Zustand nicht entgegenwirkt.

55

a) Aus dem materiellen Gemeindeverbandsbegriff folgt zwangsläufig, dass für den Vergleich der wahrzunehmenden Aufgaben der Ämter mit denen der kommunalen Gebietskörperschaften auf die Institution Amt abzustellen ist. Die im Rahmen der systematischen Auslegung der Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und des Art. 3 Abs. 1 LV gewonnenen Gesichtspunkte betreffen die Institution Amt und auch der Landesverfassungsgeber hatte bei Einführung des Begriffs des Gemeindeverbandes und dessen Abgrenzung Institutionen wie die Kreise, die Zweckverbände und auch die Ämter – allerdings in ihrem seinerzeitigen Aufgabenzuschnitt - im Blick. Maßgebend ist für die Institution wie für die wahrzunehmenden Aufgaben die gesetzgeberische Konzeption. Solange die unterschiedliche Ausprägung der Ämter Ausdruck ein- und derselben gesetzgeberischen Konzeption - hier der des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO - ist, ist allein diese die Grundlage für den Vergleich mit den kommunalen Gebietskörperschaften.

56

b) Die Aufgabenübertragung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AO divergiert von Amt zu Amt. Dies ist vom Gesetzgeber gewollt. Je nach Bedarf sollen die amtsangehörigen Gemeinden auf die konkreten Bedürfnisse vor Ort reagieren und Aufgaben auf die Ämter übertragen können, sofern sich wenigstens eine weitere amtsangehörige Gemeinde findet, die sich an der Übertragung beteiligt. Einen einheitlichen Aufgabenbestand der Institution Amt gibt es daher nicht (vgl. zum Ganzen auch Bracker , Amtsordnung für Schleswig-Holstein - Kommentar, in: Bülow / Erps / Schliesky / von Allwörden , Kommunalrecht Schleswig-Holstein - Kommentare - Band II, Stand: 34. Nachlieferung 2009, § 1 Erl. 2a; § 5 Erl. 1c).

57

Mit Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 3 Abs. 1 LV hat der Verfassungsgeber die Prinzipien der Volkssouveränität, der repräsentativen Demokratie und eines demokratisches Wahlverfahrens für Schleswig-Holstein konstitutionalisiert. Dabei handelt es sich um fundamentale Prinzipien der demokratischen Grundordnung Schleswig-Holsteins. Mit ihrer Erstreckung auf die Gemeindeverbände soll sichergestellt werden, dass überall dort, wo neben den Gemeinden in weitgehender Unabhängigkeit vom Staat substanzielle Selbstverwaltungsaufgaben wahrgenommen werden, das Volk durch eine unmittelbar gewählte Vertretung repräsentiert wird. Lässt sich die Frage, ob eine substanzielle Wahrnehmung von Selbstverwaltungsangelegenheiten erfolgt, für eine Institution nicht einheitlich bestimmen und kommt deshalb nur eine Annäherung mittels Indizien in Betracht, gebietet es diese grundlegende Entscheidung der Verfassung diejenige Anknüpfung zu wählen, die im Zweifel zu einer Qualifizierung als Gemeindeverband führt, also diejenige, die im Hinblick auf die Ziele der Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV die sicherste Anknüpfung ist.

58

Dem wird nur eine Anknüpfung an das Amt mit dem fortgeschrittensten Bestand an Selbstverwaltungsaufgaben gerecht. Alle anderen Anknüpfungen würden bedeuten, eine fehlende unmittelbare Volksvertretung in Ämtern auch dann in Kauf zu nehmen, wenn in einzelnen Ämtern bereits Selbstverwaltungsaufgaben mit einem den kommunalen Gebietskörperschaften vergleichbaren Umfang und Gewicht wahrgenommen werden. Das ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV nicht vereinbar. Umgekehrt ist bei einer Maßgeblichkeit des Amtes mit dem größten Aufgabenbestand die dadurch gegebenenfalls auch in Ämtern mit nur geringem Bestand an Selbstverwaltungsaufgaben ausgelöste Volkswahl und der dann dort vorhandene „Überschuss“ an demokratischer Legitimation unschädlich.

II.

59

Der Gesetzgeber hat sich mit § 5 Abs. 1 Satz 1 AO für eine offene Aufgabenzuweisung entschieden und damit die Entscheidung über die Ausgestaltung der Ämter zum (materiellen) Gemeindeverband einem von ihm unmittelbar nicht mehr steuerbaren dynamischen Prozess überlassen. Ihn trifft von Verfassungswegen eine Nachbesserungspflicht, weil sich erste Ämter nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben Gemeindeverbänden jedenfalls annähern.

60

1. Überlässt der Gesetzgeber die Entscheidung über die Ausgestaltung der Ämter zum (materiellen) Gemeindeverband infolge einer offenen Aufgabenzuweisung einem von ihm unmittelbar nicht mehr steuerbaren dynamischen Prozess, so hat er Vorkehrungen zu treffen, mit denen er entweder dieser Entwicklung entgegenwirkt oder dass im Falle einer Entwicklung zum Gemeindeverband durch Aufgabenzuwachs unmittelbar eine gewählte Volksvertretung eingerichtet wird.

61

Eine gewählte Volksvertretung muss nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV bereits bei der gesetzgeberischen Ausgestaltung einer Institution als Gemeindeverband vorgesehen sein. Gestaltet der Gesetzgeber eine Körperschaft selbst als Gemeindeverband aus, so ist er verpflichtet, zugleich eine unmittelbar vom Volk gewählte Vertretung einzurichten. Bei offenen Aufgabenzuweisungen ist es jedoch möglich, dass sich eine vom Gesetzgeber ursprünglich nicht als Gemeindeverband geschaffene Institution schleichend und vom Gesetzgeber unbemerkt zu einem (materiellen) Gemeindeverband entwickelt und spätestens damit die Pflicht zur Einrichtung einer unmittelbar gewählten Volksvertretung auslöst.

62

Würde man auch in diesen Fällen die Pflicht zur Einrichtung einer unmittelbar gewählten Volksvertretung erst ab dem Moment der (sicheren) Qualifizierung zum Gemeindeverband annehmen, bestünde die Gefahr, dass es zumindest vorübergehend materielle Gemeindeverbände ohne unmittelbar gewählte Volksvertretung gäbe. Die Einrichtung einer gewählten Volksvertretung erfordert nämlich eine gesetzliche Norm, welche zumindest ein entsprechendes Organ der Institution schafft und die wesentlichen, mit seiner Zusammensetzung zusammenhängenden Fragen regelt. Der Einführung einer Volkswahl durch die Institution selbst steht regelmäßig schon die abschließende gesetzliche Regelung in dem die Institution ausgestaltenden Gesetz entgegen, hier in § 9 AO.

63

Der Gesetzgeber müsste dafür aber von der möglichen Entwicklung zum Gemeindeverband erst einmal Kenntnis erlangen, er müsste diese prüfen, was – wie die Diskussion um die Ämter zeigt – nicht immer einfach ist, und er müsste ein Gesetzgebungsverfahren durchführen, um das die Institution ausgestaltende Gesetz zu ändern. Während dieses unter Umständen langen Zeitraums bestünde ein verfassungswidriger Zustand. Angesichts der fundamentalen Bedeutung der Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 3 Abs. 1 LV als Grundentscheidungen der Verfassung für das Prinzip der Volkssouveränität, der repräsentativen Demokratie und des demokratischen Wahlverfahrens auch in den Gemeindeverbänden ist ein solcher Zustand auch nicht vorübergehend hinzunehmen. Überall dort, wo diese allgemeine Gewalt unmittelbar durch selbstständige, vom Staat weitgehend unabhängige Rechtsträger ausgeübt wird, soll eine aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Volksvertretung bestehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 – BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 63). Die Vorschriften sind deshalb nach ihrem Sinn und Zweck so auszulegen, dass bei einer offenen Zuweisung von Selbstverwaltungsaufgaben der Gesetzgeber bereits mit der Eröffnung der Aufgabenzuweisung Vorkehrungen zu treffen hat, um einer solchen Entwicklung zum materiellen Gemeindeverband entgegenzuwirken. Entscheidet er sich hierfür nicht, so trifft ihn spätestens dann die Pflicht, eine gewählte Volksvertretung einzurichten, wenn sich eine solche Entwicklung infolge erheblichen qualitativen und / oder quantitativen Aufgabenzuwachses abzeichnet.

64

2. Einen solchen, von ihm unmittelbar nicht mehr steuerbaren dynamischen Prozess mit der Möglichkeit einer Entwicklung der Ämter zu einem Gemeindeverband hat der Gesetzgeber mit der offenen Aufgabenzuweisung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AO eingeleitet. Weder enthält die Vorschrift selbst eine Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter noch folgt eine solche aus anderen Gesetzen. Selbst aus der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung (Art. 46 Abs. 1 LV) ergibt sich keine für die Anwender – die Ämter und Gemeinden und die Bürgerin und den Bürger – definierbare Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben, welche die schleichende Entwicklung der Ämter zu Gemeindeverbänden sicher verhindern würde.

65

a) Der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO lässt sich eine Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter nicht im Wege der Auslegung entnehmen (vgl. von Mutius / Steinger , Die Gemeinde 1995, 231 <233>; Schliesky / Ernst / Schulz , Aufgabenbestand, Legitimationsbedarf und Entwicklungspotential der Ämter in Schleswig-Holstein, 2009, S. 35). Auch mittels einer einschränkenden Auslegung lässt sich das Anwachsen des Aufgabenbestandes der Ämter nicht so beschränken, dass damit die vom Gesetzgeber unbemerkte Entwicklung zu einem Gemeindeverband sicher ausgeschlossen wäre.

66

aa) Der Wortlaut der Vorschrift ist offen formuliert. Ihm lässt sich jedenfalls entnehmen („Selbstverwaltungsaufgaben“), dass die amtsangehörigen Gemeinden nicht auf die Übertragung einer einzelnen Aufgabe beschränkt sind, sondern mehrere Selbstverwaltungsaufgaben übertragen können (anders § 5 Abs. 4 Satz 1 der Brandenburgischen Amtsordnung: „einzelne Selbstverwaltungsangelegenheiten“, vgl. VerfG des Landes Brandenburg, Beschluss vom 21. Januar 1998 - 8/97 - Juris Rn. 28). Er bietet aber keine Anhaltspunkte für eine nach Umfang oder Qualität der übertragbaren Selbstverwaltungsaufgaben spezifizierte Grenze, auch nicht dahingehend, dass die Gemeinden nicht auch alle Selbstverwaltungsaufgaben durch Beschluss auf das Amt übertragen könnten.

67

bb) Gegen eine Auslegung in diese Richtung spricht auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Sie wurde geschaffen durch das Gesetz zur Änderung der Amtsordnung für Schleswig-Holstein vom 24. Mai 1966 (GVOBl 1966, S. 91). Der Gesetzentwurf der Landesregierung (Landtags-Drucksache 646/5), der statt von „Selbstverwaltungsaufgaben“ noch von „Aufgaben zur Selbstverwaltung“ sprach, im Übrigen aber in § 5 Abs. 1 AO unverändert blieb, wurde wie folgt begründet (S. 14 des Entwurfs):
Über § 3 Abs. 1 hinaus ist durch Abs. 1 die Möglichkeit einer Übertragung der Trägerschaft von Selbstverwaltungsangelegenheiten (volle Übertragung, nicht nur deren Durchführung) geschaffen worden. Nach der bisher bestehenden Rechtslage war zur gemeinsamen Erfüllung von Aufgaben die Bildung von Zweckverbänden mit eigenen Organen und Haushaltsplan erforderlich. Es bedeutet eine wesentliche Verwaltungsvereinfachung, wenn die Übertragung auf die bereits bestehende Institution des Amtes ermöglicht wird. (…)

68

In den Ausschussberatungen (Ausschuss für Innere Verwaltung) wurde diskutiert, ob die Ämter Gebietskörperschaften seien. Für diesen Fall hielt man eine von den Einwohnerinnen und Einwohnern des Amtes gewählte Amtsvertretung für erforderlich. Überwiegend wurde die Auffassung vertreten, dass die Ämter keine Gebietskörperschaften seien und man erörterte weiter, ob man eine Vorschrift aufnehmen sollte, die dies klarstellt (Niederschrift der 63. Sitzung vom 24. Februar 1966, S. 3-4). Anknüpfend hieran äußerte sich der Vorsitzende, der Abgeordnete Schoof , auch zu § 5 AO (Niederschrift S. 4-5):
Man werde sich allerdings, so fährt der Vorsitzende auf Grund eines Hinweises von Regierungsassessor Leonardy fort, bei der Beratung des neuen § 5 überlegen müssen, ob nicht die Zuweisung bestimmter neuer Aufgaben den Gedanken aufkommen lassen könnte, dass die Ämter Gebietskörperschaften sein müssten. Er bittet das Ministerium, sich bis dahin noch einmal eingehend mit der Frage der Gebietskörperschaft zu befassen.

69

Einen noch weitergehenden Entwicklungshorizont sah der Abgeordnete Konrad (Niederschrift S. 8):
Die innere Kraft eines solchen Amtes werde von der Aufgabenstellung her, die ihm mit den neuen §§ 3 und 5 eingeräumt werden soll, dazu führen, dass sich aus dem Amt eine Teilgemeinde entwickelt, die möglicherweise in 15 oder 20 Jahren in eine völlig neue Gemeinde einmündet.

70

Im Rahmen der Anhörung des Landkreistages und des Gemeindetages in der Sitzung vom 3. März 1966 sprach sich der Landkreistag dafür aus, dass nur alle Gemeinden eines Amtes gemeinsam die Übertragung einer Selbstverwaltungsaufgabe beschließen können sollten. Anknüpfend hieran kam der Ausschuss noch einmal auf die Auswirkungen der Übertragungsmöglichkeit zurück (Niederschrift S. 11):
Abg. Konrad bittet um Auskunft, ob die Verbände im Zusammenhang mit dem § 5 auch die Frage der rechtlichen Einordnung der Ämter behandelt haben, ob nach ihrer Meinung das Amt eine Gebietskörperschaft werde, wenn ihm alle Gemeinden alle ihre Aufgaben zur Selbstverwaltung übertragen, oder was das Amt sei, wenn ihm die Hälfte der Gemeinden alle ihre Aufgaben, die andere Hälfte aber nur bestimmte Aufgaben übertragen.
Der Geschäftsführer des Gemeindetages, Dr. Willing, erwidert, dass die Ämter mit der freiwilligen Übertragung - nicht nur der verwaltungstechnischen Durchführung - von Selbstverwaltungsaufgaben nach Ansicht des Gemeindetages noch nicht zu Gebietskörperschaften würden, dass sich das Amt auf diesem Wege aber zu einer engeren Gemeinschaft, möglicherweise zu einer Gebietskörperschaft entwickeln könne.

71

Die damit von einem Abgeordneten in den Raum gestellte Auffassung, dass sich mittels § 5 AO auch alle gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter übertragen ließen, scheint im Ausschuss Konsens gewesen zu sein. Widerspruch gab es auch im Folgenden nicht.

72

Im Rahmen der Einzelberatung des § 5 AO kam man in der Sitzung vom 24. März 1966 noch einmal auf den Umfang der übertragbaren Selbstverwaltungsaufgaben zurück (Niederschrift S. 3):
Die Abg. Schoof und Thee bitten zu prüfen, ob nicht entsprechend dem Vorschlage des Landkreistages im § 5 Abs. 1 gesagt werden sollte, dass dem Amt über die Regelung des § 3 Abs. 1 hinaus nur einzelne Aufgaben zur Selbstverwaltung und dann auch nur von allen Gemeinden des Amtes übertragen werden können.
Ministerialdirigent Kujath erklärt, mit dem § 5 Abs. 1 der Regierungsvorlage solle den Gemeinden eines Amtes - sowohl mehreren als auch allen Gemeinden - die Möglichkeit geboten werden, bestimmte Aufgaben, wie z. B. den Wegebau, auf das Amt zu übertragen. Dadurch würden sie nicht mehr genötigt, zur Erledigung einer Spezialaufgabe einen Zweckverband zu gründen.
Der Vorsitzende, Abg. Schoof, stellt nach längerer Aussprache fest, dass es zunächst bei der von der Regierung vorgeschlagenen Fassung des § 5 Abs. 1 bleiben soll. Der Ausschuss betrachtet diese Bestimmung als eine Möglichkeit, von der die Gemeinden Gebrauch machen können; die Gemeinden könnten aber auch weiterhin Zweckverbände bilden. Auf Anregung des Abg. Konrad wird das Innenministerium gebeten zu prüfen, ob die Worte „Aufgaben zur Selbstverwaltung“ nicht durch das Wort „Selbstverwaltungsangelegenheiten“ - wie im § 5 Abs. 2 - oder durch eine andere, inhaltlich gleiche Bezeichnung ersetzt werden sollte.

73

In der Sitzung vom 14. April 1966 wurde die letztgenannte Änderung beschlossen (Niederschrift S. 3). Der am 3. Mai 1966 vom Ausschuss vorgelegte geänderte Entwurf (Landtags-Drucksache 736/5) wurde im Anschluss an die zweite Lesung am 16. Mai 1966 als Gesetz verabschiedet, ohne dass über § 5 Abs. 1 AO noch einmal diskutiert wurde (Protokolle S. 2219-2231).

74

Daran wird deutlich, dass zwar der Gesetzgeber zumindest zunächst von einer geringen, mit der Bildung von Zweckverbänden vergleichbaren Inanspruchnahme der Vorschrift ausging, also nur die Übertragung einzelner beziehungsweise weniger Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter vor Augen hatte. Andererseits dachte er aber bereits an eine Bündelung von Aufgaben, denn ihm war gerade daran gelegen, die Gründung verschiedener Zweckverbände für jede einzelne Aufgabe zu vermeiden und stattdessen die Ansiedlung der Aufgaben bei einem ohnehin vorhandenen Amt zu ermöglichen. Eine Entwicklung der Ämter über die Zweckverbände hinaus wurde also durchaus gebilligt. Man hielt es sogar für möglich, dass Gemeinden alle ihre Selbstverwaltungsaufgaben auf das Amt übertragen könnten und war sich der Konsequenz, dass die Ämter dann einer gewählten Volksvertretung bedürften (wenngleich dies unter dem Gesichtspunkt Entwicklung zu einer Gebietskörperschaft, nicht zu einem Gemeindeverband, diskutiert wurde) bewusst. Auch wurde eine vom Landkreistag vorgeschlagene Grenze („nur einzelne Aufgaben“) in Erwägung gezogen und nicht eingefügt, wobei offen bleibt, ob dies einhellig so gewollt war oder man sich insoweit nicht einigen konnte („nach längerer Aussprache“). Damit spricht die Gesetzgebungsgeschichte gegen eine der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO immanente Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben.

75

cc) Sinn und Zweck von § 5 Abs. 1 Satz 1 AO verbieten es jedoch, durch einen Beschluss alle Selbstverwaltungsaufgaben der betroffenen Gemeinden auf das Amt zu übertragen. Denn die Ämter – und damit die Aufgabenübertragung auf sie – dienen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AO der Stärkung der Selbstverwaltung der amtsangehörigen Gemeinden und sollen sie nicht ersetzen (im Ergebnis ebenso: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 85).

76

Abgesehen von diesem praktisch bisher nicht relevanten Fall scheidet eine teleologische Grenzziehung für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AO aber aus (a. A., jedoch ohne nähere Präzisierung der Grenzziehung: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 85). Eine solche Auslegung der Vorschrift setzte nämlich voraus, dass eine präzise Grenzziehung überhaupt möglich ist. Ziel und Grenze einer jeden Auslegung ist die Präzisierung des Normgehalts. Sie hat sich gerade auch an den Normadressaten zu orientieren, hier in erster Linie den amtsangehörigen Gemeinden und den Ämtern. Ihnen wäre mit einer Auslegung, die ihrerseits nur dazu führen würde, dass die Gemeinden und Ämter bei einer Aufgabenübertragung in umfangreiche Abwägungsprozesse, ob die Grenze überschritten ist, eintreten müssten und sie auch anschließend in erheblicher Rechtsunsicherheit zurückließe, nicht gedient. Vielmehr bedürfte es einer konkreten und greifbaren Grenze, etwa dergestalt, dass aus einem Katalog festgelegter Selbstverwaltungsaufgaben nur eine bestimmte Zahl übertragen werden darf. Für eine solche Auslegung fehlt es bei § 5 Abs. 1 Satz 1 AO aber an jedem Anhaltspunkt. Sie vorzunehmen hieße, eine Grenze an Stelle des Gesetzgebers zu ziehen, anstatt sie aus dem gesetzgeberischen Willen abzuleiten.

77

b) Auch aus anderen Gesetzen ergibt sich eine solche Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben, welche die schleichende Entwicklung der Ämter zu Gemeindeverbänden sicher verhindern würde, nicht. Eine solche Grenze folgt insbesondere nicht aus der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung (Art. 46 Abs. 1 LV).

78

Nach Art. 46 Abs. 1 LV sind die Gemeinden berechtigt und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen.

79

Hieraus folgt zunächst eine Pflicht der Gemeinden, bestehende Selbstverwaltungsaufgaben tatsächlich wahrzunehmen. Damit soll im Rahmen der Leistungsfähigkeit die tatsächliche Durchführung der Selbstverwaltungsaufgaben sichergestellt werden (vgl. Groth , in: Caspar / Ewer / Nolte / Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 46 Rn. 38). Dies steht einer Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter nicht im Wege, weil dadurch das Amt zum Träger der Selbstverwaltungsaufgabe wird, die Verpflichtung der Gemeinde zu ihrer tatsächlichen Wahrnehmung mithin gerade entfällt.

80

Daneben folgt aus Art. 46 Abs. 1 LV für den Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung eine Pflicht, sich dieser Aufgaben nicht durch Übertragung auf Dritte derart zu entledigen, dass eine eigenverantwortliche, von echten politisch-demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten geprägte Selbstverwaltung auf Gemeindeebene nicht mehr möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2009 - BVerwG 8 C 10/08 -, DVBl. 2009, 1382 <1383> = NVwZ 2009, 1305 <1306 f.>, Juris Rn. 27 und 29; Schliesky / Ernst / Schulz , Aufgabenbestand, Legitimationsbedarf und Entwicklungspotential der Ämter in Schleswig-Holstein, 2009, S. 132; Unruh , BayVBl. 1996, 225 <228 f.>; vgl. auch Steinger , Amtsverfassung und Demokratieprinzip, 1997, S. 87 für Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, und ders ., Demokratische Legitimation in den schleswig-holsteinischen Ämtern, in: Wewer , Demokratie in Schleswig-Holstein - Historische Aspekte und aktuelle Fragen, 1998, S. 464). Der unveräußerliche Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung muss allerdings nach bisher herrschendem Verständnis nur institutionell und nicht für einzelne Gemeinden gewahrt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1987 - 2 BvR 826/83 - BVerfGE 76, 107 ff., Juris Rn. 38; Pieroth , in: Jarass / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, 10. Aufl. 2009 , Art. 28 Rn. 22 m.w.N.).

