Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 23. März 2017 - L 6 KR 24/16

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2017:0323.L6KR24.16.00
23.03.2017

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Freistellung von Kosten einer ambulant durchgeführten lokalen Sauerstofftherapie (Sauerstoff-Therapie).

2

Der 1972 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Nach einer Fußoperation im Januar 2014 und einer Fußrekonstruktion am 3. April 2014 kam es bei ihm zu einer postoperativen Wundheilungsstörung. Nach dem Entlassungsbericht des Städtischen Klinikums D. vom 21. Mai 2014 befand sich der Kläger dort vom 25. April bis 21.Mai 2014 in stationärer Behandlung. Als Diagnosen wurde dort in einem korrigierten eine Osteomyelitis Calcaneus bei Weichteilinfektion am rechten Rückfuß festgehalten. Im Rahmen der Wundheilung sei eine Vakuumverband-Therapie eingesetzt worden. Die Entlassung des Klägers erfolgte entgegen dem Rat der Ärzte auf eigenen Wunsch. Hierzu heißt es in dem Entlassungsbericht, eine weitere stationäre Behandlung mit weiteren operativen Eingriffen und das Belassen des lokalen Antibiotikaträgers im Bereich des Fersenbeins sei indiziert gewesen. Dies lehne der Kläger ab.

3

Im Weiteren erfolgte eine ambulante Behandlung bei dem Facharzt für Chirurgie Dr. W ... Am 18. Juni 2014 bat der Kläger um Mitteilung, ob die Kosten einer ambulanten topischen (lokalen) Sauerstofftherapie übernommen werden könnten. Diese sollten bei der Wundversorgung seines Beines angewendet werden. Der Kläger erhielt nach einem Aktenvermerk vom 23. Juni 2014 die mündliche Mitteilung, dass eine Kostenübernahme im Rahmen einer ambulanten Behandlung nicht möglich sei. Der behandelnde Arzt solle sich zur weiteren Klärung noch einmal mit der Krankenkasse in Verbindung setzen. Vom 20. Juni bis 1. Juli 2014 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im Diakonissenkrankenhaus D. bei Dr. W ...

4

Bei einer Untersuchung am 25. Juni 2014 zeigten sich im Abstrich Staphylococcus aureus (ein Eitererreger) in Reinkultur. Die Lokaltherapie wurde auf PHMB (Polyhexanidbiguanid - Antiseptikum zur Wundbehandlung) umgestellt. Nach einer Spülung und fünf Tagen Sauerstoff-Therapie zeigte sich ein deutlicher Rückgang der lokalen Entzündungszeichen.

5

Mit einem am 27. Juni 2014 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben übersandte der Dr. W. eine "Nutzen-Risiko-Bewertung" der lokalen Sauerstofftherapie. Darin führte er aus, er habe aufgrund einer Verschlechterung der Wundsituation die Indikation für eine Nekrosektomie und Wundrevision gestellt. Diese sei am 22. Juni 2014 erfolgt. Im neuerlich durchgeführten Abstrich habe sich bei Antibiotikatherapie eine Persistenz der Staphylococcus aureus-Infektion gezeigt, die laut Literatur in 40 % der Fälle nach sechs Wochen in einer Multiresistenz ende. Die Ursache liege vor allem im Nichterreichen der Wirkspiegel im Zielgebiet. Gleiches gelte für eine lokale Antibiotikatherapie, die international aufgrund fehlender Evidenz und Nutzen-Risiko-Bewertung abgelehnt werde. Systemisch seien keine Infektionszeichen nachweisbar gewesen. Infektionen wie im vorliegenden Fall entsprächen dem Verhalten von diabetischen Füßen im Rahmen der Neuropathie. Für Wagner 3 und 4 bestehe die Indikation zur hyperbaren Oxygenierung. Als zweites Therapiekonzept bestehe die lokale Gabe von PHMB. Hier sei eine Kombination aus beiden Therapieverfahren gewählt worden. Im stationären Verlauf habe sich postoperativ der Lokalbefund verbessert. Das Fußödem als Zeichen einer lokalen Infektion habe sich komplett zurückgebildet. Mit dem Kläger sei das Therapiekonzept der Sauerstoff-Kammern analysiert worden. Schließlich habe sich der Patient für eine Therapie im Rahmen des postoperativen Aufenthalts im Diakonissenkrankenhaus entschieden. Er befürworte die Therapie in der ambulanten Versorgung (Erfolgsmessung laut Konsensuskonferenz zum Nutzen in der Behandlung von chronischen Wunden 2014).

6

Am 30. Juni 2014 erstellte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt (MDK) ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage. Er führte aus, die Sauerstofftherapie bei chronischen Wunden sei eine neue Behandlungsmethode, deren Kosten nur im Einzelfall übernommen werden könnten. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Auch in dem Aufsatz von Wild zum "Nutzen der topischen Sauerstofftherapie bei chronischen Wunden" werde nur auf Fallstudien und einzelne kontrollierte Studien verwiesen.

7

Mit Bescheid vom 8. Juli 2014 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme der topischen Sauerstofftherapie ab und verwies zur Begründung auf die Ausführungen des MDK. Hiergegen legte der Kläger noch im gleichen Monat Widerspruch ein und führte aus, seit dem 21. Mai 2014 sei "plötzlich" die Rede von einer Osteomyelitis. Mit der Sauerstoffbehandlung sei in der stationären Behandlung eine deutliche Verbesserung der Wundverhältnisse eingetreten. Zur Entlassung am 1. Juli 2014 sei die Wunde deutlich kleiner gewesen. Es sei daher für ihn nicht nachvollziehbar, dass eine erfolgreiche Therapie nicht empfohlen und nicht bezahlt werde. Die teure Antibiotikatherapie werde bezahlt. Ob eine Heilung damit erreicht werde, sei fraglich.

8

In einer erneuten Stellungnahme vom 21. Juli 2014 nach Aktenlage führte der MDK aus, der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe die Behandlungsmethode nicht positiv bewertet. Die Argumentation des Klägers, dass die hyperbare Oxygenisierung beim diabetischen Fußsyndrom bei Wagner 3 bis 4 im Leistungskatalog der Krankenkasse enthalten sei, treffe nicht zu. Es handele sich weder bei der topischen Sauerstofftherapie noch bei der hyperbaren Sauerstofftherapie im Rahmen der Ganzkörperdruckkammer (um durch den GBA positiv bewertete Methoden. Letztere werde zwar in der S3 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V. "Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken peripherer-arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronisch-venöse Insuffizienz" der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung empfohlen. Dies geschehe aber nur mit dem Empfehlungsgrad B, d.h. aufgrund von randomisierten kontrollierten Studien mit mittlerem Risiko für systematische Fehler (vgl. http://www.awmf.org/uploads/tx szleitlinien/091001l S3 Lokaltherapie chronischer Wunden 2012-verlaengert.pdf, S. 29).

9

Für die hier zur Anwendung kommende topische Sauerstofftherapie liege auch in der Leitlinie keine Empfehlung vor. Zudem müsse darauf hingewiesen werden, dass Leitlinien nicht den Umfang der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmten. Es hätten andere Maßnahmen zur Behandlung der bestehenden Grunderkrankung, wie Wundreinigung, Dekontamination, chirurgisches Debridement, Ausräumung der Infektionsherde, Einsatz entsprechender Wundauflagen, topische Wundbehandlung/feuchte Wundbehandlung, Lymphdrainage, bei Wundinfektionen systemische und lokale Antibiotikatherapie zur Verfügung gestanden. Insgesamt seien die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht erfüllt.

10

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. September 2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und vertiefte ihre bisherige Begründung unter Hinweis auf die Argumentation des MDK.

11

Hiergegen richtet sich die am 16. Oktober 2014 am Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) eingegangene Klage. Beigefügt war ein Kostenangebot der Firma e. vom 4. August 2014 über eine topische Sauerstofftherapie gemäß ärztlicher Verordnung von Dr. W. für 45 Tage für eine Behandlung zuhause über insgesamt 5.355,00 EUR.

12

In einem Erörterungstermin am 25. Juli 2015 hat der Kläger mitgeteilt, dass er bisher noch keine Rechnung über die topische Sauerstofftherapie bekommen habe, jedoch das Angebot vom 4. August 2014 maßgebend sei. Er sei am 1. Juli 2014 aus dem Diakonissenkrankenhaus D. entlassen worden. Die letzten Tage seien ihm die Hyperboots übergeben worden und die Einweisung erfolgt. Er habe das Gerät nach Hause gebracht und es dort bis Mitte August täglich benutzt.

13

Mit Urteil vom 10. März 2016 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, für einen Erstattungsanspruch gem. § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) fehle es bereits an einem vorhergehenden entsprechendem Anspruch des Klägers auf eine ambulante Behandlung seiner Wundheilungsstörung bei bestehender Osteomyelitis mit Sauerstoff. Diese Methode sei vom GBA durch Beschluss vom 11. April 2000 sogar ausdrücklich von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen worden. Ein Ausnahmefall, in dem eine solche Empfehlung nicht notwendig sei, liege nicht vor. Offen könne damit bleiben, ob der Anspruch nicht bereits wegen der Vereinbarung des Pauschalhonorars unbegründet sei und ob ein Ursachenzusammenhang zwischen der Leistungsablehnung und der Selbstbeschaffung bestanden habe.

14

Gegen die ihm am 14. April 2016 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 11. Mai 2016 Berufung eingelegt. Er trägt vor, der Beschluss des GBA, nach dem die ambulante hyperbare Sauerstofftherapie kein Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung sei, sei nicht in das Verfahren eingeführt worden. Im Übrigen liege ein Systemversagen vor, da ansonsten eine Therapielücke bestehe. Die vertraglichen Maßnahmen zur Wundbehandlung seien ausgeschöpft gewesen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wieso die hyperbare Sauerstofftherapie bei einem diabetischen Fußsyndrom inzwischen von den Krankenkassen bezahlt werde und bei dem vorliegenden Krankheitsbild nicht. Schließlich liege ein einer lebensbedrohlichen Krankheit vergleichbarer Zustand vor. Bei ihm hätte die Gefahr des Fortschreitens der Infektion und der Osteomyelitis bestanden.

15

Der Kläger beantragt,

16

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 13. März 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn von den Kosten für die durchgeführte topische Sauerstofftherapie auf der Grundlage des Kostenangebots vom 4. August 2014 der e. freizustellen.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Berufung zurückzuweisen.

19

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Auch unter Berücksichtigung des Berufungsvortrags gebe es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Systemmangels.

20

Der Senat hat einen Artikel von Dr. Wild "Nutzen der topischen Sauerstofftherapie bei chronischen Wunden" aus 02/10, S. 16 ff. sowie einen Teil von Veröffentlichungen von Tawfick im Jahre 2009 und Orstedt aus 2012 beigezogen. Weiter hat der Kläger den Entlassungsbericht und diverse Untersuchungsbefunde von Dr. W. vorgelegt.

21

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

22

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

23

Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2014 beschwert den Kläger nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Insbesondere hat er keinen Anspruch gegen die Beklagte, ihn von den Kosten für die durchgeführte topische Sauerstofftherapie auf der Grundlage des Kostenangebots vom 4. August 2014 der es-meditec freizustellen.

24

Als Anspruchsgrundlage kommt vorliegend nur § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Danach sind von der Krankenkasse Kosten einer selbstbeschafften Leistung zu erstatten, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch Kosten entstanden sind, soweit die Leistung notwendig war. Zumindest letzteres liegt hier nicht vor.

25

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung, da er keinen Anspruch auf die Sauerstofftherapie hatte. Denn ersterer ist akzessorisch zu dem durch Zweckerreichung erloschenen originären Sachleistungsanspruch (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V), er reicht nicht weiter als der ursprüngliche Anspruch. Ein Anspruch auf Kostenerstattung setzt daher voraus, dass für den Kläger ein Anspruch auf Durchführung dieser Therapie zu Lasten der Beklagten bestand (vgl. BSG, 6.3.2012, B 1 KR 24/10 R, juris).

26

Der Kläger hatte aber keinen Anspruch auf die Sauerstoff-Therapie gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V in Verbindung mit § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte grundsätzlich Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen.

27

1. Dabei kann nach der Rechtsprechung des BSG ein Hilfsmittel im Rahmen der Krankenbehandlung nicht getrennt von dem zu Grunde liegenden Behandlungskonzept und den dafür geltenden Anforderungen nach § 2 Abs. 1 Satz 3, § 12 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit § 135 Abs. 1 SGB V betrachtet werden (siehe hierzu und zum Folgenden BSG, 12.8.2009, B 3 KR 10/07 R, juris Rn. 18; außerdem BSG, 28.9.2006, B 3 KR 28/05 R, juris Rn. 32, und BSG, 31.8.2000, B 3 KR 21/99 R, juris Rn. 21 f.; BSG, 8.7.2015, B 3 KR 5/14 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 47). Insoweit erfasst die Sperrwirkung des in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt jegliche Maßnahme im Rahmen einer bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandten Methode. Solange eine solche Therapie als neue Behandlungsmethode nicht zur Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen ist, werden auch die dabei eingesetzten Hilfsmittel nicht von der Leistungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst.

28

Die Richtlinien des GBA sind in der Rechtsprechung des BSG seit Langem als untergesetzliche Rechtsnormen anerkannt. Ihre Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten steht außer Frage (vgl. § 91 Abs. 9 SGB V). Allerdings sind die vom GBA erlassenen, im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden normativen Regelungen formell und auch inhaltlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte, soweit hierzu aufgrund hinreichend substantiierten Beteiligtenvorbringens konkreter Anlass besteht (st. Rspr; vgl. nur BSG, 1.3.2011, B 1 KR 7/10 R, SozR 4-2500 § 35 Nr. 5, Rn. 26 m.w.N.; BSG, 8.7.2015, B 3 KR 5/14 R, SozR 4-2500 § 33 Nr. 47).

29

Die lokale Behandlung mit Sauerstoff bei einer Wundheilungsstörung bei Infektion ist eine ärztliche "Behandlungsmethode" im Sinne der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Ärztliche "Behandlungsmethoden" im Sinne der GKV sind nämlich medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll. Die Methode ist auch "neu", weil sie zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab enthalten war (vgl. BSG, 7.5.2013, B 1 KR 44/12 R, SozR 4-2500 § 13 Nr. 29, Rn. 15).

30

Die Zulassung der hier streitigen lokalen Sauerstoff-Therapie zur ambulanten Anwendung behauptet der Kläger nicht; hierfür gibt es insbesondere unter Würdigung des Gutachtens des MDK keinen Anhaltspunkt.

31

Zu Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat darauf hin, dass die hier streitige Therapie nicht identisch ist mit der Sauerstoff-Therapie in Druckluftkammern durch Einatmung von 100 % medizinisch reinem Sauerstoff unter erhöhtem Umgebungsdruck für definierte Zeiträume und Intervalle (vgl. dazu BSG, 7.5.2013, B 1 KR 44/12 R, SozR 4-2500 § 13 Nr. 29). Vielmehr wird der Sauerstoff hier lokal ohne Änderung des Umgebungsdrucks direkt auf die Wunde (hier am Fuß) appliziert. Dies ist ein grundlegend anderes Konzept, wie der MDK überzeugend ausführt. Ausdrücklich wird auch in der von Dr. W. angeführten Studie ausgeführt: "Die Ganzkörperdruckkammertherapie (hyperbare Sauerstofftherapie) sollte bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom nach Ausschöpfen von Revaskularisationsmaßnahmen bei amputationsbedrohter Extremität als zusätzliche Therapieoption verwendet werden. [Empfehlungsgrad B]". Erläuternd wird ausgeführt: "HBO wird definiert als Atmung von 100 % Sauerstoff bei erhöhtem Umgebungsdruck zwischen 2,0 und 2,5 bar Gesamtdruck. Damit sind topische Behandlungen nicht gemeint." (a.a.O. S. 52).

32

Auch die Hyperbare Sauerstofftherapie in Druckluftkammern ist im Übrigen entgegen der Ansicht des Klägers noch nicht anerkannt; hier ist ein Verfahren bei dem GBA anhängig (siehe Beschluss des GBA zur Ermittlung von Medizinprodukteherstellern, denen vor Entscheidungen des GBA Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist zur Hyperbaren Sauerstofftherapie bei diabetischem Fußsyndrom vom 28. Juli 2016 (https://www.g-ba.de/downloads/39-261-2682/2016-07-28-Ermittlung SN-ber-MP-Hersteller HBO-DFS BAnz.pdf).

33

Zudem liegt bei dem Kläger kein diabetisches Fußsyndrom vor, für das allein ein Verfahren bei dem GBA (bezüglich der Druckluftkammer) anhängig ist. Über die vom Kläger gewünschte Ausweitung der Indikationen müsste eigenständig entschieden werden. Der Senat ist überzeugt, dass die hier streitige Methode vom GBA bei Anhaltspunkten für das Potential zur Behandlung von allen Arten von Wundheilungstörungen in das Bewertungsverfahren einbezogen worden wäre. Angesichts der Differenzierung sowohl in dem Verfahren vor dem GBA als auch in der zitierten Leitlinie hält der Senat die Situation mit den Ausführungen des MDK nicht für vergleichbar. Dem misst der Senat ein höheres Gewicht zu als der Ansicht Dr. W.s (vgl. BSG, 7.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190).

34

2. Auch der Ausnahmefall eines Systemversagens (vgl. hierzu BSG, 27.3.2007, B 1 KR 30/06 R, SGb 2007, 287; 7.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190) ist nicht gegeben. Danach kommt eine Leistungspflicht der Krankenkasse ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf beruht, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Die Wirksamkeit der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt werden (dazu schon grundlegend: BSG, 5.7.1995, 1 RK 6/95, SozR 3-2500 § 27 Nr. 5).

35

Wie der MDK unwidersprochen ausführt, gibt es bislang keine einzige relevante Studie. Der Verweis von Dr. W. auf die Leitlinien überzeugt nicht, da dort nur die Therapie in Druckluftkammern erwähnt wird. Auch in dem beigezogenen Artikel von Dr. Wild wird ausgeführt, eine Schwäche der zum Teil recht alten Studien sei, dass nicht immer klar beschrieben werde, welche Wundätiologie behandelt wurde. Im Weiteren werden dort sodann Patienten mit Diabetes, venösem Ulcus sowie Dekubitus genannt. Alle diese Erkrankungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Weiterhin weist der Artikel darauf hin, dass der applizierte Druck immens wichtig sei. Geräte, die einen Druck von unter zehn mmHg benützten, schienen unwirksam zu sein. Dies indiziert einen weiteren Forschungsbedarf.

36

Die weiteren auszugsweise vorgelegten Studien hat der Senat nicht zu bewerten. Er hat lediglich festzustellen, ob ein entsprechender medizinischer Stand vorhanden ist. Er hat jedoch nicht zu überprüfen, ob bestimmte Studien belastbar sind oder nicht. Hinzu kommt, dass es auf den Erkenntnisstand im Jahre 2010 ankommt. Studien aus dem Jahr 2012 sind damit unerheblich. Die Studie aus dem Jahre 2009 betrifft "venous ulcers" (venöse bzw. eitrige Geschwüre). Darum geht es vorliegend nicht.

37

Zu Recht weist der Kläger in seinem Schreiben vom 9. März 2017 darauf hin, dass die Osteomyelitis nicht als Indikation benannt und bewertet wurde. Vereinzelte positive Bewertungen zur lokalen Sauerstofftherapie bei chronischen Wunden (die der Senat nicht erkennen kann) sind entgegen der Ansicht des Klägers unerheblich. Schließlich ist auffällig, dass diese Therapie in der von Dr. W. zitierten Leitlinie auf 279 Seiten insgesamt nur einmal erwähnt wird ("Damit sind topische Behandlungen nicht gemeint.", a.a.O. S. 52).

38

Es ist auch nicht erkennbar, dass die üblichen Behandlungsmethoden ausgeschöpft worden sind. Der MDK hat ausgeführt, als Standardtherapie käme u.a. ein chirurgisches Debridement, Wundreinigung, Ausräumung der Infektionsherde und topische Wundbehandlung/feuchte.

39

Genau dies hat Dr. W. im Weiteren mit Erfolg gemacht. Es zeigte sich nach seinen Angaben ein deutlicher Rückgang der lokalen Entzündungszeichen. In dem Entlassungsbericht des d. Krankenhauses D. heißt es ausdrücklich, der postoperative Verlauf habe sich komplikationslos gestaltet. Auch der Kläger selbst hat in seinem Widerspruch vom 8. Juli 2014 ausgeführt, dass die Wunde am 1. Juli 2014 bereits deutlich kleiner und die Bildung des Granulationsgewebes von innen her deutlich fortgeschritten gewesen sei. Dies war nach den eigenen Angaben des Klägers die Situation vor Einsatz der hier streitigen Therapie.

40

Diese Standardtherapien können daher noch nicht als fehlgeschlagen bewertet werden. Dies behauptet Dr. W. auch nicht. Ob die zusätzlich durchgeführte Sauerstofftherapie (auch in der stationären Behandlung) hier überhaupt einen Einfluss hatte, lässt sich nicht feststellen.

41

3. Auch unter Berücksichtigung der vom BVerfG entwickelten Grundsätze einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts ("Nikolausbeschluss", 6.12.2005 - 1 BvR 347/98, SozR 4-2500 § 27 Nr. 5; seit 1.1.2012: § 2 Abs. 1a SGB V), ergibt sich kein Anspruch des Klägers, da keine lebensbedrohlicher oder damit zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorlag. Wie oben dargelegt, haben auch Dr. W. und der Kläger selbst die Lage bei der Entlassung am 1. Juli 2014 (und damit zu Beginn der streitigen Therapie) als komplikationslos eingeschätzt. In dem Entlassungsbericht war eine Wiedervorstellung in der Ambulanz am 9. Juli 2014 vorgesehen. Dies ist von einem lebensbedrohlichen Zustand weit entfernt. Der - angeblich drohende - Verlust des Fersenbeins ist dem nicht gleichzustellen. Eine eventuelle Resistenz gegen Antibiotika konnte angesichts der längst beendeten Behandlung mit solchen Medikamenten zumindest keine akute Gefahr darstellen.

42

Im Übrigen bestanden (wie bei 2. dargelegt) mehrere Standardtherapien, nach deren Anwendung auch nach den Angaben des Klägers und Dr. W.s ein Rückgang der Erkrankung festzustellen war.

43

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

44

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, da die Entscheidung auf gesicherter Rechtslage und tatsächlicher Einzelfallbewertung beruht, ohne dass der Senat von einem der in dieser Norm bezeichneten Gerichte abweicht.


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Das Landessozialgericht prüft den Streitfall im gleichen Umfang wie das Sozialgericht. Es hat auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. April 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit den Mitteln "Linola", "Linola Fett", "Anästhesinsalbe 20 %", "Balneum-Hermal F" sowie "Pasta zinci mollis" und die Erstattung dafür bereits aufgewandter Kosten.

2

Die 1973 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet seit ihrer Geburt an Neurodermitis und verschiedenen Allergien. Vertragsarzt Dr. S. verordnete ihr die genannten, nicht der Verschreibungspflicht unterliegenden Mittel zur Basispflege ihrer Haut vor 2004 auf Kassenrezept. Die Klägerin wendet Linola-Salben je nach dem Zustand ihrer Haut im jahreszeitlichen Wechsel an. Sie verfügen als Wirkstoff über ungesättigte Fettsäuren in unterschiedlicher Konzentration (Linola Fett: 0,815 g ungesättigte Fettsäuren [C18:2-Fettsäuren] pro 100 g Creme; Linola: 0,5 g ungesättigte Fettsäuren [C18:2-Fettsäuren] pro 100 g Creme). Bei der Anästhesinsalbe handelt es sich um ein Lokalanästhetikum zur Oberflächenbetäubung (Wirkstoff Benzocain). Es dient nach Angaben der Klägerin der Vorbereitung der Haut zum Auftragen der Fettsalben. Die Klägerin verwendet das Ölbad Balneum-Hermal F (Wirkstoff Erdnussöl und dünnflüssiges Paraffin in der Zusammensetzung 46,45 g/47,0 g auf 100 g flüssigem Badezusatz) zum Duschen. Die für die Klägerin nach Rezeptur gemischte Zinksalbe soll der Wundheilung dienen.

3

Der Gesetzgeber schloss zum 1.1.2004 die Verordnungsfähigkeit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus (§ 34 Abs 1 S 1 SGB V). Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) ließ in seinen Arzneimittelrichtlinien die Verordnungsfähigkeit der von der Klägerin verwendeten Salben und des Badeöls auch nicht ausnahmsweise nach § 34 Abs 1 S 2 SGB V zu. Deshalb verordnete Dr. S. seit dem 1.4.2004 die Arzneimittel nur noch auf Privatrezept. Nach seinen Angaben verhinderte die zuletzt durchgeführte Therapie mit Anästhesin und Fettsalbenvarianten schwere Neurodermitis-Schübe. Bei Unterlassen der Therapie sei in kurzer Zeit mit einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes zu rechnen. Dies könne "durchaus lebensgefährlich" sein. Die Klägerin wendet nach ihren Angaben für diese Therapie bei Verordnung auf Privatrezept im Monat durchschnittlich 510 Euro auf. Soweit sie bei Krankheitsschüben cortisonhaltige Arzneimittel benötigt, versorgt die Beklagte sie hiermit. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin aus Mai 2004 ab, sie ausnahmsweise mit den begehrten Mitteln zu versorgen (Bescheid vom 8.6.2004; Widerspruchsbescheid vom 19.8.2004). Das SG verpflichtete die Beklagte indes hierzu im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache (Beschluss vom 5.1.2005; die Beschwerde der Beklagten zurückweisender Beschluss des LSG vom 30.3.2005).

4

Die Klage, gerichtet auf Erstattung der bis zum Erlass der einstweiligen Anordnung entstandenen Aufwendungen, endgültige Versorgung für die Vergangenheit und Versorgung mit den begehrten Mitteln für die Zukunft, ist erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 18.7.2005). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Die Klägerin habe keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit den begehrten Mitteln gemäß § 27 Abs 1 S 2 Nr 3 iVm § 31 SGB V, weil nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel verfassungskonform von der Versorgung ausgeschlossen seien(§ 34 Abs 1 S 1 SGB V idF des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190). Der GBA habe in seinen Arzneimittel-Richtlinien keine Ausnahme zugelassen (§ 34 Abs 1 S 2 SGB V). Das LSG habe den hilfsweise gestellten Beweisanträgen nicht nachgehen müssen (Urteil vom 22.4.2010).

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das LSG habe verfahrensfehlerhaft seine Amtsermittlungspflicht verletzt (§ 103 SGG), die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten (§ 128 Abs 1 SGG),den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (Art 103 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention , § 62 SGG) und es unterlassen, den GBA notwendig zum Verfahren beizuladen (§ 75 Abs 2 SGG). Das LSG habe den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG), ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art 2 Abs 2 GG), ihr Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 iVm Art 20 GG), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) iVm dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1 GG) sowie das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip (Art 20 Abs 1 bis 3 GG) verletzt.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. April 2010 und des Sozialgerichts Hannover vom 18. Juli 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 2756,78 Euro zu zahlen, die seit dem 18. November 2004 übernommenen Kosten für "Linola" (Creme), "Linola Fett", "Anästhesinsalbe 20 %", "Balneum-Hermal F" und "Pasta zinci mollis" endgültig zu tragen und der Klägerin künftig die genannten Mittel als Naturalleistung zu gewähren.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

9

Der Senat hat Beweis erhoben durch eine Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zum Zulassungsstand der Mittel und durch eine Auskunft des GBA. Der GBA hat ausgeführt, Basistherapeutika stellten nicht den Therapiestandard zur Behandlung einer Neurodermitis im Sinne einer schwerwiegenden Erkrankung dar. Selbst die neuesten HTA-Berichte und Leitlinien bestätigten den Mangel an Evidenz für den Nutzen der Mittel, auch wenn Leitlinien eine Hautpflege mit Basistherapeutika empfehlen würden. Es hätten sich keine Studien gefunden, die eine Überlegenheit eines als Arzneimittel zugelassenen Basistherapeutikums gegenüber Kosmetika oder Medizinprodukten belege, welche in der Regel preiswerter seien. Der Senat hat den Beteiligten zudem eine Stellungnahme von Patientenvertretern im GBA zugeleitet.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin ab Mai 2004 entstandene Kosten für die Selbstbeschaffung von "Linola", "Linola Fett", "Anästhesinsalbe 20 %", "Balneum-Hermal F" sowie der "Pasta zinci mollis" zu erstatten, die anschließend vorläufig hierfür übernommenen Kosten endgültig zu tragen und die Klägerin zukünftig mit diesen Mitteln zu versorgen. Denn die Klägerin hat diesbezüglich keinen Naturalleistungsanspruch (dazu 2.), ohne dass höherrangiges Recht entgegensteht (dazu 3.). Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch (dazu 4.).

11

1. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler, die einer Sachentscheidung entgegenstehen, liegen nicht vor. Entgegen der Ansicht der Klägerin musste der GBA nicht gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig zum Verfahren beigeladen werden. In einem Rechtsstreit zwischen einem Versicherten und seiner KK über die Leistungspflicht für einzelne Behandlungsmaßnahmen ist der GBA nicht notwendig beizuladen, weil seine Interessen durch eine in diesem Verhältnis ergehende gerichtliche Entscheidung allenfalls mittelbar berührt sein können (vgl zB BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 - Viagra; BSG Beschluss vom 6.1.2005 - B 1 KR 51/03 B - juris RdNr 19 - Dronabinol Tropfen).

12

Weder Klägerin noch Beklagte haben im Revisionsverfahren gerügt, dass das LSG es unterlassen hat, den zuständigen Sozialhilfeträger oder den zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß § 75 Abs 2 Alt 2 SGG mit Blick auf Ansprüche betreffend den Zeitraum ab dem 1.1.2005 beizuladen (vgl zum Rügeerfordernis zB BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2, RdNr 10; BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 15 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 75 RdNr 13b mwN).

13

2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte hinsichtlich der begehrten Mittel weder für die Vergangenheit einen Anspruch auf Kostenerstattung und auf (endgültige) Versorgung (§ 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB V) noch für die Zukunft auf Gewährung als Naturalleistung. Der Anspruch auf Kostenerstattung und auf (endgültige) Versorgung für die Vergangenheit reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte und die im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes gewährte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl nur BSGE 102, 30 = SozR 4-2500 § 34 Nr 4, RdNr 9 - Gelomyrtol forte). Einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit den streitgegenständlichen Präparaten abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung hat die Klägerin jedoch nicht. Die Beklagte hat nicht ihre Leistungspflicht kraft Satzung erweitert (zur Zulässigkeit vgl § 11 Abs 6 S 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 2 Buchst b Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22.12.2011, BGBl I 2983). Die Versorgung mit den begehrten Mitteln zählt auch nicht zum gesetzlichen Leistungskatalog der GKV.

14

Die Klägerin hat keinen Anspruch gemäß § 27 Abs 1 S 2 Nr 3 iVm § 31 Abs 1 S 1 SGB V auf Versorgung mit den begehrten Präparaten. Bei "Linola" ist bereits zweifelhaft, ob es sich überhaupt um ein Arzneimittel oder nicht lediglich um ein Kosmetikum handelt. Nach der Gesetzeskonzeption unterfallen Kosmetika, die keine Arzneimittel sind, nicht der Leistungspflicht der GKV. Es handelt sich vielmehr um Verbrauchsgegenstände des täglichen Lebens, die der Gesetzgeber - ähnlich wie grundsätzlich Lebensmittel (vgl hierzu BSG Urteil vom 8.11.2011 - B 1 KR 20/10 R - mwN, Leucinose, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) - der Eigenverantwortung der Versicherten zuordnet. Es kommt in Betracht, dass "Linola" ein kosmetisches Mittel nach § 2 Abs 3 Nr 2 Arzneimittelgesetz (AMG) iVm § 2 Abs 5 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) ist. Dem Senat ist nicht im Einzelnen bekannt, aus welchen Gründen das BfArM eine Nachzulassung nach § 105 AMG ablehnt, ob insoweit bereits eine (nicht bestandskräftige) Entscheidung nach § 2 Abs 4 S 2 AMG vorliegt und wie "Linola" in Verkehr gebracht wird. Näherer Aufklärung bedarf dies indes nicht.

15

Selbst wenn es sich nämlich um ein Arzneimittel handeln sollte, scheidet ein Anspruch hierauf ebenso aus wie auf Versorgung mit "Anästhesinsalbe 20 %". Denn die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit dieser Mittel - soweit sie überhaupt bestanden hat und besteht - beruht allenfalls auf der verfahrensrechtlichen Aufrechterhaltung einer Alt-Zulassung nach dem AMG 1961 (dazu a). Einem Anspruch auf Versorgung mit den übrigen Mitteln "Pasta zinci mollis", "Balneum-Hermal F" und "Linola Fett" steht entgegen, dass diese Präparate nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind, für die kein Ausnahmetatbestand eingreift (dazu b).

16

a) Die Präparate "Linola" und "Anästhesinsalbe 20 %" haben keinen hinreichenden arzneimittelrechtlichen Zulassungsstatus, um ihre Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV zu begründen. Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass es für den Anspruch Versicherter auf Versorgung mit Arzneimitteln nach § 31 Abs 1 SGB V nicht ausreicht, dass die Verkehrsfähigkeit der Mittel lediglich auf dem Zusammenwirken von arzneimittelrechtlichem Übergangs- und Verfahrensrecht beruht (vgl § 105 Abs 1 AMG nunmehr idF der Neubekanntmachung vom 12.12.2005, BGBl I 3394, bzw vormals nach Art 3 § 7 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24.8.1976, BGBl I 2445). Vielmehr bedarf es der erfolgreichen arzneimittelrechtlichen Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Mittels (vgl § 1 AMG; BSGE 95, 132 RdNr 9 f, 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 16 f, 27 - Wobe-Mugos E; dem folgend zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 21). Daran fehlt es.

17

Das BfArM hat nämlich am 1.7.2005 den Antrag auf Verlängerung der Zulassung für das Alt-Arzneimittel "Anästhesinsalbe 20 %" nach Prüfung der pharmazeutischen Qualität, pharmakologischen Unbedenklichkeit und klinischen Sicherheit abgelehnt (vgl auch OVG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 19.3.2009 - 13 A 1022/08 - juris, die Nichtzulassung der Berufung betreffend). Das Mittel ist zudem seit dem 27.3.2009 überhaupt nicht mehr verkehrsfähig. Aus vergleichbaren Gründen fehlt es an einer Leistungspflicht für "Linola". Es gilt nach Mitteilung des BfArM fiktiv als zugelassen, solange die behördliche Prüfung auf pharmazeutische Qualität, pharmakologische Unbedenklichkeit und klinische Sicherheit noch nicht abgeschlossen ist. Ein solcher Zulassungsstatus genügt nicht, um die Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV zu begründen.

18

b) Die nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG apothekenpflichtigen Arzneimittel "Linola Fett", "Balneum-Hermal F" sowie "Pasta zinci mollis" unterfallen dem gesetzlichen Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 1 SGB V(idF des Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst aa des GMG vom 14.11.2003, BGBl I 2190, in Kraft getreten am 1.1.2004). Die Fertigarzneimittel "Linola Fett" und "Balneum-Hermal F" sind gemäß § 48 AMG iVm der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV) nicht verschreibungspflichtig. Nichts anderes gilt im Ergebnis für das Rezepturarzneimittel "Pasta zinci mollis". Das LSG hat hierzu unangegriffen festgestellt, dass die Rezeptur keine verschreibungspflichtigen Stoffe beinhaltet. Dies deckt sich mit der Anlage 1 zu § 1 Nr 1 AMVV(zuletzt geändert durch Art 1 der Elften Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung vom 20.7.2011, BGBl I 1410). Hiernach sind Arzneimittel mit dem Wirkstoff Zink dann nicht verschreibungspflichtig, wenn sie zum äußeren Gebrauch bestimmt sind. Die weitere Frage, ob die Klägerin eine Versorgung mit "Pasta zinci mollis" als Rezepturarzneimittel bereits deshalb nicht beanspruchen kann, weil es an einer Empfehlung des GBA fehlt, bedarf deshalb keiner Vertiefung (vgl zu den Grundsätzen zB BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22, RdNr 18 - Orthomol vision diabet; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 47 - Lorenzos Öl).

19

Der GBA ließ eine Verordnung von "Linola Fett", "Balneum-Hermal F" sowie "Pasta zinci mollis" bei Neurodermitis zu Lasten der GKV auch nicht ausnahmsweise in seinen Richtlinien zu. Nach § 34 Abs 1 S 2 SGB V legt der GBA in seinen Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können. Die genannten Arzneimittel sind weder nach den Arzneimittel-Richtlinien in der bis zum 31.3.2009 geltenden Fassung (AMRL aF) noch nach der ab 1.4.2009 geltenden Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) ausnahmsweise verordnungsfähig.

20

Schon bei Beantragung der Versorgung im Mai 2004 sah die abschließende Regelung in F. 16.1 - 9 AMRL aF (vgl F. 16.7 AMRL idF vom 31.8.1993, BAnz Nr 246 vom 31.12.1993 S 11155, zuletzt geändert durch Beschluss vom 16.3.2004, BAnz Nr 77 vom 23.4.2004 S 8905) keine Verordnungsfähigkeit der Mittel zu Lasten der GKV vor. G. 20.1 Buchst c und d AMRL aF ließ bei sinngemäßer Auslegung ausnahmsweise eine vertragsärztliche Verordnung von als Arzneimittel zugelassenen Basiscremes und Basissalben sowie Balneotherapeutika bei Neurodermitis auf Privatrezept zu. Seither hat sich am Fehlen der Verordnungsfähigkeit der Mittel zu Lasten der GKV nichts geändert (vgl nunmehr § 12 AM-RL idF vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz Nr 49a vom 31.3.2009, zuletzt geändert am 24.11.2011, iVm der Anlage I zum Abschnitt F der AM-RL, letzte Änderung am 9.6.2011 in Kraft getreten - so genannte OTC-Übersicht).

21

3. Es steht mit höherrangigem Recht in Einklang, dass "Linola Fett", "Balneum-Hermal F" sowie "Pasta zinci mollis" nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind. Die Entscheidung des GBA in den AMRL aF und in der AM-RL nach § 34 Abs 1 S 2 SGB V beachtet die gesetzlichen Vorgaben(dazu a). Wie diese widerspricht sie weder Verfassungs- (dazu b) noch europäischem Recht (dazu c).

