Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 16. Juni 2015 - L 7 VE 19/11

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2015:0616.L7VE19.11.0A
16.06.2015

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. Oktober 2011 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Umstritten ist, ob der Klägerin eine Beschädigtenversorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitationsgesetz (StrRehaG) zu gewähren ist.

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Die am ... 1965 geborene Klägerin wurde am 2. Dezember 1982 durch das Kreisgericht St. wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. In der Zeit vom 27. September 1982 bis 6. Mai 1983 befand sich die Klägerin in Haft und währenddessen zeitweise auch in einem Haftkrankenhaus. Mit Beschluss des Landgerichts M. vom 28. September 1992 (Aktenzeichen Reh. XX) wurde sie für den Zeitraum vom 27. September 1982 bis 6. Mai 1983 wegen der erlittenen Freiheitsstrafe rehabilitiert. Nach einem Auswertungsbericht der Kriminalpolizei H. vom 9. November 1982 sei die Klägerin am 27. September 1982 in einen Reisezug in Fahrtrichtung BRD in M. eingestiegen und habe sich dort auf der Toilette versteckt. Dort sei sie von Sicherheitskräften vorläufig festgenommen worden. Als Motiv zum ungesetzlichen Verlassen der DDR habe sie Schwierigkeiten im Betrieb angegeben.

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Am 20. Juli 2005 beantragte die Klägerin beim Beklagten wegen haftbedingter gesundheitlicher Schäden Versorgungsleistungen und machte geltend: Ihre psychische Erkrankung sei im Jahr 1997 ausgebrochen und stehe im Zusammenhang mit ihrem Aufenthalt im Haftkrankenhaus. Hier sei sie wegen einer Blinddarmentzündung sowie einer anschließenden Lungenentzündung behandelt worden. Nach der Haftentlassung habe sie an Sehstörungen und weiteren Erkrankungen gelitten. In einem beigefügten Attest vom 3. November 1999 führte die Fachärztin für Neurologie Dr. G. aus: Die Klägerin sei bei ihr wegen einer psychischen Erkrankung seit Juli 1997 in Behandlung. Am 5. August 2005 ergänzte die Klägerin ihren Sachvortrag und führte aus: Ihr sei im Jahr 1983 im Haftkrankenhaus M. der Blinddarm entfernt worden. Anschließend sei sie an einer doppelseitigen Lungenentzündung erkrankt. Der Gesundheits- und Geisteszustand habe sich seit dieser Zeit geändert. Die Operation habe zu einer Schädigung ihres Gehirns geführt.

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Der Beklagte zog Unterlagen der Klägerin aus dem Bundesarchiv bei. Hiernach habe sich die Klägerin zunächst in der Untersuchungshaftanstalt (UHA) H. und seit dem 23. Dezember 1982 im Jugendhaus (JH) H. befunden. Seit dem 24. März 1983 sei sie dann im Haftkrankenhaus L. behandelt worden.

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Ausweislich der aus einem Schwerbehindertenverfahren beigezogenen Akten hatte die Klägerin am 4. Mai 1998 einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung wegen eines psychischen Leidens gestellt. Das Amt für Versorgung und Soziales M. zog einen Befundschein des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. B. vom 29. Juni 1998 bei, der angab: Die Klägerin habe über Unruhe, Ängste und zeitweise über Wahngedanken geklagt. Diagnostisch sei von einer schizoaffektiven Psychose auszugehen. In einem beigefügten Arztbrief des Landeskrankenhauses B., Klinik für Psychiatrie, gab der Klinikdirektor Dr. F. zu einem stationären Aufenthalt vom 10. Juni bis 4. Juli 1997 an: Die Klägerin habe angegeben, bei sich seit Ende März 1997 Persönlichkeitsänderungen festgestellt zu haben. Aus unerklärlichem Antrieb habe sie begonnen ist fast exzessiver Form seitenweise Abschnitte aus Fachbüchern abzuschreiben und ihren ganzen Tagesablauf darauf ausgerichtet. Sie habe überlegt, ob dies eventuell Folge einer früheren Republikflucht sei. Auch habe sie über ein Entfremdungsempfinden gegenüber ihrem Ehemann berichtet. Die Persönlichkeitsänderung könne im Zusammenhang mit der Akteneinsicht in ihre Stasi-Akte bei der Gauck-Behörde im März 1997 stehen. Im Mai 1997 sei sie dann zu ihrer Hausärztin gegangen und habe dort geäußert, sie sei der "liebe Gott". Familienanamnestisch bestünde eine nervliche Belastung der Mutter. Die Klägerin habe an sich phasenweise Antriebsminderungen sowie ein oftmals tyrannisches Verhalten gegenüber ihren Kindern festgestellt. Psychopathologisch habe sie verschlossen und misstrauisch gewirkt. Sie sei eigenbrötlerisch, zurückgezogen und kontaktabweisend. Während des Aufenthaltes habe sie zwanghaft Fachliteratur abgeschrieben, die oberhalb ihres intellektuellen Leistungsvermögens gestanden habe. Diagnostisch bestehe der Verdacht auf eine schizotype Störung. Nach einem beigezogenen Rentengutachten vom 27. Mai 1998 wurde bei der Klägerin die Diagnose einer schizoaffektiven Psychose bei familiärer Belastung gestellt, die sich auf eine leichte geistige Behinderung im Bereich der Debilität "aufgepfropft" habe. Der Versorgungsarzt Dr. H. schlug in Auswertung der Befunde einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 wegen einer seelischen Störung vor. Mit Bescheid vom 9. September 1999 stellte das Amt für Versorgung und Soziales einen GdB von 50 fest. Im Jahr 2000 wurden im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens medizinische Ermittlungen durchgeführt. Die Kreiskliniken A. berichteten in einem Arztbrief vom 24. Januar 2000 über einen teilstationären Aufenthalt der Klägerin vom 14. September bis 22. Oktober 1999. Hiernach bestehe eine schizoaffektive Psychose mit häufigen depressiven Verstimmungen sowie eine Antriebsminderung und eine leichte Irritierbarkeit mit Konzentrationsstörungen. Eine Arbeitsaufnahme sei der Klägerin unmöglich. Dr. B. berichtete am 3. Dezember 2000 den Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente durch die Klägerin. Ihre Leberwerte seien medikamentös erhöht. Nach einem weiteren Überprüfungsverfahren hielt das Versorgungsamt nach erneuten medizinischen Ermittlungen an dem GdB von 50 fest. Dr. G. diagnostizierte in einem Befundschein vom 2. Juni 2003 eine schizoaffektive Psychose mit häufigen depressiven Verstimmungen, eine Antriebsminderung sowie eine leichte Irritierbarkeit und Konzentrationsstörungen. Am 23. September 2005 wiederholte Dr. G. die bekannten Diagnosen und gab an, dass die Klägerin in eine kleine Wohnung gezogen sei und die Scheidung von ihrem Ehemann eingereicht habe. Beide Kinder wohnten nun beim Vater. Unter dem 7. September 2004 berichtete der Chefarzt des Kreiskrankenhauses St. nach einem Suizidversuch über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 5. bis 7. September 2004 mit der Diagnose einer gemischten schizoaffektiven Psychose. Oberärztin H. (Fachkrankenhaus B.) berichtete am 13. Januar 2005 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 7. September bis 7. Oktober und vom 13. Oktober bis 11. November 2004. Hiernach leide die Klägerin an einer paranoiden Schizophrenie. Sie sei auf paranoide Gedankengänge verengt, erlebe Bedrohungen sowie optische und akustische Halluzinationen.

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In einem beigezogenen Gutachten für die Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt führte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. am 1. April 2000 (Untersuchung vom 31. März 2000) aus: Nach der Familienanamnese sei die Mutter seit Jahren psychisch krank. Von den fünf Geschwistern besuchten zwei die Sonderschule. Die Tante der Klägerin habe vier geistig behinderte Kinder zur Welt gebracht und selbst an einer psychischen Erkrankung gelitten. Die Klägerin habe die erste und sechste Klasse wiederholt. Hintergrund sei ein Autounfall als Kind mit einem Schädelhirntrauma gewesen. Von 1980 bis 1987 habe sie als Bandarbeiterin im Fernsehwerk St. gearbeitet. Daran habe sich eine Tätigkeit von 1987 bis 1991 als Reinigungskraft angeschlossen. Als Jugendliche habe sie acht Monate in Jugendhaft verbracht, was sie psychisch stark belastet habe. Im März 1997 sei sie erstmals psychisch krank geworden. Seit 1997 habe sie sich mehrfach in der psychiatrischen Tagesklinik behandeln lassen. Sie habe Schlafstörungen angegeben, weine nachts und grüble wegen ihrer früheren Haftstrafe. Sie habe Angst, wieder stationär aufgenommen zu werden. Sie höre Männerstimmen, die ihr befehlen, sich umzubringen. Sie habe aber noch keine Suizidversuche unternommen. Den Tagesablauf könne sie nicht mehr planen und gestalten. Nach Angaben des Ehemannes könne sie nur mit fremder Hilfe die Alltagsaufgaben bewältigen. Diagnostisch bestehe eine schizoaffektive Störung, eine chronische Depressivität sowie eine Intelligenzminderung.

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Der Beklagte zog Unterlagen der Justizvollzugsanstalt L. aus der Haftzeit der Klägerin bei. Dort teilte die in der Haft angegliederte Frauenklinik unter dem 21. März 1983 mit: Am Einweisungstag des 11. März 1983 sei bei der Klägerin eine Appendektomie (Blinddarmentfernung) wegen einer akuten Entzündung durchgeführt worden. Der Verlauf habe sich durch eine beginnende Lungenentzündung verkompliziert. Nach der Behandlung mit Penicillin seien die Symptome wieder abgeklungen. Die Klägerin sei in 14 Tagen wieder arbeitsfähig. In einem Untersuchungsbogen vom 28. September 1982 und vom 14. Januar 1983 schätzte das Ministerium des Innern die Klägerin als psychisch normal ein.