81

Selbst wenn man darüber hinausgehend für jede einzelne Gemeinde verlangt, dass der unveräußerliche Kernbereich an gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben gewahrt werden muss, würde dies nicht verhindern, dass die Ämter einen den kommunalen Gebietskörperschaften vergleichbaren Bestand an Selbstverwaltungsaufgaben erlangen können. Abgesehen davon würde eine in § 5 Abs. 1 Satz 1 AO hineinzulesende verfassungsunmittelbare Grenze nicht die notwendige Normpräzisierung bewirken. Bis heute ist nämlich keine trennscharfe Abgrenzung des Kernbereichs der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie gelungen; insoweit bestehen keine Unterschiede zwischen der Selbstverwaltungs-garantie des Grundgesetzes und jener der Landesverfassung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332 ff., Juris Rn. 89). Es wird auch die Auffassung vertreten, dass eine Bestimmung nur anhand eines konkreten Eingriffs möglich ist ( Maunz ,in: ders. / Dürig , Grundgesetz – Kommentar – Band IV, 54. Erg.Lfg. 2009, Art. 28 Rn. 53) oder dass der Kernbereich sogar undefinierbar ist ( Ossenbühl , Energierechtsreform und kommunale Selbstverwaltung, 1998, S. 53; sowie Dreier , in: ders. , Grundgesetz - Kommentar - Band II, 1998, Art. 28 Rn. 116; Püttner , Kommunale Selbstverwaltung, in: Isensee / Kirchhof , Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland - Band IV - Finanzverfassung - Bundesstaatliche Ordnung, 1990, S. 1171 ff., Rn. 20-25; Tettinger , in: Starck , Das Bonner Grundgesetz - Kommentar - Band 2, 4. Aufl., 2000, Art. 28 Rn. 191). Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört zum Kernbereich beziehungsweise Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. November 1988 - 2 BvR 1619/83 u.a. - BVerfGE 79, 127 ff., Juris Rn. 47). Für die Normadressaten des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO würden ihre Befugnisse also jedenfalls nicht klarer.

82

3. Zwar ist der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 5 Abs. 1 AO nicht davon ausgegangen, dass von dieser Vorschrift in einem so erheblichen Maße Gebrauch gemacht werden würde, dass sich infolge dessen die Ämter in absehbarer Zukunft zu Gemeindeverbänden entwickeln würden. Auch lag eine solche Entwicklung selbst 1979, als das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 – BVerfGE 52, 95 ff.) über die Qualifizierung der Ämter zu entscheiden hatte, noch in weiter Ferne. Jedoch trifft ihn schon dann eine Nachbesserungspflicht, sobald eine solche Inanspruchnahme der Übertragungsmöglichkeit festzustellen ist, dass eine Entwicklung der Ämter zu Gemeindeverbänden nicht mehr auszuschließen ist.

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Ein zunächst verfassungsmäßiges Gesetz kann im Laufe der Zeit verfassungswidrig werden, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse, auf die es einwirkt, grundlegend gewandelt haben oder sich die beim Erlass des Gesetzes verfassungsrechtlich unbedenkliche Einschätzung seiner künftigen Wirkungen später als ganz oder teilweise falsch erweist. Die Bindung des Gesetzgebers an die verfassungsmäßige Ordnung umfasst nämlich auch die Verantwortung dafür, dass die Gesetze in Übereinstimmung mit der Verfassung bleiben. Für den Gesetzgeber besteht in diesem Fall eine Nachbesserungspflicht (stRspr., vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90 u.a. - BVerfGE 88, 203 ff., Juris Rn. 307-310; s. auch Beschlüsse vom 18. Dezember 1968 - 1 BvL 5/64 u.a. - BVerfGE 25, 1 ff., Juris Rn. 28; und vom 14. Januar 1981 - 1 BvR 612/72 - BVerfGE 56, 54 ff., Juris Rn. 62; Urteil vom 4. Juli 1995 - 1 BvF 2/86 u.a. - BVerfGE 92, 365 ff., Juris Rn. 130; Beschluss vom 18. Februar 1998 - 1 BvR 1318/86 u.a. - BVerfGE 97, 271 ff., Juris Rn. 88; und Urteil vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1673/04 u.a. - BVerfGE 116, 69 ff., Juris Rn. 64; ausdrücklich für den Schleswig-holsteinischen Gesetzgeber: Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 164 ff.).

84

a) In diesem Sinne stellt es eine grundlegende Wandlung der tatsächlichen Verhältnisse dar, wenn auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO den Ämtern Selbstverwaltungsaufgaben von solchem Umfang und Gewicht übertragen werden, dass sie sich den kommunalen Gebietskörperschaften immer mehr annähern und deshalb die Möglichkeit besteht, dass sie sich zu Gemeindeverbänden entwickeln. Es handelt sich dabei um eine fremdbestimmte Entwicklung, auf die der Gesetzgeber - von der Schaffung der normativen Grundlage abgesehen - keinen Einfluss mehr hat. Ob es sich um eine grundlegende Wandlung handelt, ist in Bezug auf den konkreten verfassungsrechtlichen Rahmen festzustellen. Dieser ergibt sich auf der einen Seite aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV und damit aus der dann den Ämtern als materielle Gemeindeverbände fehlenden demokratischen Legitimation für ihr hoheitliches Handeln. Er ergibt sich auf der andern Seite - als Kehrseite - aus Art. 46 Abs. 1 LV und damit aus der bei den Gemeinden damit einhergehenden Verletzung ihrer kommunalen Selbstverwaltungsgarantie.

85

b) Die Voraussetzungen der zweiten, eine Nachbesserungspflicht auslösenden Variante, dass sich eine beim Erlass des Gesetzes verfassungsrechtlich unbedenkliche Einschätzung seiner künftigen Wirkungen später als ganz oder teilweise falsch erweist, sind dann erfüllt, wenn die Annahme des Gesetzgebers, es werde nur eine geringe, mit der Bildung von Zweckverbänden vergleichbare Inanspruchnahme der Vorschrift geben, nicht mehr zutrifft. Dies ist der Fall, wenn nicht mehr nur die Übertragung einzelner bzw. weniger Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter erfolgt, sondern wenn auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO den Ämtern Selbstverwaltungsaufgaben von solchem Umfang und Gewicht übertragen werden, dass sie sich den kommunalen Gebietskörperschaften immer mehr annähern.

86

c) Zu diesen Ausführungen steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 – (BVerfGE 52, 95 ff.) nicht im Widerspruch. Sie brauchte sich nämlich nicht näher damit zu befassen, ob die Amtsordnung erst verfassungswidrig wird, wenn die Entwicklung der Institution Amt zum Gemeindeverband im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV sicher abgeschlossen ist oder ob dies auch schon vorher in Betracht kommt, wenn eine solche Entwicklung sicher absehbar wird und nicht mehr ausgeschlossen werden kann, dass sie schon abgeschlossen ist. Im Jahr 1979 war nach den vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Feststellungen die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter erst so rudimentär ausgeprägt, dass eine Entwicklung der Ämter zu Gemeindeverbänden nicht absehbar war und von einer grundlegenden Wandlung der Verhältnisse seit der Schaffung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO noch keine Rede sein konnte. Die ursprüngliche Einschätzung des Gesetzgebers traf nach wie vor zu. In mehr als der Hälfte der Ämter hatte überhaupt keine Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben stattgefunden und in den übrigen Fällen handelte es sich regelmäßig nur um einzelne Aufgaben und zwar um solche, die schon früher häufig auf Zweckverbände übertragen wurden (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 85).

87

4. Eine solche grundlegende, eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers auslösende Wandlung der Verhältnisse ist mittlerweile eingetreten. Es ist davon auszugehen, dass sich erste Ämter nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben Gemeindeverbänden jedenfalls annähern. Auch lässt sich die Annahme des Gesetzgebers, es werde nur eine geringe Inanspruchnahme der Aufgabenübertragung auf die Ämter erfolgen, mit der eingetretenen Entwicklung nicht mehr in Einklang bringen.

88

a) Eine Bestimmung, ob eine Vergleichbarkeit der Ämter mit den kommunalen Gebietskörperschaften erreicht ist, ist mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden. Der Gesetzgeber hat trotz Schaffung der entwicklungsoffenen Norm des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO bislang keine hinreichenden prozeduralen Vorkehrungen geschaffen, um die Entwicklung der Aufgabenübertragungen sicher im Auge zu behalten, obwohl ihn auch aus Art. 46 Abs. 3 LV eine Prozessbeobachtungspflicht trifft, aufgrund der er der Kommunalaufsicht hierzu geeignetere Instrumentarien an die Hand zu geben hätte. Aber selbst wenn man die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung der Kommunalaufsicht insoweit für ausreichend hielte, ist nach dem Inhalt der mündlichen Verhandlung festzustellen, dass tatsächlich eine solche Beobachtung nicht erfolgt und dem Land daher nicht bekannt ist, in welchem Maße den einzelnen Ämtern Selbstverwaltungsaufgaben übertragen wurden.

89

b) Für die Ermittlung der tatsächlich auf die Ämter übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben kommen deshalb nur Anfragen an die Ämter oder die amtsangehörigen Gemeinden in Betracht. Aus Gründen der Praktikabilität werden allgemein die Ämter als für Anfragen am besten geeignet angesehen. Wie die bisherigen Untersuchungen gezeigt haben, stellt sich dabei jedoch das Problem, dass regelmäßig nicht alle Ämter antworten. Indessen sind Antworten aller Ämter entbehrlich, wenn sich bereits unter den Ämtern, deren Aufgabenbestand zuverlässig festgestellt ist, eines befindet, das nach Umfang und Gewicht den kommunalen Gebietskörperschaften vergleichbare Selbstverwaltungsaufgaben wahrnimmt (vgl. C. I. 4. b ).

90

aa) Allerdings wird die Zuverlässigkeit der Angaben seitens der Ämter angezweifelt. Bemängelt wird insbesondere, dass vielen Bearbeitern in den Ämtern die Differenzierung zwischen der Durchführung von Selbstverwaltungsaufgaben nach § 3 AO und der Wahrnehmung nach § 5 AO nicht bewusst gewesen sei, so dass viele diesbezügliche Angaben fehlerhaft seien.

91

Ebenfalls problematisch ist, dass es keinen fest umrissenen Katalog an Selbstverwaltungsaufgaben gibt, aus dem Aufgaben übertragen werden könnten und der zumindest bei einem Vergleich mit den amtsangehörigen Gemeinden eine gute Vergleichbarkeit von auf das Amt übertragenen und bei den Gemeinden verbliebenen Aufgaben ermöglichen würde. Für eine einheitliche Erfassung der Ämter muss deshalb notwendig vom Fragesteller ein Katalog vorgegeben werden, wobei durch den Grad der Feingliedrigkeit des Aufgabenkatalogs Einfluss auf die Zahl der als übertragen erfassten Aufgaben genommen werden kann.

92

Probleme bereitet auch die Bewertung eines festgestellten Befundes in quantitativer Hinsicht, da bisher offen ist, wo zahlenmäßig die Grenze für eine Vergleichbarkeit mit den kommunalen Gebietskörperschaften liegt, ja ob es eine solche überhaupt geben kann. In qualitativer Hinsicht stellt sich das Problem einer Bewertung der übertragenen und der von den Gemeinden selbst wahrgenommenen Selbstverwaltungsaufgaben. Stellt man hierbei auf den Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben ab, so erweist sich wiederum als problematisch, dass sich der Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht abstrakt bestimmen lässt (vgl. C. II. 2. b < Rn. 81>).

93

bb) Ist deshalb in mehrfacher Hinsicht nur eine Annäherung möglich, so kann gleichwohl aufgrund der bisher vorliegenden Untersuchungen bereits jetzt festgestellt werden, dass die Entwicklung bei einzelnen Ämtern so weit fortgeschritten ist, dass sie sich nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben Gemeindeverbänden jedenfalls annähern.

94

Auch wenn sich einzelne Ämter bei den Untersuchungen der Differenzierung zwischen der Durchführung von Selbstverwaltungsaufgaben nach § 3 AO und der Wahrnehmung nach § 5 AO nicht bewusst gewesen sein sollten, so ist doch ein größeres Maß an fehlerhaften Antworten fernliegend, zumal die Fragebögen danach differenziert haben. Stellt man weiter nur auf die typischen Selbstverwaltungsaufgaben unter ihren allgemein verwendeten schlagwortartigen Bezeichnungen ab, lassen sich die aus den Antworten ergebenden Zahlen durchaus verwerten. Hinsichtlich der Anzahl der übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben werden schon Zahlen im einstelligen Bereich dann als problematisch angesehen, wenn alle Gemeinden die Aufgaben übertragen haben (vgl. von Mutius / Steinger, Die Gemeinde SH 1995, 231 <234> und Steinger , Amtsverfassung und Demokratieprinzip, 1997, S. 91: nicht mehr als drei, wenn alle Gemeinden die Aufgaben übertragen haben; OVG Schleswig, Beschluss vom 25. Juli 2006 - 2 LA 5/06 -, unveröffentlicht, S. 3-4: klärungsbedürftig, wenn mindestens sechs oder mehr Selbstverwaltungsaufgaben übertragen sind; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Juni 2001 - VerfGH 28/00 und 30/00 -, DVBl. 2001, 1595 <1596>: überschritten bei den nordrhein-westfälischen Landschaftsverbänden, denen durch § 5 LVerbO-NRW je nach Lesart ca. zwölf bis fünfzehn Aufgaben übertragen sind).

95

Die Bewertung der bei den Ämtern befindlichen Selbstverwaltungsaufgaben muss vor dem Hintergrund der hier in Frage stehenden Verfassungsnormen erfolgen. Da Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 3 Abs. 1 LV überall dort, wo hoheitliche Gewalt unmittelbar durch selbstständige, vom Staat weitgehend unabhängige Rechtsträger ausgeübt wird, eine aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Volksvertretung verlangen, kann es nur auf das der jeweiligen Selbstverwaltungsaufgabe innewohnende Maß an Entscheidungsverantwortung ankommen. Ein Indiz für ein hohes Maß an Entscheidungsverantwortung ist der Grad an planerischem Gestaltungsspielraum. Allerdings kann auch eine sich auf ein „Ob“ reduzierende Entscheidung von solcher Bedeutung sein, dass eine hohe Entscheidungsverantwortung besteht (in diese Richtung: von Mutius / Steinger , a. a. O. S. 234; Steinger , a. a. O., S. 91-92; Schliesky , Amt-Gemeinde-Untersuchung 2002, in: Schleswig-Holsteinischer Gemeindetag , Arbeitsheft 19, 2004, S. 9 <23-24>; das Kriterium ist im Wesentlichen deckungsgleich mit dem von der Landesregierung befürworteten Kriterium des Entscheidungsgehalts).

96

cc) Heute spricht vor diesem Hintergrund vieles dafür, dass die Institution Amt bereits als Gemeindeverband im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV zu qualifizieren ist. Schon von denjenigen Ämtern, die im Zuge der Großen Anfrage der Antragsteller geantwortet haben, nehmen mehrere Ämter eine zweistellige Zahl von ausdrücklich durch Beschluss nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AO übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben wahr. Diese Ämter haben beim Ausfüllen der Fragebögen ausnahmslos zwischen der Wahrnehmung der Aufgabe überhaupt und der Wahrnehmung aufgrund eines Übertragungsbeschlusses differenziert, so dass die Angaben zuverlässig erscheinen. Mit der Wahrnehmung von wenigstens zehn Selbstverwaltungsaufgaben heben sich diese Ämter jedenfalls deutlich vom Zweckverband ab, welchen der Verfassungsgeber als negative Begrenzung des Gemeindeverbandes im Auge hatte (siehe C. I. 2 ).

97

Hinsichtlich der Qualität der Selbstverwaltungsaufgaben ist festzustellen, dass sich unter den übertragenen Aufgaben nicht nur solche finden, bei denen es schwerpunktmäßig um die technische Durchführung geht, wo also nur geringe Entscheidungsspielräume bestehen, sondern auch echte Planungsaufgaben. So sind dem Amt Süderbrarup von allen amtsangehörigen Gemeinden die Flächennutzungsplanung, die Landschaftsplanung, die Wirtschaftsförderung und die Ländliche Struktur- und Entwicklungsanalyse übertragen sowie von den meisten amtsangehörigen Gemeinden die Dorfentwicklungsplanung. Das sind für die Bürgerin und den Bürger bedeutsame und damit gewichtige Selbstverwaltungsaufgaben. Dem Amt Geltinger Bucht wurden die Ländliche Struktur- und Entwicklungsanalyse und die Wirtschaftsförderung von allen Gemeinden übertragen sowie von einem Drittel der Gemeinden die Dorfentwicklungsplanung, ebenso dem Amt Südangeln. Dem Amt Hürup wurden die drei vorgenannten Aufgaben von allen amtsangehörigen Gemeinden übertragen. Ausweislich der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Antragsteller (Landtags-Drucksache 16/2324, S. 7) haben sogar erste förmliche Übertragungen der Bebauungsplanung stattgefunden.

98

c) Aber selbst wenn man die Ergebnisse dieser Untersuchungen außer Betracht lassen will, ist jedenfalls festzustellen, dass der Bestand der Ämter an Selbstverwaltungsaufgaben nach Qualität und Quantität gegenüber dem Bestand 1979 deutlich zugenommen hat und dass sich die Ämter den Gemeinden und Kreisen insoweit immer weiter annähern. Dieser Befund ist bei den kommunalen Verbänden und in der Literatur auch unstreitig (neben den Antragstellern, dem Schleswig-Holsteinischen Gemeindetag, dem Städteverband Schleswig-Holstein und dem Schleswig-Holsteinischen Landkreistag auch Arndt , Die Gemeinde SH 2007, 315 <315 f.>; Borchert , Die Gemeinde SH 1994, 3 <10>; Bracker , Amtsordnung für Schleswig-Holstein - Kommentar, in: Bülow / Erps / Schliesky / von Allwörden , Kommunalrecht Schleswig-Holstein - Kommentare - Band II, Stand: 34. Nachlieferung, 2009, § 1 Erl. 1; Ernst , Das Zweite Verwaltungsstrukturformgesetz und seine kommunalrechtlichen Auswirkungen, Die Gemeinde SH 2007, 307 <309>; Groth , in: Caspar / Ewer / Nolte / Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 46 Rn. 47; von Mutius / Steinger , Die Gemeinde SH 1995, 231 <233 f.>; Schliesky , Amt-Gemeinde-Untersuchung 2002, in: Schleswig-Holsteinischer Gemeindetag , Arbeitsheft 19, 2004, S. 62-65; Schliesky / Ernst / Schulz , Aufgabenbestand, Legitimationsbedarf und Entwicklungspotential de Ämter in Schleswig-Holstein, 2009, S. 56-58, 105; Steinger , Amtsverfassung und Demokratieprinzip, 1997, S. 91-92; ders. , Demokratische Legitimation in den schleswig-holsteinischen Ämtern, in: Wewer , Demokratie in Schleswig-Holstein - Historische Aspekte und aktuelle Fragen, 1998, S. 462 f.; Wissenschaftlicher Dienst des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Gutachten zum Entwurf des Zweiten Verwaltungsstrukturreformgesetzes, Landtags-Umdruck 16/1596, S. 10 f.). Für ein Ende dieser Entwicklung oder gar die Wende zu einer gegenläufigen Entwicklung aufgrund von Rückübertragungen nach § 5 Abs. 2 AO, welche weiterhin kaum vorkommen, bestehen keine Anhaltspunkte. Es ist auch zu vermuten, dass die äußeren Rahmenbedingungen die festgestellte Entwicklung eher noch weiter begünstigen werden. Der Gemeindetag und der Landkreistag nennen eine immer stärker zunehmende Verrechtlichung und Verkomplizierung der Entscheidungsgrundlagen und Rahmenbedingungen des Verwaltungshandelns durch Gesetzgebung und Rechtsprechung, die dazu führen, dass die Aufgaben von der ehrenamtlichen Gemeindevertretung immer schwieriger bewältigt werden können (ebenso: Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 99). Auch ist eine Rückübertragung auf die dann nicht mehr auf die Aufgabenwahrnehmung eingerichtete Gemeinde mit erheblichen praktischen (vgl. Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 118) und den rechtlich hohen Hürden des § 5 Abs. 2 AO verbunden. Bereits diese, mit der ursprünglichen Einschätzung des Gesetzgebers, es werde nur wenige Aufgabenübertragungen geben, nicht mehr in Einklang zu bringende Entwicklung löst die Pflicht zur Einrichtung einer unmittelbar gewählten Volksvertretung auf Amtsebene aus.

III.

99

Das Erfordernis einer gewählten Volksvertretung nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV betrifft bei den Ämtern in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung den Amtsausschuss, der in seiner derzeitigen Zusammensetzung (§ 9 AO) keine gewählte Volksvertretung ist.

100

1. Aus dem Sinn und Zweck des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV und des ihn ergänzenden Art. 3 Abs. 1 LV folgt, dass das zentrale Beschlussorgan der jeweiligen Körperschaft aus einer Volkswahl hervorgehen muss. Die Volkswahl ist Ausdruck der Grundentscheidungen der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und der repräsentativen Demokratie. Ihre Aufgabe ist es, der jeweiligen Körperschaft die notwendige demokratische Legitimation für die Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben zu verschaffen. Das betrifft sowohl die personelle Legitimation als auch die materielle Legitimation. Bei der zu wählenden Volksvertretung muss es sich deshalb um das nächste Glied der beim Volk beginnenden Legitimationskette handeln, von der die weiteren Amtsträger der Körperschaft (sofern nicht selbst vom Volk gewählt) ihre personelle Legitimation ableiten. Und es muss sich um das Organ handeln, das die für die Körperschaft grundlegenden und besonders wichtigen Entscheidungen trifft und die anderen Organe und Amtsträger bei der Umsetzung dieser Entscheidungen kontrolliert, mithin wie bei Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG um die „zentrale Führungsinstanz“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 1978 - 2 BvR 134/76 u.a. - BVerfGE 47, 253 ff., Juris Rn. 46).

101

2. In den Ämtern in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung handelt es sich dabei um den Amtsausschuss. Der Amtsausschuss trifft alle für das Amt wichtigen Entscheidungen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AO). Er wählt die Amtsvorsteherin oder den Amtsvorsteher (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AO) und in hauptamtlich verwalteten Ämtern die Amtsdirektorin oder den Amtsdirektor (§ 15b Abs. 1 AO). Amtsvorsteherin oder Amtsvorsteher beziehungsweise Amtsdirektorin oder Amtsdirektor leiten die Verwaltung nach den Grundsätzen und Richtlinien des Amtsausschusses und im Rahmen der von ihm bereitgestellten Mittel. Sie bereiten die Beschlüsse des Amtsausschusses vor und führen sie durch (§§ 13, 15a, 15b AO).

102

3. Der Amtsausschuss ist derzeit keine gewählte Volksvertretung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV. Er setzt sich zusammen aus den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der amtsangehörigen Gemeinden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 AO) und weiteren Mitgliedern (§ 9 Abs. 1 Satz 2 AO). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 GO werden amtsangehörige Gemeinden, die nicht die Geschäfte des Amtes führen, ehrenamtlich verwaltet; die oder der Vorsitzende der Gemeindevertretung ist für die Dauer der Wahlzeit ehrenamtliche Bürgermeisterin beziehungsweise ehrenamtlicher Bürgermeister. Die oder der Vorsitzende der Gemeindevertretung wird nach § 33 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 GO von der Gemeindevertretung aus ihrer Mitte gewählt, mithin nicht unmittelbar vom Volk. Auch die weiteren Mitglieder des Amtsausschusses werden gemäß § 9 Abs. 2 AO von den Gemeindevertretungen gewählt. § 9 AO regelt die Zusammensetzung des Amtsausschusses abschließend und lässt eine Volkswahl auch für den Fall nicht zu, dass sich die Institution Amt zum Gemeindeverband entwickelt.

IV.

103

Der Verstoß von § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 9 AO gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV lässt sich nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung ausräumen. Er führt jedoch nicht zur Nichtigkeit dieser Vorschriften, sondern zur Erklärung ihrer Unvereinbarkeit mit der Landesverfassung mit der Folge, dass § 5 Abs. 1 Satz 1 AO nur noch anwendbar bleibt, soweit er die Rechtsgrundlage für bereits erfolgte Übertragungen bildet. Neue Übertragungen sind bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber unzulässig. § 9 AO bleibt weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist bis zum 31. Dezember 2014 zu einer Neuregelung verpflichtet.