22

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Entscheidung des GBA, nach § 34 Abs 1 S 1 SGB V ausgeschlossene Basistherapeutika bei Neurodermitis nicht in den Kreis der verordnungsfähigen Arzneimittel einzubeziehen, mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar. Richtlinien sind in der Rechtsprechung des BSG seit Langem als untergesetzliche Rechtsnormen anerkannt. Ihre Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten steht außer Frage (vgl § 91 Abs 9 SGB V idF des GMG, jetzt § 91 Abs 6 SGB V). Das BSG zieht die Verfassungsmäßigkeit dieser Art der Rechtsetzung nicht mehr grundlegend in Zweifel. Es behält sich aber vor, die vom GBA erlassenen, im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden normativen Regelungen formell und auch inhaltlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte, wenn und soweit hierzu aufgrund hinreichend substantiierten Beteiligtenvorbringens konkreter Anlass besteht (stRspr; vgl zB BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 32, 37; BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 21, 26 mwN; BSG Urteil vom 21.6.2011 - B 1 KR 18/10 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

23

Der GBA hat die im Interesse der verfassungsrechtlichen Anforderungen der Betroffenenpartizipation umfassend durch Gesetz und - inzwischen - Verfahrensordnung des GBA (vgl jetzt Kap 4 der Verfahrensordnung des GBA) ausgestalteten und abgesicherten Beteiligungsrechte gewahrt. Diese stellen sicher, dass alle sachnahen Betroffenen selbst oder durch Repräsentanten auch über eine unmittelbare Betroffenheit in eigenen Rechten hinaus Gelegenheit zur Stellungnahme haben, wenn ihnen nicht nur marginale Bedeutung zukommt (vgl dazu BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 34; Hauck, NZS 2010, 600, 604). Die Auskunft des GBA vom 24.11.2011, seine Pressemitteilungen, sein zusammenfassender Bericht "Harnstoff bei der Behandlung von Atopischer Dermatitis (Neurodermitis) und Psoriasis vulgaris" - Beratungen 2004/2005 und die einschlägigen Beschlüsse des GBA (recherchiert am 23.1.2012, veröffentlicht unter http://www.g-ba.de/informationen/beschluesse/zur-anlage/17/ ) belegen konkret sein formal korrektes Vorgehen.

24

Die Rechtmäßigkeit der Nichtaufnahme von Basistherapeutika bei Neurodermitis als verordnungsfähig in die AMRL aF und die AM-RL ist insbesondere an den Regelungen des § 34 Abs 1 S 2 und 3 SGB V zu messen. Nach § 34 Abs 1 S 3 SGB V ist der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen. Hinsichtlich der Auslegung der gesetzlichen Rechtsbegriffe "nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten", und "der therapeutischen Vielfalt Rechnung tragen" verbleibt dem GBA kein Gestaltungsspielraum. Das gilt auch für die Vollständigkeit der vom GBA zu berücksichtigenden Studienlage (vgl hierzu BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 37).

25

Erst über die weitere Konkretisierung des Gesetzes entscheidet der GBA als Normgeber. Insoweit darf die sozialgerichtliche Kontrolle ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der vom GBA getroffenen Wertungen setzen. Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche Prüfung in diesen Segmenten darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den Gestaltungsspielraum auszufüllen (vgl BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 38; ähnlich BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 67 - Therapiehinweise). Nach diesem Maßstab hat der GBA über die Nichtaufnahme von Basistherapeutika bei Neurodermitis inhaltlich rechtmäßig entschieden.

26

Der GBA hat als Grundlage seiner Entscheidung die Studienlage vollständig berücksichtigt, denn er hat sich auf die verfügbaren Fachveröffentlichungen gestützt (vgl insbesondere den Inhalt der Auskunft des GBA vom 24.11.2011 und den zusammenfassenden Bericht "Harnstoff bei der Behandlung von Atopischer Dermatitis (Neurodermitis) und Psoriasis vulgaris" - Beratungen 2004/2005 des GBA vom 23.5.2006). Er hat hierbei auch die generellen Stellungnahmen - soweit bedeutsam - berücksichtigt, auf die die Klägerin sich beruft. Der Ausgangspunkt seiner Entscheidung ist rechtmäßig, nämlich dass eine Atopische Dermatitis (Neurodermitis) - bei schwerer Verlaufsform - eine schwerwiegende Erkrankung sein kann. § 12 Abs 3 AM-RL bezeichnet eine Krankheit als schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Das stimmt mit der Definition der schwerwiegenden Krankheit überein, die die Rechtsprechung des BSG zum off-label-use entwickelt hat (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 31 mwN - ADHS; BSG Urteil vom 8.11.2011 - B 1 KR 19/10 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) und die auch hier anwendbar ist. Der Gesetzgeber hat nämlich nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 34 Abs 1 S 2 SGB V bewusst diesen rechtstechnisch eingeführten Begriff gewählt, um die Erheblichkeitsschwelle der betroffenen Krankheiten für den GBA zu umreißen.

27

Der GBA hat es auch rechtmäßig abgelehnt, die Versorgung mit Basistherapeutika bei Neurodermitis als verordnungsfähige Standardtherapie in die AMRL aF oder die AM-RL aufzunehmen. Hierauf beruft sich die Beklagte mit Recht. Für die Entscheidung sind zwei rechtliche Komponenten wesentlich, die den Kreis verordnungsfähiger Standardtherapien umreißen: Zunächst ist der GBA nicht vom Gesetzgeber dazu ermächtigt, in die Ausnahmeliste nach § 34 Abs 1 S 2 SGB V Hautpflegemittel aufzunehmen, die keine Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelrechts sind, sondern etwa kosmetische Mittel(§ 2 Abs 5 LFGB)oder Bedarfsgegenstände in Form von Gegenständen, die zur Körperpflege bestimmt sind (§ 2 Abs 6 S 1 Nr 4 LFGB). Hier wirkt sich die Systementscheidung des Gesetzgebers aus, die Leistungspflicht der GKV grundsätzlich auf gezielt medizinische Maßnahmen der Krankheitsbekämpfung zu beschränken, ohne allgemein Mittel einzubeziehen, die zum Überleben notwendig sind. Allgemein überlebensnotwendige Mittel außerhalb der gezielt medizinischen Maßnahmen der Krankheitsbekämpfung unterfallen auch nicht etwa deshalb dem Leistungskatalog der GKV, weil sie teuer sind. Bei Bedürftigkeit Betroffener übernehmen andere Teile des Sozialsystems die Versorgung mit solchen Leistungen, etwa das SGB II und SGB XII unter den dort genannten Voraussetzungen.

28

Die Beschränkung des GKV-Leistungskatalogs wirkt sich auch in Mischbereichen aus, in denen Mittel sowohl als kosmetische Mittel oder Bedarfsgegenstände in Form von Gegenständen, die zur Körperpflege bestimmt sind, als auch als Arzneimittel zum vergleichbaren Einsatz bei Krankheiten zur Verfügung stehen. Solange der (zusätzliche) krankheitsspezifische Nutzen der betroffenen Arzneimittel nicht anhand belastbarer Statistiken gegenüber den anderen, etwa kosmetischen oder Pflegemitteln belegt ist, greift die Systemgrenze der GKV auch zu ihren Lasten. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel können nach diesen Grundsätzen ohne hinreichende Absicherung des (zusätzlichen) krankheitsspezifischen Nutzens gegenüber den anderen, vergleichbar einsetzbaren Mitteln nicht als zu Lasten der GKV verordnungsfähige Standardtherapie qualifiziert werden. Die bloße arzneimittelrechtliche Zulassung genügt wegen des speziellen Konkurrenzverhältnisses zu den anderen Pflegemitteln bei vergleichbarem Einsatzbereich und Zweck nicht, um ihre Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV nach § 34 Abs 1 S 2 SGB V zu begründen.

29

Erst recht gilt das Gesagte unter einem zweiten Aspekt, nämlich soweit für die Qualifikation apothekenpflichtiger Arzneimittel als Standardtherapeutika - ungeachtet der Sinnhaftigkeit einer neurodermitisspezifischen Basispflege der Haut - keine hinreichende Untermauerung durch wissenschaftliche Studien spricht. Dieses Problem stellt sich unabhängig von der Frage, ob es überhaupt wirksame nicht apothekengebundene Pflegemittel gibt. Zu Recht beantwortet der GBA die Frage nach dem Bestehen eines Therapiestandards gemäß § 12 Abs 4 AM-RL zumindest danach, ob der therapeutische Nutzen eines Arzneimittels zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Das harmoniert mit den Grundvoraussetzungen einer zulässigen Pharmakotherapie in der GKV nach der Rechtsprechung des Senats (vgl zB BSGE 95, 132 RdNr 18 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 mwN - Wobe-Mugos E; BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 62 mwN). Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt nämlich den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen. Zu Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels muss es grundsätzlich zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (vgl auch zB BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, RdNr 7 mwN).

30

Eher enger fordert die Gesetzesbegründung die Aufnahme solcher Fertigarzneimittel in die OTC-Liste, die "unverzichtbare Standardwirkstoffe" für die Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung enthalten (Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 86). Das entspricht auch dem Sinn der Regelung des § 34 Abs 1 SGB V, gerade nicht schon jede indikationsgerechte, nach allgemeinen Grundsätzen verordnungsfähige Pharmakotherapie in die OTC-Liste aufzunehmen, weil damit die einschränkende Wirkung der Regelung weitgehend obsolet zu werden droht.

31

Der Senat muss vorliegend indes nicht darüber entscheiden, ob die Gesetzesfassung enger zu verstehen ist, als es § 12 Abs 4 AM-RL annimmt. In jedem Falle genügt es nämlich nicht, dass Arzneimittel betroffen sind, deren therapeutischer Nutzen für die fragliche Indikation nicht durch hinreichende wissenschaftliche Studien belegt ist. So aber liegt es nach dem Ergebnis der auf eine kritische Durchsicht aller einschlägigen Studien gestützten Untersuchungen des GBA hinsichtlich "Linola Fett", "Balneum-Hermal F" sowie "Pasta zinci mollis". Auch die Studien, auf die sich die Klägerin beruft, belegen den angesprochenen Mangel an Evidenz.

32

b) Die Entscheidung des GBA und dessen gesetzliche Grundlage in § 34 Abs 1 SGB V widersprechen auch nicht Verfassungsrecht. Die Regelungen in der AMRL aF und der AM-RL lassen die Versorgung der Versicherten in Fällen schwerer Verlaufsformen der Neurodermitis mit dem allgemein anerkannten Therapiestandard unberührt. Hierzu gehört entsprechend der wissenschaftlich fundierten Stellungnahme des GBA die Anwendung lokal applizierter Glukokortikoide und als Therapiealternative die topische Behandlung mit Calcineurininhibitoren. Die von der Klägerin zitierte Studie "AtopicHealth" weist ohne Widerspruch hiermit bei auf diese Weise versorgten Patienten einen besonders hohen Patienten-Nutzen-Index (PBI) und eine besonders hohe Therapiezufriedenheit aus. Auch die Klägerin zieht nicht in Zweifel, dass sie bei Bedarf hiermit zu Lasten der Beklagten versorgt wird. Für die Übertragung der Grundsätze einer grundrechtsorientierten Auslegung besteht bei einer solchen Versorgungssituation kein Anlass (zu den Voraussetzungen im Anschluss an BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 13 ff mwN; vgl nunmehr auch § 2 Abs 1a SGB V idF durch Art 1 Nr 1 GKV-VStG).

33

Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, ist die Leistungsbegrenzung in § 34 Abs 1 SGB V verfassungsgemäß. Insbesondere verletzt sie weder das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art 2 Abs 2 S 1 GG) noch das Grundrecht aus Art 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (vgl dazu BVerfGE 115, 25, 43 ff = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 21, 24). Denn der Gesetzgeber hat in verhältnismäßiger Weise von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch gemacht, den Bereich der Eigenvorsorge zu umreißen (vgl insgesamt BSGE 102, 30 = SozR 4-2500 § 34 Nr 4, RdNr 11 ff mwN; zu den mittleren Tageskosten einer topischen Basistherapie von 0,99 Euro vgl 3.1 der Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft "Neurodermitis", AWMF-Leitlinien-Register Nr 013/027, Stand 04/2008; zur Zulässigkeit abweichender Regelungen gegenüber dem beamtenrechtlichen Beihilferecht vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 12 - Kryokonservierung mwN; BVerfG Beschluss vom 28.2.2008 - 1 BvR 1778/05 - juris; BVerwG Urteil vom 5.5.2010 - 2 C 12/10 - ZBR 2011, 126, RdNr 17 mwN). Ihm ist es unbenommen, bei seinen Entscheidungen auch zu berücksichtigen, dass die Zuweisung von Therapiemöglichkeiten zum Bereich der Eigenvorsorge preisdämpfende Auswirkungen auf das betroffene Marktsegment haben kann, wie etwa die Preisentwicklung im Bereich der Brillen eindrucksvoll beleuchtet.

34

Die gesetzliche Konzeption, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die nicht die Qualität einer Standardtherapie bei schwerwiegenden Erkrankungen erreichen - hier "Linola Fett", "Balneum-Hermal F" sowie "Pasta zinci mollis" bei Neurodermitis - innerhalb der GKV der Eigenverantwortung des Versicherten (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V) zuzuweisen, führt auch nicht zu unzumutbaren, verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Belastungen der Betroffenen (vgl zum verfassungsrechtlichen Schutz des Existenzminimums BVerfGE 125, 175, 223 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 135; BSGE 100, 221 = SozR 4-2500 § 62 Nr 6, RdNr 31; BSGE 107, 217 = SozR 4-4200 § 26 Nr 1, RdNr 33). Die KKn sind nämlich weder nach dem SGB V noch von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BVerfG Beschluss vom 5.3.1997 - 1 BvR 1071/95 - NJW 1997, 3085; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 28 f mwN - D-Ribose). Das SGB V hat vielmehr Pflegemittel grundsätzlich aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen, sie also dem Bereich der Eigenverantwortung der Versicherten (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V) zugerechnet, mag hierfür den Versicherten auch krankheitsbedingt ein Mehraufwand entstehen. Damit trägt es der begrenzten Aufgabenstellung der GKV Rechnung, sich auf gezielte Maßnahmen der Krankheitsbekämpfung zu beschränken (vgl dazu insgesamt BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22, RdNr 17 mwN). Die Qualität als Mittel gezielter Krankheitsbekämpfung und die Schwere der Krankheit, nicht aber die ökonomische Bedürftigkeit des Betroffenen bestimmen deshalb systemgerecht den Umfang des verfassungskonform gesetzlich geregelten, abgeschlossenen Naturalleistungskatalogs der GKV.

35

Dementsprechend begründet es nach dem Plan des Gesetzes keinen Anspruch gegen die GKV, dass ein Versicherter wirtschaftlich nicht hinreichend leistungsfähig ist, sich selbst mit Pflegemitteln für die Haut zu versorgen. Das gilt selbst dann, wenn die Pflege zur Vermeidung schwerwiegender gesundheitlicher Störungen unverzichtbar ist, wie es auch bei der Klägerin in Betracht kommt (vgl zutreffend zum Zusammenspiel der Sicherungssysteme zB BSGE 103, 171 = SozR 4-3500 § 54 Nr 5, RdNr 24; BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6, RdNr 18 ff; BSGE 107, 169 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6, RdNr 12 ff). Das Gesetz sieht bei fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit Betroffener insoweit - ggf also auch hinsichtlich notwendiger Pflegemittel - Ansprüche gegen die Sozialleistungsträger vor, zu deren Aufgaben die Existenzsicherung des Einzelnen im Falle der Bedürftigkeit zählt. Das trifft hier namentlich auf die Leistungsträger nach SGB II und SGB XII zu (vgl zum Regelbedarf § 20 SGB II; zum Mehrbedarf § 21 Abs 6 SGB II; zur Funktion dieser Regelung, die Vorgabe des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 - BVerfGE 125, 175, 223 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 135 ff - umzusetzen, vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses<8. Ausschuss> zu dem Entwurf der Bundesregierung - BT-Drucks 17/983 - eines Gesetzes zur Abschaffung des Finanzplanungsrates, BT-Drucks 17/1465, S 8 f; zur Rechtslage für Leistungsempfänger des SGB II vor Einführung des § 21 Abs 6 SGB II vgl BSG SozR 4-3500 § 73 Nr 3 RdNr 24; zum SGB XII vgl §§ 27 ff SGB XII, insbesondere auch § 27a Abs 4 S 1, §§ 30, 32, 47 ff SGB XII; ggf § 264 SGB V; vgl auch §§ 53 ff SGB XII, hierzu zB BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 und zusätzlich § 73 SGB XII; zur Abgrenzung von § 28 Abs 1 S 2 SGB XII aF - entsprechend heute § 27a Abs 4 S 1 SGB XII - vgl zB BSGE 107, 169 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6, RdNr 13 mwN).

36

Ähnlich wie im Bereich krankheitsbedingt unverzichtbarer Lebensmittel (vgl dazu § 21 Abs 5 SGB II, § 30 Abs 5 SGB XII und dazu zB BSG Urteil vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R - RdNr 24; BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6, RdNr 39 ff; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 28; BSG Urteil vom 8.11.2011 - B 1 KR 20/10 R - RdNr 38 mwN, Leucinose, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) ist es Aufgabe dieser gesetzlichen Bestimmungen des SGB II und SGB XII, die Gewährleistung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums zu sichern, soweit es - wie dargelegt verfassungskonform - nicht durch den Leistungskatalog der GKV abgedeckt ist. Inwieweit im Einzelnen nicht von der Leistungspflicht der GKV abgedeckte Kosten für medizinisch notwendige Gesundheitspflege, zB für OTC-Präparate, dem verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimum unterfallen, in der Regelleistung nach dem SGB II oder XII abgebildet sind oder Mehrbedarfsleistungen auslösen, unterliegt der Beurteilung der für die Grundsicherung und Sozialhilfe zuständigen Senate des BSG (vgl dazu zB BSG SozR 4-4200 § 20 Nr 13 RdNr 25; vgl auch Ebsen SDSRV Nr 56, S 133, 142 ff).

37

c) Die Entscheidung des GBA und ihre gesetzliche Grundlage verletzen nicht Recht der Europäischen Union. Insbesondere verstoßen sie nicht gegen die Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21.12.1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihrer Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (sog Transparenz-Richtlinie; ABl EG L vom 11.2.1989, 40, 8; vgl hierzu BSGE 102, 30 = SozR 4-2500 § 34 Nr 4, RdNr 21 ff - Gelomyrtol forte; vgl auch Fuerst VSSR 2011, 151, 168 ff).

38

4. Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensrügen greifen nicht durch. Es kommt nicht darauf an, dass die Erkrankung der Klägerin lebensbedrohlich oder jedenfalls schwer oder schwerwiegend ist und der von ihr behauptete Behandlungsbedarf besteht. Die Bewertung des GBA, was Therapiestandard für die schwere Neurodermitis ist, erübrigt eine weitere Beweiserhebung (vgl zum gebotenen gerichtlichen Prüfprogramm oben, II 3.a und BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 38). Es gibt schließlich keine Anhaltspunkte dafür, dass das LSG entsprechend der Ansicht der Revision den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat (§ 62 SGG, Art 6 Abs 1 EMRK, Art 103 Abs 1 GG).

39

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt

1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
2.
zahnärztliche Behandlung,
2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen,
3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen,
4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe,
5.
Krankenhausbehandlung,
6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Zur Krankenbehandlung gehört auch die palliative Versorgung der Versicherten. Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich der erforderlichen Dokumentation sowie Laboruntersuchungen und einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung der sichergestellten Befunde, bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung sein können.

(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.

(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie

1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist,
2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen sind. Die Hilfsmittel müssen mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 2 festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte erfüllen, soweit sie im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 1 gelistet oder von den dort genannten Produktgruppen erfasst sind. Der Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich hängt bei stationärer Pflege nicht davon ab, in welchem Umfang eine Teilhabe am Leben der Gemeinschaft noch möglich ist; die Pflicht der stationären Pflegeeinrichtungen zur Vorhaltung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln, die für den üblichen Pflegebetrieb jeweils notwendig sind, bleibt hiervon unberührt. Für nicht durch Satz 1 ausgeschlossene Hilfsmittel bleibt § 92 Abs. 1 unberührt. Der Anspruch umfasst auch zusätzlich zur Bereitstellung des Hilfsmittels zu erbringende, notwendige Leistungen wie die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen Kontrollen. Ein Anspruch besteht auch auf solche Hilfsmittel, die eine dritte Person durch einen Sicherheitsmechanismus vor Nadelstichverletzungen schützen, wenn der Versicherte selbst nicht zur Anwendung des Hilfsmittels in der Lage ist und es hierfür einer Tätigkeit der dritten Person bedarf, bei der durch mögliche Stichverletzungen eine Infektionsgefahr besteht oder angenommen werden kann. Zu diesen Tätigkeiten gehören insbesondere Blutentnahmen und Injektionen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in seiner Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 bis zum 31. Januar 2020 die Tätigkeiten, bei denen eine erhöhte Infektionsgefährdung angenommen werden kann. Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen. § 18 Absatz 6a des Elften Buches ist zu beachten.

(2) Versicherte haben bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen entsprechend den Voraussetzungen nach Absatz 1. Für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besteht der Anspruch auf Sehhilfen, wenn sie

1.
nach ICD 10-GM 2017 auf Grund ihrer Sehbeeinträchtigung oder Blindheit bei bestmöglicher Brillenkorrektur auf beiden Augen eine schwere Sehbeeinträchtigung mindestens der Stufe 1 oder
2.
einen verordneten Fern-Korrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als 6 Dioptrien bei Myopie oder Hyperopie oder mehr als 4 Dioptrien bei Astigmatismus
aufweisen; Anspruch auf therapeutische Sehhilfen besteht, wenn diese der Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dienen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen therapeutische Sehhilfen verordnet werden. Der Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen umfaßt nicht die Kosten des Brillengestells.

(3) Anspruch auf Versorgung mit Kontaktlinsen besteht für anspruchsberechtigte Versicherte nach Absatz 2 nur in medizinisch zwingend erforderlichen Ausnahmefällen. Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92, bei welchen Indikationen Kontaktlinsen verordnet werden. Wählen Versicherte statt einer erforderlichen Brille Kontaktlinsen und liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht vor, zahlt die Krankenkasse als Zuschuß zu den Kosten von Kontaktlinsen höchstens den Betrag, den sie für eine erforderliche Brille aufzuwenden hätte. Die Kosten für Pflegemittel werden nicht übernommen.

(4) Ein erneuter Anspruch auf Versorgung mit Sehhilfen nach Absatz 2 besteht für Versicherte, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, nur bei einer Änderung der Sehfähigkeit um mindestens 0,5 Dioptrien; für medizinisch zwingend erforderliche Fälle kann der Gemeinsame Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Ausnahmen zulassen.

(5) Die Krankenkasse kann den Versicherten die erforderlichen Hilfsmittel auch leihweise überlassen. Sie kann die Bewilligung von Hilfsmitteln davon abhängig machen, daß die Versicherten sich das Hilfsmittel anpassen oder sich in seinem Gebrauch ausbilden lassen.

(5a) Eine vertragsärztliche Verordnung ist für die Beantragung von Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 nur erforderlich, soweit eine erstmalige oder erneute ärztliche Diagnose oder Therapieentscheidung medizinisch geboten ist. Abweichend von Satz 1 können die Krankenkassen eine vertragsärztliche Verordnung als Voraussetzung für die Kostenübernahme verlangen, soweit sie auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichtet haben. § 18 Absatz 6a und § 40 Absatz 6 des Elften Buches sind zu beachten.

(5b) Sofern die Krankenkassen nicht auf die Genehmigung der beantragten Hilfsmittelversorgung verzichten, haben sie den Antrag auf Bewilligung eines Hilfsmittels mit eigenem weisungsgebundenem Personal zu prüfen. Sie können in geeigneten Fällen durch den Medizinischen Dienst vor Bewilligung eines Hilfsmittels nach § 275 Absatz 3 Nummer 1 prüfen lassen, ob das Hilfsmittel erforderlich ist. Eine Beauftragung Dritter ist nicht zulässig.

(6) Die Versicherten können alle Leistungserbringer in Anspruch nehmen, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse sind. Vertragsärzte oder Krankenkassen dürfen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist oder aus medizinischen Gründen im Einzelfall eine Empfehlung geboten ist, weder Verordnungen bestimmten Leistungserbringern zuweisen, noch die Versicherten dahingehend beeinflussen, Verordnungen bei einem bestimmten Leistungserbringer einzulösen. Die Sätze 1 und 2 gelten auch bei der Einlösung von elektronischen Verordnungen.

(7) Die Krankenkasse übernimmt die jeweils vertraglich vereinbarten Preise.

(8) Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, leisten zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegebenen Hilfsmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrag zu dem von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrag an die abgebende Stelle. Der Vergütungsanspruch nach Absatz 7 verringert sich um die Zuzahlung; § 43c Abs. 1 Satz 2 findet keine Anwendung. Die Zuzahlung bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln beträgt 10 vom Hundert des insgesamt von der Krankenkasse zu übernehmenden Betrags, jedoch höchstens 10 Euro für den gesamten Monatsbedarf.

(9) Absatz 1 Satz 9 gilt entsprechend für Intraokularlinsen beschränkt auf die Kosten der Linsen.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

(2) Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag.

(3) Hat die Krankenkasse Leistungen ohne Rechtsgrundlage oder entgegen geltendem Recht erbracht und hat ein Vorstandsmitglied hiervon gewußt oder hätte es hiervon wissen müssen, hat die zuständige Aufsichtsbehörde nach Anhörung des Vorstandsmitglieds den Verwaltungsrat zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat das Regreßverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(1) Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1, einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen abgegeben hat über

1.
die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,
2.
die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und
3.
die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung.
Der Gemeinsame Bundesausschuss überprüft die zu Lasten der Krankenkassen erbrachten vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Leistungen daraufhin, ob sie den Kriterien nach Satz 1 Nr. 1 entsprechen. Falls die Überprüfung ergibt, daß diese Kriterien nicht erfüllt werden, dürfen die Leistungen nicht mehr als vertragsärztliche oder vertragszahnärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden. Die Beschlussfassung über die Annahme eines Antrags nach Satz 1 muss spätestens drei Monate nach Antragseingang erfolgen. Das sich anschließende Methodenbewertungsverfahren ist innerhalb von zwei Jahren abzuschließen. Bestehen nach dem Beratungsverlauf im Gemeinsamen Bundesausschuss ein halbes Jahr vor Fristablauf konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine fristgerechte Beschlussfassung nicht zustande kommt, haben die unparteiischen Mitglieder gemeinsam einen eigenen Beschlussvorschlag für eine fristgerechte Entscheidung vorzulegen; die Geschäftsführung ist mit der Vorbereitung des Beschlussvorschlags zu beauftragen. Der Beschlussvorschlag der unparteiischen Mitglieder muss Regelungen zu den notwendigen Anforderungen nach Satz 1 Nummer 2 und 3 enthalten, wenn die unparteiischen Mitglieder vorschlagen, dass die Methode die Kriterien nach Satz 1 Nummer 1 erfüllt. Der Beschlussvorschlag der unparteiischen Mitglieder muss Vorgaben für einen Beschluss einer Richtlinie nach § 137e Absatz 1 und 2 enthalten, wenn die unparteiischen Mitglieder vorschlagen, dass die Methode das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ihr Nutzen aber noch nicht hinreichend belegt ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat innerhalb der in Satz 5 genannten Frist über den Vorschlag der unparteiischen Mitglieder zu entscheiden.

(1a) Für ein Methodenbewertungsverfahren, für das der Antrag nach Absatz 1 Satz 1 vor dem 31. Dezember 2018 angenommen wurde, gilt Absatz 1 mit der Maßgabe, dass das Methodenbewertungsverfahren abweichend von Absatz 1 Satz 5 erst bis zum 31. Dezember 2020 abzuschließen ist.

(2) Für ärztliche und zahnärztliche Leistungen, welche wegen der Anforderungen an ihre Ausführung oder wegen der Neuheit des Verfahrens besonderer Kenntnisse und Erfahrungen (Fachkundenachweis), einer besonderen Praxisausstattung oder anderer Anforderungen an die Versorgungsqualität bedürfen, können die Partner der Bundesmantelverträge einheitlich entsprechende Voraussetzungen für die Ausführung und Abrechnung dieser Leistungen vereinbaren. Soweit für die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen, welche als Qualifikation vorausgesetzt werden müssen, in landesrechtlichen Regelungen zur ärztlichen Berufsausübung, insbesondere solchen des Facharztrechts, bundesweit inhaltsgleich und hinsichtlich der Qualitätsvoraussetzungen nach Satz 1 gleichwertige Qualifikationen eingeführt sind, sind diese notwendige und ausreichende Voraussetzung. Wird die Erbringung ärztlicher Leistungen erstmalig von einer Qualifikation abhängig gemacht, so können die Vertragspartner für Ärzte, welche entsprechende Qualifikationen nicht während einer Weiterbildung erworben haben, übergangsweise Qualifikationen einführen, welche dem Kenntnis- und Erfahrungsstand der facharztrechtlichen Regelungen entsprechen müssen. Abweichend von Satz 2 können die Vertragspartner nach Satz 1 zur Sicherung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung Regelungen treffen, nach denen die Erbringung bestimmter medizinisch-technischer Leistungen den Fachärzten vorbehalten ist, für die diese Leistungen zum Kern ihres Fachgebietes gehören. Die nach der Rechtsverordnung nach § 140g anerkannten Organisationen sind vor dem Abschluss von Vereinbarungen nach Satz 1 in die Beratungen der Vertragspartner einzubeziehen; die Organisationen benennen hierzu sachkundige Personen. § 140f Absatz 5 gilt entsprechend. Das Nähere zum Verfahren vereinbaren die Vertragspartner nach Satz 1. Für die Vereinbarungen nach diesem Absatz gilt § 87 Absatz 6 Satz 10 entsprechend.

(3) bis (6) (weggefallen)

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. März 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für ein selbst beschafftes "Continuous Glucosemonitoring System" (CGMS) nebst Verbrauchsmaterialien (Sensoren und Pflaster).

2

Die 2008 geborene Klägerin leidet an Diabetes mellitus Typ I und wurde deshalb bereits mit einer Insulinpumpe ausgestattet. Im April 2012 beantragte sie bei der beklagten Krankenkasse die Versorgung mit einem CGMS. Hierdurch könne die Insulinpumpe zu dem sogenannten "Veo System" erweitert werden, das neben der Veo-Insulinpumpe aus dem Glukosesensor Enlite®, der in das Unterhautfettgewebe eingeführt werde, und dem MiniLink® TM Real-Time-Transmitter bestehe, der die Glukosewerte per Funk an die Veo-Insulinpumpe sende. Den Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25.4.2012, Widerspruchsbescheid vom 20.9.2012). Daraufhin hat sich die Klägerin das CGMS (bestehend aus einem CGM Starter Kit Enlite®, einem MiniLink® Transmitter Set Enlite®, fünf Enlite® Glukosesensoren und zehn Pflastern) am 23.10.2012 für 1289,48 Euro selbst beschafft. Am 4.2. und am 10.6.2013 erwarb sie weitere Glukosesensoren und Pflaster für jeweils 615,23 Euro.

3

Die Klage auf Erstattung aller Anschaffungskosten hat das SG abgewiesen (Urteil vom 22.8.2013). Die Berufung war ebenfalls erfolglos (Urteil vom 6.3.2014): Bei dem CGMS handele es sich nicht um ein Hilfsmittel, sondern um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Das Therapiekonzept zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ I bestehe nach der S3-Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) vom September 2011 aus den Komponenten Insulintherapie, Ernährung, Schulung und psychosoziale Betreuung. Im Rahmen der Insulintherapie seien Blutglukosemessungen durchzuführen; der HbA1c-Wert müsse in regelmäßigen Abständen durch einen Arzt kontrolliert werden. Bei der Glukosemessung mittels CGMS handele es sich hingegen um ein anderes - neues - Konzept im Rahmen einer vertragsärztlichen Behandlungsmethode. Die Glukosekonzentration werde nicht im Blut, sondern in der Gewebeflüssigkeit im Unterhautfettgewebe (Interstitium) gemessen. In diesem Bereich liege eine leicht erniedrigte Zuckerkonzentration vor, sodass der mittels des CGMS bestimmte Wert nicht demjenigen der Blutzuckerkonzentration entspreche. Zudem ergäbe die konventionelle Blutzuckermessung Momentaufnahmen, während Ziel des CGMS die Abbildung des Glukoseverlaufs über einen längeren Zeitraum und damit eine langfristige Verbesserung der Stoffwechsellage von Diabetikern sei. Soweit die Klägerin geltend mache, durch das CGMS werde bei ihr ein elementarer Behinderungsausgleich erzielt, könne dies die Prüfung der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) nicht entbehrlich machen. Die demnach erforderliche Empfehlung des GBA nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V liege aber bis heute nicht vor. Anhaltspunkte für ein sogenanntes Systemversagen seien nicht gegeben. Aus diesen allein maßgeblichen Gründen scheide ein Anspruch der Klägerin aus, sodass die von ihr zu Beweiszwecken begehrte Beiziehung sämtlicher Beratungsunterlagen und Protokolle aller öffentlichen und nicht öffentlichen Sitzungen des GBA zum Thema "kontinuierliche Glukosemessung" nicht erforderlich gewesen sei.

4

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass es sich bei dem CGMS um ein Hilfsmittel iS von § 33 Abs 1 SGB V und nicht um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode iS von § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V handele. Die Prüfung eines neuen Hilfsmittels falle nur dann in den Zuständigkeitsbereich des GBA, wenn es im Rahmen einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode eingesetzt werden solle, zu der sich der GBA noch nicht positiv geäußert habe. Solle hingegen ein neues Hilfsmittel im Rahmen einer bereits anerkannten Behandlungsmethode zum Einsatz kommen, sei gerade kein Bewertungsverfahren durch den GBA nach § 135 Abs 1 SGB V erforderlich. So liege der Fall hier. Das CGMS komme lediglich als ergänzendes Messgerät im Rahmen der etablierten Diabetestherapie zum Einsatz und verändere diese nicht wesentlich dadurch, dass die Glukosemessung kontinuierlich im Unterhautfettgewebe erfolge. Bestätigt werde dies auch durch den vorläufigen Berichtsplan des durch den GBA am 23.11.2012 mit der Bewertung der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung (CGM) mit Real-Time-Messgeräten beauftragten Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom 30.9.2013. Hieraus ergebe sich, dass Sinn und Zweck des Einsatzes der Messgeräte die Verbesserung der Blutzuckerkontrolle durch mehr Messwerte oder eine größere Datenlage und die bessere Vermeidung zu hoher oder zu niedriger Blutzuckerwerte mittels Alarmfunktion sei. Damit sei der Anwendungsbereich des § 135 Abs 1 SGB V nicht eröffnet, weil auch mit einem konventionellen Blutzuckermessgerät alle fünf Minuten der Blutzucker bestimmt und die Werte anschließend mittels einer Software grafisch dargestellt werden könnten. Der GBA habe für Hilfsmittelinnovationen auch keinen originären Prüfauftrag. Vielmehr werde bereits durch die CE-Kennzeichnung bestätigt, dass das Hilfsmittel die erforderliche Qualität besitze. Zudem sei Voraussetzung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode eine übergeordnete ärztliche Leistung. An der eigentlichen ärztlichen Leistung habe sich seit Nutzung des CGMS indes nichts geändert. Der Kontakt mit ihrem Diabetologen beschränke sich weiterhin auf ca vier Besuche pro Jahr.

5

Unabhängig davon diene das CGMS auch dem Behinderungsausgleich iS von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Der GBA sei aber nicht dafür zuständig, Hilfsmittel im Hinblick auf einen Behinderungsausgleich zu bewerten. Kinder bis zu einem Alter von ca acht Jahren könnten das Diabetesmanagement nicht alleine durchführen und nähmen die Signale für Hypo- und Hyperglykämien nicht wahr oder könnten sie nicht deuten. Ein Gerät zur kontinuierlichen Messung des Glukosewertes mit Alarmfunktion übernehme diese Aufgabe und diene daher dem Behinderungsausgleich, weil die Messfunktion der Bauchspeicheldrüse nachgeahmt werde.

6

Als Verfahrensfehler rügt die Klägerin einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG). Ihr Antrag auf Beiziehung der einschlägigen Beratungsunterlagen und Protokolle des GBA sei zu Unrecht abgelehnt worden. Auch unter den Mitgliedern des GBA habe es unterschiedliche Meinungen zu der rechtlichen Einordnung der im Rahmen der CGM eingesetzten Messgeräte gegeben (vgl Newsletter des GBA vom Mai 2012).

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. März 2014 und des Sozialgerichts Trier vom 22. August 2013 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 2519,95 Euro nebst 4% Zinsen aus einem Teilbetrag von 1289,48 Euro ab dem 1. Dezember 2012, aus einem Teilbetrag von 615,23 Euro ab dem 1. April 2013 und aus einem weiteren Teilbetrag von 615,23 Euro ab dem 1. August 2013 zu zahlen.

8

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie verweist darauf, dass das von ihr seit Mitte 2015 als freiwillige Leistung an ausgewählte Mitglieder abgegebene kontinuierliche Glukosemesssystem des Herstellers Abbott (High-Tech-Sensor, System FreeStyle Libre) insbesondere wegen der fehlenden Kopplung an eine Insulinpumpe nicht in vollem Umfang mit dem von der Klägerin verwendeten System übereinstimme. Den Wechsel des Mediums der Glukosemessung, nämlich vom Blut zum Unterhautfettgewebe, sehe sie nicht (mehr) als Ausdruck eines Methodenwechsels an; denn die Methode sei allein durch die "Glukosewertselbstmessung" gekennzeichnet.

10

Der GBA und der GKV-Spitzenverband haben auf Aufforderung des Senats zu dem Verfahren Stellungnahmen abgegeben (vgl Schreiben des GBA vom 13.4.2015 und Schreiben des GKV-Spitzenverbands vom 14.4.2015).

11

Der Abschlussbericht des IQWiG vom 25.3.2015 ist am 21.5.2015 veröffentlicht worden. Er ist nunmehr Gegenstand des - noch nicht abgeschlossenen - Methodenbewertungsverfahrens des GBA.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Klägerin ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für das selbstbeschaffte CGMS nebst Verbrauchsmaterialien (Sensoren und Pflaster) hat.

13

Wird ein Hilfsmittel als untrennbarer Bestandteil einer neuen vertragsärztlichen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode eingesetzt, hat die Krankenkasse die Kosten hierfür grundsätzlich erst zu übernehmen, wenn der GBA die Methode positiv bewertet hat. Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf die Sicherung von Nutzen und Wirtschaftlichkeit von Behandlungsmethoden das Prüfungsverfahren bei dem GBA vorgeschaltet. Erst wenn diese Prüfung positiv ausgefallen ist, sind die für den Einsatz der dann anerkannten Methode notwendigen Hilfsmittel Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkassen. Eine Bewertung durch den GBA ist auch bezüglich bereits anerkannter oder zugelassener Methoden erforderlich, wenn diese im Hinblick auf ihre diagnostische bzw therapeutische Wirkungsweise, mögliche Risiken und/oder Wirtschaftlichkeitsaspekte eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren.

