Landgericht Köln Urteil, 29. Juni 2016 - 25 O 424/10
Tenor
Die Beklagten zu 2) und 3) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 25.01.2011 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle materiellen Schäden zu erstatten, die ihr aus der fehlerhaften geburtshilflichen Behandlung im Jahr 2007 entstanden sind und zukünftig entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht infolge sachlicher oder zeitlicher Kongruenz auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin zu 1/3 und die Beklagten zu 2) und 3) als Gesamtschuldner zu 2/3. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt die Klägerin. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die am 19.03.1971 geborene Klägerin macht Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche wegen einer angeblich fehlerhaften Behandlung im Juni 2007 gegen die Beklagten geltend. Die Beklagte zu 1) war die die Klägerin vor und während der Geburt betreuende Hebamme. Die Beklagte zu 3) ist die Trägerin des Krankenhauses Y; der Beklagte zu 2) war Oberarzt in der gynäkologischen Abteilung dieses Krankenhauses. Das Krankenhaus Y war 2007 und ist auch heute ein Perinatalzentrum der höchsten Versorgungsstufe und akademisches Lehrkrankenhaus des Universitätsklinikums Köln.
3Bei der Klägerin – Mutter eines im Jahr 1990 geborenen Sohnes – wurde im Jahr 2007 eine dritte Schwangerschaft festgestellt; errechneter Entbindungstermin war der 12.10.2007. In der 11. Schwangerschaftswoche (SSW) hatte die Klägerin nach einer Chlamydieninfektion starke Blutungen, weswegen sie sich vom 16. bis 19.03.2007 erstmals in das Krankenhaus Y begab. In der Folgezeit hatte sie wiederholt schmerzhafte Kontraktionen. Ende Mai 2007 war die Klägerin stark erkältet und hatte vermehrt Unterleibskrämpfe. Am 04.06.2007 traf sie sich mit der Beklagten zu 1) im Hause der Beklagten zu 3); die Beklagte zu 1) legte schriftlich Folgendes nieder: Erkältung, Bauchschmerzen, keine Wehentätigkeit, Temperatur 37,5 Grad. Sie empfahl der Klägerin, sich auszuruhen und viel zu trinken, ggf. könne sie Paracetamol einnehmen; außerdem telefonierte die Beklagte zu 1) mit einem Arzt.
4Am 11.06.2007 kam es zu Fruchtwasserabgang, weswegen die Klägerin mit dem Krankenwagen gegen 9.40 Uhr in das Krankenhaus Y eingeliefert wurde. Fruchtwasser war kaum noch nachweisbar (Anhydramnie), der CRP-Wert lag bei 56,2, die Leukozytenzahl bei 10.400. Mit Ultraschall vom 12.06.2007 wurde das Stadium der Schwangerschaft mit SSW 22+3 und das geschätzte Gewicht ermittelt. Die Klägerin erhielt Valium zur Beruhigung. Auf Wunsch der Klägerin und ihres Lebensgefährten wurde ein Kinderarzt hinzugezogen, der mit der Klägerin und ihrem Lebensgefährten sprach (Bl. 294 d.A.). Im Haus der Beklagten zu 3) gab es - so bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung unstreitig - zum streitgegenständlichen Zeitpunkt eine interne Anweisung, dass lebensrettende bzw. lebenserhaltende Maßnahmen erst ab Vollendung der 23. SSW (d.h. ab SSW 23+1) durchgeführt werden sollten (Bl. 230 R d.A.).
5Am 13.06.2007 kam es um 03.43 Uhr zur spontanen Geburt einer 460 g schweren Tochter aus Beckenendlage; der APGAR-Wert betrug 2-2-2; es wurde eine Schnappatmung festgestellt und u.a dokumentiert: “Leichenflecken, extreme Unreife, Bradykardie“. Um 04.37 Uhr verstarb das Kind ohne vorherige Abnabelung. Ein Kinderarzt wurde postpartal nicht hinzugezogen. Die histopathologische Untersuchung ergab eine normgewichtige altersentsprechende Plazenta der 22+5 SSW (d.h. 23. SSW) mit manifestem Amnioninfektionssyndrom (AIS) und Chorioamnionitis entsprechend einer aszendivierenden Infektion nach vorzeitigem Blasensprung.
6Die Klägerin wurde am 13.06.2007 auf eigenen Wunsch aus der stationären Behandlung entlassen. Sie erlitt am 14.06.2007 einen Zusammenbruch und wurde erneut stationär eingewiesen.
7Die Klägerin wirft der Beklagten zu 1) vor, dass diese sie am 04.06.2007 keinem Arzt persönlich vorgestellt habe, da sie sodann wegen einer angeblichen Bronchitis und Sinusitis sofort stationär aufgenommen worden wäre. Dieses Unterlassen sei kausal für den Blasensprung, da bei einer stationären Aufnahme eine vermeintliche Infektion mit Haemophilus influenza und B-Streptokokken festgestellt und sofort eine Antibiose eingeleitet worden wäre, was ein Übergreifen verhindert hätte. Im Übrigen habe die Beklagte zu 1) fehlerhaft den Muttermund nicht untersucht.
8Im Hinblick auf die stationäre Behandlung ab dem 11.06.2007 seien fehlerhaft keine Maßnahmen zur Diagnose der aufsteigenden Infektion getroffen worden; auch wäre eine Fruchtwasseruntersuchung erforderlich gewesen. Träfe es zu, dass die Klägerin an einem AIS gelitten habe, so hätte die Schwangerschaft aufgrund der damit einhergehenden Gefahren sofort beendet werden müssen.
9Der Vorwurf an alle Beklagten geht weiter dahin, dass die Klägerin und der Vater des Kindes, der Zeuge D, keine Chance gehabt hätten, selbst über das Schicksal ihrer Tochter zu entscheiden, vielmehr hätten die Beklagten zu 1) und 2) entschieden. Warum ggf. keine Überlebenschancen bestanden hätten, sei ihnen nicht erklärt worden. Insbesondere mit der Klägerin sei nicht gesprochen, geschweige denn ihr verschiedene Optionen aufgezeigt worden; auch mit dem Zeugen D habe allein die Beklagte zu 1), nie aber der Beklagte zu 2) gesprochen. Auch der vor der Geburt des Kindes hinzugezogene Pädiater habe Überlebenschancen und Risiken für das Kind nicht mit ihnen erörtert. Er habe lediglich behauptet, dass das Kind in der 23. SSW keine Überlebenschance hätte (Bl. 680 R d.A.). Die Klägerin und der Zeuge D hätten sich ggf. dafür entschieden, alles für das Überleben des Kindes, auch mit Behinderungen, zu tun. Psychologische Hilfe habe es nicht gegeben. Hätte die Klägerin gewusst, dass im Krankenhaus Y Frühchen erst ab der 23+1 SSW (Beginn der 24. Schwangerschaftswoche) behandelt werden, hätte sie sich in die Uniklinik Köln verlegen lassen.
10Unter der Geburt sei die Verabreichung von Opiaten und Diazepam aufgrund der atemdepressiven Wirkung fehlerhaft gewesen; im Übrigen hätte eine Sectio erfolgen müssen. Aufgrund der Geburt sei das Kind mit Hämatomen übersät gewesen. Nach der Geburt hätten die Beklagten zu 1) und 2) nichts getan und die Eltern allein gelassen. Es seien weder lebenserhaltende noch palliative Maßnahmen ergriffen worden; insbesondere sei das Kind nicht gewärmt worden. Die unterbliebene Abnabelung sei nicht leitliniengerecht gewesen.
11Die Klägerin leide bis heute unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung (Anpassungsstörung und Depressionen). Sie sei deswegen schon in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in einer psychosomatischen Klinik gewesen (11.12.2007 bis zum 15.01.2008) und von September 2007 bis Dezember 2010 regelmäßig psychologisch behandelt worden (Traumatherapie). Mit ihrer Klage macht die Klägerin Ansprüche aufgrund des ihr entstandenen Traumas geltend.
12Die Klägerin beantragt,
131. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie wegen der fehlerhaften geburtshilflichen Behandlung im Jahr 2007 ein angemessenes Schmerzensgeld zzgl. Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen;
142. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle materiellen Schäden zu erstatten, die ihr aus der fehlerhaften geburtshilflichen Behandlung im Jahr 2007 entstanden sind und zukünftig entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht infolge sachlicher oder zeitlicher Kongruenz auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
15Die Beklagten beantragen,
16die Klage abzuweisen.
17Die Beklagten treten den Vorwürfen entgegen.
18Die Beklagte zu 1) behauptet, sie habe der Klägerin am 04.06.2007 empfohlen, den Frauenarzt aufzusuchen, was diese abgelehnt habe. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin weder eine Bronchitis noch eine Sinusitis gehabt, sondern eine normale Erkältung. Hierüber sowie über das unauffällige CTG habe die Beklagte zu 1) – was die Klägerin unstreitig stellt (Bl. 187 d.A.) – mit einem Arzt (Dr. I) gesprochen. Am 12.06.2007 sei zwischen der Klägerin, der Beklagten zu 1) und dem Beklagten zu 2) ein ausführliches Gespräch über die Befunde und die Prognose geführt worden; insbesondere seien Möglichkeiten der Lungenreifebildung, evtl. Behinderungen und Alternativen erwogen worden. Im Hinblick auf die Geburt habe die Klägerin ausdrücklich gewünscht, „nichts mitzubekommen“, weshalb entsprechende Medikamente verabreicht worden seien. Nach der Geburt seien die Beklagte zu 1) und eine weitere Ärztin bei der Klägerin gewesen; später sei noch eine evangelische Seelsorgerin hinzugekommen. Das – nicht lebensfähige – Kind sei mit angewärmten Tüchern auf den Bauch der Klägerin gelegt worden, nachdem eine Abnabelung auf Wunsch der Klägerin unterblieben sei.
19Die Beklagten zu 2) und 3) behaupten ebenfalls, dass das Kind nicht lebensfähig gewesen sei. Es sei kalt gewesen und habe Leichenflecken aufgewiesen; der Herzschlag sei verlangsamt gewesen (Bradykardie). Vor der Geburt habe der Beklagte zu 2) mit der Klägerin über Chancen und Risiken einer Prolongation der Schwangerschaft und insb. darüber, dass ab der 23+1 SSW Lungenreifenbildungsmaßnahmen ergriffen werden könnten, im Vergleich zu einer sofortigen Schwangerschaftsbeendigung gesprochen. Die Klägerin habe sich das noch gemeinsam mit dem Zeugen D überlegen wollen, sei dann aber sozusagen von der einsetzenden Geburt „überrollt“ worden. Nach Rücksprache mit einem Pädiater habe der Beklagte zu 2) die Klägerin zuvor auch noch darüber aufgeklärt, dass vor der 23+1 SSW eine therapeutische Behandlung nicht erfolgen werde. Nach der Geburt sei eine palliative Versorgung des Kindes, dass mit angewärmten Decken auf die Brust der Mutter gelegt worden sei, erfolgt; ein Arzt und die Beklagte zu 1) seien ständig in der Nähe gewesen.
20Die Beklagten bestreiten mit Nichtwissen, dass die Klägerin eine schwere psychische Störung erlitten habe und dass diese auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen sei (Bl. 77 d.A.). Sie bestreiten, dass die Klägerin aufgrund der Geburt an einem schweren Trauma mit Anpassungsstörung und Depression bzw. posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) leidet. Mit Nichtwissen bestreiten sie, dass die Klägerin sich von 2007 bis Dezember 2010 in psychotherapeutischer Behandlung befand. Weiter bestreiten sie, dass sie nicht vorher schon an psychischen Auffälligkeiten gelitten habe.
21Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien sowie die zur Gerichtsakte gereichten Behandlungsunterlagen Bezug genommen.
