Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 24. Okt. 2017 - L 1 R 435/14

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2017:1024.L1R435.14.00
bei uns veröffentlicht am24.10.2017

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 26.06.2014 und der Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2012 werden abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. September 2016 bis zum 31. August 2019 zu bewilligen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Hälfte der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) streitig.

2

Der am ... 1961 geborene Kläger war bis zum 31. Dezember 2010 in seinem erlernten Beruf als Schlosser versicherungspflichtig beschäftigt. Er war bereits ab dem 30. Dezember 2010 arbeitsunfähig und bezog ab 1. Januar 2011 Krankengeld, vom 29. Juni 2012 bis zum 28. September 2013 Arbeitslosengeld und seit dem 29. September 2013 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II).

3

Beim Kläger ist seit dem 16. September 2013 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt.

4

Der Kläger stellte bei der Beklagten am 6. Dezember 2011 den zweiten Antrag auf Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung wegen Diabetes, starker Schmerzen und Taubheit in den Füßen sowie wegen Rückenbeschwerden. Die Beklagte zog zunächst das Gutachten des Dr. H. vom MDK Sachsen Anhalt vom 19. Mai 2011 und den Entlassungsbericht der Reha-Klinik Bad C. vom 8. September 2011 über die dort vom 10. bis zum 31. August 2011 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme bei. In diesem Bericht wurden als Diagnosen ein Diabetes mellitus Typ 2 mit sekundärer Insulinpflichtigkeit, der Verdacht auf eine diabetische Neuropathie, eine bekannte Hypertriglyzeridämie Typ V und eine arterielle Hypertonie angegeben. Der Kläger wurde für in der Lage erachtet, noch leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit zusätzlichen qualitativen Leistungseinschränkungen vollschichtig zu verrichten. Die Wegefähigkeit von viermal 500 m in jeweils 20 Minuten sei gegeben.

5

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 24. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2012 den Rentenantrag ab. Der Kläger verfüge über ein Leistungsvermögen im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich für leichte Arbeiten mit weiteren Funktionseinschränkungen.

6

Hiergegen hat der Kläger am 28. Juni 2012 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, wegen einer zunehmend fortschreitenden Arthrose, verbunden mit starken Schmerzen in den Gelenken, wegen eines Taubheitsgefühls und Schmerzen in den Füßen, eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 2, einer Stoffwechselstörung verbunden mit häufigem Unwohlsein und Bauchschmerzen sowie Bandscheibenproblemen und Depressionen nicht mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein zu können. Mit den orthopädischen Schuhen könne er kein Auto fahren. Normale Schuhe könne er nicht mehr tragen. Er sei nur noch in der Lage, langsam zu gehen. Eine Strecke von 500 m könne er in 20 Minuten nicht mehr zu Fuß zurücklegen.

7

Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte eingeholt. Dr. W., Oberärztin der Lipidambulanz des Universitätsklinikums M., hat unter dem 21. August 2012 als Diagnosen eine schwere Hypertriglyzeridämie trotz maximaler Therapie, eine Pankreatitis 1986/1987/2001 und einen Diabetes mellitus seit 2001 angegeben. Der Facharzt für Innere Medizin E. hat unter dem 12. September 2012 mitgeteilt, die Geh- und Stehfähigkeit sei bereits 2011 durch die schwere Fettstoffwechselstörung und den eruptiven Xanthelasmen, besonders an den Füßen, deutlich eingeschränkt gewesen. Der Facharzt für Orthopädie Dr. R. hat unter dem 13. November 2012 eine ausgeprägte Fußdeformität, einen Pes planum (Plattfuß), eine Knick- und Spreizfuß-Symptomatik sowie eine Fußwurzelarthrose rechts beschrieben. Aufgrund der nicht erfolgversprechenden Physiotherapie bei laufendem Rentenverfahren sei am 13. Juni 2012 zunächst auf weitere Therapien verzichtet worden. Die Internistin und Diabetologin Dr. Z. hat unter dem 26. November 2012 von seit einem halben Jahr bestehenden starken Schmerzen in den Füßen berichtet.

8

Das Sozialgericht hat Prof. Dr. P., Zentrum für Innere Medizin und klinisches Diabeteszentrum DDG des Universitätsklinikums L., das Gutachten vom 17. Juni 2013 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung des Klägers vom selben Tag erstatten lassen. Der Gutachter hat als Diagnosen angegeben:

9

Hypertriglyzeridämie Typ V nach Frederickson mit niedrigem HDL-Cholesterin mit generalisierten Xanthelasmen und einer rezidivierenden Pankreatitis,

10

Diabetes mellitus mit konventioneller Insulintherapie,

11

Diabetisches Fußsyndrom mit

12

Schwerer sensibler Polyneuropathie,

13

Charcot-Fußdeformität rechts mehr als links,

14

Hypertonie,

15

Degeneratives Lendenwirbelsäule (LWS)-Syndrom,

16

Coxarthrose beidseits,

17

Posttraumatische Arthrose der rechten Fußwurzel nach Trümmerfraktur des Os naviculare.

18

Dem Kläger seien nur noch leichte Arbeiten im Sitzen möglich. Tätigkeiten an Maschinen, auf Gerüsten und Leitern, mit Laufen, Stehen oder Autofahren seien ausgeschlossen. Der Kläger sei in geistiger Hinsicht nur noch einfachen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit und Ausdauer gewachsen. Übersicht und Aufmerksamkeit seien deutlich eingeschränkt. Arbeiten in Wechsel-/Nachtschicht, unter Zeitdruck und mit häufigem Publikumsverkehr seien nicht möglich. Der Kläger könne die zumutbaren Arbeiten nur noch unter drei Stunden pro Tag verrichten. Aufgrund der Schmerzen der LWS und in geringerem Ausmaß auch aufgrund der Schmerzen und der Gefühllosigkeit in den Füßen sei der Kläger derzeit nicht zu einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit in der Lage. Die - trotz mehrfacher Schulungen - nur gering ausgeprägte Fähigkeit des Klägers, die Insulindosen an die gemessenen Blutzuckerwerte selbstständig anzupassen, würde unter Arbeitsbedingungen zu Unterzuckerungen und anderen Komplikationen führen. Dies würde eine regelmäßige Arbeitsfähigkeit erheblich gefährden. Wegstrecken von mehr als 500 m seien derzeit nur unter großer Anstrengung möglich. Nach 150 bis 200 m seien Pausen erforderlich. Welche Zeit der Kläger derzeit mit Pausen für eine Wegstrecke von 500 m benötige, könne nicht angegeben werden. Die festgestellte Minderung der Erwerbsfähigkeit bestehe seit September 2010. Wegen des Verdachts auf eine reaktive Depression sollte eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung erfolgen. Eine orthopädische Diagnostik und Therapie seien erforderlich.

19

Das Sozialgericht Dessau-Roßlau hat die Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 26. Juni 2014 abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei nicht belegt, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers auf weniger als sechs Stunden täglich gesunken sei. Dieser sei vielmehr zur Überzeugung der Kammer weiterhin in der Lage, leichte Arbeiten unter Beachtung von qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr täglich auszuführen. Die Kammer halte die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung von Prof. Dr. P. für unsubstantiiert. Es sei nicht zulässig, dass der Sachverständige das nach seiner Auffassung letztlich aufgehobene Leistungsvermögen im Wesentlichen ausschließlich auf die LWS-Beschwerden des Klägers gestützt habe. Diese könne er in Ermangelung nachgewiesener orthopädischer Fach- und Sachkompetenz nicht qualifiziert beurteilen. Die Beurteilung der Wegefähigkeit habe der Sachverständige unzulässig allein auf die subjektiven Angaben des Klägers gestützt.

20

Gegen das ihm am 8. August 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. September 2014 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Ihm seien einfachste Arbeiten nicht möglich. Auch könne er keine Wegstrecken von 500 m zurücklegen. Ferner sei die Diagnose eines Diabetes mellitus mit konventioneller Insulintherapie fünfmal täglich nicht berücksichtigt worden.

21

Der Senat hat Befundberichte von Dr. R. vom 4. Dezember 2014 nebst ergänzendem Schreiben vom 25. August 2015, von Dr. E. vom 11. Dezember 2014 und von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. M. vom 22. Juli 2015 eingeholt. Der Kläger hat eine Epikrise über seinen stationären Aufenthalt in dem Städtischen Klinikum D. vom 2. bis zum 9. März 2015 wegen eines hyperglykämisch entgleisten Diabetes mellitus vorgelegt.

22

Dem ergänzenden Schreiben von Dr. R. vom 25. August 2015 ist die Epikrise der ... Klinik Z. über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 16. bis zum 22. April 2015 wegen progredienter Schmerzsymptomatik der großen Gelenke beigefügt gewesen. Nach einem ärztlichen Konzil vom 16. April 2015 bei dem Arzt für Neurologie Dr. B. wurden als Diagnose eine somatoforme Schmerzstörung sowie ein deutliches Rentenbegehren angegeben.

23

Der Kläger hat ferner die Epikrisen der ... Klinik Z. über die stationäre Schmerztherapie vom 16. bis zum 19. September 2015 und des Diakonissen-Krankenhauses D. über die stationären Behandlung vom 2. bis zum 9. November 2015 anlässlich der Sektion der Prostata am 4. November 2015 wegen eines Prostata-Abszesses vorgelegt. Ferner hat er einen Bericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. vom 29. September 2015 über eine ambulante Untersuchung des Klägers am 10. September 2015 zu den Akten gereicht. Danach bestehe eine sehr deutlich ausgeprägte sensomotorische periphere Polyneuropathie an den unteren Extremitäten, geringer an den oberen Extremitäten, mit einer demyelinisierenden Schädigungsart bei Diabetes mellitus.

24

Auf Veranlassung des Senats hat der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und Oberarzt des Zentrums für Rückenmarksverletzte und Klinik für Orthopädie des B. Dr. M. das Gutachten vom 23. Februar 2016 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung des Klägers vom 23. Februar 2016 erstattet. Dieser habe angegeben, seit dem 5. Dezember 2011 orthopädische Schuhe und Hausschuhe zu tragen. Er leide unter Fuß- und Unterschenkelschmerzen sowie einem Taubheitsgefühl und Schmerzen in beiden Großzehen und der Knöchelregion, zudem an Rückenproblemen und Nackenschmerzen. Er habe Probleme mit dem Autofahren, weil er kaum Gefühl für Bremse, Kupplung und Gas habe. Er könne ca. 150 bis 200 m gehen. Gehstützen könne er nicht benutzen. Dr. M. hat eine schwere Gangataxie sowohl mit orthopädischem Schuhwerk als auch barfuß beschrieben. Atrophiezeichen, Instabilitäten oder eine abnorme Achsabweichung der unteren Gliedmaßen lägen nicht vor. Es bestehe eine normale Verhornung der Fußsohlen an beiden Fersen und Zehenballen. Folgende Gesundheitsstörungen lägen vor:

25

Aufbrauchleiden der LWS,

26

Diabetische Fußveränderungen beiderseits, ausgeprägter Knick-Senk-Spreiz-Fuß und Verschleißleiden der rechten Fußwurzel nach Trümmerfraktur (Charcot-Fuß),

27

Verschleißleiden beider Hüftgelenke,

28

Verschleißleiden beider Kniegelenke mit leichtem Reizzustand,

29

Rundrücken als Folge eines Morbus Scheuermann,

30

Impingement-Syndrom rechtes Schultergelenk.

31

Auf anderen Fachgebieten:

32

- Diabetes mellitus mit Komplikationen:

33

Schwere diabetische Polyneuropathie,

34

Charcot-Fuß,

35

Rezidivierende Abszesse (Prostata November 2015, Unterkiefer Februar 2016),

36

Ataktisches (unkoordinierendes) Gehen.

37

- Schwere Fettstoffwechselstörung

38

- Bluthochdruckerkrankung.

39

Ein Zustand der Simulation oder Aggravation bestehe nicht. Beim Kläger seien die angegebenen Beschwerden glaubhaft. Dieser könne noch ausschließlich leichte Arbeiten ständig im Sitzen unter Vermeidung von Gehbelastungen, von Arbeiten im Knien, Hocken, Bücken, auf Gerüsten oder Leitern sowie von Überkopfarbeiten täglich sechs Stunden und mehr verrichten. Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit der Hände erforderten, seien nicht eingeschränkt. Der Kläger könne die Arbeiten auch im Freien mit und ohne Witterungsschutz ausführen. Er sei Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen, an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit sowie mit geistig einfachen Anforderungen gewachsen. Arbeiten in Wechsel-/Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck und mit häufigem Publikumsverkehr seien nicht zumutbar. Der Kläger könne Gehstrecken über 1.000 m zumutbar zurücklegen. Er könne auch viermal täglich Fußwege von mehr als 500 m bewältigen. Eine Gehzeit von 15 Minuten für eine Strecke von 500 m sei zu erwarten. Außerordentlich lange Pausen, starke Schmerzen oder extrem langsames Gehen seien dabei nicht nachvollziehbar. Der Kläger könne auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Auf orthopädischem Gebiet sei ein stabiler Dauerzustand eingetreten. Auf internistischem Fachgebiet halte er den Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für nicht mehr einsetzbar. Der körperliche Gesamteindruck mit trockenen und geröteten Schleimhäuten sowie starkem Schwitzen sei ein eindeutiger Hinweis auf einen bereits deutlich reduzierten Allgemeinzustand. Wegen der allgemeinen Infektanfälligkeit aufgrund des Diabetes mellitus mit Neigung zu Abszessen sei keine regelmäßige Erwerbstätigkeit zu erwarten. Die Einholung eines internistischen Gutachtens sei erforderlich.

40

Der Kläger hat einen weiteren Bericht von Dr. F. über die neurologische Untersuchung vom 21. Juni 2016 vorgelegt.