14

Das CGMS basiert auf einer neuen Untersuchungs- bzw Behandlungsmethode. Die kontinuierliche Messung des Zuckergehalts im Unterhautfettgewebe unterscheidet sich im Hinblick auf die diagnostische Vorgehensweise sowie mögliche Risiken und Aspekte der Wirtschaftlichkeit erheblich von der herkömmlichen Blutzuckermessung und stellt daher eine "neue", bisher nicht anerkannte Behandlungsmethode dar. Solange der GBA hierzu keine positive Empfehlung abgegeben hat, besteht kein Anspruch auf Versorgung mit den Hilfsmitteln, die für die kontinuierliche Glukosewertbestimmung erforderlich sind. Eine abschließende Beurteilung des GBA dürfte wegen des bereits abgeschlossenen Bewertungsverfahrens beim IQWiG in einigen Monaten vorliegen, erlangt dann aber keine Rückwirkung.

15

1. Rechtsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs 3 SGB V. Danach ist die Krankenkasse zur Erstattung der Kosten für eine von dem Versicherten selbst beschaffte Leistung verpflichtet, wenn sie entweder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und zwischen der rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl nur BSG Urteil vom 18.5.2011 - B 3 KR 12/10 R - Juris RdNr 7 mwN - Rollstuhl-Bike III; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 11 - Matratzen-Encasings). Eine unaufschiebbare Leistung iS der 1. Alternative der Vorschrift lag hier mangels medizinischer Dringlichkeit nicht vor (hierzu BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23). Die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 13 Abs 3 SGB V sind ebenfalls nicht erfüllt, weil zwar ein Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der Leistung und der Kostenlast besteht, die Ablehnung der Leistung jedoch nicht zu Unrecht erfolgt ist.

16

a) Die geltend gemachten Aufwendungen für den Erwerb des CGMS beruhen auf der Versagung der Leistung durch die Beklagte, sodass der nach Wortlaut und Zweck des § 13 SGB V notwendige Ursachenzusammenhang zwischen der Kostenlast des Versicherten und der Leistungsablehnung durch die Krankenkasse besteht. Hieran würde es fehlen, wenn die Krankenkasse vor der Beschaffung der Leistung durch den Versicherten nicht mit dem Leistungsbegehren befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr, vgl BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2, RdNr 11 mwN - Hörgeräteversorgung; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 12 - Matratzen-Encasings). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Klägerin hat den Leistungsantrag mit Schreiben vom 16.4.2012 gestellt und das CGMS erst nach Ablehnung des Antrags (Bescheid vom 25.4.2012; Widerspruchsbescheid vom 20.9.2012) am 23.10.2012 und die Sensoren am 4.2.2013 bzw 10.6.2013 selbst beschafft. Die Beklagte hatte ausdrücklich dargelegt, dass weder ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für das CGMS noch für das Verbrauchsmaterial bestehe.

17

b) Allerdings hatte die Klägerin zum Zeitpunkt der Leistungsbeschaffung nach den leistungsrechtlichen Bestimmungen des SGB V keinen Anspruch auf Ausstattung mit einem CGMS und den Verbrauchsmaterialien, sodass die Beklagte den Antrag nicht zu Unrecht abgelehnt hat. Die Frage, ob die begehrte Leistung iS von § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V zu Unrecht abgelehnt wurde, ist nach dem für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsrecht zu beurteilen - für Leistungen der GKV somit nach den Bestimmungen des SGB V(BSG Urteil vom 18.5.2011 - B 3 KR 12/10 R - Juris RdNr 7 mwN - Rollstuhl-Bike III; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 11 - Matratzen-Encasings).

18

2. Maßgebende Vorschrift für die Leistungspflicht der GKV im Bereich der Hilfsmittelversorgung ist § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V in der zum Zeitpunkt der Leistungsbeschaffung, dh am 23.10.2012 (zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einem Kostenerstattungsanspruch vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 10 - Therapiedreirad), geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG vom 22.12.2011 - BGBl I 2983) sowie in der am 4.2. und 10.6.2013 insoweit unverändert geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz vom 23.10.2012 - BGBl I 2246). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung im Hinblick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs 1 SGB V nicht bewilligen. Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen (§ 33 Abs 1 Satz 5 SGB V, ähnlich § 31 Abs 3 SGB IX).

19

a) Bei den von der Klägerin erworbenen Komponenten des CGMS handelt es sich um Hilfsmittel iS des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Zu den Hilfsmitteln zählen alle sächlichen medizinischen Leistungen (etwa Körperersatzstücke), während in Abgrenzung hierzu dem Begriff der Heilmittel (§ 32 SGB V) alle von entsprechend ausgebildeten Personen persönlich erbrachten medizinischen Dienstleistungen unterfallen, wie etwa Maßnahmen der physikalischen Therapie sowie der Sprach- und Beschäftigungstherapie (BSGE 87, 105, 108 = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 5; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 3 - Dauerpigmentierung; BSGE 88, 204, 206 ff = SozR 3-2500 § 33 Nr 41 S 229 ff - PC-Zusatzausrüstung für häusliches Hirnleistungstraining; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 15 - Matratzen-Encasings). Das CGMS besteht insgesamt aus sächlichen Mitteln (Transmitter, Sensor sowie die - hier bereits als Sachleistung zur Verfügung gestellte - Insulinpumpe). Die Ansicht der Vorinstanzen, das CGMS selbst stelle eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar, trifft nicht zu. Die Eigenschaft als Hilfsmittel bleibt bei sächlichen Mitteln auch dann erhalten, wenn sie Bestandteil einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode sind. Die Einstufung der kontinuierlichen Glukosemessung im Interstitium mittels des Real-Time-Messgerätes als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode iS des § 135 SGB V steht also der Einordnung der im Rahmen der Methode eingesetzten sächlichen Mittel als Hilfsmittel nicht entgegen.

20

b) Das von der Klägerin angeschaffte CGMS dient dem Versorgungsziel der Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (§ 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V). Dies ist der Fall, soweit es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V)eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 21 mwN - Therapiedreirad; zur Auslegung des § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte: BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, RdNr 11 mwN - behindertengerechter Umbau eines Pkw; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 17 - Matratzen-Encasings). Der spezifische Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung setzt voraus, dass die Verwendung des begehrten Hilfsmittels in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer steht und für die gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen ist(BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 21 - Therapiedreirad).

21

Die Klägerin leidet an Diabetes mellitus Typ I. Dieser Typ des Diabetes ist gekennzeichnet durch eine progrediente Zerstörung der insulinproduzierenden B-Zellen in den Langerhansschen Inseln der Bauchspeicheldrüse und tritt vornehmlich in jüngeren Lebensjahren auf (Ziffer 2.1 der S3-Leitlinie "Therapie des Typ-1-Diabetes" der DDG, Stand: 30.9.2011, gültig bis 29.9.2016 - im Folgenden: S3-Leitlinie; vgl auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl 2014, Stichwort: "Diabetes mellitus"). Folge des durch die Zellzerstörung bedingten Insulinmangels ist, dass Zucker nicht von den Zellen aufgenommen und verarbeitet werden kann, also im Blut verbleibt mit der weiteren Folge, dass der Blutzuckerspiegel steigt und zur Regelung des Glukosehaushaltes Insulin medikamentös zugeführt werden muss. Es handelt sich um eine Erkrankung, für die bis heute kausale Therapieansätze, die die Ursache der Erkrankung beseitigen, nicht existieren. Dass die Behandlung folglich nicht auf Heilung der Krankheit ausgerichtet sein kann, steht der Einstufung als Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung nicht entgegen, denn es ist im Rahmen von § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V ausreichend, wenn mit dem Hilfsmittel ein therapeutischer Erfolg angestrebt wird(BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, RdNr 11 mwN; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 17 - Matratzen-Encasings).

22

Dies ist vorliegend der Fall. Das Therapiekonzept des Typ-1-Diabetes besteht nach Ziffer 4. der S3-Leitlinie aus den Komponenten Insulintherapie, Ernährung, Schulung und psychosoziale Betreuung. Im Rahmen der Insulintherapie werden zwei Strategien unterschieden: die konventionelle Insulintherapie und die sog intensivierten Therapieformen. Die konventionelle Therapie ist charakterisiert durch eine verbindliche Vorgabe sowohl der Insulindosis als auch der Abfolge und Größe der Mahlzeiten (feste Kohlehydratportionen; Ziffer 4.1.3, a) der S3-Leitlinie). Die - in der Regel bei einem Typ-1-Diabetes durchgeführte - intensivierte Insulintherapie ist hingegen definiert als Gabe von mindestens drei Insulininjektionen pro Tag, vor allem aber gekennzeichnet durch eine Substitution von basalem Insulinbedarf mit langwirkendem "Basalinsulin“ und prandialem (dh auf das Essen bezogenem) Insulinbedarf mit kurzwirksamem Insulin zu den Mahlzeiten (Basal-Bolus-Prinzip). Diese Therapie kann mit Insulinspritzen, Insulinpens oder - wie im Falle der Klägerin - Insulinpumpen durchgeführt werden und führt zu einem höheren Aufwand ua aufgrund vermehrt notwendiger Blutglukoseselbstmessungen (Ziffer 4.1.3, b) der S3-Leitlinie). Beide Insulintherapien dienen folgenden Zielen: durch Substitution der fehlenden Insulinsekretion des Körpers sollen zum einen eine möglichst normnahe Einstellung der Blutglukose erreicht (Pschyrembel, aaO, Stichwort: "Diabetes mellitus") und dadurch diabetesbedingte Minderungen der Lebensqualität vermieden werden (Ziffer 3. der S3-Leitlinie). Zum anderen soll das Auftreten von Hypoglykämien verhindert werden, die mit verhältnismäßig ungefährlichen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwäche, aber auch mit Krampfanfällen, Sprachstörungen und Lähmungen sowie - in ihrer maximalen Ausprägung - mit einem hypoglykämischen Schock einhergehen können, der mit zentralen Atem- und Kreislaufstörungen (bis hin zum Tod) verbunden ist (Pschyrembel, aaO, Stichwort: "Hypoglykämie"). Zudem soll das Auftreten von Folgeerkrankungen (wie Retinopathie, Nephropathie) vermieden werden (vgl zu den Zielen der Diabetestherapie auch den am 21.7.2014 veröffentlichten Vorbericht des IQWiG, S 3).

23

Auf die Erreichung dieser Ziele ist die ärztliche Behandlung der Klägerin bei dem Oberarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums M und Diabetologen L gerichtet, wie durch dessen - einer formellen vertragsärztlichen Verordnung (§ 73 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB V) gleichstehenden - Schreiben vom 2.3.2012 deutlich wird, in dem er die Versorgung der Klägerin mit dem System zur kontinuierlichen Glukosemessung befürwortet. Danach sei die Einstellung des Diabetes bei einem Kleinkind von großen Schwierigkeiten geprägt. Die kontinuierliche Betreuung werde durch ihn sichergestellt.

24

Hieraus ergibt sich, dass der Einsatz des CGMS im Rahmen der ärztlichen Behandlung erfolgen soll, folglich ein enger Zusammenhang zu dieser besteht und durch dessen Einsatz die Erreichung der vorgenannten Ziele unterstützt werden soll. Das System soll nicht nur den Behandler in die Lage versetzen, durch Auswertung der kontinuierlich erhobenen Daten die Therapie ggf anzupassen und so zu optimieren, dass eine bestmögliche Blutzuckereinstellung erreicht wird, sondern es sollen auch hypoglykämische Trends erkannt werden. Bei Erreichen eines vorher definierten Grenzwertes wird die - über die Insulinpumpe gesteuerte - Insulinzufuhr automatisch unterbrochen (bei Einsatz eines CGMS ohne Kopplung mit einer Insulinpumpe wird ein Alarmton abgegeben), wodurch der Eintritt der konkret drohenden Hypoglykämie verhindert werden soll. Das CGMS soll folglich eine rasche Reaktion auf zu niedrige und zu hohe Glukosewerte insbesondere bei Patienten ermöglichen, die hypoglykämische Trends in der Regel nicht selbst erkennen können. Dies sind insbesondere Patienten mit Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörungen, mit schweren nächtlichen Hypoglykämien und - wie im Falle der Klägerin - Kinder (vgl die Stellungnahme des MDS vom April 2011 zur kontinuierlichen Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten bei Diabetes mellitus). Durch das CGMS soll folglich die Therapiesicherheit erweitert werden, dh das Hilfsmittel soll den therapeutischen Erfolg fördern und steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung, dient also der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung. Dass das CGMS im täglichen Leben durch den Patienten selbst bedient wird, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern, da die Gesamttherapie durch den Behandler gestaltet und durch diesen in Abhängigkeit von den Messergebnissen optimiert werden muss.

25

Der die Klägerin behandelnde Diabetologe L bestätigt in dem "ärztlichen Gutachten für die Kostenübernahme", dass durch die kontinuierliche Aufzeichnung Blutzuckertrends erkannt und interpretiert werden können und dementsprechend eine gezielte Behandlung möglich ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Grenzwert, bei dessen Erreichen das Gerät entweder einen Alarmton abgibt oder - bei Kopplung mit einer Insulinpumpe - die Insulinzufuhr unterbricht, jedenfalls mit dem Arzt abgestimmt werden muss. Soweit die Klägerin darauf hingewiesen hat, dass sich die Zahl der Arztbesuche nach Einsatz des CGMS nicht vermehrt habe, vermag dies an der Beurteilung, dass der Einsatz im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt, nichts zu ändern, weil es hierbei nicht auf die Anzahl oder Häufigkeit der Arztbesuche ankommt.

26

3. Sofern ein Hilfsmittel den Erfolg einer Krankenbehandlung iS von § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V sichern soll und dabei in einem untrennbaren Zusammenhang mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode iS von § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V eingesetzt wird, ist Voraussetzung für einen Anspruch des Versicherten nach § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V weiter, dass die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch den GBA anerkannt worden ist. Bei der "kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus" handelt es sich zwar um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, zu der das CGMS in einem untrennbaren Zusammenhang steht, diese war jedoch zum maßgeblichen Zeitpunkt - und ist es auch derzeit - nicht durch den GBA anerkannt.

27

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist dann, wenn ein Hilfsmittel im Rahmen der Krankenbehandlung deren Erfolg sichern soll, seine Verwendung - anders als etwa bei Hilfsmitteln, die dem Behinderungsausgleich dienen - nicht von dem zugrunde liegenden Behandlungskonzept und den dafür geltenden Anforderungen nach § 2 Abs 1 Satz 3, § 12 Abs 1 SGB V iVm § 135 Abs 1 SGB V zu trennen(BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 18). Insoweit erfasst die Sperrwirkung des in § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt jegliche Maßnahme im Rahmen einer bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandten "Methode"(stRspr seit BSGE 82, 233, 238 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 19; vgl auch BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 19 mwN; BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, RdNr 22 mwN; BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 18 mwN). Vor dem Hintergrund einer streitigen Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis (HMV) wurde hierzu ausgeführt, dass, solange die Therapie als neue Behandlungsmethode nicht zur Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen ist, auch die dabei eingesetzten Geräte keine "von der Leistungspflicht umfassten Hilfsmittel“ iS von § 139 Abs 1 Satz 2 SGB V darstellen(so bereits BSGE 87, 105, 110 f = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 7 f; BSGE 97, 133 = SozR 4-2500 § 139 Nr 2, RdNr 32; siehe auch BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 18; ebenso für die Arzneimitteltherapie BSGE 82, 233, 238 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 19 f; BSGE 86, 54, 58 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 63 f, vgl auch bei neuartiger Kombination einzeln bereits zugelassener Maßnahmen im Rahmen der Arzneimittelversorgung BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, RdNr 15 f mwN; entsprechend für Heilmittel BSG SozR 3-2500 § 138 Nr 2 S 26; BSGE 94, 221 RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 15 f),weil Voraussetzung hierfür ist, dass das Hilfsmittel den gesetzlichen Anforderungen entspricht (BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 15 mwN). Dies ist gerade nicht der Fall, wenn der Einsatz im Rahmen einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode iS von § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V erfolgt und die Methode durch den GBA nicht anerkannt wurde (BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 16). Zwar obliegt die Anerkennung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode dem GBA und nicht dem gemäß § 139 Abs 3 Satz 2 SGB V für die Aufnahme in das HMV zuständigen GKV-Spitzenverband, jedoch hat die Erstellung und Fortentwicklung des HMV jedenfalls dann nicht unabhängig von der Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durch den GBA zu erfolgen, wenn das Hilfsmittel untrennbar mit einer speziellen Behandlungsmethode verbunden ist(BSGE 87, 105, 110 = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 7). Darf eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode mangels positiver Empfehlung des GBA nicht als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, kann der GKV-Spitzenverband trotz seiner Autonomie bei der Erstellung des HMV folglich nicht verpflichtet werden, die allein zur Durchführung dieser Therapie einsetzbaren Geräte in das Verzeichnis aufzunehmen (BSGE 87, 105, 110 = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 7).

28

b) Diese maßgeblich vor dem Hintergrund von Streitigkeiten über die Aufnahme eines Hilfsmittels in das HMV (§ 139 SGB V) entwickelten Grundsätze finden in gleichem Maße Anwendung, wenn - wie vorliegend - der Versicherte einen Anspruch aus § 33 SGB V geltend macht: Hat bei fehlender Empfehlung des GBA weder der Hersteller einen Anspruch auf Aufnahme des Produkts in das HMV noch darf die Methode als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, kann für den Anspruch des Versicherten nach § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V nichts anderes gelten. Diese Vorschrift setzt voraus, dass das Hilfsmittel "den Erfolg der Krankenbehandlung" sichern soll. Ebenso wie durch § 139 Abs 1 Satz 2 SGB V für den Bereich des HMV wird in § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V vorausgesetzt, dass die Behandlung als solche zunächst überhaupt nach § 135 Abs 1 SGB V anerkannt ist, also den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht.

29

In seinem Urteil vom 8.7.2015 im Verfahren B 3 KR 6/14 R - Juris (zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) hat der Senat näher dargelegt, dass die Methodenbewertung nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V durch den GBA Vorrang vor dem Aufnahmeverfahren nach § 139 SGB V hat, das der GKV-Spitzenverband durchführt. Hilfsmittel, die in untrennbarem Zusammenhang mit einer neuen Behandlungsmethode in der vertragsärztlichen Versorgung eingesetzt werden, sind danach sowohl leistungsrechtlich (§ 33 Abs 1 SGB V) wie leistungserbringungsrechtlich erst nach einer positiven Empfehlung des GBA zur Methode Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkassen.

30

c) Die für Versicherte und Leistungserbringer verbindliche Entscheidung über den Versorgungsumfang obliegt nach § 92 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 6 SGB V auch im Bereich der Hilfsmittel dem GBA, soweit er sich am allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zum diagnostischen oder therapeutischen Nutzen, der medizinischen Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit orientiert. Der Gesetzgeber setzt zudem in § 92 Abs 7d Satz 1 SGB V den Vorrang der Methodenbewertung durch den GBA voraus. Denn nach dieser Vorschrift ist bei Methoden, deren technische Anwendung maßgeblich auf dem Einsatz eines Medizinproduktes beruht, vor der Entscheidung über Richtlinien nach §§ 135, 137c und 137e SGB V auch den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Medizinproduktehersteller und den jeweils betroffenen Medizinprodukteherstellern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der GBA wird von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband gebildet (§ 91 Abs 1 SGB V), und sein Beschlussgremium besteht neben den von diesen zu benennenden Mitgliedern grundsätzlich aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Daneben sieht das Gesetz Beteiligungen zB von Leistungserbringern (vgl zB § 92 Abs 3a Satz 1, Abs 5 Satz 1, Abs 6 Satz 2, Abs 7 Satz 2, Abs 7a, Abs 7b Satz 1, Abs 7c, Abs 7d Satz 1 SGB V) und Patientenvertretern vor (vgl § 140f Abs 2 SGB V). Damit hat der Gesetzgeber dann, wenn es (auch) um die Bewertung des medizinischen Nutzens und der Wirtschaftlichkeit von Methoden geht, diese Aufgabe grundsätzlich dem GBA als einem Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung übertragen. Denn die Zuständigkeit des GBA verbürgt nach der Konzeption des Gesetzes die erforderliche Verbindung von Sachkunde und interessenpluraler Zusammensetzung, die es (auch) rechtfertigt, dem GBA im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die für jede Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsfreiheit zukommen zu lassen. Ist der Einsatz eines Hilfsmittels untrennbarer Bestandteil einer Behandlungsmethode, geht deshalb die Methodenanerkennung durch den GBA auch der Entscheidung des GKV-Spitzenverbandes nach § 139 Abs 4 SGB V systematisch vor. Davon geht schließlich auch der GBA selbst aus, der in § 6 Abs 11 seiner Hilfsmittel-Richtlinie die Verordnung eines Hilfsmittels ausschlossen hat, wenn es Bestandteil einer neuen, nicht anerkannten Behandlungsmethode nach § 135 SGB V ist.

31

4. Bei der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung, in deren Rahmen das CGMS eingesetzt werden soll, handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode iS des § 135 Abs 1 SGB V, die in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem CGMS steht.

32

a) Der Begriff der "Behandlungsmethode" beschreibt eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet, und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (BSGE 82, 233, 237 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 19; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN). "Neu" ist eine Behandlungsmethode grundsätzlich dann, wenn sie bislang nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21). Dem in § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 und § 135 Abs 1 SGB V verwendeten Begriff der "Behandlungsmethode" kommt jedoch eine umfassendere Bedeutung zu als dem Begriff der "ärztlichen Leistung" im EBM-Ä nach § 87 SGB V, da einzelne vertragsärztliche Leistungen oftmals nur Bestandteil eines methodischen Konzepts sind(BSGE 84, 247, 250 = SozR 3-2500 § 135 Nr 11 S 50). Setzt sich eine Behandlungsmethode aus einer Kombination verschiedener - für sich allein jeweils anerkannter oder zugelassener - Maßnahmen zusammen, kann es sich um eine neue Behandlungsmethode handeln, wenn das zugrunde liegende theoretisch-wissenschaftliche Konzept gerade in der neuartigen Kombination verschiedener Einzelleistungen liegt (vgl BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 26). Es kommt dann darauf an, ob die im EBM-Ä bereits enthaltenen ärztlichen Einzelleistungen oder bereits zugelassene Behandlungsmethoden eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren (BSGE 81, 54, 57 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 12 f mwN; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 sowie BSG Urteil vom 2.9.2014 - B 1 KR 3/13 R - SozR 4-2500 § 28 Nr 8 RdNr 21, auch für BSGE vorgesehen; vgl auch § 2 Abs 1 Kap 2 der Verfahrensordnung des GBA, sowie Schmidt-De Caluwe in Becker/Kingreen, SGB V, 4. Aufl 2014, § 135 RdNr 7).

33

b) Um zu beurteilen, welche Änderungen oder Erweiterungen wesentlich sind, bedarf es einer Orientierung am Schutzzweck des § 135 Abs 1 SGB V. Nach § 135 Abs 1 SGB V hat der GBA "Empfehlungen abzugeben über
1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,
2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und
3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung."
Danach dient die Notwendigkeit einer solchen Empfehlung, bevor eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zu Lasten der GKV erbracht werden darf, der Sicherung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen. Neue medizinische Verfahren dürfen zum Schutz der Patienten nicht ohne hinreichende Prüfung ihres diagnostischen bzw therapeutischen Nutzens und etwaiger gesundheitlicher Risiken in der vertragsärztlichen Versorgung angewandt werden, und im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot darf die Leistungspflicht der GKV nicht auf unwirksame oder unwirtschaftliche Untersuchungs- und Behandlungsverfahren ausgedehnt werden (BSGE 81, 54, 58 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 13 f).

34

Eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren bereits im EBM-Ä enthaltene ärztliche Leistungen oder zu Lasten der GKV abrechnungsfähige Methoden mithin insbesondere dann, wenn sich der diagnostische bzw therapeutische Nutzen aus einer bisher nicht erprobten Wirkungsweise der Methode ergeben soll oder wenn mit der Methode gesundheitliche Risiken verbunden sein könnten, denen bisher nicht nachgegangen wurde. Eine neue Wirkungsweise und bisher nicht erforschte Risiken können sich auch aus der Komplexität der Methode oder ihres technischen Ablaufs ergeben (vgl BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 20).

35

c) In Anwendung dieser Maßstäbe ist vorliegend eine neue Behandlungsmethode betroffen. Abzustellen ist auf das konkrete Verfahren “kontinuierliche interstitielle Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus“. Im EBM-Ä sind zwar Positionen zur Messung des Parameters Glukose im Rahmen der allgemeinen Laborleistungen vorgesehen (etwa in den GOP 32025 und GOP 32057), Positionen für die subkutane Messung des Glukosewertes finden sich jedoch ebenso wenig wie anderweitige Positionen betreffend die hier zugrunde liegende Behandlungsmethode. Bei der kontinuierlichen Glukosemessung im Unterhautfettgewebe zur Steuerung einer insulinpflichtigen Diabetestherapie handelt es sich daher um eine neuartige Kombination verschiedener Einzelleistungen. Denn im Vergleich zu den herkömmlichen Diabetestherapien bringt dieses Verfahren wesentliche Änderungen mit sich.

36

Weder bei der konventionellen noch bei der intensivierten Therapieform erfolgen kontinuierliche Glukosemessungen. Die Leitlinien empfehlen bei einem Typ-1-Diabetes generell mindestens viermal täglich (vor den Mahlzeiten und vor dem Zubettgehen) eine Glukosemessung durchzuführen. Häufigere Messungen können unter anderem vor und nach intensiver körperlicher Bewegung/Sport und auf Reisen angezeigt sein (Ziffer 9.1, Empfehlung 9.2 der Leitlinie). Darüber hinaus werden mit den herkömmlichen Messungen die Glukosewerte im Blut bestimmt, während mit den von der Klägerin begehrten Messgeräten die Glukosewerte mittels eines Sensors im Unterhautfettgewebe ermittelt werden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass auch bei Einsatz der CGM-Geräte auf die Messung von Blutzuckerwerten nicht verzichtet werden kann, weil die CGM-Geräte mittels der Blutzuckerwerte kalibriert werden müssen (dies betonen auch die Hersteller: etwa http://www.medtronic.de/erkrankungen/diabetes/produkt/kontinuierliches-glukosemonitoring/minimed-veo-system/index.htm, letzter Abruf am 8.5.2015); die Zahl der Blutzuckermessungen kann aber wesentlich verringert werden. Schließlich sendet das von der Klägerin beschaffte Gerät die Glukosewerte per Funk an die Veo-Insulinpumpe, so dass die Ausschüttung von Insulin sogleich über dieses System gesteuert wird.

37

Bei dem zuletzt genannten Aspekt ist ohne Weiteres ersichtlich, dass damit gesundheitliche Risiken verbunden sein können, denen bisher nicht nachgegangen wurde. Denn bei der herkömmlichen, anerkannten Insulinpumpentherapie wird die Insulinzufuhr ausschließlich vom Arzt oder Anwender auf der Basis von Blutzuckermessungen reguliert. Die Wirkungsweise einer automatischen Steuerung der von der Pumpe abgegebenen Insulinmenge auf der Grundlage kontinuierlicher Glukosemessungen im Interstitium ist bisher nicht abschließend vom GBA geprüft worden. Bei einer solchen Prüfung wird es insbesondere um die Verlässlichkeit der Glukosemessungen im Unterhautfettgewebe und die damit in Verbindung gebrachte, im Vergleich zu den Blutzuckerwerten um 5 bis 30 Minuten verzögerte Anzeige des Zuckergehaltes, aber auch um die Zuverlässigkeit der Kalibrierung der Geräte mithilfe der Blutzuckerwerte gehen müssen.

38

Aber auch ohne Kopplung des Systems mit der Insulinpumpe und ohne automatische Regelung der Insulinzufuhr ist das Verfahren für die Patienten nicht nur mit Vorteilen, sondern auch mit Risiken verbunden. Dies gilt schon deshalb, weil die Patienten sich auf die kontinuierliche Messung der Glukosewerte verlassen und daher selbst nur noch sehr viel seltener konventionelle Blutzuckermessungen vornehmen werden. Selbst wenn dies im Einzelfall über entsprechende Anweisungen des Arztes ausgeschlossen und die CGM-Geräte ausschließlich zusätzlich zu den herkömmlichen Blutzuckermessungen eingesetzt würden, bliebe aber vor allem der Gesichtspunkt des diagnostischen Nutzens insbesondere im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot zu prüfen. Es liegt nahezu auf der Hand, dass eine kontinuierliche interstitielle Glukosemessung nicht für alle Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes im Vergleich oder zusätzlich zu den herkömmlichen Blutzuckermessungen medizinische Vorteile bietet. So lässt sich der S3-Leitlinie entnehmen, dass bisher nicht ausreichend belegt sei, dass "die Anwendung der kontinuierlichen Glukosemessung zu einer Senkung des HbA1c-Wertes führt". Hinweise auf einen entsprechenden Nutzen bei Erwachsenen mit guter Adhärenz müssten danach in weiteren Studien bestätigt werden. Zudem liege für die Senkung der Hypoglykämierate widersprüchliche Evidenz vor (Ziffer 9.1, Empfehlung 9-3 der vorgenannten Leitlinie). Zwar wird sodann unter dem Punkt: Hintergrund und Evidenz zu Statement 9-3 ausgeführt, dass anhand einer Gesamtschau der vorliegenden Studien festgestellt werden könne, dass sich für die CGM Hinweise für eine mögliche Senkung des HbA1c-Wertes bei Erwachsenen zeigten, während für die Verbesserung von Hypoglykämien keine eindeutige Evidenz vorliege und auch keine Evidenz zur Verbesserung von Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen identifiziert werden könne.

39

Zusammenfassend wird damit deutlich, dass die Verwendung von CGM insbesondere dann Risiken birgt, wenn - wie im Fall der Klägerin - die Insulinpumpe automatisch über diese Geräte gesteuert wird und herkömmliche Blutzuckermessungen - wie vorgesehen - weitgehend entfallen und nur noch zur Kalibrierung der Geräte durchgeführt werden. Werden die CGM lediglich zusätzlich zum herkömmlichen Verfahren verwendet, ist ein medizinischer Vorteil der zusätzlichen kontinuierlichen Messungen - und insbesondere der Patientenkreis, für den dieses Verfahren tatsächlich einen zusätzlichen medizinischen Nutzen mit sich bringen könnte - bisher noch nicht abschließend mit hinreichender Evidenz festgestellt. Es ist auch nicht Aufgabe der Gerichte, sondern ausschließlich Aufgabe des GBA, mittels entsprechender (positiver oder negativer) Empfehlungen über einen hinreichend belegten medizinischen Nutzen einer neuen Methode zu entscheiden. Die Ausführungen zeigen lediglich, dass ein Entscheidungsbedarf des GBA besteht, es sich also - im Vergleich zu den herkömmlichen Methoden - um eine "neue" Untersuchungs- bzw Behandlungsmethode handelt.

40

d) Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zur Entscheidung des Senats vom 15.3.2012 (B 3 KR 2/11 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 38 - Matratzen-Encasings). Soweit der Senat danach den Instanzengerichten aufgibt, die objektive und subjektive Erforderlichkeit des Hilfsmittels zur Sicherung einer Krankenbehandlung nach dem aktuellen, allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu ermitteln (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 21), ist daraus für den vorliegenden Fall nicht abzuleiten, dass die kontinuierliche interstitielle Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Versicherten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus keiner positiven Bewertung durch den GBA bedürfe, sondern es für den Anspruch auf das begehrte CGMS genüge, wenn die genannten Maßstäbe erfüllt seien.

41

Der Verwendung von Matratzen-Encasings lag nämlich keine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode zugrunde, sondern es sollte vielmehr ein bestimmtes Hilfsmittel (Matratzen-Encasing) losgelöst von einer solchen Behandlungsmethode zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung eingesetzt werden. Der Einsatz der Encasings dient allein dazu, den Patienten besser vor der Exposition von allergieauslösenden Substanzen zu schützen, also der Allergiekarenz (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 17). Der Umhüllung der Matratzen liegt kein eigenständiges therapeutisches Konzept zugrunde, sondern allein die Minderung des Kontaktes zwischen Patienten und allergenen Noxen. Folgerichtig hat der Senat auch in seiner Entscheidung zu der Hilfsmitteleigenschaft von Hüftprotektoren (BSGE 103, 66 = SozR 4-2500 § 33 Nr 22) § 135 Abs 1 SGB V nicht erwähnt, sondern allein geprüft, ob die Versorgung mit Protektoren der Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung durch Vermeidung der Auswirkungen von Stürzen dient. Dass der Senat dies bei den Hüftprotektoren verneint und bei der Encasing bejaht hat, beruht auf den unterschiedlichen Zielsetzungen beider Produkte: die Encasings schützen den Patienten im Zusammenhang mit einer schon vorhandenen, zu behandelnden Erkrankung und die Protektoren schützen nur vor den Folgen eines Sturzes, ohne auf die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Sturzes irgendeinen Einfluss zu haben. Gemeinsam haben beide Produkte, dass ihr Einsatz nicht Teil eines auf eine bestimmte Erkrankung bezogenen umfassenden Behandlungskonzeptes ist bzw mit einer solchen in einem allenfalls losen Zusammenhang steht. Die Vermeidung von Allergien ist Zweck der Verwendung von Encasings; er steht unabhängig davon, ob die Grunderkrankung des Patienten auch mit anderen Maßnahmen behandelt werden muss. Das ist bei der CGM nicht der Fall: allein die Messung des Glukosegehaltes zu einem bestimmten Zeitpunkt stellt für sich genommen keine Krankenbehandlung dar, sondern ist notwendiger Teil einer solchen. Die Information über den Zuckergehalt setzt Arzt und Patient in den Stand, die erforderlichen Maßnahmen (Aufnahme bestimmter Nahrungsmittel, Insulinzufuhr, Neueinstellung des Patienten durch den Arzt) der Diabetesbehandlung zu ergreifen. Das Ziel der Vermeidung von Hypoglykämien wird durch das CGMS unterstützt, ist jedoch nicht mit dessen Wirkung gleichzusetzen.

42

5. Die Behandlungsmethode der "kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung" darf auch nicht ausnahmsweise ohne positive Empfehlung des GBA im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eingesetzt werden. Selbst wenn möglicherweise vieles dafür spricht, dass die neue Methode für einen bestimmten Patientenkreis überwiegend vorteilhaft und - zumindest solange zusätzlich auf die herkömmlichen Blutzuckermessungen nicht verzichtet und die Insulinpumpe nicht automatisch über das System gesteuert wird - auch mit keinen weiteren Risiken verbunden ist, kann eine neue Methode grundsätzlich erst nach einer positiven Empfehlung des GBA gewährt werden. Denn es kommt nicht nur auf die gesundheitlichen Risiken, sondern insbesondere im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot auch auf den diagnostischen bzw therapeutischen Nutzen der Methode an, der zuerst hinreichend belegt sein muss. Einheitlich für alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmt § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V hierzu, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Die auch mit wertenden Nutzen-Risiko-Abwägungen verbundene Feststellung, ob die Leistung diesem Erkenntnisstand hinreichend gerecht wird (vgl hierzu zB Roters, SGb 2015, 413 ff), obliegt grundsätzlich dem GBA.

43

Ein Ausnahmefall, in dem eine Behandlungsmethode ausnahmsweise ohne positive Empfehlung des GBA zur Versorgung in der GKV zuzulassen ist, liegt nicht vor. Eine solche Ausnahme regelt inzwischen § 2 Abs 1a SGB V, wonach Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung (und damit eine Leistung, deren Qualität und Wirksamkeit entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse noch nicht feststeht) beanspruchen können, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Damit hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BVerfG im sog Nikolausbeschluss vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) aufgegriffen und gesetzlich fixiert (vgl zusammenfassend ferner BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 ff mwN). Ferner ist eine Ausnahme für sog Seltenheitsfälle anerkannt, die sich einer systematischen Erforschung entziehen (vgl etwa BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 mwN; BSGE 100, 104 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 30), und schließlich für den Fall, dass der GBA dem in § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzten Auftrag nicht gerecht geworden ist, selbst für eine Aktualisierung der Richtlinien Sorge zu tragen(vgl BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 17 ff mwN).

44

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Zwar handelt es sich bei einer Diabeteserkrankung um eine schwerwiegende Erkrankung, die die Lebensqualität der Klägerin nicht unerheblich beeinträchtigt. Es geht aber weder um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende noch um eine wertungsmäßig mit einer solchen Krankheit vergleichbare Erkrankung. Zudem existiert jedenfalls eine dem medizinischen Standard entsprechende Therapie. Es handelt sich auch nicht um eine besonders seltene Erkrankung. Ferner findet sich kein Anhaltspunkt für eine willkürlich oder ansonsten mit dem Aktualisierungsauftrag des GBA unvereinbar verzögerte Handhabung des Verfahrens nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V. Gegen eine rechtswidrige Verfahrensverzögerung spricht vielmehr, dass aktuell eine Prüfung durch den GBA erfolgt. Mit Beschluss vom 24.11.2011 hatte der GBA den Antrag des GKV-Spitzenverbandes vom 14.7.2011 auf Bewertung der CGM mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus gemäß § 135 Abs 1 SGB V angenommen und das Beratungsverfahren eingeleitet. Gleichzeitig wurde der Unterausschuss Methodenbewertung mit der Durchführung der Bewertung beauftragt. Mit Schreiben vom 23.11.2012 hat der GBA das IQWiG mit der Bewertung der CGM mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus beauftragt. Der Vorbericht wurde am 21.7.2014 veröffentlicht (abrufbar unter: https://www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/projekte/nichtmedikamentoese-verfahren/d12-01-kontinuierliche-interstitielle-glukosemessung-cgm-mit-real-time-messgeraten-bei-insulinpflichtigem-diabetes-mellitus.3258.html; letzter Abruf am 8.5.2015), der Abschlussbericht wurde am 26.3.2015 an den GBA versandt und am 21.5.2015 veröffentlicht. Das Verfahren wird folglich von dem GBA betrieben. Eine rechtswidrige Verzögerung ist nicht erkennbar.

45

Da die von der Klägerin selbst beschafften Hilfsmittel im Rahmen einer neuen Behandlungsmethode iS von § 135 Abs 1 SGB V eingesetzt werden, sind diese von der Sperrwirkung dieser Norm erfasst. Mangels positiver Empfehlung durch den GBA hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Sachleistung und damit auch nicht auf Erstattung der Kosten für das selbstbeschaffte Hilfsmittel nach § 13 Abs 3 SGB V.