22Aufgrund der Beschlüsse vom 26.05.2011 (Bl. 118 ff. d.A.), 02.11.2012 (Bl. 457 f. d.A.), 17.04.2015 (Bl. 704 f. d.A.) und 27.04.2016 (Bl. 795 d.A.) hat die Kammer Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des gynäkologischen Sachverständigen Prof. Dr. C nebst Anhörung in der mündlichen Verhandlung, Einholung eines neonatologischen Gutachtens durch den Sachverständigen Prof. Dr. M nebst mündlicher Erläuterung, Einholung einer amtlichen Auskunft des Dr. W, Vernehmung des Zeugen Prof. Dr. X sowie Anhörung der Beklagten zu 1) und 2) und der Klägerin persönlich. Im Hinblick auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C vom 21.07.2011 (Bl.137 ff. d.A.) und 23.04.2012 (Bl. 407 ff. d.A.), des Sachverständigen Prof. Dr. M vom 11.03.2014 (Bl. 523 ff. d.A.), die schriftliche Auskunft des Dr. W vom 21.09.2015 (Bl. 737 ff. d.A.) sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 14.12.2011 (Bl. 229 ff. d.A.), 25.02.2015 (Bl. 677 ff. d.A.) und vom 27.04.2016 (Bl. 793 ff. d.A.) Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe
24Die zulässige Klage ist im erkannten Umfang begründet. Im Übrigen ist sie nicht begründet.
25I. Die Klägerin hat gegen die Beklagten zu 2) und 3) Ansprüche auf Schmerzensgeld und auf Schadensersatz aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Behandlungsvertrag in Verbindung mit §§ 280, 249 ff., 253 Abs. 2, 611 bzw. §§ 823 Abs. 1, 249 ff., 253 Abs. 2 BGB aufgrund der streitgegenständlichen ärztlichen Behandlung.
26Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Klägerin ein fehlerhaftes Vorgehen der Beklagten zu 2) und 3) zur Überzeugung des Gerichts beweisen können, § 286 ZPO. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C – die sich die Kammer zu Eigen macht - wurden die Klägerin und ihr damaliger Lebensgefährte als Eltern des noch ungeborenen Kindes in der Zeit vom 11.06.2007 bis zum 13.06.2007 im Haus der Beklagten zu 3) nicht hinreichend über die Aussichten, Möglichkeiten und Behandlungschancen des noch ungeborenen Kindes (wenn diese auch sehr gering waren) aufgeklärt und in die Entscheidung über das weitere Prozedere einbezogen. Es sei geboten gewesen, den mutmaßlichen Willen des ungeborenen Kindes zu ermitteln und dies sei nur über die Eltern möglich (Bl. 231 d.A.).
27Die Kammer geht nicht davon aus, dass im Juni 2007 eine rechtliche Verpflichtung bestand, jede Frühgeburt in der 23. Schwangerschaftswoche (22+ x SSW) lebenserhaltend zu behandeln, denn bei der Behandlungsentscheidung waren die Überlebenschancen des Frühgeborenen gegen die mit lebenserhaltenden Maßnahmen verbundenen erheblichen Eingriffe in die körperliche Integrität des Frühgeborenen abzuwägen. Aus Sicht der Kammer ist aber zu beanstanden, dass die vorgenannte Abwägung ohne Einbeziehung der Mutter (vgl. BGHZ 106, 153, 157, zitiert nach juris, wonach die Mutter in dieser Phase die natürliche Sachwalterin der Belange des Kindes ist) des (noch) ungeborenen Kindes erfolgte.
28Der gynäkologische Sachverständige Prof. Dr. C - auf dessen Einschätzung es im Hinblick auf die Frage nach einem fehlerhaften Vorgehen nach dem Grundsatz der fachgleichen Begutachtung entscheidend ankommt - hat in seiner mündlichen Anhörung überzeugend ausgeführt, dass im Jahr 2007 ein gemeinsames Gespräch zwischen den Eltern bzw. der Mutter des noch ungeborenen Kindes, dem Geburtshelfer und einem Neonatologen Behandlungsstandard in einem Perinatalzentrum gewesen sei (Bl. 680 R d.A.). Der neonatologische Sachverständige Prof. Dr. Krüger hat ein solches Gespräch ebenfalls für geboten gehalten, es hingegen nicht als Standard bezeichnet (Bl. 681 d.A.). Selbst wenn angesichts insgesamt kleiner Fallzahlen bei der Frage, inwieweit eine solche Einbeziehung zu erfolgen hat, von einem medizinischen „Standard“, wie in anderen Bereichen der Medizin, nicht gesprochen werden kann, so stellt u.a. die „Gemeinsame Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin und Deutschen Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin“ zur „Frühgeburt an der Grenze der Lebensfähigkeit des Kindes“ (Stand: 2006) eine Richtungsweisung dar. Hieraus ergibt sich – als Empfehlung –, dass die Eltern in den Entscheidungsprozess einzubeziehen sind und zu diesem Zweck Geburtshelfer und Kinderärzte für Gespräche zur Verfügung stehen. Hinzu tritt das in Art. 6 Abs. 2 GG bzw. § 1626 BGB verbürgte Recht, aber auch die Pflicht der Mutter bzw. der Eltern, für ihr un- bzw. neugeborenes Kind Sorge zu tragen und ggf. Entscheidungen in dessen wohlverstandenem Interesse zu treffen.
29Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht der Kammer unzureichend, wenn Ärzte die fragliche Entscheidung ohne Einbeziehung der Eltern treffen und die Eltern hierüber nur in Kenntnis setzen. Dies wäre nur dann anders, wenn ein lebenserhaltendes Vorgehen in jedem Falle aussichtslos wäre; hiervon konnte indes auch im Jahr 2007 nicht generell ausgegangen werden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war ein Überleben der Tochter der Klägerin zwar unwahrscheinlich, aber auch (ggf. mit schwersten Schädigungen) nicht ausgeschlossen.
30Um den Eltern und insbesondere der Mutter zu ermöglichen, am Prozess der Entscheidungsfindung für oder gegen lebenserhaltende Maßnahmen bei einer Geburt vor 23+1 SSW teilzuhaben, bedarf es ausreichender Information über die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen ärztlichen Handelns in dieser besonderen Situation.
31Diese Anforderungen wurden im Haus der Beklagten zu 3) nicht gewahrt. Leitliniengerecht wäre ein gemeinsames Gespräch unter gleichzeitiger Einbeziehung und Führung durch Geburtshelfer und Neonatologen gewesen. Ein solches Gespräch hätte nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C auch dokumentiert werden müssen. Unstreitig hat der Beklagte zu 2) der Klägerin lediglich folgende Optionen zur Wahl gestellt: einen sofortigen Abbruch der Schwangerschaft (ohne lebenserhaltende Maßnahmen) oder ein abwartendes Verhalten unter Antibiose mit dem Ziel, die 24. Schwangerschaftswoche zu erreichen. Dass der Klägerin die Möglichkeit der Durchführung lebenserhaltender Maßnahmen für ihr Kind vorgestellt worden wären für den Fall, dass es vor 23+1 SSW geboren werden sollte (mit allen Risiken und – wenn auch geringen - Chancen) haben die Beklagten zu 2) und 3) nicht hinreichend substantiiert vorgetragen; die Beklagten zu 2) und 3) haben lediglich pauschal behauptet, eine Aufklärung über die Möglichkeit einer Lungenreifebehandlung vor 23+1 SSW sowie über Chancen, Risiken und evtl. Erkrankungen der Tochter und Behandlungsalternativen sei erfolgt (vgl. Bl. 73 d.A.). Dies steht im Widerspruch zu der Dokumentation im Entlassungsbrief vom 13.06.2007 (Originalbehandlungsunterlagen der Beklagten zu 3)), wo festgehalten ist „ausführliches Gespräch mit Pat. über Risiken und Procedere (Lungenreife erst ab 23+1, ...)“ und ist damit unbeachtlich. Nach dem weiteren Beklagtenvortrag habe der Beklagte zu 2) die Klägerin über die Chancen und Risiken der Prolongation der Schwangerschaft informiert (Bl. 58 d.A.). Zudem hat der Beklagte zu 2) in seiner Anhörung am 27.04.2016 (Bl. 793 R und 794 d.A.) erklärt, dass es im Haus der Beklagten zu 3) Praxis und auch tatsächliche Einschätzung gewesen sei, dass es richtig sei, bei Kindern vor 23+1 SSW keine Versuche zu unternehmen, das Kind am Leben zu halten. Weiter hat er im Rahmen seiner Anhörung bekundet, dass er keine Kenntnis davon gehabt habe, dass bzw. wo konkret solche Behandlungsversuche im Juni 2007 durchgeführt worden seien. Auch schriftsätzlich haben die Beklagten zu 2) und 3) vorgetragen, dass die behandelnden Ärzte zum Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin keine Kenntnis davon hatten, dass Frühgeborene in dem streitgegenständlichen Schwangerschaftsalter in der Universitätsklinik Köln intensivmedizinisch behandelt wurden (Bl. 649 d.A.).
32Dies in Zusammenschau mit der durch den Beklagten zu 2) in seiner Anhörung im Termin am 14.12.2011 dargestellten damaligen internen Richtlinie der Beklagten zu 3) – mit dem Inhalt, dass erst ab der 24. Schwangerschaftswoche lebenserhaltende Maßnahmen zu ergreifen seien (Bl. 230 R d.A.) - spricht zudem dagegen, dass mit den Eltern und insbesondere mit der Klägerin überhaupt über die – ex ante gegebene – Möglichkeit gesprochen wurde, ihrer Tochter auch in diesem extrem frühen Stadium (bei einer Geburt vor 23+1 SSW) einen Behandlungsversuch zuteilwerden zu lassen. Auch der Vortrag des Beklagten zu 2), er habe die Klägerin – wie damals in allen vergleichbaren Fällen – über die Alternativen einer sofortigen Beendigung der Schwangerschaft oder lebenserhaltender Maßnahmen bei Erreichen der 24. Schwangerschaftswoche aufgeklärt, ist mit dieser internen Richtlinie zwanglos in Einklang zu bringen.
33Die weitere Darstellung im Entlassungsbrief vom 13.06.2007 (S. 2 der Originalbehandlungsunterlagen der Beklagten zu 3)), die fragliche Entscheidung, keinen Pädiater zur postpartalen Versorgung des Kindes hinzuzuziehen, sei mit den Eltern abgestimmt gewesen, findet sich dagegen so weder in der sonstigen Dokumentation noch lässt sie sich mit dem Beklagtenvortrag im Übrigen in Einklang bringen.
34Auch das unstreitig erfolgte Gespräch zwischen der Klägerin mit einem Pädiater aus dem Haus der Beklagten zu 3) vor der Geburt stellte die Behandlungsmöglichkeiten und (wenn auch sehr geringen) Chancen im Fall der Geburt vor 23+1 SSW nicht dar. Die Klägerin trägt vor, ihr sei lediglich mitgeteilt worden, ihr Kind habe keine Überlebenschancen. Die Behandlungsdokumentation gibt über den Inhalt dieses Gesprächs keinen Aufschluss. Die Beklagten zu 2) und 3) haben vorgetragen, dass ihnen ein solches Gespräch nicht bekannt und dies auch in der geburtshilflichen Akte nicht dokumentiert sei (Bl. 358 d.A.). Und selbst nach dem weiteren Vortrag der Beklagten zu 2) und 3) habe deren Rücksprache mit den Pädiatern ergeben, dass frühestens ab 23+1 SSW eine Versorgung im Falle der Geburt erfolgen werde (Bl. 64 d.A.). Damit lässt sich eine umfassende Aufklärung über intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten, Chancen und Risiken bei einer Geburt des Kindes vor 23+1 SSW nicht in Einklang bringen.
35Folge der unterbliebenen Einbeziehung der Klägerin in die Entscheidungsfindung zum Vorgehen im Hinblick auf die Behandlung bzw. Nichtbehandlung ihrer Tochter ist eine psychische Beeinträchtigung der Klägerin in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Dies steht nach der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest, § 286 ZPO.