41

Der Senat hat schließlich den Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie, Palliativmedizin und Internistische Intensivmedizin Dr. F. das Gutachten vom 28. Dezember 2016 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung des Klägers vom 23. November 2016 erstatten lassen. Als Hauptbeschwerden habe der Kläger Gefühlsstörungen in Armen und Beinen angeben. Er könne nur noch 200 m laufen. Dr. F. hat als Diagnosen angeführt:

42

Hypertriglyzeridämie Typ V nach Frederickson mit rezidivierender Ausbildung von Xantelasmen und rezidivierenden Pankreatitiden,

43

Diabetes mellitus mit konventioneller Insulintherapie,

44

Schwere ausgeprägte sensorische Polyneuropathie demyelinisierender Schädigungsart an den unteren und geringer auch ausgeprägt an den oberen Extremitäten,

45

Charcot-Fuß-Deformität rechts ausgeprägter als links,

46

Arterieller Hypertonus,

47

Fortgeschrittene (bildmorphologisch) degenerative LWS-Beschwerden,

48

Mittelgradige Coxarthrose beidseits,

49

Initiale Gonarthrose beidseits,

50

Sludge-Erkrankung der Gallenblase mit Leberparenchymschaden im Sinne einer Verfettung (lokale Mehrverfettung),

51

Zustand nach Prostatitis und Epididymitis sowie konsekutiver Orchiektomie rechts.

52

Es bestehe weder eine Aggravation noch eine Simulation. Er halte das Beschwerdebild des Klägers für durchaus glaubhaft und durch die zweifelsfrei festgestellten Diagnosen auch für hinreichend geklärt. Es seien nur noch körperlich leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen mit nur kurzzeitigem Stehen oder Gehen zumutbar. Arbeiten mit längerem Gehen oder Stehen seien ausgeschlossen. Der Kläger sei Arbeiten mit körperlichen Belastungen bzw. Zwangshaltungen wie z.B. Knien, Hocken, Bücken bzw. Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel sowie Gerüst- und Leiterarbeiten nicht mehr gewachsen. Arbeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände erforderten, seien zumutbar. Lediglich am Morgen bestünden Gefühlsstörungen in beiden Händen. Ausgeschlossen seien Arbeiten im Freien, auch unter Witterungsschutz, mit starken Temperaturschwankungen, Zugluft oder Nässe. Am günstigsten seien Tätigkeiten, die auf den Radius normaler Büroarbeiten reduziert seien. Damit sei eine Minimierung von zu Fuß zurückzulegenden Strecken gewährleistet. Der Kläger sei Tätigkeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen und mit bis zu mittelschwierigen geistigen Anforderungen gewachsen. Während der Begutachtung seien Reaktion, Übersicht und Aufmerksamkeit vergleichbar mit Personen im Alter des Klägers gewesen. Über einen längeren Zeitraum hinweg seien diese Anforderungen nur noch in geringem Maße möglich. Schichtarbeiten sowie Arbeiten unter Zeitdruck seien nicht geeignet, Arbeiten mit häufigem Publikumsverkehr seien möglich. Der Kläger sei nur noch halbschichtig, d.h. für drei bis unter sechs Stunden täglich einsetzbar. Grund hierfür sei die mittlerweile doch deutlich eingeschränkte körperliche Fitness. Der Kläger gerate bereits bei leichter körperlicher Belastung wie langsamem Gehen oder An- und Ausziehen schnell an die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit und reagiere mit Luftnot und Tachykardieneigung. Wegen der diabetischen Polyneuropathie und des diabetischen Fußsyndroms sei eine Trainierbarkeit dieser Fähigkeiten nur in begrenztem Umfang möglich. Der Kläger sei zudem im Hinblick auf den deutlich reduzierten Gesamtzustand sowie insbesondere im Hinblick auf drohende Komplikationen zu einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nicht mehr in der Lage. Krankheitsbedingte Ausfallzeiten seien zu erwarten. Viermal tägliche Fußwege von knapp über 500 m dürften prinzipiell möglich sein. Bei langsamer Gehweise und unter Einhaltung kurzer Pausen seien tatsächlich 20 Minuten pro 500 m Wegstrecke realistisch. Der Kläger könne auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Aufgrund der deutlich ausgeprägten Gefühlsstörungen der beiden Beine und den klobigen orthopädischen Schuhen könne er jedoch kein Fahrzeug mehr führen. Spätestens ab dem neurologischen Konzil vom 16. April 2015 dürfte sich das Problem der Polyneuropathie entwickelt haben, welches schließlich zu den aktuellen Einschränkungen geführt habe. Die von der Neurologin Dr. F. im September 2015 und im Juni 2016 durchgeführten Untersuchungen zeigten jedenfalls zweifelfrei das Vorliegen einer deutlichen und zumindest noch einmal fortschreitenden Polyneuropathie beider Beine. Die Minderung der Leistungsfähigkeit begründe sich in erster Linie in der diabetischen Polyneuropathie, die nicht nur eine erhöhte Verletzungs- und Infektionsgefahr für die unteren Extremitäten bedeute, sondern auch nach und nach das kardiopulmonale System durch Mangel an Bewegung negativ beeinflusse. Die Gesundheitsstörungen des Klägers hätten sich in den letzten Jahren erst langsam entwickelt. Die polyneuropathischen Veränderungen der Füße in Verbindung mit den orthopädischen Leiden hätten zu einer deutlichen Verschlechterung der Gesamtsituation des Klägers beigetragen. Er halte zumindest ab April 2015 eine prinzipielle Erwerbsunfähigkeit für gegeben.

53

Die Beklagte ist der Leistungseinschätzung von Dr. F. unter Berufung auf die sozialmedizinische Stellungnahme der Prüf-/Gutachterärztin Dr. K. vom 8. März 2017 nicht gefolgt.

54

Der Kläger und die Beklagte haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

55

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

56

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch in der Form und Frist des § 151 SGG eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig.

57

Der Senat durfte gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

58

Die Berufung ist teilweise begründet.

59

Das Sozialgericht hat im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Klage zu Recht abgewiesen. Das angefochtene Urteil und der Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2012 haben sich jedoch im Laufe des Berufungsverfahrens als rechtswidrig erwiesen und verletzen den Kläger in diesem Umfang in seinen Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. September 2016 bis zum 31. August 2019. Die Voraussetzungen für den von ihm darüber hinaus geltend gemachten Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung vom 1. Dezember 2011 bis zum 31. August 2016 sowie über den 31. August 2019 hinaus auf Dauer bestehen nicht.

1.

60

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung vom 1. Dezember 2011 bis zum 31. August 2016 zu.

61

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, also wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

62

Abweichend vom Wortlaut des § 43 Abs. 1 SGB VI haben aber auch Versicherte, die teilweise erwerbsgemindert sind, also nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) führt die teilweise Erwerbsminderung bei praktischer Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes für Tätigkeiten in einem täglichen zeitlichen Rahmen von drei bis unter sechs Stunden zu einer vollen Erwerbsminderung auf Zeit (vgl. schon zu § 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO), BSG, Großer Senat (GS), Beschlüsse vom 12. Dezember 1976, GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75 und GS 3/76; Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar SGB VI, § 43, Rn. 31ff.; Reinhardt, SGB VI, Lehr- und Praxiskommentar, 2. Aufl., § 43 Rn. 11).

63

Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

64

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte der Kläger seit der Rentenantragstellung bis zur Begutachtung bei Dr. M. am 23. Februar 2016 unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Der Senat geht dabei von folgendem Leistungsbild aus: Der Kläger konnte noch körperlich leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen mit nur kurzzeitigem Stehen oder Gehen täglich sechs Stunden und mehr verrichten. Arbeiten mit längerem Gehen oder Stehen waren ausgeschlossen. Arbeiten mit körperlichen Belastungen bzw. Zwangshaltungen wie z.B. Knien, Hocken, Bücken bzw. Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel sowie Gerüst-, Leiter- und Überkopfarbeiten waren zu vermeiden. Die volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände war gegeben. Dem Kläger waren wegen der Infektanfälligkeit vorzugsweise Arbeiten in geschlossenen Räumen, ohne Einfluss von starken Temperaturschwankungen, Zugluft oder Nässe zumutbar. Er war Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen, an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit sowie mit zumindest geistig einfachen Anforderungen gewachsen. Arbeiten in Wechsel-/Nachtschicht, unter besonderem Zeitdruck und mit häufigem Publikumsverkehr waren nicht zumutbar.

65

Dieses Leistungsbild ergibt sich für den Senat aus dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, insbesondere aus den Gutachten von Dr. F. vom 28. Dezember 2016 und von Dr. M. vom 23. Februar 2016 sowie dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik Bad C. vom 8. September 2011. Ferner stützt sich der Senat auf die objektiven Befunde von Prof. Dr. P. in dessen Gutachten vom 17. Juni 2013.

66

Beim Kläger besteht eine ausgeprägte Hypertriglyzeridämie Typ V, die durch die massive Blutfetterhöhung zu einer andauernden Ausschüttung von Bauchspeicheldrüsenenzymen und nachfolgend zu rezidivierenden Entzündungen der Bauchspeicheldrüse führt. Trotz Therapien ist es nicht gelungen, die Blutfettwerte deutlich zu senken. Allerdings konnte die Häufigkeit der Bauchspeicheldrüsenentzündungen verringert werden. Durch die Verringerung des Bauchspeicheldrüsengewebes ist es in der Folge zu einem Insulinmangel und damit etwa ab dem Jahr 2000 zur Entstehung eines Diabetes mellitus mit Insulinpflichtigkeit gekommen. Durch den langjährigen Diabetes ist eine sensorische diabetische Polyneuropathie entstanden. In dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik Bad C. vom 8. September 2011 ist als Diagnose noch lediglich der Verdacht auf eine diabetische Neuropathie angeführt worden. Das Vorliegen einer diabetischen Polyneuropathie ist schließlich in dem Gutachten von Prof. Dr. P. bestätigt worden. Dieser hat allerdings lediglich - entsprechend den Angaben des Klägers bei der Begutachtung - ein zunehmendes Taubheitsgefühl sowie stechende Schmerzen und ein Kribbeln der Füße aufgezeigt. Daraus resultierten lediglich qualitative Einschränkungen. Darüber hinaus besteht ein diabetisches Fußsyndrom mit einem verminderten Schmerzempfinden. Die arterielle Hypertonie ist gut eingestellt.

67

Beim Kläger besteht ein seit Jahren suboptimal eingestellter Blutzuckerwert. Dr. F. hat in seinem Gutachten aufgezeigt, dass beim Kläger ein sog. Typ-3-Diabetes vorliegt, d.h. ein Diabetes wegen zunehmenden Untergangs von Bauchspeicheldrüsengewebe. Es sei schwierig, aufgrund der dadurch bedingten deutlichen Blutzuckerschwankungen eine optimale Stoffwechsellage herzustellen. Obgleich die Stoffwechsellage nicht optimal ist, war der Kläger bei Beachtung des o.g. Leistungsbildes vom 1. Dezember 2011 bis zum 23. Februar 2016 in der Lage zu einer mindestens sechsstündigen Tätigkeit. Der Kläger befand sich in regelmäßiger internistischer Behandlung u.a. zur Anpassung der Insulindosen und damit zur Optimierung des Blutzuckerspiegels. Während des stationären Aufenthalts in dem Städtischen Klinikum D. vom 2. bis zum 9. März 2015 erfolgten eine medikamentöse Umstellung des Klägers sowie danach regelmäßige Diabetikerschulungen. Eine stabile Blutzuckereinstellung konnte sodann wieder erreicht werden. Entgegen den Ausführungen von Prof. Dr. P. wären nicht zwangsläufig unter Arbeitsbedingungen die von ihm prognostizierten Unterzuckerungen und andere Komplikationen eingetreten. Soweit der Kläger eine leidensgerechte Arbeit ausgeführt, regelmäßig seine Blutzuckermessungen sowie Insulininjektionen durchgeführt und seine ärztlichen Kontrolltermine wahrgenommen hätte, wäre nicht mit ausgeprägten Unterzuckerungen zu rechnen gewesen.

68

Auf orthopädischem Gebiet bestehen ein Aufbrauchleiden der LWS, ein ausgeprägter Knick-Senk-Spreiz-Fuß und ein Verschleißleiden der rechten Fußwurzel nach Trümmerfraktur mit einer mittelgradigen Deformität und eine leichte Charcot-Fuß-Deformität des linken Fußes, ein Verschleißleiden beider Hüftgelenke, ein Verschleißleiden beider Kniegelenke mit leichtem Reizzustand, ein Rundrücken als Folge eines Morbus Scheuermann sowie ein Impingement-Syndrom des rechten Schultergelenks. Aufgrund der damit verbundenen leicht- bis mittelgradigen Bewegungseinschränkungen konnte der Kläger im Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis zumindest zum 23. Februar 2016 noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Aus den orthopädischen Erkrankungen resultierten lediglich qualitative Einschränkungen.

69

Soweit sich der Kläger auf die abweichende Leistungsbeurteilung von Prof. Dr. P. in dessen Gutachten vom 17. Juni 2013 stützt, gibt dies keinen Anlass zu einer anderen Einschätzung. Der Gutachter hat ein auf täglich unter drei Stunden reduziertes Leistungsvermögen fachfremd insbesondere mit den Schmerzen im Bereich der LWS und in geringerem Ausmaß auch aufgrund der Schmerzen und der Gefühllosigkeit in den Füßen begründet. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. M. hat hingegen nachvollziehbar aufgezeigt, dass die Funktion der LWS nur leicht eingeschränkt ist. Bei der Untersuchung sind lediglich leichtgradige Bewegungseinschränkungen des Rumpfes von ca. 1/3 für die Rotation und Seitneigung sowie lokale Schmerzen mit peripherer Ausstrahlung feststellbar gewesen. Neurologische Ausfälle, Reizzustände oder Nervenwurzelreizungen haben nicht bestanden.

70

Es lagen bei dem Kläger vom 1. Dezember 2011 bis zum 23. Februar 2016 auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die trotz der sechsstündigen Einsetzbarkeit zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führten. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Denn das Restleistungsvermögen des Klägers reichte noch für leichte körperliche Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Reinigungsarbeiten, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33f; BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R -, juris). Der Kläger verfügte über die notwendigen körperlichen, geistigen und mnestischen Fähigkeiten.