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Der Beklagte ließ den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. ein Gutachten vom 5. Mai 2006 erstellen (Untersuchung vom 2. Mai 2006), der ausführte: Nach Angaben der Klägerin leide ihre Mutter an einer Psychose und habe sich häufig in stationärer Behandlung befunden. Die Symptome der Erkrankung seien die gleichen wie bei ihr. Die Republikflucht habe im Zusammenhang mit einer sexuellen Belästigung durch den Bruder und körperlichen Misshandlungen seitens der Mitschüler in der Berufsschule gestanden. Während der Untersuchungshaft und im Jugendgefängnis sei sie von Mitgefangenen mit einem Messer bedroht worden. Seit der Haft habe sie ständig Kopfschmerzen, die oft bis zu zwei Wochen andauerten. Im Jahr 1997 sei sie mit ihrem damaligen Ehemann zu einem Bekannten nach K. gefahren. Dies sei seit 1989 das erst Mal gewesen, dass sie die ehemalige innerdeutsche Grenze überquert habe, da sie in ständiger Angst gewesen sei, wieder verhaftet zu werden. Beim Überfahren der Grenze habe sie sofort Kopfschmerzen, Schwindel sowie Brechreiz verspürt. In K. angekommen, habe sie an inneren Ängsten und Unruhe gelitten, was zum Abbruch der Reise geführt habe. Zu Hause angekommen habe sie sich in psychiatrische Behandlung begeben müssen. Im Jahr 2004 sei sie nach Sp. geflogen, habe sich aber während der ganzen Urlaubszeit nur im Hotelzimmer aufgehalten. Nach der Rückkehr habe sie sich das Leben nehmen wollen und sei wiederum psychiatrisch behandelt worden. Sie sei nicht gern allein und schon als Kind einzelgängerisch und gehemmt gewesen. Ihr neuer Freund habe sehr viel Verständnis für sie. In der Freizeit gehe sie mit ihm viel Spazieren oder fahre Rad. Stimmen habe sie nicht mehr gehört. Den Haushalt könne sie selbst bewältigen. Bei Behördenangelegenheiten erhalte sie Hilfe von ihrem Freund. Zudem beschäftige sie sich mit Kartenspielen und kirchlichen Aktivitäten (z.B. Austragen des Gemeindebriefs, Lesen kirchlicher Literatur und Sehen kirchlicher Fernsehsendungen). Sie führe die psychische Erkrankung auf die Blinddarmoperation sowie die Lungenentzündung in der Haft zurück. Der Sachverständige diagnostizierte eine schizoaffektive Psychose sowie eine primär neurasthenisch selbstwertgestörte Persönlichkeit. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der in der Haft erlittenen Blinddarmoperation und Pneumonie und der psychiatrischen Erkrankung sei unwahrscheinlich. Schizoaffektive Psychosen würden nicht nur durch körperliche Erkrankungen ausgelöst. Zudem fehle es an den notwendigen Brückensymptomen im Zeitraum zwischen 1983 bis 1997, die für das haftbedingte Entstehen einer psychischen Erkrankung hätten sprechen können. Überdies spiele die genetische Disposition beim Auftreten einer schizophrenieformen Erkrankung eine Rolle. Diese genetische Belastung sei bei der Klägerin anzunehmen, da ihre Mutter an einer vergleichbaren Erkrankung leide.

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Mit Bescheid vom 19. Mai 2006 lehnte der Beklagte den Antrag ab. In ihrem Widerspruchsschreiben vom 16. Juni 2006 führte die Klägerin aus: Jede Zugfahrt löse bei ihr fluchtbedingt panische Angstzustände aus. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2007 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und verwies zur Begründung auf das Gutachten von Dr. D.

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Am 23. November 2007 hat die Klägerin, nunmehr anwaltlich vertreten, beim Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben und vorgetragen: Sie gehe davon aus, dass die Inhaftierung bei ihr zu einer erheblichen psychischen Belastung und Erkrankung geführt habe. Sie sei zu dieser Zeit mehrfach in verschiedene Haftanstalten verlegt worden und dabei wie Vieh transportiert worden. Das während der Haft Erlebte verursache bei ihr panische Angstzustände bei jeder Zugfahrt. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin Ablichtungen ihres Sozialversicherungsausweises zur Gerichtsakte gereicht (Bl. 21-23 d.GA). Seit dem Jahr 1985 habe sie unter Hautausschlag, starken Kopfschmerzen sowie Angstzuständen gelitten. Über ihre psychischen Ängste habe sie mit den behandelnden Ärzten nicht gesprochen, da sie ihre Arbeit nicht habe verlieren wollen. Aufgrund des jugendlichen Alters habe sie die Inhaftierung wesentlich schlechter bewältigen können als ein Erwachsener. Ein genetischer Faktor für das Entstehen der psychischen Erkrankung sei dagegen bedeutungslos. So hätten sich ihre beiden Kinder normal entwickelt. Auch ihre Geschwister litten nicht an psychischen Erkrankungen. In der Zeit vom 24. November bis 15. Dezember 2010 habe sie sich stationär in der Rehabilitationsklinik G. See L. behandeln lassen. In einem beigefügten Arztbrief vom 14. Dezember 2010 berichtete der Chefarzt S. über eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung nach Extrembelastung, eine somatoforme Schmerzstörung sowie eine schizoaffektive Störung.

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Der Beklagte hat demgegenüber an seiner bisherigen Bewertung festgehalten: Nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis lasse sich eine psychiatrische Erkrankung nicht belegen. Zwar bestehe Ungewissheit über die Ursachen von schizophrenieformen Erkrankungen. Wegen des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs bleibe jedoch auch für eine sog. "Kann-Versorgung" kein Raum.

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Das SG hat die Schwerbehindertenakte sowie das Gutachtenheft der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt und einen Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin S. vom 20. Oktober 2008 beigezogen. Diese hat angegeben: Bei der Klägerin sei eine paranoide halluzinatorische Psychose, eine chronische Bronchitis, eine arterielle Hypertonie sowie ein Diabetes mellitus zu diagnostizieren. Die Auswirkungen der psychiatrischen Erkrankung schwankten und würden mit Psychopharmaka behandelt. In einem beigefügten Arztbrief der Psychiatrischen Tagesklinik St. vom 10. Oktober 2005 berichtete die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. über eine teilstationäre Behandlung vom 29. August bis 30. September 2005. Die Aufnahme sei wegen Schlafstörungen erfolgt. Diagnostisch sei von einer gemischten schizoaffektiven Störung auszugehen.

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Das SG hat ein Sachverständigengutachten vom Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Psychiatrie Prof. Dr. F. vom 4. Januar 2011 eingeholt. Nach der Anamnese hat die Klägerin angegeben: Die Haft vom 27. September 1982 bis 6. Mai 1983 sei das schlimmste Erlebnis ihres Lebens gewesen. Dies habe sie geradezu als "Folter" erlebt, bei der sie mehrfach in Lebensgefahr geschwebt habe. Vor der Haft sei sie körperlich gesund und widerstandsfähig gewesen. Schicksalsschläge hätten ihr zu dieser Zeit nichts ausgemacht. So habe sie den toten Sohn ihrer Cousine gefunden, der unter der Bettdecke erstickt sei. Seit der Haft sei sie dagegen ein "Wrack". Nach der Entlassung sei sie orientierungslos gewesen und habe zeitweise nicht gewusst, wer sie wirklich sei. Sie habe an Albträumen gelitten, die mit der Haft zu tun gehabt hätten. Sie sei nach der Haft auch licht- und lärmempfindlich geworden, hätte Angstzustände und Panikattacken bekommen, wenn sie an die Haft erinnert worden sei. Beispielsweise habe sie nicht mehr mit dem Zug oder dem Bus fahren können. Auch habe sie nicht mehr zu Ärzten gehen wollen, weil sie Angst gehabt habe, wieder in ein Haftkrankenhauses zu kommen. In zwei Fällen sei sie von Mitgefangenen mit dem Messer angegriffen worden. Beim ersten Mal seien Mitgefangene und beim zweiten Mal Gefängnispersonal dazwischen gegangen. Nach der Inhaftierung sei sie in U-Haft gekommen und mit dem Zug "wie Vieh" in fünf verschiedene Haftanstalten transportiert worden. Bei ihrer Gerichtsverhandlung habe sie niemand aus der Verwandtschaft unterstützt. Als politische Gefangene sei sie in Einzelhaft gekommen. Nachts sei sie zu Verhören abgeholt worden. Der Familie seien zudem Repressalien angedroht worden. Sie könne sich jedoch an keine Details erinnern. Wenn sie sich an diese Zeit erinnern wolle, bekomme sie rasende Kopfschmerzen. Sie habe während der Verhöre Todesangst gehabt. Bei der Entlassung habe sie eine Schweigeerklärung unterzeichnet. Darin sei ihr verboten worden, sich gegenüber Dritten oder auch Ärzten wegen der Haftfolgen anzuvertrauen. Deshalb habe sie auch Dritten nie etwas darüber erzählt. Nach der Haftentlassung habe sie bei verschiedenen Verwandten gewohnt. Die Mutter habe sie nicht mehr aufnehmen wollen, da sie eine "Staatsfeindin" gewesen sei. Bei der Arbeit im Fernsehgerätewerk habe sie häufig an Infekten und Ängsten gelitten, die sie in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt hätten. Ihren Mann habe sie 1987 geheiratet. Sie sei von 1988 bis 1990 wegen der Geburt der Kinder zu Hause geblieben. Zur Ablenkung von den Ängsten habe sie den Realschulabschluss nachgeholt. Nach Einsicht in ihre Stasi-Akten im März 1997 seien die alten Ängste wieder zurückgekommen und hätten sich die Krankheitsphasen verstärkt. Dies habe dann auch zur Erwerbsunfähigkeitsrente und zur Anerkennung der Schwerbehinderung geführt. Wegen eines Entfremdungsgefühls habe sie sich im Jahr 2006 von ihrem Ehemann scheiden lassen. Seit dem Jahr 2006 arbeite sie als Lageristin sowie Gabelstaplerfahrerin. Hier fühle sie sich wertgeschätzt, habe einen strukturierten Alltag und eine gewisse Routine, was ihr ein Sicherheitsgefühl vermittle. Seit fünf Jahren habe sie wieder eine stabile Beziehung.