46

6. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Ausstattung mit dem CGMS nach § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 3 SGB V, also zum Ausgleich einer Behinderung. Ein Behinderungsausgleich kann mit dem begehrten Hilfsmittel nur erzielt werden, wenn es im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eingesetzt werden darf, und dazu bedarf es zunächst einer positiven Empfehlung des GBA zu der zugrunde liegenden Behandlungsmethode. Nach den obigen Ausführungen ist der Einsatz des Hilfsmittels gerade nicht von der zugrunde liegenden Behandlungsmethode zu trennen. Eine vom therapeutischen Nutzen unabhängige Funktion des CGMS zum Ausgleich einer Behinderung ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

47

7. Ein Anspruch auf das Hilfsmittel kommt auch nach § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 2 SGB V, dh zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung, nicht in Betracht, solange der GBA den therapeutischen Nutzen der zugrunde liegenden Behandlungsmethode nicht positiv bewertet hat. Denn ohne eine positive Empfehlung des GBA kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Einsatz des Hilfsmittels - unter Berücksichtigung möglicher Risiken und des Wirtschaftlichkeitsgebots - positive Wirkungen in Bezug auf Spätfolgen oder Folgeerkrankungen des Diabetes mit sich bringt und deshalb zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung objektiv geeignet sein könnte.

48

8. Das Urteil des LSG leidet auch nicht an einem Verfahrensmangel. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung der richterlichen Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) liegt nicht vor. Eine Verletzung des § 103 SGG setzt voraus, dass sich das Tatsachengericht auf der Grundlage seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung zur Sach- und Rechtslage hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen(vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 34 S 50; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 28 mwN). Nach Auffassung des LSG scheiterte der Anspruch der Klägerin an der fehlenden positiven Empfehlung des GBA gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V. Auf den Inhalt der Beratungsunterlagen und Protokolle der Sitzungen des GBA kam es aus Sicht des LSG folglich nicht an, da auch eine im Sinne der Klägerin (vorläufige) positive Stellungnahme die fehlende formelle Methodenentscheidung nach § 135 Abs 1 SGB V nicht ersetzen könnte. Hieran vermag der Einwand, dass es unterschiedliche Meinungen zur rechtlichen Einordnung des begehrten CGMS gebe, nichts zu ändern. Die rechtliche Bewertung, ob es sich bei dem CGMS um eine "neue" Untersuchungs- oder Behandlungsmethode handelt, obliegt allein dem Gericht und konnte von diesem auf der Grundlage der ihm bekannten Tatsachen über die Funktionsweise des CGMS vorgenommen werden. Insoweit ist nicht ersichtlich, welche weiteren Tatsachen zur Aufklärung des Sachverhaltes sich aus der Hinzuziehung der eingangs genannten Unterlagen hätten ergeben können. Derartige Tatsachen hat die Klägerin auch nicht benannt.

49

9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1, einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen abgegeben hat über

1.
die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,
2.
die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und
3.
die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung.
Der Gemeinsame Bundesausschuss überprüft die zu Lasten der Krankenkassen erbrachten vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Leistungen daraufhin, ob sie den Kriterien nach Satz 1 Nr. 1 entsprechen. Falls die Überprüfung ergibt, daß diese Kriterien nicht erfüllt werden, dürfen die Leistungen nicht mehr als vertragsärztliche oder vertragszahnärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden. Die Beschlussfassung über die Annahme eines Antrags nach Satz 1 muss spätestens drei Monate nach Antragseingang erfolgen. Das sich anschließende Methodenbewertungsverfahren ist innerhalb von zwei Jahren abzuschließen. Bestehen nach dem Beratungsverlauf im Gemeinsamen Bundesausschuss ein halbes Jahr vor Fristablauf konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine fristgerechte Beschlussfassung nicht zustande kommt, haben die unparteiischen Mitglieder gemeinsam einen eigenen Beschlussvorschlag für eine fristgerechte Entscheidung vorzulegen; die Geschäftsführung ist mit der Vorbereitung des Beschlussvorschlags zu beauftragen. Der Beschlussvorschlag der unparteiischen Mitglieder muss Regelungen zu den notwendigen Anforderungen nach Satz 1 Nummer 2 und 3 enthalten, wenn die unparteiischen Mitglieder vorschlagen, dass die Methode die Kriterien nach Satz 1 Nummer 1 erfüllt. Der Beschlussvorschlag der unparteiischen Mitglieder muss Vorgaben für einen Beschluss einer Richtlinie nach § 137e Absatz 1 und 2 enthalten, wenn die unparteiischen Mitglieder vorschlagen, dass die Methode das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ihr Nutzen aber noch nicht hinreichend belegt ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat innerhalb der in Satz 5 genannten Frist über den Vorschlag der unparteiischen Mitglieder zu entscheiden.

(1a) Für ein Methodenbewertungsverfahren, für das der Antrag nach Absatz 1 Satz 1 vor dem 31. Dezember 2018 angenommen wurde, gilt Absatz 1 mit der Maßgabe, dass das Methodenbewertungsverfahren abweichend von Absatz 1 Satz 5 erst bis zum 31. Dezember 2020 abzuschließen ist.

(2) Für ärztliche und zahnärztliche Leistungen, welche wegen der Anforderungen an ihre Ausführung oder wegen der Neuheit des Verfahrens besonderer Kenntnisse und Erfahrungen (Fachkundenachweis), einer besonderen Praxisausstattung oder anderer Anforderungen an die Versorgungsqualität bedürfen, können die Partner der Bundesmantelverträge einheitlich entsprechende Voraussetzungen für die Ausführung und Abrechnung dieser Leistungen vereinbaren. Soweit für die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen, welche als Qualifikation vorausgesetzt werden müssen, in landesrechtlichen Regelungen zur ärztlichen Berufsausübung, insbesondere solchen des Facharztrechts, bundesweit inhaltsgleich und hinsichtlich der Qualitätsvoraussetzungen nach Satz 1 gleichwertige Qualifikationen eingeführt sind, sind diese notwendige und ausreichende Voraussetzung. Wird die Erbringung ärztlicher Leistungen erstmalig von einer Qualifikation abhängig gemacht, so können die Vertragspartner für Ärzte, welche entsprechende Qualifikationen nicht während einer Weiterbildung erworben haben, übergangsweise Qualifikationen einführen, welche dem Kenntnis- und Erfahrungsstand der facharztrechtlichen Regelungen entsprechen müssen. Abweichend von Satz 2 können die Vertragspartner nach Satz 1 zur Sicherung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung Regelungen treffen, nach denen die Erbringung bestimmter medizinisch-technischer Leistungen den Fachärzten vorbehalten ist, für die diese Leistungen zum Kern ihres Fachgebietes gehören. Die nach der Rechtsverordnung nach § 140g anerkannten Organisationen sind vor dem Abschluss von Vereinbarungen nach Satz 1 in die Beratungen der Vertragspartner einzubeziehen; die Organisationen benennen hierzu sachkundige Personen. § 140f Absatz 5 gilt entsprechend. Das Nähere zum Verfahren vereinbaren die Vertragspartner nach Satz 1. Für die Vereinbarungen nach diesem Absatz gilt § 87 Absatz 6 Satz 10 entsprechend.

(3) bis (6) (weggefallen)

(1) Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bilden einen Gemeinsamen Bundesausschuss. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist rechtsfähig. Er wird durch den Vorsitzenden des Beschlussgremiums gerichtlich und außergerichtlich vertreten.

(2) Das Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses besteht aus einem unparteiischen Vorsitzenden, zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern, einem von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, jeweils zwei von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft und fünf von dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen benannten Mitgliedern. Für die Berufung des unparteiischen Vorsitzenden und der weiteren unparteiischen Mitglieder sowie jeweils zweier Stellvertreter einigen sich die Organisationen nach Absatz 1 Satz 1 jeweils auf einen Vorschlag und legen diese Vorschläge dem Bundesministerium für Gesundheit spätestens zwölf Monate vor Ablauf der Amtszeit vor. Als unparteiische Mitglieder und deren Stellvertreter können nur Personen benannt werden, die im vorangegangenen Jahr nicht bei den Organisationen nach Absatz 1 Satz 1, bei deren Mitgliedern, bei Verbänden von deren Mitgliedern oder in einem Krankenhaus beschäftigt oder selbst als Vertragsarzt, Vertragszahnarzt oder Vertragspsychotherapeut tätig waren. Das Bundesministerium für Gesundheit übermittelt die Vorschläge an den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages. Der Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages kann einem Vorschlag nach nichtöffentlicher Anhörung der jeweils vorgeschlagenen Person innerhalb von sechs Wochen mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder durch Beschluss widersprechen, sofern er die Unabhängigkeit oder die Unparteilichkeit der vorgeschlagenen Person als nicht gewährleistet ansieht. Die Organisationen nach Absatz 1 Satz 1 legen innerhalb von sechs Wochen, nachdem das Bundesministerium für Gesundheit den Gemeinsamen Bundesausschuss über einen erfolgten Widerspruch unterrichtet hat, einen neuen Vorschlag vor. Widerspricht der Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages nach Satz 5 auch dem neuen Vorschlag innerhalb von sechs Wochen oder haben die Organisationen nach Absatz 1 Satz 1 keinen neuen Vorschlag vorgelegt, erfolgt die Berufung durch das Bundesministerium für Gesundheit. Die Unparteiischen üben ihre Tätigkeit in der Regel hauptamtlich aus; eine ehrenamtliche Ausübung ist zulässig, soweit die Unparteiischen von ihren Arbeitgebern in dem für die Tätigkeit erforderlichen Umfang freigestellt werden. Die Stellvertreter der Unparteiischen sind ehrenamtlich tätig. Hauptamtliche Unparteiische stehen während ihrer Amtszeit in einem Dienstverhältnis zum Gemeinsamen Bundesausschuss. Zusätzlich zu ihren Aufgaben im Beschlussgremium übernehmen die einzelnen Unparteiischen den Vorsitz der Unterausschüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses. Der Vorsitzende nach Absatz 1 Satz 3 stellt übergreifend die Einhaltung aller dem Gemeinsamen Bundesausschuss auferlegten gesetzlichen Fristen sicher. Zur Erfüllung dieser Aufgabe nimmt er eine zeitliche Steuerungsverantwortung wahr und hat ein Antragsrecht an das Beschlussgremium nach Satz 1, er erstattet auch den nach Absatz 11 jährlich vorzulegenden Bericht. Die Organisationen nach Absatz 1 Satz 1 schließen die Dienstvereinbarungen mit den hauptamtlichen Unparteiischen; § 35a Absatz 6 Satz 2 und Absatz 6a Satz 1 und 2 des Vierten Buches gilt entsprechend. Vergütungserhöhungen sind während der Dauer der Amtszeit der Unparteiischen unzulässig. Zu Beginn einer neuen Amtszeit eines Unparteiischen kann eine über die zuletzt nach § 35a Absatz 6a Satz 1 des Vierten Buches gebilligte Vergütung der letzten Amtsperiode oder des Vorgängers im Amt hinausgehende höhere Vergütung nur durch einen Zuschlag auf die Grundvergütung nach Maßgabe der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes vereinbart werden. Die Aufsichtsbehörde kann zu Beginn einer neuen Amtszeit eines Unparteiischen eine niedrigere Vergütung anordnen. Die Art und die Höhe finanzieller Zuwendungen, die den Unparteiischen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Unparteiische von Dritten gewährt werden, sind den Organisationen nach Absatz 1 Satz 1 mitzuteilen und auf die Vergütung der Unparteiischen anzurechnen oder an den Gemeinsamen Bundesausschuss abzuführen. Vereinbarungen der Organisationen nach Absatz 1 Satz 1 für die Zukunftssicherung der Unparteiischen sind nur auf der Grundlage von beitragsorientierten Zusagen zulässig. Die von den Organisationen benannten sonstigen Mitglieder des Beschlussgremiums üben ihre Tätigkeit ehrenamtlich aus; sie sind bei den Entscheidungen im Beschlussgremium an Weisungen nicht gebunden. Die Organisationen nach Absatz 1 Satz 1 benennen für jedes von ihnen benannte Mitglied bis zu drei Stellvertreter. Die Amtszeit im Beschlussgremium beträgt ab der am 1. Juli 2012 beginnenden Amtszeit sechs Jahre.

(2a) Bei Beschlüssen, die allein einen der Leistungssektoren wesentlich betreffen, werden ab dem 1. Februar 2012 alle fünf Stimmen der Leistungserbringerseite anteilig auf diejenigen Mitglieder übertragen, die von der betroffenen Leistungserbringerorganisation nach Absatz 1 Satz 1 benannt worden sind. Bei Beschlüssen, die allein zwei der drei Leistungssektoren wesentlich betreffen, werden ab dem 1. Februar 2012 die Stimmen der von der nicht betroffenen Leistungserbringerorganisation benannten Mitglieder anteilig auf diejenigen Mitglieder übertragen, die von den betroffenen Leistungserbringerorganisationen benannt worden sind. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in seiner Geschäftsordnung erstmals bis zum 31. Januar 2012 fest, welche Richtlinien und Entscheidungen allein einen oder allein zwei der Leistungssektoren wesentlich betreffen. Bei Beschlüssen zur Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden wird die Stimme des von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung benannten Mitglieds ab dem 1. Januar 2012 anteilig auf die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft benannten Mitglieder übertragen.

(3) Für die Tragung der Kosten des Gemeinsamen Bundesausschusses mit Ausnahme der Kosten der von den Organisationen nach Absatz 1 Satz 1 benannten Mitglieder gilt § 139c entsprechend. Im Übrigen gilt § 90 Abs. 3 Satz 4 entsprechend mit der Maßgabe, dass vor Erlass der Rechtsverordnung außerdem die Deutsche Krankenhausgesellschaft anzuhören ist.

(3a) Verletzen Mitglieder oder deren Stellvertreter, die von den in Absatz 1 Satz 1 genannten Organisationen benannt oder berufen werden, in der ihnen insoweit übertragenen Amtsführung die ihnen einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, gilt § 42 Absatz 1 bis 3 des Vierten Buches mit der Maßgabe entsprechend, dass die Verantwortlichkeit den Gemeinsamen Bundesausschuss, nicht aber die in Absatz 1 Satz 1 genannten Organisationen, trifft. Dies gilt auch im Falle einer Berufung der unparteiischen Mitglieder und deren Stellvertreter durch das Bundesministerium für Gesundheit nach Absatz 2 Satz 7. Soweit von den in Absatz 1 Satz 1 genannten Organisationen für die Vorbereitung von Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses Personen für die nach seiner Geschäftsordnung bestehenden Gremien benannt werden und diese Personen zur Wahrung der Vertraulichkeit der für den Gemeinsamen Bundesausschuss geheimhaltungspflichtigen, ihnen zugänglichen Unterlagen und Informationen verpflichtet werden, gilt Satz 1 entsprechend. Das Gleiche gilt für nach § 140f Absatz 2 Satz 1 zweiter Halbsatz benannte sachkundige Personen, denen zur Ausübung ihres Mitberatungsrechts für den Gemeinsamen Bundesausschuss geheimhaltungspflichtige Unterlagen und Informationen zugänglich gemacht werden, wenn sie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss zur Wahrung der Vertraulichkeit dieser Unterlagen verpflichtet worden sind. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Geschäftsordnung.

(4) Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt

1.
eine Verfahrensordnung, in der er insbesondere methodische Anforderungen an die wissenschaftliche sektorenübergreifende Bewertung des Nutzens, einschließlich Bewertungen nach den §§ 35a und 35b, der Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen als Grundlage für Beschlüsse sowie die Anforderungen an den Nachweis der fachlichen Unabhängigkeit von Sachverständigen und das Verfahren der Anhörung zu den jeweiligen Richtlinien, insbesondere die Feststellung der anzuhörenden Stellen, die Art und Weise der Anhörung und deren Auswertung, regelt,
2.
eine Geschäftsordnung, in der er Regelungen zur Arbeitsweise des Gemeinsamen Bundesausschusses insbesondere zur Geschäftsführung, zur Vorbereitung der Richtlinienbeschlüsse durch Einsetzung von in der Regel sektorenübergreifend gestalteten Unterausschüssen, zum Vorsitz der Unterausschüsse durch die Unparteiischen des Beschlussgremiums sowie zur Zusammenarbeit der Gremien und der Geschäftsstelle des Gemeinsamen Bundesausschusses trifft; in der Geschäftsordnung sind Regelungen zu treffen zur Gewährleistung des Mitberatungsrechts der von den Organisationen nach § 140f Abs. 2 entsandten sachkundigen Personen.
Die Verfahrensordnung und die Geschäftsordnung bedürfen der Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Genehmigung gilt als erteilt, wenn das Bundesministerium für Gesundheit sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Vorlage des Beschlusses und der tragenden Gründe ganz oder teilweise versagt. Das Bundesministerium für Gesundheit kann im Rahmen der Genehmigungsprüfung vom Gemeinsamen Bundesausschuss zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern; bis zum Eingang der Auskünfte ist der Lauf der Frist nach Satz 3 unterbrochen. Wird die Genehmigung ganz oder teilweise versagt, so kann das Bundesministerium für Gesundheit insbesondere zur Sicherstellung einer sach- und funktionsgerechten Ausgestaltung der Arbeitsweise und des Bewertungsverfahrens des Gemeinsamen Bundesausschusses erforderliche Änderungen bestimmen und anordnen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss innerhalb einer bestimmten Frist die erforderlichen Änderungen vornimmt. Kommt der Gemeinsame Bundesausschuss der Anordnung innerhalb der Frist nicht nach, so kann das Bundesministerium für Gesundheit die erforderlichen Änderungen selbst vornehmen. Die Sätze 5 und 6 gelten entsprechend, wenn sich die Erforderlichkeit der Änderung einer bereits genehmigten Regelung der Verfahrensordnung oder der Geschäftsordnung erst nachträglich ergibt. Klagen gegen Anordnungen und Maßnahmen des Bundesministeriums für Gesundheit nach den Sätzen 3 bis 7 haben keine aufschiebende Wirkung.

(5) Bei Beschlüssen, deren Gegenstand die Berufsausübung der Ärzte, Psychotherapeuten oder Zahnärzte berührt, ist der jeweiligen Arbeitsgemeinschaft der Kammern dieser Berufe auf Bundesebene Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. § 136 Absatz 3 und § 136b Absatz 1 Satz 3 bleiben unberührt.

(5a) Bei Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses, die die Verarbeitung personenbezogener Daten regeln oder voraussetzen, ist dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; die Stellungnahme ist in die Entscheidung einzubeziehen.

(6) Die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 136d sind für die Träger nach Absatz 1 Satz 1, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich.

(7) Das Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses nach Absatz 2 Satz 1 fasst seine Beschlüsse mit der Mehrheit seiner Mitglieder, sofern die Geschäftsordnung nichts anderes bestimmt. Beschlüsse zur Arzneimittelversorgung und zur Qualitätssicherung sind in der Regel sektorenübergreifend zu fassen. Beschlüsse, die nicht allein einen der Leistungssektoren wesentlich betreffen und die zur Folge haben, dass eine bisher zulasten der Krankenkassen erbringbare Leistung zukünftig nicht mehr zu deren Lasten erbracht werden darf, bedürfen einer Mehrheit von neun Stimmen. Der unparteiische Vorsitzende und die weiteren unparteiischen Mitglieder können dem Beschlussgremium gemeinsam einen eigenen Beschlussvorschlag zur Entscheidung vorlegen. Mit der Vorbereitung eines Beschlussvorschlags oder eines Antrags eines Unparteiischen nach § 135 Absatz 1 Satz 1 oder § 137c Absatz 1 Satz 1 können die Unparteiischen oder kann der Unparteiische die Geschäftsführung beauftragen. Die Sitzungen des Beschlussgremiums sind in der Regel öffentlich und werden zeitgleich als Live-Video-Übertragung im Internet angeboten sowie in einer Mediathek zum späteren Abruf verfügbar gehalten. Die nichtöffentlichen Beratungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, insbesondere auch die Beratungen in den vorbereitenden Gremien, sind einschließlich der Beratungsunterlagen und Niederschriften vertraulich.

(8) (weggefallen)

(9) Jedem, der berechtigt ist, zu einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses Stellung zu nehmen und eine schriftliche oder elektronische Stellungnahme abgegeben hat, ist in der Regel auch Gelegenheit zu einer mündlichen Stellungnahme zu geben. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in seiner Verfahrensordnung vorzusehen, dass die Teilnahme jeweils eines Vertreters einer zu einem Beschlussgegenstand stellungnahmeberechtigten Organisation an den Beratungen zu diesem Gegenstand in dem zuständigen Unterausschuss zugelassen werden kann.

(10) Der Gemeinsame Bundesausschuss ermittelt spätestens ab dem 1. September 2012 die infolge seiner Beschlüsse zu erwartenden Bürokratiekosten im Sinne des § 2 Absatz 2 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates und stellt diese Kosten in der Begründung des jeweiligen Beschlusses nachvollziehbar dar. Bei der Ermittlung der Bürokratiekosten ist die Methodik nach § 2 Absatz 3 des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates anzuwenden. Das Nähere regelt der Gemeinsame Bundesausschuss bis zum 30. Juni 2012 in seiner Verfahrensordnung.

(11) Der Gemeinsame Bundesausschuss hat dem Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages einmal jährlich zum 31. März über das Bundesministerium für Gesundheit einen Bericht über die Einhaltung der Fristen nach § 135 Absatz 1 Satz 4 und 5, § 136b Absatz 3 Satz 1, § 137c Absatz 1 Satz 5 und 6 sowie § 137h Absatz 4 Satz 9 vorzulegen, in dem im Falle von Überschreitungen der Fristen nach § 137c Absatz 1 Satz 5 und 6 sowie § 137h Absatz 4 Satz 9 auch die zur Straffung des Verfahrens unternommenen Maßnahmen und die besonderen Schwierigkeiten einer Bewertung, die zu einer Fristüberschreitung geführt haben können, im Einzelnen dargelegt werden müssen. Zudem sind in dem Bericht auch alle anderen Beratungsverfahren über Entscheidungen und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses darzustellen, die seit förmlicher Einleitung des Beratungsverfahrens länger als drei Jahre andauern und in denen noch keine abschließende Beschlussfassung erfolgt ist.

Tenor

Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

Die Klägerinnen tragen auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 8.

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 2 500 000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die klagenden pharmazeutischen Unternehmen wenden sich gegen die Festsetzung eines Festbetrages für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Atorvastatin.

2

Atorvastatin gehört zur Wirkstoffgruppe der Statine, die insbesondere dazu dienen, den Cholesterin-Spiegel im Menschen zu senken. Dazu vermindern sie die körpereigene Erzeugung des an Lipoprotein geringer Dichte (LDL) gebundenen Cholesterins, das im Blutkreislauf zur Leber transportiert wird, indem sie die Wirkung des Schlüsselenzyms für die Cholesterinproduktion in Körperzellen (ß-Hydroxy-ß-Methylglutaryl-Coenzym A-Reduktase ) hemmen. Die Zellen reagieren auf den hierdurch hervorgerufenen Cholesterinmangel, indem sie vermehrt Rezeptoren bilden, die das LDL aus dem Blut aufnehmen. Der Wirkstoff Atorvastatin ist enthalten in dem von den Klägerinnen seit 1997 in Deutschland hergestellten und vertriebenen Fertigarzneimittel Sortis. Atorvastatin wird synthetisch hergestellt und genießt bis 2011 Patentschutz. Sortis wurde am 17.12.1996 mit den Wirkstärken 10, 20, 40 mg, später auch mit der Wirkstärke 80 mg arzneimittelrechtlich zugelassen. Nach der Fachinformation erstreckt sich die Zulassung von Sortis ua auf das Anwendungsgebiet der primären und kombinierten Hypercholesterinämie. Für diese Anwendungsgebiete sind auch die übrigen Arzneimittel zugelassen, die die Statine Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin und Simvastatin enthalten. Der Beigeladene zu 1. fasste auf der Grundlage einer Anhörung und einer gutachterlichen Stellungnahme Arzneimittel mit Statinen als Wirkstoff in der Festbetragsgruppe "HMG-CoA-Reduktasehemmer" in der Anlage 2 der Arzneimittel-Richtlinien zusammen (Wirkstoffe und Vergleichsgrößen Atorvastatin: 16,7; Fluvastatin: 42,2; Lovastatin: 23,2; Pravastatin: 21,3 sowie Simvastatin: 20,7; Beschluss vom 20.7.2004, BAnz Nr 182 vom 25.9.2004, S 21086). Die Beigeladenen zu 3. bis 8. setzten mit Wirkung vom 1.1.2005 einen Festbetrag von 62,55 Euro für die Wirkstoffgruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer fest (Standardpackung 100, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,97; Beschluss vom 29.10.2004, BAnz Nr 210 vom 5.11.2004, S 22602). Die Wirkstoffe Fluvastatin, Lovastatin und Simvastatin waren bei Beschlussfassung zu diesem Festbetrag erhältlich. Der Apothekenabgabepreis von Sortis liegt seit Inkrafttreten dieser Festbetragsfestsetzung deutlich über dem Festbetrag.

3

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22.11.2005). Während des Berufungsverfahrens haben die Beigeladenen zu 3. bis 8. am 10.2.2006 beschlossen, den Festbetrag für die Wirkstoffgruppe der HMG-CoA-Reduktasehemmer mit Wirkung vom 1.4.2006 um fünf Prozent auf 59,42 Euro abzusenken (Standardpackung 100, Wirkstärkenvergleichsgröße 0,97; BAnz Nr 48 vom 9.3.2006, S 1524, 1534). Das LSG hat den Streit über die Anfechtung der Festbetragsfestsetzungen abgetrennt, die ab 1.7.2006 Arzneimittel mit dem Wirkstoff Atorvastatin betreffen (Aktenzeichen L 9 KR 351/09; vgl näher Senatsurteil vom selben Tage - B 1 KR 13/10 R), die Berufung gegen das SG-Urteil zurückgewiesen sowie die Klage gegen die Festbetragsfestsetzung vom 10.2.2006 abgewiesen: Die an § 35 SGB V zu messenden Allgemeinverfügungen der Beigeladenen zu 3. bis 8. wie auch der zugrunde liegende Beschluss des Beigeladenen zu 1. vom 20.7.2004 zur Festbetragsgruppen- und Vergleichsgrößenbildung seien nicht zu beanstanden (Urteil vom 16.12.2009).

4

Mit ihrer Revision rügen die Klägerinnen die Verletzung von § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2, Satz 3, Satz 5, Abs 1a, Abs 2, Abs 5 Satz 1 und 2 SGB V sowie von Verfahrensrecht. Der Beigeladene zu 1. habe Arzneimittel mit dem Wirkstoff Atorvastatin nicht in die Festbetragsgruppe der Statine einbeziehen dürfen, insbesondere da sie nachweislich pleiotrope Eigenschaften, eine therapierelevant besonders starke Wirkpotenz und einen schnellen Wirkeintritt sowie ein überlegenes Sicherheitsprofil hätten. Die festgesetzten Vergleichsgrößen spiegelten die Wirkunterschiede der betroffenen Arzneimittel nicht angemessen wider. Die festgesetzten Festbetragshöhen seien rechtswidrig, weil sie nicht das gesamte Spektrum der zu behandelnden Patienten berücksichtigten. Das LSG habe gegen §§ 103 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG verstoßen, da es entgegen seiner Aufklärungspflicht abgelehnt habe, antragsgemäß Prof. Dr. W. zu hören.

5

Die Klägerinnen beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. Dezember 2009 und des Sozialgerichts Berlin vom 22. November 2005 aufzuheben sowie die Festbetragsfestsetzungen vom 29. Oktober 2004 und 10. Februar 2006 insoweit abzuändern, als darin ein Festbetrag für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Atorvastatin festgesetzt wird.

6

Der Beklagte und der Beigeladene zu 1. beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

7

Beide halten das Urteil des LSG für zutreffend.

8

Die übrigen Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerinnen ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, insbesondere sind die Klägerinnen klagebefugt (dazu 1.). Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Festbetragsfestsetzung für den Geltungszeitraum vom 1.1.2005 bis 31.3.2006 (dazu 2.) sowie vom 1.4. bis 30.6.2006 (dazu 3.) die Klägerinnen nicht rechtswidrig beschwert, obwohl sie Arzneimittel mit dem Wirkstoff Atorvastatin einbezieht.

10

1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt.

11

a) Die auf die Aufhebung von Festbetragsfestsetzungen gerichtete Klage ist eine ohne Vorverfahren statthafte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG iVm § 35 Abs 7 Satz 3 SGB V). Festbetragsfestsetzungen sind grundsätzlich Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung (§ 31 Satz 2 SGB X; vgl BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2; BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 8). Zulässiger Streitgegenstand der Klage ist der Anspruch auf Aufhebung der Festbetragsfestsetzung vom 29.10.2004 und der später kraft Gesetzes (§ 153 Abs 1, § 96 Abs 1 SGG) einbezogenen Festbetragsanpassung vom 10.2.2006 für die Zeit bis zum Ablauf des 30.6.2006. Die Klägerinnen verfolgen zulässig ihren Anspruch auf Aufhebung der Festbetragsfestsetzungen vom 29.10.2004, 10.2.2006, 11.5.2006 und 7.4.2008 für die Zeit ab 1.7.2006 in einem gesonderten Verfahren (vgl zur Teilbarkeit des Anfechtungsbegehrens Senatsurteile vom selben Tage - B 1 KR 10/10 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, und - B 1 KR 13/10 R).

12

b) Die Klägerinnen haben ihre Klage im Berufungsverfahren zulässig gegen den Beklagten umgestellt, um nach Änderung der Zuständigkeit für Festbetragsfestsetzungen in § 35 Abs 3 Satz 1 SGB V iVm § 217f Abs 1 SGB V(idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007, BGBl l 378) dem mit dieser Funktionsnachfolge verbundenen gesetzlichen Beteiligtenwechsel von den Beigeladenen zu 3. bis 8. zum Beklagten Rechnung zu tragen (vgl hierzu BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 13; BSGE 102, 248 = SozR 4-5050 § 15 Nr 6).

13

c) Die Klägerinnen sind als Herstellerinnen eines von der Festbetragsfestsetzung betroffenen Arzneimittels klagebefugt iS von § 54 Abs 1 Satz 2 SGG, obwohl sie nicht Adressaten der Regelung sind. Festbetragsfestsetzungen sind Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung, die sich nach der Gesetzeskonzeption an Versicherte und Vertragsärzte, nicht jedoch an Arzneimittelhersteller richten (§ 31 Satz 2 SGB X; vgl zur Regelung gegenüber Versicherten und Vertragsärzten näher Senatsurteil vom selben Tage - B 1 KR 10/10 R - unter II. 1.a, mwN, zur Veröffentlichung vorgesehen). Festgesetzte Festbeträge legen insbesondere als solche nicht Arzneimittelpreise fest. Betroffene Arzneimittelhersteller können die Aufhebung einer Festbetragsfestsetzung verlangen, soweit sie in ihren Anhörungsrechten verletzt oder wegen einer willkürlichen Handhabung des § 35 SGB V benachteiligt sind.

14

§ 35 SGB V verbürgt für Arzneimittelhersteller lediglich das - vorliegend unstreitig beachtete - Recht, vor Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) Stellung zu nehmen(vgl § 35 Abs 2 SGB V). Im Übrigen regelt § 35 SGB V im Interesse des Wirtschaftlichkeitsgebots der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV -(vgl § 12 Abs 1 SGB V)Voraussetzungen, Verfahren und Rechtsschutz bei Festbetragsfestsetzungen. Wortlaut, Entstehungsgeschichte und aufgezeigter Regelungszweck sowie die Gesetzesentwicklung nach der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des § 35 SGB V vom 17.12.2002 (BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2) geben keinen Hinweis auf einen drittschützenden Gehalt der Regelung zugunsten von Arzneimittelherstellern. Daran hat sich auch dadurch nichts geändert, dass der GBA neuerdings die Verordnung eines Arzneimittels nur einschränken oder ausschließen darf, wenn die Wirtschaftlichkeit nicht durch einen Festbetrag nach § 35 SGB V oder durch die Vereinbarung eines Erstattungsbetrags nach § 130b SGB V hergestellt werden kann(s § 92 Abs 2 Satz 11 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst b Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung - Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz vom 22.12.2010, BGBl I 2262; vgl hierzu Hauck, GesR 2011, 69, 70 ff). Diese Regelung begründet subjektive Rechte zugunsten von Arzneimittelherstellern bloß im Zusammenhang mit Verordnungseinschränkungen oder -ausschlüssen durch den GBA. Arzneimittelhersteller können sich indes darauf berufen, dass eine fehlerhafte Festbetragsfestsetzung ihre Grundrechte verletzt, soweit sie eine grundrechtlich maßgebliche Wettbewerbsverfälschung beinhaltet (vgl BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 15).

15

Nach der Rechtsprechung des BVerfG verletzen Festbetragsfestsetzungen - ähnlich wie Ausschreibungen von Rabattverträgen - die Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) pharmazeutischer Unternehmer nicht (BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2; BVerfG A&R 2011, 38). Das Grundrecht der Berufsfreiheit umfasst zwar ua die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit den Interessenten auszuhandeln (vgl BVerfGE 101, 331, 347; 106, 275, 298; 117, 163, 181). Erfolgt die unternehmerische Berufstätigkeit am Markt nach den Grundsätzen des Wettbewerbs, wird die Reichweite des Freiheitsschutzes auch durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Art 12 Abs 1 GG sichert in diesem Rahmen die Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen (vgl BVerfGE 105, 252, 265). Dagegen umfasst das Grundrecht keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten (vgl BVerfGE 106, 275, 299 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 18; BVerfGE 116, 135, 152). Die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an einen Mitbewerber und die der Vergabeentscheidung zugrunde gelegten Kriterien berühren ebenso wie mögliche Vorstufen einer Vergabeentscheidung, hier die Festbetragsfestsetzung, grundsätzlich nicht den Schutzbereich der Berufsfreiheit des erfolglosen Bewerbers. Bei der Vergabe eines öffentlichen Auftrags beeinflusst die handelnde staatliche Stelle den Wettbewerb nicht von außen, sondern wird selbst auf der Nachfrageseite wettbewerblich tätig und eröffnet so einen Vergabewettbewerb zwischen den potentiellen Anbietern. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Nachfragers, nach welchen Kriterien und in welchem Verfahren er das günstigste Angebot auswählt. Dementsprechend trägt ein Wettbewerber auf der Angebotsseite stets das Risiko, dass seinem Angebot ein anderes, für den Nachfrager günstigeres vorgezogen wird (vgl BVerfGE 116, 135, 151 f). Festbetragsfestsetzungen betreffen lediglich die Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Betätigung pharmazeutischer Unternehmer, nämlich in einem weiteren Sinne Auswahlkriterien für die Einbeziehung von Arzneimitteln in den GKV-Leistungskatalog. Pharmazeutische Unternehmer haben keinen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch darauf, dass ihre Angebote in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen werden und nicht von Festbetragsfestsetzungen betroffen sind.

16

Anders läge es nur, wenn die angewandten Bewertungskriterien nach ihrer Zielsetzung und ihren Wirkungen einen Ersatz für eine staatliche Maßnahme darstellen würden, die als Grundrechtseingriff in die Berufsfreiheit zu qualifizieren wäre (vgl BVerfGE 105, 252, 273; 116, 135, 153; 118, 1, 20). An einer eingriffsgleichen Wirkung einer staatlichen Maßnahme fehlt es jedoch, wenn mittelbare Folgen lediglich ein bloßer Reflex einer nicht entsprechend ausgerichteten Regelung sind (vgl BVerfGE 106, 275, 299 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 18; BVerfGE 116, 202, 222). Zwar verringern sich die Chancen eines Unternehmens erheblich, dessen Arzneimittel zu einem Preis oberhalb des Festbetrags verkauft werden. Die Marktbedeutung der Festbetragsfestsetzung mag dazu führen, dass sich pharmazeutische Unternehmen deshalb regelmäßig - anders als die Klägerinnen - veranlasst sehen, eine Festbetragsüberschreitung zu vermeiden. Die Rechtsgrundlagen der Festbetragsfestsetzung dienen aber erkennbar nicht dem Zweck, einer solchen Überschreitung generell entgegenzuwirken, sondern zielen darauf ab, im Interesse der Finanzierbarkeit der GKV für die Wirtschaftlichkeit der Angebote zu sorgen. Etwaige Auswirkungen auf die allgemeine Preisgestaltung der Arzneimittel für den GKV-Leistungskatalog anbietenden pharmazeutischen Unternehmen stellen sich lediglich als Reflex dieser Zielsetzung dar.

17

Zu messen ist die angegriffene Entscheidung allerdings am allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Einer staatlichen Stelle, die einen öffentlichen Auftrag vergibt, ist es aufgrund des Gleichheitssatzes verwehrt, das Verfahren oder die Kriterien der Vergabe willkürlich zu bestimmen (vgl BVerfGE 116, 135, 153), gleiches gilt für die Vorstufe von Vergaben, wie hier die Festbetragsfestsetzungen. Nach diesem Maßstab können staatliche Maßnahmen, die den Wettbewerb der Unternehmen untereinander willkürlich verfälschen, im Einzelfall eine Grundrechtsverletzung bedeuten. Wird eine Versorgungsalternative infolge willkürlicher medizinisch-pharmakologischer Bewertung zu Unrecht als mit anderen Arzneimitteln gleichwertig eingestuft, so beinhaltet dies jedenfalls dann eine Benachteiligung des betroffenen Arzneimittelherstellers im Wettbewerb, wenn die besondere therapeutische Qualität seines Arzneimittels durch Gleichbewertung mit andersartigen Konkurrenzprodukten ohne jeden sachlichen Grund verneint wird und dieses Arzneimittel als durch andere gleichwertig ersetzbar erscheint. Dagegen schützt der allgemeine Gleichheitssatz gemäß Art 3 Abs 1 GG. Er verbietet nicht nur die unterschiedliche Behandlung von Gleichem, sondern auch die Gleichbehandlung von sachlich Ungleichem anhand offensichtlich sachwidriger Kriterien (vgl BVerfG A&R 2011, 38 RdNr 14).

18

Im Bereich der Festbeträge liegt eine solche verfassungswidrige Gleichbehandlung vor, wenn die Arzneimittel eines Arzneimittelherstellers offensichtlich aus pharmakologisch-therapeutischer Sicht so unterschiedlich sind, dass sie durch die Arzneimittel eines anderen Herstellers praktisch nicht ersetzt werden können, sie dennoch aber ohne Rechtfertigung in einer Festbetragsgruppe zusammengefasst sind. Dabei ergeben sich aus dem Gleichheitssatz umso engere Grenzen, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl für das Verhältnis zum Gesetzgeber BVerfGE 89, 15, 22 f; 90, 46, 56; 97, 271, 290 f; 99, 341, 355 f; 103, 242, 258; 105, 73, 110f; 116, 135, 161).