104

1. Der Widerspruch der §§ 5 Abs. 1 Satz 1 und 9 AO mit der Landesverfassung lässt sich nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung ausräumen. Um den Widerspruch zu beseitigen, müsste eine verfassungskonforme Auslegung des § 9 AO dahin gehen, eine Direktwahl der Amtsausschussmitglieder generell oder ab einem im konkreten Amt vorhandenen Niveau an Selbstverwaltungsaufgaben vorzusehen. Das lässt die in § 9 AO enthaltene detaillierte Regelung der Zusammensetzung des Amtsausschusses nicht zu. In die Norm eine Direktwahl hineinzuinterpretieren, bewegte sich nicht mehr innerhalb der dort getroffenen gesetzgeberischen Grundentscheidung, die gerade eine mittelbare demokratische Legitimation des Amtsausschusses vorsieht. Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes in Widerspruch treten würde. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22. Oktober 1985 - 1 BvL 44/83 - BVerfGE 71, 81 ff., Juris Rn. 56; vom 26. April 1994 - 1 BvR 1299/89 u.a. - BVerfGE 90, 263 ff., Juris Rn. 38; und vom 19. September 2007 - 2 BvF 3/02 - BVerfGE 119, 247 ff., Juris Rn. 93, jeweils m.w.N., stRspr.).

105

Auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO, wie sie vom Landtag befürwortet wird, ist nicht möglich. Sie setzte voraus, dass eine Deutung der Vorschrift möglich ist, welche den amtsangehörigen Gemeinden eine konkrete Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben setzt, die die schleichende Entwicklung der Ämter zu materiellen Gemeindeverbänden verhindert. Grenze für die verfassungskonforme Auslegung ist der ordnungsgemäße Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. September 2007 a. a. O.). Mittels dieser Methoden lässt sich eine solche Grenze gerade nicht bestimmen (siehe C. II. 2. ). Auch der Landtag zeigt nicht auf, wie die von ihm noch für verfassungsgemäß gehaltene Auslegung der Norm konkret aussehen soll.

106

2. Die Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften führt im Regelfall zwar zu deren Nichtigkeit (§ 42 Satz 1, vgl. auch § 46 Satz 2 und § 48 LVerfGG). Ausnahmsweise sind die Vorschriften jedoch nur für unvereinbar mit der Landesverfassung zu erklären. Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Rechtsprechung zur Unvereinbarkeitserklärung ist auf die Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht übertragbar. Danach ist eine bloße Erklärung der Unvereinbarkeit mit der Landesverfassung geboten, wenn der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, um so der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. Mai 1970 - 1 BvL 17/67 - BVerfGE 28, 227 ff., Juris Rn. 49; und vom 7. Juli 1982 - 2 BvL 14/78 u.a. - BVerfGE 61, 43 ff., Juris Rn. 64; Urteil vom 14. Juli 1986 - 2 BvE 2/84 u.a. - BVerfGE 78, 350 ff., Juris Rn. 179; Beschlüsse vom 21. Juni 1988 - 2 BvR 638/84 - BVerfGE 73, 40 ff., Juris Rn. 39; vom 29. Mai 1990 -1 BvL 20/84 u.a. - BVerfGE 82, 60 ff., Juris Rn. 133; vom 25. September 1992 - 2 BvL 5/91 u.a. - BVerfGE 87, 153 ff., Juris Rn. 88; vom 22. Juni 1995 - 2 BvL 37/91 - BVerfGE 93, 121 ff., Juris Rn. 80; und vom 22. Juni 1995 - 2 BvR 552/91 - BVerfGE 93, 165 ff., Juris Rn. 38, stRspr.).

107

Die Verfassungswidrigkeit folgt daraus, dass aufgrund des materiellen Gemeindeverbandsbegriffs der Landesverfassung § 5 Abs. 1 Satz 1 AO und § 9 AO nicht mehr miteinander harmonieren, weil angesichts der Möglichkeit, dass sich die Ämter zu Gemeindeverbänden entwickeln, möglicherweise schon entwickelt haben, ihre demokratische Legitimation nicht ausreicht oder umgekehrt angesichts ihrer nur mittelbaren demokratischen Legitimation eine weitere Entwicklung der Ämter hin zu Gemeindeverbänden, mithin die unbegrenzte Übertragungsmöglichkeit von Selbstverwaltungsaufgaben nicht zulässig ist. Dem Gesetzgeber steht es frei, wie er diese Diskrepanz auflöst. So könnte er unter anderem in § 5 Abs. 1 Satz 1 AO eine Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben nach Quantität und Qualität einfügen. Er könnte auch in § 9 AO die Zusammensetzung des Amtsausschusses ändern und anordnen, dass seine Mitglieder vom Volk gewählt werden. Denkbar wäre weiter, dass er eine differenzierende Lösung vorsieht, wonach in Ämtern (erst) ab einem konkret bestimmten Maß an übertragenen Aufgaben die Ausschussmitglieder vom Volk zu wählen sind; er könnte also die Institution Amt in zwei Arten von Ämtern spalten. Weitere Handlungsalternativen des Gesetzgebers sind hier nicht aufzuzeigen, da bereits die genannten Möglichkeiten zeigen, dass die Vorschriften nur mit der Landesverfassung für unvereinbar zu erklären sind.

108

3. Die Unvereinbarkeitserklärung hat grundsätzlich zur Folge, dass die betroffenen Normen in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang nicht mehr angewendet werden dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 1974 - 1 BvL 22/71 u.a. - BVerfGE 37, 217 ff., Juris Rn. 127; Urteile vom 3. November 1982 - 1 BvR 620/78 u.a. - BVerfGE 61, 319 ff., Juris Rn. 101; und vom 14. Juli 1986 - 2 BvE 2/84 u.a. - BVerfGE 73, 40 ff., Juris Rn. 180, stRspr.). Ausnahmsweise sind verfassungswidrige Vorschriften aber ganz oder teilweise weiter anzuwenden, wenn die Besonderheit der für verfassungswidrig erklärten Norm es aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere aus solchen der Rechtssicherheit, notwendig macht, die verfassungswidrige Vorschrift als Regelung für die Übergangszeit fortbestehen zu lassen, damit in dieser Zeit nicht ein Zustand besteht, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als der bisherige (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 1974 a. a. O., Juris Rn. 128; Urteil vom 3. November 1982 a. a. O.; und Beschluss vom 25. September 1992 - 2 BvL 5/91 u.a. - BVerfGE 87, 153 ff., Juris Rn. 88).

109

a) So verhält es sich mit § 9 AO. Die hierdurch vermittelte demokratische Legitimation des Amtsausschusses genügt zwar mittlerweile nicht mehr den Anforderungen der Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV, verschafft den Ämtern aber im Selbstverwaltungsbereich immerhin ein beträchtliches Maß an mittelbarer demokratischer Legitimation. Die Vorschrift nicht mehr anzuwenden, entzöge den Ämtern im Selbstverwaltungsbereich jegliche personelle demokratische Legitimation. Das wäre mit der Intention des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV schlechterdings unvereinbar.

110

b) Ferner muss § 5 Abs. 1 Satz 1 AO insofern anwendbar bleiben, als er die Rechtsgrundlage für bis einschließlich 26. Februar 2010 erfolgte Übertragungen bildet. Andernfalls wären sämtliche bisherigen Übertragungen nichtig, wobei dann noch der genaue Zeitpunkt festzustellen wäre, ab dem die Entwicklung zu einer Nachbesserungspflicht geführt hatte. Damit fielen ab diesem Zeitpunkt sämtliche Selbstverwaltungsaufgaben ohne Übergangsfrist auf die Gemeinden zurück. Dies würde die ordnungsgemäße Wahrnehmung dieser Selbstverwaltungsaufgaben gefährden.

111

Neue Übertragungen sind demgegenüber bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber unzulässig.

112

Die Möglichkeiten nach § 3 AO bleiben unberührt.

113

5. Als angemessene Frist zur Beseitigung der verfassungswidrigen Rechtslage kommt grundsätzlich die Dauer einer Legislaturperiode in Betracht ( Lechner / Zuck , Bundesverfassungsgerichtsgesetz - Kommentar, 5. Aufl., 2006, § 78 Rn. 11 m.w.N.). Das erscheint auch vorliegend angemessen. Dementsprechend hat sich die bis zum 31. Dezember 2014 gesetzte Frist an Art. 13 Abs. 1 Satz 1 LV orientiert.

114

Anlass, darüber zu entscheiden, welche Rechtsfolgen bei Verstreichen der Frist eintreten, besteht derzeit nicht, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Gesetzgeber nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist tätig werden wird.

115

6. Für die Neuregelung ist auf Folgendes hinzuweisen:

116

a) Entschließt sich der Gesetzgeber dafür, die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter zu beschränken, um die Entwicklung der Ämter zu Gemeindeverbänden aufzuhalten, obliegt es zunächst ihm, die Voraussetzungen für die Entwicklung zum Gemeindeverband nach Umfang und Gewicht der übernommenen Selbstverwaltungsaufgaben innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens der Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV zu konkretisieren. Nach den Ausführungen zur Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO (siehe C. II. 2. ) wird dies nur mittels Aufstellung eines Kataloges an Selbstverwaltungsaufgaben möglich sein. Eine abstrakte Kernbereichssperre (erwogen von Schliesky / Ernst / Schulz , Aufgabenbestand, Legitimationsbedarf und Entwicklungspotential der Ämter in Schleswig-Holstein, 2009, S. 132 f.) erscheint mangels hinreichender Bestimmbarkeit des Kernbereichs gemeindlicher Selbstverwaltung (siehe C. II. 2. b ) ungeeignet. Ein Katalog könnte auch Aufgaben mit mehr oder weniger Entscheidungsverantwortung abstufen. Die Ausgestaltung steht grundsätzlich im Ermessen des Gesetzgebers. Sofern der Gesetzgeber aber mit einer Zahl der übertragbaren Aufgaben den verfassungsrechtlichen Rahmen ausschöpfen will, ist darauf hinzuweisen, dass sich eine Zahl der gerade noch keine Qualifizierung als Gemeindeverband auslösenden Aufgaben nicht abstrakt bestimmen lässt, da sie von dem erst festzulegenden Aufgabenkatalog und einer etwaigen Qualitätsabstufung abhängt.

117

Gegebenenfalls können in einzelnen Ämtern Rückübertragungen – nicht notwendig von allen Selbstverwaltungsaufgaben (erwogen von Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 118) – erforderlich werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschrift des § 5 Abs. 2 AO, welche im vorliegenden Verfahren nicht zur Überprüfung stand, insofern verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, als sie Rückübertragungen nur unter engen Voraussetzungen zulässt. Wenn sich eine Gemeinde entschließt, eine vormals gemeindliche Selbstverwaltungsangelegenheit wieder selbst wahrzunehmen, ihrem Rückübertragungsverlangen aber die engen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 AO entgegenstehen, liegt darin ein Eingriff in ihr Recht aus Art. 46 Abs. 1 LV. Denn die Aufgabe, der sie sich nur freiwillig begeben hatte, fällt weiterhin in den Schutzbereich der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie. Einer Rechtfertigung im Sinne von § 46 Abs. 1 letzter Halbsatz LV dürfte schon entgegenstehen, dass die Amtsordnung insgesamt das Ziel verfolgt, die Selbstverwaltung der amtsangehörigen Gemeinden zu stärken (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AO), also ein Angebot an die Gemeinden darstellt und diesen nicht gegen ihren Willen Selbstverwaltungsaufgaben vorenthalten soll. Zur Erreichung dieses Ziels erscheint es nicht erforderlich, Rückübertragungsverlangen auf Fälle der Unzumutbarkeit zu beschränken. Unbedenklich erschiene demgegenüber eine Regelung wie in § 24 Abs. 1 Satz 2 AO, der für Rückübertragungen keine solche Einschränkung enthält.

118

b) Entschließt sich der Gesetzgeber zur Einführung einer Volkswahl auf Amtsebene, ist zu beachten, dass es sich um eine selbstständige Wahl handeln muss. Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV handelt das Volk durch seine „gewählten Vertretungen“ im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden. Das bedeutet, dass jede der aufgeführten beziehungsweise unter den Sammelbegriff des Gemeindeverbandes fallenden Körperschaften über eine selbstständige, vom Volk gewählte Vertretung verfügen muss, so wie der Kreistag getrennt von den Gemeindevertretungen der kreisangehörigen Gemeinden gewählt wird. Eine nicht bloß zeitliche, sondern auch inhaltliche Kopplung der Wahl an die Wahlen der Mitglieder der Gemeindevertretungen oder der Bürgermeisterinnen beziehungsweise Bürgermeister der amtsangehörigen Gemeinden wie sie de facto bei der wieder abgeschafften Amtsversammlung vorgesehen war (und von Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 121-127, befürwortet wird), wäre mithin unzulässig. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Ämter keine Gebietskörperschaften sind und nicht von den Einwohnerinnen und Einwohnern des Amtsgebietes, sondern von den Gemeinden als juristische Personen getragen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 – BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 74-76). Für die Wahl ihrer Volksvertretung wird diese bundkörperschaftliche Struktur nämlich von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 LV durchbrochen. Sie ist unmittelbare Folge der Anerkennung von Gemeindeverbänden, die nicht gebietskörperschaftlich aufgebaut sind.

119

Im Übrigen ist die Ausgestaltung des Wahlverfahrens im Rahmen des Art. 3 LV Sache des Gesetzgebers (vgl. Art. 3 Abs. 4 LV).

V.

120

Das Verfahren ist kostenfrei (§ 33 Abs. 1 LVerfGG). Eine Kostenerstattung findet nicht statt (§ 33 Abs. 4 LVerfGG). Eine Entscheidung über die Vollstreckung entfällt (§ 34 LVerfGG).

VI.

121

Das Urteil ist einstimmig ergangen.


(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 6. Kammer - vom 01. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 01. Juni 2011 ist unbegründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), stellen das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage.

I.

2

Die Antragstellerin wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte, auf § 124 Abs. 1 GO gestützte Anordnung des Antragsgegners vom 15. März 2011, den Beschluss der Gemeindeversammlung vom 15. Dezember 2010 über die Haushaltssatzung 2011 der Gemeinde aufzuheben und bis zum 15. April 2011 den Hebesatz für die Gewerbesteuer auf 310 v.H. rückwirkend zum 01. Januar 2011 anzuheben sowie die Hebesätze für die Grundsteuern A und B auf jeweils 270 % ebenfalls rückwirkend zum 01. Januar 2011 festzusetzen.

3

In der Begründung des Bescheides wird unter anderem ausgeführt, dass die Antragstellerin ihren in § 75 GO normierten Pflichten zur ordnungsgemäßen Haushaltswirtschaft nicht nachkomme. Da die Gemeinde den Hebesatz der Gewerbesteuer auf lediglich 200 v.H. festgesetzt habe und Grundsteuern gar nicht erhebe, könne sie aufgrund der gesetzlichen Umlageverpflichtungen ihren Haushalt nicht ausgleichen; es zeichne sich für 2011 ein Defizit in Höhe von mehreren Millionen Euro ab. Ohne Anhebung des Gewerbesteuersatzes sei die Gemeinde nach den vorliegenden Prognosen in ihrem Bestand gefährdet, weil ihre finanzielle Leistungsfähigkeit nicht mehr bestehe. Durch die Einführung der Grundsteuern A und B könne die Gemeinde zwar keinen vollständigen Ausgleich des drohenden Defizits erreichen, aber zumindest den finanziellen Schaden eingrenzen.

4

Angesichts der bedrohlichen Umstände und der Weigerung der Antragstellerin, die verlangten Änderungen der Steuerhebesätze vorzunehmen, sei ein Einschreiten der Kommunalaufsichtsbehörde notwendig. Auf den Erhalt des Steuerparadieses ... bestehe kein Rechtsanspruch. Durch die angeordneten Maßnahmen sei die Gemeinde in der Lage, die sich abzeichnenden Defizite weiter abzubauen. Eine Beanstandung nach § 123 GO reiche wegen der ablehnenden Haltung der Gemeinde nicht aus.

5

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Anordnung sei erforderlich, da sowohl die Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes als auch die Festsetzung der Hebesätze für die Grundsteuern A und B lediglich bis zum 30. Juni 2011 rückwirkend zum 01. Januar 2011 erfolgen könne. Sofern der Beschluss der Gemeindeversammlung nicht zeitnah gefasst und eine geänderte Satzung nicht bis zum 30. Juni 2011 veröffentlicht würde, wäre eine Anhebung frühestens zum 01. Januar 2012 möglich. Die Gemeinde würde dadurch für 2011 wieder wesentlich höhere Umlagen zahlen müssen, als sie tatsächlich an Gewerbesteuer einnehme. Aufgrund der mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit der Gemeinde, des kleinen Gemeindegebietes und der geringen Einwohnerzahl könne sie das sich nochmals erhöhende Defizit nicht in absehbarer Zeit abbauen.

6

Den am 31. März 2011 gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 01. Juni 2011 abgelehnt. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde vom 07. Juni 2011.

II.

7

Diese ist zulässig, aber unbegründet.

8

Grundlage der gerichtlichen Entscheidung ist § 80 Abs. 5 VwGO. Danach kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs im Falle der besonderen Anordnung der sofortigen Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen. Den dabei anzulegenden Entscheidungsmaßstab hat das Verwaltungsgericht zutreffend dargestellt. Auch nach ständiger Rechtsprechung des Senats ergeht die Entscheidung über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO aufgrund einer Interessenabwägung. In diese ist die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsbehelfs dann maßgeblich einzustellen, wenn sie in der einen oder anderen Richtung offensichtlich ist. Diese Voraussetzungen liegen hier - wie auch das Verwaltungsgericht gesehen hat - nicht vor. Es bedarf zur Entscheidung daher einer weiteren Interessenabwägung. Diese Abwägung zwischen Aufschub- und Vollziehungsinteresse erfordert eine Gegenüberstellung der Folgen, die einträten, wenn die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache hingegen Erfolg hätte. Diese Auswirkungen sind zu vergleichen mit den Nachteilen, die entstünden, wenn die aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt würde, dem Rechtsbehelf in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 06.08.1991 - 4 M 109/91 -, SchlHA 1991, 220). Nach der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Überprüfung überwiegt hier das Vollziehungsinteresse.

9

Die rechtlichen Grundlagen der angefochtenen Anordnung ergeben sich aus § 124 Abs. 1 i.V.m. § 75 Abs. 1 und Abs. 3 GO. Erfüllt die Gemeinde die ihr nach dem Gesetz obliegenden Pflichten oder Aufgaben nicht, so kann die Kommunalaufsichtsbehörde gemäß § 124 Abs. 1 GO anordnen, dass die Gemeinde innerhalb einer bestimmten Frist das Erforderliche veranlasst. Dass der Antragsgegner die dafür zuständige Behörde ist, wird von der Antragstellerin nicht in Zweifel gezogen. Darauf ist im Beschwerdeverfahren nicht weiter einzugehen. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 124 Abs. 1 GO vorliegen, weil die Antragstellerin ihre nach dem Gesetz obliegenden Pflichten nicht erfüllt.

10

Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, verletzt die Antragstellerin durch die von ihr beschlossene Haushaltssatzung die ihr obliegenden Pflichten zum Ausgleich ihres Haushaltes und zur nachhaltigen Haushaltswirtschaft. Die Festsetzung eines Hebesatzes von lediglich 200 v.H. für die Gewerbesteuer und der Verzicht auf jegliche Erhebung von Grundsteuern führt wegen der Regelungen des Finanzausgleichsgesetzes - wie schon die Antragstellerin richtig in ihrer Antragsbegründung ausgeführt hat - zur Zahlungsunfähigkeit der Antragstellerin. Wegen der in § 10 Abs. 2 FAG festgelegten Nivellierungssätze bei der Ermittlung der Steuerkraftmesszahl einer Gemeinde übersteigen die durch den Finanzausgleich geforderten Ausgaben der Gemeinde ihre Einnahmen erheblich. Nach der Haushaltsplanung der Antragstellerin beläuft sich der Fehlbetrag im Jahr 2011 auf über 19 Mio. Euro. Wie schon das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, wird dieser Fehlbetrag voraussichtlich zwar weit überwiegend durch Zuführung von Mitteln aus den auf vertraglicher Grundlage mit dem Kreis Nordfriesland und anderen amtsangehörigen Gemeinden gebildeten Rücklagen ausgeglichen, doch räumt auch die Antragstellerin ein, dass voraussichtlich ein Fehlbetrag in Höhe von 2 Mio. Euro verbleiben wird. Angesichts der geringen Gesamtgröße der Gemeinde (derzeit 39 Einwohner) stellt dies eine dramatische Verschuldung dar, die von der Antragstellerin nicht getragen werden kann.

11

Zwar ist es richtig, wie die Antragstellerin geltend macht, dass die zu erwartende Lücke im Hinblick auf den Ausgangswert von 19 Mio. Euro wesentlich geringer ist, doch sind die weiteren Ausführungen, dieser Fehlbetrag könne unter Umständen auf ganz verschiedene Art und Weise ausgeglichen werden, unsubstantiiert. Es bleibt lediglich der Hinweis, dass trotz der vom Kreis Nordfriesland ausgesprochenen Kündigung des Rücklagenvertrages weiterhin Beträge aus dem intergemeindlichen Ausgleichssystem fließen könnten, doch sieht auch die Antragstellerin, dass dies nach dem Vertrag bei Verbrauch der Rücklagen nicht mehr der Fall wäre. Die Antragstellerin meint zwar, dass kein Grund für die vom Kreis Nordfriesland ausgesprochene Kündigung vorgelegen habe, doch erhebt sie keine substantiierten Einwendungen gegen die vom Kreis sowohl in der Kündigung als auch in der angefochtenen Anordnung auf Modellrechnungen gestützte Auffassung, dass die aufgrund des Vertrages gebildeten Rücklagen nicht ausreichten, um die noch zu erwartenden Fehlbeträge auszugleichen. Angaben dazu, durch welche anderen Maßnahmen die Finanzierungslücke geschlossen werden könnte, macht die Antragstellerin nicht. Dass schon ansässige Unternehmen durch die bisherigen Hebesätze motiviert sein könnten, nicht abzuwandern, liegt nahe, bewirkt aber gerade in Verbindung mit den Regelungen zum Finanzausgleich die defizitäre Lage. Das Bemühen der Antragstellerin, durch niedrige Hebesätze weitere Unternehmen in ihrem Gemeindegebiet anzusiedeln, zeigt ebenfalls keine Lösung auf, sondern würde im Erfolgsfalle bei unverändert niedrigen Hebesätzen eher einen weiteren Fehlbedarf nach sich ziehen.

12

Eine Lösung für das zu bewältigende Problem ergibt sich auch nicht aus den Angriffen der Antragstellerin gegen die rechtlichen Rahmenbedingungen, die den Fehlbedarf auslösen. Unbeschadet der Auffassung der Antragstellerin, das Finanzausgleichsgesetz sei verfassungswidrig, weil zum einen § 16 GewStG zu einer Sperrwirkung für eine landesrechtliche Erhöhung des Mindesthebesatzes führe und zum anderen eine Härtefallregelung für Notlagen, wie sie hier gegeben sei, fehle, bleiben die sich aus dem Gesetz ergebenden Verpflichtungen - wie im angefochtenen Bescheid des Antragsgegners richtig ausgeführt wird - unberührt. Der Antragsgegner hat die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu beachten und zur Grundlage seiner Entscheidungen zu machen. In diesem gerichtlichen Verfahren sind die Bedenken der Antragstellerin gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen über den Finanzausgleich - wie noch auszuführen sein wird - in die Interessenabwägung einzustellen.

13

Der Antragsgegner hat - wie im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts richtig ausgeführt wird - das ihm zustehende Ermessen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt und die dafür sprechenden Gründe im Bescheid benannt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die Begründung dieses Beschlusses verwiesen.

14

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist es unerheblich, dass das Verwaltungsgericht sich mit einer möglichen Sperrwirkung aus dem Vertrag vom Mai 2006 erst im Rahmen der Ermessensprüfung befasst hat. Zwar wäre denkbar, dass es schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 GO fehlte, wenn wegen der Zuflüsse aus den auf der Grundlage des Vertrages gebildeten Rücklagen kein Verstoß der Antragstellerin gegen die Haushaltsgrundsätze des § 75 GO vorliegen würde, doch weist das Verwaltungsgericht in dem Zusammenhang darauf hin, dass die Rücklagen aufgebraucht seien. Gerade darum ist schon im Jahre 2011 der oben genannte ungedeckte Fehlbetrag zu erwarten und besteht aktueller Handlungsbedarf.