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Bei der körperlichen sowie neurologischen Untersuchung habe der Sachverständige keine funktionalen Einschränkungen feststellen können. Im psychischen Befund habe sich unter der Oberfläche Unsicherheit, Ängstlichkeit sowie Misstrauen gezeigt. Die Schilderungen über die Haft erschienen dominant. Die Klägerin habe unruhig gewirkt, als sie Ähnlichkeiten des Untersuchungszimmers mit der damaligen Haftzelle festgestellt habe. Die Erzählungen außerhalb der Haft hätten etwas undifferenziert und wenig lebhaft gewirkt. Nur über ihre Kinder habe sie mit Stolz und Freude berichtet. Die Klägerin sei eine eher einfache Primärpersönlichkeit mit niedrigem bis mittlerem Intelligenzniveau. Im Affekt habe sie ratlos und etwas verarmt gewirkt. Die Schwingungsfähigkeit sei eingeschränkt.

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Wegen einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (Einzel-GdB 70) sowie einer rezidivierenden depressiven Störung (Einzel-GdB 70) sei ein Gesamt-GdB von 80 zu bilden. Die Annahme, eine schizophreniforme Erkrankung könne allein durch genetische Prädispositionen ausgelöst werden, sei veraltet. Aktuell werde in der Wissenschaft ein multifaktorieller Ansatz vertreten. Die vorhergehenden Gutachter hätten übersehen, dass die Klägerin bereits kurz nach der Entlassung an psychischen Symptomen gelitten habe.

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Der Beklagte ist dem Sachverständigengutachten entgegengetreten: Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer daraus resultierenden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung sei nicht im Vollbeweis gesichert. So werde diese Diagnose in den ersten psychiatrischen Befunden des Jahres 1997 nicht genannt. Vielmehr seien alle behandelnden Ärzte bislang von einer schizoaffektiven Störung bzw. Psychose ausgegangen. Offenbar stütze sich der Sachverständige Prof. Dr. F. ausschließlich auf die anamnestischen Angaben der Klägerin. Im Vergleich zur Exploration bei Dr. D. und sei die Klägerin bei Prof. Dr. F. in der Darstellung ihre Hafterlebnisse weit ausführlicher geworden. Prof. Dr. F. habe diese Angaben nicht kritisch hinterfragt. So hätte sich auch eine Befragung des geschiedenen Ehemanns angeboten. Zur Bekräftigung hat der Beklagte eine Stellungnahme der Ärztlichen Gutachterin S. vom 25. Februar 2011 vorgelegt, die ausgeführt hat: Von den zahlreichen Behandlern und Gutachtern sei die Erkrankung der Klägerin jeweils übereinstimmend dem schizophrenen Formenkreis mit depressiver Begleitsymptomatik zugeordnet worden. Für die versorgungsmedizinische Bewertung seien die Anhaltspunkte 2008 Teil C, Kap. 69 zugrunde zu legen. Die posttraumatische Belastungsstörung sei nicht durch objektive Befunde belegt. Auch nach dem Jahr 1989 sei eine Inanspruchnahme fachärztlicher Hilfe ohne jede Gefährdung möglich gewesen. Für keinen der behandelnden Ärzte habe Anlass bestanden, eine posttraumatische Belastungsstörung nach Extrembelastung anzunehmen. Die von Prof. Dr. F. diagnostizierten Persönlichkeitsveränderungen (Misstrauen, soziale Entfremdung, Rückzug) seien Ausdruck der bekannten Erkrankung des schizophrenen Formenkreises. Sie seien typisch für Menschen, die bereits längere Zeit unter dieser Erkrankung leiden. Akustische Halluzinationen seien ein klassisches Symptom einer Schizophrenie. Depressive Episoden seien Ausdruck einer affektiven Störung, die mit der schizoaffektiven Psychose einhergingen. Die Bewertung eines GdS von 80 sei weit überhöht.

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Prof. Dr. F. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 28. Juni 2011 an seiner bisherigen Auffassung festgehalten und ausgeführt: Der Beklagte gehe nicht von den derzeit gültigen Diagnosekriterien aus. Diese verlangten für eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung das Vorliegen eines Traumas, anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Bedrohung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen, lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume oder innere Bedrängnis, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stünden. Zudem bestehe eine feindliche oder misstrauische Haltung der Welt gegenüber, sozialer Rückzug, das Gefühl der Leere oder Hoffnungslosigkeit, das chronische Gefühl von Nervosität bei ständigem Bedrohtsein sowie eine Entfremdung. Bei einem Residualzustand bei einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis bestehe dagegen ein auffälliges Vorhandensein von negativen schizophrenen Symptomen wie psychomotorische Verlangsamung, verminderte Aktivität, Affektverflachung, Verarmung von Menge und Inhalt des Gesprochenen, geringe nonverbale Kommunikation, Vernachlässigung der Körperpflege und sozialer Leistungsfähigkeit. Zudem müsse eine eindeutig psychotische Episode vorhanden sein und ein Zeitraum von wenigstens einem Jahr, währenddessen die Intensität und Häufigkeit von floriden Symptomen mit Wahn und Halluzinationen gering oder wesentlich gemindert gewesen seien. Die Klägerin habe in der Untersuchung eindeutig wahrnehmbar unter Angst und körperlichen Angstäquivalenten gelitten. Die offensichtlich und eindeutig vorliegende schwere Hafttraumatisierung sei bisher nicht ausreichend diagnostisch gewürdigt worden. Hierin zeige sich "ein bedrückendes Ausblendungsverhalten der behandelnden Ärzte und Gutachter". In den klinischen Behandlungsunterlagen und Gutachten fänden sich "zwingende Belege für eine politische Traumafolgestörung, deren diagnostische Unterbewertung nicht nachvollziehbar" sei. Unter wörtlicher Zitierung weiterer Befunde sei es nach Akteneinsicht zu einer Retraumatisierung mit Übererregbarkeit, Schlafstörungen, Grübeln, Irritierbarkeit und Misstrauen gekommen. Der Zeitraum zwischen Haft und erstmaligen Auftreten erheblicher Symptome spreche nicht gegen eine posttraumatische Belastungsstörung. Offensichtlich habe bereits eine chronifizierte Erkrankung vorgelegen, die dann im Jahr 1997 endgültig dekompensiert sei. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen oder Widersprüchlichkeiten hätten sich an keiner Stelle gezeigt. Anhand der jetzigen Symptome sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass ein ursächlicher von Haftzeit und Erkrankung bestehe. Der GdB von 80 sei gerechtfertigt, da die Klägerin an schwersten Anpassungsstörungen leide. Nur nach jahrelanger psychotherapeutischer Behandlung habe sie sich auf ein immer noch äußerst reduziertes Anpassungsniveau bringen können. Sie habe schwere Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die "dramatische" Unfähigkeit, vertrauensvolle Beziehung einzugehen, sei die wesentliche und anhaltende Schädigungsfolge. Die Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sei dabei die ausschlaggebende Hauptdiagnose.

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Der Beklagte hat seine bisherige Auffassung bekräftigt und ausgeführt: Bereits die Kausalitätsbetrachtung des Sachverständigen sei nicht nachvollziehbar. Die teilweise heftige Kritik des Sachverständigen an den vorbehandelnden Ärzten und Gutachtern zeige ein falsches Rechtsverständnis zur Neutralität von Gutachtern und eine Verschiebung der Akzente zu Gunsten der Klägerin. Der Sachverständige habe wiederholte Aussagen der Klägerin in den eingeholten Befunden, wonach sie Männerstimmen gehört habe sowie die Familienanamnese nicht gewürdigt. In einer Stellungnahme des Versorgungsärztlichen Dienstes vom 7. September 2011 hat die Gutachterin S. geltend gemacht: Sämtliche Nervenärzte, die die Klägerin bis zur Begutachtung von Prof. Dr. F. behandelt hätten, hätten übereinstimmend eine Erkrankung des schizophrenen Formenkreises angenommen. Auch werde die Klägerin seit April 2011 mit Zeldox behandelt, was zur Behandlung von schizophrenen Patienten vorgesehen sei. Prof. Dr. F. habe die Vorgaben der AHP 2008 Teil C, Kapitel 69 nicht beachtet. Darin seien Grundsätze der versorgungsrechtlichen Anerkennung von Psychosen geregelt. Der von ihm angenommene GdB von 80 setze schwere soziale Anpassungsstörungen voraus, die bei der Klägerin nicht gegeben seien.

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Mit Urteil vom 27. Oktober 2011 hat das SG die Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, eine schwere psychische Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen anzuerkennen und der Klägerin ab 1. Juli 2005 eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 50 zu zahlen. Zur Begründung hat es sich im Wesentlichen auf das Sachverständigengutachten von Prof. Dr. F. gestützt.

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Der Beklagte hat gegen das ihm am 1. Dezember 2011 zugestellte Urteil am 16. Dezember 2011 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und ergänzend vorgetragen: Der von Prof. Dr. F. vorgenommene Diagnosewandel sei nicht nachvollziehbar. Er habe nicht beachtet, dass die Klägerin über Halluzinationen geklagt habe, Medikamente zur Behandlung schizophrener Erkrankungen einnehme und mütterlicherseits eine genetische Anlage für eine psychotische Erkrankung vorgelegen habe. Die unterschiedlichen Diagnosen bedürften einer weiteren Sachverhaltsaufklärung.

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Der Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. Oktober 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

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Der Senat hat dienstliche Beurteilungen der Klägerin aus ihrer Tätigkeit im Fernsehgerätewerk St. beigezogen. Nach der Beurteilung vom 15. Februar 1982 wurde der Klägerin ein wenig kontinuierliches und unpünktliches Arbeiten bescheinigt. Sie schöpfe ihr Leistungsvermögen nicht aus. In der Beurteilung vom 10. August 1983 wurden ihr ein oberflächliches Arbeiten und Unpünktlichkeit vorgeworfen. Gegenüber den Arbeitskollegen sei sie sehr aufgeschlossen und hilfsbereit. In der weiteren Beurteilung vom 30. November 1983 wurde angegeben, dass ihre Arbeitsqualität nach mehreren Aussprachen nunmehr zufriedenstellend sei. Am 17. Mai 1984 wurde über eine gute Arbeitsqualität von ihr berichtet. An allen gesellschaftlichen Aktivitäten des Kollektivs nehme sie regen Anteil.