19

2. In der Sache bleibt die Revision ohne Erfolg. Die klagenden pharmazeutischen Unternehmen können anhand des dargelegten Prüfmaßstabs der willkürlichen Wettbewerbsverfälschung (vgl oben II.1.c) nicht beanspruchen, dass der Beschluss über die Festbetragsfestsetzung vom 29.10.2004 aufgehoben wird, da er rechtmäßig und keineswegs offensichtlich sachwidrig ist. Ein strengerer Maßstab als das Willkürverbot ist unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten (vgl BVerfGE 116, 135, 161) angesichts der rein sachbezogenen Ausgestaltung der Festbetragsregelung im SGB V weder bei der Bildung der Festbetragsgruppe und der Vergleichsgrößen noch bei der Festsetzung der Festbetragshöhe geboten. Nach der anzuwendenden gesetzlichen Regelung (dazu a) handelte der hierzu berufene Beigeladene zu 1. formell rechtmäßig (dazu b). Er bildete die Festbetragsgruppe (dazu c, d) und die Vergleichsgrößen (dazu e) materiell rechtmäßig. Die Beigeladenen zu 3. bis 8. setzten die Festbeträge rechtmäßig fest (dazu f).

20

a) Zu messen ist die Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 29.10.2004 an der Festbetragsregelung des § 35 SGB V idF des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung(GKV-Modernisierungsgesetz ) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) mit Wirkung vom 20.11.2003. Diese Norm gibt für die Festsetzung von Festbeträgen ein zweistufiges Verfahren vor: Zunächst bestimmt der Beigeladene zu 1. in den Arzneimittel-Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können und welche Vergleichsgrößen dabei zugrunde zu legen sind(§ 35 Abs 1 und 2 SGB V). Auf der Grundlage dieses Beschlusses erfolgt sodann die Festsetzung der jeweiligen Festbeträge im Wege einer Allgemeinverfügung (vgl § 35 Abs 3 bis 6 und Abs 7 Satz 1 SGB V). Die Entscheidung des Beigeladenen zu 1. ist nicht isoliert anfechtbar (§ 35 Abs 7 Satz 4 SGB V), ihre Überprüfung indessen Bestandteil der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der auf ihrer Grundlage ergangenen Allgemeinverfügung (BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 11, unter Hinweis auf BT-Drucks 11/3480 S 54).

21

b) Der hierzu berufene Beigeladene zu 1. hat die Festbetragsgruppe (§ 35 Abs 1 Satz 1 bis 3 SGB V) und die Vergleichsgrößen (§ 35 Abs 1 Satz 5 SGB V) als Grundlage der Festbetragsfestsetzung formell rechtsfehlerfrei bestimmt. Er hat erstmals eine Festbetragsgruppe der Statine bestehend aus Atorvastatin, Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Simvastatin gebildet, Vergleichsgrößen festgesetzt (Beschluss vom 20.7.2004) und dies in Arzneimittel-Richtlinien geregelt (§ 35 Abs 1 Satz 1 und 5 SGB V idF des GMG; § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000). Die Richtlinien des GBA sind in der Rechtsprechung seit Langem als untergesetzliche Rechtsnormen anerkannt (stRspr; vgl nur BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 26). Ihre Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten steht außer Frage (vgl § 91 Abs 9 SGB V idF des GMG; jetzt § 91 Abs 6 SGB V idF des GKV-WSG; BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 33; BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 22; vgl auch BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 57 ff).

22

Das BSG zieht die Verfassungsmäßigkeit dieser Art der Rechtsetzung nicht mehr grundlegend in Zweifel (BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 14 mwN - LITT; BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 18 mwN). Kritischen Stimmen ist in jüngerer Zeit Literatur entgegengetreten (vgl Neumann, NZS 2010, 593; Hauck, NZS 2010, 600 mwN). Für die Bildung von Festbetragsgruppen gilt die Bejahung der Verfassungsmäßigkeit im Besonderen, weil der Gesetzgeber einen konkreten Katalog von gesetzlichen Voraussetzungen formuliert, bei deren Vorliegen er den Beigeladenen zu 1. im Bereich der Arzneimittelversorgung mit der Gruppenbildung betraut (vgl Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 30). Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 17.12.2002 (BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2) zwar ausdrücklich nur das System der Festsetzung von Festbeträgen (§§ 35 ff SGB V) im Ganzen als verfassungskonform bewertet, folgerichtig die Verfassungsmäßigkeit der Kompetenzen des Beigeladenen zu 1. damit aber unausgesprochen vorausgesetzt (vgl auch BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 61 - Therapiehinweise).

23

Die im Interesse der verfassungsrechtlichen Anforderungen der Betroffenenpartizipation umfassend durch Gesetz und - inzwischen - Verfahrensordnung des Beigeladenen zu 1. ausgestalteten und abgesicherten Beteiligungsrechte wurden gewahrt. Sie stellen sicher, dass alle sachnahen Betroffenen selbst oder durch Repräsentanten auch über eine unmittelbare Betroffenheit in eigenen Rechten hinaus Gelegenheit zur Stellungnahme haben, wenn ihnen nicht nur marginale Bedeutung zukommt (vgl dazu Hauck, NZS 2010, 600, 604).

24

Auf die von den Klägerinnen unter Beweis gestellte Behauptung, dass der Beigeladene zu 1. anlässlich der Gruppenbildung für Statine im Jahre 2004 Prof. Dr. W. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt hat, kommt es demgegenüber nicht an. Auswahl und Entpflichtung von Sachverständigen liegen im Ermessen des Beigeladenen zu 1. (vgl auch Kraftberger/Adelt: in Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, 3. Aufl 2009, § 35 RdNr 38; Hess in: Kasseler Komm, Stand 1.10.2010, § 35 SGB V RdNr 19). Seine Entscheidung war ohne Zweifel sachgerecht, eine auf Neutralität angelegte Institution wie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) mit einem Gutachten zu betrauen und einem Einzelsachverständigen vorzuziehen. Die AkdÄ hat als wissenschaftlicher Fachausschuss der Bundesärztekammer ua die Aufgabe, entsprechend den Regelungen in den ärztlichen Berufsordnungen - wie in § 62 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln(Arzneimittelgesetz ) vorausgesetzt - unerwünschte Arzneimittelwirkungen, die ihr aus der deutschen Ärzteschaft mitgeteilt werden müssen, zu erfassen, zu dokumentieren und zu bewerten. Der Gesetzgeber bindet vor diesem Hintergrund die AkdÄ inzwischen selbst in Verfahren des GBA zur Anforderung ergänzender versorgungsrelevanter Studien zur Bewertung der Zweckmäßigkeit von Arzneimitteln ein (vgl § 92 Abs 2a Satz 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst c AMNOG - vom 22.12.2010, BGBl I 2262, mit Wirkung vom 1.1.2011).

25

c) Die gebildete Gruppeneinteilung entspricht nach der gebotenen gerichtlichen Prüfung (dazu aa) materiellem Recht. Der Beigeladene zu 1. hat mit seinem Beschluss vom 20.7.2004 ausgehend von rechtmäßigen Kriterien (dazu bb) - hier: dem Inhalt der Arzneimittelzulassungen (dazu cc) - in der Gruppe "HMG-CoA-Reduktasehemmer" Arzneimittel mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen, zusammengefasst (dazu dd), ohne unterschiedliche Bioverfügbarkeiten der Arzneimittel berücksichtigen zu müssen (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB V; dazu ee). Die gebildete Gruppe gewährleistet, dass Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen (§ 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 1 SGB V; dazu ff). Der Einbeziehung von Sortis steht nicht die Ausnahme von der Gruppenbildung für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen entgegen, deren Wirkungsweise neuartig ist und die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten (§ 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V; dazu d).

26

aa) Die im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden Richtlinien des Beigeladenen zu 1. sind gerichtlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte (BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 14 - LITT; Schlegel, MedR 2008, 30, 32; Hauck, NZS 2010, 600, 611 f). § 35 SGB V gibt dem Beigeladenen zu 1. ein engmaschiges, rechtlich voll überprüfbares Programm vor: Die Verwendung ihrer Art nach rechtmäßiger Prüfkriterien, die Ermittlung des Inhalts der Arzneimittelzulassungen, die Qualifizierung von Arzneimitteln als solche mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen, die Gewährleistung sowohl fehlender Einschränkungen von Therapiemöglichkeiten als auch der Verfügbarkeit medizinisch notwendiger Verordnungsalternativen sowie die zutreffende rechtliche Erfassung der Ausnahme von der Gruppenbildung für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen ist vom Gericht uneingeschränkt zu überprüfen. Der Gesetzgeber belässt dem Beigeladenen zu 1. bei der Umsetzung dieser Regelungselemente des § 35 SGB V keinen Gestaltungsspielraum. Das gilt auch für die Vollständigkeit der vom Beigeladenen zu 1. zu berücksichtigenden Studienlage.

27

Anders liegt es dagegen bei der Entscheidung über Zeitpunkt, Zuschnitt und Auswahl der Gruppe sowie bei der Bewertung des zutreffend ermittelten Standes der Studienlage im Hinblick auf ihre Eignung, für die Gruppenbildung relevante Therapiehinweise, Verordnungseinschränkungen oder -ausschlüsse zu erlassen. Hier entscheidet der Beigeladene zu 1. als Normgeber. Insoweit darf die sozialgerichtliche Kontrolle ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der vom Beigeladenen zu 1. getroffenen Wertungen setzen (vgl ähnlich BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 67 - Therapiehinweise). Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche Prüfung in diesen Segmenten darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den Gestaltungsspielraum auszufüllen.

28

bb) Grundlage und Ausgangspunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Festbetragsgruppenbildung ist grundsätzlich der Inhalt der arzneimittelrechtlichen Zulassung nach dem AMG. Der Inhalt ergibt sich zusammengefasst insbesondere aus der Fachinformation gemäß § 11a AMG. Eine Berücksichtigung darüber hinausgehender Unterlagen ist für die Prüfung des Vorliegens vergleichbarer Wirkstoffe nach Maßgabe des § 35 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 und Satz 3 Halbs 1 SGB V grundsätzlich nicht vorgesehen. Hiervon abweichend ist dagegen nicht allein die arzneimittelrechtliche Zulassung, sondern eine neuere Studienlage maßgeblich, wenn eine solche für die Gruppenbildung bedeutsame Therapiehinweise, Verordnungseinschränkungen oder Verordnungsausschlüsse durch den GBA rechtfertigt, weil sie Indikationsbereiche eines Arzneimittels oder von Arzneimitteln im Vergleich zu anderen als unwirtschaftlich erscheinen lässt und nicht lediglich insgesamt das Therapiegebiet der Gesamtgruppe einschränkt. Dies folgt aus Regelungssystem (dazu <1.>), Normsystematik und Wortlaut (dazu <2.>), Entstehungsgeschichte (dazu <3.>) sowie Sinn und Zweck des § 35 SGB V(dazu <4.>).

29

(1.) § 35 SGB V knüpft an das allgemeine Regelungssystem der Arzneimittelversorgung in der GKV an und ändert es nur in spezifischen, genau umrissenen Teilbereichen. Nach diesem System ist Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf ein zur Krankenbehandlung notwendiges Arzneimittel in der Regel seine Anwendung im Rahmen der durch die arzneimittelrechtliche Zulassung vorgegebenen Indikation. Notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der GKV ist ihre Qualität als Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelrechts. Dieses bezweckt, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu sorgen (§ 1 AMG). Insoweit stellen das SGB V und das AMG auf denselben Zweck ab (stRspr, vgl BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 15 mwN - D-Ribose; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 15 - Lorenzos Öl; vgl auch BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 55 f - Therapiehinweise und SozR 4-2500 § 106 Nr 21<6. BSG-Senat>). Daher verzichtet das Krankenversicherungsrecht bei der Arzneimittelversorgung weitgehend auf eigene Vorschriften zur Qualitätssicherung. Es knüpft insoweit vielmehr im Ausgangspunkt an das Arzneimittelrecht nach dem AMG an, das für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vorschreibt und deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Medikaments (vgl § 25 Abs 2 AMG) abhängig macht (vgl BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 29 - Lorenzos Öl; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21). Wurde diese Prüfung erfolgreich durchlaufen und ist für das Arzneimittel die Zulassung einschließlich der darin enthaltenen Ausweisung der Anwendungsgebiete erteilt worden, so ist es in diesem Umfang grundsätzlich auch verordnungsfähig im Sinne des SGB V (vgl BSGE 95, 132 RdNr 18 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 mit Bezugnahme auf BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, RdNr 7). Eine eigene Sachprüfungsbefugnis der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit kommt hinsichtlich der erteilten arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht in Betracht (BSGE 95, 132 RdNr 15 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 22). Eine erforderliche, aber nicht vorhandene Zulassung schließt grundsätzlich die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels aus. Insoweit ist die arzneimittelrechtliche Zulassung für die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels in der GKV "negativ vorgreiflich" (vgl BSGE 95, 132 RdNr 16 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 23 mwN).

30

Auch soweit Versicherte ausnahmsweise außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung Versorgung mit arzneimittelrechtlich zugelassenen Arzneimitteln nach den Grundsätzen des sogenannten Off-Label-Use beanspruchen können, setzt dies ua eine Studienlage voraus, die eine Zulassung des Arzneimittels nach den Anforderungen des AMG zur betroffenen Indikation rechtfertigen würde. Nach der Rechtsprechung des Senats (BSGE 89, 184, 191 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 36 - Sandoglobulin; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 17 f - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 31 mwN - Ritalin) kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet nämlich grundsätzlich nur in Betracht, wenn es 1.) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2.) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3.) aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und - wie dargelegt - in das Leistungsrecht der GKV einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 24 - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 34 mwN - Ritalin).

31

Änderungen des Maßstabs der danach an der arzneimittelrechtlichen Zulassung ausgerichteten Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der GKV können sich indes mit Blick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) ergeben. Dies erwächst daraus, dass eine Diskrepanz bestehen kann zwischen der Aussagekraft der für die Zulassung durchgeführten klinischen Studien und den in der Praxis auftretenden Anforderungen an ein Arzneimittel, insbesondere beim Fehlen klinischer Studien zu patientenrelevanten Endpunkten. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt ua den sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) ergebenden Einschränkungen (vgl BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27). Das Wirtschaftlichkeitsgebot kann weitergehende Einschränkungen der generellen Verordnungsfähigkeit zugelassener Arzneimittel im Rahmen der GKV fordern, etwa weil eine neuere Studienlage Therapiehinweise rechtfertigt, da Indikationsbereiche eines Arzneimittels oder von Arzneimitteln im Vergleich zu anderen als unwirtschaftlich erscheinen (vgl zum bisher geltenden Recht zB BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 39 ff - Therapiehinweise). Der Beigeladene zu 1. kann nach heutiger Rechtslage die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist (§ 92 Abs 1 Satz 1 Halbs 4 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst a AMNOG, vom 22.12.2010, BGBl I 2262, mit Wirkung vom 1.1.2011). Er kann im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft vom pharmazeutischen Unternehmer im Benehmen mit der AkdÄ, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder dem Paul-Ehrlich-Institut innerhalb einer angemessenen Frist ergänzende versorgungsrelevante Studien zur Bewertung der Zweckmäßigkeit eines Arzneimittels fordern. Werden die Studien nicht oder nicht rechtzeitig vorgelegt, kann der GBA das Arzneimittel schon allein deshalb von der Verordnungsfähigkeit ausschließen (§ 92 Abs 2a Satz 1 und 4 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst c AMNOG). Die in besonderen Fällen mögliche Ausrichtung an auf patientenrelevante Endpunkte bezogene Studien wird schließlich auch daran deutlich, dass der GBA neuerdings die Verordnung eines Arzneimittels nur einschränken oder ausschließen darf, wenn die Wirtschaftlichkeit nicht durch einen Festbetrag nach § 35 SGB V oder durch die Vereinbarung eines Erstattungsbetrags nach § 130b SGB V hergestellt werden kann(s § 92 Abs 2 Satz 11 SGB V idF durch Art 1 Nr 13 Buchst b AMNOG; vgl zum Ganzen Hauck, GesR 2011, 69, 70 ff).

32

(2.) Auch Wortlaut und Normsystematik des § 35 Abs 1 SGB V verdeutlichen, dass grundsätzlich für die Festbetragsgruppen auf die arzneimittelrechtliche Zulassung abzustellen ist. Das Prüfprogramm für die Bildung von Festbetragsgruppen weist breite sachliche Überschneidungen mit dem Arzneimittelrecht auf. So enthält § 35 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 SGB V die grundlegende Aufzählung denkbarer Festbetragsgruppen anhand von Kriterien, die sich entsprechend auch in der arzneimittelrechtlichen Überprüfung der Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels wiederfinden und keinen Hinweis auf Abweichungen vom dargelegten allgemeinen Regelungssystem enthalten. Der Begriff des Wirkstoffs in Nr 1 greift den Wirkstoffbegriff nach § 4 Abs 19 AMG auf, der infolgedessen sinngemäß anwendbar ist(vgl Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 37; zur arzneimittelrechtlichen Anbindung des Begriffs "Bioverfügbarkeit" in diesem Zusammenhang vgl Orlowski in: Orlowski/Wasem/Rau/Zipperer, GKV-Kommentar SGB V, Stand Januar 2011, § 35 RdNr 9 f). Mit Blick darauf ist auch die Eingrenzung auf pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe in Nr 2 folgerichtig in Anlehnung an das AMG vorzunehmen. Denn pharmakologisch-therapeutische Wirkungsweisen eines Wirkstoffs sind Bestandteil der arzneimittelrechtlichen Zulassungsprüfung (§ 25 Abs 2 Nr 1 bis 5a AMG) und dementsprechend Inhalt der Fachinformation (§ 11a AMG).

33

Dagegen hat der Gesetzgeber in § 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V idF des GMG eine Ausnahmeregelung für patentgeschützte Arzneimittel statuiert, für die er einen über die arzneimittelrechtliche Zulassung hinausgehenden Überprüfungsmaßstab angewendet wissen will: Von der Bildung eigentlich zulässiger Festbetragsgruppen sind patentgeschützte Arzneimittel ausgenommen, deren Wirkungsweise neuartig ist und (ab 1.5.2006 "oder", dazu d und 3.b) die eine therapeutische Verbesserung bedeuten. Diese Regelung bezweckt, den Arzneimittelherstellern Anreize zur Entwicklung von innovativen Arzneimitteln zu bieten (vgl hierzu Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 11/3480, S 53; zur Klarstellung späterer Gesetzesfassungen BT-Drucks 15/1525 S 87; s zur nachträglichen Einfügung der Regelung auch Schulin, Patentschutz und Festbeträge für Arzneimittel, 1993, 92 ff). Nach Auffassung des Gesetzgebers sind echte Innovationen mit therapeutischem Zusatznutzen erwünscht und unterliegen nicht der Festbetragsregelung (Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung <AVWG> der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drucks 16/194 S 7 zu Art 1 Nr 2 Buchst c). Um bloße Scheininnovationen nicht zu begünstigen, erfolgt der Nachweis einer therapeutischen Verbesserung nicht allein aufgrund der Fachinformationen, sondern auch durch Bewertung von klinischen Studien nach methodischen Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin, soweit diese Studien allgemein verfügbar sind oder gemacht werden und ihre Methodik internationalen Standards entspricht. Vorrangig sind klinische Studien, insbesondere direkte Vergleichsstudien mit anderen Arzneimitteln dieser Wirkstoffgruppe mit patientenrelevanten Endpunkten, insbesondere Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, zu berücksichtigen (§ 35 Abs 1b Satz 4 und 5 SGB V; vgl näher unten II 3. b bb).

34

(3.) Auch die Entstehungsgeschichte des § 35 SGB V belegt die Bedeutung der arzneimittelrechtlichen Zulassung als Ausgangspunkt der Gruppenbildung. Die erste Fassung einer Festbetragsregelung nach dem Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20.12.1988 (BGBl I S 2477) sah in Abs 4 die Festsetzung eines Festbetrags für Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen (§ 35 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V) erst drei Jahre nach der ersten Zulassung eines wirkstoffgleichen Arzneimittels vor. Damit stellte die Regelung den Zusammenhang zwischen SGB V und AMG für den Wirkstoffbegriff ausdrücklich her. Dass diese Regelung durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992 (BGBl I 2266) beseitigt worden ist, beruht auf der Verlängerung des Patentschutzes für Arzneimittel um bis zu fünf Jahre durch die Verordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikates für Arzneimittel (vgl BT-Drucks 12/3608 S 81). Eine Loslösung des Wirkstoffbegriffs im SGB V von demjenigen des AMG war nicht beabsichtigt.

35

(4.) Schließlich entspricht die grundsätzliche Anknüpfung der Festbetragsgruppenbildung an die arzneimittelrechtliche Zulassung dem Regelungszweck des § 35 SGB V. Die Festbetragsregelung des § 35 SGB V zielt - wie dargelegt - unter Ausgestaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots darauf ab, den Bereich zu Lasten der GKV verordnungsfähiger Arzneimittel de iure zu erweitern, die Leistungspflicht der Krankenkassen hierbei auf den einschlägigen festgesetzten Festbetrag zu begrenzen und hierdurch zugleich den Wettbewerb unter den Arzneimittelanbietern zu verstärken und das Interesse der Anbieter zu wecken, Preise unterhalb des Festbetrags festzusetzen. All dies kann nur im Rahmen des allgemeinen Systems der in den GKV-Leistungskatalog einbezogenen Arzneimittel gelingen.

36

cc) Hinsichtlich der Arzneimittelgruppe der Statine ist für den hier betroffenen Zeitraum ab 1.1.2005 an die Inhalte der arzneimittelrechtlichen Zulassung anzuknüpfen. Dass für einzelne Statine der Festbetragsgruppe eine Studienlage besteht, die weitergehende Einschränkungen der generellen Verordnungsfähigkeit zugelassener Arzneimittel mit diesem Wirkstoff im Rahmen der GKV rechtfertigt, hat das LSG nicht festgestellt. Der Beigeladene zu 1. hat dies ebenfalls nicht angenommen und deshalb keine der ihm rechtlich für einen solchen Fall eröffneten Maßnahmen ergriffen. Weder er noch die AkdÄ und später das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gehen nach eingehender Recherche hiervon aus. Bei einem solchen Sachstand verbleibt es beim durch das Arzneimittelzulassungsrecht vorgegebenen Prüfmaßstab für die Festbetragsgruppenbildung, ohne dass weitere Ermittlungen des erkennenden Senats zu diesen generellen Tatsachen geboten wären.

37

dd) Auf der Grundlage des Inhalts der arzneimittelrechtlichen Zulassung stellen die fünf fraglichen Statine pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe, insbesondere chemisch verwandte Stoffe iS von § 35 Abs 1 Satz 2 Halbs 1 Nr 2 SGB V dar. Zutreffend ist der Beigeladene zu 1. davon ausgegangen, dass die Überprüfung der pharmakologisch-therapeutischen Vergleichbarkeit zwei verschiedene Aspekte, namentlich einen pharmakologischen wie einen therapeutischen umfasst (vgl Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 38). Für das Verständnis des Begriffs der Vergleichbarkeit ist mit den Vorinstanzen davon auszugehen, dass Vergleichbarkeit nicht Austauschbarkeit oder Identität bedeutet. Anders als nach Nr 1 geht es bei der Gruppenbildung nach Nr 2 vielmehr darum, einen übergreifenden gemeinsamen Bezugspunkt mehrerer Wirkstoffe herzustellen (ebenso Sodan, PharmR 2007, 485, 487). Dementsprechend steht mit der Überprüfung der pharmakologisch-therapeutischen, insbesondere chemischen Vergleichbarkeit eine Beurteilung von Art und Aufbau der einzelnen Wirkstoffe, ihrer Wirkmechanismen und ihrer Anwendungsgebiete an.

38

Der Beigeladene zu 1. hat die dargelegten Vergleichsmaßstäbe entsprechend seinen Ausführungen zu chemischer Zusammensetzung, Wirkprofil und therapeutischem Einsatzgebiet der fünf Statine rechtsfehlerfrei angewendet. Nicht zu beanstanden ist, dass er hierbei als Einstieg die in der Fachinformation enthaltene Anatomisch-Therapeutisch-Chemische (ATC) Klassifikation der WHO nach Maßgabe des § 73 Abs 8 Satz 5 SGB V gewählt hat, wie es inzwischen seiner Verfahrensordnung (VerfO) entspricht(vgl § 16 Abs 2 VerfO). Die ATC-Klassifikation teilt die Wirkstoffe nach dem Organ oder Organsystem, auf das sie einwirken, und nach ihren chemischen, pharmakologischen und therapeutischen Eigenschaften in verschiedene Gruppen ein (abrufbar unter www.dimdi.de). Sie geht von einem identischen Code für die Wirkstoffgruppe der fünf Statine Simvastatin, Lovastatin, Pravastatin, Fluvastatin und Atorvastatin aus.

39

Zu Recht bejaht der Beigeladene zu 1. die chemische Verwandtschaft der betroffenen Wirkstoffe. Er beurteilt sie im Einklang mit dem Wortlaut des § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V maßgeblich vom Endprodukt und nicht von der Herstellungsform her: Die fünf Statine haben nicht nur eine gemeinsame b-, d- Dihydroxy-n-Carbonsäure-Struktur, sondern darüber hinaus auch eine gemeinsame molekulare räumliche Struktur, die erst die spezifische Interaktion Wirkstoff - Enzym ermöglicht.

40

Der Beigeladene zu 1. stellt rechtmäßig auch für die pharmakologische Vergleichbarkeit maßgeblich auf den Wirkmechanismus der erfassten Arzneimittel ab. Er geht nämlich von einem vergleichbaren Wirkprofil aller HMG-CoA-Reduktase (=CSE)-Hemmer aus, weil durch alle Hemmer der HMG-CoA-Reduktase Vorstufen von Cholesterin verringert synthetisiert werden. Die daraus resultierende Verarmung an interzellulärem Cholesterin führt zu einer Zunahme von LDL-Rezeptoren an der Zelloberfläche, die Aufnahme von LDL-Cholesterin in die Zelle wird hierdurch erhöht.

41

Auch die therapeutische Vergleichbarkeit hat der Beigeladene zu 1. anhand der Anwendungsgebiete der Statine, wie sie sich aus der arzneimittelrechtlichen Zulassung ergeben, frei von Rechtsfehlern beurteilt. Für alle fünf Wirkstoffe bestand im hier maßgeblichen Zeitraum eine Zulassung für das Anwendungsgebiet der Hypercholesterinämie; schon daraus lässt sich die therapeutische Vergleichbarkeit ableiten. Atorvastatin besitzt zudem seit Mai 2006 eine Zulassung auch für das Anwendungsgebiet der Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen; über eine Zulassung für dieses Anwendungsgebiet verfügen aber auch die Konkurrenzwirkstoffe Fluvastatin, Pravastatin und Simvastatin, so dass auch insoweit für Atorvastatin keine Sonderstellung beansprucht werden kann.

42

ee) Der Beigeladene zu 1. musste keine für die Therapie bedeutsamen unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel berücksichtigen (§ 35 Abs 1 Satz 2 SGB V). Denn mit den Statinen ist eine Festbetragsgruppe nach § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V betroffen, der lediglich pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe angehören.

43

ff) Dass alle fünf Statine einschließlich Atorvastatin in eine Festbetragsgruppe einbezogen wurden, schränkt iS von § 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 1 SGB V keine Therapiemöglichkeiten ein und schneidet keine medizinisch notwendigen Verordnungsalternativen ab. Der Wirkstoff Atorvastatin war im hier zu prüfenden Zeitraum ab 1.1.2005 für kein Behandlungsgebiet zugelassen, für das nicht wenigstens ein anderes Statin zugelassen war. Gleichzeitig erlaubt die arzneimittelrechtliche Zulassung von Atorvastatin keinen Rückschluss darauf, dass ausschließlich mit diesem Wirkstoff besondere Patientenkollektive zu erschließen seien. Ebenso wenig kommt es unter dem Aspekt der Nebenwirkungen zu einer Einengung der Therapiemöglichkeiten, denn der Fachinformation für Atorvastatin ist im Vergleich zu denjenigen der anderen vier Statine kein Vorteil im Hinblick auf das Nebenwirkungsspektrum zu entnehmen; dies wird im Übrigen auch von den Klägerinnen nicht behauptet.

44

d) Der Einbeziehung von Sortis steht nicht die Ausnahme von der Gruppenbildung für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen entgegen, deren Wirkungsweise neuartig ist und die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten (§ 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V idF des GMG). Die Wirkungsweise von dem noch bis 2011 patentgeschützten Wirkstoff Atorvastatin ist im Rechtssinne nicht neuartig. Als neuartig gilt ein Wirkstoff nämlich nur, solange derjenige Wirkstoff, der als erster dieser Gruppe in Verkehr gebracht worden ist, unter Patentschutz steht (§ 35 Abs 1 Satz 4 SGB V). Nach den unangegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG)Feststellungen des LSG wurde der Wirkstoff Lovastatin als erster der Gruppe der Statine in Verkehr gebracht und war schon vor 2003 patentfrei.

45

Ob eine therapeutische Verbesserung vorlag, ist mangels neuartiger Wirkungsweise von Atorvastatin nicht entscheidend. Zu Recht hat das LSG erkannt, dass § 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V in der hier maßgeblichen, bis zum 30.4.2006 geltenden Fassung des GMG die Erfüllung der beiden Merkmale der "Neuartigkeit" der Wirkungsweise und der "therapeutischen Verbesserung" kumulativ fordert, um die Aufnahme eines Arzneimittels in eine Festbetragsgruppe nach § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 3 SGB V auszuschließen. Das entspricht dem klaren Wortlaut in Bezug auf die Konjunktion "und" sowie der Entstehungsgeschichte. Nach der Gesetzesbegründung greift die Ausnahme von der Festbetragsregelung nur für Arzneimittel mit solchen patentgeschützten Wirkstoffen, deren Wirkungsweise neuartig ist und die deshalb mit anderen Wirkstoffen nicht vergleichbar sind. Eine therapeutische Verbesserung - so die Begründung - kann auch in der Minderung von Nebenwirkungen liegen (vgl BT-Drucks 11/3480 S 53). Aus dem Regelungssystem und -zweck folgt nichts anderes. Der Gesetzgeber hat erst mit dem AVWG vom 26.4.2006 (BGBl I 984) mit Wirkung vom 1.5.2006 das Erfordernis des kumulativen Vorliegens beider Tatbestandsvoraussetzungen aufgegeben, indem er das "und" durch ein "oder" ersetzt hat. Dies entspricht der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Intention, Anreize zur Forschung nach echten Arzneimittelinnovationen zu setzen (vgl BT-Drucks 16/194, S 6, 7; 16/691, S 14). Dass der Gesetzgeber selbst diese Änderung nur als Klarstellung bezeichnet hat (BT-Drucks 16/194, S 7), ist unerheblich. Denn auch die Grenzen der authentischen Interpretation sind durch den Wortlaut vorgegeben (vgl BSG SozR 4-2500 § 62 Nr 8; BSG SozR 4-4300 § 147a Nr 9).

46

Die Regelung des § 35 Abs 1a SGB V ist hier von vornherein nicht anwendbar. Sie ermöglicht die Bildung von Festbetragsgruppen für Arzneimittel, die allesamt noch unter Patentschutz stehen. Für den Fall, dass dies nicht mehr auf alle Arzneimittel einer Festbetragsgruppe zutrifft, ist § 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V die maßgebliche Regelung für die Möglichkeit der Einbeziehung patentgeschützter Arzneimittel(vgl BT-Drucks 16/691, S 15; Kraftberger/Adelt in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, 3. Aufl 2009, § 35 RdNr 25; aA im Ergebnis für Arzneimittel der Festbetragsgruppe 2, Reese/Gaßner, PharmR 2004, 428).

47

e) Auch die Entscheidung über die Bildung der Vergleichsgrößen ist rechtmäßig. Gemäß § 35 Abs 1 Satz 5 SGB V ermittelt der Beigeladene zu 1. die nach § 35 Abs 3 SGB V "notwendigen rechnerischen mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen". Die von ihm festgeschriebenen Werte sind in diesem Sinne geeignete Vergleichsgrößen.

48

Die gerichtliche Kontrolle der Ermittlung von Vergleichsgrößen ist beschränkt. Dem Beigeladenen zu 1. steht nämlich bei der Entscheidung über die Vergleichsgrößenbildung ein Gestaltungsspielraum zu. Er kann selbst darüber entscheiden, anhand welcher Kriterien er die Vergleichsgrößen bestimmt. Das Gesetz gibt keine Wahl dahin vor, ob der Tagesdosis, der Einzeldosis oder aber einer gänzlich anderen geeigneten Vergleichsgröße der Vorrang gebührt (Hauck in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, aaO, § 35 SGB V RdNr 45). Die Gerichte haben lediglich zu kontrollieren, ob der GBA hierbei auf der Grundlage eines vollständig ermittelten Sachverhalts den Zweck der Vergleichsgrößenbildung nachvollziehbar beachtet hat, die Arzneimittel mit verschiedenen Wirkstoffen innerhalb einer Gruppe vergleichbar zu machen (zum Grundsatz oben, II. 2. c aa; s auch Kraftberger/Adelt in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, 3. Aufl 2009, § 35 RdNr 20a). Diesen Anforderungen genügt der Beschluss vom 20.7.2004. Der Beigeladene zu 1. hat sämtliche Daten anhand der zum Zeitpunkt des Gruppenbeschlusses zuletzt verfügbaren Jahresdaten des GKV-Arzneimittelindexes ermittelt und diese rechnerisch korrekt für alle fünf Statine umgesetzt. Das ziehen die Beteiligten nicht in Zweifel.

49

Der Beigeladene zu 1. hat den Gesetzeszweck der Vergleichsgrößen beachtet, sicherzustellen, dass die aufzuwendenden Arzneimittelkosten unabhängig vom jeweiligen Wirkstoff für die von jedem Versicherten individuell benötigte Arzneimitteldosis annähernd gleich sind (vgl dazu Kraftberger/Adelt in: Kruse/Hänlein, LPK-SGB V, 3. Aufl 2009, § 35 RdNr 20a). Er hat jedem Wirkstoff einen bestimmten Zahlenwert zugewiesen, der ihn innerhalb der Gruppe vergleichbar macht. Seine hierbei gewählte Methode der verordnungsgewichteten durchschnittlichen Wirkstärke ist geeignet, eine sachgerechte mengenbezogene Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen Wirkstoffen herzustellen. Sie errechnet für jeden der fünf Wirkstoffe einen Einzelwert als Vergleichsgröße, der sich am Verordnungsverhalten der Ärzte orientiert, also daran, welcher Wirkstoff wie häufig in welcher Wirkstärke verordnet wurde.

50

Die dagegen vorgetragenen Einwendungen der Klägerinnen greifen nicht durch. Die vom Beigeladenen zu 1. angewendete Methode geht systemgerecht davon aus, dass nur therapeutisch sinnvolle Wirkstärken gemäß § 25 Abs 1 Satz 1 AMG zugelassen werden, und die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte diese Wirkstärken zutreffend verordnen(vgl Hess in: Kasseler Komm, Stand 1.10.2010, § 35 SGB V RdNr 9). Die von den Klägerinnen bevorzugte Methode, die Vergleichsgröße anhand einer tatsächlichen Wirkstärke zu bestimmen, leidet dagegen daran, dass sich ihre Prämisse, bei jedem Patienten wirke etwa Atorvastatin "doppelt so gut" wie Pravastatin oder "viermal so gut" wie Simvastatin, schwerlich objektivieren lässt. Bei Anwendung eines Wirkstoffs bringt die doppelte Wirkmenge nicht automatisch auch den doppelten Behandlungserfolg mit sich. Ua vor diesem Hintergrund ist eine arzneimittelrechtliche Zulassung stets wirkstärkenbezogen (vgl § 10 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AMG). Dem trägt die hier gewählte Methode sachgerecht Rechnung, sich nicht an einer fiktiven "tatsächlichen Wirkstärke", sondern an der tatsächlichen Situation der Verordnungen in der Praxis im Hinblick auf die Wirkstärke zu orientieren (ähnlich für den Vergleich der Wirksamkeit mehrerer Wirkstoffe BSGE 93, 296 RdNr 14 = SozR 4-2500 § 35 Nr 2 RdNr 16).

51

f) Die (hier noch zuständigen) Beigeladenen zu 3. bis 8. haben die Festbeträge durch Beschluss vom 29.10.2004 rechtmäßig festgesetzt. Sie haben die notwendige Form gewahrt, da die Festsetzung im Bundesanzeiger öffentlich bekannt gemacht wurde (§ 35 Abs 7 Satz 1 SGB V), und die Festbeträge auch materiell rechtmäßig festgesetzt. Sie haben die in § 35 Abs 5 SGB V formulierten Vorgaben befolgt, Festbeträge so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten(Satz 1), Wirtschaftlichkeitsreserven ausschöpfen, einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen, sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten ausrichten und soweit wie möglich eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl sicherstellen (Satz 2).

52

Die gerichtliche Kontrolle der festgesetzten Festbetragshöhe erfolgt grundsätzlich in vollem Umfang. Sie beschränkt sich jedoch dort auf die zutreffende Konkretisierung der bestehenden Zielvorgaben nebst wissenschaftlich haltbarer Schätzungen, wo in Unkenntnis der Reaktion jedes einzelnen Arzneimittelanbieters prognostische Elemente und Schätzungen mit in die Festbetragsfestsetzung einfließen müssen. Es besteht allerdings kein Beurteilungsspielraum der Beigeladenen zu 3. bis 8. mit Blick darauf, dass im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche, in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleistet ist (vgl Hauck in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 1.7.2010, Band 2, § 35 SGB V RdNr 46; aA - einen Beurteilungsspielraum bejahend - Hess in: Kasseler Komm, Stand 1.10.2010, § 35 SGB V RdNr 31; Flint in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2011, K § 35 RdNr 93). Anderes wäre auch verfassungsrechtlich bedenklich. Das BVerfG hat die Regelungen über die Festsetzung von Festbeträgen in § 35 Abs 5 SGB V gerade mit Blick darauf nicht beanstandet, dass sie klar überprüfbare Festsetzungsmaßstäbe enthalten. Eine wesentliche Änderung des Inhalts des Wirtschaftlichkeitsgebots oder wirtschaftslenkende Handlungsspielräume sind dem Beklagten und waren den beigeladenen Krankenkassenverbänden nicht eröffnet (vgl näher BVerfGE 106, 275, 302 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 20).