15

Im angefochtenen Bescheid wird nachvollziehbar begründet, warum die getroffene Anordnung geeignet und notwendig ist. Dass eine Beanstandung des Hebesatzbeschlusses der Antragstellerin nicht ausreichte, um einen gesetzeskonformen Zustand herbeizuführen, ergibt sich aus dem Verfahrensablauf und dem deutlichen Widerstand der Antragstellerin. Die Begründung des Bescheides lässt auch erkennen, warum die Festsetzung von Hebesätzen jeweils in Höhe der in § 10 Abs. 2 FAG festgelegten Nivellierungssätze angeordnet wird. Dass es insoweit entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht um die im Gesetz genannten Mindestsätze geht und für die Grundsteuern als gewogener Durchschnitt der zu berücksichtigenden Vergleichsdaten ein Hebesatz von 270 % zutreffend ist, ergibt sich aus den Erläuterungen des Antragsgegners i. V. m. dem vorgelegten Erlass des Innenministeriums vom 07. Januar 2011. Jedes Zurückbleiben hinter diesen fiktiven Hebesätzen bedeutete, dass der Antragstellerin bei der Berechnung der Finanzausgleichsleistungen eine Steuerkraft angerechnet werden würde, die über ihrem Ist-Aufkommen läge. Wie schon ausgeführt, ist nicht ersichtlich, auf welche Weise die Antragstellerin diese Differenz ausgleichen könnte.

16

Mit der getroffenen Anordnung greift der Antragsgegner auch nicht in verfassungswidriger Weise in den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG ein. Zwar ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts innerhalb des den Gemeinden zustehenden Gestaltungsspielraums der Kommunalaufsicht grundsätzlich untersagt, der Gemeinde im Falle eines unausgeglichenen Haushalts alternativlos vorzuschreiben, was sie zu tun hat (BVerwG, Urt. v. 27.10.2010 - 8 C 43.09 -, Rdnr. 24). Die Entscheidung zeigt jedoch ebenfalls auf, dass Ausnahmen von diesem Grundsatz in Betracht kommen. Dazu wird ausgeführt, dass die staatliche Kommunalaufsichtsbehörde bei sachgerechter Ausübung des ihr zustehenden Entschließungs- und Auswahlermessens im Rahmen der Rechtsaufsicht befugt sei, bei Nichterfüllung einer der Gemeinde obliegenden rechtlichen Verpflichtung einzugreifen und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots eine gegen diese Verpflichtung verstoßende Maßnahme zu beanstanden und aufzuheben. Unter welchen Voraussetzungen im Rahmen der Rechtsaufsicht auch weitergehende Eingriffe der staatlichen Kommunalaufsichtsbehörden in die gemeindliche Selbstverwaltung und kommunale Finanzhoheit in Betracht kämen, bedürfe in dem Fall keiner näheren Prüfung und Entscheidung (vgl. ebenda, Rdnr. 26).

17

In dem konkreten Fall war die von einer Gemeinde beschlossene Absenkung von Hebesätzen durch kommunalaufsichtliche Verfügung aufgehoben worden mit der Folge, dass die zuvor von der Kommunalaufsicht angeordneten und im Wege der Ersatzvornahme durchgesetzten höheren Hebesätze wieder anzuwenden waren. Dennoch hat das Bundesverwaltungsgericht in der benannten Entscheidung ausgeführt, dass die angefochtene kommunalaufsichtliche Verfügung der Klägerin den notwendigen grundsätzlichen Gestaltungsspielraum belasse, da keine konkreten Vorgaben für die Zurückführung bestimmter Ausgaben/Aufwendungen und die Erhöhung bestimmter Einnahmen/Erträge erteilt würden. Die angefochtene kommunalaufsichtliche Verfügung schränke die gemeindliche Finanzhoheit und das daraus fließende Hebesatzrecht nicht unverhältnismäßig ein. Sie sei auch geeignet, zur Erreichung des angestrebten und notwendigen Haushaltsausgleichs beizutragen und habe jedenfalls bewirkt, dass wenigstens die durch die Hebesatzsenkungen unmittelbar veranlassten Einnahmeausfälle vermieden worden seien. Eine gleichermaßen wirksame, die Klägerin weniger belastende Maßnahme sei nicht ersichtlich (ebenda, Rdnrn. 26, 29 ff.).

18

Diese Überlegungen sind auf den vorliegenden Fall übertragbar. Hier kam wegen der dramatischen Haushaltslage der Antragstellerin allein eine Anordnung der Hebesätze in Höhe der in § 10 Abs. 2 FAG festgelegten Nivellierungssätze in Betracht, weil - wie ausgeführt - jedes Zurückbleiben hinter diesen Sätzen zu nicht von der Antragstellerin ausgleichbaren Fehlbeträgen führte. Im Übrigen verlangt der Bestimmtheitsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 LVwG) eine Konkretisierung des der Antragstellerin aufgegebenen Handelns. Wäre danach die Angabe eines bestimmten Hebesatzes eventuell noch verzichtbar, so ist aber eine Vollstreckbarkeit - worauf der Antragsgegner zu Recht hinweist - ohne derartige Konkretisierung nicht möglich. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist dies durchaus ein Belang, der in die rechtliche Beurteilung der getroffenen Anordnung einzustellen ist und hier zur Folge hat, dass trotz der für die Antragstellerin streitenden Selbstverwaltungsgarantie die Vorgabe bestimmter Hebesätze unverzichtbar ist.

19

Der Senat teilt auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Begründung der Sofortvollzugsanordnung den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genüge. In dem angefochtenen Bescheid wird zutreffend darauf hingewiesen, dass sowohl die Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes als auch die Festsetzung der Hebesätze für die Grundsteuern A und B lediglich bis zum 30. Juni 2011 rückwirkend zum 01. Januar 2011 erfolgen könne und dass die Anordnung ins Leere ginge, wenn sie nicht bis zu diesem Zeitpunkt umgesetzt werden würde. Damit werden Erwägungen benannt, die über die Gründe für die zu vollziehende Anordnung hinausgehen und den Sofortvollzug rechtfertigen.

20

Schließlich ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene weitergehende Interessenabwägung jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt in diesem Zusammenhang dem in § 80 Abs. 1 VwGO normierten Grundsatz der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nicht von vornherein ausschlaggebende Bedeutung zu. Erst wenn nach Abwägung der widerstreitenden Interessen eine Interessengleichheit festgestellt wird, ist als weiteres Kriterium auf die gesetzgeberische Wertung zurückzugreifen (OVG Schleswig, Beschl. v. 19.02.2001 - 3 M 4/01 -, NordÖR 2001, 228 m.w.N.). Hier aber spricht - wie das Verwaltungsgericht richtig ausgeführt hat - das Gemeinwohlinteresse, eine Gemeinde vor totaler Überschuldung zu schützen, für die rechtzeitige Durchsetzung der getroffenen Anordnung und damit gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs.

21

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Notlage der Antragsstellerin mit durch die Bestimmungen über den kommunalen Finanzausgleich bedingt ist und aus der Berücksichtigung der von der Antragstellerin vorgetragenen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen.

22

Soweit es hinsichtlich der Gewerbesteuer um die Festlegung eines Nivellierungssatzes geht, der über dem bundesrechtlich bestimmten Mindesthebesatz liegt, hat bereits das Landesverfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt in dem von der Antragsstellerin benannten Urteil (v. 13.06.2006 - LVG 7/05 -, NVwZ 2007, 78) ausgeführt, das Land dürfe verhindern, dass sich eine Gemeinde durch besonders niedrige Hebesätze selbst „bedürftig macht“, um entweder Leistungen aus Landesmitteln zu erhalten oder einer Umlage zu entgehen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gelte es als legitimes Anliegen, sog. „Steueroasen“ zu verhindern (ebenda, Rdnr. 134 m.w.N.). Dem ist beizupflichten.

23

Im Übrigen ist entgegen der Meinung der Antragstellerin die vom Landesverfassungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt vertretene Auffassung, § 19a FAG LSA (a. F.) sei mit der garantierten kommunalen Selbstverwaltung unvereinbar, weil das Finanzausgleichsgesetz keine Vorsorge dagegen treffe, dass eine kreisangehörige Gemeinde im Einzelfall über die verfassungsrechtlichen Grenzen hinaus „abgeschöpft“ werde oder sie in eine Position nivelliert werde, welche sie im Vergleich zu den verschonten Gemeinden erheblich schlechter stelle, für das vorliegende Verfahren unergiebig. Dort ging es um eine Bestimmung zur Finanzausgleichsumlage, nach der zusätzlich zur Kreisumlage eine Umlage erhoben und damit eine Umschichtung im Finanzausgleichssystem vorgenommen wurde, die im Einzelfall die vom Landesverfassungsgericht beschriebenen, unzulässigen Folgen haben konnte. In Schleswig-Holstein entspricht dies dem Verhältnis von § 29 FAG (Finanzausgleichsumlage) zu § 27 FAG (Kreisumlage). Dass die Antragstellerin von der Finanzausgleichsumlage betroffen wäre, wird nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich. Ob das Gesetz im Übrigen, wie die Antragstellerin meint, aus verfassungsrechtlichen Gründen um eine allgemeine Härtefallbestimmung ergänzt werden müsste, kann dahinstehen, weil die prekäre Haushaltslage zwar einerseits mit dem Finanzausgleichssystem zusammenhängt, andererseits aber - wie schon das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - auf dem freien Willen der Gemeindeversammlung beruht und deswegen keine außergewöhnliche Härte, die auszugleichen wäre, begründet.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

25

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG. Im Interesse einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung lehnt der Senat sich - wenn nicht überwiegende Gesichtspunkte dagegen sprechen - an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung 07/2004, NVwZ 2004, 1327) an. Für Maßnahmen der Kommunalaufsicht ist darin ein Streitwert in Höhe von 15.000,-- Euro vorgesehen (Nr. 22.5). Es erscheint angemessen, diesen Wert auch für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzunehmen, weil die zu erwartende Umsetzung der Anordnung mit Wirkungen verbunden ist, die auch durch eine Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig zu machen sind.

26

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.

(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.

(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.

Tenor

Die Amtsordnung für Schleswig-Holstein in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Februar 2003 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 112), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. März 2009 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 93), ist mittlerweile insofern mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 und Artikel 3 Absatz 1 der Landesverfassung unvereinbar, als sie in § 5 Absatz 1 Satz 1 die Möglichkeit eröffnet, dass sich die Ämter in Folge zunehmender Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben durch die Gemeinden zu Gemeindeverbänden entwickeln, sie aber für diesen Fall in § 9 keine unmittelbare Wahl der Mitglieder des Amtsausschusses als des zentralen Entscheidungsorgans der Ämter durch das Volk vorsieht.

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die verfassungswidrige Rechtslage bis spätestens zum 31. Dezember 2014 durch eine Neuregelung zu beseitigen. Bis dahin bleibt § 9 der Amtsordnung insgesamt anwendbar. § 5 Absatz 1 Satz 1 der Amtsordnung bleibt bis dahin insofern anwendbar, als die Vorschrift die Rechtsgrundlage für Übertragungen bildet, die bis einschließlich 26. Februar 2010 erfolgt sind.

Gründe

A.

1

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Landesverfassung (LV) es angesichts des gegenwärtigen Aufgabenstandes der Ämter gebietet, dass die Einwohnerinnen und Einwohner auch in den Ämtern eine Vertretung haben, die aus unmittelbaren Wahlen hervorgegangen ist.

I.

2

1. Das Verfahren knüpft an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - (BVerfGE 52, 95 ff.) an. Dem Bundesverfassungsgericht war seinerzeit gemäß Art. 37 Abs. 2 Landessatzung (LS) auf Grundlage des Art. 99 Grundgesetz (GG) die Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten innerhalb des Landes Schleswig-Holstein übertragen. Durch das am 27. Oktober 2006 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein vom 17. Oktober 2006 (GVOBl S. 220; vgl. Art. 44 LV) in Verbindung mit dem Gesetz über das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht (Landesverfassungsgerichtsgesetz - LVerfGG -) vom 10. Januar 2008 (GVOBl S. 25) ist diese Zuständigkeit am 1. Mai 2008 auf das neu errichtete Landesverfassungsgericht übergegangen, das insoweit Funktionsnachfolger des Bundesverfassungsgerichts ist.

3

2. In seinem Urteil vom 24. Juli 1979 (a. a. O.) hatte das Bundesverfassungsgericht ausgehend vom Aufgabenbestand der Ämter im Jahr 1979 die Frage, ob Art. 2 Abs. 2 LS es gebietet, dass die Einwohnerinnen und Einwohner auch in den Ämtern eine Vertretung haben, die aus unmittelbaren Wahlen hervorgegangen ist, verneint. Gemeindeverbände im Sinne des Art. 2 Abs. 2 LS seien nur die zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben gebildeten Gebietskörperschaften und diesen nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben vergleichbare kommunale Zusammenschlüsse.

II.

4

1. Die maßgeblichen Vorschriften der Landesverfassung lauten:

5
Artikel 2
Demokratie, Funktionentrennung
(1) Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus.

(2) Das Volk bekundet seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen. Es handelt durch seine gewählten Vertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden sowie durch Abstimmungen.

(3) [...]
6
Artikel 3
Wahlen und Abstimmungen
(1) Die Wahlen zu den Volksvertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden und die Abstimmungen sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim.

(2) - (4) [...]
7
Artikel 46
Kommunale Selbstverwaltung
(1) Die Gemeinden sind berechtigt und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen.

(2) Die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit die gleichen Rechte und Pflichten.

(3) Das Land sichert durch seine Aufsicht die Durchführung der Gesetze. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) [...]
8

2. Ämter bestanden in Schleswig-Holstein bereits, als die Landessatzung am 12. Januar 1950 in Kraft trat (vgl. dazu die Amtsordnung vom 6. August 1947, GVOBl S. 38). Ihr Aufgabenkreis und ihre rechtliche Stellung sind inzwischen mehrfach neu gefasst worden, zuletzt durch die Amtsordnung für Schleswig-Holstein (AO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Februar 2003 (GVOBl S.112, zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. März 2009, GVOBl S. 93). Zur Zeit gibt es 87 Ämter mit insgesamt 1.036 amtsangehörigen Gemeinden und kleineren Städten. Ihre Einwohnerzahl reicht von rund 1.300 beim Amt Pellworm – ohne eigene Verwaltung – bis zu knapp 40.000 im Amt Südtondern. Die Zahl der amtsangehörigen Gemeinden bewegt sich zwischen drei bei den Ämtern Haseldorf, Oeversee und Schrevenborn und 34 im Amt Kirchspielslandgemeinden Eider. Zwei Ämter sind kreisübergreifend (Amt Großer Plöner See und Amt Itzstedt). Daneben gibt es weiterhin amtsfreie Gemeinden, von denen drei die Verwaltungsgeschäfte im Wege einer Verwaltungsgemeinschaft durch ein Amt führen lassen und vier kreisfreie Städte. Von den 87 Ämtern verfügen 75 über eine eigene Amtsverwaltung, wobei diese in neun Fällen durch eine amtsangehörige Gemeinde geführt wird. Die verbleibenden zwölf Ämter werden im Wege einer Verwaltungsgemeinschaft durch eine amtsfreie Gemeinde verwaltet (näher: Bülow, Die Gemeinde SH 2009, 98 <101-103>).

9

Die Ämter sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie bestehen aus Gemeinden, die seit der Änderung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AO durch das Erste Verwaltungsstrukturreformgesetz vom 28. März 2006 (GVOBl S. 28) nicht mehr demselben Kreis angehören müssen. Die Ämter dienen der Stärkung der Selbstverwaltung der amtsangehörigen Gemeinden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AO). Soweit es die Amtsordnung bestimmt oder zulässt, treten sie als Träger von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung an die Stelle der amtsangehörigen Gemeinden (§ 1 Abs. 1 Satz 3 AO). Über den Zusammenschluss von Gemeinden zu Ämtern, über die Änderung und Auflösung sowie über den Namen und den Sitz des Amtes entscheidet das Innenministerium nach Anhörung der beteiligten Gemeindevertretungen und Kreistage (§ 1 Abs. 2 Satz 1 AO). Das Amt soll zur Durchführung seiner Aufgaben eine eigene Verwaltung einrichten; alternativ kann es die Verwaltung einer größeren amtsangehörigen Gemeinde mit deren Zustimmung in Anspruch nehmen oder eine Verwaltungsgemeinschaft vereinbaren (§ 1 Abs. 3 AO). Die Ämter sollen ein abgerundetes Gebiet mit in der Regel nicht weniger als 8.000 Einwohnerinnen und Einwohnern umfassen (§ 2 AO).

10

Organe des Amtes sind der Amtsausschuss, die Amtsvorsteherin oder der Amtsvorsteher und bei hauptamtlich verwalteten Ämtern die Amtsdirektorin oder der Amtsdirektor. Sie entsprechen den Organen der Gemeinde (§ 24a AO), wobei an die Stelle der Gemeindevertretung der Amtsausschuss, an die Stelle der oder des Vorsitzenden der Gemeindevertretung die Amtsvorsteherin oder der Amtsvorsteher und an die Stelle der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters die Amtsdirektorin oder der Amtsdirektor, in ehrenamtlich verwalteten Ämtern wiederum die Amtsvorsteherin oder der Amtsvorsteher tritt. Der Amtsausschuss trifft alle für das Amt wichtigen Entscheidungen und überwacht ihre Durchführung (§ 10 Abs. 1 AO). Er wählt die Amtsvorsteherin beziehungsweise den Amtsvorsteher, die beziehungsweise der den Vorsitz im Amtsausschuss führt (§§ 11, 12 AO). Bei ehrenamtlich verwalteten Ämtern leitet die Amtsvorsteherin oder der Amtsvorsteher auch die Verwaltung (§ 13 AO), bei hauptamtlich verwalteten Ämtern (Ämter mit mehr als 8.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, bei denen die Hauptsatzung die hauptamtliche Verwaltung bestimmt) erledigt dies die Amtsdirektorin oder der Amtsdirektor, die oder der ebenfalls vom Amtsausschuss gewählt wird (§§ 15a, 15b AO). Dabei verfährt sie oder er nach den Grundsätzen und Richtlinien des Amtsausschusses.

11

3. Der Amtsausschuss wird nicht unmittelbar vom Volk gewählt. Die für seine Zusammensetzung maßgebliche Vorschrift lautet, soweit für das vorliegende Verfahren von Bedeutung:

12
§ 9
Zusammensetzung des Amtsausschusses
(1) Der Amtsausschuss besteht aus den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der amtsangehörigen Gemeinden. Gemeinden über 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner entsenden weitere Mitglieder in den Amtsausschuss. Ihre Zahl beträgt

in Gemeinden über 1.000 bis 2.000 Einwohnerinnen und Einwohner 1,

in Gemeinden über 2.000 bis 3.000 Einwohnerinnen und Einwohner 2,

in Gemeinden über 3.000 bis 4.000 Einwohnerinnen und Einwohner 3,

in Gemeinden über 4.000 bis 5.000 Einwohnerinnen und Einwohner 4,

in Gemeinden über 5.000 bis 6.000 Einwohnerinnen und Einwohner 5,

in Gemeinden über 6.000 bis 7.000 Einwohnerinnen und Einwohner 6,

in Gemeinden über 7.000 bis 8.000 Einwohnerinnen und Einwohner 7.

Gemeinden über 8.000 Einwohnerinnen und Einwohner bis 10.000, 12.000, 14.000 usw. Einwohnerinnen und Einwohner entsenden zusätzlich 1, 2, 3 usw. weitere Mitglieder. Für die Anzahl der weiteren Mitglieder ist die Einwohnerzahl maßgebend, die der letzten allgemeinen Wahl zu den Gemeindevertretungen zugrunde gelegen hat. Bei Gebietsänderungen gilt
§ 133 Abs. 2 der Gemeindeordnung
entsprechend. Die Gutsvorsteherin oder der Gutsvorsteher von gemeindefreien Gutsbezirken ist Mitglied des Amtsausschusses ohne Stimmrecht.

(2) Die Gemeindevertretungen wählen die weiteren Mitglieder des Amtsausschusses aus ihrer Mitte. Jede Fraktion kann verlangen, dass das von der Gemeinde zu entsendende weitere Mitglied oder die zu entsendenden weiteren Mitglieder auf Vorschlag der nach Satz 3 vorschlagsberechtigten Fraktion oder Fraktionen gewählt wird oder werden. In diesem Fall steht der Fraktion oder den Fraktionen das Vorschlagsrecht in der Reihenfolge der Höchstzahlen zu, die sich aus der Teilung der Sitzzahlen der Fraktionen durch 1, 2, 3 usw. ergeben. Für die Wahl gilt
§ 39 Abs. 1 der Gemeindeordnung
entsprechend. Die ehrenamtliche Bürgermeisterin oder der ehrenamtliche Bürgermeister wird auf den Wahlvorschlag der Fraktion angerechnet, der sie oder er im Zeitpunkt dieser Wahl angehört.

(3) Die Gemeindevertretungen wählen aus ihrer Mitte Stellvertretende für die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitglieder des Amtsausschusses. Die Hauptsatzung des Amtes bestimmt die Anzahl der Stellvertretenden je Mitglied des Amtsausschusses. Hat eine Fraktion das Verlangen nach Absatz 2 Satz 2 gestellt, erfolgt die Wahl der Stellvertretenden eines weiteren Mitglieds auf Vorschlag der Fraktion, die das weitere Mitglied vorgeschlagen hat; die Wahl der Stellvertretenden der ehrenamtlichen Bürgermeisterin oder des ehrenamtlichen Bürgermeisters erfolgt auf Vorschlag der Fraktion, der sie oder er im Zeitpunkt der Wahl der Stellvertretenden angehört. Für die Wahl gilt
§ 39 Abs. 1 der Gemeindeordnung
entsprechend. Die Stellvertretenden vertreten das Mitglied im Fall der Verhinderung in der Reihenfolge, in der sie vorgeschlagen sind.
§ 33 Abs. 1 Satz 5 der Gemeindeordnung
gilt entsprechend.

(4) - (6) [...]
13

4. Für die Aufgaben der Ämter bestimmt die Amtsordnung:

14
§ 3
Amt und Gemeinde
(1) Das Amt bereitet im Einvernehmen mit der Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister die Beschlüsse der Gemeinde vor und führt nach diesen Beschlüssen die Selbstverwaltungsaufgaben der amtsangehörigen Gemeinden durch. Ein Beschluss ist nicht auszuführen, soweit er das Recht verletzt. Beabsichtigt das Amt, einen Beschluss wegen Rechtsverletzung nicht auszuführen, hat es die Gemeinde unverzüglich zu unterrichten. Die Gemeinde kann nach Anhörung des Amtes mit Zustimmung der Kommunalaufsichtsbehörde beschließen, einzelne Selbstverwaltungsaufgaben selbst durchzuführen. Ist die Gemeinde in einem gerichtlichen Verfahren beteiligt, so wird sie durch das Amt vertreten; dies gilt nicht in den Fällen, in denen das Amt Verfahrensbeteiligter ist oder zwei amtsangehörige Gemeinden Verfahrensbeteiligte sind.

(2) Die Ämter sind ferner Träger der gesetzlichen und der ihnen nach § 5 übertragenen Aufgaben.

(3) [...]
15
§ 4
Gesetzliche Aufgaben der Ämter
(1) Das Amt ist Träger der ihm und den amtsangehörigen Gemeinden übertragenen Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung.
§ 3 Abs. 2 der Gemeindeordnung
gilt entsprechend.

(2) Den Ämtern können durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch Verordnung neue Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden.

(3) Das Amt besorgt die Kassengeschäfte oder die Aufgaben der Finanzbuchhaltung und die Vorbereitung der Aufstellung der Haushaltspläne für die amtsangehörigen Gemeinden.