36Sowohl nach der amtlichen Auskunft des Dr. W (Bl. 737 ff. d.A.) als auch nach der glaubhaften Aussage des Zeugen Prof. Dr. X (Bl. 803 ff. d.A.) wurden im Jahr 2007 sogenannte „Heilversuche“ an derart Frühgeborenen durchgeführt, nicht nur in der Universitätsklinik Köln, sondern auch im Haus der Beklagten zu 3). Damit steht fest, dass sich das fehlerhafte Vorgehen der Beklagten zu 2) und zu 3) auswirkte. Wäre die Klägerin in die Entscheidungsfindung einbezogen worden, hätte sie sich für einen „Heilversuch“ an ihrer Tochter entscheiden können. Wenn das Kind nicht überlebt hätte, hätte die Klägerin nach ihrem nachvollziehbaren Vortrag zumindest das Gefühl gehabt, alles versucht zu haben, um das Leben ihres Kindes zu retten. Ihre psychische Beeinträchtigung beruht darauf, dass sie sich ohnmächtig gefühlt und im Nachhinein erfahren habe, dass anderenorts derart frühgeborene Kinder behandelt werden im Sinne einer Maximaltherapie. Für die Kammer nachvollziehbar hat die Klägerin erklärt, dass - wenn der Tod der Tochter trotz optimaler ärztlicher Bemühungen eingetreten wäre - sie diesen als schicksalhaft hätte akzeptieren können. Auch ein behindertes Kind wäre von ihr angenommen worden.
37Soweit die Beklagten zu 2) und 3) bestreiten, dass die von Dr. W dargestellten „Heilversuche“ im Haus der Beklagten zu 3) bekannt gewesen seien (Bl. 649 d.A.), haben sie diesen Vortrag nicht beweisen können. Im Gegenteil: Die Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen Prof. Dr. X hat ergeben, dass zum damaligen Zeitpunkt 2007 auch in der Klinik der Beklagten zu 3) auf Wunsch der Eltern oder bei erkennbarem Lebenswillen des Kindes derart junge Frühgeborene einer Maximaltherapie zugeführt wurden. Er selbst habe ein Kind in der 17. Schwangerschaftswoche einer Behandlung zugeführt, welches dann überlebt habe. Eine interne Richtlinie, dass Frühgeborene vor der 24. Schwangerschaftswoche per se nicht einer Maximaltherapie zugeführt werden, habe es im Haus der Beklagten zu 3) nicht gegeben. Insoweit hat der Zeuge Prof. Dr. X auf eine von ihm verfasste Publikation aus dem Jahr 2007 verwiesen (F. X, Grenzen des Lebens, Gynäkologe 2007, S. 78 ff., Anlage K 17).
38Die Klägerin erlitt durch die unterbliebene Einbeziehung in den Entscheidungsprozess im Hinblick auf ihre Tochter eine posttraumatische Belastungsstörung. Eine solche wird nach ICD-10-WHO F 43.1 wie folgt definiert:
39„Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F 62.0) über.“
40Die Klägerin hat in ihrer Anhörung sehr glaubhaft und anschaulich geschildert, wie es ihr im Anschluss an die streitgegenständliche Behandlung im Haus der Beklagten zu 2) ergangen ist. Bereits im Krankenhaus der Beklagten zu 3) habe sie nach der Mitteilung, dass ihre Tochter keine Überlebenschancen habe, Dissoziationen gehabt. Sie habe sich selbst von oben im Bett liegen sehen. In diesem Zustand der Hilflosigkeit – der zwei Tage andauerte - habe sie keinerlei psychologische Unterstützung erfahren. Nach der Geburt ihrer Tochter sei ihr diese auf die Brust gelegt worden. Dort habe sie sie atmen hören, bewegt habe sich ihre Tochter nicht. Sie habe dann miterleben müssen, wie das neugeborene Kind immer blasser und schwächer wurde, insbesondere auch immer weniger atmete bis hin zum Versterben. Im weiteren Verlauf habe sie zunächst unmittelbar am nächsten Abend einen Nervenzusammenbruch erlitten. Sie habe Valium verschrieben bekommen, weil sie erhebliche Panikattacken hatte. Über Monate sei ihr Zustand derart gewesen, dass sie nicht einkaufen und auch einfach nicht mehr rausgehen konnte. Erst im Herbst 2007 habe sie professionelle Hilfe durch eine Psychotherapeutin erhalten. Sie habe ein chronifiziertes Trauma und sehe bis heute ihre Situation im Krankenhaus vor sich. Nach wie vor könne sie solche Räumlichkeiten in einem Krankenhaus nicht betreten. Wenn sie es dennoch tue, müsse sie damit rechnen, dass sie eine Panikattacke mit Herzrasen bekomme. So sei es auch konkret geschehen, als sie noch einmal operiert werden musste. Im Dezember 2007 (bis Mitte Januar 2008) sei sie in stationärer Behandlung in einer psychosomatischen Klinik gewesen, dies habe ihr aber nicht gut getan. Im Jahr 2008 sei sie für einige Monate wieder berufstätig gewesen, habe dies aufgrund ihrer Situation aber nicht fortsetzen können. Zuletzt sei sie Ende 2010 in psychotherapeutischer Behandlung gewesen.
41Auf Nachfrage hat die Klägerin erklärt, dass sie sicher sei, dass sich ihr Trauma anders und deutlich geringer darstellen würde, wenn man versucht hätte, das Mögliche zu tun. Es sei für sie wie „Folter“ gewesen, zwei Tage in dem Krankenhauszimmer zu liegen in einem Zustand der Hilflosigkeit und in dem Bewusstsein, nichts tun zu können. Davon habe sie damals ausgehen müssen. Es sei ein Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins gewesen.
42Zur Chronifizierung ihres Zustands hat die Klägerin angegeben, dass sie heute grundsätzlich keine Flashbacks mehr habe, allerdings dann schon, wenn sie in eine entsprechende Situation gerate, wie beispielsweise im Verlauf der mündlichen Verhandlung. Dies sei ihr z.B. im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 27.04.2016 auch passiert. Insgesamt sei sie nicht mehr voll belastbar, beruflich und privat. Sie könne Stress nicht mehr aushalten.
43Die Klägerin ist während ihrer persönlichen Anhörung sichtlich emotional stark berührt gewesen und hat zeitweise geweint. Auch während des gesamten Prozessgeschehens hat sie der Kammer den Eindruck vermittelt, dass sie auch heute noch deutlich unter dem damaligen Geschehen leidet; sie ist zeitweise gedanklich abwesend – fast wie betäubt - erschienen.
44Nach Einschätzung der Kammer deckt sich dies mit der vorgenannten Definition der posttraumatischen Belastungsstörung. Diese Einordnung findet zudem eine Stütze in den ärztlichen Befunden der Klägerin. Nach dem ärztlichen Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin/Psychotherapie Dr. L vom 28.11.2011 befinde sich die Klägerin in hausärztlicher Behandlung wegen Angst und depressiver Störung, gemischt, G. (F. 41.2G) sowie Posttraumatischer Belastungsstörung (F 43.1G); es bestehe die Möglichkeit, dass die Klägerin in einer akuten Belastungssituation mit einer Panikattacke reagiere (Bl. 241 d.A.). In dem Bericht über ihren stationären Aufenthalt in der Klinik für Psychosomatische Medizin heißt es: „traumatische Erfahrung des Kindsverlusts“ und auch „fortbestehende Trauerreaktion“; Diagnose: Anpassungsstörung und mittelgradige depressive Episode; im Schreiben des Psychologen und Psychiaters Bering: „Posttraumatische Belastungsstörung“. Nach der Behandlungsdokumentation des Psychiaters habe sie der zweitägige Klinikaufenthalt besonders belastet, wo sie sich von ihrer Tochter habe „verabschieden“ sollen und auf deren Tod „gewartet“ habe (unter „Beschwerdebild bei Aufnahme“). Es geht aus den handschriftlichen Notizen der Psychotherapeutin hervor, dass es für die Klägerin ein Problem sei, dass sie ihre Tochter verloren habe und diese „im 6. Monat lebend geboren... ihr wurde nicht geholfen“ worden sei (vgl. im Sonderheft II unter Ziffer 2).
45Soweit die Beklagtenseite eine psychische Beeinträchtigung der Klägerin durch die fehlende Einbeziehung in die Entscheidungsfindung bestreitet, ist dieses Bestreiten angesichts der klägerseits vorgelegten Behandlungsunterlagen nicht hinreichend substantiiert und nicht erheblich.
46Die Kammer verkennt bei ihrer Schmerzensgeldbemessung nicht, dass die Klägerin bereits durch den Verlust der Tochter – der nicht kausal auf einem Behandlungsfehler der Beklagten zu 2) und 3) beruht – psychisch belastet war und ist. Sie hält aber die psychische Beeinträchtigung durch die nicht hinreichende Einbeziehung in das Vorgehen im Haus der Beklagten zu 3) und das Gefühl der damit verbundenen Ohnmacht und des Ausgeliefertseins für abgrenzbar von der Trauer über den Tod des Kindes. Dies hat die Klägerin zur Überzeugung der Kammer dargetan.
47Die Kammer erachtet die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 15.000,00 € unter Berücksichtigung der für den vorliegenden Fall relevanten Zumessungsgesichtspunkte als angemessen aber auch als ausreichend. Hierbei hat sie vor allem das festgestellte Maß an Beeinträchtigungen der Klägerin sowie auch das Vorgehen der Beklagten zu 2) und 3) berücksichtigt.
48Bei einer vergleichenden Einordnung in Fälle mit ähnlichen psychischen Folgen ergangener Rechtsprechung zur Festsetzung der Höhe des Schmerzensgeldes hat das Gericht sowohl eine Entscheidung aus dem Jahr 2010 (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 08.03.2010, Az. 1 U 1161/06, zitiert nach juris: 10.000,00 € bei posttraumatischer Belastungsstörung als zurechenbare Folge eines tätlichen Angriffs), eine aus dem Jahr 2012 (OLG Frankfurt, Urteil vom 19.07.2012, Az. 1 U 32/12, zitiert nach juris, Rn. 14: 15.000,00 € bei posttraumatischer Belastungsstörung aufgrund des Verlusts eines Kindes durch einen Verkehrsunfall) als auch eine aus dem Jahr 2013 (OLG Köln, Urteil vom 03.12.2013, Az. 15 U 191/09, zitiert nach juris: 20.000,00 € bei posttraumatischer Belastungsstörung in Form einer Magersucht als Folge einer Verletzung ihres Sohnes durch einen Verkehrsunfall) berücksichtigt. Bei der vergleichenden Einordnung sowie der Berücksichtigung der hier im Einzelfall vorliegenden Besonderheiten erscheint der festgesetzte Betrag angemessen.
49Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
50Der Feststellungsantrag der Klägerin ist gegenüber den Beklagten zu 2) und 3) zulässig und begründet. Für die von der Klägerin begehrte Feststellung reicht die bloße Möglichkeit weiterer Schäden aus (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, § 256, Rn. 14). Diese ist aufgrund des chronifizierten psychischen Schadens in Form möglicher weiterer Behandlungskosten gegeben.
51II. Die Klägerin hat hingegen keine Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) aufgrund der streitgegenständlichen Behandlung.
52Ein Fehlverhalten der Beklagten zu 1) am 04.06.2007 ist nicht festzustellen. Zudem hat die Klägerin nicht bewiesen, dass das spätere Geschehen hierauf beruht. Sie hat nicht beweisen können, dass die unterlassene Vorstellung bei einem Arzt durch die Beklagte zu 1) am 04.06.2007 sich zu ihrem Nachteil auswirkte. Mit welcher Wahrscheinlichkeit sich am 04.06.2007 ein reaktionspflichtiger Befund im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung gezeigt hätte, hat der Sachverständige nicht zu beantworten vermocht; dies sei zu spekulativ (Bl. 233 R d.A.).