53

Die konkrete Festbetragsfestsetzung von 62,55 Euro für eine Standardpackung zu 100 Stück (Wirkstärkenvergleichsgröße 0,97) setzt die Zielvorgaben des § 35 Abs 5 SGB V idF des GMG zutreffend um. Rechenfehler sind durch die Klägerinnen nicht geltend gemacht und auch sonst nicht ersichtlich. Der Beklagte nähert sich iterativ unter Anwendung einer Maßzahl der optimalen Festbetragshöhe an (sogenannte Maßzahl M). Sie ist als Summe des prozentualen Anteils zuzahlungspflichtiger Verordnungen und des prozentualen Anteils zuzahlungspflichtiger Packungen definiert. Der Gesetzgeber selbst hat das Grundprinzip dieser mathematischen Methodik mithilfe der Maßzahl M mittlerweile ausdrücklich anerkannt, indem er diesem Berechnungsverfahren nunmehr in § 35 Abs 5 Satz 5 SGB V idF des AVWG Gesetzesrang verschafft hat(vgl BT-Drucks 16/194 S 8 f). Als Grenzwert für die Maßzahl M haben die Beigeladenen zu 3. bis 8. für die Festbetragsgruppen nach § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V den Wert 100 festgelegt. Dies bedeutet, dass im Idealfall mindestens die Hälfte der Verordnungen und die Hälfte der Packungen für die Versicherten ohne festbetragsbedingte Zuzahlung zur Verfügung stehen. In der Festbetragsgruppe der Statine lag die Maßzahl M im hier maßgeblichen Zeitraum bei 98,8. Es standen hierdurch rund 75 Prozent der Packungen und 26,3 Prozent der Verordnungen den Versicherten zum Festbetrag zur Verfügung. Dabei waren drei der fünf Wirkstoffe der Gruppe der Statine zum Festbetrag ohne Mehrzahlung erhältlich (Fluvastatin, Lovastatin und Simvastatin).

54

Mit diesem Ergebnis wird in der Festbetragsgruppe der Statine der gesetzgeberische Zweck erfüllt, unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots eine in der Qualität gesicherte Versorgung sowie eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl zu gewährleisten. Danach greift das Vorbringen der Klägerinnen nicht durch, die festgesetzte Festbetragshöhe stelle keine hinreichende Arzneimittelauswahl sicher. Die Sicherstellung einer für die Therapie hinreichenden Arzneimittelauswahl hat nur "soweit wie möglich" zu erfolgen, kann also auch dazu führen, dass lediglich ein einziges therapiegerechtes Arzneimittel zum Festbetrag zur Verfügung steht. Darüber ging das Angebot zum Festbetrag erhältlicher therapiegerechter Statine deutlich hinaus.

55

3. Die Revision ist schließlich unbegründet, soweit die klagenden pharmazeutischen Unternehmen die Aufhebung des Festbetragsbeschlusses vom 10.2.2006 für die Zeit vom 1.4. bis zum Ablauf des 30.6.2006 begehren (zu den Folgezeiträumen vgl Senatsurteile vom selben Tage - B 1 KR 10/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen und - B 1 KR 13/10 R). Auch diese Allgemeinverfügung, die die Festsetzung vom 29.10.2004 mit Wirkung vom 1.4.2006 ersetzte, beschwert die Klägerinnen nach dem dargelegten reduzierten Prüfmaßstab der grundrechtsrelevanten Wettbewerbsverfälschung (vgl oben II.1.c und 2) sowohl für die Zeit bis zum 30.4.2006 (dazu a) als auch für die Zeit ab 1.5.2006 (dazu b) nicht rechtswidrig. Sie ist, soweit sie Rechte der Klägerinnen betrifft, rechtmäßig und nicht etwa offensichtlich sachwidrig. Die infolge der Gesetzesänderung durch das AVWG zum 1.5.2006 erheblich gewordene Frage, ob Atorvastatin eine therapeutische Verbesserung gegenüber den anderen vier Statinen bedeutet, hat der Beigeladene zu 1. rechtmäßig verneint.

56

a) Die Rechtmäßigkeit des Festbetragsbeschlusses vom 10.2.2006 ist zunächst für den Geltungszeitraum vom 1.4. bis zum 30.4.2006 an § 35 SGB V idF des GMG zu messen. Hinsichtlich der gebildeten Gruppe und der ermittelten Vergleichsgröße ergeben sich keine Abweichungen gegenüber der Vorgängerverfügung. Auch der Höhe nach ist die Festsetzung der Festbeträge durch den Beschluss vom 10.2.2006 rechtlich nicht zu beanstanden, soweit dies für die Klägerinnen von rechtlichem Interesse ist. Rechtsgrundlage der Festbetragsanpassung ist § 35 Abs 5 Satz 3 SGB V, wonach die Festbeträge einmal im Jahr zu überprüfen sind und eine Anpassung an die geänderte Marktlage vorzunehmen ist. Neben § 35 Abs 5 Satz 1 und 2 SGB V ist die durch das AVWG(rückwirkend zum 17.2.2006) eingeführte Regelung in § 35 Abs 5 Satz 4 und 5 SGB V zu berücksichtigen. Hiernach soll erstmals zum 1.4.2006 der Festbetrag auch einer Festbetragsgruppe nach § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB V den höchsten Abgabepreis des unteren Drittels des Intervalls zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis einer Standardpackung nicht übersteigen. Dabei müssen mindestens ein Fünftel aller Verordnungen und mindestens ein Fünftel aller Packungen zum Festbetrag verfügbar sein; zugleich darf die Summe der jeweiligen Vomhundertsätze der Verordnungen und Packungen, die nicht zum Festbetrag erhältlich sind, den Wert von 160 nicht überschreiten.

57

Der festgesetzte Festbetrag von 59,42 Euro genügt diesen gesetzlichen Anforderungen, soweit die Klägerinnen betroffen sein können. Die Beigeladenen zu 3. bis 8. ermittelten den Festbetrag wiederum unter Anwendung des iterativen Verfahrens. Die Maßzahl M lag am Berechnungsstichtag bei 60,8. Damit standen rund 87,5 Prozent der 766 Packungen und 51,7 Prozent der Verordnungen den Versicherten zum angepassten Festbetrag zur Verfügung. Nach wie vor waren zudem drei der fünf Wirkstoffe der Festbetragsgruppe zum Festbetrag erhältlich. Es bedarf nicht der - vom LSG nicht getroffenen - Feststellung, dass der Festbetrag sich noch innerhalb des unteren Drittels aller Abgabepreise für Statine befand. Selbst ein Überschreiten dieser Soll-Grenze könnte Rechte der Klägerinnen nicht verletzen. Rechenfehler sind im Übrigen weder gerügt noch ersichtlich.

58

b) Der Festbetragsbeschluss vom 10.2.2006 beschwert die Klägerinnen auch im verbleibenden zu prüfenden Zeitraum vom 1.5. bis 30.6.2006 nicht rechtswidrig. Der Beschluss zur Festbetragsgruppenbildung vom 20.7.2004 blieb weiterhin rechtmäßig (dazu aa bis gg). Auch die gebildete Vergleichsgröße und die festgesetzte Festbetragshöhe beschwerten die Klägerinnen nicht (dazu hh).

59

Die zunächst 2004 rechtmäßige Gruppenbildung wurde durch das AVWG nicht unwirksam (dazu aa). Der Einbeziehung von Sortis stand nicht die Ausnahme von der Gruppenbildung für Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen entgegen, deren Wirkungsweise neuartig ist oder die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten (§ 35 Abs 1 Satz 3 Halbs 2 SGB V idF des AVWG). Der Senat vermag nicht festzustellen, dass der Beigeladene zu 1. die ab dem 1.5.2006 hier zusätzlich zur (fehlenden) Neuartigkeit zu prüfende therapeutische Verbesserung durch Sortis zu Unrecht verneint hat. Der Beigeladene zu 1. hat die Anforderungen an eine therapeutische Verbesserung (dazu bb) und deren Nachweis (dazu cc) gerichtlich voll überprüfbar (dazu dd) gesetzeskonform zugrunde gelegt. Ihm sind bei seiner Bewertung der Studienlage hinsichtlich einer therapeutischen Verbesserung keine Beurteilungsfehler unterlaufen (dazu ee). Die Gruppenbildung ist auch nicht wegen Verletzung der Beobachtungspflicht bezüglich einer therapeutischen Verbesserung rechtswidrig geworden (dazu ff). Es bedarf keiner weiteren gerichtlichen Ermittlungen (dazu gg).

60

aa) Die Gruppenbildung erfolgte 2004 insgesamt rechtmäßig, ohne dass ihre Wirksamkeit durch das AVWG entfiel. Unerheblich ist, dass der Beigeladene zu 1. in seinem Beschluss vom 20.7.2004 die Erfüllung beider Voraussetzungen eines Festbetragsausschlusses - Neuartigkeit und Bestehen einer therapeutischen Verbesserung - geprüft und verneint hat, obwohl § 35 SGB V idF des GMG eine Ausnahme von der Gruppenbildung schon bei Nichterfüllung einer der beiden Voraussetzungen ausschloss(vgl dazu oben II. 2.d). Die zusätzliche Prüfung wirkte sich im Ergebnis nicht aus, auch wenn erst aufgrund der Änderung des § 35 SGB V durch das AVWG ab 1.5.2006 die Kriterien der Neuartigkeit und therapeutischen Verbesserung kumulativ zu prüfen sind.

61

Die Gesetzesänderung durch das AVWG ließ die bisher beschlossene Richtlinie nicht unwirksam werden. Die Änderung oder der Wegfall der Ermächtigungsgrundlage einer untergesetzlichen Norm berührt nämlich nicht per se deren Rechtswirksamkeit (vgl entsprechend zu Rechtsverordnungen zB BVerwG Buchholz 451.20 § 139i GewO Nr 1 = GewArch 1997, 245; vgl auch BVerfGE 14, 245, 249; BVerfGE 78, 179, 198). Ab Inkrafttreten des AVWG war die Rechtmäßigkeit des fortwirkenden Beschlusses des Beigeladenen zu 1. indes an der neuen Gesetzesfassung zu messen, da § 35 SGB V idF des AVWG wegen seines unmittelbaren Geltungsanspruchs ohne Übergangsregelung ein solcher Normanwendungsbefehl zu entnehmen ist. Der Gruppenbildungsbeschluss genügt aber auch diesen gesetzlichen Anforderungen.

62

bb) Schon im Jahre 2004 waren für die Anforderungen an eine therapeutische Verbesserung die sachlichen Kriterien zugrunde zu legen, die der Gesetzgeber durch Art 1 Nr 2 Buchst c AVWG ausdrücklich erst 2006 in § 35 Abs 1b SGB V normiert hat. Bereits auf der Grundlage des GMG stand ein solches Vorgehen mit der Gesetzeslage in Einklang. Demgemäß geht die Begründung des Gesetzentwurfs eines AVWG davon aus, dass sich eine Änderung des geltenden Verfahrens für die Bildung von Festbetragsgruppen durch Einführung des § 35 Abs 1b SGB V zum 1.5.2006 nicht ergebe, da der GBA bereits jetzt entsprechend verfahre (vgl BT-Drucks 16/194 S 7). Auch in der Folgezeit hat sich das danach maßgebliche gesetzliche Prüfprogramm für das Bestehen einer therapeutischen Verbesserung nicht geändert.

63

Danach besteht eine therapeutische Verbesserung, wenn ein patentgeschützter Wirkstoff für die betroffenen Patienten einen therapierelevanten höheren Nutzen als andere Arzneimittel dieser Wirkstoffgruppe hat und deshalb als zweckmäßige Therapie regelmäßig oder auch für relevante Patientengruppen oder Indikationsbereiche den anderen Arzneimitteln dieser Wirkstoffgruppe vorzuziehen ist (§ 35 Abs 1b Satz 1 SGB V). Der geforderte "höhere Nutzen" entspricht dem "Zusatznutzen" gegenüber anderen Wirkstoffen, wie er vom Gesetzgeber auch in § 35b Abs 1 Satz 3 SGB V(idF durch Art 1 Nr 20 Buchst b GKV-WSG mit Wirkung ab 1.4.2007; vgl ab 1.1.2011 § 35b Abs 1 Satz 3 idF durch Art 1 Nr 6 Buchst b DBuchst bb AMNOG)zur zentralen Vorgabe einer Nutzenbewertung durch das IQWiG gemacht worden ist. Gleiches gilt für den "medizinischen Zusatznutzen" bei dem durch das AMNOG eingeführten Verfahren der frühen Nutzenbewertung (§ 35a Abs 1 Satz 4 SGB V, vgl BT-Drucks 17/2413, S 21).

64

Inhaltlich gibt der Gesetzgeber als Maßstab einer therapeutischen Verbesserung eine Verbesserung hinsichtlich der Lebensqualität, zB durch Verringerung von Nebenwirkungen bezüglich Häufigkeit und Schweregrad, sowie Morbidität und Mortalität vor (§ 35 Abs 1 Satz 3 und 5 SGB V, sog patientenrelevante Endpunkte). Nur im Zusammenhang mit einer an der positiven Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte ausgerichteten Therapie kann sich ein höherer Nutzen auch daraus ergeben, dass das Arzneimittel eine überlegene Wirksamkeit gegenüber anderen Arzneimitteln der Wirkstoffgruppe zeigt oder über besondere therapierelevante Leistungsmerkmale verfügt, zB Wechsel des Applikationsortes oder -weges, oder eine andere für die Therapie relevante Galenik aufweist (vgl BT-Drucks 16/194 S 8). Anders als bei der Gruppenbildung anhand von Wirkstoffen nach § 35 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V kommen im Rahmen dieses Tatbestandsmerkmals daher auch die ganz spezifischen Besonderheiten eines Wirkstoffs in Betracht, soweit diese therapeutisch relevant sind.

65

cc) Methodisch erfolgt der Nachweis einer therapeutischen Verbesserung aufgrund der Fachinformationen und durch Bewertung von klinischen Studien nach methodischen Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin, soweit diese Studien allgemein verfügbar sind oder gemacht werden und ihre Methodik internationalen Standards entspricht. Vorrangig sind klinische Studien, insbesondere direkte Vergleichsstudien mit anderen Arzneimitteln dieser Wirkstoffgruppe mit patientenrelevanten Endpunkten, insbesondere Mortalität, Morbidität und Lebensqualität, zu berücksichtigen (§ 35b Abs 1b Satz 4 und 5 SGB V). Maßgeblich ist hierbei der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V, vgl BT-Drucks 16/194 S 8). Erforderlich ist dabei der Nachweis der erfolgreichen therapeutischen Verbesserung in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen auf der Grundlage wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Therapierelevanz (stRspr; BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, RdNr 7 mwN - Immucothel; BSGE 95, 132 RdNr 18 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 mwN - Wobe-Mugos E). Die höchste Beweiskraft haben danach direkte Vergleichsstudien mit anderen Wirkstoffen. Nur soweit derartige Studien nicht existieren, kann im Einzelfall auf andere, hinreichend aussage- und beweiskräftige Studien ausgewichen werden (vgl auch Flint in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2011, K § 35 RdNr 64). Sie müssen in jedem Fall das Kriterium erfüllen, mit dem Primärziel des Erreichens patientenrelevanter Endpunkte durchgeführt worden zu sein. Studien, die als Primärziel bloße Surrogatparameter formuliert haben, kommen dagegen zum Nachweis einer therapeutischen Verbesserung nicht in Betracht (vgl Schickert, PharmR 2010, 452, 456).

66

dd) Der Beigeladene zu 1. ist nicht ermächtigt, von diesem gesetzlichen Prüfprogramm abzuweichen. Soweit der Regelungsgehalt reicht, verbleibt ihm kein eigener Gestaltungsspielraum. Wie bereits ausgeführt (vgl II.2.c aa), erfolgt insoweit eine volle gerichtliche Überprüfung. Den dargelegten gesetzlichen Anforderungen ist der Beigeladene zu 1. durch seinen Beschluss vom 20.7.2004 gerecht geworden. Er hat nach diesen Maßstäben geprüft, dass für Atorvastatin eine therapeutische Verbesserung im aufgezeigten Sinne nicht nachgewiesen ist. Die Standards, die der Beigeladene zu 1. ausweislich seiner Beschlussbegründung vom 15.9.2004 zur Prüfung des Vorliegens einer therapeutischen Verbesserung verlangt, korrespondieren inhaltlich (sogar zT fast wortgleich formuliert) mit dem gesetzlich festgeschriebenen Prüfmaßstab. Bei dem Nachweis einer therapeutischen Verbesserung hat der Beigeladene zu 1. rechtsfehlerfrei auf den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne der Rechtsprechung des BSG abgestellt und als Unterlagen in erster Linie direkte Vergleichsstudien, für den Fall ihres Fehlens placebokontrollierte Studien in Form von randomisierten, doppelblinden und kontrollierten Studien mit dem Ziel der Beeinflussung klinisch bedeutsamer Endpunkte gefordert.

67

ee) Der Beigeladene zu 1. hat das ermächtigungskonforme Prüfprogramm über den Nachweis einer therapeutischen Verbesserung ausweislich der Beschlussbegründung auch rechtmäßig angewendet. Der Beschluss des Beigeladenen zu 1. vom 20.7.2004 beruht auf einer umfassenden Sichtung der aktuellen relevanten Studienlage zur Wirkstoffgruppe der Statine. Auf die Einbeziehung irgendwelcher Meinungsäußerungen von Fachleuten kommt es jenseits der bereits geprüften Anhörungsrechte (vgl § 35 Abs 2 SGB V)insoweit entgegen der Ansicht der Klägerinnen nicht an.

68

Der Beigeladene zu 1. ist insgesamt nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass für Atorvastatin gegenüber den anderen Statinen keine Alleinstellungsmerkmale bewiesen sind, die eine therapeutische Verbesserung bedeuten. Er hat anhand des gesetzlich gebotenen Maßstabs die Aussage- und Beweiskraft der einzelnen Studien nachvollziehbar bewertet, nachdem er ihr Design, ihre Ziele und ihre Vergleichbarkeit überprüft und qualifiziert hat. Seine Folgerungen sind schlüssig und lassen keine Widersprüche erkennen. Zu allen von den Klägerinnen als Alleinstellungsmerkmal hervorgehobenen Aspekten, namentlich den besonderen pleiotropen (außerhalb der Hauptwirkung heilend wirkenden) Eigenschaften (dazu <1.>), der größten Wirkstärke (dazu <2.>), dem schnelleren Wirkeintritt (dazu <3.>) und einem überlegenen Sicherheitsprofil von Atorvastatin gegenüber den anderen Statinen (dazu <4.>), begründet der Beschluss nachvollziehbar, dass eine therapeutische Verbesserung nach den gesetzlichen Kriterien nicht festzustellen ist.

69

(1.) So fehlen hinsichtlich der besonderen pleiotropen Eigenschaften von Atorvastatin danach genauere Kenntnisse darüber, in welchem Ausmaß pleiotrope Effekte zur Risikoverbesserung beitragen und ob Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen bestehen. Studien zum Nachweis von Art und Umfang angeblich pleiotroper Effekte liegen nicht vor.

70

(2.) Gegen die von den Klägerinnen ins Feld geführte höhere Wirkstärke Atorvastatins wendet der Beigeladene 1. schlüssig ein, dass sich daraus nicht per se eine klinische Überlegenheit ableiten lässt. Es mangelt nämlich hierzu an den erforderlichen qualitativ hochwertigen Vergleichsstudien mit klinisch relevanten Endpunkten, die hinreichende Schlüsse auf nennenswerte Patientenkollektive erlauben: Die vorliegenden indirekten Vergleichsstudien eignen sich nach der nachvollziehbaren Beurteilung des Beigeladenen zu 1. nicht zum Nachweis relevanter Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen. Die Ausgangsrisiken der untersuchten Populationen weichen so erheblich voneinander ab, dass sie kaum miteinander vergleichbar sind. Ebenso variiert - wohl vor dem Hintergrund des unterschiedlichen Zuschnitts der Vergleichsgruppen - das Ausmaß der LDL-Senkung in den einzelnen Studien in einem Ausmaß, das Vergleichsschlüsse problematisch macht.

71

(3.) Auch hinsichtlich der Frage, ob ein schnellerer Wirkeintritt von Atorvastatin gegenüber anderen Statinen mit Blick auf patientenrelevante Endpunkte nachweisbare Vorteile bietet, gibt es bisher keine direkten Vergleichsstudien. Die vorliegenden indirekten Vergleichsstudien können therapierelevante Vorteile nach der nachvollziehbaren Beurteilung des Beigeladenen zu 1. nicht hinreichend belegen, da sie sich wesentlich in der jeweiligen Größe des Ausgangsrisikos der untersuchten Populationen und Stärke der Interventionen unterscheiden. Diese Parameter sind indes die stärksten Determinanten für die Geschwindigkeit des Eintretens einer statistisch signifikanten Wirkung einer Statintherapie.

72

(4.) Das geltend gemachte besondere Sicherheitsprofil von Atorvastatin ist entsprechend der Beschlussbegründung schließlich ebenfalls nicht evidenzbasiert nachgewiesen. Direkte Vergleichsstudien zwischen den Statinen zu unerwünschten Nebenwirkungen liegen nicht vor. Eine signifikante Unterscheidung der nach der Häufigkeit schwerer unerwünschter Ereignisse wird bei den placebokontrollierten Studien als "overall health impact" in den seltensten Fällen angegeben. Diese Argumentation deckt sich wiederum nachvollziehbar mit der bestehenden Studienlage.

73

ff) Der Beigeladene zu 1. hat für die Zeit bis zum 30.6.2006 auch die ihm als Normgeber obliegende Beobachtungspflicht nicht verletzt. Von einer Verletzung der Beobachtungspflicht wäre nur auszugehen, wenn der Beigeladene zu 1. eine neue Studienlage übergangen hätte, die nach den aufgezeigten gesetzlichen Maßstäben Anlass zur erneuten Überprüfung eines einmal gefassten Gruppenbildungsbeschlusses gegeben hätte. Daran fehlt es.

74

Der Beigeladene zu 1. muss auch nach Erlass einer Richtlinie über die Bildung einer Festbetragsgruppe prüfen, ob neuere wissenschaftliche Erkenntnisse eine Änderung seiner Entscheidung gebieten. Dies folgt auch ohne besondere, ausdrückliche Regelung in § 35 SGB V aus der generellen, dem GBA als Normgeber obliegenden Beobachtungspflicht. Wesentlicher innerer Grund des gesetzlichen Regelungskonzepts des GBA als Normgeber ist es gerade, ihn die sich ständig ändernde Entwicklung des allgemein anerkannten Standes der Medizin und der Pharmakologie beobachten zu lassen, damit er wesentliche Änderungen umgehend in den Richtlinien berücksichtigt (vgl dazu Hauck, NZS 2010, 600, 611 mwN). Im Falle der hier in Frage stehenden Richtlinien ist der GBA zur Beobachtung dessen verpflichtet, ob die bisher festgelegte Zusammenfassung mehrerer Arzneimittel in einer Festbetragsgruppe dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht mehr entspricht (vgl ähnlich BSGE 103, 106 = SozR 4-2500 § 94 Nr 2).

75

Eine solche Beobachtungspflicht setzt der Beigeladene zu 1. auch selbst in Kapitel 3, Abschnitt D der Beschlussbegründung (nunmehr in § 7 Abs 4 seiner VerfO) voraus. Danach muss er Hinweisen dazu nachgehen, dass getroffene Entscheidungen nicht mehr mit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse übereinstimmen. Hinweise darauf, dass für den Wirkstoff Atorvastatin zwischenzeitlich Studien erstellt worden sind, die unter Berücksichtigung der aufgezeigten gesetzlichen Wertungen für eine abweichende Bewertung der therapeutischen Verbesserung sprechen, liegen indes nicht vor. Das belegen für die hier relevante Zeit bis zum 30.6.2006 (zu Folgezeiträumen vgl Senatsurteile vom selben Tage - B 1 KR 10/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen und - B 1 KR 13/10 R) die Untersuchungen des IQWiG vom 15.8.2005 und des Beigeladenen zu 1. vom Februar 2010 unter Einbeziehung aller neueren Studien für die Folgejahre. Keiner der Beteiligten hat denn auch dargelegt, dass abweichend von der Beurteilung des IQWiG und der Recherche des Beigeladenen zu 1. neue endpunktrelevante Studien mit bisher nicht berücksichtigten Ergebnissen zu den Statinen veröffentlicht worden sind.

76

gg) Der erkennende Senat kann sich auf die vorliegenden Ermittlungsergebnisse stützen, ohne dass es weiterer Beweiserhebung bedarf. Zwar geht es beim Nachweis einer therapeutischen Verbesserung durch Arzneimittel um die Feststellung genereller Tatsachen, die auch der Ermittlung des Senats im Revisionsverfahren unterliegen. Weitere Beweiserhebung drängt sich aber nicht auf. Auch hier (vgl bereits oben II.2.b und c cc) ist von Bedeutung, dass sich der Beigeladene zu 1. nicht beliebiger Einzelgutachter bedient, sondern die vom Gesetzgeber hervorgehobene AkdÄ mit der Überprüfung der Voraussetzungen betraut hat. Hinzu kommt, dass er in der Folgezeit im Rahmen eines Generalauftrags das IQWiG mit einer Überprüfung beauftragt hat und schließlich unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung bei dem LSG nochmals selbst recherchiert hat. Nur die Darlegung, eine therapeutische Verbesserung sei anhand aussagekräftiger Studien in der gesetzlich gebotenen Qualität nachgewiesen, würde vorliegend zu weiteren Ermittlungen zwingen. Daran fehlt es indes.

77

Das IQWiG hat nämlich die Einschätzung des Beigeladenen zu 1. bestätigt, ohne Anhaltspunkte für neuere abweichende Studienergebnisse in hinreichend qualifizierten Studien zu finden. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Absicherung von Neutralität und Qualität der in Auftrag gegebenen Untersuchung des IQWiG streitet bei Beachtung aller gesetzlicher Vorgaben eine Rechtsvermutung für die Richtigkeit seiner Beurteilung, die in derartigen Fällen wie dem vorliegenden eine weitere Beweiserhebung erübrigt. Das folgt aus Ausstattung (dazu <1.>), Aufgabe (dazu <2.>) und Gesetzeszweck der Einrichtung des IQWiG (dazu <3.>). Mit Blick darauf kommt gesetzeskonformen Bewertungen des IQWiG eine Richtigkeitsgewähr zu.

78

(1.) Das IQWiG stellt ein Expertengremium dar, das in seiner persönlichen und fachlichen Integrität und Qualität durch Transparenz und Unabhängigkeit gesetzlich und institutionell besonders abgesichert ist (vgl Hauck, NZS 2010, 600, 609; Rixen, MedR 2008, 24, 26). Der Beigeladene zu 1. hat gesetzeskonform das IQWiG als fachlich unabhängiges, rechtsfähiges, wissenschaftliches Institut errichtet (§ 139a Abs 1 Satz 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 112 GMG). Der Gesetzgeber hat bereits die zulässige Rechtsform des IQWiG eingegrenzt, um dessen Kompetenz und Unabhängigkeit sicherzustellen. Zur Sicherung der fachlichen Unabhängigkeit des IQWiG haben die Beschäftigten vor ihrer Einstellung alle Beziehungen zu Interessenverbänden, Auftragsinstituten, insbesondere der pharmazeutischen Industrie und der Medizinprodukteindustrie, einschließlich Art und Höhe von Zuwendungen offen zu legen (vgl § 139a Abs 6 SGB V). Entsprechendes gilt, soweit das IQWiG wissenschaftliche Forschungsaufträge an externe Sachverständige vergibt (s § 139b Abs 3 SGB V). Die Vergabe von Forschungsaufträgen gewährleistet, dass die Arbeiten des IQWiG höchsten wissenschaftlichen Anforderungen gerecht werden. Hierzu hat es ausgewiesene Experten mit wissenschaftlichen und praktischen Erfahrungen in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen einzubeziehen (vgl BT-Drucks 15/1525 S 128 Zu § 139a Abs 4).

79

Das IQWiG arbeitet in einer transparenten Form unter Unterrichtung Betroffener und Interessierter über alle Arbeitsschritte und Arbeitsergebnisse (vgl § 139a Abs 4 SGB V und hierzu BT-Drucks 15/1525 S 128 Zu § 139a Abs 4), insbesondere auch über die Grundlagen für die Entscheidungsfindung. Indem das IQWiG zu gewährleisten hat, dass die Bewertung des medizinischen Nutzens nach den international anerkannten Standards der evidenzbasierten Medizin erfolgt (§ 139a Abs 4 Satz 1 Halbs 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 117 Buchst b GKV-WSG),hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es seine Arbeitsmethode nach den international üblichen und akzeptierten Standards der evidenzbasierten Medizin auszurichten hat. Das IQWiG geht nach der Gesetzeskonzeption bei seinen Bewertungen in vergleichbarer hoch qualitativer Weise vor wie andere mit entsprechenden Aufgaben betraute Stellen im internationalen Bereich, zB das National Institute for Health and Clinical Excellence (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 151 Zu Nummer 117 <§ 139a> Zu Buchst b; Engelmann in: jurisPK-SGB V, § 139a RdNr 30). Zusätzlich bestehen Rechte Sachverständiger, Interessierter und Betroffener, Stellung zu nehmen (vgl § 139a Abs 5 SGB V).

80

(2.) Das IQWiG wird zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der GKV erbrachten Leistungen in gesetzlich vorgegebenem Umfang tätig (vgl § 139a Abs 3 SGB V). Die Arbeit des IQWiG hat zum Ziel, die grundsätzlichen Anforderungen des SGB V bei der Leistungserbringung zu sichern. Hierzu soll es Erkenntnisse über den Wert der Leistungen auch im Verhältnis zu den aufzuwendenden Kosten sowie zu den Auswirkungen auf die Verbesserung der medizinischen Behandlung erarbeiten. Dies soll gewährleisten, dass diagnostische und therapeutische Maßnahmen dem besten verfügbaren wissenschaftlichen Stand entsprechen und auch weiterhin finanzierbar bleiben (vgl BT-Drucks 15/1525 S 127 Zu Nummer 112 Zu § 139a Zu Abs 3).

81

Zu den gesetzlich vorgegebenen Aufgaben gehört auch die Bewertung des Nutzens und der Kosten von Arzneimitteln (vgl § 139a Abs 3 Nr 5 SGB V). Der Beigeladene zu 1. beauftragt das IQWiG mit den gesetzlich umrissenen Arbeiten (vgl § 139b Abs 1 Satz 1 SGB V). Hierzu hat er dem IQWiG ua am 21.12.2004 den Generalauftrag erteilt, durch die Erfassung und Auswertung des relevanten Schrifttums eine kontinuierliche Beobachtung und Bewertung medizinischer Entwicklungen von grundlegender Bedeutung und ihrer Auswirkungen auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit der medizinischen Versorgung in Deutschland vorzunehmen und den GBA hierüber regelmäßig zu informieren. Das IQWiG soll aus der eigenverantwortlichen wissenschaftlichen Arbeit heraus dem GBA für dessen gesetzliche Aufgaben notwendige Informationen zur Verfügung stellen und konkrete Vorschläge für Einzelaufträge erarbeiten.

82

(3.) Ziel des Gesetzgebers ist es, durch Einbindung des IQWiG in die Zuarbeit für den GBA den dynamischen Prozess der Fortentwicklung der medizinischen und pflegerischen Leistungen zu sichern und die kontinuierliche Einbeziehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine qualitativ gesicherte Leistungserbringung zu gewährleisten (BT-Drucks 15/1525, S 127). Das IQWiG leitet deshalb seine Arbeitsergebnisse dem GBA als Empfehlungen zu (vgl § 139b Abs 4 Satz 1 SGB V). Dieser hat die Empfehlungen im Rahmen seiner Aufgabenstellung "zu berücksichtigen", wird also nur mit besonderer Begründung davon abweichen (vgl Hauck, NZS 2007, 461, 464). Insbesondere hat er zu prüfen, ob das IQWiG seine Bewertungen ausgehend von einem zutreffenden Rechtsverständnis der zugrunde gelegten Begriffe auf der Basis einer umfassenden Einbeziehung der relevanten Studien nachvollziehbar und widerspruchsfrei getroffen hat. Für die Umsetzung von Handlungsempfehlungen des IQWiG verbleibt ihm indes sein gesetzgeberisches Ermessen.

83

Dass von AkdÄ und IQWiG nicht berücksichtigte Studien hinreichender Qualität im gesetzlich gebotenen Sinne vorliegen, ist schließlich weder von den Klägerinnen noch von sonstigen Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits oder der beim erkennenden Senat anhängigen Parallelverfahren in Kenntnis der Beurteilungen von AkdÄ und IQWiG behauptet worden. Es ist auch ansonsten nicht ersichtlich.

84

hh) Auch die gebildete Vergleichsgröße und die festgesetzte Festbetragshöhe beschwerten die Klägerinnen nicht. Es gilt hierfür dasselbe wie im vorangegangenen Zeitraum (vgl dazu II. 3. a).

85

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3 und § 162 Abs 3 VwGO, diejenige über den Streitwert aus § 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 4 sowie § 47 Abs 1 GKG.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. März 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für ein selbst beschafftes "Continuous Glucosemonitoring System" (CGMS) nebst Verbrauchsmaterialien (Sensoren und Pflaster).

2

Die 2008 geborene Klägerin leidet an Diabetes mellitus Typ I und wurde deshalb bereits mit einer Insulinpumpe ausgestattet. Im April 2012 beantragte sie bei der beklagten Krankenkasse die Versorgung mit einem CGMS. Hierdurch könne die Insulinpumpe zu dem sogenannten "Veo System" erweitert werden, das neben der Veo-Insulinpumpe aus dem Glukosesensor Enlite®, der in das Unterhautfettgewebe eingeführt werde, und dem MiniLink® TM Real-Time-Transmitter bestehe, der die Glukosewerte per Funk an die Veo-Insulinpumpe sende. Den Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25.4.2012, Widerspruchsbescheid vom 20.9.2012). Daraufhin hat sich die Klägerin das CGMS (bestehend aus einem CGM Starter Kit Enlite®, einem MiniLink® Transmitter Set Enlite®, fünf Enlite® Glukosesensoren und zehn Pflastern) am 23.10.2012 für 1289,48 Euro selbst beschafft. Am 4.2. und am 10.6.2013 erwarb sie weitere Glukosesensoren und Pflaster für jeweils 615,23 Euro.

3

Die Klage auf Erstattung aller Anschaffungskosten hat das SG abgewiesen (Urteil vom 22.8.2013). Die Berufung war ebenfalls erfolglos (Urteil vom 6.3.2014): Bei dem CGMS handele es sich nicht um ein Hilfsmittel, sondern um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Das Therapiekonzept zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ I bestehe nach der S3-Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) vom September 2011 aus den Komponenten Insulintherapie, Ernährung, Schulung und psychosoziale Betreuung. Im Rahmen der Insulintherapie seien Blutglukosemessungen durchzuführen; der HbA1c-Wert müsse in regelmäßigen Abständen durch einen Arzt kontrolliert werden. Bei der Glukosemessung mittels CGMS handele es sich hingegen um ein anderes - neues - Konzept im Rahmen einer vertragsärztlichen Behandlungsmethode. Die Glukosekonzentration werde nicht im Blut, sondern in der Gewebeflüssigkeit im Unterhautfettgewebe (Interstitium) gemessen. In diesem Bereich liege eine leicht erniedrigte Zuckerkonzentration vor, sodass der mittels des CGMS bestimmte Wert nicht demjenigen der Blutzuckerkonzentration entspreche. Zudem ergäbe die konventionelle Blutzuckermessung Momentaufnahmen, während Ziel des CGMS die Abbildung des Glukoseverlaufs über einen längeren Zeitraum und damit eine langfristige Verbesserung der Stoffwechsellage von Diabetikern sei. Soweit die Klägerin geltend mache, durch das CGMS werde bei ihr ein elementarer Behinderungsausgleich erzielt, könne dies die Prüfung der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) nicht entbehrlich machen. Die demnach erforderliche Empfehlung des GBA nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V liege aber bis heute nicht vor. Anhaltspunkte für ein sogenanntes Systemversagen seien nicht gegeben. Aus diesen allein maßgeblichen Gründen scheide ein Anspruch der Klägerin aus, sodass die von ihr zu Beweiszwecken begehrte Beiziehung sämtlicher Beratungsunterlagen und Protokolle aller öffentlichen und nicht öffentlichen Sitzungen des GBA zum Thema "kontinuierliche Glukosemessung" nicht erforderlich gewesen sei.

4

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass es sich bei dem CGMS um ein Hilfsmittel iS von § 33 Abs 1 SGB V und nicht um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode iS von § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V handele. Die Prüfung eines neuen Hilfsmittels falle nur dann in den Zuständigkeitsbereich des GBA, wenn es im Rahmen einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode eingesetzt werden solle, zu der sich der GBA noch nicht positiv geäußert habe. Solle hingegen ein neues Hilfsmittel im Rahmen einer bereits anerkannten Behandlungsmethode zum Einsatz kommen, sei gerade kein Bewertungsverfahren durch den GBA nach § 135 Abs 1 SGB V erforderlich. So liege der Fall hier. Das CGMS komme lediglich als ergänzendes Messgerät im Rahmen der etablierten Diabetestherapie zum Einsatz und verändere diese nicht wesentlich dadurch, dass die Glukosemessung kontinuierlich im Unterhautfettgewebe erfolge. Bestätigt werde dies auch durch den vorläufigen Berichtsplan des durch den GBA am 23.11.2012 mit der Bewertung der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung (CGM) mit Real-Time-Messgeräten beauftragten Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom 30.9.2013. Hieraus ergebe sich, dass Sinn und Zweck des Einsatzes der Messgeräte die Verbesserung der Blutzuckerkontrolle durch mehr Messwerte oder eine größere Datenlage und die bessere Vermeidung zu hoher oder zu niedriger Blutzuckerwerte mittels Alarmfunktion sei. Damit sei der Anwendungsbereich des § 135 Abs 1 SGB V nicht eröffnet, weil auch mit einem konventionellen Blutzuckermessgerät alle fünf Minuten der Blutzucker bestimmt und die Werte anschließend mittels einer Software grafisch dargestellt werden könnten. Der GBA habe für Hilfsmittelinnovationen auch keinen originären Prüfauftrag. Vielmehr werde bereits durch die CE-Kennzeichnung bestätigt, dass das Hilfsmittel die erforderliche Qualität besitze. Zudem sei Voraussetzung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode eine übergeordnete ärztliche Leistung. An der eigentlichen ärztlichen Leistung habe sich seit Nutzung des CGMS indes nichts geändert. Der Kontakt mit ihrem Diabetologen beschränke sich weiterhin auf ca vier Besuche pro Jahr.