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Die Klägerin hat klargestellt, dass im VEB Fernsehgerätewerk " ..." St. ca. 3.600 Beschäftigte gearbeitet hätten. Es sei unzutreffend, dass sie 100 % ihrer Leistung erbracht habe. Wegen ihrer Leistungsschwäche sei sie ins Lager versetzt worden, da es dort keine Normerfüllung gegeben habe. Die Beurteilungen seien "schöngefärbt". Tatsächlich sei sie schon damals kontaktscheu und einzelgängerisch gewesen. Der Senat hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin S. hat am 22. März 2013 mitgeteilt: Als Beschwerden habe die Klägerin eine depressive Verstimmung, Verfolgungsgedanken, Kopfschmerzen sowie Schlafstörungen angegeben. Diagnostisch sei von einer Depression, einem Verdacht auf eine Persönlichkeitsveränderung, einer paranoiden Schizophrenie sowie einer arteriellen Hypertonie auszugehen. In einem beigefügten Arztbrief gab Dr. G. von der Tagesklinik Psychiatrie (Krankenhaus St.) über einen Aufenthalt vom 4. Februar bis 15. April 2010 als Diagnose eine schizoaffektive Störung sowie eine depressive Phase an. Die Aufnahme sei wegen einer sehr belastenden Konfliktsituation mit der Mutter erfolgt. In einem weiteren Arztbrief berichtete Oberarzt S. (Fachklinik B.) von einer stationären Aufnahme wegen einer paranoiden Schizophrenie vom 10. bis 13. April 2011. Die Einweisung sei durch den Notarzt wegen einer akuten psychotischen Symptomatik vorgenommen worden. Die Klägerin habe sich von Stasi und KGB verfolgt gefühlt und angegeben, ihr Computer sei manipuliert worden. Sie habe die Telefonnummer von Gott und telefoniere mit ihm oft. Der psychopathologische Befund sei von inhaltlichen Denkstörungen sowie Wahn- und Größenideen geprägt. In einem Arztbrief vom 14. Juni 2011 berichtete Dr. G. von einer teilstationären Behandlung vom 29. April bis 1. Juni 2011 unter der Diagnose einer schizoaffektiven Psychose. Die Klägerin sei sehr gereizt gewesen und habe sich mit religiösen Themen sowie ihrer Vergangenheit beschäftigt. Sie habe ihre Arbeitsstelle bei der L. gekündigt und sich von ihrem langjährigen Lebenspartner getrennt. Tendenziell habe sie ungepflegt, provokant und offenkundig regelverletzend gewirkt. Vordergründig habe sie ihre SED-Unrechts-Opferrolle sowie religiöse Themen aufgegriffen. Sonstige Themen, wie die Vorerkrankung ihrer Mutter oder eine gesunde Lebensweise, habe sie dagegen als Erklärung ihres Zustandes nicht zugelassen.

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Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. (Fachkrankenhaus B.) hat in einem Befundbericht vom 10. Mai 2013 angegeben: Die Klägerin habe über Beeinträchtigungen durch eine erlittene Haft sowie über Misstrauen berichtet. Diagnostisch sei von einer paranoiden Schizophrenie auszugehen.

29

Nach einem Arztbrief der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität M. berichtete Prof. Dr. B. über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 16. Oktober bis 5. November 2012. Die Klägerin habe über Folter in Stasihaft berichtet und angegeben, dass sie sich von der Stasi verfolgt fühle. Auffällig sei eine extreme katholische Religiosität. Diagnostisch bestehe der Verdacht auf eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung.

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Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dipl.-Med. W. hat in einem Befundbericht vom 30. Juni 2013 angegeben: Diagnostisch bestehe eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sowie eine paranoide Schizophrenie. Während der Behandlung vom 7. Oktober 2011 bis zum 21. März 2013 habe die Klägerin von traumatischen Hafterlebnissen zu DDR-Zeiten berichtet, unter deren Folgen sie bis heute leide. In einer beigezogenen amtsärztlichen Stellungnahme vom 24. Juni 2013 gab die leitende Ärztin des Sozialpsychiatrischen Dienstes Dr. S. an: Nach Auswertung des Gutachtens von Prof. Dr. F. leide sie an einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung sowie einer schizophrenen Psychose. In pflegerische Hinsicht sei sie selbstständig. Sie nehme ihre Arzttermine regelmäßig wahr, sei orientiert und könne öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Im lebenspraktischen Bereich benötige sie keine Hilfe. Immer wieder träten psychotische Episoden auf, in denen sie nicht in der Lage sei, ihren Haushalt zu führen, den Einkauf zu bewältigen oder sich um die Wäschepflege zu kümmern. Für alltägliche Aufgaben benötigte sie eine Unterstützung. Bis zum Jahr 2011 habe sie in der L. Bördeland in St. gearbeitet. Während einer erneuten Krankheitsphase habe sie dort gekündigt. Nun habe sie sich wieder stabilisiert und wolle wieder im L. tätig sein. Ihr sei eine kontinuierliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unmöglich. Die Aufnahme der Klägerin für Tätigkeiten im L. sei zu empfehlen.

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Der Senat hat den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Neurologie und Psychiatrie Privatdozent (PD) Dr. G. mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt, der die Klägerin am 21. Dezember und 27. Dezember 2013 und am 14. Januar 2014 untersucht hat. Anlässlich der Untersuchung hat die Klägerin dem Sachverständigen diverse Unterlagen übergeben. Insbesondere hat dieser aus zwei sog. Tagebüchern Ablichtungen fertigen dürfen. Die Texte hätten formal gedanklich schwer verständliche Themen mit erkennbar wahnhaften Gedanken aufgewiesen (zum Beispiel: "1 Tag Hungerstreik essen vergiftet 15.00 Geschaft beginn Gruß Margot Honecker"). In der biografischen Anamnese bis zur Inhaftierung hat die Klägerin unter anderem angegeben: "Vom 26. auf den 27. September 1982 habe ich die Stimme Gottes gehört, ich lag im Bett zuhause und hatte ganz dolle Angst und Ehrfurcht der Kopf war ganz schwer und dann bin ich los, ohne Geld, ohne Fahrkarte, später musste ich noch die Schulden bei der Reichsbahn bezahlen und habe schwer dafür gearbeitet." Auf Nachfrage des Sachverständigen, hat die Klägerin angegeben, dass sie nach Erwachsenenstrafrecht behandelt worden sei. Dies sei von Margot und Erich Honecker bewirkt worden. Auf die Frage, wieso sie nicht, wie andere verhaftete Jugendliche nach Jugendstrafrecht behandelt worden sei, erklärte sie: "Weil ich etwas hatte, was sie nicht kriegen sollten." Auf die Frage, was dies denn gewesen wäre, antwortete sie wörtlich: "Sie wollten das Geheimnis von Gott haben, darum haben sie mich jede Nacht ausgefragt die Stasi will das heute noch haben die Menschen leben noch und das System existiert noch weil sie die Macht Gottes haben wollen ich kann mit ihm reden in der Kirche und dann bin ich mit ihm, Gott, glücklich." ( )

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Ihre Richterin, die sie verurteilt habe, sei Frau T. gewesen – jetzt ihre Rechtsanwältin, Frau T. Die Klägerin äußerte Zweifel, ob ihr Blinddarm wirklich herausgenommen worden sei. Sie hätten versucht, sie umzubringen, aber der liebe Gott habe dies nicht zugelassen. ( )

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Auf die Nachfrage, welche Foltermethoden oder Grausamkeiten sie in der Haft erlebt habe, teilte die Klägerin mit, dass sie ein Vierteljahr in Zügen unterwegs gewesen sei. Sie sei jede Nacht woanders und mit dem Postzug unterwegs gewesen.

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Seit dem 11. Dezember 2012 wohne sie allein in einer Zweiraumwohnung. Jeden Morgen gehe sie zunächst zur Kirche. Vor drei Jahren sei sie katholisch geworden. Auf die Frage wie das passiert sei, hat sie erklärt: "durch einen Traum jetzt muss ich den ersten Traum erzählen, 1995 im Januar, vorher war ich nicht kirchlich, damals kam ich rein in die Kirche, in die St. Petri Kirche in St. am K. bei Pfarrer W.l, da kam das Licht von links durch die Kirchenfenster und das war schön und beruhigend."

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Auf die Frage, ob sie die Kirche im Traum oder im realen Leben getreten habe antwortete sie: "Erst im Traum und dann real". ( )

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Auf die Frage, wann sie erstmals ein Zeichen des Herrn, Gottes empfangen habe antwortete sie wörtlich: "ich habe seine Stimme gehört, einmal, 1982 ich habe damals im Bett geschlafen, ich weiß es ganz genau, bei Mutti zuhause im Ehebett, da war ich 17 in einer Dreieinhalbzimmer-Neubauwohnung, das andere Zimmer war belegt vom Bruder mit seiner Freundin. ( )

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"Es war am 26. auf den 27. 09.1982, das weiß ich ganz genau am 27 ... 09.1982 wurde ich in O. verhaftet, die Stimme Gottes hat zu mir gesagt: "Du musst von zuhause losgehen, in den Zug steigen und losfahren!" ( )

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Die Tätigkeit im Rahmen der Lebenshilfe nehme sie 7 Stunden am Tag bis 15:00 Uhr wahr. Anschließend fahre sie nach Hause – "ich esse da nicht, ich habe Angst, dass man mich vergiftet" ( )

39

Es folgt eine weitere Anamnese zum Leben nach der Haft.

40

In Auswertung der anamnestischen Angaben der Klägerin und des bei der Befragung erweckten Eindrucks hat der Sachverständige angegeben: Das Verhalten der Klägerin habe sich während der insgesamt drei Befragungen deutlich geändert. Während sie im Erstkontakt antriebsgesteigert, affektiv gehoben und spontan gewirkt habe, habe sich im zweiten und dritten Kontakt ein deutlich gewandeltes Bild gezeigt. Hier habe sie in sich gekehrt gewirkt, unterschwellig depressiv, in der affektiven Schwingungsfähigkeit leicht eingeengt und sehr verletzbar. Insbesondere bei Fragen zu den schädigenden Ergebnissen seien ihre Angaben ausgesprochen spärlich, praktisch nicht detailliert und im Vergleich zu vorherigen Angaben häufig in wesentlichen Punkten abweichend gewesen. Bei Nachfragen habe sie sich dann auf "den Nebel" zurückgezogen, der durch die Schädigung bedingt sei und ihre Erinnerungen verdecke.