53Auch kann die Klägerin der Beklagten zu 1) nicht vorwerfen, dass sie ihr nach dem Blasensprung am 11.06.2007 geraten habe, sich ins Haus der Beklagten zu 3) zu begeben, denn dort befand sich auch damals bereits ein anerkanntes Perinatalzentrum der höchsten Versorgungsstufe, so dass die Beklagte zu 1) davon ausgehen durfte, dass die Klägerin dort in den besten Händen sein würde. Selbst wenn die Beklagte zu 1) von den internen Richtlinien der Beklagten zu 3), Frühgeborene in diesem Reifestadium generell nicht zu behandeln, gewusst haben sollte, wie die Klägerin behauptet, kann ihr daraus kein Vorwurf gemacht werden: Denn zum einen bestand augenscheinlich die – wenn auch sehr geringe – Hoffnung, die Schwangerschaft der Klägerin doch noch in die 24. Schwangerschaftswoche zu bringen, zum anderen fehlt jeder substantiierte Vortrag der Klägerin dazu, dass der Beklagten zu 1) eine von der Klägerin behauptete andere Praxis im Klinikum der Universität zu P bekannt gewesen wäre. Darüber hinaus hat der Zeuge Prof. Dr. X eine abweichende Praxis im Haus der Beklagten zu 3) auch in Abrede gestellt.
54Hinsichtlich der Durchführung der vaginalen Entbindung am 13.06.2007 gilt, dass angesichts der getroffenen Entscheidung des Beklagten zu 2), die Tochter der Klägerin nicht vor 23+1 SSW lebenserhaltend zu behandeln, gegenüber der Beklagten zu 1) – ganz abgesehen davon, dass die Kammer insoweit Versäumnisse auch für nicht hinreichend belegt hält – in diesem Zusammenhang keine Vorwürfe dahingehend erhoben werden können, dass das Vorgehen der Beklagten zu 1) oder die auf ärztliche Verordnung hin erfolgte Verabreichung von Medikamenten für die Tochter der Klägerin und damit mittelbar für die Klägerin zusätzlich belastend gewesen wäre.
55Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 92, 100 Abs. 1 und 4 (in Verbindung mit der sog. Baumbach’schen Formel), 709 Satz 1 ZPO.
56Streitwert: 20.000,00 € (15.000,00 € + 5.000,00 €)
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Urteil einreichenLandgericht Köln Urteil, 29. Juni 2016 - 25 O 424/10 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
(1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).
(2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.
(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
Tenor
Die Beklagten zu 1., 2. und 3. werden in Abänderung und unter Neufassung des am 27. Juli 2006 verkündeten Urteils der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.225,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Juli 2002 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1., 2. und 3. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Schadensereignis vom 28. August 1999 zu ersetzen, soweit nicht ein Forderungsübergang auf einen Sozialversicherungsträger oder einen sonstigen Dritten erfolgt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens vor dem Landgericht tragen die Beklagten zu 1., 2. und 3. als Gesamtschuldner.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten zu 1., 2. und 3. als Gesamtschuldner 95 % und der Kläger 5 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
- 1
Der Kläger begehrt die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden.
- 2
In der Nacht vom 27. auf den 28. August 1999 wurden die Polizeibeamten S... und L... zur Gaststätte "…" in N... gerufen, wo es zu einem Streit der alkoholisierten Beklagten mit dem Wirtsehepaar und auch zu körperlichen Übergriffen der Beklagten auf andere Gäste gekommen war. Vor Ort trafen die Beamten etwa 15 bis 25 teilweise stark alkoholisierte und aggressive Personen an; darunter befanden sich auch die Beklagten, die die Gaststätte inzwischen verlassen hatten. Den beiden Polizeibeamten gelang es nicht, die aufgeheizte Stimmung zu entschärfen und die Auseinandersetzung zu beenden. Sie wurden selbst in die Auseinandersetzung mit hineingezogen. Nachdem sich die Situation zunächst etwas beruhigt hatte, bewegten sich die Beklagten gemeinsam auf den Zeugen S... zu, ohne auf dessen Aufforderung stehenzubleiben, zu reagieren. Um sie zu stoppen, gab der Zeuge S... mit seiner Dienstpistole drei Warnschüsse in die Luft ab. Die Beklagten zu 1., 2. und 3. kamen weiter auf den Zeugen zu, der ihnen daraufhin gezielt in die Beine schoss. Unterdessen stand der Kläger mit gezogener Dienstwaffe circa zwei bis drei Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Körperliche Verletzungen haben die Beamten bei dem Vorfall nicht davongetragen.
- 3
Beide Polizeibeamten versahen ihren Dienst zunächst bis Januar 2000 weiter. Ab dem 24. Januar 2000 war der Kläger dienstunfähig und wurde stationär und ambulant behandelt. Vom 17. Oktober 2000 an war er wieder eingeschränkt dienstfähig, wobei er in der Nachtschicht nicht eingesetzt werden durfte. Seit dem 1. Januar 2001 ist der Kläger wieder uneingeschränkt dienstfähig.
- 4
Die Beklagten wurden vom Amtsgericht Lahnstein rechtskräftig wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu Freiheitsstrafen (auf Bewährung) verurteilt. Dem lagen im Wesentlichen die Geständnisse der Beklagten zu Grunde (Bl. 606 ff. d. BA 2020 Js 46.251/99 StA Koblenz).
- 5
Der Kläger hat vorgetragen:
- 6
Die Beklagten zu 1. bis 3. hätten die beiden Beamten umzingelt und dabei körperlich sowie verbal mit größter Aggressivität angegriffen. Es habe eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der beiden Beamten bestanden. Infolge des Verhaltens der Beklagten und des durch ihre Vorgehensweise ausgelösten, gerechtfertigten Schusswaffengebrauchs durch den Zeugen S... hätte auch er (der Kläger) eine chronische posttraumatische Belastungsreaktion, ein sogenanntes Post-Shooting-Syndrom erlitten.
- 7
Der Kläger hat von den Beklagten die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 10.225,84 € nebst Zinsen sowie die Feststellung deren Verantwortlichkeit für alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden begehrt.
- 8
Die Beklagten haben die Abweisung der Klage beantragt.
- 9
Sie haben vorgetragen:
- 10
Der Schusswaffeneinsatz sei weder erforderlich noch gerechtfertigt gewesen. Er stelle sich als eine Überreaktion des Zeugen S... dar. Auch seien die bestrittenen psychischen Beeinträchtigungen nicht durch das streitgegenständliche Geschehen verursacht worden. Sie seien auch für diese Schäden nicht verantwortlich, da diese aus einer alltäglichen Situation im Berufsleben eines Polizeibeamten herrührten.
- 11
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass der geltend gemachte Schaden vom Schutzzweck der in Betracht zu ziehenden Haftungsnormen nicht gedeckt sei. Bei den Polizeibeamten S... und L... habe sich das mit der Wahl ihres Berufes eingegangene Berufsrisiko eines Polizeibeamten verwirklicht und dieses Risiko sei haftungsrechtlich nicht auf die Beklagten in Anbetracht der Gesamtumstände zu verlagern. Auch könne der geltend gemachte Schaden den Beklagten subjektiv nicht zugerechnet werden, denn diese mussten nicht damit rechnen, dass aufgrund ihres Verhaltens die nun geltend gemachten Schäden auftreten könnten.
- 12
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der unter Intensivierung des bisherigen Vorbringens, vor allem auch zu dem Schutzzweck der verletzten Normen und zu der Zurechnungsfrage weiter vorträgt.
- 13
Der Kläger beantragt zuletzt wie folgt:
- 14
1. Die Beklagten zu 1. bis 4. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 10.225,84 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 15
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1. bis 4. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren, durch den Zahlungsantrag zu 1. nicht verbrauchten materiellen und immateriellen Schäden ab Rechtshängigkeit aus dem Vorfall vom 28. August 1999 in N... zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen bzw. übergegangen sind.
- 16
3. Es wird festgestellt, dass die in den Ziffern 1. und 2. ausgeurteilten Forderungen durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung begründet sind.
- 17
Die Beklagten beantragen,
- 18
die Berufung zurückzuweisen und die Klage insgesamt abzuweisen.
- 19
Sie beziehen sich im Wesentlichen auf den erstinstanzlichen Vortrag, die die Klageabweisung tragenden Gründe des angefochtenen Urteils und bestreiten den Hergang des Geschehens in der Nacht vom 28. August 1999 sowie die geltend gemachten Schäden bei den beiden Polizeibeamten.
- 20
Der Senat hat Beweis erhoben über den Hergang des Geschehens in der Nacht am 28. August 1999 durch Vernehmung zahlreicher Zeugen (Beweisbeschluss vom 4. Juli 2007 (Bl. 666 ff. GA) - Beweisaufnahme in den Sitzungen vom 5. September 2007 (Bl. 728 ff. GA), vom 26.09.2007 (Bl. 757 ff. GA) und vom 10. Oktober 2007 (Bl. 777 ff. GA)) sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den bei den beiden Polizeibeamten eingetretenen Gesundheitsschäden (Beweisbeschluss vom 7. November 2007 (Bl. 799 f. GA) sowie Senatsbeschluss vom 7. März 2008 (Bl. 852 GA), Sachverständigengutachten vom 19. März 2009 (Bl. 904 ff. GA)). Der Senat hat den Sachverständigen am 23. September 2009 und am 9. Dezember 2009 angehört (Bl. 999 ff. GA sowie Bl. 1037 ff. GA). Die Parteien haben in der Sitzung vom 09.12.2009 die Durchführung des weiteren Verfahrens im Wege des schriftlichen Verfahrens beantragt.
- 21
Das Verfahren gegen den weiteren Beklagten J... K... wurde durch Senatsbeschluss vom 17. Februar 2010 nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgetrennt (Bl. 1082 f. GA).
- 22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die weiteren schriftsätzlichen Ausführungen der Parteien nebst eingereichter weiterer Unterlagen sowie auf den Inhalt der beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten verwiesen (Bl. 1040 GA). Insbesondere wird auf das amtsgerichtliche Urteil (s.o.) sowie die Lichtbildmappe (2020 Js 46.251/99 - StA Koblenz) verwiesen.
II.
- 23
Die zulässige Berufung des Klägers führt hinsichtlich der Beklagten zu 1., 2. und 3. zur Abänderung und deren Verurteilung nach dem Leistungs-, Zahlungsantrag (Schmerzensgeld) sowie dem ersten Feststellungsantrag. Der weiter - erstmals im Berufungsverfahren - gestellte Feststellungsantrag (Nr. 3) hat wegen Verjährung keinen Erfolg; dieser Antrag ist abzuweisen.
A.
- 24
Dem Kläger steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch (Schmerzensgeld) aus § 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 113, 240, 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 22, 23 StGB, 830, 840, 249 ff., 253 BGB gegen die Beklagten zu 1., 2. und 3. zu. Die Beklagten haben durch ihren gemeinsamen Angriff auf die beiden Polizeibeamten und der damit einhergehenden Rechtsgutverletzung den berechtigten Schusswaffeneinsatz ausgelöst, der wiederum zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) zu den massiven Gesundheitsbeschädigungen bei dem Zeugen S... und dem Kläger geführt hat. Diese Schäden fallen nach Ansicht des Senats auch durchaus in den Schutzbereich der verletzten Normen, die gerade auch den Schutz der Polizeibeamten bezwecken. Auch sind die geltend gemachten und nach der durchgeführten Beweisaufnahme auch eingetretenen psychischen Schädigungen der Polizeibeamten den Beklagten zuzurechnen.
