Landessozialgericht NRW Beschluss, 17. Feb. 2015 - L 11 KA 82/14 B ER
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.08.2014 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 44.954,10 EUR festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Rechtsstreit S 2 KA 256/14 (Sozialgericht (SG) Düsseldorf).
4Der Antragsteller ist als Facharzt für Chirurgie in C niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
5Mit Bescheid vom 29.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2014 hob die Antragsgegnerin die dem Antragsteller für die Quartale III/2008 bis II/2012 erteilten Honorarbescheide teilweise in Höhe von insgesamt 224.770,51 EUR auf und forderte diesen Betrag zurück. Das mit ihm am 30.04.2013 über eine Plausibilitätsprüfung geführte Gespräch habe ergeben, dass seine Abrechnungen teilweise zu berichtigen seien. Dies zeige sich anhand der sechs aufgeführten Beispielfälle. Der Ansatz der GOP (Gebührenordnungspositionen) 31102 und 31103 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM) sei nicht plausibel. Die Beispiele erlaubten den Schluss, dass der Antragsteller in fehlerhafter Anwendung der maßgeblichen Bestimmungen, insbesondere der Leistungslegenden des EBM, abgerechnet habe. Es handele sich nicht um ein lediglich leichtes Versehen. Der Antragsteller habe Abrechnungsbestimmungen außer Acht gelassen, die ihm bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt zumindest hätten bekannt sein müssen. Im Wege des Schätzungsermessens seien für den o.g. Zeitraum die GOP 31102 EBM in 90 % der Fälle um die Differenz zur GOP 02301 EBM und die GOP 31103 EBM in 90 % der Fälle um die Differenz zur GOP 02302 EBM gekürzt worden.
6Mit Schreiben vom 25.09.2013 teilte die Antragsgegnerin mit, zur Rückführung des Honorars werde ratenweise mit den Quartalsabrechnungen von III/2013 bis II/2023 verrechnet. Einbehalten würden 2.070,51 EUR im Quartal III/2013 und jeweils 5.900,00 EUR in den Quartalen IV/2013 und I/2014. Die Quartale II/2014 bis II/2023 würden mit jeweils 5.700,00 EUR belastet. Demgemäß seien die Ratenzahlungen Oktober 2013 bis Februar 2014 vorab um jeweils 2.000,00 EUR zu mindern. Die Raten März 2014 bis Juni 2023 sowie September 2023 würden um 1.900,00 EUR gekürzt.
7Mit weiterem Bescheid vom 13.05.2014 hob die Antragsgegnerin die Honorarbescheide für die Quartale III/2012 bis III/2013 in Höhe von 74.209,45 EUR teilweise auf und forderte das insoweit zu Unrecht gezahlte Honorar zurück. Das Abrechnungsverhalten nach der Plausibilitätsprüfung habe sich nicht geändert. Teilweise sei sogar ein Anstieg der dermatochirurgischen Eingriffe nach der GOP 31103 zu verzeichnen. Die Antragsgegnerin kürzte die GOP 31103 in 90 % der Fälle um die Differenz zur GOP 02302. Mit Schreiben vom 03.06.2014 teilte die Antragsgegnerin mit, wegen des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 13.05.2014 über 74.209,45 EUR die monatliche Rückzahlung ab Juni 2014 auf 2.600,00 EUR zu erhöhen. Dies gewährleiste, dass die Laufzeit der Rückforderung nicht über den geplanten Zeitrahmen bis Mitte 2023 hinausgehe.
8Gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 29.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2014 hat der Antragsteller Klage zum Aktenzeichen S 2 KA 256/14 erhoben. Gegen den weiteren Bescheid vom 13.05.2014 hat er Widerspruch eingelegt. Am 04.07.2014 hat er beim SG um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht.