71

Zudem war für den Kläger der Arbeitsmarkt nicht verschlossen, weil es ihm an der so genannten Wegefähigkeit gefehlt hätte. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Mobilitätshilfen benutzen kann. Dann gilt die Erwerbsfähigkeit als nicht in beachtlichem Maße eingeschränkt und die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit ist nicht erforderlich. Ist ein Arbeitsplatz auf andere Art als zu Fuß erreichbar, z.B. mit einem eigenen Kraftfahrzeug, ist der Arbeitsmarkt ebenfalls nicht verschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 201 - B 13 R 79/11 R - juris). Nach der übereinstimmenden gutachterlichen Einschätzung von Dr. M. und dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik Bad C. vom 8. September 2011 konnte der Kläger mehr als 500 m viermal täglich jeweils binnen 20 Minuten zu Fuß bewältigen. Die Gehfähigkeit des Klägers ist zwar seit 2011 durch die schwere Fettstoffwechselstörung und den eruptiven Xanthelasmen, besonders an den Füßen, eingeschränkt gewesen. Während der Rehabilitationsmaßnahme vom 10. bis zum 31. August 2011 konnte der Kläger im Rahmen eines Gehstrecken-Tests 782 m binnen 20 Minuten zurücklegen. Dr. M. hat eine Gehstrecke von 500 m in 15 Minuten ohne lange Pausen, starke Schmerzen und extrem langsames Gehen für zumutbar erachtet. Er hat zwar eine schwere Gangataxie sowohl mit orthopädischem Schuhwerk als auch barfuß beschrieben. Allerdings hat er keine Atrophiezeichen, Instabilitäten oder eine abnorme Achsabweichung der unteren Gliedmaßen festgestellt. Er hat eine normale Verhornung der Fußsohlen an beiden Fersen und Zehenballen als Zeichen eines fehlenden Mindergebrauchs aufgezeigt. Die Beurteilung von Prof. Dr. P., Wegstrecken von mehr als 500 m seien nur unter großer Anstrengung und mit Pausen nach 150 bis 200 m möglich, beruht ausschließlich auf den subjektiven Angaben des Klägers. Im Übrigen lässt er offen, welche Zeit der Kläger mit Pausen für eine Wegstrecke von 500 m benötigen soll. Er verneint aber gleichwohl nicht ausdrücklich die Fähigkeit des Klägers, eine Wegstrecke von 500 m in 20 Minuten zurückzulegen.

72

Darüber hinaus konnte der Kläger vom 1. Dezember 2011 bis zum 23. Februar 2016 nicht nur unter betriebsunüblichen Bedingungen Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Die kurzen Unterbrechungen für die Blutzuckermessungen, die Insulininjektionen und ggf. die Einnahme von Zwischenmahlzeiten konnten neben den üblichen Pausen im Rahmen der persönlichen Verteilzeit in Anspruch genommen werden.

73

Der Kläger konnte zudem bis zum 23. Februar 2016 auch in gewisser Regelmäßigkeit einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Er war zwar wegen der im November 2015 aufgetretenen Prostata-Erkrankung und zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. M. am 23. Februar 2016 wegen eines Abszesses am linken Unterkiefer arbeitsunfähig. Das Risiko einer häufigen Arbeitsunfähigkeit kann zu einer Erwerbsminderung führen. Es muss jedoch feststehen, dass die (vollständige) Arbeitsunfähigkeit so häufig auftritt, dass die während eines Arbeitsjahres zu erbringenden Arbeitsleistungen nicht mehr den Mindestanforderungen entsprechen, die ein "vernünftig und billig denkender Arbeitgeber" zu stellen berechtigt ist. Die Einstellung oder Weiterbeschäftigung eines solchen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt muss praktisch ausgeschlossen sein. Diese Mindestanforderungen sind dann nicht mehr als erfüllt anzusehen, wenn der Versicherte die Arbeitsleistung für einen Zeitraum von mehr als 26 Wochen (sechs Monate bzw. die Hälfte) im Jahr gesundheitsbedingt nicht mehr erbringen kann (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juli 1992 - 4 RA 13/91 - und Beschluss vom 31. Oktober 2012 - B 13 R 107/12 B -, jeweils juris). Eine derart lange, durch die o.g. Erkrankungen begründete Arbeitsunfähigkeit des Klägers hat jedoch nicht vorgelegen.

2.

74

Der Kläger hat jedoch Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. September 2016 bis zum 31. August 2019. Er ist zur Überzeugung des Senats seit dem 23. Februar 2016 teilweise erwerbsgemindert. Er ist nur noch in der Lage, drei bis unter sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf die Gutachten von Dr. F. vom 28. Dezember 2016 und von Dr. M. vom 23. Februar 2016.

75

Dr. F. hat für den Senat überzeugend aufgezeigt, dass der Kläger aufgrund der fortgeschrittenen, nun schweren diabetischen Polyneuropathie und den dadurch bedingten, stark reduzierten Gesamtzustand nur noch drei bis unter sechs Stunden einsetzbar ist.

76

Aufgrund der sich in den letzten zwei Jahren vor der Begutachtung durch Dr. F. stetig verschlechternden Polyneuropathie hat die kardiopulmonale Belastbarkeit des Klägers immer mehr durch den Bewegungsmangel abgenommen. Dr. F. hat anschaulich beschrieben, dass der Kläger bereits bei leichter körperlicher Belastung wie langsamem Gehen oder An- und Ausziehen schnell an die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit geraten sei und mit Luftnot und Tachykardieneigung reagiert habe. Dem Kläger sei es zwar möglich gewesen, dem Gutachter im Rahmen der Untersuchung langsamen Schrittes durch das ganze Haus (bis zu 180 m) zu folgen. Er sei jedoch auf diesem Weg kurzatmig geworden. Ebenso habe das An- und Ausziehen, das im Sitzen durchgeführt worden sei, mehrere Minuten Zeit in Anspruch genommen. Dabei seien Herzfrequenzen zwischen 120 und 130 Schlägen pro Minute festgestellt worden. Wegen der diabetischen Polyneuropathie und des diabetischen Fußsyndroms sei eine Trainierbarkeit des Herz-Kreislauf-Systems nur in sehr begrenztem Umfang möglich. Zudem resultiert aus der Polyneuropathie eine erhöhte Verletzungs- und Infektionsgefahr für die unteren Extremitäten. Beim Kläger bestehen Störungen der Schmerz-, Berührungs- und Temperaturempfindung sowie die typischen Symptome wie brennende bohrende Schmerzen, Kribbeln, Ameisenlaufen und Pelzigkeitsgefühl. Durch die verminderte Immunkompetenz bei langjährigem Diabetes besteht das Risiko einer erhöhten Infektanfälligkeit. Es ist es wiederholt zu Entzündungen im Kiefergelenksbereich und im distalen Harntrakt des Klägers gekommen, welche letztlich auch zum Verlust des rechten Hodens führten. Aus der Vorschädigung der Füße zusammen mit der Polyneuropathie ergibt sich eine insgesamt deutlich erhöhte Gefährdung den Erhalt der unteren Extremitäten betreffend. Dr. F. hat diesbezüglich aufgezeigt, eine nicht auszuschließende Verletzungsanfälligkeit beider Füße könnte über eine dann dort entstehende Infektion schließlich bis zum Verlust der einen oder anderen Extremität führen. Der Gutachter hat den Kläger überzeugend als krankheitsbedingt hochgradig beeinträchtigten Menschen beschrieben, dessen Leistungsfähigkeit nicht mehr nur qualitativ, sondern nunmehr auch quantitativ eingeschränkt ist. Zur Vermeidung einer Überanstrengung des deutlich geschwächten Klägers und des Auftretens der aufgezeigten Komplikationen ist dieser zu einer mindestens sechsstündigen, leidensgerechten Tätigkeit nicht mehr in der Lage.

77

Ein quantitativ eingeschränktes Leistungsvermögen des Klägers ist erstmals mit der Begutachtung bei Dr. M. am 23. Februar 2016 nachgewiesen. Dessen Vermutung, dass der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt aus internistischer Sicht nicht mehr sechs Stunden täglich einsetzbar gewesen ist, hat sich auf der Grundlage der von Dr. F. erhobenen Untersuchungsbefunde bestätigt. Dieser hat darauf hingewiesen, dass sich das Problem der Polyneuropathie spätestens ab dem neurologischen Konzil vom 16. April 2015 entwickelt haben dürfte. Er hat gleichzeitig aufgezeigt, dass die Krankheit seitdem weiter fortgeschritten ist und schließlich zu den von ihm festgestellten Einschränkungen in Form eines deutlich reduzierten Allgemeinzustandes des Klägers mit einer erheblich eingeschränkten körperlichen Fitness geführt hat. Prof. Dr. P. hat auf der Grundlage seiner Untersuchung am 17. Juni 2013 der Gefühllosigkeit in den Füßen eine noch geringe Bedeutung beigemessen. Dr. F. hat aufgrund der am 10. September 2015 durchgeführten Untersuchung zwar von dem Vorliegen einer deutlichen Polyneuropathie beider Beine berichtet. Erst zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. M. am 23. Februar 2016 ist aber neben den ausgeprägten polyneuropathischen Veränderungen der Füße eine deutliche Verschlechterung des Gesamtzustandes des Klägers mit einem quantitativ reduzierten Leistungsvermögen nachgewiesen.

78

Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes vom 1. September 2016 bis zum 31. August 2019. Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet, wobei die Befristung für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn erfolgt. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit können nur unbefristet geleistet werden, wenn der Anspruch auf diese Rente unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht und es darüber hinaus unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI). Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nach § 101 Abs. 1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Der siebte Kalendermonat nach Eintritt der nachgewiesenen Erwerbsminderung begann am 1. September 2016.

79

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

80

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.


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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 24. Okt. 2017 - L 1 R 435/14 zitiert 14 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 153


(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 43 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind,2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 124


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. (3) Entscheidungen des Gerichts, d

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 102 Befristung und Tod


(1) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Dies schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden. (2) Renten wegen vermind

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 101 Beginn und Änderung in Sonderfällen


(1) Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. (1a) Befristete Renten wegen voller Erwerbsminderung, auf die Anspruch un

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Bundessozialgericht Beschluss, 31. Okt. 2012 - B 13 R 107/12 B

bei uns veröffentlicht am 31.10.2012

Tenor Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 18. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 12. Dez. 2011 - B 13 R 79/11 R

bei uns veröffentlicht am 12.12.2011

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. April 2011 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 19. Okt. 2011 - B 13 R 78/09 R

bei uns veröffentlicht am 19.10.2011

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufgehoben.

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(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Der 1964 geborene Kläger ist gelernter Instandhaltungsmechaniker und war zuletzt von 1997 bis 2004 als LKW-Fahrer beschäftigt. Im Januar 2004 kam es zu einem Arbeitsunfall, der ua die Amputation seines linken Unterarms zur Folge hatte. Im März 2004 erlitt er einen Herzinfarkt. Der Kläger erhält Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Arbeitsunfalls.

3

Den im August 2004 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte ab, weil weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliege (Bescheid vom 17.8.2005). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24.1.2007). Das SG Gotha hat die Beklagte verurteilt, Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet vom 1.2.2005 bis zum 31.1.2009 zu gewähren (Urteil vom 4.3.2008). Das Leistungsvermögen des Klägers sei auf leichte Arbeiten begrenzt, die er grundsätzlich sechs bis acht Stunden täglich mit Einschränkungen verrichten könne. Es liege jedoch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung mit der Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit vor, da er die linke Hand nach Amputation des Unterarms allenfalls als Beihand einsetzen könne. Für solche leistungseingeschränkten Versicherten sei der allgemeine Arbeitsmarkt nicht als offen anzusehen. Die von der Beklagten benannten leichten Montier-, Sortier-, Verpacker- oder Kontrolleurtätigkeiten könne der Kläger nicht ausüben, weil es sich um bimanuelle Tätigkeiten handele. Auch eine Tätigkeit als Pförtner oder Telefonist scheide aus, da der Kläger dem damit verbundenen Zeitdruck nach der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K. nicht gewachsen sei.

4

Das LSG hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.9.2009). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nach den Feststellungen des vom SG gehörten Sachverständigen noch in der Lage, eine Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts zu verrichten. Die linksseitige Unterarmamputation sowie die Schmerzsymptomatik im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule erforderten allerdings eine Begrenzung auf körperlich leichte Arbeiten. Wegen der orthopädischen Leiden und der Schmerzzustände im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule seien Tätigkeiten mit längeren Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, häufigem Klettern oder Gehen auf unebenen Böden, Tätigkeiten mit Absturzgefahr auf Leitern und Gerüsten sowie lang anhaltende Vibrationen und Erschütterungen nicht zuzumuten. Die koronare Herzerkrankung und der arterielle Hypertonus erlaubten keine Nachtschichten und Überstunden, keine Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für Mensch und Technik, besondere geistige und seelische Beanspruchung sowie auch taktgebundene Arbeiten oder Arbeiten unter Zeitdruck. Der Zugang zu alkoholischen Getränken sollte während der Arbeitszeit wegen der Alkoholerkrankung nicht ermöglicht werden. Tätigkeiten mit besonderen manuellen Anforderungen bzw bimanuelle Tätigkeiten seien dem Kläger ebenfalls nicht möglich. Diese qualitativen Einschränkungen stünden einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den üblichen Bedingungen nicht entgegen. Insbesondere könne der Kläger eine zumutbare Wegstrecke zurücklegen.