- 25
1.a) Nach der durchgeführten Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung) steht auch unter Berücksichtigung des Inhalts der beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Strafakten, insbesondere auch nach der auf den Geständnissen der Beklagten beruhenden strafrechtlichen Verurteilung (s. o.g. Urteil Amtsgericht Lahnstein) für den Senat mit der erforderlichen Sicherheit (§ 286 ZPO) fest, dass die drei Beklagten gemeinschaftlich handelnd die Polizeibeamten S... und L... bedroht und genötigt sowie versucht haben, diese körperlich anzugreifen und zu verletzen. Sie haben damit zumindest den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB (Freiheitsverletzung) sowie des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den Strafbarkeitsvorschriften des §§ 113, 240 und 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 22, 23 StGB erfüllt. Dieses gemeinschaftliche, die Rechtsgüter des Zeugen S... und die des Klägers verletzende Handeln der drei Beklagten ergibt sich eindrucksvoll aus den Bekundungen der vor dem Senat vernommenen Zeugen (s. Sitzungsniederschriften vom 5. September 2007 (Bl. 728 ff. GA), vom 26. September 2007 (Bl. 757 ff. GA) sowie vom 10. Oktober 2007 (Bl. 777 ff. GA)). So haben insbesondere gerade auch die an dem Vorfall selbst nicht unmittelbar beteiligten Zeugen D…, G…-F…, F…, W…, B1…, S1…, B2…, M… und Sch… die eigene Erinnerungen an den Vorfall nach Abgabe der Warnschüsse vor dem Lokal der Zeugen F… bekunden können. Diese Zeugen haben eindrucksvoll, für den Senat völlig nachvollziehbar und zum Teil mit großer emotionaler Beteiligung die für die Zeugen S... und L... äußerst bedrohliche und im höchsten Maße gefährliche Situation geschildert. Danach kamen die auch von den Zeugen eindeutig als Angreifer identifizierten drei Beklagten (s. Zeugenaussagen sowie Inhalt der beigezogenen Strafakten) in äußerst aggressiver Weise und im höchsten Maße bedrohlich auf die beiden Polizeibeamten, insbesondere auf den Zeugen S... zu, veranlassten diese zu einem "Rückzug", bis der Zeuge S... mit dem Rücken zu einer Hauswand stand. Diese absolute Gefährlichkeit der Situation für die beiden Angegriffenen, insbesondere für den Zeugen S..., wird plastisch erfahrbar auch durch die Bekundung der Zeugin G…-F…, nach der die Situation geprägt war von einem "Vernichtungswillen". Vergleichbares schildern auch die anderen vor dem Senat vernommenen Zeugen. Hiernach wurden sämtliche polizeilichen Anhalte- und Stopp-Befehle der beiden Polizeibeamten zur Beendigung des Angriffs von den drei Beklagten völlig ignoriert, nachdem diese bereits zuvor mit äußerster Brutalität auch auf weitere Unbeteiligte losgegangen waren und diese verletzt hatten. Wegen dieser Körperverletzungen wurden die Beklagten bereits rechtskräftig verurteilt. Auch die zuvor abgegebenen Warnschüsse hinderten die Beklagten nicht an dem weiteren massiven aggressiven Angriff. Die Angreifer kamen auf den Zeugen S... bis in dessen unmittelbare körperliche Nähe zu, einige Zeugen haben einen Abstand von einem Meter bekundet; die Beklagten hatten die Hände/ Fäuste bereits gegen den Zeugen erhoben, so dass der Senat davon ausgeht, dass eine körperliche Beeinträchtigung durch Schläge bzw. Tritte unmittelbar bevorstand.
- 26
Der Senat macht diese Bekundungen zur Grundlage seiner Überzeugungsbildung, da die Aussagen dieser Zeugen durchweg glaubhaft und diese selbst glaubwürdig sind. Diese Aussagen vor dem Senat stimmen auch in den wesentlichen Punkten mit den polizeilichen Vernehmungen (s. beigezogene Strafakten) und auch mit den geständigen Einlassungen der Beklagten vor dem Schöffengericht Lahnstein (Bl. 606 ff. d. BA 2020 Js 46.251/99 - StA Koblenz) überein.
- 27
Die genannten Zeugen haben keinerlei Interesse an dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens, kamen zu dem Geschehen völlig unbeteiligt hinzu, beobachteten dieses zum Teil aus ihren eigenen Wohnungen und haben keinerlei Verbindungen zu dem Kläger oder dem Zeugen S... oder den Beklagten. Insoweit verweist der Senat auch auf den eingehend begründeten Glaubwürdigkeitsvermerk in dem Hinweis- und Beweisbeschluss vom 7. November 2007 (Bl. 792 ff. GA). Auch für den erkennenden Senat sind die Ausführungen der Zeugen durchweg überzeugend und können der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt werden. Die Aussagen der genannten Zeugen werden auch im Kerngeschehen unterstützt von den Bekundungen des gleichfalls als Zeuge vernommenen Polizeibeamten S... (Bl. 729 ff. GA). Dieser bestätigt im Wesentlichen die äußerste Aggressivität und den unbedingten Angriffswillen der drei Beklagten sowie die äußerst bedrohliche Situation nach Abgabe der Warnschüsse unter Berücksichtigung der vorangegangenen massiven Körperverletzungen gegenüber völlig unbeteiligten Dritten. Er hat auch bekundet, dass sie (beide Polizeibeamte) von den drei angreifenden Beklagten abgedrängt, zum Rückzug genötigt wurden und dass diese (Beklagte) auf keinerlei polizeiliche Weisungen mehr reagiert hatten.
- 28
Nach allem haben die drei eindeutig als Angreifer identifizierten Beklagten zu 1., 2. und 3. die polizeilichen Anweisungen zum Stehenbleiben und zur Beendigung des Angriffs eindeutig ignoriert, sie haben Widerstand gegen die Polizeibeamten geleistet (§ 113 StGB - rechtskräftige Verurteilung), sie haben diese abgedrängt und zum "Rückzug" genötigt (§ 240 StGB) und hierdurch auch deren Freiheit beeinträchtigt (§ 823 Abs. 1 BGB) sowie weiterhin auch versucht, diese körperlich durch Schläge bzw. Tritte zu verletzen (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 22, 23 StGB). Dies alles ist zur Überzeugung des Senats auch gemeinschaftlich und vorsätzlich erfolgt. Die drei Beklagten wollten gerade unter Missachtung der mehrfach gegebenen polizeilichen Aufforderungen auf die zwei Polizeibeamten "losgehen" und haben dieses Vorhaben auch in äußerst aggressiver Weise umgesetzt. Nach allem haben sie die haftungsbegründenden Tatbestände von § 823 Abs. 1 sowie § 823 Abs. 2 i.V.m. den oben genannten Schutzgesetzen tatbestandsmäßig und auch vorsätzlich erfüllt, wobei sich der Vorsatz - wie hier gegeben - lediglich auf die Rechtsgutverletzung bzw. die Verletzung des Schutzgesetzes beziehen muss. Der später eingetretene Schaden muss nicht vom Vorsatz umfasst sein (Palandt-Grüneberg, § 276 Rn. 10 m.w.N.).
- 29
b) Gegen den früheren weiteren Beklagten J... K..., gegen den das Verfahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgetrennt wurde (s.o.), haben sich die Vorwürfe, die zu seiner Verantwortlichkeit führen könnten, im vorliegenden Verfahren nicht bestätigt. Bereits der Zeuge S... hat eine Teilnahme dieses früheren Beklagten an den den Schüssen unmittelbar vorausgegangenen Angriffshandlungen mit Sicherheit ausgeschlossen (Bl. 733 GA). Dies wird auch durch weitere Zeugen bestätigt (vgl. Aussage des Zeugen F… und der Zeugin I… K...). Diesem weiteren Beklagten ist mithin eine Beteiligung an den unmittelbar rechtsgutsverletzenden und schadensauslösenden Angriffshandlungen nicht nachweisbar und er ist für die hieraus resultierenden Schäden nicht verantwortlich. Eine Haftung infolge gefahrverursachenden Vorverhalten (Ingerenz) kann im vorliegenden Fall auch nicht zu einer Haftung dieses weiteren Beklagten (J... K...) führen. Zwar war dieser Beklagte wie auch die drei weiteren unstreitig an den körperlichen Auseinandersetzungen in der Gastwirtschaft beteiligt, was letztlich - äquivalent-kausal - zu dem Polizeieinsatz der beiden Beamten S... und L... führte. Dieses Verhalten innerhalb der Gaststätte mit nachfolgenden zahlreichen Unterbrechungen des Kausalverlaufes - Zurechnung - (Herausgehen aus der Gaststätte, Eintreffen der Polizeibeamten, Rangeleien, Warnschüsse, anscheinende Beruhigung der Situation, Verlagerung des Geschehens mit massivem Angriff durch die drei Beklagten auf die Polizeibeamten) führt im vorliegenden Fall unter Beachtung der zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten in einer Gesamtbewertung der Geschehnisse nicht zu einem Zurechnungszusammenhang zwischen den später eingetretenen psychischen Schäden und dem ursprünglichen deliktischen Verhalten des weiteren Beklagten J... K... in der Gaststätte. Eine Haftung dieses weiteren Beklagten scheidet mithin zur Überzeugung des Senats aus. Durch das Eintreffen der Polizeibeamten nach Abschluss der körperlichen Auseinandersetzung in der Gaststätte trat eine Zäsur mit der Folge der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs ein. Da dieser weitere Beklagte an den unmittelbar den Schüssen vorausgehenden Angriffen auf die Polizeibeamten nach den oben genannten Zeugenaussagen nicht beteiligt war, ist er für die hieraus unmittelbar resultierenden Rechtsgutsverletzungen mit den nachfolgenden Schädigungen und die für das Land erforderlichen Ersatzleistungen nicht verantwortlich.
- 30
2. Das Handeln der drei Beklagten war auch rechtswidrig; irgendwelche Rechtfertigungsgründe für diesen Angriff auf die beiden Polizeibeamten sind weder dargetan noch für den Senat ersichtlich.
- 31
Das Handeln der beiden Polizeibeamten, insbesondere auch die Abgabe der Warnschüsse und später auch der gezielten Schüsse auf die Angreifer war insgesamt rechtmäßiges polizeiliches Handeln. Abgesehen von der eindeutigen Rechtfertigung dieses Handelns, das dem Ziel der sofortigen Beendigung der Angriffe der Beklagten auf weitere Personen, deren Personen- und Sachverhaltsfeststellung nach dem Begehen mehrerer Straftaten diente, aus den entsprechenden Ermächtigungsnormen des Polizeirechts liegt hier ein klarer Fall der Rechtfertigung über "Notwehr" im Sinne von § 227 BGB, § 32 StGB vor. Der die Schüsse abgebende Polizeibeamte S... befand sich in diesem Zeitpunkt gerade auch unter Zugrundelegung der Bekundungen der oben genannten Zeugen in einer ganz akuten Notwehrlage, sah sich den massiven Angriffen der drei Beklagten gegenüber, die in unmittelbarer körperlicher Nähe zu ihm sich äußerst bedrohlich und aggressiv verhielten. Der dynamische Angriff war in vollem Gange. Da die Beklagten verbalen polizeilichen Aufforderungen nicht nachkamen und auch sonstige mildere Abwehrmittel mit gleicher Effektivität für den Senat unter Berücksichtigung der situativen Gegebenheiten nicht ersichtlich sind, waren die den Angriff stoppenden Schüsse auf die Beine der Beklagten im vorliegenden Fall völlig der Situation angemessen, keineswegs überzogen oder unverhältnismäßig und damit eindeutig rechtmäßig.
- 32
Soweit einer der Beklagten geltend macht, von einem Schuss getroffen worden zu sein, als er sich bereits abgewendet hatte (bestritten), würde dies auch nicht zur Rechtswidrigkeit des Abwehrverhaltens des Zeugen S... insgesamt führen. Insoweit ist für den geltend gemachten Ersatzanspruch auf das gesamte Geschehen abzustellen, was sich aus den oben genannten Gründen als eindeutig rechtmäßig darstellt.
- 33
Hinzuweisen ist allenfalls darauf, dass - selbst wenn man das Geschehen wie von dem einen Beklagten dargestellt einmal als zutreffend unterstellt - dieser eine Schuss des Polizeibeamten S... wohl in den Geltungsbereich von § 33 StGB fiele. An der Berechtigung des den Angriff der Beklagten effektiv abwehrenden Verhaltens durch den Zeugen S... insgesamt kann dies nichts ändern.
- 34
Damit handelten die Beklagten bei ihrem Angriff auf die beiden Polizeibeamten eindeutig rechtswidrig.
- 35
3. Der vorsätzliche und rechtswidrige Angriff auf die beiden Polizeibeamten führte auch zur Verletzung deren Rechtsgüter (s.o. 1.a) und bewirkte die berechtigte Abwehr durch den Schusswaffeneinsatz. Dieser führte dann zu den Bein-Verletzungen bei den Beklagten und damit zum Ende deren Angriffs (zu den örtlichen Gegebenheiten nach Angriffs-ende s. d. beigezogene Lichtbildmappe).