9Er hat vorgetragen: Zwar sei eine Abrechnungs-Sammelerklärung als Ganzes bereits dann unrichtig, wenn nur eine mit ihr abgegebene Abrechnungsposition eine unrichtige Angabe über erbrachte Leistungen enthalte. Voraussetzung für die Rechtswidrigkeit eines auf einer unrichtigen Honorarabrechnung beruhenden Honorarbescheides sei jedenfalls der Nachweis der Unrichtigkeit einer Abrechnungsposition für jedes einzelne Quartal. Die im Bescheid benannten Beispielsfälle beträfen die Quartale IV/2010, I/2011 und IV/2011. Bezüglich der übrigen 13 Quartale benenne der Bescheid dagegen keine konkreten Abrechnungsfehler. Eine Übertragung auf andere Quartale sei nicht zulässig. Zudem sei der Bescheid deswegen fehlerhaft, weil die Antragsgegnerin ihm keine grobe Fahrlässigkeit vorwerfe. Dem Bescheid lasse sich allenfalls entnehmen, dass er mit einfacher Fahrlässigkeit gehandelt haben solle. Das Schätzungsermessen sei nicht richtig ausgeübt. Aus sechs Beispielsfällen könne nicht auf 16 Quartale geschlossen werden. Die Honoraraufhebung- und Rückforderung sei verfristet. Zulässig sei es im Übrigen nur, einen kleineren Teil des Gesamthonorars etwa in Höhe von 15 % zurückzufordern. Der Rückforderungsbetrag liege hingegen bei mehr als 26 %. Die Vollziehung des Bescheides führe zu einer unbilligen Härte (wird jeweils ausgeführt).
10Der Antragsteller hat beantragt,
11die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16.06.2014, Aktenzeichen S 2 KA 256/14, gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2014 anzuordnen.
12Die Antragsgegnerin hat sinngemäß beantragt,
13den Antrag abzulehnen.
14Es fehle an einem Anordnungsgrund. Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig. Der Antragsteller habe die GOP 31102 und 31103 EBM analog angesetzt und abgerechnet.
15Mit Beschluss vom 04.08.2014 hat das SG den Antrag auf der Grundlage des § 86b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgelehnt. Der angefochtene Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid erweise sich bei summarischer Prüfung mit Ausnahme der Quartale III/2008 und IV/2008 als rechtmäßig. Sachlich-rechnerische Richtigstellungen seien grundsätzlich innerhalb einer Frist von vier Jahren seit Erlass des Quartalshonorarbescheides zulässig. Der Abrechnungsbescheid III/2008 sei um den 25.01.2009 und der Abrechnungsbescheid IV/2009 um den 25.04.2009 erteilt worden. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 29.07.2013 liege insofern jeweils außerhalb der Vier-Jahres-Frist und sei für diese beiden Quartale rechtswidrig. Im Übrigen sei der Bescheid nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für eine sachlich-rechnerische Richtigstellung der GOP 31102 und 31103 EBM seien erfüllt. Der Antragsteller habe deren Leistungsinhalte nicht erbracht. Das aus der Besprechung von drei Quartalen gewonnene Ergebnis habe auf die übrigen Quartale hochgerechnet werden dürfen. Der Antragsteller habe grob fahrlässig gehandelt. Das Schätzungsermessen habe die Antragsgegnerin noch hinreichend ausgeübt. Die Ratenzahlungen beliefen sich ca. 15 % der Honorareinkünfte. Aus für den persönlichen Bedarf eingegangenen Verpflichtungen herrührende Liquiditätsengpässe blieben unberücksichtigt. Soweit es die Honorarrückforderung für die Quartale III/2008 und IV/2008 angehe, werde die Antragsgegnerin die Laufzeit der ratierlichen Honorareinbehalte entsprechend verkürzen müssen. Die Einbehalte beliefen sich insoweit auf insgesamt auf 9.336,13 EUR. Angesichts dieser im Verhältnis zum Gesamtumfang der Rückforderungen geringen Größenordnung komme eine Reduzierung der laufenden Ratenzahlungen nicht in Betracht.
16Diese Entscheidung greift der Antragsteller fristgerecht unter teilweiser Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens an.
17Er beantragt,
18den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vorn 04.08.2014 aufzuheben und im Wege der einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16.06.2014, Aktenzeichen: S 2 KA 256/14, gegen den Bescheid der Beschwerdegegnerin vom 29.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2014 anzuordnen.
19Die Antragsgegnerin beantragt,
20die Beschwerde zurückzuweisen.
21Sie bezieht sich auf den angefochtenen Beschluss des SG und verweist darauf, dass der Antragsteller nach eigenem Vorbringen einräume, analog abgerechnet zu haben.
22Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.
23II.
24Die statthafte und im Übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholung in entsprechender Anwendung des 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die zutreffende erstinstanzliche Entscheidung und sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab.
25Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine abweichende Einschätzung.
261. Schon die in jeder Variante des § 86b SGG vorausgesetzte Eilbedürftigkeit erscheint als fraglich. Der Beschluss des SG ist den Bevollmächtigten des Antragstellers am 06.08.2014 zugestellt worden. Die Beschwerdeschrift datiert vom 28.08.2014. Mit Verfügung vom 08.12.2014 hat der Senat darauf hingewiesen, dass die ausstehende Begründung Zweifel an der Eilbedürftigkeit erweckt und der angefochtene Beschluss nach kursorischer Prüfung als zutreffend erscheint. Hierauf hat der Antragsteller mit der Beschwerdebegründung vom 22.12.2014 reagiert.