(4) Das Amt hat über die öffentlichen Aufgaben, die mehrere amtsangehörige Gemeinden betreffen und eine gemeinsame Abstimmung erfordern, zu beraten und auf ihre Erfüllung hinzuwirken.
16
§ 5
Übertragene Aufgaben
(1) Über die Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 hinaus können mehrere amtsangehörige Gemeinden gemeinsam dem Amt Selbstverwaltungsaufgaben übertragen. Bei der Beschlussfassung haben die Mitglieder des Amtsausschusses, deren Gemeinden von der Übertragung nicht betroffen sind, kein Stimmrecht.

(2) Die Gemeinden können eine Rückübertragung verlangen, wenn sich die Verhältnisse, die der Übertragung zugrunde lagen, so wesentlich geändert haben, dass den Gemeinden ein Festhalten an der Übertragung nicht weiter zugemutet werden kann. Soweit erforderlich, erfolgt in diesen Fällen eine Auseinandersetzung in entsprechender Anwendung der für Gebietsänderungen der Gemeinden geltenden Vorschriften. Die Rückübertragung bedarf der Zustimmung der Kommunalaufsichtsbehörde, wenn das Amt mit der Rückübertragung nicht einverstanden ist.

(3) […]

(4) Die Kreise können den Ämtern Selbstverwaltungsaufgaben nur aufgrund gesetzlicher Bestimmungen übertragen.
17

Nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit (GkZ) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Februar 2003 (GVOBl S. 122), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2006 (GVOBl S. 285) dürfen keine Zweckverbände gebildet werden, soweit Gemeinden dem Amt nach § 5 Abs. 1 AO Aufgaben übertragen können. Eine Ausnahme besteht für Schulverbände (§ 56 Abs. 1 SchulG). Soweit sich Zweckverbände oder auf Gesetz beruhende sonstige Verbände ausschließlich aus mehreren oder allen Gemeinden eines Amtes zusammensetzen, gehen die Aufgaben der Verbände gemäß § 23 Satz 1 GkZ auf das Amt über. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GkZ können Gemeinden, Ämter, Kreise und Zweckverbände untereinander oder mit anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts oder mit rechtsfähigen Anstalten oder rechtsfähigen Stiftungen des öffentlichen Rechts durch öffentlich-rechtlichen Vertrag vereinbaren, dass einer der Beteiligten einzelne oder mehrere zusammenhängende Aufgaben der übrigen Beteiligten übernimmt.

18

Den Ämtern fließen alle Verwaltungseinnahmen oder Verwaltungserträge zu, die im Zusammenhang mit der Erfüllung der von ihnen übernommenen sowie der ihnen übertragenen Aufgaben anfallen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über den Finanzausgleich in Schleswig-Holstein - FAG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Februar 2009, GVOBl S. 67, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Juli 2009, GVOBl S. 413). Ferner gewährt das Land den Ämtern allgemeine Finanzzuweisungen als Beitrag zur Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs (§ 2 Abs. 1 FAG) und Zweckzuweisungen (§ 2 Abs. 2 FAG). Soweit andere Finanzmittel den Finanzbedarf der Ämter nicht decken, wird bei den amtsangehörigen Gemeinden eine Amtsumlage erhoben (§§ 21, 22 AO, §§ 28, 29 FAG).

III.

19

Die Antragsteller beantragen festzustellen,
dass § 9 der Amtsordnung für Schleswig-Holstein unter Zugrundelegung des gegenwärtigen Stands der Aufgabenerfüllung gegen Art. 2 Abs. 1 und 2 sowie Art. 3 Abs. 1 der Landesverfassung verstößt und nichtig ist.

20

Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, die Ämter seien aufgrund der Entwicklung seit 1979, insbesondere aufgrund einer seither fortgeschrittenen Übernahme von Selbstverwaltungsaufgaben mittlerweile Gemeindeverbände im Sinne der Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 LV. Sie seien den zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben gebildeten Gebietskörperschaften nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben vergleichbare kommunale Zusammenschlüsse. Hierzu verweisen Sie auf mehrere Untersuchungen und Erhebungen zum Aufgabenbestand der Ämter. Deshalb bedürfe es einer Direktwahl der Mitglieder des Amtsausschusses.

IV.

21

1. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hält den Antrag für unbegründet. Er missachte den Vorrang der verfassungskonformen Auslegung, insbesondere des § 5 Abs. 1 und 2 AO, und richte sich überwiegend ausschließlich gegen die Rechtspraxis. Seit 1979 habe sich die Aufgabenwahrnehmung der Ämter nicht so sehr geändert, dass der Amtsausschuss auch formal unmittelbar demokratisch legitimiert werden müsse. Im Übrigen seien die Amtsorgane rein formal betrachtet zwar nur mittelbar demokratisch legitimiert, verfügten materiell aber über ein hohes Legitimationsniveau.

22

2. Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung tritt dem Antrag ebenfalls entgegen und bezweifelt bereits dessen Zulässigkeit angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1979 – 2 BvK 1/78 – (BVerfGE 52, 95 ff.). Unabhängig davon gebe die Entwicklung der Ämter und insbesondere die erhöhte Zahl der von diesen wahrgenommenen Aufgaben im Vergleich zu 1979 keinen Anlass zu einer veränderten Beurteilung. Die von den Antragstellern gewünschte gleichmäßige Repräsentation entsprechend der parteipolitischen Kräfteverhältnisse wäre verfassungsrechtlich bedenklich, weil sie die Repräsentation der Gemeinden in den Amtsausschüssen beenden würde und damit die Selbstverwaltung der Gemeinden gefährde.

23

3. In seiner Stellungnahme hat der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag betont, dass sich aus Sicht der Gemeinden das Modell der Ämter außerordentlich bewährt habe. Der Aufgabenbestand der Ämter sei in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen. Die den Ämtern übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben seien qualitativ und quantitativ zu bewerten. Unklar sei aber, wann eine Grenzüberschreitung im Sinne der Antragsteller vorliege. Gefordert sei daher in erster Linie eine politische Lösung. Falls verfassungsrechtlicher Handlungsbedarf bestehe, sei die unmittelbare Wahl aller Mitglieder des Amtsausschusses nicht die einzige Möglichkeit. Diese sei auch abzulehnen, weil dadurch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister als maßgebliche Vertreter ihrer Gemeinden nicht mehr automatisch im Amtsausschuss vertreten wären.

24

4. Der Städteverband Schleswig-Holstein hält in seiner Stellungnahme ebenfalls eine Bewertung der übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben für erforderlich. Die notwendige qualitative Auswertung der rechtstatsächlichen Untersuchungen sei schwierig. Im Ergebnis sei aber eine zunehmende Tendenz von der Übertragung von rein technischen Durchführungsaufgaben hin zu Aufgaben mit materiellem Gewicht zu erkennen. Problematisch sei aber nicht nur die indirekte Legitimation der Mitglieder des Amtsausschusses, sondern auch die unterschiedliche Repräsentation der Stadt- und Gemeindeeinwohnerinnen und -einwohner im Amt. Durch das Erste und Zweite Verwaltungsstrukturreformgesetz habe sich die Situation gegenüber der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1979 so entscheidend verändert, dass ein Festhalten an der geltenden Regelung bedenklich sei. Eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 5 und 9 AO sei nicht möglich, weil die qualitative Grenze der Aufgabenübertragung – insbesondere im Fall der Kumulierung von verschiedenen für sich betrachtet vielleicht wenig bedeutsamen Selbstverwaltungsaufgaben – nicht hinreichend genau bestimmt werden könne. Bei Feststellung eines verfassungswidrigen Zustandes sei es Aufgabe des Gesetzgebers, in wesentlichen Aufgabenbereichen für eine Klarstellung zu sorgen.

25

5. Auch der Schleswig-Holsteinische Landkreistag stellt in seiner Stellungnahme allein auf die übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben als entscheidungserheblich ab. Problematisch sei die Unvollständigkeit der hierzu vorliegenden Untersuchungen über die Entwicklung seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es lasse sich aber eine immer mehr zunehmende Aufgabenübertragung ablesen. Infolge der Verwaltungsstrukturreformgesetze des Jahres 2005 sei es zu einer Vergrößerung der Amtsstrukturen gekommen, die vermutlich zu weiterer Professionalisierung der Ämter und damit zu einem weiteren Sog von Aufgabenübertragungen führen werde. Vor diesem Hintergrund spreche nach dem ersten Anschein vieles dafür, dass die Ämter sich zu gebietskörperschaftsähnlichen Einrichtungen weiterentwickelt hätten, so dass jedenfalls heute eine unmittelbare demokratische Legitimation erforderlich sei. § 5 Abs. 1 AO sei eine Norm, die nach dem Verständnis des Gesetzgebers bei der Übertragung von Selbstverwaltungsangelegenheiten nur Ausnahmecharakter hätte haben sollen. Dieses Regel-Ausnahmeverhältnis habe sich umgekehrt. Ein Entgegenwirken, etwa durch die Kommunalaufsicht, sei faktisch nicht möglich. Daher spreche einiges dafür, entweder § 5 Abs. 1 AO wegen der mangelnden Begrenzbarkeit der Aufgabenübertragung in Selbstverwaltungsangelegenheiten für verfassungswidrig zu halten und einzuengen oder aber in § 9 AO die Direktwahl des Amtsausschusses vorzuschreiben.

B.

26

Der Rechtsweg zum Landesverfassungsgericht ist eröffnet. Es handelt sich um einen Antrag nach Art. 44 Abs. 2 Nr. 2 LV, § 3 Nr. 2 LVerfGG.

27

Der Normenkontrollantrag ist auch zulässig. Die Antragsteller sind gemäß Art. 44 Abs. 2 Nr. 2 LV, § 39 LVerfGG antragsberechtigt. Die Antragsteller machen Zweifel an der Vereinbarkeit einer Norm des Landesrechts, nämlich § 9 AO, mit der Landesverfassung geltend (§ 40 Nr. 1 LVerfGG). Dass diese Norm nach ihrem Vortrag im Wesentlichen nur aufgrund der Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO verfassungswidrig sein soll, ist unschädlich, weil die verfassungsrechtliche Prüfung von Amts wegen auch auf Vorschriften erstreckt werden kann, die mit der unmittelbar angegriffenen Vorschrift im Zusammenhang stehen (§ 42 Satz 2 LVerfGG). Sofern die Antragsteller zur Begründung auf die den Ämtern durch Gemeinderatsbeschluss übertragenen Aufgaben abheben, geschieht dies nicht zum Zwecke einer Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Beschlüsse oder gar tatsächlicher Handlungen der Gemeinden und Ämter, sondern im Hinblick auf die mittelbare verfassungsrechtliche und damit normative Bedeutung, die diesen Übertragungen beizumessen ist.

28

Dass das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob Ämter als Gemeindeverbände zu qualifizieren sind, bereits entschieden hat, steht einer erneuten Entscheidung nicht entgegen.

29

Im Grundsatz ist der Landesregierung zwar darin beizupflichten, dass das Verfahrenshindernis der entgegenstehenden Rechtskraft auch im schleswig-holsteinischen Verfassungsprozessrecht gilt. Es bezieht sich allerdings stets auf den Zeitpunkt, in welchem die Entscheidung ergeht und hindert nicht die Berufung auf neue Tatsachen, eine neue Rechtslage oder neue Rechtsauffassungen, die ausgehend von der Begründung der früheren Entscheidung geeignet sind, eine abweichende Entscheidung zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 1972 - 1 BvL 21/69 u.a. - BVerfGE 33, 199 ff., Juris Rn. 19-21; Urteil vom 12. März 1975 - 1 BvL 15/71 u. a. - BVerfGE 39, 169 ff., Juris Rn. 59; und Beschlüsse vom 18. Oktober 1983 - 2 BvL 14/83 - BVerfGE 65, 179 ff., Juris Rn. 9-10; vom 3. Juli 1985 - 1 BvL 13/83 - BVerfGE 70, 242 ff., Juris Rn. 19-20, 22; vom 8. März 1988 - 1 BvL 9/85 u.a. - BVerfGE 78, 38 ff., Juris Rn. 40; sowie vom 18. November 2003 - 1 BvR 302/96 - BVerfGE 109, 64 ff., Juris Rn. 191, stRspr.).

30

Hiervon ausgehend ist festzustellen, dass die Antragsteller mit den nach ihrem Vortrag seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - (BVerfGE 52, 95 ff.) hinzugekommenen Übertragungen von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter neue Tatsachen darlegen, die geeignet sind, eine abweichende Entscheidung zu ermöglichen. Ob eine solche Abweichung geboten ist, ist eine Frage der Begründetheit.

C.

31

Der Antrag ist auch begründet. Die Amtsordnung ist mittlerweile insofern mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV unvereinbar, als sie in § 5 Abs. 1 Satz 1 AO die Möglichkeit eröffnet, dass sich die Ämter in Folge zunehmender Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben zu Gemeindeverbänden entwickeln. Weder sind prozedurale Vorkehrungen in der Amtsordnung oder in anderen Gesetzen vorgesehen, die zur Wahrung der Garantie der Kommunalen Selbstverwaltung der Gemeinden nach Art. 46 Abs. 1 LV dieser Entwicklung entgegenwirken, noch ist bei inzwischen erheblich geändertem Aufgabenbestand für den Fall der Entwicklung zum Gemeindeverband in § 9 AO eine unmittelbare Wahl der Mitglieder des Amtsausschusses als des zentralen Entscheidungsorgans vorgesehen.

I.

32

Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV handelt das Volk durch seine gewählten Vertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden, sowie durch Abstimmungen. Art. 3 Abs. 1 LV bestimmt, dass für Wahlen zu den Volksvertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden und für Abstimmungen die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze gelten.

33

Der Verfassungsgeber hat mit diesen Bestimmungen das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG erfüllt und sich bei den Grundentscheidungen seiner Verfassung eng an das Grundgesetz angelehnt. Allerdings müssen im Unterschied zum Grundgesetz unmittelbar gewählte Volksvertretungen nicht nur in den Kreisen, sondern in allen Gemeindeverbänden bestehen (ebenso: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 61). Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass neben den Wahlen auch Abstimmungen möglich sind.

34

1. Nach Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 3 Abs. 1 LV muss in allen Gemeinden und Gemeindeverbänden eine Volksvertretung bestehen, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.

35

Zwar ist der Wortlaut dieser Verfassungsbestimmungen offen formuliert und liest sich für die unbefangene Leserin und den unbefangenen Leser eher beschreibend. Gleichwohl enthalten die beiden Vorschriften eine bindende verfassungsrechtliche Vorgabe, nach der zwingend im Land sowie in allen Gemeinden und Gemeindeverbänden eine gewählte Volksvertretung bestehen muss. Mit ihrer Stellung am Anfang der Landesverfassung bekennt sich der Verfassungsgeber zu den Prinzipien der Volkssouveränität (Art. 2 Abs. 1 LV), der repräsentativen Demokratie (Art. 2 Abs. 2 LV) und eines demokratischen Wahlverfahrens (Art. 3 Abs. 1 LV) als fundamentale Prinzipien der demokratischen Grundordnung Schleswig-Holsteins. Die Wahlen und Abstimmungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden sind die Quelle demokratischer Legitimation für jegliches staatliches Handeln (vgl. Art. 2 Abs. 1 LV).

36

Diese bindende Vorgabe folgt für das Land und die Gemeinden aus dem systematischen Zusammenhang mit dem Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, nach dem in den Ländern, Kreisen und Gemeinden das Volk eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Art. 28 GG ist an die Länder adressiert, die diese Vorgabe in ihren Landesverfassungen eigenständig umsetzen (vgl. grundlegend: BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 90, stRspr.). Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 LV dienen der Erfüllung dieses bundesstaatlichen Homogenitätsgebots.

37

Anders als Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG nennen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV nicht die Kreise, sondern die Gemeindeverbände. Auch in Art. 46 Abs. 2 und 4, Art. 47 und Art. 48 LV werden nicht die Kreise, sondern die Gemeindeverbände genannt. Staatspraxis und Rechtsprechung haben diese Vorschriften auf die Kreise bezogen. Zugleich sind sie davon ausgegangen, dass sich der Begriff der Gemeindeverbände auch auf andere Körperschaften als die Kreise beziehen kann. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 24. Juli 1979 (a. a. O., Juris Rn. 61) vorausgesetzt, dass andere Gemeindeverbände als die Kreise von der bindenden Wirkung der insoweit wortgleichen Vorschriften der Landessatzung umfasst sein können. Dieses Verständnis war bei der Verfassungsreform von 1990 bekannt, bei der Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 LV insoweit ergänzt worden sind, dass nun auch Abstimmungen als zusätzliche demokratische Legitimationsquelle bezeichnet werden. Die Nennung von Gemeindeverbänden - und nicht von Kreisen - ist dabei nicht verändert worden.

38

2. Die Landesverfassung enthält keine Definition des Begriffs „Gemeindeverband“. Im Wege der Auslegung ist ihr zu entnehmen, dass ihr ein kombinierter formeller und materieller Gemeindeverbandsbegriff zu Grunde liegt. Gemeindeverbände sind die zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben gebildeten Gebietskörperschaften (formelle Gemeindeverbände) und diesen nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben vergleichbare kommunale Zusammenschlüsse (materielle Gemeindeverbände; vgl. zum Ganzen: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 62-68; ebenso VerfG des Landes Brandenburg, Beschluss vom 21. Januar 1998 - 8/97 - Juris Rn. 16–23 zur Brandenburgischen Landesverfassung und VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Juni 2001 - VerfGH 28/00, 30/00 - DVBl. 2001, 1595 <1596> zur Nordrhein-Westfälischen Landesverfassung).

39

Die wörtliche Auslegung des Begriffes des Gemeindeverbandes ist unergiebig, weil sie keine Bestimmung der wesentlichen Begriffsmerkmale ermöglicht. Sie lässt lediglich einen Rückschluss auf einen wie auch immer gearteten Verband von Gemeinden zu. Es handelt sich um einen typischen Sammelbegriff der bereits zur Zeit der Entstehung der Landesverfassung - als Landessatzung - unterschiedlich verwendet wurde und auch in der gegenwärtigen Gesetzessprache und Rechtswissenschaft ohne feste Konturen geblieben ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 -, BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 62). Einigkeit besteht nur darin, dass die Kreise Gemeindeverbände sind und die Zweckverbände wegen ihrer begrenzten Aufgaben nicht als Gemeindeverbände anzusehen sind. Der Begriff wird vom Landesgesetzgeber uneinheitlich verwendet (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 62), teils als Sammelbegriff für alle kommunalen Zusammenschlüsse, teils als Synonym für das Wort Landkreis beziehungsweise Kreis (so auch in § 4 Abs. 2 BeamtHaftG).

40

Im Rahmen der systematischen Auslegung ist auf die beiden Zusammenhänge abzustellen, in denen der Begriff des Gemeindeverbandes in der Landesverfassung erwähnt wird. Durch die Art. 46 bis Art. 49 LV wird den Gemeindeverbänden neben den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung eingeräumt, das heißt im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit die Befugnis, in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen. Dementsprechend bestimmt Art. 46 Abs. 2 LV ausdrücklich, dass die Gemeindeverbände – im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit – die gleichen Rechte und Pflichten (wie die Gemeinden) haben (ebenso zu Art. 39 bis Art. 42 LS: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 63).

41

Durch die Vorschrift des Art. 2 Abs. 2 LV und den sie ergänzenden Art. 3 Abs. 1 LV wird bestimmt, dass die Grundentscheidungen der Verfassung für das Prinzip der Volkssouveränität, der repräsentativen Demokratie und ein demokratisches Wahlverfahren nicht nur auf Landesebene gelten sollen, sondern auch in den Untergliederungen, den Gemeinden und Gemeindeverbänden. Der Landesverfassungsgeber hat sich damit ebenso wie das Grundgesetz für eine auf Selbstverwaltungskörperschaften aufgebaute „gegliederte Demokratie“ entschieden. Bei den Gemeindeverbänden handelt es sich also um solche Selbstverwaltungskörperschaften, die aus mehreren Gemeinden zusammengeschlossen sind und die Träger der allgemeinen, vom Volke ausgehenden Gewalt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 LV sind. Überall dort, wo diese allgemeine Gewalt unmittelbar durch selbstständige, vom Staat weitgehend unabhängige Rechtsträger ausgeübt wird, soll eine aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Volksvertretung bestehen (ebenso zu den wortgleichen Vorschriften der Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 LS: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 63).

42

Eine weitere Begrenzung des Begriffes Gemeindeverband ergibt sich daraus, dass die Gemeindeverbände mit den Gebietskörperschaften Staat und Gemeinde auf eine Stufe gestellt werden und zu den Gemeindeverbänden jedenfalls die gebietskörperschaftlich organisierten Kreise gehören. Daraus folgt zwar nicht zwingend, dass sämtliche Gemeindeverbände ebenfalls Gebietskörperschaften sein müssen, denn dann hätte der Verfassungsgeber das Wort „Gebietskörperschaft“ übernehmen können. Es spricht jedoch vieles dafür, dass die auf einzelne Aufgaben beschränkten Zweckverbände, auch wenn sie öffentliche Gewalt ausüben, nicht von dem Begriff Gemeindeverbände erfasst werden sollten. Nach der Systematik sind demnach Gemeindeverbände nur solche aus mehreren Gemeinden zusammengesetzte Körperschaften des öffentlichen Rechts, die in größerem Umfang öffentliche Aufgaben von einigem Gewicht als Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen (ebenso: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 63).

43

Auch die teleologische Auslegung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV spricht für den kombinierten Gemeindeverbandsbegriff. Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Vermittlung unmittelbarer demokratischer Legitimation dort, wo im Land grundlegende substanzielle Entscheidungen getroffen werden. Das spricht dafür, die Mitbestimmung des Volkes in Form der Auswahl seiner Repräsentanten und – quasi als Kehrseite der Medaille – Verantwortlichkeit der zentralen Entscheidungsträger unmittelbar gegenüber dem Volk bei denjenigen Körperschaften zu fordern, die neben Land und Gemeinden in größerem Umfang öffentliche Aufgaben von einigem Gewicht wahrnehmen.

44

Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der Landessatzung bestätigt. Während der Ausschussberatungen (zu Art. 39 LS) bestand zwar keine konkrete gemeinsame Vorstellung über das Wesen der Gemeindeverbände, man war sich jedoch dahingehend einig, dass die Kreise als Gemeindeverbände zu qualifizieren sind, nicht jedoch die Ämter in ihrer Ausgestaltung im Jahr 1949 und auch nicht die Zweckverbände. Der umfassende Begriff wurde auch deshalb gewählt, um die künftige Entwicklung der Ämter oder neu zu bildender kommunaler Zusammenschlüsse zu Gemeindeverbänden nicht zu verstellen. Der Begriff des Gemeindeverbandes lässt sich deshalb positiv durch die konstituierenden Merkmale des Kreises und negativ durch die konstituierenden Merkmale der im Jahre 1949 bestehenden Ämter sowie der damals bestehenden Zweckverbände eingrenzen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvR 1/78 - BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 65 m.w.N.). Diese Ausführungen tragen, da die Kreise bereits Gebietskörperschaften waren und die Ämter sich noch wesentlich auf unterstützende Aufgaben beschränkten, ebenfalls den kombinierten Gemeindeverbandsbegriff und gelten unverändert fort. Mit der Schaffung der Landesverfassung ist keine erneute Diskussion über den Begriff des Gemeindeverbandes entstanden. Vielmehr hat der Verfassungsgeber in Kenntnis der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Vorschriften aus der Landessatzung überwiegend wortgleich in die Landesverfassung übernommen (vgl. Groth in: Caspar / Ewer / Nolte / Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 46, Rn. 3).