41

Bei der Schilderung ihrer religiösen Erlebnisse habe sie eine fast rauschhafte Verklärung gezeigt. So habe die Klägerin verzückt in der Erinnerung gelächelt. Hierbei habe sich ein Gefühl des Auserwähltseins gezeigt, wobei sie nicht ihr ganzes diesbezügliches Erleben dem Sachverständigen offenbart habe. Bei der Klägerin zeige sich ein ausgeprägter und systematisierter Verfolgungswahn mit erheblicher Wahndynamik. Sie sei der Überzeugung, ständig in der Gefahr einer Vergiftung zu leben, was sie an einem "bitterem Geschmack" erkenne. Auch habe sie mehrfach das Schloss in ihrer Tür gewechselt, da sie das Umstellen von Gegenständen in der Wohnung bemerkt habe. So seien wiederholt Gegenstände verschwunden. Sie habe sich daher eine Alarmeinrichtung installiert, deren genaue Funktionsweise sie aber dem Sachverständigen nicht habe schildern wollen. Es lägen massive psychotisch bedingte Verfälschungen vor. Die Klägerin interpretiere ihr gesamtes Leben rückblickend aus dem Blickwinkel der psychotischen Wahnvorstellungen. Erkennbare Widersprüche, auf die der Sachverständige nur spärlich im Interesse der Aufrechterhaltung des Kontaktes hingewiesen habe, habe sie verneint und unverrückbar an ihrer Überzeugung festgehalten. Der Inhalt ihres Denkens und Fühlens werde gegenwärtig weitgehend von Ideen politischer Verfolgung einerseits und religiösen Inhalten andererseits dominiert. Das formale Denken weise massive Auffälligkeiten auf. So wechsle die Klägerin ständig die Gesprächsthemen, müsse zum Thema zurückgeführt werden, wirke dabei etwas verlangsamt, was die Exploration erheblich erschwert habe. Das Denken sei insgesamt ausgesprochen emotional dominiert. Sie sei ohne jeden Zweifel vollkommen von der Verursachung aller ihrer seelischen Beschwerden durch die damals erlittene Haft überzeugt. Hinweise für eine bewusstseinsnahe Aggravation oder Simulation bestünden nicht. Zusammenfassend sei von einem chronifizierten Erkrankungsbild mit erheblicher Dynamik auszugehen. Hinweise für eine Persönlichkeitsveränderung nach einer Extrembelastung bestünden dagegen nicht. Diagnostisch bestehe eine gemischte schizoaffektive Störung mit chronischem Verlauf. Eine paranoide Schizophrenie sei nach den Kriterien dagegen nicht völlig zutreffend.

42

Nach den Angaben der Klägerin sei davon auszugehen, dass sich die Psychose erstmalig im Jahr 1982 manifestiert habe. Dagegen sprächen jedoch gewichtige Gründe. So habe die Klägerin bei der Folgeuntersuchung diese Angaben nicht mehr bestätigt. Überdies sei aus psychiatrischer Sicht nahezu ausgeschlossen, dass sich die Erstmanifestation einer Psychose ohne medikamentöse Intervention zurückgebildet haben könnte. Nach den aktenkundigen Hinweisen habe sie in der Untersuchungshaft keine auffälligen psychiatrischen Befunde aufgewiesen. Es spreche daher auch nach dem übergebenen Tagebuch mehr dafür, dass erst im Jahre 1997 von einer Erstmanifestation der Psychose auszugehen sei. Daneben bestehe eine leichte intellektuelle Minderbefähigung, eine Nikotinsucht, eine chronisch obstruktive Bronchitis, eine Adipositas sowie eine arterielle Hypertonie mit Rechtsherzinsuffizienz. Entgegen der Auffassung von Prof. Dr. F. lägen keine Hinweise für eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung vor. Im Rahmen der Begutachtung bei Prof. Dr. F. sei die weitgehende Bestimmung des Lebens, Denkens und Fühlens durch die beschriebene Psychose nicht erfasst worden. Dies sei auch nicht verwunderlich, da die Anknüpfung sich erst im Rahmen einer eingehenden Anamnese sowie der Darstellung des täglichen Lebensablaufes gezeigt habe. Innerhalb des gesamten 45 Seiten umfassenden Gutachtens von Prof. Dr. F. lasse sich keine Angabe zur Tagesstruktur und den gegenwärtigen Lebensumständen finden. Paranoid erkrankte Menschen sprächen selten spontan über ihren Wahn. Vor diesem Hintergrund sei eine umfassende Exploration zur Tagesstruktur und der gegenwärtigen Lebensumstände unverzichtbar. Exemplarisch sei auf die religiösen Denkinhalte, den Verfolgungs- und Vergiftungswahn sowie die besonderen Sicherheitsvorkehrungen in der Wohnung der Klägerin zu verweisen. Auch habe Prof. Dr. F. die erkennbaren Widersprüche in den Angaben der Klägerin weder aufgeklärt noch diskutiert. Exemplarisch sei auf das Problem der behaupteten Einzelhaft sowie die beiden angeblichen Messerangriffe durch Mitgefangene hingewiesen. Auch müsse beachtet werden, dass die Klägerin vorzeitig aus der Haft entlassen worden sei. Dies spreche erfahrungsgemäß eher für ein unauffälliges und angepasstes Verhalten. Diese Annahme stehe mit der angeblichen Einzelhaft in einem krassen Widerspruch. Auffällig sei auch, dass die situative Detailerinnerung der Klägerin zu den namhaft gemachten Belastungen völlig fehle. Demgegenüber habe Prof. Dr. F. die Angaben und Sichtweise der Klägerin unreflektiert übernommen. Weitere Widersprüche in den Angaben der Klägerin bestünden beispielsweise bei den geschilderten belastenden Zugfahrten während der Haft, den Messerattacken, der Frage des Erwachsenenstrafrechts, der von ihr generell bezweifelten Blinddarmoperation. An der Glaubwürdigkeit der Klägerin seien aus diesem Grunde erhebliche Zweifel anzumelden. Wie schon durch den Vorgutachter Dr. D. zutreffend dargestellt, fehle es an sog. Brückensymptomen unmittelbar nach der Haftentlassung und auch an psychiatrischen Befunden in den Ablichtungen des Sozialversicherungsausweises. Hiernach habe die Klägerin in dieser Zeit nahezu ausschließlich an Erkältungs- und Lungenerkrankungen gelitten. Zutreffend habe Prof. Dr. F. angenommen, dass schwere seelische Traumata eine erhöhte Infektanfälligkeit auslösen könnten. Aus dem Lungenbefund der Klägerin könne jedoch kein psychisches Brückensymptom hergeleitet werden. So befänden sich unter 100 häufig an Infekten leidenden Menschen nur sehr wenige, die ihre Abwehrschwäche wegen einer schweren Traumatisierung erworben hätten. Angesichts der Häufigkeit der ärztlichen Konsultationen nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis seien ihre Angaben widersprüchlich. Hiernach habe sie sich aus Angst vor Arztkonsultationen nicht behandeln lassen. Widersprüchliches ergebe sich auch aus ihrer Angabe gegenüber Prof. Dr. F., sie (die Klägerin) habe seit fünf Jahren eine stabile Beziehung. Gegenüber ihm als Sachverständigen habe sie dagegen angegeben, dass sie nach der Trennung von ihrem Ehemann und der Scheidung im Jahr 2006 zunächst keine Beziehungen mehr gehabt habe. Wegen der festgestellten narbenähnlichen Hauterscheinungen habe die Klägerin dann auf Nachfrage angegeben, dass sie eine einmonatige Beziehung zu einem Tschechen gehabt habe, der in Verbindung mit sexuellen Handlungen Zigaretten auf ihr ausgedrückt habe. Nunmehr habe sie keine Beziehung mehr zu Männern und wolle dies auch nicht mehr. Zum Motiv für das Verlassen der Familie durch Ausreise aus der DDR habe die Klägerin verschiedene Versionen angegeben. Auf der einen Seite habe sie Schwierigkeiten im Betrieb genannt (Akten der Kriminalpolizei), dann habe die Klägerin gegenüber Prof. Dr. F. einen sexuellen Übergriff des Bruders als Motiv geschildert, um in der ersten Exploration beim jetzigen Sachverständigen dagegen eine Stimme Gottes als Motiv bezeichnet. Diese Angabe habe sie in der Nachexploration auf eine Stimme in der Wohnung geändert. Bei der Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung sei die Prüfung und Feststellung eines Traumas unverzichtbar. Das von Prof. Dr. F. festgestellte Vermeideverhalten beim Bahnfahren sei nicht gesichert, da die Klägerin beispielsweise von der psychiatrischen Station im Jahr 2012 per Bahn auf den Weg nach K. übernachtet habe und selbstständig mit der Bahn zurückgekehrt sei. Bemerkenswert sei auch, dass die Klägerin offenbar ihre Rechtsanwältin selbst gewählt habe, bei der es sich um die damalige Richterin handeln bzw. eine psychotische Personenverkennung vorliegen könnte.

43

Mit Schreiben vom 5. März 2014 hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, dass die Berufung des Beklagten wegen des überzeugenden Gutachtens von PD Dr. G. Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Mit Schreiben vom 22. April 2014 hat der Berichterstatter ein nochmaliges Gutachten von Prof. Dr. F. von Amts wegen abgelehnt und die Klägerin auf einen möglichen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verwiesen. Die Klägerin hat am 30. Mai 2014 einen Antrag nach § 109 SGG gestellt und ein ergänzendes Gutachten von Prof. Dr. F. beantragt. Dieser hat in seiner am 26. Januar 2015 eingegangenen Begutachtung nach Aktenlage ausgeführt: Bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit der Klägerin sei zu beachten, dass politisch Traumatisierte den Kontakt mit Institutionen regelmäßig vermeiden würden. Die derzeitige Symptomatik weise sowohl psychose- als auch traumabedingte Anteile auf. Die diagnostische Herausforderung bestehe darin, die jeweiligen Anteile ins rechte Licht zu setzen, was PD Dr. G. nicht gelungen sei. Die Hinweise auf eine fehlende Glaubwürdigkeit gingen am eigentlichen Beweisthema vorbei. Der Sachverständige PD Dr. G. lasse die unerlässliche emphatische Grundhaltung vermissen. Damit fehle offensichtlich das diagnostische Instrument des Einfühlens. PD Dr. G. verstoße auch gegen den Grundsatz, die Befragung objektiv und frei von jeder Kritik vorzunehmen. An der bisherigen Bewertung sei daher festzuhalten.