- 36
Das Gesamtgeschehen war auch ursächlich für die bei dem Kläger sich ausbildende chronische posttraumatische Belastungsstörung nach ICD 10 WHO F 43.1.
- 37
a) Aus dem eingeholten psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen Dr. med. C. S... vom 19. März 2009 (Bl. 904 ff. GA) ergibt sich eindeutig, dass bei dem Kläger eine chronische posttraumatische Belastungsstörung unter Berücksichtigung der Bewertungsfaktoren der WHO vorliegt und diese psychische Erkrankung ursächlich auf die o.g. nächtlichen Ereignisse, insbesondere den Schusswaffeneinsatz vom 28.08.1999 zurückzuführen ist. Der Sachverständige hat in dem genannten Gutachten sowie in seiner Anhörung vor dem Senat in den drei hierzu verbundenen Verfahren (Bl. 1037 ff. d. A.) überzeugend dargelegt, dass dieses Gutachten zum einen von ihm selbst verantwortet wird (s. auch Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2009, Bl. 1013 ff. GA) und zum anderen, dass die besagte psychische Erkrankung bei dem Kläger - kausal auf das obige Geschehen mit den Beklagten zurückführbar - sachverständig festgestellt tatsächlich gegeben sind. Der Sachverständige hat sich eingehend mit dem Vorliegen dieser Erkrankungen auseinandergesetzt und diese eingehend diagnostisch abgesichert. Er hat bei dem Kläger weitere denkbare und von den Beklagten behauptete Bewirkungsfaktoren (neben dem oben genannten Angriff durch die Beklagten) für die Ausbildung des nun vorliegenden Krankheitsbildes ausgeschlossen. Die in Rede stehenden, zum Teil Jahre zurückliegenden Ereignisse wurden nach den sachverständigen Feststellungen adäquat verarbeitet und konnten keine Wirkkraft mehr für die nun ausgebildete Erkrankung darstellen.
- 38
Der Gutachter hat auch alle Einwände gegen das Vorliegen einer Erkrankung und deren kausale Rückführung auf den Angriff der Beklagten überzeugend zurück gewiesen. So spricht die Latenzzeit zwischen dem Vorfall und der Ausbildung von Störungssymptomen von mehreren Monaten sogar eher für als gegen das Vorliegen eines posttraumatischen Belastungssyndroms. Eine Simulation o.ä. hat der Sachverständige eindeutig und überzeugend ausgeschlossen. Die vorgenommene ambulante Untersuchung ohne stationäre Unterbringung hat er als ausreichend angesehen.
- 39
Mithin steht für den Senat mit ausreichender Gewissheit fest, dass bei dem Kläger sich die oben genannte Erkrankung ausgebildet hat und dies ursächlich auf die bereits geschilderten und von den Beklagten zu verantwortenden Ereignisse zurück zu führen ist. Deren Handeln wurde ursächlich für die sich ausbildende und fortdauernde Erkrankung des Klägers. Dies betrifft nicht nur den Zeugen S..., der die Schüsse abgab, sondern gilt nach den sachverständigen Feststellungen auch in gleicher Weise für den gleich betroffenen Kläger. Beide wurden in gleicher Weise durch das rechtswidrige Handeln der Beklagten traumatisiert.
- 40
Auch aufgrund der Anhörung des Sachverständigen vor dem Senat (vgl. Sitzungsniederschrift vom 9. Dezember 2009, Bl. 1037 ff. GA) steht für den Senat fest, dass weitergehende Begutachtungen, Untersuchungen nicht angezeigt sind, solche auch nicht zu weiteren Erkenntnissen führen würden. Auf entsprechende Frage der Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat der Sachverständige eindeutig verneint, dass weitergehende psychologische Untersuchungen u.a. zur Abklärung und Absicherung der vorgenommenen Diagnose erforderlich wären. Die vorgenommenen Untersuchungen und Bewertungen durch den Sachverständigen waren für diesen für eine abgesicherte Diagnose ausreichend. Dies hat der Sachverständige dem Senat so auch entsprechend vermittelt. Der Senat schließt sich dieser Einschätzung des Sachverständigen uneingeschränkt an. Damit steht für den Senat mit ausreichender Sicherheit sowohl die chronische posttraumatische Belastungsstörung (mit Krankheitswert) bei dem Kläger wie auch deren Rückführbarkeit im Sinne einer Ursachenzurechnung auf die Angriffe der Beklagten mit den nachfolgenden Entwicklungen (Schüsse u.a.) fest. Der gemeinschaftliche und rechtswidrige Angriff der Beklagten war damit äquivalent kausal für die später eingetretenen psychischen Schäden bei dem Kläger.
- 41
b) Diese chronische posttraumatische Belastungsstörung ist den drei Beklagten zuzurechnen.
- 42
Zum einen handelt es sich nicht um völlig fernliegende, absolut atypische Folgen nach den entsprechenden, von den Beklagten getätigten massiven Angriffen. Gerade auch unter Berücksichtigung der oben genannten Zeugenaussagen war das Vorgehen der Beklagten und deren Angriff auf die beiden Polizeibeamten so massiv, so aggressiv, dass es durchaus lebensnah und keineswegs fernliegend ist, dass sich bei den betroffenen Personen eine ganz enorme Stresssituation mit nachfolgender Belastungsstörung ausbildet. Dieses Phänomen ist auch - gerichtsbekannt - für verschiedene Berufe, insbesondere für Polizeibeamte entsprechend beschrieben und auch abgesichert. Dass demnach ein solcher Angriff wie geschehen mit nachfolgendem abwehrendem Schusswaffeneinsatz zu dieser psychischen Belastung (mit Krankheitswert) bei den Polizeibeamten führt, ist demnach eine durchaus naheliegende, keineswegs eine fernliegende Folge. Wegen völliger Atypizität des Geschehensablaufs und der daraus resultierenden Folgen scheidet demnach eine Zurechnung im vorliegenden Fall nicht aus.
- 43
Eine Zurechnung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich bei den beiden eingesetzten Polizeibeamten deren "Lebens-, Berufswahlrisiko" realisiert hätte (vgl. insoweit die Argumentation in der angefochtenen landgerichtlichen Entscheidung). Dass auch ein Polizeibeamter, wenn er von einem Angreifer geschlagen, getreten und hierdurch körperlich verletzt wird, einen entsprechenden Ersatzanspruch (Schadenersatz, Schmerzensgeld) hat, dürfte unzweifelhaft sein. Insoweit ist bisher nicht ersichtlich, dass es einen Fall gibt, in dem der jeweilige Schädiger unter dem Gesichtspunkt "Verwirklichung des Lebens-, Berufsauswahlrisikos" von einer Haftung freigestellt wurde. Der Schädiger ist in diesem Fall für die körperlichen Schäden verantwortlich und entschädigungspflichtig. Weshalb im vorliegenden Fall des Eintritts einer massiven psychischen Schädigung, Erkrankung etwas anderes gelten soll, ist dem Senat nicht ersichtlich und auch unter Zugrundelegung der landgerichtlichen Ausführungen nicht nachvollziehbar. Ein Ausschluss der Zurechenbarkeit könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn sich eine völlig fernliegende, extrem atypische Folge realisiert hätte. Dies ist aus den oben genannten Gründen jedoch eindeutig nicht der Fall.
- 44
Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eigenes Handeln der Polizeibeamten (Schusswaffeneinsatz) das ihre Erkrankung auslösende Gesamtgeschehen mit geprägt hat. Dieses Handeln hatte aber gerade seine Ursache in dem massiven, die Rechtsgüter der Polizeibeamten verletzendem Verhalten der Beklagten, ihrem massiven und höchst aggressiv vorgetragenem Angriff (s. Palandt-Grüneberg, Vorb § 249 Rn. 24 ff., 41 ff.; Palandt-Sprau, § 823 Rn. 58).
- 45
Eine Zurechnung scheidet auch nicht aus, weil sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht hätte. In diesen Fällen (u.a. Stolpern über Bordstein, Ausrutschen auf nassem Gras) wirkt sich das Verhalten des Schädigers gerade nicht gefahrerhöhend aus. Im hier vorliegenden Fall war hingegen der Angriff der Beklagten gerade Auslöser für die abwehrenden Schüsse und die gesamte Folgeentwicklung. Es hat sich gerade nicht das allgemeine Lebensrisiko sondern das von den Beklagten vorsätzlich und rechtswidrig geschaffene und erhöhte Risiko für die Polizeibeamten verwirklicht. Diese Sichtweise mit der hier eindeutig anzunehmenden Zurechnung ergibt sich auch aus dem von den Beklagten vorlegten Urteil (BGH v. 22.05.2007 - VI ZR 17/06; Bl. 425 ff. d.A.). Es lag gerade eine Gefahrverursachung, Gefahrerhöhung durch die Beklagten vor.
- 46
Auch konnten und mussten die Beklagten damit rechnen, dass infolge ihres äußerst aggressiven Vorgehens unter Missachtung eindeutiger polizeilicher Anordnungen auf die beiden eingesetzten Polizeibeamten diese die hieraus entstehende Situation nicht folgenlos verarbeiten würden, mithin durchaus die nahe Möglichkeit bestand, dass sich hier Belastungsstörungen ausbilden. Damit war diese Folge bei den beiden Polizeibeamten nicht nur objektiv zurechenbar, sondern auch für die Beklagten subjektiv unter Zugrundelegung zivilrechtlicher Maßstäbe vorhersehbar (s. Palandt-Sprau, § 823 Rn. 42 f.).
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Nach allem hat der rechtswidrige Angriff der Beklagten kausal und zurechenbar zu den bei den eingesetzten Polizeibeamten vorliegenden chronischen psychischen Belastungsstörungen mit Krankheitswert geführt, was wiederum den vom Kläger geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch begründet.
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4. Der Senat erachtet die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.225,84 € (entspricht 20.000 DM) unter Berücksichtigung der für den vorliegenden Fall relevanten Zumessungsgesichtspunkten als angemessen aber auch als ausreichend. Hierbei hat er vor allem das sachverständig festgestellte Maß an Beeinträchtigungen und Schädigungen des Klägers sowie auch das Vorgehen der Beklagten, dessen Unwertgehalt mitberücksichtigt. Besonders ins Gewicht fällt auch die seit Anfang 2000 bestehende lange Zeit der massiven Beeinträchtigung des Klägers in seiner gesamten Lebenswelt. Nicht ohne Berücksichtigung konnte aber auch das prozessuale Verhalten der Beklagten in dem seit Mitte des Jahres 2002 andauernden Zivilrechtsstreit bleiben. So wurden die Geschehnisse in der Nacht des 28.08.2009 im vorliegenden Rechtsstreit bestritten, obwohl entsprechende Geständnisse in dem einschlägigen Strafverfahren bereits abgegeben worden waren. Hierdurch hat sich der Rechtsstreit auch mit den entsprechenden psychischen Belastungen für den Kläger deutlich hinausgezögert. Die wesentlichen Zumessungsfaktoren für den Senat waren jedoch die Schwere und auch die Dauer der erlittenen und noch andauernden Schädigung sowie das ganz massive Vorgehen der Beklagten bei ihren Angriffen auf die beiden Polizeibeamten, wobei der Senat hier von einem doch recht hohen Unwertgehalt ausgeht. Nach allem ist der ausgeurteilte Schmerzensgeldbetrag angemessen, aber auch für eine Genugtuung des Klägers ausreichend.
- 49
5. Der geltend gemachte bezifferte Leistungsanspruch, -antrag ist nicht verjährt. Der Lauf der Verjährungsfrist wurde rechtzeitig unterbrochen bzw. gehemmt. Dies gilt auch für den erstinstanzlich gestellten Feststellungsantrag.
B.
- 50
Der erstmals im Berufungsverfahren gestellte klageerweiternde Feststellungsantrag nach Ziff. 3 des Schriftsatzes des Klägers vom 14. Januar 2010 (zugestellter klageerweiternder Antrag vom 05.10.2007, Bl. 768 ff. d.A.) ist wegen Eintritts der Verjährung auf die entsprechenden Einreden der Beklagten hin abzuweisen. Dieser Anspruch unterliegt einer eigenständigen Verjährung (OLG Karlsruhe, OLGReport Karlsruhe 2009, 904 f.). Die dreijährige Verjährungsfrist war im Zeitpunkt der Einreichung des Schriftsatzes mit dem klageerweiternden Antrag im Jahre 2007 eindeutig abgelaufen. Dieser Antrag des Klägers bleibt damit ohne Erfolg.