45

Soweit die Gemeindeverbandsbegriffe in Rechtsprechung und Literatur von dem kombinierten Gemeindeverbandsbegriff, den bereits das Bundesverfassungsgericht für die schleswig-holsteinische Landessatzung als maßgeblich ansah (Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O.), abweichen, geben die jeweiligen Ausführungen keine Veranlassung, für die Landesverfassung nun von einem anderen Gemeindeverbandsbegriff auszugehen. Mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV ist weder ein allein auf den Status als Gebietskörperschaft abstellender formeller Gemeindeverbandsbegriff zu vereinbaren, weil der Verfassungsgeber den Begriff der Gebietskörperschaft gerade nicht verwendet hat, noch ein weiterer materieller Gemeindeverbandsbegriff, der schon die Wahrnehmung von mehr als einer Selbstverwaltungsaufgabe genügen lässt, denn eine solche Körperschaft befände sich noch zu dicht am Zweckverband, den der Verfassungsgeber nicht erfasst wissen wollte. Unvereinbar mit der Landesverfassung ist auch ein Gemeindeverbandsbegriff, der ungeachtet des materiellen Aufgabenbestandes allein auf den strukturell-funktionellen Zweck abstellt. Er würde dem Zweck der Vorschriften, demokratische Legitimation dort zu vermitteln, wo gewichtige Selbstverwaltungsaufgaben selbstständig wahrgenommen werden, nicht gerecht.

46

3. Maßgeblich für die Vergleichbarkeit der Ämter mit den zur Erfüllung von Selbstverwaltungsaufgaben gebildeten Gebietskörperschaften (Gemeinden und Kreise) sind nach dem materiellen Verbandsbegriff allein die den Ämtern - sei es durch Gesetz (§ 5 Abs. 4 AO), sei es auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO - übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben. Nur bezüglich dieser Aufgaben wird das Amt nach der gesetzlichen Regelung des § 3 Abs. 2 AO Träger der Aufgaben; es nimmt diese Aufgaben als eigene wahr.

47

a) Zwar sind danach die nach § 5 Abs. 4 AO vom Gesetz den Ämtern übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben zu berücksichtigen, sie spielen praktisch jedoch kaum eine Rolle. Eine Übertragungsmöglichkeit vom Kreis auf das Amt in diesem Sinne ist lediglich in § 4 Abs. 1 Satz 1 AG-SGB XII vorgesehen. Aufgrund der nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AG-SGB XII bestehenden Möglichkeit der Kreise, Richtlinien zu erlassen und Weisungen zu erteilen, sind diese Aufgaben im Ergebnis nicht anders zu behandeln als Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung (ebenso: Steinger ,Amtsverfassung und Demokratieprinzip, 1997, S. 96).

48

b) Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 Satz 1 AO offen gestaltete Zuweisung von Selbstverwaltungsaufgaben an die Ämter (sog. devolvierende, überwälzende Delegation, vgl. Engel , Das schleswig-holsteinische Amt bei Erledigung der Selbstverwaltungsangelegenheiten der amtsangehörigen Gemeinden, 1990, S. 142 f. und 161, Fn. 445; v. Mutius / Steinger, Die Gemeinde SH 1995, 231 <233>) bedarf es einer weiteren Eingrenzung. Dies betrifft zunächst das unterschiedliche Ausmaß, in dem von der Übertragungsmöglichkeit durch die amtsangehörigen Gemeinden Gebrauch gemacht wird, es betrifft aber auch die in der Praxis anzutreffenden stillschweigenden „Übertragungen“ von Selbstverwaltungsaufgaben

49

aa) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV setzen Gemeindeverbände nicht zwingend voraus, sondern knüpfen wie Art. 46 Abs. 2 und 3 sowie Art. 47 bis 49 LV an diejenigen Gemeindeverbände an, die nach einfachgesetzlichem Landesrecht bestehen. Abzustellen ist deshalb hinsichtlich der wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben auf die einfachgesetzliche Ausgestaltung der fraglichen Institution. So wie es der Landesgesetzgeber über die in der Verfassung verankerten kommunalen Gebietskörperschaften hinaus in der Hand hat, Körperschaften als Gebietskörperschaften auszugestalten (und sie damit formell zu Gemeindeverbänden zu machen), ist es allein seine Entscheidung, ob er einer von ihm institutionalisierten sonstigen kommunalen Körperschaft so viele und so gewichtige Selbstverwaltungsaufgaben überträgt, dass diese den kommunalen Gebietskörperschaften vergleichbar (und damit materiell ein Gemeindeverband) ist. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der Gesetzgeber selbst Aufgaben auf die Ämter überträgt oder ob er – wie dies in § 5 Abs. 1 Satz 1 AO geschehen ist - den Gemeinden die Möglichkeit eröffnet, unbeschränkt Selbstverwaltungsauf-gaben auf ihr Amt zu übertragen. Entscheidend ist, dass die Wahrnehmung der derart übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben durch die Ämter von der gesetzgeberischen Konzeption der Institution Amt gedeckt ist.

50

Ausgangspunkt bleibt daher die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte sogenannte doppelte Anknüpfung einerseits an die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Bestandes an Selbstverwaltungsaufgaben, andererseits an den tatsächlichen Aufgabenbestand (Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Leitsatz, Juris Rn. 63, 68, 77; vgl. auch von Mutius / Steinger , Die Gemeinde SH 1995, 231 <233>; Schliesky , Amt-Gemeinde-Untersuchung 2002, in: SHGT , Das Amt - bewährt und zukunftsfähig -, Arbeitsheft 19, 2004, S. 9 <28>; Schliesky / Ernst / Schulz , Aufgabenbestand, Legitimationsbedarf und Entwicklungspotential der Ämter in Schleswig-Holstein, Arbeitspapier 90, 2009, S. 32; Steinger , Amtsverfassung und Demokratieprinzip, 1997, S. 87-88; a. A.: VerfG des Landes Brandenburg, Beschluss vom 21. Januar 1998 - 8/97 - Juris Rn. 26, 28-30 , jedoch ohne Auseinandersetzung mit BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - BVerfGE 52, 95 ff.,). Diese doppelte Anknüpfung beruht auf der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO. Die Norm beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben zuzulassen, die Übertragung selbst erfolgt aber durch die amtsangehörigen Gemeinden, die die Ausgestaltung des Bestandes an Selbstverwaltungsaufgaben des Amtes damit „in tatsächlicher Hinsicht“ in der Hand haben.

51

bb) Umgekehrt folgt aus der Anknüpfung an die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Selbstverwaltungsaufgaben der Ämter eine Beschränkung des anzustellenden Vergleichs auf diejenigen Selbstverwaltungsaufgaben, die auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO und in dessen gesetzlichem Rahmen übertragen wurden. Nur diese sind Ausdruck der gesetzgeberischen Konzeption der Institution Amt. Unbeachtlich sind deshalb alle „Übernahmen“ von gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben, für die es an einem Beschluss nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AO fehlt (ebenso: Bracker , Amtsordnung für Schleswig-Holstein - Kommentar, in: Bülow / Erps / Schliesky / von Allwörden , Kommunalrecht Schleswig-Holstein - Kommentare - Band II, Stand: 34. Nachlieferung 2009, § 5 Erl. 1 d; Wissenschaftlicher Dienst des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Gutachten zum Entwurf des Zweiten Verwaltungsstrukturreformgesetzes, Landtags-Umdruck 16/1596, S. 10) und alle Übertragungen durch lediglich eine amtsangehörige Gemeinde (zum Ganzen vgl. auch BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 85).

52

Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn es sich nicht mehr um Einzelfälle des Missbrauchs handelte (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979, a. a. O., Juris Rn. 85), sondern um eine strukturelle Entwicklung (vgl. Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 109), die Ausdruck einer allgemein praktizierten Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO wäre, mithin die Norm insoweit einen Inhaltswandel erfahren hätte. Denn die Auslegung des einfachen Rechts ist grundsätzlich Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle weitgehend entzogen, weshalb auch bei der abstrakten Normenprüfung grundsätzlich diejenige Auslegung zugrundezulegen ist, welche die Vorschrift in der Rechtsprechung bzw. Rechtspraxis erfahren hat (vgl. Graßhof , in: Umbach / Clemens / Dollinger , Bundesverfassungsgerichtsgesetz - Mitarbeiterkommentar und Handbuch, 2. Aufl., 2005, § 76 Rn. 43 m.w.N.). Von einem Inhaltswandel kann jedoch zur Zeit noch keine Rede sein, da fachgerichtliche Urteile, welche stillschweigende Übertragungen als mit § 5 Abs. 1 Satz 1 AO vereinbar ansehen, nicht ersichtlich sind. Es ist nicht einmal ersichtlich, dass die Gemeinden und Ämter allgemein davon ausgingen, sich mit stillschweigenden Übertragungen noch auf dem Boden der Amtsordnung zu bewegen.

53

c) Die verfassungsrechtliche Prüfung ist über den auf § 9 AO beschränkten Antrag hinaus auf § 5 Abs. 1 Satz 1 AO zu erstrecken, weil vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich maßgeblichen materiellen Gemeindeverbandsbegriffs diese Vorschriften in einem untrennbaren Zusammenhang stehen. In allen Verfahren, in denen die Verfassungsmäßigkeit einer Norm zu überprüfen ist, ist die verfassungsrechtliche Prüfung auch auf Vorschriften zu erstrecken, die mit der unmittelbar angegriffenen Vorschrift im Zusammenhang stehen, vgl. § 42 Satz 2 LVerfGG. Insoweit bestehen zwischen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Landesverfassungsgericht keine Unterschiede (zur wortgleichen Vorschrift des § 78 Satz 2 BVerfGG: BVerfG, Urteile vom 4. März 1975 - 2 BvF 1/72 - BVerfGE 39, 96 ff., Juris Rn. 27; vom 5. November 1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 ff., Juris Rn. 35; und vom 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 u.a. - BVerfGE 109, 279 ff., Juris Rn. 340, stRspr.). Das ist aufgrund der vorstehend dargelegten Maßgeblichkeit des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO für die Qualifizierung der Institution Amt als Gemeindeverband und der Maßgeblichkeit dieser Qualifizierung für die Vereinbarkeit des § 9 AO mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV der Fall (ähnlich, allerdings bezogen auf § 5 AO insgesamt: Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 110).

54

4. Ermöglicht der Gesetzgeber durch § 5 Abs. 1 Satz 1 AO einen unterschiedlichen Bestand an Selbstverwaltungsaufgaben bei den einzelnen Ämtern, so ist die Entwicklung der Institution Amt zum Gemeindeverband nach der gesetzgeberischen Konzeption bereits abgeschlossen, wenn ein erstes Amt einen den kommunalen Gebietskörperschaften vergleichbaren Bestand an Selbstverwaltungsauf-gaben erlangt. Die Ämter sind dann als Gemeindeverbände zu qualifizieren, so lange wenigstens ein Amt diesen Bestand hält und der Gesetzgeber diesem Zustand nicht entgegenwirkt.

55

a) Aus dem materiellen Gemeindeverbandsbegriff folgt zwangsläufig, dass für den Vergleich der wahrzunehmenden Aufgaben der Ämter mit denen der kommunalen Gebietskörperschaften auf die Institution Amt abzustellen ist. Die im Rahmen der systematischen Auslegung der Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und des Art. 3 Abs. 1 LV gewonnenen Gesichtspunkte betreffen die Institution Amt und auch der Landesverfassungsgeber hatte bei Einführung des Begriffs des Gemeindeverbandes und dessen Abgrenzung Institutionen wie die Kreise, die Zweckverbände und auch die Ämter – allerdings in ihrem seinerzeitigen Aufgabenzuschnitt - im Blick. Maßgebend ist für die Institution wie für die wahrzunehmenden Aufgaben die gesetzgeberische Konzeption. Solange die unterschiedliche Ausprägung der Ämter Ausdruck ein- und derselben gesetzgeberischen Konzeption - hier der des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO - ist, ist allein diese die Grundlage für den Vergleich mit den kommunalen Gebietskörperschaften.

56

b) Die Aufgabenübertragung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AO divergiert von Amt zu Amt. Dies ist vom Gesetzgeber gewollt. Je nach Bedarf sollen die amtsangehörigen Gemeinden auf die konkreten Bedürfnisse vor Ort reagieren und Aufgaben auf die Ämter übertragen können, sofern sich wenigstens eine weitere amtsangehörige Gemeinde findet, die sich an der Übertragung beteiligt. Einen einheitlichen Aufgabenbestand der Institution Amt gibt es daher nicht (vgl. zum Ganzen auch Bracker , Amtsordnung für Schleswig-Holstein - Kommentar, in: Bülow / Erps / Schliesky / von Allwörden , Kommunalrecht Schleswig-Holstein - Kommentare - Band II, Stand: 34. Nachlieferung 2009, § 1 Erl. 2a; § 5 Erl. 1c).

57

Mit Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 3 Abs. 1 LV hat der Verfassungsgeber die Prinzipien der Volkssouveränität, der repräsentativen Demokratie und eines demokratisches Wahlverfahrens für Schleswig-Holstein konstitutionalisiert. Dabei handelt es sich um fundamentale Prinzipien der demokratischen Grundordnung Schleswig-Holsteins. Mit ihrer Erstreckung auf die Gemeindeverbände soll sichergestellt werden, dass überall dort, wo neben den Gemeinden in weitgehender Unabhängigkeit vom Staat substanzielle Selbstverwaltungsaufgaben wahrgenommen werden, das Volk durch eine unmittelbar gewählte Vertretung repräsentiert wird. Lässt sich die Frage, ob eine substanzielle Wahrnehmung von Selbstverwaltungsangelegenheiten erfolgt, für eine Institution nicht einheitlich bestimmen und kommt deshalb nur eine Annäherung mittels Indizien in Betracht, gebietet es diese grundlegende Entscheidung der Verfassung diejenige Anknüpfung zu wählen, die im Zweifel zu einer Qualifizierung als Gemeindeverband führt, also diejenige, die im Hinblick auf die Ziele der Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV die sicherste Anknüpfung ist.

58

Dem wird nur eine Anknüpfung an das Amt mit dem fortgeschrittensten Bestand an Selbstverwaltungsaufgaben gerecht. Alle anderen Anknüpfungen würden bedeuten, eine fehlende unmittelbare Volksvertretung in Ämtern auch dann in Kauf zu nehmen, wenn in einzelnen Ämtern bereits Selbstverwaltungsaufgaben mit einem den kommunalen Gebietskörperschaften vergleichbaren Umfang und Gewicht wahrgenommen werden. Das ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV nicht vereinbar. Umgekehrt ist bei einer Maßgeblichkeit des Amtes mit dem größten Aufgabenbestand die dadurch gegebenenfalls auch in Ämtern mit nur geringem Bestand an Selbstverwaltungsaufgaben ausgelöste Volkswahl und der dann dort vorhandene „Überschuss“ an demokratischer Legitimation unschädlich.

II.

59

Der Gesetzgeber hat sich mit § 5 Abs. 1 Satz 1 AO für eine offene Aufgabenzuweisung entschieden und damit die Entscheidung über die Ausgestaltung der Ämter zum (materiellen) Gemeindeverband einem von ihm unmittelbar nicht mehr steuerbaren dynamischen Prozess überlassen. Ihn trifft von Verfassungswegen eine Nachbesserungspflicht, weil sich erste Ämter nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben Gemeindeverbänden jedenfalls annähern.

60

1. Überlässt der Gesetzgeber die Entscheidung über die Ausgestaltung der Ämter zum (materiellen) Gemeindeverband infolge einer offenen Aufgabenzuweisung einem von ihm unmittelbar nicht mehr steuerbaren dynamischen Prozess, so hat er Vorkehrungen zu treffen, mit denen er entweder dieser Entwicklung entgegenwirkt oder dass im Falle einer Entwicklung zum Gemeindeverband durch Aufgabenzuwachs unmittelbar eine gewählte Volksvertretung eingerichtet wird.

61

Eine gewählte Volksvertretung muss nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV bereits bei der gesetzgeberischen Ausgestaltung einer Institution als Gemeindeverband vorgesehen sein. Gestaltet der Gesetzgeber eine Körperschaft selbst als Gemeindeverband aus, so ist er verpflichtet, zugleich eine unmittelbar vom Volk gewählte Vertretung einzurichten. Bei offenen Aufgabenzuweisungen ist es jedoch möglich, dass sich eine vom Gesetzgeber ursprünglich nicht als Gemeindeverband geschaffene Institution schleichend und vom Gesetzgeber unbemerkt zu einem (materiellen) Gemeindeverband entwickelt und spätestens damit die Pflicht zur Einrichtung einer unmittelbar gewählten Volksvertretung auslöst.

62

Würde man auch in diesen Fällen die Pflicht zur Einrichtung einer unmittelbar gewählten Volksvertretung erst ab dem Moment der (sicheren) Qualifizierung zum Gemeindeverband annehmen, bestünde die Gefahr, dass es zumindest vorübergehend materielle Gemeindeverbände ohne unmittelbar gewählte Volksvertretung gäbe. Die Einrichtung einer gewählten Volksvertretung erfordert nämlich eine gesetzliche Norm, welche zumindest ein entsprechendes Organ der Institution schafft und die wesentlichen, mit seiner Zusammensetzung zusammenhängenden Fragen regelt. Der Einführung einer Volkswahl durch die Institution selbst steht regelmäßig schon die abschließende gesetzliche Regelung in dem die Institution ausgestaltenden Gesetz entgegen, hier in § 9 AO.

63

Der Gesetzgeber müsste dafür aber von der möglichen Entwicklung zum Gemeindeverband erst einmal Kenntnis erlangen, er müsste diese prüfen, was – wie die Diskussion um die Ämter zeigt – nicht immer einfach ist, und er müsste ein Gesetzgebungsverfahren durchführen, um das die Institution ausgestaltende Gesetz zu ändern. Während dieses unter Umständen langen Zeitraums bestünde ein verfassungswidriger Zustand. Angesichts der fundamentalen Bedeutung der Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 3 Abs. 1 LV als Grundentscheidungen der Verfassung für das Prinzip der Volkssouveränität, der repräsentativen Demokratie und des demokratischen Wahlverfahrens auch in den Gemeindeverbänden ist ein solcher Zustand auch nicht vorübergehend hinzunehmen. Überall dort, wo diese allgemeine Gewalt unmittelbar durch selbstständige, vom Staat weitgehend unabhängige Rechtsträger ausgeübt wird, soll eine aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Volksvertretung bestehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 – BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 63). Die Vorschriften sind deshalb nach ihrem Sinn und Zweck so auszulegen, dass bei einer offenen Zuweisung von Selbstverwaltungsaufgaben der Gesetzgeber bereits mit der Eröffnung der Aufgabenzuweisung Vorkehrungen zu treffen hat, um einer solchen Entwicklung zum materiellen Gemeindeverband entgegenzuwirken. Entscheidet er sich hierfür nicht, so trifft ihn spätestens dann die Pflicht, eine gewählte Volksvertretung einzurichten, wenn sich eine solche Entwicklung infolge erheblichen qualitativen und / oder quantitativen Aufgabenzuwachses abzeichnet.

64

2. Einen solchen, von ihm unmittelbar nicht mehr steuerbaren dynamischen Prozess mit der Möglichkeit einer Entwicklung der Ämter zu einem Gemeindeverband hat der Gesetzgeber mit der offenen Aufgabenzuweisung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AO eingeleitet. Weder enthält die Vorschrift selbst eine Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter noch folgt eine solche aus anderen Gesetzen. Selbst aus der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung (Art. 46 Abs. 1 LV) ergibt sich keine für die Anwender – die Ämter und Gemeinden und die Bürgerin und den Bürger – definierbare Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben, welche die schleichende Entwicklung der Ämter zu Gemeindeverbänden sicher verhindern würde.

65

a) Der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO lässt sich eine Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter nicht im Wege der Auslegung entnehmen (vgl. von Mutius / Steinger , Die Gemeinde 1995, 231 <233>; Schliesky / Ernst / Schulz , Aufgabenbestand, Legitimationsbedarf und Entwicklungspotential der Ämter in Schleswig-Holstein, 2009, S. 35). Auch mittels einer einschränkenden Auslegung lässt sich das Anwachsen des Aufgabenbestandes der Ämter nicht so beschränken, dass damit die vom Gesetzgeber unbemerkte Entwicklung zu einem Gemeindeverband sicher ausgeschlossen wäre.

66

aa) Der Wortlaut der Vorschrift ist offen formuliert. Ihm lässt sich jedenfalls entnehmen („Selbstverwaltungsaufgaben“), dass die amtsangehörigen Gemeinden nicht auf die Übertragung einer einzelnen Aufgabe beschränkt sind, sondern mehrere Selbstverwaltungsaufgaben übertragen können (anders § 5 Abs. 4 Satz 1 der Brandenburgischen Amtsordnung: „einzelne Selbstverwaltungsangelegenheiten“, vgl. VerfG des Landes Brandenburg, Beschluss vom 21. Januar 1998 - 8/97 - Juris Rn. 28). Er bietet aber keine Anhaltspunkte für eine nach Umfang oder Qualität der übertragbaren Selbstverwaltungsaufgaben spezifizierte Grenze, auch nicht dahingehend, dass die Gemeinden nicht auch alle Selbstverwaltungsaufgaben durch Beschluss auf das Amt übertragen könnten.

67

bb) Gegen eine Auslegung in diese Richtung spricht auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Sie wurde geschaffen durch das Gesetz zur Änderung der Amtsordnung für Schleswig-Holstein vom 24. Mai 1966 (GVOBl 1966, S. 91). Der Gesetzentwurf der Landesregierung (Landtags-Drucksache 646/5), der statt von „Selbstverwaltungsaufgaben“ noch von „Aufgaben zur Selbstverwaltung“ sprach, im Übrigen aber in § 5 Abs. 1 AO unverändert blieb, wurde wie folgt begründet (S. 14 des Entwurfs):
Über § 3 Abs. 1 hinaus ist durch Abs. 1 die Möglichkeit einer Übertragung der Trägerschaft von Selbstverwaltungsangelegenheiten (volle Übertragung, nicht nur deren Durchführung) geschaffen worden. Nach der bisher bestehenden Rechtslage war zur gemeinsamen Erfüllung von Aufgaben die Bildung von Zweckverbänden mit eigenen Organen und Haushaltsplan erforderlich. Es bedeutet eine wesentliche Verwaltungsvereinfachung, wenn die Übertragung auf die bereits bestehende Institution des Amtes ermöglicht wird. (…)

68

In den Ausschussberatungen (Ausschuss für Innere Verwaltung) wurde diskutiert, ob die Ämter Gebietskörperschaften seien. Für diesen Fall hielt man eine von den Einwohnerinnen und Einwohnern des Amtes gewählte Amtsvertretung für erforderlich. Überwiegend wurde die Auffassung vertreten, dass die Ämter keine Gebietskörperschaften seien und man erörterte weiter, ob man eine Vorschrift aufnehmen sollte, die dies klarstellt (Niederschrift der 63. Sitzung vom 24. Februar 1966, S. 3-4). Anknüpfend hieran äußerte sich der Vorsitzende, der Abgeordnete Schoof , auch zu § 5 AO (Niederschrift S. 4-5):
Man werde sich allerdings, so fährt der Vorsitzende auf Grund eines Hinweises von Regierungsassessor Leonardy fort, bei der Beratung des neuen § 5 überlegen müssen, ob nicht die Zuweisung bestimmter neuer Aufgaben den Gedanken aufkommen lassen könnte, dass die Ämter Gebietskörperschaften sein müssten. Er bittet das Ministerium, sich bis dahin noch einmal eingehend mit der Frage der Gebietskörperschaft zu befassen.

69

Einen noch weitergehenden Entwicklungshorizont sah der Abgeordnete Konrad (Niederschrift S. 8):
Die innere Kraft eines solchen Amtes werde von der Aufgabenstellung her, die ihm mit den neuen §§ 3 und 5 eingeräumt werden soll, dazu führen, dass sich aus dem Amt eine Teilgemeinde entwickelt, die möglicherweise in 15 oder 20 Jahren in eine völlig neue Gemeinde einmündet.