44

Der Beklagte hat dagegen eingewandt: Prof. Dr. F. habe mit seiner Stellungnahme seine Neutralitätspflicht verletzt. Er begründe seine Diagnose zuvörderst mit einer emphatischen Grundhaltung, was nicht überzeugen könne. Demgegenüber habe PD Dr. G. seine Beurteilung anhand von objektivierbaren und von ihm gewichteten Fakten sowie Aussagen getroffen. Zur Bekräftigung hat der Beklagte eine Stellungnahme der Leitenden Ärztin des Landesverwaltungsamtes Dr. S. vom 23. Februar 2015 zur Gerichtsakte gereicht. Hiernach hätten die die Klägerin behandelnden Ärzte von 1997 bis 2011 übereinstimmend die von PD Dr. G. vertretene Diagnose gestützt. Die Beurteilung von Prof. Dr. F. stütze sich nicht auf Untersuchungsbefunde, sondern lediglich auf allgemeine Erkenntnisse zur Psychotraumatologie sowie die subjektiven Angaben der Klägerin. Zur Bekräftigung seiner Einschätzung habe er den vorbehandelnden Ärzten schwere Sorgfaltspflichtverletzungen vorgeworfen. Demgegenüber habe PD Dr. G. in einem überzeugenden Gutachten die Diagnose einer schizoaffektiven Psychose begründet. In Übereinstimmung mit den versorgungsärztlichen Begutachtungskriterien bestätige er wegen des nicht gegebenen zeitlichen Zusammenhangs zwischen Trauma und Erstmanifestation der Psychose die fehlenden Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Schädigungsfolge im Rahmen der sog. Kann-Versorgung. Gegen eine derartige Versorgung spreche auch die genetische Disposition der Klägerin als wesentliche Ursache für das Entstehen der Erkrankung. Demgegenüber fehle dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. F. die notwendige objektivierte Befundvalidierung, um die von ihm vertretene Diagnose zu stützen. Keinesfalls könne PD Dr. G. vorgehalten werden, der Klägerin pauschal Unglaubwürdigkeit vorgeworfen zu haben. Vielmehr habe er klar aufgezeigt, dass die Klägerin aufgrund ihrer schweren psychiatrischen Erkrankung Fehlinterpretationen realer Vorgänge vornehme, wodurch auch ihre Erinnerungen psychosebedingt verzerrt würden. Die von PD Dr. G. vorgenommene Exploration der Tagesstruktur sei für die Bewertung eines Grades der Schädigungsfolgen unverzichtbar. Die von Prof. Dr. F. geforderte empathische Grundhaltung dürfe nicht dazu führen, dass die sachlich-neutrale Position des Gutachters verlassen werde und richtungsweisende Widersprüche unaufgeklärt blieben. Prof. Dr. F. sei als Leiter der Beratungsstelle für SED-Verfolgte tätig. Dies führe jedoch nicht gleichzeitig zu einer entsprechenden Kompetenz auf dem Gebiet der sozialmedizinischen Versorgungsbegutachtung.

45

In einer ergänzenden fachpsychiatrischen Stellungnahme vom 21. April 2015 hat PD Dr. G. seine bisherige Bewertung verteidigt und ausgeführt: Eine Empathie dürfe nicht dazu führen, dass von Seiten des Gutachters den Angaben der Klägerin blindlings geglaubt werde. Im Gegensatz zu Prof. Dr. F. gehöre die kritische Bewertung von Angaben zum Bestandteil der gutachterlichen Tätigkeit. Hierzu bedurfte es keines gesonderten gerichtlichen Auftrages. Allgemeine Literaturangaben seien kein Ersatz für konkrete fallbezogene Einsichten aus einer wissenschaftlich geleiteten Exploration.

46

Auf Anfrage des Berichterstatters hat der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik am 15. Juni 2015 weitere Unterlagen über die Inhaftierung der Klägerin zur Gerichtsakte gereicht. Nach dem Auswertungsbericht vom 9. November 1982 soll die Klägerin zu ihren Motiven Schwierigkeiten im Betrieb angegeben haben. Sie sei häufig zu spät gekommen und habe gebummelt. Um weiteren Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, habe sie versucht, in die BRD zu gelangen. In einem Führungsbericht des Jugendhauses H. vom 14. April 1983 findet sich u.a. der Hinweis, dass die Klägerin in Verbindung zu ihrer Mutter und ihrer Schwester stehe, die einen positiven Einfluss ausüben würden. Die Wiedereingliederung könne bei den Eltern erfolgen.

47

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, sowie die Schwerbehindertenakte und Auszüge aus der Rentenakte haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

48

Der Senat kann in der Sache entscheiden. Im vorliegenden Fall ist das Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (StrRehaG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2664), geändert durch das Gesetz vom 22. Juni 2011 (BGBl. I S. 1202), anzuwenden. Für die Durchführung der von der Klägerin begehrten Beschädigtenversorgung nach § 21 StrRehaG sind nach § 25 Abs. 4 Satz 1 StrRehaG die Behörden zuständig, denen die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) obliegt. Soweit das StrRehaG von den für die Kriegsopferversorgung zuständigen Verwaltungsbehörden durchzuführen ist, entscheiden nach § 25 Abs. 4 StrRehaG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Insoweit sind die Vorschriften des SGG für Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung maßgebend.

49

Die nach den § 143 SGG statthafte und auch in der von § 151 Abs. 1 SGG vorgeschriebenen Form und Frist eingelegte Berufung des Beklagten ist begründet. Das beklagte Land hat den Antrag auf Feststellung von Schädigungsfolgen sowie Gewährung einer Beschädigtenversorgung auf der Grundlage des StrRehaG zu Recht abgelehnt. Die Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

50

Für die vorliegende Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage die Zeit der Antragstellung bis zur mündlichen Verhandlung des Senats. Nach diesem Maßstab hat der Beklagte zu Recht den Feststellungs- und Versorgungsanspruch der Klägerin abgelehnt, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält eine Betroffene, die infolge einer Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Die Schädigungsfolge muss also auf einer Gesundheitsstörung beruhen, die durch einen vom StrRehaG erfassten Tatbestand (schädigender Vorgang) verursacht worden ist. Die Erfüllung dieser Tatbestandsvoraussetzungen (schädigender Vorgang, Gesundheitsstörung, Schädigungsfolge) gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, die nachgewiesen, d.h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein müssen. Zwischen den drei Gliedern dieser Kette muss jeweils ein Kausalzusammenhang bestehen. Nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Dieser Beweismaßstab gilt im Sozialen Entschädigungsrecht auch für den Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der durch dieses Ereignis hervorgerufenen gesundheitlichen Schädigung. Die erforderliche Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Urteil vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 R, juris). Die Tatsachen, auf die sich der Kausalzusammenhang gründet, müssen hingegen im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein.

51

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG richtet sich der Anspruch auf Versorgung nach dem BVG in entsprechender Anwendung. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Beschädigtenrente ist § 31 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 BVG. Diese Vorschriften sind durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Da das Gesetz keine Übergangsvorschriften enthält, sind diese Vorschriften vom 21. Dezember 2007 an in der neuen Fassung (n.F.) und für den vorangegangenen streitgegenständlichen Zeitraum in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. I S. 21) und der nachfolgenden Änderungen (a.F.) anzuwenden.

52

Nach § 31 Abs. 1 BVG a.F. erhielten Beschädigte bei einer MdE um mindestens 30 v.H. eine monatliche Grundrente. Nach Abs. 2 der Vorschrift stellten die nach Abs. 1 für die Höhe der Rente maßgeblichen Vomhundertsätze Durchschnittssätze dar, von denen eine um fünf v.H. geringere MdE mit umfasst wurde. Nach § 31 Abs. 1 BVG n.F. setzt die Gewährung einer Grundrente einen GdS von mindestens 30 voraus. In der bis zum 21. Dezember 2007 geltenden Fassung des § 30 Abs. 1 BVG waren und in der seitdem geltenden Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 sind die Grundsätze geregelt, nach denen die MdE zu beurteilen war und nach der Neufassung der GdS zu beurteilen ist. Nach der alten Fassung des § 30 Abs. 1 BVG war die MdE nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren (Satz 1). Für die Beurteilung war maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt waren (Satz 2). Nach der Neufassung ist der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2). Demnach reicht – wie zuvor nach § 31 Abs. 2 BVG a.F. – ein GdS von 25 zur Rentenberechtigung aus.

53

Als Grundlage für die Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte dienten der Praxis die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003, B 9 SB 3/02 R, juris). Um verfassungsrechtliche Einwände gegen die Legitimation der "Anhaltspunkte" auszuräumen, ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in § 30 Abs. 17 BVG, der durch das Änderungsgesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) angefügt worden ist, zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt worden. Auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassen. Nach ihrem § 1 regelt diese Verordnung unter anderem die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung ihres Schweregrades im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG. Nach § 2 VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" als deren Bestandteil festgelegt. Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des Grades der Behinderung bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2005 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden.

54

Nach diesem rechtlichen Maßstab sind die angegriffenen Bescheide nicht zu beanstanden. Daher ist das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 27. Oktober 2011 fehlerhaft und aufzuheben.

55

Der Anwendungsbereich des StrRehaG ist eröffnet, denn das Landgericht M. hat mit Beschluss vom 28. September 1992 (Aktenzeichen Reh. XX) die Klägerin für den Zeitraum vom 27. September 1982 bis 6. Mai 1983 wegen der erlittenen Freiheitsstrafe rehabilitiert. Diese befand sich in dieser Zeit in Untersuchungshaft, im Jugendhaus H. sowie im Haftkrankenhaus M.