5

Dem Kläger sei eine konkrete Verweisungstätigkeit nicht zu benennen. Dabei sei schon fraglich, ob eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Die - zu dem vor dem 1.1.2001 geltenden Recht - ergangene Rechtsprechung zur Prüfung und Feststellung von Rentenansprüchen wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit im Falle der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder des Vorliegens einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung könne auf das aktuelle Recht nicht übertragen werden. Bereits der Wortlaut "übliche Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" schließe eine konkrete, dh individualisierte Betrachtungsweise aus. Die Gesetzesbegründung sei in sich widersprüchlich, wenn dort auf die Entscheidung des Großen Senats (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) verwiesen werde, wonach mit "konkreter Betrachtungsweise" - dann aber anders als das BSG - arbeitsmarktbedingte Erwerbsminderungsrenten gemeint seien. Unter dem "allgemeinen Arbeitsmarkt" verstehe die Gesetzesbegründung "jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gebe". Hingegen erfasse die Rechtsprechung des BSG damit nur körperlich leichte und fachlich einfache Arbeiten (Hinweis auf das Senatsurteil vom 23.5.2006 - B 13 RJ 38/05 R - BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9). Zudem habe der Gesetzgeber eine spezielle zeitliche Komponente eingeführt (sechs Stunden und mehr). Auch dies verbiete eine Fortgeltung der Rechtsprechung zur Summierung. Der Gesetzgeber habe vielmehr den gesamten Komplex der Benennung von Verweisungstätigkeiten einschränken bzw abschaffen wollen.

6

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 43 SGB VI. Zu Unrecht gehe das LSG davon aus, dass es auf die bei ihm vorliegende schwere spezifische Leistungseinschränkung nicht ankomme. Auch die aktuelle Rechtslage erfordere eine individuelle Betrachtung mit der Folge, dass bei Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen Erwerbsfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts nur gegeben sei, wenn eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden könne. Daran fehle es hier.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 30. September 2009 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 4. März 2008 zurückzuweisen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie meint, § 43 SGB VI in der seit 2001 geltenden Fassung enthalte nicht nur neue Begrifflichkeiten, sondern auch neue Beurteilungsmaßstäbe. Bei den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts handele es sich um objektive Maßstäbe. Solange ein Versicherter vollschichtig, ohne betriebsunübliche Pausen und ohne infolge einer ekelerregenden Krankheit für andere Betriebsangehörige unzumutbar zu sein, irgendeine Arbeit des allgemeinen Arbeitsmarkts verrichten und den Weg zum Arbeitsplatz zurücklegen könne, sei er nicht erwerbsgemindert. Selbst wenn die konkrete Betrachtungsweise bei Versicherten mit einer Summierung von ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung beibehalten werde, ändere dies hier im Ergebnis nichts. Das Fehlen des linken Unterarms müsse nicht zwangsläufig eine schwere spezifische Leistungsbehinderung sein, etwa wenn eine Prothese getragen und der Arm noch zur Unterstützung verwendet werde. Tätigkeiten eines Nebenpförtners könnten durchaus auch an außerhalb eines Betriebs stehende Personen vermittelt werden.

10

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Halbs 1 SGG).

Entscheidungsgründe

11

II. Die Revision hat im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG kann nicht entschieden werden, ob der Kläger einen Anspruch auf Rente wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung hat.

12

1. Der Anspruch richtet sich nach § 43 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754). Bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 1 Satz 1 bzw Abs 2 Satz 1, jeweils Nr 2 und 3) haben danach Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Abs 1 Satz 1 Nr 1), bzw auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 Satz 1 Nr 1). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 1 Satz 2). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 Satz 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3).

13

2. Nach den Feststellungen des LSG ist der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts eine Tätigkeit zu verrichten. Nicht entschieden werden kann unter Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen indes, ob der Kläger in der Lage ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch erwerbstätig zu sein, und ob ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss. Das LSG hat dies offengelassen, da eine Benennung von Verweisungstätigkeiten nach § 43 SGB VI idF des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit(RRErwerbG) vom 20.12.2000 (BGBl I 1827) - § 43 SGB VI nF - generell nicht mehr erforderlich sei.

14

Die Ansicht des LSG hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Grundsätze, die das BSG zur Erwerbsunfähigkeit nach der vor Inkrafttreten des RRErwerbG geltenden Rechtslage herausgearbeitet hat (hierzu a), sind auch für Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung nach dem ab dem 1.1.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (hierzu b). Eine Änderung der insoweit maßgeblichen Rechtslage lässt sich weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch der Gesetzesbegründung oder sonstigen Erwägungen begründen (hierzu c). Der im vorliegenden Fall geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hängt daher davon ab, ob der Kläger noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts im zeitlichen Rahmen erwerbstätig sein kann (hierzu d), bzw ob bei ihm eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, so dass ihm eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen ist (hierzu e). Entsprechende Feststellungen wird das LSG daher nachzuholen haben (hierzu f).

15

a) Nach der zu § 44 SGB VI aF ergangenen Rechtsprechung des BSG war die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit bei Versicherten mit einem, wenn auch mit qualitativen Einschränkungen vollschichtigen Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag(BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 mwN). Bereits nach den §§ 1246 und 1247 RVO knüpfte der Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an ein Herabsinken der Fähigkeit des Versicherten an, auf dem Arbeitsmarkt ein Einkommen zu erzielen. Die RVO differenzierte zwischen Renten wegen Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit: Während der Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO ua davon abhängig war, ob dem Versicherten eine ihm nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen noch mögliche Berufstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnte, setzte der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 Abs 2 RVO voraus, dass der Versicherte eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben konnte. Diese Struktur wurde in den §§ 43 und 44, jeweils aF, SGB VI inhaltlich unverändert übernommen(vgl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" im Sozialrecht, 2009, S 81 mwN). Das Leistungsvermögen und dessen Umsetzungsfähigkeit war an den individuellen Verhältnissen des Versicherten und den konkreten Bedingungen des Arbeitsmarkts zu messen (BSG stRspr, vgl nur BSGE 80, 24, 31 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 f; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und Nr 9 RdNr 18 ff; SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 22 ff, Nr 14 S 41 ff, Nr 17 S 58 ff und Nr 21 S 72 ff).

16

Die Ablehnung einer Rente mangels Minderung der Erwerbsfähigkeit setzte danach regelmäßig die konkrete Benennung zumindest einer Tätigkeit (Verweisungstätigkeit) voraus, die die den Rentenfall begründende Minderung der Erwerbsfähigkeit ausschloss, weil der Versicherte diese Tätigkeit noch ausüben konnte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale war hingegen nicht ausreichend (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; Senatsurteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits war aber auch nicht die Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes erforderlich (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteil vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33; vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

17

Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit dann nicht erforderlich, wenn der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO S Aa4; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte unteren Ranges (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

18

Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten grundsätzlichen Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27).

19

b) Diese Maßstäbe haben - wie bereits der 5. Senat entschieden hat (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18)- auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (vgl insoweit auch bereits die Senatsbeschlüsse vom 10.7.2002 - B 13 RJ 101/02 B - Juris RdNr 7 und vom 27.2.2003 - B 13 RJ 215/02 B - Juris RdNr 12). Durch das RRErwerbG wurden die oben skizzierten Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht abgeschafft, sondern vielmehr für den Anspruch auf Rente wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF übernommen: Erwerbsfähigkeit iS des § 43 Abs 3 SGB VI nF setzt nicht nur voraus, dass der Versicherte in der Lage ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts eine Tätigkeit zu verrichten", sondern darüber hinaus, dass er damit in der Lage ist, "erwerbstätig" zu sein, dh unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ein Erwerbseinkommen zu erzielen. Das Tatbestandsmerkmal der Fähigkeit zur Ausübung einer "Erwerbstätigkeit" in § 43 Abs 3 SGB VI nF ist § 44 Abs 2 SGB VI aF entnommen. Das Tatbestandsmerkmal der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" knüpft an die - oben wiedergegebene - Rechtsprechung des BSG zu den §§ 1246 und 1247 RVO bzw den §§ 43 und 44 SGB VI aF und die dort verwendete Begrifflichkeit an.

20

c) Die vom LSG gegen eine Weitergeltung dieser Grundsätze nach § 43 SGB VI nF angeführten Argumente überzeugen nicht.

21

aa) Insbesondere steht der Wortlaut des Gesetzes einem Vergleich zwischen der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Versicherten und den auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich vorkommenden Erwerbsmöglichkeiten bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht entgegen, sondern gebietet diesen. Denn die - von § 43 SGB VI nF nach dessen Wortlaut geforderte - Möglichkeit der Erzielung eines Erwerbseinkommens unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts besteht nur, wenn die dem Versicherten noch möglichen Tätigkeiten überhaupt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeübt werden können. Auch die Gesetzesbegründung bringt dies klar zum Ausdruck, indem sie auf die Entscheidung des Großen Senats vom 19.12.1996 ("BSGE 80, 24, 34") Bezug nimmt und ausführt, maßgeblich für die Feststellung des Leistungsvermögens sei die Erwerbsfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, dh in jeder nur denkbaren Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gebe, wobei allerdings nur Tätigkeiten in Betracht kämen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich seien. Damit werde sichergestellt, dass für die Feststellung des Leistungsvermögens solche Tätigkeiten nicht in Betracht zu ziehen seien, für die es für den zu beurteilenden Versicherten einen Arbeitsmarkt schlechthin nicht gebe. Der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente werde nicht allein vom Gesundheitszustand des Versicherten abhängig gemacht (sog abstrakte Betrachtungsweise), sondern auch davon, ob er noch in der Lage sei, bei der konkreten Situation des (Teilzeit-) Arbeitsmarkts die ihm verbliebene Erwerbsfähigkeit zur Erzielung eines Erwerbseinkommens einzusetzen (BT-Drucks 14/4230 S 25). In Bezug genommen werden durch diese Formulierung - entgegen der Ansicht des LSG - die Möglichkeiten der Erzielung eines Erwerbseinkommens auf dem Teilzeit- und dem Vollzeitarbeitsmarkt. Durch den Hinweis auf die Entscheidung des Großen Senats vom 19.12.1996 (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) und die Übernahme der dort verwendeten Begrifflichkeit macht die Gesetzesbegründung darüber hinaus deutlich, dass keine Abkehr von der zitierten Rechtsprechung des BSG beabsichtigt war, sondern dass vielmehr an diese angeknüpft werden sollte.

22

bb) Wenn die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/4230 S 23, 25) den der abstrakten Betrachtungsweise entgegengesetzten Begriff "konkrete Betrachtungsweise" in anderem Zusammenhang gebraucht, nämlich in Bezug auf sog "Arbeitsmarktrenten" bei teilweiser Erwerbsminderung, ändert dies hieran nichts. Jedenfalls kann daraus, dass der Gesetzgeber die sog "Arbeitsmarktrenten" beibehalten wollte, nicht geschlossen werden, dass er die konkrete Betrachtungsweise in Bezug auf die Fähigkeit eines Versicherten, mit seinem individuellen Leistungsvermögen eine Tätigkeit auszuüben, mit der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen erzielt werden kann, abschaffen wollte. Hierfür ergeben sich aus der Gesetzesbegründung ebenso wenige Anhaltspunkte wie für die Annahme des LSG, der Gesetzgeber habe "den gesamten Komplex der Benennung von Verweisungstätigkeiten einschränken bzw abschaffen" wollen.

23

Die Gesetzesbegründung benennt als Ausgangspunkt für die Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vielmehr zum einen, dass die Rentenversicherung bei einem beträchtlichen Teil der Versicherten nicht nur das Invaliditätsrisiko, sondern auch das Arbeitsmarktrisiko trage, und zum anderen, dass die Rente wegen Berufsunfähigkeit - wegen der dort typischen Bevorzugung von Versicherten mit besonderer Qualifikation in herausgehobenen Positionen - zunehmend in die Kritik geraten sei (BT-Drucks 14/4230 S 1). Ziel des Gesetzgebers war es damit, das durch die Arbeitslosenversicherung abzusichernde Arbeitsmarktrisiko von dem durch die Rentenversicherung abzusichernden Invaliditätsrisiko sachgerecht abzugrenzen (insbesondere auch durch Erstattungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit an die Rentenversicherung, vgl BT-Drucks 14/4230 S 1); weiteres Ziel war die Abschaffung der Rente wegen Berufsunfähigkeit. Der Verzicht auf die Prüfung der Verschlossenheit des Arbeitsmarkts, dh der fehlenden Möglichkeit der Erzielung eines Erwerbseinkommens auf dem konkret offenstehenden Arbeitsmarkt, gehörte - entgegen der Ansicht des LSG - nicht zu den in den Gesetzesmaterialien aufgeführten Zielen. Im Gegenteil legt die Gesetzesbegründung dar, dass eine Erwerbsminderungsrente, bei der (ohne Berücksichtigung der dem Versicherten verbliebenen Möglichkeit, auf dem [Teilzeit-]Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen) allein auf den Gesundheitszustand des Versicherten abgestellt werden sollte, nicht beabsichtigt war (so ausdrücklich BT-Drucks 14/4230 S 25).

24

cc) Eine Ungleichbehandlung von Versicherten mit unterschiedlicher fachlicher Qualifikation ist darin nicht zu sehen. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass ein Versicherter nur auf diejenigen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden kann, die er mit seiner individuellen fachlichen Qualifikation auch ausüben kann, da ihm nur mit diesen Tätigkeiten die Erzielung eines Erwerbseinkommens möglich ist.

25

dd) Maßgeblich ist damit für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung (auch) nach § 43 SGB VI nF, ob der jeweilige Versicherte mit seinem individuellen gesundheitlichen und beruflichen Leistungsvermögen Tätigkeiten ausüben kann, mit denen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen ist(so auch Mey, SGb 2007, 217 ff; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" im Sozialrecht, 2009, S 84 ff; KomGRV, § 43 SGB VI Anm 1.3, 4, 7, Stand April 2008; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Kamprad in Hauck/Noftz, K § 43 SGB VI RdNr 31 ff, 41, Stand Juni 2011; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, 3. Aufl, § 43 SGB VI RdNr 81 ff, Stand September 2009; Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung im SGB, § 43 SGB VI Anm 2, Stand März 2008; Lange in Jahn, SGB für die Praxis, § 43 SGB VI RdNr 26 ff, Stand Februar 2008; Steiner, SGb 2011, 310 ff; 365 ff; Dünn, MedSach 2011, 131 f; aA Apidopoulos, SGb 2006, 720 ff).