70

Im Rahmen der Anhörung des Landkreistages und des Gemeindetages in der Sitzung vom 3. März 1966 sprach sich der Landkreistag dafür aus, dass nur alle Gemeinden eines Amtes gemeinsam die Übertragung einer Selbstverwaltungsaufgabe beschließen können sollten. Anknüpfend hieran kam der Ausschuss noch einmal auf die Auswirkungen der Übertragungsmöglichkeit zurück (Niederschrift S. 11):
Abg. Konrad bittet um Auskunft, ob die Verbände im Zusammenhang mit dem § 5 auch die Frage der rechtlichen Einordnung der Ämter behandelt haben, ob nach ihrer Meinung das Amt eine Gebietskörperschaft werde, wenn ihm alle Gemeinden alle ihre Aufgaben zur Selbstverwaltung übertragen, oder was das Amt sei, wenn ihm die Hälfte der Gemeinden alle ihre Aufgaben, die andere Hälfte aber nur bestimmte Aufgaben übertragen.
Der Geschäftsführer des Gemeindetages, Dr. Willing, erwidert, dass die Ämter mit der freiwilligen Übertragung - nicht nur der verwaltungstechnischen Durchführung - von Selbstverwaltungsaufgaben nach Ansicht des Gemeindetages noch nicht zu Gebietskörperschaften würden, dass sich das Amt auf diesem Wege aber zu einer engeren Gemeinschaft, möglicherweise zu einer Gebietskörperschaft entwickeln könne.

71

Die damit von einem Abgeordneten in den Raum gestellte Auffassung, dass sich mittels § 5 AO auch alle gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter übertragen ließen, scheint im Ausschuss Konsens gewesen zu sein. Widerspruch gab es auch im Folgenden nicht.

72

Im Rahmen der Einzelberatung des § 5 AO kam man in der Sitzung vom 24. März 1966 noch einmal auf den Umfang der übertragbaren Selbstverwaltungsaufgaben zurück (Niederschrift S. 3):
Die Abg. Schoof und Thee bitten zu prüfen, ob nicht entsprechend dem Vorschlage des Landkreistages im § 5 Abs. 1 gesagt werden sollte, dass dem Amt über die Regelung des § 3 Abs. 1 hinaus nur einzelne Aufgaben zur Selbstverwaltung und dann auch nur von allen Gemeinden des Amtes übertragen werden können.
Ministerialdirigent Kujath erklärt, mit dem § 5 Abs. 1 der Regierungsvorlage solle den Gemeinden eines Amtes - sowohl mehreren als auch allen Gemeinden - die Möglichkeit geboten werden, bestimmte Aufgaben, wie z. B. den Wegebau, auf das Amt zu übertragen. Dadurch würden sie nicht mehr genötigt, zur Erledigung einer Spezialaufgabe einen Zweckverband zu gründen.
Der Vorsitzende, Abg. Schoof, stellt nach längerer Aussprache fest, dass es zunächst bei der von der Regierung vorgeschlagenen Fassung des § 5 Abs. 1 bleiben soll. Der Ausschuss betrachtet diese Bestimmung als eine Möglichkeit, von der die Gemeinden Gebrauch machen können; die Gemeinden könnten aber auch weiterhin Zweckverbände bilden. Auf Anregung des Abg. Konrad wird das Innenministerium gebeten zu prüfen, ob die Worte „Aufgaben zur Selbstverwaltung“ nicht durch das Wort „Selbstverwaltungsangelegenheiten“ - wie im § 5 Abs. 2 - oder durch eine andere, inhaltlich gleiche Bezeichnung ersetzt werden sollte.

73

In der Sitzung vom 14. April 1966 wurde die letztgenannte Änderung beschlossen (Niederschrift S. 3). Der am 3. Mai 1966 vom Ausschuss vorgelegte geänderte Entwurf (Landtags-Drucksache 736/5) wurde im Anschluss an die zweite Lesung am 16. Mai 1966 als Gesetz verabschiedet, ohne dass über § 5 Abs. 1 AO noch einmal diskutiert wurde (Protokolle S. 2219-2231).

74

Daran wird deutlich, dass zwar der Gesetzgeber zumindest zunächst von einer geringen, mit der Bildung von Zweckverbänden vergleichbaren Inanspruchnahme der Vorschrift ausging, also nur die Übertragung einzelner beziehungsweise weniger Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter vor Augen hatte. Andererseits dachte er aber bereits an eine Bündelung von Aufgaben, denn ihm war gerade daran gelegen, die Gründung verschiedener Zweckverbände für jede einzelne Aufgabe zu vermeiden und stattdessen die Ansiedlung der Aufgaben bei einem ohnehin vorhandenen Amt zu ermöglichen. Eine Entwicklung der Ämter über die Zweckverbände hinaus wurde also durchaus gebilligt. Man hielt es sogar für möglich, dass Gemeinden alle ihre Selbstverwaltungsaufgaben auf das Amt übertragen könnten und war sich der Konsequenz, dass die Ämter dann einer gewählten Volksvertretung bedürften (wenngleich dies unter dem Gesichtspunkt Entwicklung zu einer Gebietskörperschaft, nicht zu einem Gemeindeverband, diskutiert wurde) bewusst. Auch wurde eine vom Landkreistag vorgeschlagene Grenze („nur einzelne Aufgaben“) in Erwägung gezogen und nicht eingefügt, wobei offen bleibt, ob dies einhellig so gewollt war oder man sich insoweit nicht einigen konnte („nach längerer Aussprache“). Damit spricht die Gesetzgebungsgeschichte gegen eine der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO immanente Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben.

75

cc) Sinn und Zweck von § 5 Abs. 1 Satz 1 AO verbieten es jedoch, durch einen Beschluss alle Selbstverwaltungsaufgaben der betroffenen Gemeinden auf das Amt zu übertragen. Denn die Ämter – und damit die Aufgabenübertragung auf sie – dienen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AO der Stärkung der Selbstverwaltung der amtsangehörigen Gemeinden und sollen sie nicht ersetzen (im Ergebnis ebenso: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 85).

76

Abgesehen von diesem praktisch bisher nicht relevanten Fall scheidet eine teleologische Grenzziehung für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AO aber aus (a. A., jedoch ohne nähere Präzisierung der Grenzziehung: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 85). Eine solche Auslegung der Vorschrift setzte nämlich voraus, dass eine präzise Grenzziehung überhaupt möglich ist. Ziel und Grenze einer jeden Auslegung ist die Präzisierung des Normgehalts. Sie hat sich gerade auch an den Normadressaten zu orientieren, hier in erster Linie den amtsangehörigen Gemeinden und den Ämtern. Ihnen wäre mit einer Auslegung, die ihrerseits nur dazu führen würde, dass die Gemeinden und Ämter bei einer Aufgabenübertragung in umfangreiche Abwägungsprozesse, ob die Grenze überschritten ist, eintreten müssten und sie auch anschließend in erheblicher Rechtsunsicherheit zurückließe, nicht gedient. Vielmehr bedürfte es einer konkreten und greifbaren Grenze, etwa dergestalt, dass aus einem Katalog festgelegter Selbstverwaltungsaufgaben nur eine bestimmte Zahl übertragen werden darf. Für eine solche Auslegung fehlt es bei § 5 Abs. 1 Satz 1 AO aber an jedem Anhaltspunkt. Sie vorzunehmen hieße, eine Grenze an Stelle des Gesetzgebers zu ziehen, anstatt sie aus dem gesetzgeberischen Willen abzuleiten.

77

b) Auch aus anderen Gesetzen ergibt sich eine solche Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben, welche die schleichende Entwicklung der Ämter zu Gemeindeverbänden sicher verhindern würde, nicht. Eine solche Grenze folgt insbesondere nicht aus der Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung (Art. 46 Abs. 1 LV).

78

Nach Art. 46 Abs. 1 LV sind die Gemeinden berechtigt und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen.

79

Hieraus folgt zunächst eine Pflicht der Gemeinden, bestehende Selbstverwaltungsaufgaben tatsächlich wahrzunehmen. Damit soll im Rahmen der Leistungsfähigkeit die tatsächliche Durchführung der Selbstverwaltungsaufgaben sichergestellt werden (vgl. Groth , in: Caspar / Ewer / Nolte / Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 46 Rn. 38). Dies steht einer Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter nicht im Wege, weil dadurch das Amt zum Träger der Selbstverwaltungsaufgabe wird, die Verpflichtung der Gemeinde zu ihrer tatsächlichen Wahrnehmung mithin gerade entfällt.

80

Daneben folgt aus Art. 46 Abs. 1 LV für den Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung eine Pflicht, sich dieser Aufgaben nicht durch Übertragung auf Dritte derart zu entledigen, dass eine eigenverantwortliche, von echten politisch-demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten geprägte Selbstverwaltung auf Gemeindeebene nicht mehr möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2009 - BVerwG 8 C 10/08 -, DVBl. 2009, 1382 <1383> = NVwZ 2009, 1305 <1306 f.>, Juris Rn. 27 und 29; Schliesky / Ernst / Schulz , Aufgabenbestand, Legitimationsbedarf und Entwicklungspotential der Ämter in Schleswig-Holstein, 2009, S. 132; Unruh , BayVBl. 1996, 225 <228 f.>; vgl. auch Steinger , Amtsverfassung und Demokratieprinzip, 1997, S. 87 für Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, und ders ., Demokratische Legitimation in den schleswig-holsteinischen Ämtern, in: Wewer , Demokratie in Schleswig-Holstein - Historische Aspekte und aktuelle Fragen, 1998, S. 464). Der unveräußerliche Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung muss allerdings nach bisher herrschendem Verständnis nur institutionell und nicht für einzelne Gemeinden gewahrt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1987 - 2 BvR 826/83 - BVerfGE 76, 107 ff., Juris Rn. 38; Pieroth , in: Jarass / Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Kommentar, 10. Aufl. 2009 , Art. 28 Rn. 22 m.w.N.).

81

Selbst wenn man darüber hinausgehend für jede einzelne Gemeinde verlangt, dass der unveräußerliche Kernbereich an gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben gewahrt werden muss, würde dies nicht verhindern, dass die Ämter einen den kommunalen Gebietskörperschaften vergleichbaren Bestand an Selbstverwaltungsaufgaben erlangen können. Abgesehen davon würde eine in § 5 Abs. 1 Satz 1 AO hineinzulesende verfassungsunmittelbare Grenze nicht die notwendige Normpräzisierung bewirken. Bis heute ist nämlich keine trennscharfe Abgrenzung des Kernbereichs der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie gelungen; insoweit bestehen keine Unterschiede zwischen der Selbstverwaltungs-garantie des Grundgesetzes und jener der Landesverfassung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332 ff., Juris Rn. 89). Es wird auch die Auffassung vertreten, dass eine Bestimmung nur anhand eines konkreten Eingriffs möglich ist ( Maunz ,in: ders. / Dürig , Grundgesetz – Kommentar – Band IV, 54. Erg.Lfg. 2009, Art. 28 Rn. 53) oder dass der Kernbereich sogar undefinierbar ist ( Ossenbühl , Energierechtsreform und kommunale Selbstverwaltung, 1998, S. 53; sowie Dreier , in: ders. , Grundgesetz - Kommentar - Band II, 1998, Art. 28 Rn. 116; Püttner , Kommunale Selbstverwaltung, in: Isensee / Kirchhof , Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland - Band IV - Finanzverfassung - Bundesstaatliche Ordnung, 1990, S. 1171 ff., Rn. 20-25; Tettinger , in: Starck , Das Bonner Grundgesetz - Kommentar - Band 2, 4. Aufl., 2000, Art. 28 Rn. 191). Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört zum Kernbereich beziehungsweise Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. November 1988 - 2 BvR 1619/83 u.a. - BVerfGE 79, 127 ff., Juris Rn. 47). Für die Normadressaten des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO würden ihre Befugnisse also jedenfalls nicht klarer.

82

3. Zwar ist der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 5 Abs. 1 AO nicht davon ausgegangen, dass von dieser Vorschrift in einem so erheblichen Maße Gebrauch gemacht werden würde, dass sich infolge dessen die Ämter in absehbarer Zukunft zu Gemeindeverbänden entwickeln würden. Auch lag eine solche Entwicklung selbst 1979, als das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 – BVerfGE 52, 95 ff.) über die Qualifizierung der Ämter zu entscheiden hatte, noch in weiter Ferne. Jedoch trifft ihn schon dann eine Nachbesserungspflicht, sobald eine solche Inanspruchnahme der Übertragungsmöglichkeit festzustellen ist, dass eine Entwicklung der Ämter zu Gemeindeverbänden nicht mehr auszuschließen ist.

83

Ein zunächst verfassungsmäßiges Gesetz kann im Laufe der Zeit verfassungswidrig werden, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse, auf die es einwirkt, grundlegend gewandelt haben oder sich die beim Erlass des Gesetzes verfassungsrechtlich unbedenkliche Einschätzung seiner künftigen Wirkungen später als ganz oder teilweise falsch erweist. Die Bindung des Gesetzgebers an die verfassungsmäßige Ordnung umfasst nämlich auch die Verantwortung dafür, dass die Gesetze in Übereinstimmung mit der Verfassung bleiben. Für den Gesetzgeber besteht in diesem Fall eine Nachbesserungspflicht (stRspr., vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90 u.a. - BVerfGE 88, 203 ff., Juris Rn. 307-310; s. auch Beschlüsse vom 18. Dezember 1968 - 1 BvL 5/64 u.a. - BVerfGE 25, 1 ff., Juris Rn. 28; und vom 14. Januar 1981 - 1 BvR 612/72 - BVerfGE 56, 54 ff., Juris Rn. 62; Urteil vom 4. Juli 1995 - 1 BvF 2/86 u.a. - BVerfGE 92, 365 ff., Juris Rn. 130; Beschluss vom 18. Februar 1998 - 1 BvR 1318/86 u.a. - BVerfGE 97, 271 ff., Juris Rn. 88; und Urteil vom 31. Mai 2006 - 2 BvR 1673/04 u.a. - BVerfGE 116, 69 ff., Juris Rn. 64; ausdrücklich für den Schleswig-holsteinischen Gesetzgeber: Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 164 ff.).

84

a) In diesem Sinne stellt es eine grundlegende Wandlung der tatsächlichen Verhältnisse dar, wenn auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO den Ämtern Selbstverwaltungsaufgaben von solchem Umfang und Gewicht übertragen werden, dass sie sich den kommunalen Gebietskörperschaften immer mehr annähern und deshalb die Möglichkeit besteht, dass sie sich zu Gemeindeverbänden entwickeln. Es handelt sich dabei um eine fremdbestimmte Entwicklung, auf die der Gesetzgeber - von der Schaffung der normativen Grundlage abgesehen - keinen Einfluss mehr hat. Ob es sich um eine grundlegende Wandlung handelt, ist in Bezug auf den konkreten verfassungsrechtlichen Rahmen festzustellen. Dieser ergibt sich auf der einen Seite aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV und damit aus der dann den Ämtern als materielle Gemeindeverbände fehlenden demokratischen Legitimation für ihr hoheitliches Handeln. Er ergibt sich auf der andern Seite - als Kehrseite - aus Art. 46 Abs. 1 LV und damit aus der bei den Gemeinden damit einhergehenden Verletzung ihrer kommunalen Selbstverwaltungsgarantie.

85

b) Die Voraussetzungen der zweiten, eine Nachbesserungspflicht auslösenden Variante, dass sich eine beim Erlass des Gesetzes verfassungsrechtlich unbedenkliche Einschätzung seiner künftigen Wirkungen später als ganz oder teilweise falsch erweist, sind dann erfüllt, wenn die Annahme des Gesetzgebers, es werde nur eine geringe, mit der Bildung von Zweckverbänden vergleichbare Inanspruchnahme der Vorschrift geben, nicht mehr zutrifft. Dies ist der Fall, wenn nicht mehr nur die Übertragung einzelner bzw. weniger Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter erfolgt, sondern wenn auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO den Ämtern Selbstverwaltungsaufgaben von solchem Umfang und Gewicht übertragen werden, dass sie sich den kommunalen Gebietskörperschaften immer mehr annähern.

86

c) Zu diesen Ausführungen steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 – (BVerfGE 52, 95 ff.) nicht im Widerspruch. Sie brauchte sich nämlich nicht näher damit zu befassen, ob die Amtsordnung erst verfassungswidrig wird, wenn die Entwicklung der Institution Amt zum Gemeindeverband im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV sicher abgeschlossen ist oder ob dies auch schon vorher in Betracht kommt, wenn eine solche Entwicklung sicher absehbar wird und nicht mehr ausgeschlossen werden kann, dass sie schon abgeschlossen ist. Im Jahr 1979 war nach den vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Feststellungen die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter erst so rudimentär ausgeprägt, dass eine Entwicklung der Ämter zu Gemeindeverbänden nicht absehbar war und von einer grundlegenden Wandlung der Verhältnisse seit der Schaffung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO noch keine Rede sein konnte. Die ursprüngliche Einschätzung des Gesetzgebers traf nach wie vor zu. In mehr als der Hälfte der Ämter hatte überhaupt keine Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben stattgefunden und in den übrigen Fällen handelte es sich regelmäßig nur um einzelne Aufgaben und zwar um solche, die schon früher häufig auf Zweckverbände übertragen wurden (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a. a. O., Juris Rn. 85).

87

4. Eine solche grundlegende, eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers auslösende Wandlung der Verhältnisse ist mittlerweile eingetreten. Es ist davon auszugehen, dass sich erste Ämter nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben Gemeindeverbänden jedenfalls annähern. Auch lässt sich die Annahme des Gesetzgebers, es werde nur eine geringe Inanspruchnahme der Aufgabenübertragung auf die Ämter erfolgen, mit der eingetretenen Entwicklung nicht mehr in Einklang bringen.

88

a) Eine Bestimmung, ob eine Vergleichbarkeit der Ämter mit den kommunalen Gebietskörperschaften erreicht ist, ist mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden. Der Gesetzgeber hat trotz Schaffung der entwicklungsoffenen Norm des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO bislang keine hinreichenden prozeduralen Vorkehrungen geschaffen, um die Entwicklung der Aufgabenübertragungen sicher im Auge zu behalten, obwohl ihn auch aus Art. 46 Abs. 3 LV eine Prozessbeobachtungspflicht trifft, aufgrund der er der Kommunalaufsicht hierzu geeignetere Instrumentarien an die Hand zu geben hätte. Aber selbst wenn man die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung der Kommunalaufsicht insoweit für ausreichend hielte, ist nach dem Inhalt der mündlichen Verhandlung festzustellen, dass tatsächlich eine solche Beobachtung nicht erfolgt und dem Land daher nicht bekannt ist, in welchem Maße den einzelnen Ämtern Selbstverwaltungsaufgaben übertragen wurden.

89

b) Für die Ermittlung der tatsächlich auf die Ämter übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben kommen deshalb nur Anfragen an die Ämter oder die amtsangehörigen Gemeinden in Betracht. Aus Gründen der Praktikabilität werden allgemein die Ämter als für Anfragen am besten geeignet angesehen. Wie die bisherigen Untersuchungen gezeigt haben, stellt sich dabei jedoch das Problem, dass regelmäßig nicht alle Ämter antworten. Indessen sind Antworten aller Ämter entbehrlich, wenn sich bereits unter den Ämtern, deren Aufgabenbestand zuverlässig festgestellt ist, eines befindet, das nach Umfang und Gewicht den kommunalen Gebietskörperschaften vergleichbare Selbstverwaltungsaufgaben wahrnimmt (vgl. C. I. 4. b ).

90

aa) Allerdings wird die Zuverlässigkeit der Angaben seitens der Ämter angezweifelt. Bemängelt wird insbesondere, dass vielen Bearbeitern in den Ämtern die Differenzierung zwischen der Durchführung von Selbstverwaltungsaufgaben nach § 3 AO und der Wahrnehmung nach § 5 AO nicht bewusst gewesen sei, so dass viele diesbezügliche Angaben fehlerhaft seien.

91

Ebenfalls problematisch ist, dass es keinen fest umrissenen Katalog an Selbstverwaltungsaufgaben gibt, aus dem Aufgaben übertragen werden könnten und der zumindest bei einem Vergleich mit den amtsangehörigen Gemeinden eine gute Vergleichbarkeit von auf das Amt übertragenen und bei den Gemeinden verbliebenen Aufgaben ermöglichen würde. Für eine einheitliche Erfassung der Ämter muss deshalb notwendig vom Fragesteller ein Katalog vorgegeben werden, wobei durch den Grad der Feingliedrigkeit des Aufgabenkatalogs Einfluss auf die Zahl der als übertragen erfassten Aufgaben genommen werden kann.

92

Probleme bereitet auch die Bewertung eines festgestellten Befundes in quantitativer Hinsicht, da bisher offen ist, wo zahlenmäßig die Grenze für eine Vergleichbarkeit mit den kommunalen Gebietskörperschaften liegt, ja ob es eine solche überhaupt geben kann. In qualitativer Hinsicht stellt sich das Problem einer Bewertung der übertragenen und der von den Gemeinden selbst wahrgenommenen Selbstverwaltungsaufgaben. Stellt man hierbei auf den Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben ab, so erweist sich wiederum als problematisch, dass sich der Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht abstrakt bestimmen lässt (vgl. C. II. 2. b < Rn. 81>).

93

bb) Ist deshalb in mehrfacher Hinsicht nur eine Annäherung möglich, so kann gleichwohl aufgrund der bisher vorliegenden Untersuchungen bereits jetzt festgestellt werden, dass die Entwicklung bei einzelnen Ämtern so weit fortgeschritten ist, dass sie sich nach Umfang und Gewicht der von ihnen wahrzunehmenden Selbstverwaltungsaufgaben Gemeindeverbänden jedenfalls annähern.

94

Auch wenn sich einzelne Ämter bei den Untersuchungen der Differenzierung zwischen der Durchführung von Selbstverwaltungsaufgaben nach § 3 AO und der Wahrnehmung nach § 5 AO nicht bewusst gewesen sein sollten, so ist doch ein größeres Maß an fehlerhaften Antworten fernliegend, zumal die Fragebögen danach differenziert haben. Stellt man weiter nur auf die typischen Selbstverwaltungsaufgaben unter ihren allgemein verwendeten schlagwortartigen Bezeichnungen ab, lassen sich die aus den Antworten ergebenden Zahlen durchaus verwerten. Hinsichtlich der Anzahl der übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben werden schon Zahlen im einstelligen Bereich dann als problematisch angesehen, wenn alle Gemeinden die Aufgaben übertragen haben (vgl. von Mutius / Steinger, Die Gemeinde SH 1995, 231 <234> und Steinger , Amtsverfassung und Demokratieprinzip, 1997, S. 91: nicht mehr als drei, wenn alle Gemeinden die Aufgaben übertragen haben; OVG Schleswig, Beschluss vom 25. Juli 2006 - 2 LA 5/06 -, unveröffentlicht, S. 3-4: klärungsbedürftig, wenn mindestens sechs oder mehr Selbstverwaltungsaufgaben übertragen sind; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Juni 2001 - VerfGH 28/00 und 30/00 -, DVBl. 2001, 1595 <1596>: überschritten bei den nordrhein-westfälischen Landschaftsverbänden, denen durch § 5 LVerbO-NRW je nach Lesart ca. zwölf bis fünfzehn Aufgaben übertragen sind).

95

Die Bewertung der bei den Ämtern befindlichen Selbstverwaltungsaufgaben muss vor dem Hintergrund der hier in Frage stehenden Verfassungsnormen erfolgen. Da Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 3 Abs. 1 LV überall dort, wo hoheitliche Gewalt unmittelbar durch selbstständige, vom Staat weitgehend unabhängige Rechtsträger ausgeübt wird, eine aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Volksvertretung verlangen, kann es nur auf das der jeweiligen Selbstverwaltungsaufgabe innewohnende Maß an Entscheidungsverantwortung ankommen. Ein Indiz für ein hohes Maß an Entscheidungsverantwortung ist der Grad an planerischem Gestaltungsspielraum. Allerdings kann auch eine sich auf ein „Ob“ reduzierende Entscheidung von solcher Bedeutung sein, dass eine hohe Entscheidungsverantwortung besteht (in diese Richtung: von Mutius / Steinger , a. a. O. S. 234; Steinger , a. a. O., S. 91-92; Schliesky , Amt-Gemeinde-Untersuchung 2002, in: Schleswig-Holsteinischer Gemeindetag , Arbeitsheft 19, 2004, S. 9 <23-24>; das Kriterium ist im Wesentlichen deckungsgleich mit dem von der Landesregierung befürworteten Kriterium des Entscheidungsgehalts).