56

a) Bereits bei der Prüfung des Schädigungsvorgangs ergeben sich erhebliche Probleme in der Sachverhaltsermittlung. So vermochte die Klägerin die konkreten Haftbedingungen nicht im Einzelnen beschreiben. Ihre Darstellungen wiesen nach der sehr ausführlichen Exploration von PD Dr. G. offenkundige Widersprüche auf. So berichtete die Klägerin über ständige Zugfahrten, die sie wie Viehtransporte empfunden hätte und von einem zweifachen Messerangriff von Mitgefangenen sowie der Verbüßung einer Einzelhaft nach dem Erwachsenenstrafrecht. Nach dem beigezogenen Führungsbericht vom 14. April 1983 lassen sich dagegen keinerlei Hinweise auf derartige Haftbesonderheiten erkennen. Anhaltspunkte für die Verbüßung einer Einzelhaft unter den Bedingungen nach dem Erwachsenenstrafrecht finden sich auch nicht und widersprechen den eingeholten Archivakten. Hiernach befand sich die Klägerin nach dem Aufenthalt in der Untersuchungshaftanstalt (UHA) H. im Jugendhaus H. Nach den Haftunterlagen war das Verhalten der Klägerin problemlos und frei von Besonderheiten. Hätte es die geltend gemachten schwerwiegenden Haftereignisse gegeben, die ggf. eine Einzelhaft oder sogar ständige Verlegung mittels Eisenbahn hätten rechtfertigen können, wären entsprechende Einträge wahrscheinlich gewesen. So hat der Sachverständige PD Dr. G. auch überzeugend darauf hingewiesen, dass die Klägerin vorzeitig entlassen worden war, was eher für ihr angepasstes Verhalten in der Haft spreche. Im Verlauf der eingehenden Exploration durch PD Dr. G. war die Klägerin auch nicht in der Lage, die konkreten Haftbedingungen sowie Belastungen im Detail zu schildern. Ihre Schilderungen beschränkten sich auf eher plakative Beschreibungen ("wie Vieh"; "Einzelhaft") oder knappe Beschreibungen von zwei Messerangriffen, ohne auf Nachfrage des Sachverständigen die erlebten traumatischen Ereignisse detailliert darstellen zu können. So wich die Klägerin konkreteren Nachfragen von PD Dr. G. in diesen Punkten immer wieder aus und verwies zur Begründung auf nebelhafte Erinnerungslücken. Dies begründet gravierende Zweifel, ob es neben der Inhaftierung als solcher weitere beachtliche traumatische Sachverhalte in der Haft zu Lasten der Klägerin gegeben haben kann. PD Dr. G. hat zudem weitere Widersprüche im Sachvortrag der Klägerin substantiell und überzeugend herausgearbeitet. Exemplarisch ist auf die unterschiedlich geschilderte Motivlage zur Flucht (betriebliche Probleme; sexuelle Belästigung des Bruders; religiöse Eingebung), eine angeblich fünfjährige stabile Partnerschaft nach der Ehescheidung (so im Gutachten Prof. Dr. F.) bzw. Schilderungen über eine kurze Beziehung zu einem Tschechen (so im Gutachten PD Dr. G.) verwiesen. Selbst während der Exploration wechselte die Klägerin z.B. zur Frage des Fluchtmotivs die Begründungen. Während zunächst ein klarer Bezug zu einem religiösen Erleben hergestellt wurde, relativierte die Klägerin dies danach auf bloße Stimmen in der Wohnung. Widersprüchlich ist auch die Angabe der Klägerin gegenüber Prof. Dr. F., sie sei von ihrer Mutter als Staatsfeindin abgelehnt worden. Nach den beigezogenen Haftunterlagen gibt es dagegen Hinweise für eine geplante und offenbar problemlose Wiedereingliederung von ihr in die Familie.

57

Die genaue Herausarbeitung des konkreten Hafttraumas ist für die Bewertung möglicher Gesundheitsschäden in Fällen des StrRehaG unverzichtbar. Schließlich kann ein haftbedingter Gesundheitsschaden nur zutreffend bewertet werden, wenn auch die konkreten Haftbedingungen ermittelt worden sind, da sie den Grad des jeweiligen Gesundheitsschaden zentral bestimmen. Während Prof. Dr. F. pauschal und ohne hinreichend fundierte Explorationsergebnisse die durchaus fragwürdigen Angaben der Klägerin unkritisch als wahr unterstellt hat, zeigt die genauere Exploration von PD Dr. G. nachdrücklich auf, dass bei der Klägerin lebendige und detaillierte Erinnerungen an die behaupteten Hafttraumas nicht herausgearbeitet werden konnten.

58

b) Selbst wenn der Senat – zu Gunsten der Klägerin – die von ihr geschilderten besonderen Hafttraumen als wahr unterstellen würde, lässt sich ein Zusammenhang zwischen diesen erschwerten Haftbedingungen sowie einer traumatischen Gesundheitsstörung nicht feststellen. Nach dem überzeugenden Sachverständigengutachten von PD Dr. G., dem sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, liegt bei der Klägerin als Gesundheitsstörung eine schizoaffektive Psychose und keine posttraumatische Belastungsstörung und andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung mit depressiver Störung (so aber Gutachten von Prof. Dr. F.) vor. Der Senat folgt insoweit den Sachverständigen PD Dr. G. und Dr. D. sowie den eingeholten zahlreichen Befunden, soweit sie diese Diagnose bestätigt haben und den Stellungnahmen der Versorgungsärzte des Beklagten. Demgegenüber hält der Senat die davon abweichende Auffassung von Prof. Dr. F. für wenig überzeugend. Bereits in der Exploration von Prof. Dr. F. sind gravierende Mängel zu erkennen, die den Aussagegrad seines Gutachtens erschüttern. Prof. Dr. F. hat sich bei seiner Bewertung ausschließlich von den Angaben der Klägerin leiten lassen, ohne diese Angaben einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Auch lässt seine Befragung auf eine eher oberflächliche Tiefe schließen, da es Prof. Dr. F. nicht gelungen ist, das offenbar stark wahnhafte Erleben der Klägerin herauszuarbeiten. In seiner Exploration finden sich keinerlei Hinweise auf die Tagesstruktur sowie die gegenwärtige Lebenssituation der Klägerin. Aufgrund dieser unzureichenden Exploration hat Prof. Dr. F. nicht erkannt, dass die Klägerin z.B. an einem Vergiftungswahn leidet, der ihr Essverhalten aktuell maßgeblich prägt. Auch ihren Verfolgungswahn, der offenbar zu einem wiederholten Austausch der Hausschlösser geführt hatte, hat der Sachverständige Prof. Dr. F. nicht erkannt. Dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. F. fehlt auch die Aufbereitung der zahlreichen Widersprüche in den Angaben der Klägerin. Vergleicht man die Explorationen beider Sachverständigen, fällt auf, dass nur die an drei Tagen durchgeführte, intensive Befragung der Klägerin durch PD Dr. G. die wahnhaften Gedankengänge der Klägerin in ihrem Gesamtbild offenbart hat. PD Dr. G. hat auch ein Tagebuch der Klägerin ausgewertet und mit teils wörtlicher Wiedergabe der Angaben dokumentiert. Diese detaillierten Beschreibungen zeigen nachdrücklich auf, in welchem Ausmaß das Denken und Handeln (z.B. Vergiftungs-, Verfolgungswahn) der Klägerin von ihrem wahnhaften Erleben geprägt ist. Diese Feststellungen stehen zudem in Einklang mit zahlreichen ärztlichen Stellungnahmen und Bewertungen ab dem Jahr 1997, die jeweils von einem wahnhaften Erleben der Klägerin ausgegangen sind. Zu diesem Ergebnis ist auch der vom Beklagten beauftragte Dr. D. mit vergleichbarer und ebenfalls überzeugender Begründung gekommen.

59

Der Versuch von Prof. Dr. F., seine vereinzelt gebliebenen Diagnosen zu verteidigen, konnte den Senat dagegen nicht überzeugen. Seine wenig sachorientierten Angriffe auf seine Fachkollegen ("bedrückendes Ausblendungsverhalten") oder die unsubstantiierten Vorwürfe gegen PD Dr. G., diesem eine mangelnde Empathie und Neutralität vorzuhalten, können die Kernschwächen seines eigenen Gutachtens nicht verdecken. Aufgrund seiner gravierenden Versäumnisse in der Exploration, die dazu geführt haben, die ganz erhebliche Wahnsymptomatik bei der Klägerin nicht zu erkennen, ist dieses Gutachtens praktisch nicht verwertbar. Dabei ist auch nicht zu übersehen, dass er als Leiter der Beratungsstelle für SED-Verfolgte generell geneigt sein könnte, seine zweifelsohne bestehende Empathie für Opfer der DDR-Justiz richtungweisend in seine gutachterlichen Bewertungen einfließen zu lassen. Der Hinweis von PD Dr. G., dass die allgemeine Literaturangaben von Prof. Dr. F. eine wissenschaftlich geleitete Exploration nicht ersetzen können, hält der Senat daher für überzeugend und zutreffend.

60

Auf der Basis der Diagnosen von PD Dr. G. sowie Dr. D. ist ein Zusammenhang zwischen der Haft und einer schizoaffektiven Psychose unwahrscheinlich, was einen Feststellungs- oder auch Versorgungsanspruch der Klägerin nach den oben genannten Normen ausschließt.

61

In diesem Zusammenhang hat die Leitende Versorgungsärztin Dr. S. zutreffend auf die anwendbaren Anhaltspunkte 2008 in den Versorgungsfällen und insbesondere auf Kap. 69 zur Schizophrenie und affektiven Psychosen hingewiesen.

62

Hiernach ist von Folgendem auszugehen:

63

"(1) Bei den schizophrenen Psychosen wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen. Wissenschaftlich ist jedoch noch nicht genügend geklärt, welches Gewicht den dispositionellen und exogenen, psychosozialen Faktoren bei ihrem Zusammenwirken beizumessen ist. Unter Umständen kommt eine Kannversorgung in Betracht. Die Voraussetzungen für eine Kannversorgung sind dann als gegeben anzusehen, wenn

64

a) als Schädigungsfaktoren tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende psychosoziale Belastungen vorgelegen haben, die entweder längere Zeit angedauert haben oder zeitlich zwar nur kurzfristig wirksam aber so schwer waren, dass ihre Folgen eine über längere Zeit anhaltende Wirkung auf das Persönlichkeitsgefüge gehabt haben,

65

b) die Erkrankung in enger zeitlicher Verbindung (bis zu mehreren Wochen) mit diesen Belastungen begonnen hat. Bei episodischem Verlauf der schizophrenen Psychose gilt dies nur für die der Belastung folgende Episode.