26

d) Im vorliegenden Fall kommt es mithin darauf an, ob der Kläger mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, er also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann (§ 43 Abs 1 Satz 2, Abs 3 Halbs 1 SGB VI). Dies setzt voraus, dass es solche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt gibt; nicht entscheidend ist hingegen, ob der Kläger eine konkrete Arbeitsstelle tatsächlich auch findet.

27

aa) Der "allgemeine Arbeitsmarkt" in diesem Sinne umfasst jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25). Das Merkmal "allgemein" grenzt den Arbeitsmarkt lediglich von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für Behinderte und andere geschützte Einrichtungen (Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung - SGB VI, aaO RdNr 85; Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 35 f, Stand Juni 2011). Eine Beschränkung auf körperlich leichte und fachlich einfache Arbeiten erfolgt durch die Bezeichnung "allgemeiner Arbeitsmarkt" entgegen der Meinung des LSG hingegen nicht.

28

Eine solche Beschränkung galt auch bei der früheren Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht. Vielmehr waren bei der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit alle Versicherten unabhängig von ihrem Beruf auf alle geeigneten Tätigkeiten verweisbar (BSGE 80, 24, 27 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 20; BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO S Aa4; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18). Wenn Versicherte, die zu körperlich leichten oder mittelschweren Arbeiten noch vollschichtig in der Lage waren, "auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder -feld (das meint ungelernte Tätigkeiten)" verwiesen werden durften (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24), so deshalb, weil dies die Tätigkeiten waren, auf die jedenfalls alle Versicherten - unabhängig von ihrem Bildungsstand - verwiesen werden konnten. Ein grundsätzlicher Ausschluss der Verweisung eines qualifizierten Versicherten auf eine seiner beruflichen Qualifikation entsprechende Tätigkeit erfolgte hierdurch jedoch nicht. Deswegen geht auch der Hinweis des LSG auf das Senatsurteil vom 23.5.2006 (SozR 4-2600 § 43 Nr 9) fehl: Wenn dort Feststellungen zu "körperlich leichten und fachlich einfachen Arbeiten, wie sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten werden" (aaO RdNr 24) gefordert wurden, bedeutet dies nicht, dass sich der allgemeine Arbeitsmarkt in solchen Tätigkeiten erschöpfen würde; vielmehr ging es in dieser Entscheidung um die Erwerbsfähigkeit einer ungelernten Versicherten, bei der lediglich eine Verweisung auf Tätigkeiten mit diesem Anforderungsprofil in Betracht kam.

29

bb) Unter den "üblichen Bedingungen" iS des § 43 SGB VI nF ist das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, dh unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Hierzu gehören sowohl rechtliche Bedingungen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche und tarifvertragliche Vorschriften, als auch tatsächliche Umstände, wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz (vgl zB Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung - SGB VI, aaO RdNr 86 ff, Stand September 2009). Üblich sind Bedingungen, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f). Eine Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ist insbesondere nicht mehr gegeben, wenn einer der in der Rechtsprechung des BSG anerkannten sog Katalogfälle einschlägig ist (vgl im Einzelnen BSGE 80, 24, 34 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28 f).

30

cc) Hieran ändert auch nichts, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nach § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI nF nicht zu berücksichtigen ist. Denn hiermit ist lediglich gemeint, dass konjunkturelle Schwankungen des Arbeitsmarkts unberücksichtigt zu bleiben haben. Wird eine bestimmte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aber aus strukturellen Gründen nicht (mehr) nachgefragt, kann man mit ihr auch kein Erwerbseinkommen erzielen, mit ihr also nicht erwerbstätig sein iS des § 43 Abs 3 SGB VI.

31

dd) Für den Regelfall kann damit davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen noch erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel noch möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in meist ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden (zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw - vgl BSGE 80, 24, 31 f = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 f).

32

Der Senat hält diese beispielhaft genannten Verrichtungen bzw Tätigkeiten nach wie vor für geeignet, um zu überprüfen, ob tatsächlich von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegangen werden kann. Er übersieht hierbei nicht, dass sich die Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seit Anfang der 1980iger Jahre (vgl hierzu BSGE 80, 24, 32 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 25 unter Hinweis auf BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81 und Nr 90) verändert haben. Neue Arbeitsfelder, insbesondere im Dienstleistungsbereich und im Bereich der Informationstechnik mögen hinzugekommen sein; gleichwohl ist anhand der og Verrichtungen bzw Tätigkeiten eine Überprüfung, ob mit dem verbliebenen Restleistungsvermögen ausreichende Erwerbsmöglichkeiten für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich vorhanden sind, jedenfalls auch für dort zu verrichtende ungelernte Tätigkeiten weiterhin möglich.

33

e) Es besteht jedoch dann die Pflicht zur Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26). Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, die einer Konkretisierung schwer zugänglich sind (Senatsurteile vom 19.8.1997 - BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69; vom 20.8.1997 - SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f). Eine vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe sichert, dass immer dann, wenn "ernsthafte Zweifel" bestehen, ob der Versicherte "in einem Betrieb einsetzbar" ist (oder ein Katalogfall vorliegen könnte), die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit erfolgen muss, die nicht nur zu dem Vergleich von Leistungsfähigkeit und Anforderungsprofil führt, sondern auch zu der individuellen Prüfung, ob dem Versicherten der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist oder nicht (so BSGE 80, 24, 39, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33, 27: "ernste Zweifel"; vgl schon BSG 4. Senat vom 30.11.1982 - SozR 2200 § 1246 Nr 104 LS; Senatsurteile vom 19.8.1997 - 13 RJ 55/96 - SozSich 1998, 112 - Juris RdNr 24; vom 20.8.1997 - BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 59; vom 30.10.1997 - 13 RJ 49/97 - Juris RdNr 20, vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73; vom 23.8.2001 - B 13 RJ 13/01 R - Juris RdNr 21; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43 und vom 10.12.2003 - BSG SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 11).

34

aa) Insofern richtet sich der hierbei anzustellende Prüfungs- und Begründungsaufwand nach den konkreten Umständen des Einzelfalls; insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss der Rentenversicherungsträger bzw das Tatsachengericht die Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen. Erforderlich ist eine Untersuchung, welche Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen durch die beim Versicherten vorliegenden Gesundheitsstörungen im Einzelnen ausgeschlossen sind (Senatsurteile vom 23.5.2006 - SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; vom 19.8.1997 - BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 70; vom 20.8.1997 - BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61; vom 30.10.1997 - 13 RJ 49/97 - Juris RdNr 24 ff). Diesen aufgezeigten abstrakten Maßstäben ist allerdings Kritik entgegengesetzt worden im Hinblick auf die Praktikabilität dieser Rechtsprechung (Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006)und den damit verbundenen Begründungsaufwand für die Rentenversicherungsträger und die Instanzgerichte (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 107).

35

bb) Aus diesem Grund weist der Senat erneut darauf hin, dass sich aus Zweckmäßigkeits- und aus Effektivitätsgründen die rentenrechtliche Prüfung in zwei Schritten anbietet:

36

(1) Bei Versicherten, die trotz qualitativer Leistungseinschränkungen noch zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten können, ist die Einsatzfähigkeit des Versicherten in einem Betrieb nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen (noch kommt die Möglichkeit einer praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts in Betracht). Auf der ersten Prüfstufe ist daher festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw <vgl BSGE 80, 24, 32 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 25>)erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. In diesem Fall genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl, aaO RdNr 168; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand Juni 2011; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der oben beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

37

(2) Erst dann, wenn sich solche Bereiche des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht beschreiben lassen, in denen es Arbeitsplätze gibt, die der Versicherte unter Berücksichtigung seines Restleistungsvermögens noch ausfüllen kann und insofern "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen aufkommen, stellt sich die Prüfpflicht, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteile vom 20.8.1997 - SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; BSG 5. Senat vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44). Verbleibt es bei den ernsten Zweifeln an der Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der individuellen Leistungseinschränkungen, ist mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zum Ausschluss der Voraussetzungen des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung erforderlich (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33).

38

f) Ob dem Kläger ein Verweisungsberuf benannt werden muss, kann anhand der Feststellungen des LSG nicht entschieden werden. Sollte sich das LSG nicht davon überzeugen können, dass der Kläger mit seinem Restleistungsvermögen noch bestimmte "Arbeitsfelder" ausfüllen bzw og "Tätigkeiten der Art nach" noch verrichten kann - um Zweifel an der betrieblichen Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuräumen -, wird das LSG das Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung zu prüfen haben. Bejaht es die eine oder andere Alternative, wird es Feststellungen nachzuholen haben, ob dem Kläger ein konkreter Verweisungsberuf benannt werden kann, den er mit seinen individuellen gesundheitlichen Leistungseinschränkungen und seiner fachlichen Qualifikation noch ausüben kann. Hierbei wird zu berücksichtigen sein, ob der Kläger den Bedingungen und Anforderungen, unter denen die entsprechende Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Erzielung eines Erwerbseinkommens ausgeübt wird, noch gewachsen ist.

39

Das LSG wird abschließend über die gesamten Kosten des Rechtsstreits nach § 193 SGG zu befinden haben(BSG SozR 5870 § 2 Nr 62 S 201 f).

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. April 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten für das Revisionsverfahren sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht der Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung ab 1.9.2008 infolge eingeschränkter Wegefähigkeit.

2

Die im Jahre 1963 geborene Klägerin bezieht seit April 2007 Leistungen der Grundsicherung (SGB II). Sie ist schwerbehindert und in ihrer Gehfähigkeit eingeschränkt (Bescheid des Versorgungsamts Berlin vom 26.11.2007: GdB von 60 und Merkzeichen "G"). Dem liegen im Wesentlichen ein fortgeschrittenes arteriosklerotisches Gefäßleiden mit Ausbildung einer arteriellen Verschlusskrankheit der Beine und eine Herzerkrankung zugrunde. Im Rahmen einer sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung wurde festgestellt, dass es der Klägerin nicht mehr zumutbar war, viermal täglich Wegstrecken von 500 m innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen (Gutachten Dr. W. vom 24.1.2007).

3

Der im Juni 2007 gestellte Rentenantrag blieb erfolglos (Bescheid vom 24.10.2007, Widerspruchsbescheid vom 26.11.2008). Die Klägerin könne noch körperlich mittelschwere Arbeiten ständig im Sitzen für mindestens sechs Stunden täglich unter Berücksichtigung von qualitativen Einschränkungen verrichten. Die bei ihr bestehende Wegeunfähigkeit sei durch den im Widerspruchsverfahren ergangenen Bescheid der Beklagten vom 1.8.2008 entfallen; hiermit hat die Beklagte für den Zeitraum vom 11.8.2008 bis zum 31.8.2009 die Übernahme der notwendigen Kosten für Fahrten mit dem Taxi zur Wahrnehmung von Vorstellungsgesprächen bewilligt und sich bereit erklärt, "im Falle der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses (im genannten Zeitraum) ab dem Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme Leistungen zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes" in Form der "tatsächlich anfallenden Beförderungskosten" zu übernehmen.

4

Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 22.10.2009 der Klägerin über den 31.8.2009 hinaus zunächst bis zum 31.8.2010 dieselben Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wie im Bescheid vom 1.8.2008 gewährt. Das SG Berlin hat nach weiteren Ermittlungen (internistisches Gutachten Dr. K. vom 2.6.2009 mit ergänzender Stellungnahme vom 7.8.2009) die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.6.2007 zu gewähren (Urteil vom 29.4.2010). Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass die Wegeunfähigkeit der Klägerin nicht durch die Bescheide über Teilhabeleistungen (vom 1.8.2008 und 22.10.2009) entfallen sei, weil sich die Leistungen nicht auf ein bestehendes oder konkret in Aussicht gestelltes Arbeitsverhältnis bezogen hätten.

5

Im Verfahren über die Berufung der Beklagten hat diese - entsprechend der Zusage der Beförderungskosten vor dem SG am 29.4.2010 - mit weiterem Bescheid vom 17.9.2010 über den 31.8.2010 hinaus zunächst bis zum 31.8.2011 die Übernahme der notwendigen Kosten für Taxifahrten zu Vorstellungsgesprächen bewilligt und die Kostenzusage für die tatsächlich anfallenden Beförderungskosten im Falle der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses im Bewilligungszeitraum erneuert. In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat die Beklagte die Berufung hinsichtlich des Zeitraums vom 1.6.2007 bis zum 31.8.2008 zurückgenommen.

6

Im Übrigen hat das LSG Berlin-Brandenburg das Urteil des SG Berlin aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.4.2011). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert, sodass ihr kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung (§ 43 Abs 1, Abs 2 SGB VI)zustehe. Sie sei noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten. Dies folge aus dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Klageverfahren. Einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung könne sie nicht aus ihrer mangelnden Wegefähigkeit herleiten. Zwar sei sie nicht mehr in der Lage, Wegstrecken von 500 m Länge in angemessener Zeit zurückzulegen, und auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihr nicht mehr zumutbar, sodass ein Minimum an Mobilität zum Aufsuchen der Arbeitsstelle als Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos nicht mehr vorliege(Hinweis auf BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 10). Gleichwohl sei ihre Wegeunfähigkeit ab dem 1.9.2008 durch die konkret bewilligten Leistungen zur Rehabilitation (Bescheide der Beklagten vom 1.8.2008, 22.10.2009 und 17.9.2010 gemäß § 16 SGB VI, § 33 SGB IX) als behoben anzusehen (Hinweis auf BSG SozR Nr 101 zu § 1246 RVO; SozR 2200 § 1247 Nr 47 und Nr 53). Zur Beseitigung der rentenrechtlichen Wegeunfähigkeit reiche es aus, wenn der Leistungsträger geeignete Mobilitätshilfen anbiete (Hinweis auf BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; SozR 3-2600 § 44 Nr 10; BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 36/01 R und Senatsurteil vom 14.3.2002 - B 13 RJ 25/01 R). Nicht erforderlich sei, dass das Mobilitätsdefizit dadurch behoben werde und der Versicherte tatsächlich am Arbeitsleben teilnehme. Es müssten aber rechtlich verbindliche Erklärungen des Versicherungsträgers - regelmäßig in Form eines Verwaltungsakts (§ 31 SGB X) -ergehen, auf die der Versicherte vertrauen dürfe; die Regelung letzter Detailfragen sei nicht erforderlich. Entgegen der Ansicht des SG (und des Sächsischen LSG, Urteil vom 21.1.2003 - L 5 RJ 190/01) müsse kein konkretes Arbeitsverhältnis bestehen oder dies in Aussicht gestellt worden sein, um das Mobilitätsdefizit zu beheben. Denn dies würde eine große Anzahl arbeitsuchender oder arbeitsunwilliger Versicherter von vornherein ausschließen. Im Übrigen würde diese Sichtweise dem Grundsatz "Reha vor Rente" widersprechen (§ 9 Abs 1 S 2 SGB VI, § 8 Abs 2 SGB IX).