5

Unabhängig davon diene das CGMS auch dem Behinderungsausgleich iS von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Der GBA sei aber nicht dafür zuständig, Hilfsmittel im Hinblick auf einen Behinderungsausgleich zu bewerten. Kinder bis zu einem Alter von ca acht Jahren könnten das Diabetesmanagement nicht alleine durchführen und nähmen die Signale für Hypo- und Hyperglykämien nicht wahr oder könnten sie nicht deuten. Ein Gerät zur kontinuierlichen Messung des Glukosewertes mit Alarmfunktion übernehme diese Aufgabe und diene daher dem Behinderungsausgleich, weil die Messfunktion der Bauchspeicheldrüse nachgeahmt werde.

6

Als Verfahrensfehler rügt die Klägerin einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG). Ihr Antrag auf Beiziehung der einschlägigen Beratungsunterlagen und Protokolle des GBA sei zu Unrecht abgelehnt worden. Auch unter den Mitgliedern des GBA habe es unterschiedliche Meinungen zu der rechtlichen Einordnung der im Rahmen der CGM eingesetzten Messgeräte gegeben (vgl Newsletter des GBA vom Mai 2012).

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. März 2014 und des Sozialgerichts Trier vom 22. August 2013 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 2519,95 Euro nebst 4% Zinsen aus einem Teilbetrag von 1289,48 Euro ab dem 1. Dezember 2012, aus einem Teilbetrag von 615,23 Euro ab dem 1. April 2013 und aus einem weiteren Teilbetrag von 615,23 Euro ab dem 1. August 2013 zu zahlen.

8

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie verweist darauf, dass das von ihr seit Mitte 2015 als freiwillige Leistung an ausgewählte Mitglieder abgegebene kontinuierliche Glukosemesssystem des Herstellers Abbott (High-Tech-Sensor, System FreeStyle Libre) insbesondere wegen der fehlenden Kopplung an eine Insulinpumpe nicht in vollem Umfang mit dem von der Klägerin verwendeten System übereinstimme. Den Wechsel des Mediums der Glukosemessung, nämlich vom Blut zum Unterhautfettgewebe, sehe sie nicht (mehr) als Ausdruck eines Methodenwechsels an; denn die Methode sei allein durch die "Glukosewertselbstmessung" gekennzeichnet.

10

Der GBA und der GKV-Spitzenverband haben auf Aufforderung des Senats zu dem Verfahren Stellungnahmen abgegeben (vgl Schreiben des GBA vom 13.4.2015 und Schreiben des GKV-Spitzenverbands vom 14.4.2015).

11

Der Abschlussbericht des IQWiG vom 25.3.2015 ist am 21.5.2015 veröffentlicht worden. Er ist nunmehr Gegenstand des - noch nicht abgeschlossenen - Methodenbewertungsverfahrens des GBA.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Klägerin ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für das selbstbeschaffte CGMS nebst Verbrauchsmaterialien (Sensoren und Pflaster) hat.

13

Wird ein Hilfsmittel als untrennbarer Bestandteil einer neuen vertragsärztlichen Behandlungs- oder Untersuchungsmethode eingesetzt, hat die Krankenkasse die Kosten hierfür grundsätzlich erst zu übernehmen, wenn der GBA die Methode positiv bewertet hat. Der Gesetzgeber hat im Hinblick auf die Sicherung von Nutzen und Wirtschaftlichkeit von Behandlungsmethoden das Prüfungsverfahren bei dem GBA vorgeschaltet. Erst wenn diese Prüfung positiv ausgefallen ist, sind die für den Einsatz der dann anerkannten Methode notwendigen Hilfsmittel Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkassen. Eine Bewertung durch den GBA ist auch bezüglich bereits anerkannter oder zugelassener Methoden erforderlich, wenn diese im Hinblick auf ihre diagnostische bzw therapeutische Wirkungsweise, mögliche Risiken und/oder Wirtschaftlichkeitsaspekte eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren.

14

Das CGMS basiert auf einer neuen Untersuchungs- bzw Behandlungsmethode. Die kontinuierliche Messung des Zuckergehalts im Unterhautfettgewebe unterscheidet sich im Hinblick auf die diagnostische Vorgehensweise sowie mögliche Risiken und Aspekte der Wirtschaftlichkeit erheblich von der herkömmlichen Blutzuckermessung und stellt daher eine "neue", bisher nicht anerkannte Behandlungsmethode dar. Solange der GBA hierzu keine positive Empfehlung abgegeben hat, besteht kein Anspruch auf Versorgung mit den Hilfsmitteln, die für die kontinuierliche Glukosewertbestimmung erforderlich sind. Eine abschließende Beurteilung des GBA dürfte wegen des bereits abgeschlossenen Bewertungsverfahrens beim IQWiG in einigen Monaten vorliegen, erlangt dann aber keine Rückwirkung.

15

1. Rechtsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch ist § 13 Abs 3 SGB V. Danach ist die Krankenkasse zur Erstattung der Kosten für eine von dem Versicherten selbst beschaffte Leistung verpflichtet, wenn sie entweder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und zwischen der rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl nur BSG Urteil vom 18.5.2011 - B 3 KR 12/10 R - Juris RdNr 7 mwN - Rollstuhl-Bike III; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 11 - Matratzen-Encasings). Eine unaufschiebbare Leistung iS der 1. Alternative der Vorschrift lag hier mangels medizinischer Dringlichkeit nicht vor (hierzu BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23). Die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 13 Abs 3 SGB V sind ebenfalls nicht erfüllt, weil zwar ein Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der Leistung und der Kostenlast besteht, die Ablehnung der Leistung jedoch nicht zu Unrecht erfolgt ist.

16

a) Die geltend gemachten Aufwendungen für den Erwerb des CGMS beruhen auf der Versagung der Leistung durch die Beklagte, sodass der nach Wortlaut und Zweck des § 13 SGB V notwendige Ursachenzusammenhang zwischen der Kostenlast des Versicherten und der Leistungsablehnung durch die Krankenkasse besteht. Hieran würde es fehlen, wenn die Krankenkasse vor der Beschaffung der Leistung durch den Versicherten nicht mit dem Leistungsbegehren befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr, vgl BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2, RdNr 11 mwN - Hörgeräteversorgung; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 12 - Matratzen-Encasings). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Klägerin hat den Leistungsantrag mit Schreiben vom 16.4.2012 gestellt und das CGMS erst nach Ablehnung des Antrags (Bescheid vom 25.4.2012; Widerspruchsbescheid vom 20.9.2012) am 23.10.2012 und die Sensoren am 4.2.2013 bzw 10.6.2013 selbst beschafft. Die Beklagte hatte ausdrücklich dargelegt, dass weder ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für das CGMS noch für das Verbrauchsmaterial bestehe.

17

b) Allerdings hatte die Klägerin zum Zeitpunkt der Leistungsbeschaffung nach den leistungsrechtlichen Bestimmungen des SGB V keinen Anspruch auf Ausstattung mit einem CGMS und den Verbrauchsmaterialien, sodass die Beklagte den Antrag nicht zu Unrecht abgelehnt hat. Die Frage, ob die begehrte Leistung iS von § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V zu Unrecht abgelehnt wurde, ist nach dem für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsrecht zu beurteilen - für Leistungen der GKV somit nach den Bestimmungen des SGB V(BSG Urteil vom 18.5.2011 - B 3 KR 12/10 R - Juris RdNr 7 mwN - Rollstuhl-Bike III; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 11 - Matratzen-Encasings).

18

2. Maßgebende Vorschrift für die Leistungspflicht der GKV im Bereich der Hilfsmittelversorgung ist § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V in der zum Zeitpunkt der Leistungsbeschaffung, dh am 23.10.2012 (zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einem Kostenerstattungsanspruch vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 10 - Therapiedreirad), geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG vom 22.12.2011 - BGBl I 2983) sowie in der am 4.2. und 10.6.2013 insoweit unverändert geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz vom 23.10.2012 - BGBl I 2246). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung im Hinblick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" nur, soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß § 12 Abs 1 SGB V nicht bewilligen. Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen (§ 33 Abs 1 Satz 5 SGB V, ähnlich § 31 Abs 3 SGB IX).

19

a) Bei den von der Klägerin erworbenen Komponenten des CGMS handelt es sich um Hilfsmittel iS des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V. Zu den Hilfsmitteln zählen alle sächlichen medizinischen Leistungen (etwa Körperersatzstücke), während in Abgrenzung hierzu dem Begriff der Heilmittel (§ 32 SGB V) alle von entsprechend ausgebildeten Personen persönlich erbrachten medizinischen Dienstleistungen unterfallen, wie etwa Maßnahmen der physikalischen Therapie sowie der Sprach- und Beschäftigungstherapie (BSGE 87, 105, 108 = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 5; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 2 RdNr 3 - Dauerpigmentierung; BSGE 88, 204, 206 ff = SozR 3-2500 § 33 Nr 41 S 229 ff - PC-Zusatzausrüstung für häusliches Hirnleistungstraining; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 15 - Matratzen-Encasings). Das CGMS besteht insgesamt aus sächlichen Mitteln (Transmitter, Sensor sowie die - hier bereits als Sachleistung zur Verfügung gestellte - Insulinpumpe). Die Ansicht der Vorinstanzen, das CGMS selbst stelle eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar, trifft nicht zu. Die Eigenschaft als Hilfsmittel bleibt bei sächlichen Mitteln auch dann erhalten, wenn sie Bestandteil einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode sind. Die Einstufung der kontinuierlichen Glukosemessung im Interstitium mittels des Real-Time-Messgerätes als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode iS des § 135 SGB V steht also der Einordnung der im Rahmen der Methode eingesetzten sächlichen Mittel als Hilfsmittel nicht entgegen.

20

b) Das von der Klägerin angeschaffte CGMS dient dem Versorgungsziel der Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (§ 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V). Dies ist der Fall, soweit es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V)eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 21 mwN - Therapiedreirad; zur Auslegung des § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V unter Berücksichtigung seiner Entstehungsgeschichte: BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, RdNr 11 mwN - behindertengerechter Umbau eines Pkw; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 17 - Matratzen-Encasings). Der spezifische Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung setzt voraus, dass die Verwendung des begehrten Hilfsmittels in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer steht und für die gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen ist(BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 21 - Therapiedreirad).

21

Die Klägerin leidet an Diabetes mellitus Typ I. Dieser Typ des Diabetes ist gekennzeichnet durch eine progrediente Zerstörung der insulinproduzierenden B-Zellen in den Langerhansschen Inseln der Bauchspeicheldrüse und tritt vornehmlich in jüngeren Lebensjahren auf (Ziffer 2.1 der S3-Leitlinie "Therapie des Typ-1-Diabetes" der DDG, Stand: 30.9.2011, gültig bis 29.9.2016 - im Folgenden: S3-Leitlinie; vgl auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 266. Aufl 2014, Stichwort: "Diabetes mellitus"). Folge des durch die Zellzerstörung bedingten Insulinmangels ist, dass Zucker nicht von den Zellen aufgenommen und verarbeitet werden kann, also im Blut verbleibt mit der weiteren Folge, dass der Blutzuckerspiegel steigt und zur Regelung des Glukosehaushaltes Insulin medikamentös zugeführt werden muss. Es handelt sich um eine Erkrankung, für die bis heute kausale Therapieansätze, die die Ursache der Erkrankung beseitigen, nicht existieren. Dass die Behandlung folglich nicht auf Heilung der Krankheit ausgerichtet sein kann, steht der Einstufung als Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung nicht entgegen, denn es ist im Rahmen von § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V ausreichend, wenn mit dem Hilfsmittel ein therapeutischer Erfolg angestrebt wird(BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, RdNr 11 mwN; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 17 - Matratzen-Encasings).

22

Dies ist vorliegend der Fall. Das Therapiekonzept des Typ-1-Diabetes besteht nach Ziffer 4. der S3-Leitlinie aus den Komponenten Insulintherapie, Ernährung, Schulung und psychosoziale Betreuung. Im Rahmen der Insulintherapie werden zwei Strategien unterschieden: die konventionelle Insulintherapie und die sog intensivierten Therapieformen. Die konventionelle Therapie ist charakterisiert durch eine verbindliche Vorgabe sowohl der Insulindosis als auch der Abfolge und Größe der Mahlzeiten (feste Kohlehydratportionen; Ziffer 4.1.3, a) der S3-Leitlinie). Die - in der Regel bei einem Typ-1-Diabetes durchgeführte - intensivierte Insulintherapie ist hingegen definiert als Gabe von mindestens drei Insulininjektionen pro Tag, vor allem aber gekennzeichnet durch eine Substitution von basalem Insulinbedarf mit langwirkendem "Basalinsulin“ und prandialem (dh auf das Essen bezogenem) Insulinbedarf mit kurzwirksamem Insulin zu den Mahlzeiten (Basal-Bolus-Prinzip). Diese Therapie kann mit Insulinspritzen, Insulinpens oder - wie im Falle der Klägerin - Insulinpumpen durchgeführt werden und führt zu einem höheren Aufwand ua aufgrund vermehrt notwendiger Blutglukoseselbstmessungen (Ziffer 4.1.3, b) der S3-Leitlinie). Beide Insulintherapien dienen folgenden Zielen: durch Substitution der fehlenden Insulinsekretion des Körpers sollen zum einen eine möglichst normnahe Einstellung der Blutglukose erreicht (Pschyrembel, aaO, Stichwort: "Diabetes mellitus") und dadurch diabetesbedingte Minderungen der Lebensqualität vermieden werden (Ziffer 3. der S3-Leitlinie). Zum anderen soll das Auftreten von Hypoglykämien verhindert werden, die mit verhältnismäßig ungefährlichen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwäche, aber auch mit Krampfanfällen, Sprachstörungen und Lähmungen sowie - in ihrer maximalen Ausprägung - mit einem hypoglykämischen Schock einhergehen können, der mit zentralen Atem- und Kreislaufstörungen (bis hin zum Tod) verbunden ist (Pschyrembel, aaO, Stichwort: "Hypoglykämie"). Zudem soll das Auftreten von Folgeerkrankungen (wie Retinopathie, Nephropathie) vermieden werden (vgl zu den Zielen der Diabetestherapie auch den am 21.7.2014 veröffentlichten Vorbericht des IQWiG, S 3).

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Auf die Erreichung dieser Ziele ist die ärztliche Behandlung der Klägerin bei dem Oberarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums M und Diabetologen L gerichtet, wie durch dessen - einer formellen vertragsärztlichen Verordnung (§ 73 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB V) gleichstehenden - Schreiben vom 2.3.2012 deutlich wird, in dem er die Versorgung der Klägerin mit dem System zur kontinuierlichen Glukosemessung befürwortet. Danach sei die Einstellung des Diabetes bei einem Kleinkind von großen Schwierigkeiten geprägt. Die kontinuierliche Betreuung werde durch ihn sichergestellt.

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Hieraus ergibt sich, dass der Einsatz des CGMS im Rahmen der ärztlichen Behandlung erfolgen soll, folglich ein enger Zusammenhang zu dieser besteht und durch dessen Einsatz die Erreichung der vorgenannten Ziele unterstützt werden soll. Das System soll nicht nur den Behandler in die Lage versetzen, durch Auswertung der kontinuierlich erhobenen Daten die Therapie ggf anzupassen und so zu optimieren, dass eine bestmögliche Blutzuckereinstellung erreicht wird, sondern es sollen auch hypoglykämische Trends erkannt werden. Bei Erreichen eines vorher definierten Grenzwertes wird die - über die Insulinpumpe gesteuerte - Insulinzufuhr automatisch unterbrochen (bei Einsatz eines CGMS ohne Kopplung mit einer Insulinpumpe wird ein Alarmton abgegeben), wodurch der Eintritt der konkret drohenden Hypoglykämie verhindert werden soll. Das CGMS soll folglich eine rasche Reaktion auf zu niedrige und zu hohe Glukosewerte insbesondere bei Patienten ermöglichen, die hypoglykämische Trends in der Regel nicht selbst erkennen können. Dies sind insbesondere Patienten mit Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörungen, mit schweren nächtlichen Hypoglykämien und - wie im Falle der Klägerin - Kinder (vgl die Stellungnahme des MDS vom April 2011 zur kontinuierlichen Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten bei Diabetes mellitus). Durch das CGMS soll folglich die Therapiesicherheit erweitert werden, dh das Hilfsmittel soll den therapeutischen Erfolg fördern und steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung, dient also der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung. Dass das CGMS im täglichen Leben durch den Patienten selbst bedient wird, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern, da die Gesamttherapie durch den Behandler gestaltet und durch diesen in Abhängigkeit von den Messergebnissen optimiert werden muss.

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Der die Klägerin behandelnde Diabetologe L bestätigt in dem "ärztlichen Gutachten für die Kostenübernahme", dass durch die kontinuierliche Aufzeichnung Blutzuckertrends erkannt und interpretiert werden können und dementsprechend eine gezielte Behandlung möglich ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Grenzwert, bei dessen Erreichen das Gerät entweder einen Alarmton abgibt oder - bei Kopplung mit einer Insulinpumpe - die Insulinzufuhr unterbricht, jedenfalls mit dem Arzt abgestimmt werden muss. Soweit die Klägerin darauf hingewiesen hat, dass sich die Zahl der Arztbesuche nach Einsatz des CGMS nicht vermehrt habe, vermag dies an der Beurteilung, dass der Einsatz im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt, nichts zu ändern, weil es hierbei nicht auf die Anzahl oder Häufigkeit der Arztbesuche ankommt.

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3. Sofern ein Hilfsmittel den Erfolg einer Krankenbehandlung iS von § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V sichern soll und dabei in einem untrennbaren Zusammenhang mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode iS von § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V eingesetzt wird, ist Voraussetzung für einen Anspruch des Versicherten nach § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V weiter, dass die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch den GBA anerkannt worden ist. Bei der "kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus" handelt es sich zwar um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, zu der das CGMS in einem untrennbaren Zusammenhang steht, diese war jedoch zum maßgeblichen Zeitpunkt - und ist es auch derzeit - nicht durch den GBA anerkannt.

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a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist dann, wenn ein Hilfsmittel im Rahmen der Krankenbehandlung deren Erfolg sichern soll, seine Verwendung - anders als etwa bei Hilfsmitteln, die dem Behinderungsausgleich dienen - nicht von dem zugrunde liegenden Behandlungskonzept und den dafür geltenden Anforderungen nach § 2 Abs 1 Satz 3, § 12 Abs 1 SGB V iVm § 135 Abs 1 SGB V zu trennen(BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 18). Insoweit erfasst die Sperrwirkung des in § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V begründeten Leistungsverbots mit Erlaubnisvorbehalt jegliche Maßnahme im Rahmen einer bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandten "Methode"(stRspr seit BSGE 82, 233, 238 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 19; vgl auch BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 19 mwN; BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, RdNr 22 mwN; BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 18 mwN). Vor dem Hintergrund einer streitigen Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis (HMV) wurde hierzu ausgeführt, dass, solange die Therapie als neue Behandlungsmethode nicht zur Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen ist, auch die dabei eingesetzten Geräte keine "von der Leistungspflicht umfassten Hilfsmittel“ iS von § 139 Abs 1 Satz 2 SGB V darstellen(so bereits BSGE 87, 105, 110 f = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 7 f; BSGE 97, 133 = SozR 4-2500 § 139 Nr 2, RdNr 32; siehe auch BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 18; ebenso für die Arzneimitteltherapie BSGE 82, 233, 238 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 19 f; BSGE 86, 54, 58 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 63 f, vgl auch bei neuartiger Kombination einzeln bereits zugelassener Maßnahmen im Rahmen der Arzneimittelversorgung BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, RdNr 15 f mwN; entsprechend für Heilmittel BSG SozR 3-2500 § 138 Nr 2 S 26; BSGE 94, 221 RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 15 f),weil Voraussetzung hierfür ist, dass das Hilfsmittel den gesetzlichen Anforderungen entspricht (BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 15 mwN). Dies ist gerade nicht der Fall, wenn der Einsatz im Rahmen einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode iS von § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V erfolgt und die Methode durch den GBA nicht anerkannt wurde (BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 16). Zwar obliegt die Anerkennung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode dem GBA und nicht dem gemäß § 139 Abs 3 Satz 2 SGB V für die Aufnahme in das HMV zuständigen GKV-Spitzenverband, jedoch hat die Erstellung und Fortentwicklung des HMV jedenfalls dann nicht unabhängig von der Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden durch den GBA zu erfolgen, wenn das Hilfsmittel untrennbar mit einer speziellen Behandlungsmethode verbunden ist(BSGE 87, 105, 110 = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 7). Darf eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode mangels positiver Empfehlung des GBA nicht als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, kann der GKV-Spitzenverband trotz seiner Autonomie bei der Erstellung des HMV folglich nicht verpflichtet werden, die allein zur Durchführung dieser Therapie einsetzbaren Geräte in das Verzeichnis aufzunehmen (BSGE 87, 105, 110 = SozR 3-2500 § 139 Nr 1 S 7).

28

b) Diese maßgeblich vor dem Hintergrund von Streitigkeiten über die Aufnahme eines Hilfsmittels in das HMV (§ 139 SGB V) entwickelten Grundsätze finden in gleichem Maße Anwendung, wenn - wie vorliegend - der Versicherte einen Anspruch aus § 33 SGB V geltend macht: Hat bei fehlender Empfehlung des GBA weder der Hersteller einen Anspruch auf Aufnahme des Produkts in das HMV noch darf die Methode als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, kann für den Anspruch des Versicherten nach § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V nichts anderes gelten. Diese Vorschrift setzt voraus, dass das Hilfsmittel "den Erfolg der Krankenbehandlung" sichern soll. Ebenso wie durch § 139 Abs 1 Satz 2 SGB V für den Bereich des HMV wird in § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGB V vorausgesetzt, dass die Behandlung als solche zunächst überhaupt nach § 135 Abs 1 SGB V anerkannt ist, also den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht.

29

In seinem Urteil vom 8.7.2015 im Verfahren B 3 KR 6/14 R - Juris (zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) hat der Senat näher dargelegt, dass die Methodenbewertung nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V durch den GBA Vorrang vor dem Aufnahmeverfahren nach § 139 SGB V hat, das der GKV-Spitzenverband durchführt. Hilfsmittel, die in untrennbarem Zusammenhang mit einer neuen Behandlungsmethode in der vertragsärztlichen Versorgung eingesetzt werden, sind danach sowohl leistungsrechtlich (§ 33 Abs 1 SGB V) wie leistungserbringungsrechtlich erst nach einer positiven Empfehlung des GBA zur Methode Gegenstand der Leistungspflicht der Krankenkassen.

30

c) Die für Versicherte und Leistungserbringer verbindliche Entscheidung über den Versorgungsumfang obliegt nach § 92 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 6 SGB V auch im Bereich der Hilfsmittel dem GBA, soweit er sich am allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zum diagnostischen oder therapeutischen Nutzen, der medizinischen Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit orientiert. Der Gesetzgeber setzt zudem in § 92 Abs 7d Satz 1 SGB V den Vorrang der Methodenbewertung durch den GBA voraus. Denn nach dieser Vorschrift ist bei Methoden, deren technische Anwendung maßgeblich auf dem Einsatz eines Medizinproduktes beruht, vor der Entscheidung über Richtlinien nach §§ 135, 137c und 137e SGB V auch den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Medizinproduktehersteller und den jeweils betroffenen Medizinprodukteherstellern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der GBA wird von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband gebildet (§ 91 Abs 1 SGB V), und sein Beschlussgremium besteht neben den von diesen zu benennenden Mitgliedern grundsätzlich aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Daneben sieht das Gesetz Beteiligungen zB von Leistungserbringern (vgl zB § 92 Abs 3a Satz 1, Abs 5 Satz 1, Abs 6 Satz 2, Abs 7 Satz 2, Abs 7a, Abs 7b Satz 1, Abs 7c, Abs 7d Satz 1 SGB V) und Patientenvertretern vor (vgl § 140f Abs 2 SGB V). Damit hat der Gesetzgeber dann, wenn es (auch) um die Bewertung des medizinischen Nutzens und der Wirtschaftlichkeit von Methoden geht, diese Aufgabe grundsätzlich dem GBA als einem Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung übertragen. Denn die Zuständigkeit des GBA verbürgt nach der Konzeption des Gesetzes die erforderliche Verbindung von Sachkunde und interessenpluraler Zusammensetzung, die es (auch) rechtfertigt, dem GBA im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die für jede Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsfreiheit zukommen zu lassen. Ist der Einsatz eines Hilfsmittels untrennbarer Bestandteil einer Behandlungsmethode, geht deshalb die Methodenanerkennung durch den GBA auch der Entscheidung des GKV-Spitzenverbandes nach § 139 Abs 4 SGB V systematisch vor. Davon geht schließlich auch der GBA selbst aus, der in § 6 Abs 11 seiner Hilfsmittel-Richtlinie die Verordnung eines Hilfsmittels ausschlossen hat, wenn es Bestandteil einer neuen, nicht anerkannten Behandlungsmethode nach § 135 SGB V ist.

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4. Bei der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung, in deren Rahmen das CGMS eingesetzt werden soll, handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode iS des § 135 Abs 1 SGB V, die in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem CGMS steht.

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a) Der Begriff der "Behandlungsmethode" beschreibt eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet, und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (BSGE 82, 233, 237 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 19; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN). "Neu" ist eine Behandlungsmethode grundsätzlich dann, wenn sie bislang nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21). Dem in § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 und § 135 Abs 1 SGB V verwendeten Begriff der "Behandlungsmethode" kommt jedoch eine umfassendere Bedeutung zu als dem Begriff der "ärztlichen Leistung" im EBM-Ä nach § 87 SGB V, da einzelne vertragsärztliche Leistungen oftmals nur Bestandteil eines methodischen Konzepts sind(BSGE 84, 247, 250 = SozR 3-2500 § 135 Nr 11 S 50). Setzt sich eine Behandlungsmethode aus einer Kombination verschiedener - für sich allein jeweils anerkannter oder zugelassener - Maßnahmen zusammen, kann es sich um eine neue Behandlungsmethode handeln, wenn das zugrunde liegende theoretisch-wissenschaftliche Konzept gerade in der neuartigen Kombination verschiedener Einzelleistungen liegt (vgl BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 26). Es kommt dann darauf an, ob die im EBM-Ä bereits enthaltenen ärztlichen Einzelleistungen oder bereits zugelassene Behandlungsmethoden eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren (BSGE 81, 54, 57 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 12 f mwN; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 sowie BSG Urteil vom 2.9.2014 - B 1 KR 3/13 R - SozR 4-2500 § 28 Nr 8 RdNr 21, auch für BSGE vorgesehen; vgl auch § 2 Abs 1 Kap 2 der Verfahrensordnung des GBA, sowie Schmidt-De Caluwe in Becker/Kingreen, SGB V, 4. Aufl 2014, § 135 RdNr 7).

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b) Um zu beurteilen, welche Änderungen oder Erweiterungen wesentlich sind, bedarf es einer Orientierung am Schutzzweck des § 135 Abs 1 SGB V. Nach § 135 Abs 1 SGB V hat der GBA "Empfehlungen abzugeben über
1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,
2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und
3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung."
Danach dient die Notwendigkeit einer solchen Empfehlung, bevor eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode zu Lasten der GKV erbracht werden darf, der Sicherung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen. Neue medizinische Verfahren dürfen zum Schutz der Patienten nicht ohne hinreichende Prüfung ihres diagnostischen bzw therapeutischen Nutzens und etwaiger gesundheitlicher Risiken in der vertragsärztlichen Versorgung angewandt werden, und im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot darf die Leistungspflicht der GKV nicht auf unwirksame oder unwirtschaftliche Untersuchungs- und Behandlungsverfahren ausgedehnt werden (BSGE 81, 54, 58 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 13 f).

34

Eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren bereits im EBM-Ä enthaltene ärztliche Leistungen oder zu Lasten der GKV abrechnungsfähige Methoden mithin insbesondere dann, wenn sich der diagnostische bzw therapeutische Nutzen aus einer bisher nicht erprobten Wirkungsweise der Methode ergeben soll oder wenn mit der Methode gesundheitliche Risiken verbunden sein könnten, denen bisher nicht nachgegangen wurde. Eine neue Wirkungsweise und bisher nicht erforschte Risiken können sich auch aus der Komplexität der Methode oder ihres technischen Ablaufs ergeben (vgl BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 20).

35

c) In Anwendung dieser Maßstäbe ist vorliegend eine neue Behandlungsmethode betroffen. Abzustellen ist auf das konkrete Verfahren “kontinuierliche interstitielle Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus“. Im EBM-Ä sind zwar Positionen zur Messung des Parameters Glukose im Rahmen der allgemeinen Laborleistungen vorgesehen (etwa in den GOP 32025 und GOP 32057), Positionen für die subkutane Messung des Glukosewertes finden sich jedoch ebenso wenig wie anderweitige Positionen betreffend die hier zugrunde liegende Behandlungsmethode. Bei der kontinuierlichen Glukosemessung im Unterhautfettgewebe zur Steuerung einer insulinpflichtigen Diabetestherapie handelt es sich daher um eine neuartige Kombination verschiedener Einzelleistungen. Denn im Vergleich zu den herkömmlichen Diabetestherapien bringt dieses Verfahren wesentliche Änderungen mit sich.

36

Weder bei der konventionellen noch bei der intensivierten Therapieform erfolgen kontinuierliche Glukosemessungen. Die Leitlinien empfehlen bei einem Typ-1-Diabetes generell mindestens viermal täglich (vor den Mahlzeiten und vor dem Zubettgehen) eine Glukosemessung durchzuführen. Häufigere Messungen können unter anderem vor und nach intensiver körperlicher Bewegung/Sport und auf Reisen angezeigt sein (Ziffer 9.1, Empfehlung 9.2 der Leitlinie). Darüber hinaus werden mit den herkömmlichen Messungen die Glukosewerte im Blut bestimmt, während mit den von der Klägerin begehrten Messgeräten die Glukosewerte mittels eines Sensors im Unterhautfettgewebe ermittelt werden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass auch bei Einsatz der CGM-Geräte auf die Messung von Blutzuckerwerten nicht verzichtet werden kann, weil die CGM-Geräte mittels der Blutzuckerwerte kalibriert werden müssen (dies betonen auch die Hersteller: etwa http://www.medtronic.de/erkrankungen/diabetes/produkt/kontinuierliches-glukosemonitoring/minimed-veo-system/index.htm, letzter Abruf am 8.5.2015); die Zahl der Blutzuckermessungen kann aber wesentlich verringert werden. Schließlich sendet das von der Klägerin beschaffte Gerät die Glukosewerte per Funk an die Veo-Insulinpumpe, so dass die Ausschüttung von Insulin sogleich über dieses System gesteuert wird.

37

Bei dem zuletzt genannten Aspekt ist ohne Weiteres ersichtlich, dass damit gesundheitliche Risiken verbunden sein können, denen bisher nicht nachgegangen wurde. Denn bei der herkömmlichen, anerkannten Insulinpumpentherapie wird die Insulinzufuhr ausschließlich vom Arzt oder Anwender auf der Basis von Blutzuckermessungen reguliert. Die Wirkungsweise einer automatischen Steuerung der von der Pumpe abgegebenen Insulinmenge auf der Grundlage kontinuierlicher Glukosemessungen im Interstitium ist bisher nicht abschließend vom GBA geprüft worden. Bei einer solchen Prüfung wird es insbesondere um die Verlässlichkeit der Glukosemessungen im Unterhautfettgewebe und die damit in Verbindung gebrachte, im Vergleich zu den Blutzuckerwerten um 5 bis 30 Minuten verzögerte Anzeige des Zuckergehaltes, aber auch um die Zuverlässigkeit der Kalibrierung der Geräte mithilfe der Blutzuckerwerte gehen müssen.

38

Aber auch ohne Kopplung des Systems mit der Insulinpumpe und ohne automatische Regelung der Insulinzufuhr ist das Verfahren für die Patienten nicht nur mit Vorteilen, sondern auch mit Risiken verbunden. Dies gilt schon deshalb, weil die Patienten sich auf die kontinuierliche Messung der Glukosewerte verlassen und daher selbst nur noch sehr viel seltener konventionelle Blutzuckermessungen vornehmen werden. Selbst wenn dies im Einzelfall über entsprechende Anweisungen des Arztes ausgeschlossen und die CGM-Geräte ausschließlich zusätzlich zu den herkömmlichen Blutzuckermessungen eingesetzt würden, bliebe aber vor allem der Gesichtspunkt des diagnostischen Nutzens insbesondere im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot zu prüfen. Es liegt nahezu auf der Hand, dass eine kontinuierliche interstitielle Glukosemessung nicht für alle Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes im Vergleich oder zusätzlich zu den herkömmlichen Blutzuckermessungen medizinische Vorteile bietet. So lässt sich der S3-Leitlinie entnehmen, dass bisher nicht ausreichend belegt sei, dass "die Anwendung der kontinuierlichen Glukosemessung zu einer Senkung des HbA1c-Wertes führt". Hinweise auf einen entsprechenden Nutzen bei Erwachsenen mit guter Adhärenz müssten danach in weiteren Studien bestätigt werden. Zudem liege für die Senkung der Hypoglykämierate widersprüchliche Evidenz vor (Ziffer 9.1, Empfehlung 9-3 der vorgenannten Leitlinie). Zwar wird sodann unter dem Punkt: Hintergrund und Evidenz zu Statement 9-3 ausgeführt, dass anhand einer Gesamtschau der vorliegenden Studien festgestellt werden könne, dass sich für die CGM Hinweise für eine mögliche Senkung des HbA1c-Wertes bei Erwachsenen zeigten, während für die Verbesserung von Hypoglykämien keine eindeutige Evidenz vorliege und auch keine Evidenz zur Verbesserung von Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen identifiziert werden könne.

39

Zusammenfassend wird damit deutlich, dass die Verwendung von CGM insbesondere dann Risiken birgt, wenn - wie im Fall der Klägerin - die Insulinpumpe automatisch über diese Geräte gesteuert wird und herkömmliche Blutzuckermessungen - wie vorgesehen - weitgehend entfallen und nur noch zur Kalibrierung der Geräte durchgeführt werden. Werden die CGM lediglich zusätzlich zum herkömmlichen Verfahren verwendet, ist ein medizinischer Vorteil der zusätzlichen kontinuierlichen Messungen - und insbesondere der Patientenkreis, für den dieses Verfahren tatsächlich einen zusätzlichen medizinischen Nutzen mit sich bringen könnte - bisher noch nicht abschließend mit hinreichender Evidenz festgestellt. Es ist auch nicht Aufgabe der Gerichte, sondern ausschließlich Aufgabe des GBA, mittels entsprechender (positiver oder negativer) Empfehlungen über einen hinreichend belegten medizinischen Nutzen einer neuen Methode zu entscheiden. Die Ausführungen zeigen lediglich, dass ein Entscheidungsbedarf des GBA besteht, es sich also - im Vergleich zu den herkömmlichen Methoden - um eine "neue" Untersuchungs- bzw Behandlungsmethode handelt.

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d) Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zur Entscheidung des Senats vom 15.3.2012 (B 3 KR 2/11 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 38 - Matratzen-Encasings). Soweit der Senat danach den Instanzengerichten aufgibt, die objektive und subjektive Erforderlichkeit des Hilfsmittels zur Sicherung einer Krankenbehandlung nach dem aktuellen, allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu ermitteln (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 21), ist daraus für den vorliegenden Fall nicht abzuleiten, dass die kontinuierliche interstitielle Glukosemessung mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Versicherten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus keiner positiven Bewertung durch den GBA bedürfe, sondern es für den Anspruch auf das begehrte CGMS genüge, wenn die genannten Maßstäbe erfüllt seien.

41

Der Verwendung von Matratzen-Encasings lag nämlich keine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode zugrunde, sondern es sollte vielmehr ein bestimmtes Hilfsmittel (Matratzen-Encasing) losgelöst von einer solchen Behandlungsmethode zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung eingesetzt werden. Der Einsatz der Encasings dient allein dazu, den Patienten besser vor der Exposition von allergieauslösenden Substanzen zu schützen, also der Allergiekarenz (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 38 RdNr 17). Der Umhüllung der Matratzen liegt kein eigenständiges therapeutisches Konzept zugrunde, sondern allein die Minderung des Kontaktes zwischen Patienten und allergenen Noxen. Folgerichtig hat der Senat auch in seiner Entscheidung zu der Hilfsmitteleigenschaft von Hüftprotektoren (BSGE 103, 66 = SozR 4-2500 § 33 Nr 22) § 135 Abs 1 SGB V nicht erwähnt, sondern allein geprüft, ob die Versorgung mit Protektoren der Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung durch Vermeidung der Auswirkungen von Stürzen dient. Dass der Senat dies bei den Hüftprotektoren verneint und bei der Encasing bejaht hat, beruht auf den unterschiedlichen Zielsetzungen beider Produkte: die Encasings schützen den Patienten im Zusammenhang mit einer schon vorhandenen, zu behandelnden Erkrankung und die Protektoren schützen nur vor den Folgen eines Sturzes, ohne auf die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Sturzes irgendeinen Einfluss zu haben. Gemeinsam haben beide Produkte, dass ihr Einsatz nicht Teil eines auf eine bestimmte Erkrankung bezogenen umfassenden Behandlungskonzeptes ist bzw mit einer solchen in einem allenfalls losen Zusammenhang steht. Die Vermeidung von Allergien ist Zweck der Verwendung von Encasings; er steht unabhängig davon, ob die Grunderkrankung des Patienten auch mit anderen Maßnahmen behandelt werden muss. Das ist bei der CGM nicht der Fall: allein die Messung des Glukosegehaltes zu einem bestimmten Zeitpunkt stellt für sich genommen keine Krankenbehandlung dar, sondern ist notwendiger Teil einer solchen. Die Information über den Zuckergehalt setzt Arzt und Patient in den Stand, die erforderlichen Maßnahmen (Aufnahme bestimmter Nahrungsmittel, Insulinzufuhr, Neueinstellung des Patienten durch den Arzt) der Diabetesbehandlung zu ergreifen. Das Ziel der Vermeidung von Hypoglykämien wird durch das CGMS unterstützt, ist jedoch nicht mit dessen Wirkung gleichzusetzen.

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5. Die Behandlungsmethode der "kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung" darf auch nicht ausnahmsweise ohne positive Empfehlung des GBA im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eingesetzt werden. Selbst wenn möglicherweise vieles dafür spricht, dass die neue Methode für einen bestimmten Patientenkreis überwiegend vorteilhaft und - zumindest solange zusätzlich auf die herkömmlichen Blutzuckermessungen nicht verzichtet und die Insulinpumpe nicht automatisch über das System gesteuert wird - auch mit keinen weiteren Risiken verbunden ist, kann eine neue Methode grundsätzlich erst nach einer positiven Empfehlung des GBA gewährt werden. Denn es kommt nicht nur auf die gesundheitlichen Risiken, sondern insbesondere im Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot auch auf den diagnostischen bzw therapeutischen Nutzen der Methode an, der zuerst hinreichend belegt sein muss. Einheitlich für alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmt § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V hierzu, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Die auch mit wertenden Nutzen-Risiko-Abwägungen verbundene Feststellung, ob die Leistung diesem Erkenntnisstand hinreichend gerecht wird (vgl hierzu zB Roters, SGb 2015, 413 ff), obliegt grundsätzlich dem GBA.