66

(2) Von den Schizophrenien sind die symptomatischen Psychosen mit einem schizophrenieähnlichen Erscheinungsbild abzugrenzen, die Ausdruck einer organischen Krankheit mit Hirnbeteiligung sind. Sie sind nach dem Grundleiden zu beurteilen.

67

(3) Affektive Psychosen mit depressiver Symptomatik können durch schwerwiegende exogene Faktoren (Verletzungsfolgen, somatische Krankheiten) oder schwere seelische Erschütterungen mitverursacht sein, wobei dies jedoch nur für die Manifestation oder Vertiefung einer einzelnen Krankheitsepisode gelten kann. Manische Episoden sind in der Regel schädigungsunabhängig."

68

Wie bereits PD Dr. G. und Dr. D. überzeugend ausgeführt haben, können schizoaffektive Psychosen nicht nur durch körperliche Erkrankungen (wie z.B. eine Blinddarmoperation oder eine Lungenentzündung) ausgelöst werden. Insbesondere fehlt es im vorliegenden Fall an den notwendigen Brückensymptomen von 1983 bis 1997. Nach den von der Klägerin vorgelegten Auszügen aus dem Sozialversicherungsausweis ist sie nach der Haft bis zum Jahr 1997 nie psychiatrisch behandelt worden. Hinweise für psychiatrische Auffälligkeiten nach der Haft haben die Ermittlungen des Senats nicht bestätigt. Nach den dienstlichen Beurteilungen der Klägerin insbesondere im Mai 1984 ist sogar von einer deutlichen Stabilisierung ihrer Leistungen auszugehen. Dies spricht wiederum gegen ein gravierendes psychiatrisches Krankheitsbild nach der Haft.

69

Auch hat PD Dr. G. überzeugend ausgeführt, dass ein psychotisches Wahngeschehen, wie es im Jahr 1997 tatsächlich dokumentiert ist, für die Zeit davor unwahrscheinlich ist. Schizoaffektive Psychosen weisen regelhaft einen so schweren Erkrankungsverlauf auf, dass sich diese gravierende Symptomatik ohne jede medikamentöse Behandlung nicht einfach zurückbilden kann. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für unwahrscheinlich, dass – wie von der Klägerin in der Exploration bei PD Dr. G. angegeben – das wahnhafte Erleben schon die Flucht im Jahr 1982 motiviert hat. Im Übrigen hätte dann schon vor der Haft die Psychose vorgelegen und wäre nicht durch diese ausgelöst worden. So sind auch in den beigezogenen Dokumenten aus der Haft keine Hinweise auf ein psychotisches Geschehen bei Klägerin ableitbar. Gegen einen Ursachenzusammenhang spricht auch die genetische Disposition der Klägerin. Schließlich hat ihre Mutter an vergleichbaren psychotischen Symptomen gelitten. Diese genetische Vorbelastung spielt nach Dr. D. beim Auftreten einer schizophrenieformen Erkrankung eine nicht unwesentliche Rolle.

70

Wie von der leitenden Ärztin Dr. S. überzeugend ausgeführt, liegen auch die Voraussetzungen einer sog. Kann-Versorgung nicht vor. Dies hätte einen zeitlich engen Zusammenhang zwischen dem traumatischen und dem psychotischen Geschehen vorausgesetzt. Dieser Zusammenhang ist angesichts des unauffälligen Erkrankungsverlaufs von 1983 bis 1997 unwahrscheinlich.

71

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

72

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 SGG).


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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 16. Juni 2015 - L 7 VE 19/11 zitiert 17 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 109


(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 30


(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereich

Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV | § 2 Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“


Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung#F1_771649als deren Bestandteil festgelegt.

Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 31


(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen1.von 30in Höhe von 171 Euro,2.von 40in Höhe von 233 Euro,3.von 50in Höhe von 311 Euro,4.von 60in Höhe von 396 Euro,5.von 70in Höhe von 549 Euro,6.von 80in Höhe v

Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG | § 21 Beschädigtenversorgung


(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorg

Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG | § 25 Zuständigkeiten


(1) Für die Gewährung der Leistungen nach den §§ 17, 17a und 19 und zur Prüfung der Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 ist die Landesjustizverwaltung zuständig, in deren Geschäftsbereich die Rehabilitierungsentscheidung ergangen ist. Die Landesregierung

Referenzen

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht eine gesundheitliche Schädigung gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist.

(3) Wer als Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 dieser Vorschrift oder § 22 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, als Pflegeperson oder als Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Beschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes eine gesundheitliche Schädigung erleidet, erhält Versorgung nach Absatz 1.

(4) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(5) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(1) Für die Gewährung der Leistungen nach den §§ 17, 17a und 19 und zur Prüfung der Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 ist die Landesjustizverwaltung zuständig, in deren Geschäftsbereich die Rehabilitierungsentscheidung ergangen ist. Die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung andere Zuständigkeiten begründen. Über Streitigkeiten bei der Anwendung des § 16 Abs. 2 sowie der §§ 17, 17a und 19 entscheidet das nach § 8 zuständige Gericht. Die Vorschriften des Abschnitts 2 dieses Gesetzes gelten sinngemäß. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist innerhalb eines Monats seit Zustellung der Entscheidung nach Satz 1 zu stellen.

(2) Die Leistungen nach den §§ 17 bis 19 werden auch Personen gewährt, die eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes erhalten haben

1.
für einen Gewahrsam, der auf einer Verurteilung durch ein deutsches Gericht oder auf einer der in § 1 Abs. 5 genannten strafrechtlichen Maßnahmen beruht, wenn diese Bescheinigung vor Inkrafttreten dieses Gesetzes beantragt worden ist, oder
2.
weil sie im Zusammenhang mit der Errichtung oder Aufrechterhaltung der kommunistischen Gewaltherrschaft im Beitrittsgebiet dort ohne Verurteilung durch ein deutsches Gericht oder ohne eine der in § 1 Abs. 5 genannten strafrechtlichen Maßnahmen in Gewahrsam genommen oder in Gewahrsam gehalten wurden.
Für die Gewährung der Leistungen nach den §§ 17, 17a und 19 an Berechtigte nach Satz 1 sind ausschließlich die in § 10 Abs. 2 des Häftlingshilfegesetzes bestimmten Stellen zuständig. Über Streitigkeiten bei der Anwendung der Sätze 1 und 2 entscheidet das Verwaltungsgericht.

(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates den Zeitpunkt und die Reihenfolge der Gewährung der Leistung, auf die nach Absatz 2 ein Anspruch besteht, nach den Gesichtspunkten der sozialen Dringlichkeit zu bestimmen.

(4) Für die Gewährung von Leistungen nach den §§ 21 und 22 sind die Behörden zuständig, denen die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes obliegt. Soweit die Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung zuständig sind, richtet sich das Verfahren nach den für die Kriegsopferversorgung geltenden Vorschriften.

(5) Soweit dieses Gesetz von den für die Kriegsopferversorgung zuständigen Verwaltungsbehörden durchgeführt wird, entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Für diese Verfahren sind die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes für Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung maßgebend. § 51 Abs. 1 Nr. 6 des Sozialgerichtsgesetzes bleibt unberührt.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, erhält.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht eine gesundheitliche Schädigung gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden ist.

(3) Wer als Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 dieser Vorschrift oder § 22 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, als Pflegeperson oder als Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Beschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes eine gesundheitliche Schädigung erleidet, erhält Versorgung nach Absatz 1.

(4) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne der Absätze 1 bis 3 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(5) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen

1.
von 30in Höhe von 171 Euro,
2.
von 40in Höhe von 233 Euro,
3.
von 50in Höhe von 311 Euro,
4.
von 60in Höhe von 396 Euro,
5.
von 70in Höhe von 549 Euro,
6.
von 80in Höhe von 663 Euro,
7.
von 90in Höhe von 797 Euro,
8.
von 100in Höhe von 891 Euro.

Die monatliche Grundrente erhöht sich für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, bei einem Grad der Schädigungsfolgen

von 50 und 60um 35 Euro,
von 70 und 80um 43 Euro,
von mindestens 90um 53 Euro.

(2) Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 festgestellt ist.

(3) Beschädigte, bei denen Blindheit als Folge einer Schädigung anerkannt ist, erhalten stets die Rente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100. Beschädigte mit Anspruch auf eine Pflegezulage gelten stets als Schwerbeschädigte. Sie erhalten mindestens eine Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50.

(4) Beschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, erhalten eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage, die in folgenden Stufen gewährt wird:

Stufe I103 Euro,
Stufe II212 Euro,
Stufe III316 Euro,
Stufe IV424 Euro,
Stufe V527 Euro,
Stufe VI636 Euro.


Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Personenkreis, der durch seine Schädigungsfolgen außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen I bis VI näher zu bestimmen.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen

1.
von 30in Höhe von 171 Euro,
2.
von 40in Höhe von 233 Euro,
3.
von 50in Höhe von 311 Euro,
4.
von 60in Höhe von 396 Euro,
5.
von 70in Höhe von 549 Euro,
6.
von 80in Höhe von 663 Euro,
7.
von 90in Höhe von 797 Euro,
8.
von 100in Höhe von 891 Euro.

Die monatliche Grundrente erhöht sich für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, bei einem Grad der Schädigungsfolgen

von 50 und 60um 35 Euro,
von 70 und 80um 43 Euro,
von mindestens 90um 53 Euro.

(2) Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 festgestellt ist.

(3) Beschädigte, bei denen Blindheit als Folge einer Schädigung anerkannt ist, erhalten stets die Rente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100. Beschädigte mit Anspruch auf eine Pflegezulage gelten stets als Schwerbeschädigte. Sie erhalten mindestens eine Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50.

(4) Beschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, erhalten eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage, die in folgenden Stufen gewährt wird:

Stufe I103 Euro,
Stufe II212 Euro,
Stufe III316 Euro,
Stufe IV424 Euro,
Stufe V527 Euro,
Stufe VI636 Euro.


Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Personenkreis, der durch seine Schädigungsfolgen außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen I bis VI näher zu bestimmen.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.