272. Zentrale Aussage des Beschwerdevorbringens ist folgende Passage (Schriftsatz vom 22.12.2014, S. 2 (Gliederungsnummer II.)): "Zunächst ist es nicht zutreffend, dass der Antragsteller die GOP 31102 und 31103 EBM in der ihm vorgeworfenen Häufigkeit analog angewendet haben soll."
28Dieser Obersatz wird in den folgenden Absätzen unter II. ausdifferenziert. Insoweit ist das Vorbringen des Antragstellers nicht schlüssig. Keiner Erörterung bedarf, dass eine analoge Anwendung der Gebührenordnungspositionen des EBM rechtswidrig ist. Die von der Antragsgegnerin herangezogenen sechs Fallbeispiele sind lediglich den Quartalen IV/2020, I/2011 und IV/2011 entnommen und ausgehend hiervon sind Kürzungen für 16 Quartale verfügt worden. Zwar gibt es nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine in bestimmten Fällen implausibel oder fehlerhaft abgerechnete Leistung damit zwangsläufig auch in anderen Fällen implausibel und fehlerhaft ist, worauf das SG zutreffend hingewiesen hat. Dennoch hat das SG das Vorgehen der Antragsgegnerin aus drei Gesichtspunkten heraus nicht beanstandet, nämlich:
29"Wenn jedoch - wie hier - der Antragsteller ein grundsätzliches Verständnis von der Abrechnungsfähigkeit der betroffenen Leistungen deutlich macht, alle Fälle gleichgelagert sind und deshalb einvernehmlich auf die Besprechung weiterer Fälle verzichtet wird, durfte die Antragsgegnerin davon ausgehen, dass die aufgedeckten Abrechnungsfehler in sämtlichen streitbefangenen Quartalen vorhanden waren, und durfte deshalb rechtsfehlerfrei das aus der Besprechung von Fällen aus drei Quartalen gewonnene Ergebnis auf die übrigen Quartale hochrechnen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 11.03.2009 - L 11 (10) KA3/07-)."
30Dem ist beizutreten. Das grundsätzliche Verständnis des Antragstellers davon, die fraglichen Leistungen erbringen und abrechnen zu dürfen, vermittelt nochmals die Beschwerdebegründung. Soweit er vorträgt, dass andere Ärzte, welche die "Lasermethode vergleichbar dem Antragsteller perfektioniert haben", diese Art von Eingriffen häufig privat abrechneten (Schriftsatz vom 22.12.2014, S. 3 oben), belegt dies eine ständige Übung und steht der Annahme, es handele sich um wenige Fälle, diametral entgegen. Wenn zudem die von der Antragsgegnerin ausgewerteten Fälle alle gleichgelagert waren, verdichtet sich eine kontinuierliche Implausibilität. Beweiserhebungen dazu, ob die Annahme der Antragsgegnerin zutrifft, verbieten sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller diese oben zitierte Aussage des SG lediglich mit dem negierenden Hinweis angreift, die stichprobenartige Durchsicht von lediglich sechs konkreten Beispielsfällen aus drei Quartalen sei nicht ansatzweise geeignet, einen zutreffenden Eindruck von seiner Vorgehens- und Abrechnungsweise zu erhalten. Es fehlt jegliche Konkretisierung dahin, warum das Vorgehen der Antragsgegnerin entgegen der Ausführungen des SG nicht ausreichen soll. Soweit der Antragsteller bestreitet, dass bei dem Plausibilitätsgespräch am 30.04.2013 einvernehmlich auf eine weitere Beispielbesprechung verzichtet worden sei, handelt es sich um eine ggf. beweisbedürftige Tatsachenbehauptung; sofern entscheidungserheblich, bleibt dies dem Hauptsachverfahren vorbehalten.
31Soweit der Antragsteller erstinstanzlich bemängelt hat, dass der Honoraraufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 29.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2014 keine hinreichenden Feststellung zur Frage enthält, ob und inwieweit er grob fahrlässig gehandelt habe, hat er dies in der Beschwerde nicht mehr vorgetragen. Vorsorglich weist der Senat dennoch auf Folgendes hin: Sollte insoweit ein Begründungsdefizit auszumachen sein, wäre dieses durch die Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 21.07.2014 geheilt (§§ 35 Abs. 1, 41 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)). Jedenfalls griffe § 42 Satz 1 SGB X, da offensichtlich ist, dass ein etwaiges Begründungsdefizit die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hätte.