7

Den aufgezeigten Anforderungen genügten die Bescheide der Beklagten über die Teilhabeleistungen. Die in Form eines Verwaltungsakts (§§ 31, 33 SGB X) erteilte Erklärung, Kosten für Fahrten mit dem Taxi zur Wahrnehmung von Vorstellungsgesprächen und im Fall der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses die tatsächlich anfallenden Beförderungskosten zu übernehmen, stellten eine hinreichend konkrete Festlegung der Art und Ausgestaltung der Rehabilitationsleistung dar. Die zeitliche Einschränkung der jeweiligen Bewilligungszeiträume auf ein Jahr stehe der Bestimmtheit des Leistungsangebots nicht entgegen. Die Beklagte habe auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie Rehabilitationsleistungen in Form einer Mobilitätshilfe nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV - vom 28.9.1987, BGBl I 2251, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.12.2003, BGBl I 2848) dem Grunde nach gewähre und dass sie ihrem Ermessen entsprechend von der Härtefallregelung (§ 9 Abs 1 KfzHV) Gebrauch mache. Sie habe die Klägerin so behandelt, als stehe ihr für das Zurücklegen des Weges von und zur Arbeitsstätte kein eigenes Fahrzeug zur Verfügung. Zudem habe sie ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, dass die Kosten eines Beförderungsdienstes nicht nur bezuschusst, sondern unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation der Klägerin voll übernommen würden (§ 9 Abs 1 S 2 KfzHV). Unerheblich sei, dass die Klägerin die Teilhabeleistungen tatsächlich nicht in Anspruch genommen habe. Auch wenn dem Versicherten Teilhabeleistungen nicht gegen seinen Willen aufgedrängt werden könnten (§ 115 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGB VI), dürfe der Versicherte seinem Rentenbegehren nicht durch die Ablehnung der angebotenen Teilhabeleistungen zum Erfolg verhelfen. Auch dies widerspreche dem Grundsatz "Reha vor Rente".

8

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Entgegen der Ansicht des LSG habe die Beklagte die rentenrechtliche Wegefähigkeit nicht durch die Bescheide über Teilhabeleistungen am Arbeitsleben wiederherstellen können. Es mangele an der Bezugnahme auf ein bestehendes oder konkret in Aussicht gestelltes Arbeitsverhältnis. Auch fehlten Bestimmungen über die Höhe der Beförderungskosten bzw den Umfang der Beförderungsdienste. Die im Vorfeld eines Arbeitsverhältnisses abgegebenen Erklärungen seien notwendigerweise abstrakt und daher unverbindlich. Gemäß § 13 Abs 2 SGB VI seien Teilhabeleistungen aber in Form eines Verwaltungsakts gemäß § 31 SGB X zu bestimmen. Die von der Beklagten abgegebenen Erklärungen stellten noch nicht einmal Zusicherungen iS von § 34 SGB X dar. Auch reiche der bloße Hinweis auf eine nach der KfzHV mögliche Bewilligung von Teilhabeleistungen nicht aus. Es widerspreche dem Grundgedanken des Rehabilitationsrechts, dass die tatsächliche Aufhebung des Mobilitätsdefizits zur Beseitigung der Wegeunfähigkeit nicht erforderlich sei. Die vom LSG vertretene Ansicht führe dazu, dass ein bestehender Rentenanspruch mit Hilfe des Rehabilitationsrechts ausgehöhlt werde.

9

           

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. April 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. April 2010 auch für den Zeitraum ab dem 1. September 2008 zurückzuweisen.

10

           

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

11

Sie hält das angefochtene Berufungsurteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Urteil des LSG hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.

13

Zu Recht hat das LSG entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ab 1.9.2008 hat.

14

Die rentenrechtliche Wegeunfähigkeit der Klägerin (1.) ist nach den Maßstäben der Rechtsprechung des BSG (2.) durch geeignete Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beseitigt worden. Es liegt eine Ausnahme von dem Grundsatz vor, dass die zum Rentenanspruch führende Wegeunfähigkeit erst durch die erfolgreiche Durchführung einer bewilligten Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben behoben ist (3.).

15

1. Der Rentenanspruch richtet sich nach § 43 SGB VI(idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754).

16

Auf der Grundlage der nicht mit Revisionsrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen ist die Klägerin weder teilweise (§ 43 Abs 1 SGB VI) noch voll (Abs 2 aaO) erwerbsgemindert. Ihr Leistungsvermögen ist zwar in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht eingeschränkt (körperlich leichte Tätigkeiten, täglich mindestens sechs Stunden).

17

Auch wegen ihrer eingeschränkten Wegefähigkeit steht ihr keine Rente wegen Erwerbsminderung zu.

18

a) Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen.

19

Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (Großer Senat in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Diese Kriterien hat das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie ihn § 1247 RVO und § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (aF) umschrieben hatten (vgl BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 10 mwN; SozR 3-2600 § 44 Nr 10). Auch der erkennende Senat hat das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität als Teil des von §§ 43, 44 SGB VI aF versicherten Risikos erachtet(BSG vom 14.3.2002 - B 13 RJ 25/01 R - Juris RdNr 20 mwN). Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung (§ 43 Abs 2 SGB VI) unverändert fort (vgl BSG vom 28.8.2002 - B 5 RJ 12/02 R - Juris RdNr 12; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 8 RdNr 15; Senatsurteil vom 12.12.2011 - B 13 R 21/10 R - Juris).

20

Konkret gilt: Hat wie hier der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt (vgl BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 10 S 30; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 53 S 106, Nr 56 S 111; Senatsurteil vom 14.3.2002 - B 13 RJ 25/01 R - Juris RdNr 21). Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 10 S 30 f). Dazu gehört zB auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (vgl BSGE 24, 142, 145 = SozR Nr 56 zu § 1246 RVO Bl Aa 44 Rückseite; Senatsurteil vom 14.3.2002 - B 13 RJ 25/01 R - Juris RdNr 21).

21

b) Auf dieser Grundlage tragen die tatsächlichen Feststellungen des LSG seine Annahme, dass die Klägerin nicht mehr über die erforderliche Mobilität verfügt, um eine Arbeitsstelle des allgemeinen Arbeitsmarktes aus eigener Kraft aufzusuchen. Sie kann weder Wegstrecken von 500 m Länge in angemessener Zeit zurücklegen, noch ist ihr die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar. Zwar ist sie im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis und verfügt über langjährige Fahrpraxis. Das Kfz des Ehemannes steht ihr jedoch nicht jederzeit zur Verfügung, sodass sie nicht auf dessen ansonsten zumutbare Benutzung verwiesen werden kann.

22

Diese Feststellungen sind für den Senat bindend (§ 163 SGG), da sie nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind. Auch die Beklagte geht davon aus, dass der Klägerin kein geeignetes Fahrzeug zur Bewältigung des Weges von und zur Arbeitsstätte zur Verfügung steht.

23

Die Beklagte hat jedoch die rentenrechtliche Wegeunfähigkeit der Klägerin für die streitige Zeit wieder beseitigt.

24

2. Dies ist nach der Rechtsprechung des BSG möglich, wenn der Rentenversicherungsträger durch geeignete Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine ausreichende Mobilität des Versicherten wiederherstellt (vgl BSG SozR 3-2600 § 44 Nr 10 S 38; Senatsurteil vom 14.3.2002 - B 13 RJ 25/01 R - Juris RdNr 23).

25

Rehabilitationsleistungen des Rentenversicherungsträgers richten sich nach § 9 Abs 1 S 1 Nr 2 und Abs 2 SGB VI, wonach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zur möglichst dauerhaften Wiedereingliederung in das Erwerbsleben erbracht werden können, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen(§§ 10, 11 SGB VI) erfüllt sind und kein gesetzlicher Leistungsausschluss (§ 12 SGB VI) vorliegt. Die Entscheidung der Frage, "ob" einem Versicherten Rehabilitationsleistungen zu gewähren sind, ist anhand der og Vorschriften zu beurteilen. Erst die Entscheidung, "wie" die Rehabilitationsleistungen, etwa nach Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung (§ 13 S 1 SGB VI) zu erbringen sind, dh welche Leistungen in Betracht kommen, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Rentenversicherungsträgers (stRspr, vgl BSGE 85, 298, 300 = SozR 3-2600 § 10 Nr 2 S 3; BSG SozR 3-5765 § 10 Nr 1 S 3 f; Nr 3 S 15; BSG SozR 3-1200 § 39 Nr 1 S 3 f; BSG SozR 4-3250 § 14 Nr 3 RdNr 35; BSG SozR 4-5765 § 7 Nr 1 RdNr 11). Der Rentenversicherungsträger erbringt Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den bereichsübergreifenden Vorschriften der §§ 33 bis 38 SGB IX(§ 16 SGB VI). Die Leistungen nach § 33 Abs 3 Nr 1 und Nr 6 SGB IX(Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes; sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um eine angemessene Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen oder zu erhalten), umfassen ua die Kraftfahrzeughilfe nach der KfzHV (§ 33 Abs 8 S 1 Nr 1 SGB IX). Die KfzHV enthält eigene Leistungsvoraussetzungen (zu §§ 3, 4 KfzHV vgl Senatsurteil vom 9.12.2010 - BSGE 107, 157 = SozR 4-5765 § 4 Nr 1, RdNr 16 ff)und besondere Ermessensregelungen (§ 9 KfzHV, vgl BSG SozR 4-5765 § 7 Nr 1 RdNr 11 mwN).

26

Hierzu hat der 5. Senat des BSG klarstellend ausgeführt, dass nicht bereits das Angebot von Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation genüge, um den Eintritt des Versicherungsfalls abzuwenden, sondern erst mit deren erfolgreicher Durchführung die den Versicherungsfall begründende fehlende Mobilität effektiv wiederhergestellt sei. Offengelassen hat der 5. Senat, unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise Fälle denkbar seien, in denen nicht erst die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme, sondern bereits eine geeignete Leistungsbewilligung die Wegeunfähigkeit eines arbeitslosen Versicherten beseitige. Eine Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung könne daher nur in Betracht kommen, wenn die bewilligte Leistung den Versicherten in eine Lage versetze, die derjenigen eines Versicherten gleiche, der einen Führerschein und ein privates Kfz besitze und dem die Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses sowie die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auch an einem über 500 m entfernt liegenden Arbeitsplatz zuzumuten sei, weil er mit einigermaßen verlässlich einzuschätzendem Aufwand an Zeit und Kosten dorthin gelangen könne. Nur wenn der gehbehinderte Versicherte jederzeit ein Kfz tatsächlich nutzen könne, sei es ihm möglich, trotz der Beschränkung der Wegefähigkeit ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen, sodass bei vollschichtigem Leistungsvermögen der Arbeitsmarkt trotz Wegeunfähigkeit nicht als verschlossen anzusehen sei (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 8 RdNr 16, 22).

27

Diesen aufgezeigten Maßstäben schließt sich der erkennende Senat an.

28

3. Die von der Beklagten bewilligten bzw zugesicherten Teilhabeleistungen haben das Mobilitätsdefizit der arbeitsuchenden Klägerin im streitigen Zeitraum beseitigt. Es liegt eine Ausnahme von dem Grundsatz vor, wonach die zum Rentenanspruch führende Wegeunfähigkeit erst durch die erfolgreiche Durchführung einer vom Versicherungsträger bewilligten Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben behoben ist.

29

a) Nach zutreffender Auslegung des LSG erfüllen die Bescheide der Beklagten vom 1.8.2008, 22.10.2009 und vom 17.9.2010 die oben genannten Anforderungen.

30

Der erste Regelungskomplex der Bescheide betrifft die jeweils auf ein Jahr befristete Bewilligung der Übernahme der notwendigen Kosten für Taxifahrten zur Wahrnehmung von Vorstellungsgesprächen in voller Höhe. Hierbei handelt es sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 31 S 1 SGB X, der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 9, 13, 16 SGB VI iVm § 33 Abs 1 und Abs 3 Nr 1 SGB IX konkret bewilligt.

31

Der zweite Regelungskomplex der Bescheide enthält die jeweils auf ein Jahr befristete Zusage, die tatsächlich entstehenden Beförderungskosten ohne finanzielle Eigenbeteiligung der Klägerin im Fall der Arbeitsaufnahme zur Erhaltung des Arbeitsplatzes zu übernehmen. Hierbei handelt es sich um eine Zusicherung gemäß § 34 Abs 1 S 1 SGB X, die als solche ebenfalls die Rechtsqualität eines Verwaltungsakts hat(stRspr, vgl BSG SozR 3-1300 § 34 Nr 2 S 4; BSGE 56, 249, 251 = SozR 5750 Art 2 § 9a Nr 13 S 43; SozR 2200 § 1237 Nr 10 S 10). Die Zusicherung hat die Aufgabe, dem Adressaten als verbindliche Zusage über das zukünftige Verhalten der Verwaltungsbehörde bei Erlass des Verwaltungsakts Gewissheit zu verschaffen (vgl BSG SozR 3-1300 § 34 Nr 2 S 4 mwN). Die Beklagte hat sich zu der Behandlung eines in der Zukunft liegenden, konkreten Sachverhalts verpflichtet. Der Regelungswille der Behörde ist in den Bescheiden deutlich erkennbar geworden. Damit folgt aus der wirksamen Zusicherung ein Rechtsanspruch auf die zugesagte Regelung (BSG SozR 4-1500 § 55 Nr 9 RdNr 15).