C.
- 51
Nach allem ist das landgerichtliche Urteil wie geschehen abzuändern. Die Beklagten zu 1., 2. und 3. sind dem Kläger ersatzpflichtig und auch verantwortlich für eintretende Folgeschäden. Der im Berufungsverfahren erstmals geltend gemachte weitergehende Feststellungsantrag ist verjährt und dementsprechend abzuweisen.
- 52
Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen, da die abschließend in § 543 Abs. 2 ZPO niedergelegten Gründe im vorliegenden Fall ersichtlich nicht gegeben sind. Es handelt sich um die Entscheidung in dem hier vorliegenden Einzelfall, der keinerlei grundsätzliche Fragen berührt und dessen Entscheidung auch in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Auslegung der einschlägigen Rechtssätze steht.
- 53
Die Kostenentscheidung ergibt sich für die erste Instanz aus § 91 und für das Berufungsverfahren aus § 92 Abs. 1 ZPO.
- 54
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
- 55
Der Wert des erstinstanzlichen Verfahrens wird in Übereinstimmung mit der landgerichtlichen Wertfestsetzung auf insgesamt 15.226 € festgesetzt (Antrag zu 1: 10.226 €; Feststellungsantrag zu 2: 5.000 €). Der Wert des Berufungsverfahrens wird unter Berücksichtigung des weiter gestellten Feststellungsantrages (Antrag zu 3) auf insgesamt 16.026 € festgesetzt (Wert des letztgenannten Feststellungsantrags unter Berücksichtigung der erheblich eingeschränkten Vollstreckungsmöglichkeiten (s. auch BGH, BGHReport 2009, 585): 800 €).
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 17.11.2009 verkündete Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 22 O 16/09 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Unter Klageabweisung im Übrigen wird der Beklagte zu 1) verurteilt, an die Klägerin 53.600,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 14.04.2007 zu zahlen, und zwar hinsichtlich der Hauptforderung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 16.04.2007 gesamtschuldnerisch mit der Beklagten zu 2).
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, welcher der Klägerin aus dem Unfallereignis vom 29.09.2005 in C-B, Am L entstanden ist, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Das weitergehende Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtstreits in beiden Instanzen haben die Klägerin 89 %, die Beklagten als Gesamtschuldner 11 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die gegen sie betriebene Zwangsvollstreckung jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei jeweils Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e:
2I.
3Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Anspruch, die ihr angeblich aus dem traumatisierenden Erleben einer sich am 29.09. 2005 ereignenden Unfallverletzung ihres Sohnes entstanden sind.
4An dem genannten Tag wurde der am 06.10.2001 geborene, auf einem Grundstück neben der Straße „Am L“ in C-B gemeinsam mit anderen Kindern spielende Sohn R F B2 der Klägerin beim Laufen auf die Fahrbahn von dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW des Beklagten zu 1) erfasst und blieb schwer verletzt auf dem Boden liegen. Die Klägerin wurde von einer den Unfall beobachtenden Nachbarin herbeigerufen und fand ihren Sohn, der bei dem Unfall eine erheblich dislozierte Oberschenkelfraktur, eine commotio cerebri und eine Kopfplatzwunde am Hinterkopf erlitt, in der beschriebenen Situation vor. Die dem Grunde nach vollumfängliche Haftung der Beklagten für die dem Sohn der Klägerin aus dem Unfallereignis entstandenen Schäden steht außer Streit.
5Die Klägerin hat behauptet, ihr Sohn habe stark geblutet und sei bewusstlos gewesen, weshalb sie geglaubt habe, dass er lebensgefährlich verletzt sei und noch am Unfallort versterben werde. Sowohl der verständigte Notarzt als auch die Rettungssanitäter hätten mitgeteilt, dass akute Lebensgefahr bestehe. Während des Transports zum Krankenhaus habe ihr die meiste Zeit nicht ansprechbarer Sohn teilweise stark geschrien. Als Reaktion auf das Erlebnis der schweren Unfallverletzung ihres Sohnes habe sie ein posttraumatisches Belastungssyndrom entwickelt, als dessen Ausdruck sich u.a. eine schwere Essstörung in der Form einer Magersucht eingestellt habe. Sie, die Klägerin, sei vor dem Unfallereignis völlig gesund gewesen und habe bei einer Größe von ca. 161 cm im Schnitt zwischen 65 und 67 kg gewogen. Nunmehr wiege sie – nach zeitweisem Absinken ihres Körpergewichts auf sogar unter 40 kg - lediglich noch um die 45 kg. Infolge der psychopathologischen Verarbeitung des Geschehens, die mit Schlaflosigkeit und permanenter Angst um ihr Kind einhergehe, leide sie ständig unter Kopfschmerzen und Schmerzen im Bereich der HWS. In physischer und psychischer Hinsicht seien aber die Folgen der Essstörung besonders gravierend. Sie sei auf Dauer nicht mehr in der Lage, am sozialen Leben teilzunehmen und den Haushalt zu führen, den sie vorher alleine bei einem wöchentlichen Stundenaufwand von 50 bis 60 Stunden bewältigt habe. Der Haushalt werde nunmehr alleine von ihrem Ehemann geführt, der zum 30.06.2007 seine Arbeitsstelle verloren habe, weil er sehr häufig zu Hause habe bleiben müssen, um sich um seine Ehefrau und das verletzte Kind zu kümmern. Die Beklagten seien vor diesem Hintergrund nicht nur zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 45.000,00 €, sondern auch zum Ersatz des Haushaltsführungsschadens in der Form einer mit insgesamt 443.520,00 € bezifferten Kapitalabfindung verpflichtet. Es sei ihr – der Klägerin – nicht zuzumuten und würde zu einer weiteren Gesundheitsgefährdung führen, wenn sie andauernd um eine „Rentenzahlung kämpfen“ müsste.
6Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
71.
8die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
9a)
10an sie – die Klägerin – ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, allerdings den Betrag von 45.000,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
11b)
12eine Abfindung in Höhe von 443.520,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
13hilfsweise,
14an sie – die Klägerin – ab dem 01.11.2005 bis zur Vollendung ihres 75. Lebensjahres eine vierteljährlich, nämlich jeweils zum 01.01., 01.04., 01.07. und 01.10 eines jeden Jahres vorauszahlbare Rente in Höhe von 2.000,00 € für jeden Monat zu zahlen;
152.
16festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihr – der Klägerin - sämtlichen künftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus dem Unfallereignis vom 29.09.2005 gegen 16:45 Uhr in C-B, Am L 50 entstanden ist, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen werden.
17Die Beklagten haben beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Die Beklagten haben in Abrede gestellt, dass die Klägerin bedingt durch das Erlebnis der Unfallverletzung ihres Sohnes eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt habe und dass sie noch heute an dem von ihr behaupteten Krankheitsbild leide. Ein etwa vorhandenes Belastungssyndrom der Klägerin sei als Reaktion auf die Unfallverletzung ihres Sohnes völlig überzogen und jedenfalls nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen. Das Unfallereignis des Sohnes werde von der schon vorher durch familiäre Belastung überstrapazierten Klägerin zum Anlass genommen, latente innere Konflikte zu kompensieren mit der Folge, dass sie sich in eine keinen inneren Bezug zu dem Unfallgeschehen mehr aufweisende Neurose geflüchtet habe. Sie habe das Verletzungserlebnis in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass genommen, den Belastungen ihres Alltags, insbesondere der Haushaltsführung auszuweichen, mithin eine Renten- und Begehrensneurose entwickelt. Jedenfalls aber habe sie nicht in ausreichendem Maße und zeitnah die ihr zugänglichen und zumutbaren Behandlungsmaßnahmen ergriffen, um etwaige unfallbedingte Krankheitserscheinungen zu überwinden oder das von ihr behauptete Verletzungsbild zumindest in Grenzen zu halten, weshalb sie letztlich ein Mitverschulden trage. Überdies seien sowohl die Schmerzensgeldvorstellung der Klägerin völlig übersetzt als auch der unter dem Aspekt des Haushaltsführungsschadens geltend gemachte Betrag unberechtigt. Eine Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Haushaltsführung habe die Klägerin ebenso wenig spezifiziert dargelegt, wie die Höhe des insoweit geltend gemachten Schadens; ein Kapitalabfindungsanspruch stehe ihr aber in keinem Fall zu.
20Das Landgericht hat Sachverständigenbeweis über die Frage erhoben, ob die Klägerin unfallbedingt an einem posttraumatischen Belastungssyndrom mit den von ihr behaupteten Folgen leidet und die Klage sodann in dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Wertung Bezug genommen wird, abgewiesen. Der Klägerin, so hat das Landgericht zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, stünden die unter dem Aspekt des Trauma- bzw. „Schockschadens“ geltend gemachten Klagebegehren (Schmerzensgeld, Ersatz des Haushaltsführungsschadens durch Zahlung einer Kapitalabfindung, hilfsweise Geldrente sowie Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftiger materieller und immaterieller Schäden) nicht zu, weil ihr der anhand der Maßstäbe des § 286 ZPO zu führende Nachweis eines haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs zwischen dem „Unfall ihres Sohnes und der krankheitswertigen Schockreaktion“ nicht gelungen sei. Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. Dr. rer. nat. U. T in ihrem schriftlichen Gutachten sowie den von ihr hierzu gegebenen mündlichen Erläuterungen liege eine posttraumatische Belastungsstörung auf Seiten der Klägerin nicht vor. Soweit auf Seiten der Klägerin die Symptome einer Magersucht festgestellt worden seien, lasse sich nicht feststellen, dass diese ursächlich auf dem Unfallgeschehen beruhe. Nach den Feststellungen der Sachverständigen lägen vielmehr ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, eine bereits vor dem Unfallereignis bestehende Magersucht der Klägerin anzunehmen. Hierauf weise auch das eigene Verhalten der Klägerin hin, die eine Überprüfung „ihrer früheren Erkrankung“, sei es durch Vorlage von Fotos, sei es durch Benennung ihr neutral gegenüberstehenden Zeugen, verhindert habe. Der Umstand, dass die der Sachverständigen T übermittelten Krankenunterlagen einen Zeitraum erst ab dem 26.01.2006 erfassen, füge sich hierin ein. Der in diesen Krankenunterlagen aufgefundene Hinweis, dass die „Essstörungen schlimmer geworden“ seien, lege es vielmehr nahe, dass diese schon vor dem Unfallzeitpunkt bestanden hätten. Letztlich lasse sich nicht ausschließen, dass die Klägerin eine bei ihr bestehende Erkrankung zu instrumentalisieren suche.
21Ihre hiergegen gerichtete Berufung stützt die Klägerin darauf, dass die dem angefochtenen Urteil zu Grunde liegende Tatsachenfeststellung an Verfahrensfehlern leide und dadurch ihr, der Klägerin, Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Soweit das Landgericht seine Würdigung eines fehlenden Kausalitätsnachweises allein auf die gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen T, namentlich das schriftliche Gutachten vom 23.06.2008 stütze, habe das Landgericht die darin ermittelten Ergebnisse unter Hinwegsetzen über vorhandene Widersprüchlichkeiten ohne eigene Würdigung unkritisch übernommen. Die Sachverständige habe die als Ursachen für eine Magersucht nach wissenschaftlicher Erkenntnis in Betracht kommenden Faktoren nicht hinreichend ausgewertet. Dies sowie den weiteren Umstand würdigend, dass die Sachverständige sich nicht in der Lage gesehen habe, „entsprechende Fragen eindeutig zu beantworten“, hätte das Landgericht seine Entscheidung nicht ohne vorherige Einholung eines Obergutachtens treffen dürfen. Zu Unrecht habe das Landgericht bei seiner Würdigung weiter auch zugrundegelegt, dass die Klägerin selbst die Überprüfung einer früheren Erkrankung verhindert habe. Denn die Klägerin habe hierzu Zeugen benannt. Soweit das Landgericht diese Zeugen nicht vernommen bzw. die entsprechenden Beweisantritte übergangenen habe, stelle sich das als verfahrensfehlerhaft dar. Wäre das Landgericht diesen Beweisantritten nachgegangen, hätte sich herausgestellt, dass die Magersucht der Klägerin auf das Unfallereignis zurückzuführen ist bzw. dass der Unfall der die Magersucht erst auslösende Faktor gewesen sei. Das angefochtene Urteil sei schließlich aber auch deshalb verfahrensfehlerhaft und daher aufzuheben, weil die Entscheidung nicht durch einen Einzelrichter hätte getroffen werden dürfen. Es habe sich um eine Kammersache kraft gesetzlichen Vorbehalts nach Maßgabe von § 348 Abs. 1 Nr. 2 e ZPO in zumindest analoger Anwendung gehandelt.