32Das Schätzungsermessen hat die Antragsgegnerin nach kursorischer Prüfung sachgerecht ausgeübt. Der Senat folgt auch insoweit den Ausführungen des SG (Beschlussumdruck S. 15, 16) und betont mit dem SG, dass das Ermessen "noch hinreichend" betätigt worden ist.
33Nach alledem erweist sich die Beschwerde als unbegründet.
34III.
35Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG i.V.m. einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach trägt der Antragsteller die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs. 2 VwGO).
36Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, §§ 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Bemessung für das Hauptsacheverfahren erfolgt entsprechend dem streitigen Regressbetrag (BSG, Beschluss vom 12.12.2012 - B 6 KA 31/12 B -). Streitgegenstand des Verfahrens S 2 KA 256/14 ist der Bescheid vom 29.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2014 betreffend eine Honorarrückforderung von 224.770,51 EUR. Für das einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist ausgehend hiervon ein Abschlag zu machen. Die Höhe des Streitwert wird durch zwei Faktoren bestimmt, nämlich "Zeit" und "Regressvolumen". Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist wirtschaftlich auf ein "Behalten-Dürfen" des regressierten Betrags bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens gerichtet. Prospektiv kann eine Laufzeit von zwei Jahren für das Verfahren in der ersten Instanz angenommen werden. Dem zuzuordnen ist der wirtschaftliche Wert des angestrebten "Behalten-Dürfens", also das Zinsinteresse. Dieses ist darauf gerichtet, (weiterhin) über die regressierten Betrag verfügen zu können und nicht auf eine etwaige Zwischenfinanzierung angewiesen zu sein (vgl. dazu Senat, Beschlüsse vom 21.05.2012 - L 11 KR 113/12 B ER - und 04.10.2011 - L 11 KA 50/11 B ER -). Angesichts eines geschätzten Zinssatzes von 10 % ergibt sich ein jährliches Zinsinteresse von 22.477,05 EUR. Das entspricht einem auf zwei Jahre bezogenen Zinsinteresse von 44.954,10 EUR.
37Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
ra.de-Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht NRW Beschluss, 17. Feb. 2015 - L 11 KA 82/14 B ER
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht NRW Beschluss, 17. Feb. 2015 - L 11 KA 82/14 B ER
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenLandessozialgericht NRW Beschluss, 17. Feb. 2015 - L 11 KA 82/14 B ER zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag
- 1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, - 2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, - 3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.
(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.
(2) Einer Begründung bedarf es nicht,
- 1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift, - 2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist, - 3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist, - 4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt, - 5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Satz 1 gilt nicht, wenn die erforderliche Anhörung unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt ist.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Tenor
-
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
-
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
-
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 95 614 Euro festgesetzt.
Gründe
- 1
-
I. Im Streit ist eine sachlich-rechnerische Richtigstellung und Honorarrückforderung für die Quartale II/2001 bis II/2003. Die Klägerin ist eine gynäkologische Gemeinschaftspraxis, die ein zytologisches Labor betreibt. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung stellte in einer Plausibilitätsprüfung einen deutlichen Anstieg der nach der Nummer 4950 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) abgerechneten Leistungen fest. Sie kürzte daher mit Bescheid vom 1.3.2004 die Honoraransprüche der Klägerin für die streitbefangenen Quartale um insgesamt 95 613,77 Euro. Es sei festzustellen, dass in allen Quartalen zu nahezu 100 % die Nummer 4950 EBM-Ä (zytologische Untersuchung eines oder mehrerer speziell gefärbter Abstriche zur Diagnostik der hormonellen Funktion) zusammen mit der Nummer 4951 EBM-Ä (zytologische Untersuchung eines oder mehrerer Abstriche, auch Bürstenabstriche, von Ekto- und/oder Endozervix) abgerechnet worden sei. Aus dem eindeutigen Wortlaut der Leistungslegende der Nummer 4951 EBM-Ä ergebe sich, dass auch mehrere Abstriche von Ekto- und/oder Endozervix nur ein "Material" darstellten. Bei Untersuchungen an demselben Material sei aber die Leistung nach Nr 4950 EBM-Ä neben der Leistung nach Nr 4951 EBM-Ä nicht berechnungsfähig. Widerspruch, Klage und Berufung hiergegen sind erfolglos geblieben. In dem angefochtenen Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG führt das LSG aus, der Begriff "dasselbe Material" in der Nummer 4951 EBM-Ä den Stoff meine, der bereits Gegenstand der Abrechnung unter der Nummer 4950 EBM-Ä gewesen sei. Nach dieser Ziffer werde die "zytologische Untersuchung eines oder mehrerer Abstriche … von Ekto- und/oder Endozervix " zusammenfassend mit 140 Punkten bewertet. Der Anregung der Klägerin, zur Frage "desselben Materials" ein Sachverständigengutachten einzuholen, sei nicht nachzugehen gewesen, weil es nicht entscheidend auf medizinische Gesichtspunkte, sondern auf die rechtlichen Vorgaben des EBM-Ä ankomme.