32

Ob die erteilten Bescheide über die Teilhabeleistungen eine zutreffende Rechtsgrundlage haben, kann hier dahinstehen. Die Klägerin hat die Bescheide nicht angegriffen (§ 77 SGG).

33

Durch die bestandskräftigen Bescheide war für die Klägerin ab 1.9.2008 aber hinreichend klar bestimmt, mit welchen konkreten finanziellen Mobilitätshilfen sie im Fall der Wahrnehmung von Vorstellungsgesprächen und bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit rechnen konnte. Ihnen war deutlich zu entnehmen, dass die Klägerin die volle Kostenerstattung ihrer tatsächlichen Beförderungskosten (einschließlich Taxikosten) jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt erhalten sollte, wie die Beklagte bei Begründung einer dauerhaften Erwerbstätigkeit abschließend über Leistungen der Kraftfahrzeughilfe (§ 2 Abs 1 KfzHV)unter Festlegung eines ggf zu tragenden Eigenanteils (vgl dazu BSG SozR 3-5765 § 9 Nr 2)bzw über Zuschüsse zu Beförderungskosten gemäß der Härtefallregelung des § 9 KfzHV(BSG SozR 4-5765 § 9 Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 56 Nr 10)nach den dann gegebenen individuellen wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin neu entscheiden würde. Dass eine solche Prüfung und Ermessensentscheidung erst nach Aufnahme einer dauerhaften Erwerbstätigkeit möglich war, steht der Wiederherstellung der fehlenden Mobilität durch geeignete Teilhabeleistungen bis dahin nicht entgegen.

34

b) Zutreffend hat das LSG ausgeführt, dass entgegen der Ansicht der Klägerin die ihre Wegeunfähigkeit beseitigende Bewilligung von Teilhabeleistungen nicht erst ab dem Zeitpunkt eines bestehenden oder konkret in Aussicht gestellten Arbeitsverhältnisses erfolgen durfte (so aber Sächsisches LSG, vom 21.1.2003 - L 5 RJ 190/01; dem folgend SG Berlin vom 8.1.2008 - S 6 R 1224/06, beide in Juris). Zum einen hat die Beklagte entsprechende Leistungen bindend bewilligt. Zum anderen widerspräche ein solches Erfordernis bereits dem Wortlaut von § 33 Abs 3 Nr 1 SGB IX, wonach Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben ua als Hilfen zur "Erlangung eines Arbeitsplatzes" erfolgen können. Auch die Härtefallregelung von § 9 Abs 1 S 1 Nr 2 KfzHV sieht Hilfen zur "Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit" vor. Dem Rehabilitationsrecht lassen sich keine rechtlichen Anhaltspunkte für die von der Klägerin vertretene Sichtweise entnehmen, mit der Prüfung von Teilhabeleistungen müsse so lange zugewartet werden, bis der Versicherte zumindest eine konkrete Aussicht auf eine Erwerbstätigkeit hat. Im Gegenteil, aus den bereichsübergreifenden Vorschriften des Rehabilitationsrechts (SGB IX) ergibt sich, dass Leistungen zur Teilhabe bezwecken, Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit zu vermeiden oder zu überwinden (§ 4 Abs 1 Nr 2 SGB IX). § 9 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI normiert zudem als Aufgabe rentenrechtlicher Teilhabeleistungen die Verhinderung von Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Leistungen zur Teilhabe haben daher Vorrang vor Rentenleistungen, die im Falle des Erfolgs der Teilhabeleistungen nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind (§ 9 Abs 1 S 2 SGB VI). Der hieraus abgeleitete Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" war schon unter Geltung des Rehabilitationsangleichungsgesetzes (§ 7 Abs 1 RehaAnglG) anerkannt (vgl BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr 13). Er war dann verletzt, wenn der Rentenversicherungsträger berufsfördernde Leistungen der Rehabilitation erst nach einem Arbeitsangebot oder einer Arbeitsaufnahme zu prüfen begann (BSG SozR 3-2600 § 44 Nr 10 S 39). Nach Inkrafttreten des SGB IX ist dieser Grundsatz für alle Rehabilitationsträger im Vorrang von Leistungen zur Teilhabe vor Rentenleistungen fortgeschrieben worden (§ 8 Abs 2 SGB IX). Hieran zeigt sich, dass das frühe Eingreifen von Rehabilitationsleistungen zur Vermeidung von Einschränkungen in der Erwerbsfähigkeit gesetzlich bezweckt ist (vgl Welti in Lachwitz/Schellhorn/Welti, HandKomm zum SGB IX, 3. Aufl 2010, § 8 RdNr 26; ders in jurisPR-SozR 2/2007 Anm 4).

35

c) Auch dies übersieht die Klägerin, wenn sie meint, die Beklagte habe lediglich abstrakte Erklärungen über zukünftige Sachverhalte abgegeben. Vielmehr haben sich die konkret bewilligten oder zugesicherten Teilhabeleistungen auf die aktuelle Situation der Arbeitsuche bezogen, die mit Hilfe konkreter Teilhabeleistungen ermöglicht werden soll. Zu diesem Zeitpunkt können aber noch keine konkreten Teilhabeleistungen bewilligt oder zugesichert werden, die erst im Fall einer dauerhaften Erwerbstätigkeit (nach Ablauf der Probezeit) unter veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen in Betracht kommen. Denn diese Leistungen setzen eine erneute Prüfung und Ermessensentscheidung der Beklagten schon im Hinblick auf eine Eigenbeteiligung des Versicherten voraus (§ 2 Abs 1, § 9 KfzHV).

36

Hier haben die bewilligten bzw zugesicherten Teilhabeleistungen der Beklagten die Klägerin während des jeweils bewilligten Leistungszeitraums in jene Lage versetzt, die derjenigen eines Versicherten gleicht, der einen Führerschein und ein privates Kraftfahrzeug besitzt. Die Klägerin konnte jederzeit Beförderungsdienste (einschließlich Taxis) für Fahrten zu Vorstellungsgesprächen bzw zum Arbeitsplatz und zurück zur Wohnung in Anspruch nehmen. Sie durfte, wie ihr in der Begründung der Bescheide erläutert, darauf vertrauen, dass die Beklagte gegen Vorlage von Quittungen bzw entsprechenden Nachweisen die notwendigen tatsächlich entstandenen Beförderungskosten umgehend in voller Höhe erstatten würde. Der der Klägerin entstehende Zeit- und Kostenaufwand, auch an einen von ihr nicht zu Fuß erreichbaren Ort zu gelangen, war damit vorhersehbar und zumutbar geworden.

37

d) Dem steht schließlich nicht entgegen, dass die Beklagte die Teilhabeleistungen im Rahmen ihres Ermessens auf jeweils ein Jahr befristet hat. Der Senat hält die Dauer dieses Bewilligungszeitraums für noch ausreichend, wenngleich eine Bewilligung bis zur Begründung einer dauerhaften Erwerbstätigkeit das Problem der "Nahtlosigkeit" der Teilhabebescheide vermieden hätte. Auch wenn der Teilhabebescheid vom 22.10.2009 die Leistungen erst rückwirkend (über den 31.8.2009 hinaus) bewilligt hat, kann die Klägerin aus der insoweit fehlenden "Nahtlosigkeit" zum vorangegangenen Teilhabebescheid, der den Zeitraum bis 31.8.2009 abgedeckt hat, keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung herleiten. Denn nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG hat die Klägerin erklärt, die Beförderungsdienste weder wahrgenommen zu haben noch diese in Anspruch nehmen zu wollen. Aus der verzögerten Bescheiderteilung ergibt sich daher kein Umstand, der die Wegefähigkeit der Klägerin ab 1.9.2009 hätte in Frage stellen können.

38

Auch wenn Teilhabeleistungen von Amts wegen nur mit Zustimmung des Versicherten erbracht werden können (§ 115 Abs 4 S 2 SGB VI, § 9 Abs 4 SGB IX), darf das unberechtigte Ablehnen von Teilhabeleistungen oder die verweigerte Zustimmung nicht dem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung zum Erfolg verhelfen. Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat die Klägerin keine plausiblen, nachvollziehbaren Gründe oder berechtigten Wünsche (§ 9 Abs 1 SGB IX) geltend gemacht, weshalb sie die tatsächliche Inanspruchnahme der bewilligten Teilhabeleistungen hätte ablehnen dürfen. Sie hat die Teilhabebescheide vielmehr in Bestandskraft (§ 77 SGG) erwachsen lassen.

39

Nach alledem war es ihr trotz beschränkter Wegefähigkeit möglich, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen; damit war bei vollem quantitativem Leistungsvermögen der Arbeitsmarkt nicht verschlossen.

40

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 18. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

2

Die 1970 geborene Klägerin war in ihrem erlernten Beruf als Facharbeiterin für Lebensmitteltechnik mit der Spezialisierung "Getränke" bis Juli 1990 tätig. Im Anschluss daran war sie - mit Unterbrechungen wegen Arbeitslosigkeit - als Reinigungskraft und bis Januar 2005 in Teilzeit im Geschäft ihres Ehemanns versicherungspflichtig beschäftigt.

3

Ihren Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung vom Juli 2006 lehnte die Beklagte im Wesentlichen unter Berufung auf das von ihr eingeholte Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie W. vom 13.12.2006 ab (Bescheid vom 4.1.2007, Widerspruchsbescheid vom 28.4.2009). Bei der Klägerin liege ein arbeitstägliches Leistungsvermögen für sechs Stunden und mehr für mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Nachtschicht, ohne Publikumsverkehr, ohne besondere Verantwortung für Personen und Maschinen, ohne Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge, ohne besonderen Zeitdruck und ohne Absturzgefahr vor.

4

Das SG hat ein Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie K. vom 11.5.2010 eingeholt. Mit Urteil vom 20.10.2010 hat es die Klage abgewiesen, da die Klägerin nach den schlüssigen und nachvollziehbaren gutachterlichen Feststellungen noch über ein Leistungsvermögen verfüge, mit dem sie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne.

5

Nach Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens (Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. A. vom 4.10.2011) hat das LSG mit Urteil vom 18.1.2012 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren könne die Klägerin noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr täglich erwerbstätig sein. Sie könne mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten. Schichtarbeit, Tätigkeiten mit ständigem Publikumsverkehr, besonderem Zeit- und Leistungsdruck, Verantwortung für Personen oder Maschinen sowie Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge seien ihr hingegen nicht mehr zumutbar. Sie könne Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an geistige und mnestische Fähigkeiten bewältigen, insbesondere seien erhöhte Anforderungen an ihre Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit ausgeschlossen. Die Klägerin sei zudem nur in einer Tätigkeit in einem gut strukturierten und überschaubaren Arbeitsfeld mit sich wiederholenden Arbeitsabläufen sowie innerhalb eines kleinen Arbeitsteams einsetzbar. Eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände sei gegeben. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin werde in erster Linie auf psychiatrischem Fachgebiet durch eine rezidivierende depressive Störung mit einer leichtgradigen Symptomatik beeinträchtigt. Die depressiven Verstimmungen der Klägerin mit Antriebsmangel und Rückzugstendenzen träten allerdings lediglich phasenweise auf, eine manifeste depressive Erkrankung mit nachweislichen psychopathologischen Auffälligkeiten liege nicht vor. Dr. A. habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin die dysfunktionalen Erscheinungsformen ihrer Erkrankung - das ausgeprägte Vermeidens- und Rückzugsverhalten, die fixierte Abwehr und der Verzicht auf aktive Kompensationsmöglichkeiten - willentlich beeinflussen könne und der Klägerin eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit an fünf Tagen in der Woche möglich sei. Insoweit seien Arbeitsunfähigkeitszeiten bei einer leidensgerechten Arbeit krankheitsbedingt nicht gerechtfertigt. Vielmehr sei die Klägerin bei zumutbarer Anstrengung in der Lage, ohne eine länger als insgesamt sechs Monate (pro Jahr) währende Arbeitsunfähigkeitszeit zu arbeiten. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit sei nicht erforderlich, weil bei ihr keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, die trotz ihrer sechsstündigen Einsetzbarkeit zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen könnte.

6

Die Klägerin macht mit ihrer beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensfehler geltend.

7

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unbegründet.

8

1. Der Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 15.8.2012 ist nicht berücksichtigt worden, weil er nach Ablauf der bis zum 30.5.2012 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist erfolgt ist (§ 160a Abs 2 S 1 und 2 SGG). Er enthält auch nicht lediglich Vorbringen, der die Beschwerdebegründung vom 29.5.2012 verdeutlicht oder erläutert.

9

2. Die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl Senatsbeschluss vom 25.2.2010 - SozR 4-2600 § 77 Nr 7 RdNr 6 mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften oder aus bereits vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung ergibt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Fall klarer Antwort: s zB Senatsbeschluss vom 31.3.1993 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG vom 30.3.2005 - SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8).

10

Nach diesen Maßstäben kommt den von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen keine grundsätzliche Bedeutung zu.

11

Die Klägerin bezeichnet als grundsätzlich bedeutsam die Fragen:

        

"Ist eine Versicherte so lange nicht in ihrer Erwerbsfähigkeit gem. § 43 SGB VI gemindert, wie ihre krankheitsbedingten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit den Zeitraum von sechs Monaten bezogen auf ein Jahr (voraussichtlich) nicht überschreiten?"

                 
        

"Ist eine Versicherte gem. § 43 SGB VI auch dann noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen 'regelmäßig' bzw. 'in gewisser Regelmäßigkeit' im Rahmen der 5-Tage-Woche mindestens sechs Stunden bzw. mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten, wenn sie über diese Fähigkeit nur für sechs Monate innerhalb eines vollen Jahres verfügt?"