96

cc) Heute spricht vor diesem Hintergrund vieles dafür, dass die Institution Amt bereits als Gemeindeverband im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV zu qualifizieren ist. Schon von denjenigen Ämtern, die im Zuge der Großen Anfrage der Antragsteller geantwortet haben, nehmen mehrere Ämter eine zweistellige Zahl von ausdrücklich durch Beschluss nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AO übertragenen Selbstverwaltungsaufgaben wahr. Diese Ämter haben beim Ausfüllen der Fragebögen ausnahmslos zwischen der Wahrnehmung der Aufgabe überhaupt und der Wahrnehmung aufgrund eines Übertragungsbeschlusses differenziert, so dass die Angaben zuverlässig erscheinen. Mit der Wahrnehmung von wenigstens zehn Selbstverwaltungsaufgaben heben sich diese Ämter jedenfalls deutlich vom Zweckverband ab, welchen der Verfassungsgeber als negative Begrenzung des Gemeindeverbandes im Auge hatte (siehe C. I. 2 ).

97

Hinsichtlich der Qualität der Selbstverwaltungsaufgaben ist festzustellen, dass sich unter den übertragenen Aufgaben nicht nur solche finden, bei denen es schwerpunktmäßig um die technische Durchführung geht, wo also nur geringe Entscheidungsspielräume bestehen, sondern auch echte Planungsaufgaben. So sind dem Amt Süderbrarup von allen amtsangehörigen Gemeinden die Flächennutzungsplanung, die Landschaftsplanung, die Wirtschaftsförderung und die Ländliche Struktur- und Entwicklungsanalyse übertragen sowie von den meisten amtsangehörigen Gemeinden die Dorfentwicklungsplanung. Das sind für die Bürgerin und den Bürger bedeutsame und damit gewichtige Selbstverwaltungsaufgaben. Dem Amt Geltinger Bucht wurden die Ländliche Struktur- und Entwicklungsanalyse und die Wirtschaftsförderung von allen Gemeinden übertragen sowie von einem Drittel der Gemeinden die Dorfentwicklungsplanung, ebenso dem Amt Südangeln. Dem Amt Hürup wurden die drei vorgenannten Aufgaben von allen amtsangehörigen Gemeinden übertragen. Ausweislich der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Antragsteller (Landtags-Drucksache 16/2324, S. 7) haben sogar erste förmliche Übertragungen der Bebauungsplanung stattgefunden.

98

c) Aber selbst wenn man die Ergebnisse dieser Untersuchungen außer Betracht lassen will, ist jedenfalls festzustellen, dass der Bestand der Ämter an Selbstverwaltungsaufgaben nach Qualität und Quantität gegenüber dem Bestand 1979 deutlich zugenommen hat und dass sich die Ämter den Gemeinden und Kreisen insoweit immer weiter annähern. Dieser Befund ist bei den kommunalen Verbänden und in der Literatur auch unstreitig (neben den Antragstellern, dem Schleswig-Holsteinischen Gemeindetag, dem Städteverband Schleswig-Holstein und dem Schleswig-Holsteinischen Landkreistag auch Arndt , Die Gemeinde SH 2007, 315 <315 f.>; Borchert , Die Gemeinde SH 1994, 3 <10>; Bracker , Amtsordnung für Schleswig-Holstein - Kommentar, in: Bülow / Erps / Schliesky / von Allwörden , Kommunalrecht Schleswig-Holstein - Kommentare - Band II, Stand: 34. Nachlieferung, 2009, § 1 Erl. 1; Ernst , Das Zweite Verwaltungsstrukturformgesetz und seine kommunalrechtlichen Auswirkungen, Die Gemeinde SH 2007, 307 <309>; Groth , in: Caspar / Ewer / Nolte / Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 46 Rn. 47; von Mutius / Steinger , Die Gemeinde SH 1995, 231 <233 f.>; Schliesky , Amt-Gemeinde-Untersuchung 2002, in: Schleswig-Holsteinischer Gemeindetag , Arbeitsheft 19, 2004, S. 62-65; Schliesky / Ernst / Schulz , Aufgabenbestand, Legitimationsbedarf und Entwicklungspotential de Ämter in Schleswig-Holstein, 2009, S. 56-58, 105; Steinger , Amtsverfassung und Demokratieprinzip, 1997, S. 91-92; ders. , Demokratische Legitimation in den schleswig-holsteinischen Ämtern, in: Wewer , Demokratie in Schleswig-Holstein - Historische Aspekte und aktuelle Fragen, 1998, S. 462 f.; Wissenschaftlicher Dienst des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Gutachten zum Entwurf des Zweiten Verwaltungsstrukturreformgesetzes, Landtags-Umdruck 16/1596, S. 10 f.). Für ein Ende dieser Entwicklung oder gar die Wende zu einer gegenläufigen Entwicklung aufgrund von Rückübertragungen nach § 5 Abs. 2 AO, welche weiterhin kaum vorkommen, bestehen keine Anhaltspunkte. Es ist auch zu vermuten, dass die äußeren Rahmenbedingungen die festgestellte Entwicklung eher noch weiter begünstigen werden. Der Gemeindetag und der Landkreistag nennen eine immer stärker zunehmende Verrechtlichung und Verkomplizierung der Entscheidungsgrundlagen und Rahmenbedingungen des Verwaltungshandelns durch Gesetzgebung und Rechtsprechung, die dazu führen, dass die Aufgaben von der ehrenamtlichen Gemeindevertretung immer schwieriger bewältigt werden können (ebenso: Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 99). Auch ist eine Rückübertragung auf die dann nicht mehr auf die Aufgabenwahrnehmung eingerichtete Gemeinde mit erheblichen praktischen (vgl. Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 118) und den rechtlich hohen Hürden des § 5 Abs. 2 AO verbunden. Bereits diese, mit der ursprünglichen Einschätzung des Gesetzgebers, es werde nur wenige Aufgabenübertragungen geben, nicht mehr in Einklang zu bringende Entwicklung löst die Pflicht zur Einrichtung einer unmittelbar gewählten Volksvertretung auf Amtsebene aus.

III.

99

Das Erfordernis einer gewählten Volksvertretung nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV betrifft bei den Ämtern in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung den Amtsausschuss, der in seiner derzeitigen Zusammensetzung (§ 9 AO) keine gewählte Volksvertretung ist.

100

1. Aus dem Sinn und Zweck des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV und des ihn ergänzenden Art. 3 Abs. 1 LV folgt, dass das zentrale Beschlussorgan der jeweiligen Körperschaft aus einer Volkswahl hervorgehen muss. Die Volkswahl ist Ausdruck der Grundentscheidungen der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und der repräsentativen Demokratie. Ihre Aufgabe ist es, der jeweiligen Körperschaft die notwendige demokratische Legitimation für die Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben zu verschaffen. Das betrifft sowohl die personelle Legitimation als auch die materielle Legitimation. Bei der zu wählenden Volksvertretung muss es sich deshalb um das nächste Glied der beim Volk beginnenden Legitimationskette handeln, von der die weiteren Amtsträger der Körperschaft (sofern nicht selbst vom Volk gewählt) ihre personelle Legitimation ableiten. Und es muss sich um das Organ handeln, das die für die Körperschaft grundlegenden und besonders wichtigen Entscheidungen trifft und die anderen Organe und Amtsträger bei der Umsetzung dieser Entscheidungen kontrolliert, mithin wie bei Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG um die „zentrale Führungsinstanz“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 1978 - 2 BvR 134/76 u.a. - BVerfGE 47, 253 ff., Juris Rn. 46).

101

2. In den Ämtern in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung handelt es sich dabei um den Amtsausschuss. Der Amtsausschuss trifft alle für das Amt wichtigen Entscheidungen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AO). Er wählt die Amtsvorsteherin oder den Amtsvorsteher (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AO) und in hauptamtlich verwalteten Ämtern die Amtsdirektorin oder den Amtsdirektor (§ 15b Abs. 1 AO). Amtsvorsteherin oder Amtsvorsteher beziehungsweise Amtsdirektorin oder Amtsdirektor leiten die Verwaltung nach den Grundsätzen und Richtlinien des Amtsausschusses und im Rahmen der von ihm bereitgestellten Mittel. Sie bereiten die Beschlüsse des Amtsausschusses vor und führen sie durch (§§ 13, 15a, 15b AO).

102

3. Der Amtsausschuss ist derzeit keine gewählte Volksvertretung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV. Er setzt sich zusammen aus den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der amtsangehörigen Gemeinden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 AO) und weiteren Mitgliedern (§ 9 Abs. 1 Satz 2 AO). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 GO werden amtsangehörige Gemeinden, die nicht die Geschäfte des Amtes führen, ehrenamtlich verwaltet; die oder der Vorsitzende der Gemeindevertretung ist für die Dauer der Wahlzeit ehrenamtliche Bürgermeisterin beziehungsweise ehrenamtlicher Bürgermeister. Die oder der Vorsitzende der Gemeindevertretung wird nach § 33 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 GO von der Gemeindevertretung aus ihrer Mitte gewählt, mithin nicht unmittelbar vom Volk. Auch die weiteren Mitglieder des Amtsausschusses werden gemäß § 9 Abs. 2 AO von den Gemeindevertretungen gewählt. § 9 AO regelt die Zusammensetzung des Amtsausschusses abschließend und lässt eine Volkswahl auch für den Fall nicht zu, dass sich die Institution Amt zum Gemeindeverband entwickelt.

IV.

103

Der Verstoß von § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 9 AO gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV lässt sich nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung ausräumen. Er führt jedoch nicht zur Nichtigkeit dieser Vorschriften, sondern zur Erklärung ihrer Unvereinbarkeit mit der Landesverfassung mit der Folge, dass § 5 Abs. 1 Satz 1 AO nur noch anwendbar bleibt, soweit er die Rechtsgrundlage für bereits erfolgte Übertragungen bildet. Neue Übertragungen sind bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber unzulässig. § 9 AO bleibt weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist bis zum 31. Dezember 2014 zu einer Neuregelung verpflichtet.

104

1. Der Widerspruch der §§ 5 Abs. 1 Satz 1 und 9 AO mit der Landesverfassung lässt sich nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung ausräumen. Um den Widerspruch zu beseitigen, müsste eine verfassungskonforme Auslegung des § 9 AO dahin gehen, eine Direktwahl der Amtsausschussmitglieder generell oder ab einem im konkreten Amt vorhandenen Niveau an Selbstverwaltungsaufgaben vorzusehen. Das lässt die in § 9 AO enthaltene detaillierte Regelung der Zusammensetzung des Amtsausschusses nicht zu. In die Norm eine Direktwahl hineinzuinterpretieren, bewegte sich nicht mehr innerhalb der dort getroffenen gesetzgeberischen Grundentscheidung, die gerade eine mittelbare demokratische Legitimation des Amtsausschusses vorsieht. Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes in Widerspruch treten würde. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22. Oktober 1985 - 1 BvL 44/83 - BVerfGE 71, 81 ff., Juris Rn. 56; vom 26. April 1994 - 1 BvR 1299/89 u.a. - BVerfGE 90, 263 ff., Juris Rn. 38; und vom 19. September 2007 - 2 BvF 3/02 - BVerfGE 119, 247 ff., Juris Rn. 93, jeweils m.w.N., stRspr.).

105

Auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO, wie sie vom Landtag befürwortet wird, ist nicht möglich. Sie setzte voraus, dass eine Deutung der Vorschrift möglich ist, welche den amtsangehörigen Gemeinden eine konkrete Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben setzt, die die schleichende Entwicklung der Ämter zu materiellen Gemeindeverbänden verhindert. Grenze für die verfassungskonforme Auslegung ist der ordnungsgemäße Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. September 2007 a. a. O.). Mittels dieser Methoden lässt sich eine solche Grenze gerade nicht bestimmen (siehe C. II. 2. ). Auch der Landtag zeigt nicht auf, wie die von ihm noch für verfassungsgemäß gehaltene Auslegung der Norm konkret aussehen soll.

106

2. Die Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften führt im Regelfall zwar zu deren Nichtigkeit (§ 42 Satz 1, vgl. auch § 46 Satz 2 und § 48 LVerfGG). Ausnahmsweise sind die Vorschriften jedoch nur für unvereinbar mit der Landesverfassung zu erklären. Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Rechtsprechung zur Unvereinbarkeitserklärung ist auf die Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht übertragbar. Danach ist eine bloße Erklärung der Unvereinbarkeit mit der Landesverfassung geboten, wenn der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen, um so der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. Mai 1970 - 1 BvL 17/67 - BVerfGE 28, 227 ff., Juris Rn. 49; und vom 7. Juli 1982 - 2 BvL 14/78 u.a. - BVerfGE 61, 43 ff., Juris Rn. 64; Urteil vom 14. Juli 1986 - 2 BvE 2/84 u.a. - BVerfGE 78, 350 ff., Juris Rn. 179; Beschlüsse vom 21. Juni 1988 - 2 BvR 638/84 - BVerfGE 73, 40 ff., Juris Rn. 39; vom 29. Mai 1990 -1 BvL 20/84 u.a. - BVerfGE 82, 60 ff., Juris Rn. 133; vom 25. September 1992 - 2 BvL 5/91 u.a. - BVerfGE 87, 153 ff., Juris Rn. 88; vom 22. Juni 1995 - 2 BvL 37/91 - BVerfGE 93, 121 ff., Juris Rn. 80; und vom 22. Juni 1995 - 2 BvR 552/91 - BVerfGE 93, 165 ff., Juris Rn. 38, stRspr.).

107

Die Verfassungswidrigkeit folgt daraus, dass aufgrund des materiellen Gemeindeverbandsbegriffs der Landesverfassung § 5 Abs. 1 Satz 1 AO und § 9 AO nicht mehr miteinander harmonieren, weil angesichts der Möglichkeit, dass sich die Ämter zu Gemeindeverbänden entwickeln, möglicherweise schon entwickelt haben, ihre demokratische Legitimation nicht ausreicht oder umgekehrt angesichts ihrer nur mittelbaren demokratischen Legitimation eine weitere Entwicklung der Ämter hin zu Gemeindeverbänden, mithin die unbegrenzte Übertragungsmöglichkeit von Selbstverwaltungsaufgaben nicht zulässig ist. Dem Gesetzgeber steht es frei, wie er diese Diskrepanz auflöst. So könnte er unter anderem in § 5 Abs. 1 Satz 1 AO eine Grenze für die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben nach Quantität und Qualität einfügen. Er könnte auch in § 9 AO die Zusammensetzung des Amtsausschusses ändern und anordnen, dass seine Mitglieder vom Volk gewählt werden. Denkbar wäre weiter, dass er eine differenzierende Lösung vorsieht, wonach in Ämtern (erst) ab einem konkret bestimmten Maß an übertragenen Aufgaben die Ausschussmitglieder vom Volk zu wählen sind; er könnte also die Institution Amt in zwei Arten von Ämtern spalten. Weitere Handlungsalternativen des Gesetzgebers sind hier nicht aufzuzeigen, da bereits die genannten Möglichkeiten zeigen, dass die Vorschriften nur mit der Landesverfassung für unvereinbar zu erklären sind.

108

3. Die Unvereinbarkeitserklärung hat grundsätzlich zur Folge, dass die betroffenen Normen in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang nicht mehr angewendet werden dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 1974 - 1 BvL 22/71 u.a. - BVerfGE 37, 217 ff., Juris Rn. 127; Urteile vom 3. November 1982 - 1 BvR 620/78 u.a. - BVerfGE 61, 319 ff., Juris Rn. 101; und vom 14. Juli 1986 - 2 BvE 2/84 u.a. - BVerfGE 73, 40 ff., Juris Rn. 180, stRspr.). Ausnahmsweise sind verfassungswidrige Vorschriften aber ganz oder teilweise weiter anzuwenden, wenn die Besonderheit der für verfassungswidrig erklärten Norm es aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere aus solchen der Rechtssicherheit, notwendig macht, die verfassungswidrige Vorschrift als Regelung für die Übergangszeit fortbestehen zu lassen, damit in dieser Zeit nicht ein Zustand besteht, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als der bisherige (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 1974 a. a. O., Juris Rn. 128; Urteil vom 3. November 1982 a. a. O.; und Beschluss vom 25. September 1992 - 2 BvL 5/91 u.a. - BVerfGE 87, 153 ff., Juris Rn. 88).

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a) So verhält es sich mit § 9 AO. Die hierdurch vermittelte demokratische Legitimation des Amtsausschusses genügt zwar mittlerweile nicht mehr den Anforderungen der Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV, verschafft den Ämtern aber im Selbstverwaltungsbereich immerhin ein beträchtliches Maß an mittelbarer demokratischer Legitimation. Die Vorschrift nicht mehr anzuwenden, entzöge den Ämtern im Selbstverwaltungsbereich jegliche personelle demokratische Legitimation. Das wäre mit der Intention des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV schlechterdings unvereinbar.

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b) Ferner muss § 5 Abs. 1 Satz 1 AO insofern anwendbar bleiben, als er die Rechtsgrundlage für bis einschließlich 26. Februar 2010 erfolgte Übertragungen bildet. Andernfalls wären sämtliche bisherigen Übertragungen nichtig, wobei dann noch der genaue Zeitpunkt festzustellen wäre, ab dem die Entwicklung zu einer Nachbesserungspflicht geführt hatte. Damit fielen ab diesem Zeitpunkt sämtliche Selbstverwaltungsaufgaben ohne Übergangsfrist auf die Gemeinden zurück. Dies würde die ordnungsgemäße Wahrnehmung dieser Selbstverwaltungsaufgaben gefährden.

111

Neue Übertragungen sind demgegenüber bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber unzulässig.

112

Die Möglichkeiten nach § 3 AO bleiben unberührt.

113

5. Als angemessene Frist zur Beseitigung der verfassungswidrigen Rechtslage kommt grundsätzlich die Dauer einer Legislaturperiode in Betracht ( Lechner / Zuck , Bundesverfassungsgerichtsgesetz - Kommentar, 5. Aufl., 2006, § 78 Rn. 11 m.w.N.). Das erscheint auch vorliegend angemessen. Dementsprechend hat sich die bis zum 31. Dezember 2014 gesetzte Frist an Art. 13 Abs. 1 Satz 1 LV orientiert.

114

Anlass, darüber zu entscheiden, welche Rechtsfolgen bei Verstreichen der Frist eintreten, besteht derzeit nicht, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Gesetzgeber nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist tätig werden wird.

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6. Für die Neuregelung ist auf Folgendes hinzuweisen:

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a) Entschließt sich der Gesetzgeber dafür, die Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter zu beschränken, um die Entwicklung der Ämter zu Gemeindeverbänden aufzuhalten, obliegt es zunächst ihm, die Voraussetzungen für die Entwicklung zum Gemeindeverband nach Umfang und Gewicht der übernommenen Selbstverwaltungsaufgaben innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens der Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 3 Abs. 1 LV zu konkretisieren. Nach den Ausführungen zur Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AO (siehe C. II. 2. ) wird dies nur mittels Aufstellung eines Kataloges an Selbstverwaltungsaufgaben möglich sein. Eine abstrakte Kernbereichssperre (erwogen von Schliesky / Ernst / Schulz , Aufgabenbestand, Legitimationsbedarf und Entwicklungspotential der Ämter in Schleswig-Holstein, 2009, S. 132 f.) erscheint mangels hinreichender Bestimmbarkeit des Kernbereichs gemeindlicher Selbstverwaltung (siehe C. II. 2. b ) ungeeignet. Ein Katalog könnte auch Aufgaben mit mehr oder weniger Entscheidungsverantwortung abstufen. Die Ausgestaltung steht grundsätzlich im Ermessen des Gesetzgebers. Sofern der Gesetzgeber aber mit einer Zahl der übertragbaren Aufgaben den verfassungsrechtlichen Rahmen ausschöpfen will, ist darauf hinzuweisen, dass sich eine Zahl der gerade noch keine Qualifizierung als Gemeindeverband auslösenden Aufgaben nicht abstrakt bestimmen lässt, da sie von dem erst festzulegenden Aufgabenkatalog und einer etwaigen Qualitätsabstufung abhängt.

117

Gegebenenfalls können in einzelnen Ämtern Rückübertragungen – nicht notwendig von allen Selbstverwaltungsaufgaben (erwogen von Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 118) – erforderlich werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschrift des § 5 Abs. 2 AO, welche im vorliegenden Verfahren nicht zur Überprüfung stand, insofern verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, als sie Rückübertragungen nur unter engen Voraussetzungen zulässt. Wenn sich eine Gemeinde entschließt, eine vormals gemeindliche Selbstverwaltungsangelegenheit wieder selbst wahrzunehmen, ihrem Rückübertragungsverlangen aber die engen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 AO entgegenstehen, liegt darin ein Eingriff in ihr Recht aus Art. 46 Abs. 1 LV. Denn die Aufgabe, der sie sich nur freiwillig begeben hatte, fällt weiterhin in den Schutzbereich der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie. Einer Rechtfertigung im Sinne von § 46 Abs. 1 letzter Halbsatz LV dürfte schon entgegenstehen, dass die Amtsordnung insgesamt das Ziel verfolgt, die Selbstverwaltung der amtsangehörigen Gemeinden zu stärken (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AO), also ein Angebot an die Gemeinden darstellt und diesen nicht gegen ihren Willen Selbstverwaltungsaufgaben vorenthalten soll. Zur Erreichung dieses Ziels erscheint es nicht erforderlich, Rückübertragungsverlangen auf Fälle der Unzumutbarkeit zu beschränken. Unbedenklich erschiene demgegenüber eine Regelung wie in § 24 Abs. 1 Satz 2 AO, der für Rückübertragungen keine solche Einschränkung enthält.

118

b) Entschließt sich der Gesetzgeber zur Einführung einer Volkswahl auf Amtsebene, ist zu beachten, dass es sich um eine selbstständige Wahl handeln muss. Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 LV handelt das Volk durch seine „gewählten Vertretungen“ im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden. Das bedeutet, dass jede der aufgeführten beziehungsweise unter den Sammelbegriff des Gemeindeverbandes fallenden Körperschaften über eine selbstständige, vom Volk gewählte Vertretung verfügen muss, so wie der Kreistag getrennt von den Gemeindevertretungen der kreisangehörigen Gemeinden gewählt wird. Eine nicht bloß zeitliche, sondern auch inhaltliche Kopplung der Wahl an die Wahlen der Mitglieder der Gemeindevertretungen oder der Bürgermeisterinnen beziehungsweise Bürgermeister der amtsangehörigen Gemeinden wie sie de facto bei der wieder abgeschafften Amtsversammlung vorgesehen war (und von Schliesky / Ernst / Schulz , a. a. O., S. 121-127, befürwortet wird), wäre mithin unzulässig. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Ämter keine Gebietskörperschaften sind und nicht von den Einwohnerinnen und Einwohnern des Amtsgebietes, sondern von den Gemeinden als juristische Personen getragen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 – BVerfGE 52, 95 ff., Juris Rn. 74-76). Für die Wahl ihrer Volksvertretung wird diese bundkörperschaftliche Struktur nämlich von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 LV durchbrochen. Sie ist unmittelbare Folge der Anerkennung von Gemeindeverbänden, die nicht gebietskörperschaftlich aufgebaut sind.

119

Im Übrigen ist die Ausgestaltung des Wahlverfahrens im Rahmen des Art. 3 LV Sache des Gesetzgebers (vgl. Art. 3 Abs. 4 LV).

V.

120

Das Verfahren ist kostenfrei (§ 33 Abs. 1 LVerfGG). Eine Kostenerstattung findet nicht statt (§ 33 Abs. 4 LVerfGG). Eine Entscheidung über die Vollstreckung entfällt (§ 34 LVerfGG).

VI.

121

Das Urteil ist einstimmig ergangen.