- 2
-
Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, zu deren Begründung sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sowie einen Verfahrensfehler rügt (§ 160 Abs 1 Nr 3 SGG).
- 3
-
II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung oder eines Verfahrensmangels sind nicht gegeben.
- 4
-
1. Bei einer die Amtsermittlungspflicht des Gerichts nach § 103 SGG betreffenden Beanstandung muss ein Beweisantrag genannt und dazu ausgeführt werden, dass das LSG diesem ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Darzulegen ist ferner, dass der Beweisantrag im Berufungsverfahren noch zusammen mit den Sachanträgen gestellt oder sonst aufrechterhalten worden ist. Die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde erfordert die genaue Bezeichnung des Beweisantrages, die schlüssige Darstellung des den Mangel ergebenden Sachverhalts und Ausführungen zur Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 18 ff). Ausgehend von einem prozessordnungsgerechten Beweisantrag liegt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nicht vor. Das LSG hat vielmehr zu Recht ausgeführt, dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bedurfte, weil es sich bei der Auslegung der Leistungslegende um eine Rechtsfrage und nicht um eine medizinische Frage handelt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats, auf die auch das LSG Bezug genommen hat, ist für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich (vgl zuletzt BSG, Urteil vom 15.8.2012 - B 6 KA 34/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG SozR 4-5531 Nr 7120 Nr 1 RdNr 11). Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben (BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 4 RdNr 12; SozR 4-2500 § 87 Nr 5 RdNr 11 und Nr 10 RdNr 10, jeweils mwN). Sind danach allein maßgeblich juristische Auslegungsmethoden, tritt die medizinische Beurteilung in den Hintergrund. Selbst im medizinischen Sinne unterschiedliche Materialien können im maßgeblichen rechtlichen Sinne als dasselbe Material angesehen werden. Die Ergebnisse eines medizinischen Sachverständigengutachtens wären damit nicht entscheidungserheblich gewesen.
- 5
-
2. Auch der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor. Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss gemäß den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet(vgl BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Es muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt.
- 6
-
Die von der Klägerin aufgeworfene Frage:
"Ist bei der Entnahme von Abstrichen der Endo- und Ektozervix eine parallele Abrechnung der Ziffern 4950 und 4951 möglich, weil es sich nicht um dasselbe Material im Sinne des EBM-Ä handelt?"
ist zwar noch nicht ausdrücklich höchstrichterlich geklärt. Angesichts der Nachfolgeregelungen in Nr 19331 und 19311 EBM-Ä betrifft sie auch nicht nur sog ausgelaufenes Recht. Der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf es aber nicht, weil die Grundsätze der Auslegung von Vergütungstatbeständen in der Rechtsprechung des Senats geklärt sind. Aus der richtigen oder falschen Anwendung dieser Grundsätze auf einzelne Gebührennummern kann sich eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Regelfall nicht ergeben (vgl Beschlüsse vom 16.5.2001 - B 6 KA 15/01 B - und vom 13.12.2000 - B 6 KA 30/00 B - Juris). Darüber hinaus kann die Frage anhand der Auslegungskriterien eindeutig beantwortet werden. Das LSG hat insofern zutreffend aus dem Wortlaut der Nummer 4951 EBM-Ä gefolgert, dass die Leistung auch dann nur einmal abgerechnet werden kann, wenn mehrere Abstriche von Ekto- und Endozervix untersucht wurden. Werden diese somit rechtlich durch die EBM-Ä-Ziffer zusammengefasst, sind sie - unabhängig von der medizinischen Klassifizierung - rechtlich als "dasselbe Material" im Sinne des Zusatzes zu Nr 4951 anzusehen.
- 7
-
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
- 8
-
4. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Seine Bemessung erfolgt entsprechend dem streitigen Regressbetrag.
Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.