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Ein Ausnahmefall, in dem eine Behandlungsmethode ausnahmsweise ohne positive Empfehlung des GBA zur Versorgung in der GKV zuzulassen ist, liegt nicht vor. Eine solche Ausnahme regelt inzwischen § 2 Abs 1a SGB V, wonach Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung (und damit eine Leistung, deren Qualität und Wirksamkeit entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse noch nicht feststeht) beanspruchen können, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Damit hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BVerfG im sog Nikolausbeschluss vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) aufgegriffen und gesetzlich fixiert (vgl zusammenfassend ferner BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 ff mwN). Ferner ist eine Ausnahme für sog Seltenheitsfälle anerkannt, die sich einer systematischen Erforschung entziehen (vgl etwa BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 mwN; BSGE 100, 104 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 30), und schließlich für den Fall, dass der GBA dem in § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzten Auftrag nicht gerecht geworden ist, selbst für eine Aktualisierung der Richtlinien Sorge zu tragen(vgl BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 17 ff mwN).

44

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Zwar handelt es sich bei einer Diabeteserkrankung um eine schwerwiegende Erkrankung, die die Lebensqualität der Klägerin nicht unerheblich beeinträchtigt. Es geht aber weder um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende noch um eine wertungsmäßig mit einer solchen Krankheit vergleichbare Erkrankung. Zudem existiert jedenfalls eine dem medizinischen Standard entsprechende Therapie. Es handelt sich auch nicht um eine besonders seltene Erkrankung. Ferner findet sich kein Anhaltspunkt für eine willkürlich oder ansonsten mit dem Aktualisierungsauftrag des GBA unvereinbar verzögerte Handhabung des Verfahrens nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V. Gegen eine rechtswidrige Verfahrensverzögerung spricht vielmehr, dass aktuell eine Prüfung durch den GBA erfolgt. Mit Beschluss vom 24.11.2011 hatte der GBA den Antrag des GKV-Spitzenverbandes vom 14.7.2011 auf Bewertung der CGM mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus gemäß § 135 Abs 1 SGB V angenommen und das Beratungsverfahren eingeleitet. Gleichzeitig wurde der Unterausschuss Methodenbewertung mit der Durchführung der Bewertung beauftragt. Mit Schreiben vom 23.11.2012 hat der GBA das IQWiG mit der Bewertung der CGM mit Real-Time-Messgeräten zur Therapiesteuerung bei Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus beauftragt. Der Vorbericht wurde am 21.7.2014 veröffentlicht (abrufbar unter: https://www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/projekte/nichtmedikamentoese-verfahren/d12-01-kontinuierliche-interstitielle-glukosemessung-cgm-mit-real-time-messgeraten-bei-insulinpflichtigem-diabetes-mellitus.3258.html; letzter Abruf am 8.5.2015), der Abschlussbericht wurde am 26.3.2015 an den GBA versandt und am 21.5.2015 veröffentlicht. Das Verfahren wird folglich von dem GBA betrieben. Eine rechtswidrige Verzögerung ist nicht erkennbar.

45

Da die von der Klägerin selbst beschafften Hilfsmittel im Rahmen einer neuen Behandlungsmethode iS von § 135 Abs 1 SGB V eingesetzt werden, sind diese von der Sperrwirkung dieser Norm erfasst. Mangels positiver Empfehlung durch den GBA hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Sachleistung und damit auch nicht auf Erstattung der Kosten für das selbstbeschaffte Hilfsmittel nach § 13 Abs 3 SGB V.

46

6. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Ausstattung mit dem CGMS nach § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 3 SGB V, also zum Ausgleich einer Behinderung. Ein Behinderungsausgleich kann mit dem begehrten Hilfsmittel nur erzielt werden, wenn es im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eingesetzt werden darf, und dazu bedarf es zunächst einer positiven Empfehlung des GBA zu der zugrunde liegenden Behandlungsmethode. Nach den obigen Ausführungen ist der Einsatz des Hilfsmittels gerade nicht von der zugrunde liegenden Behandlungsmethode zu trennen. Eine vom therapeutischen Nutzen unabhängige Funktion des CGMS zum Ausgleich einer Behinderung ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

47

7. Ein Anspruch auf das Hilfsmittel kommt auch nach § 33 Abs 1 Satz 1 Alt 2 SGB V, dh zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung, nicht in Betracht, solange der GBA den therapeutischen Nutzen der zugrunde liegenden Behandlungsmethode nicht positiv bewertet hat. Denn ohne eine positive Empfehlung des GBA kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Einsatz des Hilfsmittels - unter Berücksichtigung möglicher Risiken und des Wirtschaftlichkeitsgebots - positive Wirkungen in Bezug auf Spätfolgen oder Folgeerkrankungen des Diabetes mit sich bringt und deshalb zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung objektiv geeignet sein könnte.

48

8. Das Urteil des LSG leidet auch nicht an einem Verfahrensmangel. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung der richterlichen Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) liegt nicht vor. Eine Verletzung des § 103 SGG setzt voraus, dass sich das Tatsachengericht auf der Grundlage seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung zur Sach- und Rechtslage hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen(vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 34 S 50; BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 28 mwN). Nach Auffassung des LSG scheiterte der Anspruch der Klägerin an der fehlenden positiven Empfehlung des GBA gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V. Auf den Inhalt der Beratungsunterlagen und Protokolle der Sitzungen des GBA kam es aus Sicht des LSG folglich nicht an, da auch eine im Sinne der Klägerin (vorläufige) positive Stellungnahme die fehlende formelle Methodenentscheidung nach § 135 Abs 1 SGB V nicht ersetzen könnte. Hieran vermag der Einwand, dass es unterschiedliche Meinungen zur rechtlichen Einordnung des begehrten CGMS gebe, nichts zu ändern. Die rechtliche Bewertung, ob es sich bei dem CGMS um eine "neue" Untersuchungs- oder Behandlungsmethode handelt, obliegt allein dem Gericht und konnte von diesem auf der Grundlage der ihm bekannten Tatsachen über die Funktionsweise des CGMS vorgenommen werden. Insoweit ist nicht ersichtlich, welche weiteren Tatsachen zur Aufklärung des Sachverhaltes sich aus der Hinzuziehung der eingangs genannten Unterlagen hätten ergeben können. Derartige Tatsachen hat die Klägerin auch nicht benannt.

49

9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Oktober 2011 und des Sozialgerichts Aachen vom 29. September 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2009 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den Kosten der ambulant durchgeführten hyperbaren Sauerstofftherapie in Höhe von 6994,44 Euro freizustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Freistellung von Kosten einer ambulant durchgeführten hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO-Therapie).

2

Die am 1.5.1960 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet unter Diabetes mellitus Typ I mit Verschluss aller originären Unterschenkelgefäße im Bereich des oberen Sprunggelenks. Deshalb bildeten sich bei ihr im Februar 2009 trockene Nekrosen an Zehen des linken Fußes (pAVK im Stadium IV links, ischämisches diabetisches Fußsyndrom). Die Klinik für Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Aachen diagnostizierte massive arteriosklerotische Veränderungen. Eine geplante Bypassimplantation fand daraufhin nicht statt. Eine Wunde im OP-Bereich tendierte auch nach Antibiotikagabe nicht zur Heilung. Die Klägerin beantragte über das nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene HBO-Zentrum E (HBO-Zentrum), die Kosten für eine HBO-Therapie im Rahmen ambulanter Behandlung zu übernehmen (ärztliches Schreiben vom 2.5.2009). Die HBO-Therapie (Einatmung von 100 % medizinisch reinem Sauerstoff unter erhöhtem Umgebungsdruck für definierte Zeiträume und Intervalle) erfolgt in der Regel in HBO-Zentren mit erforderlichen Druckkammern und ärztlich geleitetem Behandlungsteam. Die Klägerin führte aus, die HBO-Therapie stelle für sie - nach Ausschöpfung aller gefäßchirurgischen Möglichkeiten - die letzte Chance dar, eine Abheilung der OP-Wunde zu erreichen und eine Amputation im Unterschenkelbereich zu vermeiden. Das diabetische Fußsyndrom befinde sich im Übergang zum Stadium Wagner III, wobei lediglich die begleitende Knochenbeteiligung für das Stadium III noch nicht radiologisch nachgewiesen sei, sich aber innerhalb der nächsten Tage einstellen werde. Sie bedürfe keiner stationären Behandlung, da sie sich in einem guten Allgemeinzustand befinde und noch relativ jung sei. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 8.5.2009; Widerspruchsbescheid vom 3.7.2009). Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe entschieden, dass die HBO-Therapie nicht als ambulante vertragsärztliche Leistung erbracht werden dürfe. Die Klägerin unterzog sich 20 ambulanten HBO-Behandlungen im HBO-Zentrum (25.5.2009 bis 22.6.2009, Rechnung vom 10.7.2009 über 3885,80 Euro). Die Klinik für Plastische Chirurgie, Hand- und Verbrennungschirurgie des Universitätsklinikums Aachen behandelte die Klägerin wegen zweier nekrotisierender Zehenglieder stationär (23.6.2009 bis 6.7.2009). Sie führte die HBO-Therapie in 9 Sitzungen im HBO-Zentrum als Teil der stationären Behandlung fort. Die Klägerin ließ anschließend im HBO-Zentrum 16 weitere Behandlungen ambulant durchführen (7.7.2009 bis 31.7.2009, Rechnung vom 15.8.2009 über 3108,64 Euro). Das HBO-Zentrum stundet ihr seitdem die Rechnungsbeträge bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Freistellungsanspruch.

3

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.9.2009). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Die ambulante HBO-Therapie gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der GBA habe sie nicht für die vertragsärztliche Versorgung empfohlen. Er habe die HBO-Therapie im Krankenhaus nur unter einschränkenden Kriterien als zu Lasten der GKV erbringbare Leistung qualifiziert (Beschluss vom 13.3.2008). Die erneute Einleitung eines Prüfverfahrens sei nicht rechtswidrig unterblieben (Urteil vom 6.10.2011).

4

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung aus Art 20 Abs 3 GG. Eine stationäre Behandlung sei in ihrem Falle nicht medizinisch notwendig. Ihr sei auch ein Abwarten nicht zuzumuten, bis eine Verschlimmerung eingetreten sei, die eine stationäre Behandlung erfordere. § 226 Abs 1 StGB belege, dass der drohende Verlust eines Fußes - als wichtiges Körperglied - wertungsmäßig mit einer drohenden Erblindung gleichzustellen sei, die zu einer grundrechtsorientierten Auslegung führe.

5

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Oktober 2011 und des Sozialgerichts Aachen vom 29. September 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von den Kosten der ambulant durchgeführten hyperbaren Sauerstofftherapie in Höhe von 6994,44 Euro freizustellen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. Oktober 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

8

Der Senat hat Beweis erhoben durch eine Auskunft des GBA. Der GBA hat ausgeführt, die in Rede stehende Ausnahme von einem Verbot nach § 137c SGB V für die adjuvante Anwendung der HBO-Therapie bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom im Stadium größer/gleich Wagner III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie führe nach § 137c SGB V zur Erlaubnis im stationären Bereich, nicht aber nach § 135 SGB V für die vertragsärztliche Versorgung. Dies sei Folge des gesetzlichen Regelungsansatzes.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Die Urteile des LSG und des SG sowie die Bescheide der beklagten KK sind aufzuheben. Die Vorinstanzen haben die - zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG)verfolgte - Klage auf Freistellung zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Freistellung von 6994,44 Euro Kosten der in der Zeit vom 25.5. bis 22.6.2009 und vom 7. bis 31.7.2009 ambulant im HBO-Zentrum durchgeführten adjuvanten HBO-Therapie.

10

Rechtsgrundlage des Kostenfreistellungsanspruchs ist § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V(hier anzuwenden idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Die Rechtsnorm bestimmt: "Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Ein Anspruch auf Kostenerstattung ist demnach nur gegeben, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind (vgl zum Ganzen: BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 20 RdNr 25; E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung Bd 1, 19. Aufl, Stand 1.1.2012, § 13 SGB V RdNr 233 ff): Bestehen eines Primärleistungs-(Naturalleistungs-)anspruchs der Versicherten und dessen rechtswidrige Nichterfüllung, Ablehnung der Naturalleistung durch die KK (dazu insgesamt 1.), Selbstbeschaffung einer entsprechenden Leistung durch die Versicherte (dazu 2.), Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung, Notwendigkeit der selbst beschafften Leistung (dazu insgesamt 3.) und (rechtlich wirksame) Kostenbelastung durch die Selbstbeschaffung (dazu 4.).

11

1. Der Kostenfreistellungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN - LITT; BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr 15; vgl zum Ganzen: E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, 19. Aufl, 78. Lfg, Stand: 1.1.2012, § 13 SGB V RdNr 233 ff). Die Klägerin hatte 2009 Anspruch gegen die Beklagte auf eine ambulante Behandlung ihres diabetischen Fußsyndroms im Stadium Wagner III mit HBO (zum Individualanspruch Versicherter vgl BSG Beschluss vom 7.11.2006 - B 1 KR 32/04 R - RdNr 54, GesR 2007, 276; E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, 19. Aufl, Stand 1.1.2012, § 13 SGB V RdNr 53 f).

12

a) Die Beklagte war nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V der Klägerin zur Gewährung ärztlicher Behandlung verpflichtet, die vom Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst ist. Versicherte wie die Klägerin haben gemäß § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit - hier das diabetische Fußsyndrom im Stadium Wagner III - zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

13

Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch einer Versicherten unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die KKn sind nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn eine begehrte Therapie nach eigener Einschätzung der Klägerin oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der GKV umfasst sein. Dies ist bei - wie hier - neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs 1 S 1 SGB V grundsätzlich nur dann der Fall, wenn zunächst der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat und der Bewertungsausschuss sie zudem zum Gegenstand des einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM) gemacht hat(vgl zB BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 17 RdNr 14; BSGE 88, 126, 128 = SozR 3-2500 § 87 Nr 29; Hauck, NZS 2007, 461, 464 mwN). Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der KKn erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den KKn geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (vgl BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 12 - LITT; BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr 16, stRspr).

14

Die Richtlinien des GBA sind in der Rechtsprechung des BSG seit Langem als untergesetzliche Rechtsnormen anerkannt. Ihre Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten steht außer Frage (vgl § 91 Abs 9 SGB V idF des Art 1 Nr 70 Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14.11.2003, BGBl I 2190; jetzt § 91 Abs 6 SGB V idF des Art 2 Nr 14 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007, BGBl I 378). Das BSG zieht die Verfassungsmäßigkeit dieser Art der Rechtsetzung nicht mehr grundlegend in Zweifel. Es behält sich aber vor, die vom GBA erlassenen, im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden normativen Regelungen formell und auch inhaltlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte, wenn und soweit hierzu aufgrund hinreichend substantiierten Beteiligtenvorbringens konkreter Anlass besteht (stRspr; vgl grundlegend BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 14 ff mwN - LITT; siehe auch zB BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 26 mwN).

15

Die Behandlung mit hyperbarem Sauerstoff beim diabetischen Fußsyndrom ist eine ärztliche "Behandlungsmethode" im Sinne der GKV. Ärztliche "Behandlungsmethoden" im Sinne der GKV sind nämlich medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl zB BSGE 82, 233, 237 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 - Jomol; vgl auch BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 mwN; BSG SozR 3-5533 Nr 2449 Nr 2 S 9 f; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 17; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN). Die Methode ist auch "neu", weil sie zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im EBM enthalten war (vgl zum Merkmal "neu" BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN). Als nicht vom GBA empfohlene neue - sogar durch Beschluss vom 10.4.2000 (BAnz Nr 128 vom 12.7.2000, S 13396, und BAnz Nr 22 vom 1.2.2001, S 1505) explizit von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossene - Methode ist die ambulante HBO-Therapie grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der GKV (vgl Anlage II Nr 16 der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung in der seinerzeit geltenden Fassung vom 17.1.2006, BAnz Nr 48 vom 9.3.2006, S 1523, geändert am 19.6.2008/1.12.2008, BAnz Nr 124 vom 19.8.2008, S 3018 und Nr 197 vom 30.12.2008, S 4749).

16

b) Die ambulante adjuvante Behandlung des diabetischen Fußsyndroms im Stadium ab Wagner III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie mit HBO im Jahre 2009 ist aber als Ausnahmefall wegen Systemversagens in den GKV-Leistungskatalog einbezogen, ohne dass es einer positiven Empfehlung des GBA und einer Aufnahme der Methode in den EBM bedarf. Der GBA verstieß gegen höherrangiges Recht (vgl zu dieser Voraussetzung zB BSGE 88, 62, 67 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 3), weil er objektiv willkürlich das sektorenübergreifende Prüfverfahren 2008 nicht auf eine Empfehlung dieser Methode bei der genannten Indikation für die vertragsärztliche Versorgung erstreckte. In solchen Fällen gibt § 13 Abs 3 S 1 SGB V Versicherten ua das Recht, von ihrer KK zu verlangen, von den Kosten der betreffenden Leistung freigestellt zu werden, wenn sie notwendig ist(vgl dazu BSGE 88, 62, 74 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 3; Hauck, NZS 2007, 461, 464). Die Grundsätze, die die Rechtsprechung für ein Systemversagen entwickelt hat, greifen ergänzend zur gesetzlichen Regelung bei verzögerter Bearbeitung eines Antrags auf Empfehlung einer neuen Methode ein (vgl § 135 Abs 1 S 4 und 5 SGB V idF des Art 1 Nr 105 Buchst b GKV-WSG, BGBl I 378; Hauck, NZS 2007, 461, 464). Der erkennende Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des 6. Senats des BSG zur HBO ab (vgl hierzu BSGE 110, 245 = SozR 4-1500 § 55 Nr 12, unzulässige Klage betreffend die Aufnahme der HBO-Therapie in die Anlage I der RL Methoden vertragsärztliche Behandlung des GBA für die Indikationen "akutes Knalltrauma" und "Hörsturz mit/ohne Tinnitus").

17

aa) Eine Leistungspflicht der KK wegen Systemversagens kann nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ausnahmsweise ungeachtet des in § 135 Abs 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen die in § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden(vgl BSGE 81, 54, 65 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 21; BSG SozR 3-2500 § 92 Nr 12 S 70: "rechtswidrige Untätigkeit des Bundesausschusses"; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 - Neuropsychologische Therapie; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 18 f mwN - LITT).

18

Zu einem Systemversagen kann es kommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß betrieben wird und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (vgl BSGE 81, 54, 65 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 - Immunbiologische Therapie; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 - Neuropsychologische Therapie; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 - ICL, jeweils mwN). In einem derartigen Fall widersprechen die einschlägigen RL einer den Anforderungen des Qualitätsgebots (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V)genügenden Krankenbehandlung. Es fordert, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen haben, welche sich wiederum in zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen niedergeschlagen haben, und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen müssen (stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 18 f mwN - LITT).

19

bb) Ein solcher Fall des Systemversagens liegt hier vor. Der GBA führte das Prüfverfahren 2008 mit Wirkung vom 13.11.2008 objektiv willkürlich nicht zu einer Empfehlung der ambulanten adjuvanten HBO-Therapie als neue Methode für die vertragsärztliche Versorgung bei diabetischem Fußsyndrom im Stadium ab Wagner III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie.

20

Der Bundesausschuss überprüfte rechtmäßig auf Antrag der Spitzenverbände der KK (5.11.2001) zunächst im Ausschuss Krankenhaus gemäß § 137c SGB V und ab 2004 als GBA die HBO-Therapie. Rechtmäßig ließ der GBA den Nutzen und die medizinische Notwendigkeit der HBO-Therapie sektorenübergreifend von der Themengruppe "HBO" bewerten (vgl zur Entwicklung § 7 Verfahrensordnung GBA idF vom 20.9.2005, BAnz Nr 244 vom 24.12.2005, S 16998, geändert mit Beschluss vom 18.4.2006, BAnz Nr 124 vom 6.7.2006, S 4876; Kap 1 § 7 und Kap 2 § 7 Abs 1 Buchst a VerfO GBA idF vom 18.12.2008, BAnz Nr 84a vom 10.6.2009, zuletzt geändert am 18.10.2012, BAnz AT 5.12.2012 B3). Im Ergebnis beschloss er rechtmäßig, § 4 der RL zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus(RL Methoden Krankenhausbehandlung) zu ergänzen. Die Regelung bestimmt Methoden, die von der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung im Rahmen von Krankenhausbehandlung grundsätzlich ausgeschlossen sind. Der GBA fügte folgende Nummer 2.6 an (Beschluss des GBA vom 13.3.2008, BAnz Nr 172 vom 12.11.2008 S 4072, mit Wirkung vom 13.11.2008): "Hyperbare Sauerstofftherapie beim diabetischen Fußsyndrom als alleinige Therapie oder in Kombination. Unberührt von diesem Ausschluss bleibt die adjuvante Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom in Stadium Wagner ≥ III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie."

21

Der Beschluss erfolgte auf der Grundlage eines ordnungsgemäßen Verfahrens und einer umfassenden Recherche und Auswertung der wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Er stützte sich vertretbar auf die Beurteilung, dass eine HBO bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom bis zum Stadium Wagner kleiner oder gleich II nicht erforderlich ist, aber nach Ausschöpfung der Standardtherapie ab einem höheren, über Wagner II hinausgehenden Stadium ohne angemessene Heilungstendenz in der adjuvanten Anwendung zu Lasten der GKV angemessen ist. Vergleichbar entschied für die USA das Center for Medicare & Medicaid Services (vgl zum Ganzen die zusammenfassende Dokumentation des GBA vom 13.11.2008, S A-4). Der Beschluss besagt nach seinem objektiven Gehalt, dass die adjuvante HBO-Anwendung nach generellen Kriterien im genannten Indikationsbereich dem Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V)genügt. Der Aussagegehalt des Beschlusses ergibt sich insbesondere aus dem Zusammenspiel des Qualitätsgebots mit § 137c Abs 1 SGB V und der Dokumentation des GBA.

22

Nach der Regelung in § 137c Abs 1 SGB V(hier anzuwenden idF durch Art 1 Nr 106 GMG vom 14.11.2003, BGBl I 2190 mWv vom 1.1.2004 und idF durch Art 1 Nr 112 GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378 mWv 1.7.2008; seit 1.1.2012 idF durch Art 1 Nr 54 Buchst a DBuchst aa Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983) überprüft der GBA nach § 91 SGB V auf Antrag Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zu Lasten der KKn im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt werden sollen, daraufhin, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. Ergibt die Überprüfung, dass die Methode nicht den Kriterien nach Satz 1 entspricht, erlässt der GBA eine entsprechende Richtlinie. Ab dem Tag des Inkrafttretens einer Richtlinie darf die ausgeschlossene Methode im Rahmen einer Krankenhausbehandlung nicht mehr zu Lasten der KKn erbracht werden; die Durchführung klinischer Studien bleibt unberührt (vgl § 137c Abs 2 S 2 SGB V).

23

Diese Regelung des § 137c SGB V darf nicht über ihren Wortlaut hinaus im Sinne einer generellen Erlaubnis aller beliebigen Methoden für das Krankenhaus bis zum Erlass eines Verbots nach § 137c SGB V ausgelegt werden. Sie normiert vielmehr einen bloßen Verbotsvorbehalt (stRspr, vgl unter Berücksichtigung aller Auslegungsmethoden grundlegend BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 51 ff; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 23; BSG Urteil vom 18.12.2012 - B 1 KR 34/12 R - RdNr 34 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 137 Nr 2 vorgesehen; Clemens, MedR 2012, 769; aA Felix, SGb 2009, 367 und öfter, zB NZS 2012, 1, 7 mwN in Fn 91; dieselbe/Deister, NZS 2013, 81, 87 f). Sie setzt die Geltung des alle Naturalleistungsbereiche erfassenden Qualitätsgebots (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) auch im stationären Bereich nicht außer Kraft. Gegenteiliges bedeutete, unter Missachtung des Zwecks der GKV (vgl § 1 S 1 SGB V)die Einheit der Rechtsordnung zu gefährden. Eine Krankenhausbehandlung, die nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt und deshalb für den Patienten Schadensersatzansprüche sowie für den Krankenhausarzt strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, muss nicht von den KKn bezahlt werden (vgl näher Hauck, NZS 2007, 461, 466 ff; rechtspolitisch kritisch zum Regelungskonzept der §§ 135, 137c SGB V: GBA, Stellungnahme zum GKV-WSG, 14. BT-Ausschuss, Ausschuss-Drucks 0129(9), S 9; Hess, KrV 2005, 64, 66 f).

24

§ 137c SGB V bewirkt vor diesem Hintergrund lediglich, dass - anders als für den Bereich der vertragsärztlichen Leistungen - der GBA nicht in einem generalisierten, zentralisierten formalisierten Prüfverfahren vor Einführung neuer Behandlungsmethoden im Krankenhaus deren Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit überprüft. Die Prüfung der eingesetzten Methoden im zugelassenen Krankenhaus erfolgt vielmehr bis zu einer Entscheidung des GBA nach § 137c SGB V individuell, grundsätzlich also zunächst präventiv im Rahmen einer Binnenkontrolle durch das Krankenhaus selbst, sodann retrospektiv im Wege der Außenkontrolle lediglich im Einzelfall anlässlich von Beanstandungen ex post durch die KK und anschließender Prüfung durch die Gerichte. Erst ein generalisiertes, zentralisiertes und formalisiertes Verfahren nach § 137c SGB V schafft über den Einzelfall hinaus Regelungsklarheit im Interesse der Gleichbehandlung der Versicherten. Das GKV-VStG hat an dieser Grundkonzeption, die der Senat in ständiger Rechtsprechung anwendet, nichts geändert. Es schafft lediglich Raum für den GBA, Richtlinien zur Erprobung nach § 137e SGB V zu beschließen, wenn die Überprüfung im Rahmen des § 137c SGB V ergibt, dass der Nutzen einer Methode noch nicht hinreichend belegt ist, sie aber das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet. Nach Abschluss der Erprobung erlässt der GBA eine Richtlinie, wonach die Methode im Rahmen einer Krankenhausbehandlung nicht mehr zulasten der KKn erbracht werden darf, wenn die Überprüfung unter Hinzuziehung der durch die Erprobung gewonnenen Erkenntnisse ergibt, dass die Methode nicht den Kriterien nach § 137c Abs 1 S 1 SGB V entspricht(vgl § 137c Abs 1 S 4 SGB V). Abgesehen von der speziell geregelten, vorübergehenden Modifizierung durch die Erprobung (§ 137e SGB V)verbleibt es auch im stationären Sektor beim Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V; aA Felix/Deister, NZS 2013, 81, 87 f).

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Die Erkenntnisse aus Verfahren nach § 135 und § 137c SGB V können geeignet sein, sektorenübergreifend zu wirken. So hat der erkennende Senat bereits betont, dass es keinen durchgreifenden Bedenken begegnet, Beurteilungen des GBA aus dem Bereich der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen des § 135 Abs 1 SGB V auch für die Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Bereich der stationären Behandlung heranzuziehen, wenn diese Beurteilungen gebietsübergreifende Aussagen beinhalten. Sie sind mithin zu berücksichtigen, wenn sie sachliche Geltung nicht nur für die Behandlung in ambulanter, sondern auch in stationärer Form beanspruchen, etwa weil das aufbereitete wissenschaftliche Material generelle Bewertungen enthält (vgl BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 50). Das muss naturgemäß auch in umgekehrter Richtung gelten: Einschlägige Erkenntnisse aus einem Verfahren nach § 137c SGB V sind auch im Rahmen des § 135 Abs 1 SGB V zu nutzen.

26

Die Erkenntnisse aus dem Verfahren des GBA nach § 137c SGB V zur HBO - mündend in dessen Beschluss vom 13.3.2008 - haben in diesem Sinne zunächst zur Folge, dass gegenüber dem Vergütungsanspruch der Krankenhäuser, die die HBO-Therapie adjuvant bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom in Stadium Wagner größer oder gleich III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie bei Versicherten anwenden, jedenfalls bei unveränderter Erkenntnislage der medizinischen Wissenschaft nicht mehr der Einwand durchgreift, sie hätten das Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V)verletzt. Zweifel an der Erfüllung der Voraussetzungen des Qualitätsgebots hätten im Zeitpunkt der Entscheidung des GBA im Jahr 2008 nach § 137c SGB V zum vollständigen Ausschluss der Methode aus dem stationären Sektor führen müssen. Stattdessen hat der GBA die Ausnahmebestimmung in § 4 Nr 2.6 S 2 RL Methoden Krankenhausbehandlung aufgenommen und damit eine Übereinstimmung mit den Anforderungen des Qualitätsgebots insoweit generell bejaht. Entsprechendes gilt für das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V).

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Diese Erkenntnisse aus dem Verfahren nach § 137c SGB V sind zusätzlich auch im Rahmen des § 135 Abs 1 SGB V zu nutzen. Der GBA hätte insoweit folgerichtig eine Empfehlung nach § 135 Abs 1 SGB V aussprechen müssen. Er hätte berücksichtigen müssen, dass es nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft keine durchgreifenden Gründe dafür gibt, die HBO bei dem genannten Indikationsspektrum lediglich stationär anzuwenden (vgl Auskunft des GBA im Revisionsverfahren). Zugleich hätte er in den Blick nehmen müssen, dass er ohne die Empfehlung nach § 135 Abs 1 SGB V eine mit dem Qualitätsgebot unvereinbare Therapielücke schafft. Denn Krankenhausbehandlung ist nicht bereits deshalb erforderlich iS von § 39 SGB V, weil eine bestimmte Leistung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zwar ambulant erbracht werden kann, vertragsärztlich aber mangels positiver Empfehlung des GBA nicht zu Lasten der GKV geleistet werden darf(vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 19).

28

Das Unterlassen der Empfehlung nach § 135 Abs 1 SGB V mit Inkrafttreten der Änderung der RL Methoden Krankenhausbehandlung am 13.11.2008 widerspricht höherrangigem Recht, nämlich dem Willkürverbot (Art 3 Abs 1 GG). Der GBA handelt willkürlich, wenn er grundlos untätig bleibt und jede andere Entscheidung als die des Tätigwerdens unvertretbar wäre (vgl BSGE 111, 155 = SozR 4-2500 § 31 Nr 21, RdNr 29). Weder der medizinische Forschungsstand noch das gesetzliche Regelungssystem rechtfertigen die Beschränkung des HBO-Einsatzes bei der betroffenen Indikation auf den Krankenhaussektor. Vielmehr ist es im Rahmen des Freistellungsanspruchs nach den aufgezeigten Grundsätzen geboten, die Klägerin so zu stellen, als sei die adjuvante HBO-Therapie bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom im Stadium Wagner größer oder gleich III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie in den EBM aufgenommen worden. Die Beklagte lehnte mit den angegriffenen Bescheiden den hieraus erwachsenden Primärleistungsanspruch der Klägerin rechtswidrig ab und leistete das danach Gebotene nicht.

29

2. Die Klägerin beschaffte sich eine der geschuldeten entsprechende Leistung selbst. Sie litt nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG)an einem diabetischen Fußsyndrom im Stadium Wagner III ohne angemessene Heilungstendenz und ließ sich nach Ausschöpfung der Standardtherapie im betroffenen Zeitraum 2009 adjuvant ambulant privatärztlich mit der HBO versorgen.

30

3. Die Klägerin beschaffte sich die HBO-Therapie auch wesentlich deshalb privatärztlich selbst, weil die Beklagte zuvor die Leistung abgelehnt hatte. Es handelte sich nach den dargelegten generellen Kriterien und den individuellen ärztlichen Zeugnissen um eine indikationsgerechte, notwendige Leistung. Das HBO-Zentrum war das für die Klägerin praktikabel erreichbare. Es behandelte sie dementsprechend auch während ihrer stationären Aufnahme. Es stellte den Leistungsantrag nach den Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) namens und in Vollmacht der Klägerin (vgl § 13 Abs 1 S 1 SGB X; vgl auch BSGE 109, 122 = SozR 4-2500 § 42 Nr 1, RdNr 12 f). Darüber hinaus bedurfte es auch keines weiteren Leistungsantrags vor dem zweiten Behandlungsintervall. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, beantragte die Klägerin Kostenübernahme "initial" (dh anfänglich) für 25 Behandlungen. Sie beschränkte ihren Antrag nicht auf 25 Behandlungen (zur Auslegung von Willenserklärungen und zur revisionsrechtlichen Überprüfung vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 12 ff; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 20 RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 133 Nr 6 RdNr 36). Nach dem Gesamtablauf war es für die Klägerin auch mit Blick auf die GBA-Beschlüsse sinnvoll und zweckmäßig, ihren Antrag ärztlich fachkundig vom HBO-Zentrum untermauern zu lassen. Das LSG hat im Übrigen keine Tatsachen im Sinne einer Vorfestlegung der Klägerin festgestellt, die den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Leistungsablehnung und der Selbstbeschaffung in Zweifel ziehen.

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4. Die Klägerin ist aufgrund der Selbstbeschaffung der ambulanten HBO-Leistungen auch einer rechtsgültigen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt (vgl zur Notwendigkeit zB BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, RdNr 24 mwN; Hauck, Brennpunkte des Sozialrechts 2009, 1, 24 f, 26). Beide ihr für die betroffene Behandlung gestellten Rechnungen entsprechen den Anforderungen der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ neugefasst durch Bekanntmachung vom 9.2.1996, BGBl I 210; zuletzt geändert durch Art 17 des Gesetzes über den Beruf der Podologin und des Podologen und zur Änderung anderer Gesetze vom 4.12.2001, BGBl I 3320 mWv 2.1.2002) als für alle Ärzte geltendes zwingendes Preisrecht (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 116b Nr 1 RdNr 20 mwN).

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Angesichts der dem Informationsbedürfnis der Klägerin Rechnung tragenden detaillierten Auflistung der einzelnen Positionen nach der GOÄ liegt kein unzulässiges Pauschalhonorar vor (vgl hierzu BVerfG Beschluss vom 19.4.1991 - 1 BvR 1301/89 - NJW 1992, 737 = Juris RdNr 4 f; BSG SozR 4-2500 § 116b Nr 1 RdNr 22; BGH Urteil vom 23.3.2006 - III ZR 223/05 - NJW 2006, 1879, 1880 f = Juris RdNr 15).

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1, einer Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen abgegeben hat über

1.
die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,
2.
die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und
3.
die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung.
Der Gemeinsame Bundesausschuss überprüft die zu Lasten der Krankenkassen erbrachten vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Leistungen daraufhin, ob sie den Kriterien nach Satz 1 Nr. 1 entsprechen. Falls die Überprüfung ergibt, daß diese Kriterien nicht erfüllt werden, dürfen die Leistungen nicht mehr als vertragsärztliche oder vertragszahnärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden. Die Beschlussfassung über die Annahme eines Antrags nach Satz 1 muss spätestens drei Monate nach Antragseingang erfolgen. Das sich anschließende Methodenbewertungsverfahren ist innerhalb von zwei Jahren abzuschließen. Bestehen nach dem Beratungsverlauf im Gemeinsamen Bundesausschuss ein halbes Jahr vor Fristablauf konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine fristgerechte Beschlussfassung nicht zustande kommt, haben die unparteiischen Mitglieder gemeinsam einen eigenen Beschlussvorschlag für eine fristgerechte Entscheidung vorzulegen; die Geschäftsführung ist mit der Vorbereitung des Beschlussvorschlags zu beauftragen. Der Beschlussvorschlag der unparteiischen Mitglieder muss Regelungen zu den notwendigen Anforderungen nach Satz 1 Nummer 2 und 3 enthalten, wenn die unparteiischen Mitglieder vorschlagen, dass die Methode die Kriterien nach Satz 1 Nummer 1 erfüllt. Der Beschlussvorschlag der unparteiischen Mitglieder muss Vorgaben für einen Beschluss einer Richtlinie nach § 137e Absatz 1 und 2 enthalten, wenn die unparteiischen Mitglieder vorschlagen, dass die Methode das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ihr Nutzen aber noch nicht hinreichend belegt ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat innerhalb der in Satz 5 genannten Frist über den Vorschlag der unparteiischen Mitglieder zu entscheiden.

(1a) Für ein Methodenbewertungsverfahren, für das der Antrag nach Absatz 1 Satz 1 vor dem 31. Dezember 2018 angenommen wurde, gilt Absatz 1 mit der Maßgabe, dass das Methodenbewertungsverfahren abweichend von Absatz 1 Satz 5 erst bis zum 31. Dezember 2020 abzuschließen ist.

(2) Für ärztliche und zahnärztliche Leistungen, welche wegen der Anforderungen an ihre Ausführung oder wegen der Neuheit des Verfahrens besonderer Kenntnisse und Erfahrungen (Fachkundenachweis), einer besonderen Praxisausstattung oder anderer Anforderungen an die Versorgungsqualität bedürfen, können die Partner der Bundesmantelverträge einheitlich entsprechende Voraussetzungen für die Ausführung und Abrechnung dieser Leistungen vereinbaren. Soweit für die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen, welche als Qualifikation vorausgesetzt werden müssen, in landesrechtlichen Regelungen zur ärztlichen Berufsausübung, insbesondere solchen des Facharztrechts, bundesweit inhaltsgleich und hinsichtlich der Qualitätsvoraussetzungen nach Satz 1 gleichwertige Qualifikationen eingeführt sind, sind diese notwendige und ausreichende Voraussetzung. Wird die Erbringung ärztlicher Leistungen erstmalig von einer Qualifikation abhängig gemacht, so können die Vertragspartner für Ärzte, welche entsprechende Qualifikationen nicht während einer Weiterbildung erworben haben, übergangsweise Qualifikationen einführen, welche dem Kenntnis- und Erfahrungsstand der facharztrechtlichen Regelungen entsprechen müssen. Abweichend von Satz 2 können die Vertragspartner nach Satz 1 zur Sicherung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung Regelungen treffen, nach denen die Erbringung bestimmter medizinisch-technischer Leistungen den Fachärzten vorbehalten ist, für die diese Leistungen zum Kern ihres Fachgebietes gehören. Die nach der Rechtsverordnung nach § 140g anerkannten Organisationen sind vor dem Abschluss von Vereinbarungen nach Satz 1 in die Beratungen der Vertragspartner einzubeziehen; die Organisationen benennen hierzu sachkundige Personen. § 140f Absatz 5 gilt entsprechend. Das Nähere zum Verfahren vereinbaren die Vertragspartner nach Satz 1. Für die Vereinbarungen nach diesem Absatz gilt § 87 Absatz 6 Satz 10 entsprechend.

(3) bis (6) (weggefallen)

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.