12

Die Fragen sind bereits anhand der bisherigen Rechtsprechung wie folgt zu beantworten:

13

Bestehen trotz eines an sich noch vollschichtigen Leistungsvermögens (arbeitstäglich sechs Stunden und mehr) für den allgemeinen Arbeitsmarkt im konkreten Einzelfall im Hinblick auf Lage, Verteilung, Umfang und Vorhersehbarkeit von zu erwartenden Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ernsthafte Zweifel, ob der Versicherte noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Betrieb einsetzbar ist, ist eine Verweisungstätigkeit zu benennen. Gelingt dies nicht, ist der Versicherte auch bei vollschichtigem Leistungsvermögen wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes (voll) erwerbsgemindert. Es kommt nicht darauf an, ob die Arbeitsunfähigkeitszeiten voraussichtlich sechs Monate/Jahr übersteigen.

14

Der Senat hat in seinem Urteil vom 19.10.2011 (BSGE 109, 189 = SozR 4-2600 § 43 Nr 16, RdNr 19)darauf hingewiesen, dass durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl I 1827) die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht abgeschafft, sondern vielmehr für den Anspruch auf Rente wegen (voller oder teilweiser) Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF übernommen worden sind: Erwerbsfähigkeit iS des § 43 Abs 3 SGB VI nF setzt nicht nur voraus, dass der Versicherte in der Lage ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine Tätigkeit zu verrichten", sondern darüber hinaus, dass er damit in der Lage ist, "erwerbstätig" zu sein, dh unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ein Erwerbseinkommen zu erzielen. Das Tatbestandsmerkmal der Fähigkeit zur Ausübung einer "Erwerbstätigkeit" in § 43 Abs 3 SGB VI nF ist § 44 Abs 2 SGB VI aF entnommen. Das Tatbestandsmerkmal der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" knüpft an die Rechtsprechung des BSG zu den §§ 1246 und 1247 RVO bzw den §§ 43 und 44 SGB VI aF und die dort verwendete Begrifflichkeit an.

15

Für die Frage der Erwerbsminderung kommt es nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht darauf an, ob aufgrund von "Krankheit oder Behinderung" Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit besteht, entscheidend ist, dass die Erwerbsfähigkeit eingeschränkt wird (s bereits BSG vom 25.5.1961 - BSGE 14, 207 = SozR Nr 5 zu § 45 RKG). Deshalb ist ein Versicherter, der noch eine Erwerbstätigkeit ausüben kann, nicht allein schon deshalb erwerbsgemindert, weil er aufgrund einer wie auch immer verursachten Gesundheitsstörung häufiger arbeitsunfähig ist (vgl bereits BSG vom 5.3.1959 - BSGE 9, 192, 194 f; BSG vom 26.9.1975 - SozR 2200 § 1247 Nr 12 S 23; BSG vom 21.7.1992 - 4 RA 13/91 - Juris RdNr 16; Senatsurteil vom 31.3.1993 - SozR 3-2200 § 1247 Nr 14, stRspr). Allerdings hat das BSG entschieden, dass das Risiko einer häufigen Arbeitsunfähigkeit dann zu einer Erwerbsminderung führen kann, wenn feststeht, dass die (vollständige) Arbeitsunfähigkeit so häufig auftritt, dass die während eines Arbeitsjahres zu erbringenden Arbeitsleistungen nicht mehr den Mindestanforderungen entsprechen, die ein "vernünftig und billig denkender Arbeitgeber" zu stellen berechtigt ist, sodass eine Einstellung oder Weiterbeschäftigung eines solchen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch ausgeschlossen ist (vgl BSG vom 5.3.1959 - BSGE 9, 192, 194; BSG vom 21.7.1992 - 4 RA 13/91 - Juris RdNr 16; Senatsurteil vom 31.3.1993 - SozR 3-2200 § 1247 Nr 14 S 44 f). Geklärt hat das BSG, dass diese Mindestanforderungen jedenfalls dann nicht mehr als erfüllt anzusehen sind, wenn der Versicherte die Arbeitsleistung für einen Zeitraum von mehr als 26 Wochen (sechs Monate bzw die Hälfte) im Jahr gesundheitsbedingt nicht mehr erbringen kann (BSG vom 5.3.1959 - BSGE 9, 192, 195; BSG vom 23.3.1977 - SozR 2200 § 1247 Nr 16 S 27; BSG vom 21.7.1992 - 4 RA 13/91 - Juris RdNr 17).

16

Hieraus ist jedoch nicht zu schließen, dass ein Versicherter, dessen krankheitsbedingte Zeiten der Arbeitsunfähigkeit den Zeitraum von sechs Monaten/Jahr (voraussichtlich) nicht überschreiten, deswegen nicht (voll) erwerbsgemindert sein kann. Denn auch dann können "häufige" Arbeitsunfähigkeiten vorliegen. Da dem Arbeitsverhältnis ein Dauerelement innewohnt, wird die erforderliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers grundsätzlich an jedem Tag der Arbeitswoche erwartet (Senatsurteil vom 31.3.1993, aaO S 43, 44 f). In diesem Zusammenhang hat der Senat in der vorgenannten Entscheidung bereits darauf hingewiesen, dass häufige, zeitlich nicht genau festliegende (nicht "einplanbare"), mit einer vollständigen Leistungsunfähigkeit verbundene Arbeitsunfähigkeitszeiten den "unüblichen Arbeitsbedingungen" zuzuordnen sind (aaO S 45) und Gesundheitsstörungen mit entsprechenden Arbeitsunfähigkeiten schwere spezifische Leistungseinschränkungen darstellen können (aaO S 43).

17

Damit kommt es darauf an, ob (voraussichtliche) Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit "ernsthafte Zweifel" (vgl zu diesem Maßstab Senatsurteil vom 19.10.2011, aaO RdNr 33 mwN) begründen, ob der Versicherte noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Betrieb einsetzbar ist. Dies ist Tatfrage und nicht allgemein vom BSG zu entscheiden. Bei derartigen Zweifeln ist mindestens eine Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl Senatsurteil vom 31.3.1993, aaO S 43; s allgemein hierzu Senatsurteil vom 19.10.2011, aaO RdNr 26 ff; ferner Senatsbeschluss vom 10.7.2012 - B 13 R 40/12 B - Juris RdNr 13). Ist dies (ggf nach entsprechenden arbeitsmarkt- und berufskundlichen Ermittlungen) nicht möglich, ist der Versicherte trotz eines an sich bestehenden vollschichtigen Leistungsvermögens wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes (voll) erwerbsgemindert, auch wenn die voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten insgesamt sechs Monate/Jahr nicht überschreiten.

18

3. Soweit sich die Klägerin auf Verfahrensfehler beruft, genügt die Beschwerdebegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

19

Die Klägerin rügt einen Verstoß des LSG gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG). Bei einer solchen Rüge muss die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen s BSG vom 12.12.2003 - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).

20

Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin hat nicht schlüssig aufgezeigt, dass sie einen entsprechenden (prozessordnungsgemäßen) Beweisantrag gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG gestellt und insbesondere bis zuletzt vor dem Berufungsgericht aufrechterhalten hat. Sie trägt zwar vor, sie habe im Schriftsatz vom 28.12.2011 geltend gemacht, dass im Hinblick auf die von der Sachverständigen Dr. A. gemachten Einschränkung, dass bei ihr "weiterhin krankheitsbedingte Ausfallzeiten oder Arbeitsunterbrechungen zu erwarten" seien, von einer "Erwerbsunfähigkeit" auszugehen sei, da sich kein Arbeitsplatz für jemanden finden lasse, bei dem derartige Ausfälle von vornherein zu erwarten seien, und zum Beweis dafür beantragt, ein berufskundliches Sachverständigengutachten einzuholen. Ein - wie die Klägerin - in der Berufungsinstanz bereits anwaltlich vertretener Beteiligter kann aber nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, vgl BSG vom 29.3.2007 - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Beides ist nach dem Vortrag der Klägerin nicht erfolgt. Allein ihr Vorbringen, dass ihr Prozessbevollmächtigter den Inhalt seines Schriftsatzes vom 28.12.2011 in der mündlichen Verhandlung näher erläutert habe, reicht nicht aus. Die Klägerin macht auch nicht geltend, sie oder ihr Prozessbevollmächtigter sei vom LSG im Verhandlungstermin an der Stellung eines entsprechenden (prozessordnungsgemäßen) Beweisantrags iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 403 ZPO gehindert worden.

21

Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG inhaltlich für falsch hält, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich (vgl bereits BSG vom 26.6.1975 - SozR 1500 § 160a Nr 7).

22

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

23

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

(1) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Dies schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden.

(2) Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit werden auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn. Verlängerungen erfolgen für längstens drei Jahre nach dem Ablauf der vorherigen Frist. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen. Wird unmittelbar im Anschluss an eine auf Zeit geleistete Rente diese Rente unbefristet geleistet, verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(2a) Werden Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht, ohne dass zum Zeitpunkt der Bewilligung feststeht, wann die Leistung enden wird, kann bestimmt werden, dass Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit mit Ablauf des Kalendermonats enden, in dem die Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben beendet wird.

(3) Große Witwenrenten oder große Witwerrenten wegen Kindererziehung und Erziehungsrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem die Kindererziehung voraussichtlich endet. Die Befristung kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(4) Waisenrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem voraussichtlich der Anspruch auf die Waisenrente entfällt. Die Befristung kann verlängert werden; dabei verbleibt es bei dem ursprünglichen Rentenbeginn.

(5) Renten werden bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem die Berechtigten gestorben sind.

(6) Renten an Verschollene werden längstens bis zum Ende des Monats geleistet, in dem sie nach Feststellung des Rentenversicherungsträgers als verstorben gelten; § 49 gilt entsprechend. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Feststellung des Rentenversicherungsträgers haben keine aufschiebende Wirkung. Kehren Verschollene zurück, lebt der Anspruch auf die Rente wieder auf; die für den Zeitraum des Wiederauflebens geleisteten Renten wegen Todes an Hinterbliebene sind auf die Nachzahlung anzurechnen.

(1) Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet.

(1a) Befristete Renten wegen voller Erwerbsminderung, auf die Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet, wenn

1.
entweder
a)
die Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit durch den Träger der Rentenversicherung zur Folge hat, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld entfällt, oder
b)
nach Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit durch den Träger der Rentenversicherung ein Anspruch auf Krankengeld nach § 48 des Fünften Buches oder auf Krankentagegeld von einem privaten Krankenversicherungsunternehmen endet und
2.
der siebte Kalendermonat nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit noch nicht erreicht ist.
In diesen Fällen werden die Renten von dem Tag an geleistet, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Arbeitslosengeld, Krankengeld oder Krankentagegeld endet.

(2) Befristete große Witwenrenten oder befristete große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet.

(3) Ist nach Beginn der Rente ein Versorgungsausgleich durchgeführt, wird die Rente der leistungsberechtigten Person von dem Kalendermonat an um Zuschläge oder Abschläge an Entgeltpunkten verändert, zu dessen Beginn der Versorgungsausgleich durchgeführt ist. Der Rentenbescheid ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Bei einer rechtskräftigen Abänderung des Versorgungsausgleichs gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass auf den Zeitpunkt nach § 226 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit abzustellen ist. § 30 des Versorgungsausgleichsgesetzes bleibt unberührt.

(3a) Hat das Familiengericht über eine Abänderung der Anpassung nach § 33 des Versorgungsausgleichsgesetzes rechtskräftig entschieden und mindert sich der Anpassungsbetrag, ist dieser in der Rente der leistungsberechtigten Person von dem Zeitpunkt an zu berücksichtigen, der sich aus § 34 Abs. 3 des Versorgungsausgleichsgesetzes ergibt. Der Rentenbescheid ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(3b) Der Rentenbescheid der leistungsberechtigten Person ist aufzuheben

1.
in den Fällen des § 33 Abs. 1 des Versorgungsausgleichsgesetzes mit Wirkung vom Zeitpunkt
a)
des Beginns einer Leistung an die ausgleichsberechtigte Person aus einem von ihr im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht (§ 33 Abs. 1 des Versorgungsausgleichsgesetzes),
b)
des Beginns einer Leistung an die ausgleichspflichtige Person aus einem von ihr im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht (§ 33 Abs. 3 des Versorgungsausgleichsgesetzes) oder
c)
der vollständigen Einstellung der Unterhaltszahlungen der ausgleichspflichtigen Person (§ 34 Abs. 5 des Versorgungsausgleichsgesetzes),
2.
in den Fällen des § 35 Abs. 1 des Versorgungsausgleichsgesetzes mit Wirkung vom Zeitpunkt des Beginns einer Leistung an die ausgleichspflichtige Person aus einem von ihr im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht (§ 36 Abs. 4 des Versorgungsausgleichsgesetzes) und
3.
in den Fällen des § 37 Abs. 3 des Versorgungsausgleichsgesetzes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Aufhebung der Kürzung des Anrechts (§ 37 Abs. 1 des Versorgungsausgleichsgesetzes).
Die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden.

(4) Ist nach Beginn der Rente ein Rentensplitting durchgeführt, wird die Rente von dem Kalendermonat an um Zuschläge oder Abschläge an Entgeltpunkten verändert, zu dessen Beginn das Rentensplitting durchgeführt ist. Der Rentenbescheid ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Entsprechendes gilt bei einer Abänderung des Rentensplittings.

(5) Ist nach Beginn einer Waisenrente ein Rentensplitting durchgeführt, durch das die Waise nicht begünstigt ist, wird die Rente erst zu dem Zeitpunkt um Abschläge oder Zuschläge an Entgeltpunkten verändert, zu dem eine Rente aus der Versicherung des überlebenden Ehegatten oder Lebenspartners, der durch das Rentensplitting begünstigt ist, beginnt. Der Rentenbescheid der Waise ist mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden. Entsprechendes gilt bei einer Abänderung des Rentensplittings.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.