22Die Klägerin beantragt sinngemäß,
23das am 17.11.2009 verkündete Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 22 O 16/09 – abzuändern und die Beklagten gemäß den oben dargestellten erstinstanzlichen Sachanträgen zu verurteilen.
24Die Beklagten beantragen,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil, in dem auf der Basis der keinerlei Widersprüche und Unvollständigkeiten aufweisenden gutachterlichen Erkenntnisse sowohl im Ergebnis als auch in dessen Begründung in jeder Hinsicht zutreffend und verfahrensfehlerfrei der von der Klägerin zu führende Nachweis der Unfallbedingtheit des von ihr behaupteten Krankheitsbildes als misslungen erachtet worden sei. Anlass für eine weitere Aufklärung des Sachverhalts in dieser Hinsicht habe nicht bestanden.
27Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf ihre in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
28Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschlüssen vom 22.04.2010 und vom 13.07.2010 in der Fassung des Beschlusses vom 12.05.2011 durch Vernehmung des Zeugen Dr. med. K T2 sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das über die Zeugenvernehmung vom 13.07.2010 gefertigte Protokoll samt der von dem Zeugen überreichten Anlagen, ferner auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. med. X X2 vom 26.07.2011, 29.05.2012 und 21.12.2012 sowie dessen mündliche Erläuterungen im Termin am 08.01.2013 Bezug genommen.
29Die Akte 141 Js 767/05 der Staatsanwaltschaft Köln und das hierzu geführte Sonderheft „Versicherungsakte“ wurden beigezogen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
30II.
31Die – zulässige – Berufung der Klägerin hat in der Sache lediglich in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang teilweise Erfolg.
32Die Klägerin kann zwar dem Grunde nach aus den §§ 823 Abs. 1, 843 Abs. 1 BGB i. V. mit den §§ 249 Abs. 2, 253 Abs. 2 BGB, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 1 PflVG von den Beklagten als Gesamtschuldnern sowohl die Zahlung von Schmerzensgeld als auch Ersatz des geltend gemachten Haushaltsführungsschadens verlangen; ebenfalls begründet ist das daneben verfolgte Feststellungsbegehren. Die Klägerin hat bewiesen, dass ihr aus dem von dem Beklagten zu 1) schuldhaft verursachten Unfall eine eigene gesundheitliche Beeinträchtigung in der Ausprägung eines posttraumatischen Belastungssyndroms entstanden ist, die ihr unter dem Aspekt eines von ihr durch das Erlebnis der Unfallverletzungen ihres zum damaligen Zeitpunkt vierjährigen Kindes erlittenen „Schockschadens“ einen Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagten verschafft. Hinsichtlich der Höhe dieser ihr grundsätzlich zustehenden Zahlungsansprüche muss die Klägerin sich indessen erhebliche Einschränkungen gefallen lassen. Ein Schmerzensgeld stellt sich lediglich in Höhe von 20.000,00 € als berechtigt dar. Was den von vornherein nur in der Fassung des Hilfsbegehrens in Betracht kommenden Anspruch auf Ersatz des Haushaltsführungsschaden angeht, so besteht dieser nur für eine zeitlich zu begrenzende Dauer, nämlich die Spanne von September 2005 bis Dezember 2007, so dass sich bei einem mit jeweils 1.200,00 € pro Monat in Ansatz zu bringenden Betrag (§ 287 ZPO) eine Summe von lediglich 33.600,00 € ermittelt.
33Im Einzelnen:
341. Die mit dem Berufungsangriff, dass die Sache nicht – wie geschehen – durch den originären Einzelrichter hätte entschieden werden dürfen, vorgebrachte Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 GG ), ist allerdings nicht geeignet, dem Rechtsmittel der Klägerin zum Erfolg zu verhelfen. Auch vor dem Hintergrund der in den §§ 348 Abs. 4, 512 ZPO getroffenen Regelungen kann zwar die in offenbar unhaltbarer Anwendung von § 348 ZPO fälschlicherweise durch den Einzelrichter getroffene Entscheidung bzw. die unter dieser Voraussetzung unterlassene Vorlage an die Kammer als Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (u.a.) mit der Berufung geltend gemacht werden (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 29. Auflage, § 348 Rdn. 24 m. w. Nachw.). Ein solcher Fall der „offenbar unhaltbaren Anwendung“ von § 348 ZPO liegt hier indessen nicht vor. Soweit die Klägerin eine gemäß § 348 Abs. 1 Nr. 2 e) ZPO der Kammer vorbehaltene Sache erkennen will, geht das fehl. Eine „Streitigkeit über Ansprüche aus Heilbehandlungen“, die nach der erwähnten Vorschrift der Entscheidung durch die Kammer in voller Besetzung vorbehalten ist, liegt weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung der Bestimmung vor, die vertragliche und gesetzliche Ansprüche im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit von Ärzten, Zahnärzten und weiteren Angehörigen heilbehandelnder Berufsgruppen erfasst (vgl. Zöller/Greger, a.a.O. § 348 Rdn. 13). Hier geht es indessen um Ansprüche wegen verkehrsunfallbedingter körperlich manifestierter Leiden bzw. um Ansprüche aus einer durch den Unfall eines nahen Angehörigen „seelisch vermittelten“ Gesundheitsbeschädigung (vgl. BGH, NJW 1971, 1883). Dass die von der Klägerin geltend gemachte Gesundheitsbeschädigung in irgendeinem Zusammenhang mit einer Heilbehandlung steht, ist auch nicht ansatzweise zu erkennen. Vor diesem Hintergrund scheidet jedenfalls von vornherein auch eine analoge Anwendung der Regelung aus, so dass es nicht des Eingehens auf die Frage bedarf, ob die sich als Ausnahme vom originären Einzelrichterprinzip verstehenden Regelungen in § 348 Abs. 1 Nr. 2 ZPO überhaupt analogiefähig sind.
352. Hingegen hat das Rechtsmittel Erfolg, soweit dieses sich gegen die Ablehnung der Voraussetzungen einer grundsätzlichen Haftung der Beklagten wendet.
36Die Klägerin kann von den Beklagten dem Grunde nach Ersatz des aus dem Erlebnis der Unfallverletzung ihres Sohnes bei ihr eingetretenen posttraumatischen Belastungssyndroms, als dessen Symptom und/oder Folge sich eine Magersucht entwickelt hat, entstandenen materiellen und immateriellen Schadens beanspruchen.
37a) Die Klägerin hat bewiesen, dass sie unfallbedingt an Magersucht erkrankt ist.
38aa) Dass die Klägerin zeitlich nach dem Unfallereignis vom 29.09.2005 unter einer Essstörung in der Form einer Magersucht litt, steht jedenfalls im Berufungsverfahren außer Streit. Dies hat nicht nur die erstinstanzlich beauftragte Sachverständige T bestätigt (vgl. deren Angaben im Termin vom 27.10.2009, Bl. 394 R d. A.), sondern das folgt auch aus der dokumentierten Behandlungsgeschichte der Klägerin gemäß den u. a. von dem Zeugen Dr. med. T2, ihrem Hausarzt, eingereichten fachtherapeutischen und -medizinischen Unterlagen, so etwa dem Bericht der Sozialpädagogin und klinischen Psychologin I vom 29.06.2006 ( Bl.119 f d. A.), den Berichten des N-I2-Krankenhauses vom 30.11.2006 und vom 29.09.2008, in denen jeweils als Diagnose eine „reaktive Essstörung bei Schuldkonflikt“ bzw. „reaktive Essstörung im Sinne einer Anorexia nervosa….“ ausgewiesen ist, ferner den Arztbriefen des Universitätsklinikums C2 - Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie - vom 08.01.2007 (Bl. 560 f d. A.), 18.04.2007 und 23.05.2007, in denen jeweils neben einer „Posttraumatischen Belastungsstörung F 43 G“ eine „Psychogene Essstörung F 50.8 G“ als Diagnosen aufgeführt sind, schließlich ebenfalls aus dem Schreiben der Universitätsklinik Heidelberg vom 27.02.2007, welches als Diagnosen „Atypische Anorexia nervosa (BMI=17,4) (F50.1) und „Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1)“ nennt und den Schreiben des St. Agatha Krankenhauses – Psychosomatik - vom 30.09.2008 und 22.12.2008, die als Diagnose-Angaben u.a. „Sonstige Essstörung (F 50.8) …z. N. posttraumatischer Belastungsstörung (F43.1)“ ausweisen. Nichts anderes ergibt sich aus den gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen X2, der nach Untersuchung der Klägerin am 10.05.2011 und am 08.06.2011 in seinem schriftlichen Gutachten vom 26.07.2011 ebenfalls eine Essstörung [„…Darüber hinaus liegt eine sonstige Ess-Störung (F 50.8) vor…“] diagnostiziert hat (vgl. Bl. 612 d. A.).
39bb) Die danach in Bezug auf die vorhandene Magersucht der Klägerin allein streitige Frage, ob diese Essstörung im Sinne der Adäquanz kausal auf den Unfall zurückzuführen ist, ist im Sinne der Klägerin zu bejahen.
40(1) Die Klägerin hat diesen Kausalzusammenhang nach den Maßstäben des § 286 ZPO zu beweisen, da die von ihr behauptete Verknüpfung einerseits des Unfallereignisses bzw. des Erlebnisses der Unfallverletzung ihres Sohnes sowie andererseits der sich ihrer Behauptung nach als Ausdruck eines posttraumatischen Belastungssyndroms verstehenden Magersucht das Merkmal der haftungsbegründenden Kausalität betrifft, bei welcher dem Anspruchsteller die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO nicht zu Gute kommen (vgl. BGH, FamRZ 1985, 464 ff – Rdn. 10 gemäß Juris-Ausdruck). Die von der Klägerin vorgebrachte Gesundheitsbeeinträchtigung, die sie als eigene, durch den Unfall ihres Sohnes „vermittelte“ Beschädigung ihrer Gesundheit unter dem Gesichtspunkt des „Schockschadens“ geltend macht, ist dabei in dem posttraumatischen Belastungssyndrom bzw. der posttraumatischen Belastungsstörung (im Folgenden auch: PTBS) zu sehen, als deren Symptom und Folge sich die eingetretene Magersucht versteht. In der rechtlichen Beurteilung ist die Magersucht damit der „Primärbeeinträchtigung“, mithin dem haftungsbegründenden, und nicht erst dem haftungsausfüllenden Tatbestand zuzuordnen. Denn die PTBS ist als solche über körperliche oder psychische Ausfälle und Krankheitszeichen pathologisch fassbar, deren Vorliegen daher mit dieser Primärbeeinträchtigung gleichgesetzt werden kann.
41(2) Die Klägerin hat den ihr obliegenden Beweis der Unfallbedingtheit ihrer Essstörung erbracht.
42Der Sachverständigen X2 hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 26.07.2011 ausgeführt, dass auf der Grundlage der Kriterien des sog. Essener Trauma-Inventars bei der Klägerin im Zusammenhang mit dem Unfallereignis ihres Sohnes zunächst eine Posttraumatische Belastungsstörung aufgetreten sei, als deren Folge sich eine „sonstige Essstörung gemäß F 50.8“ des Diagnosekanons manifestiert und chronifiziert habe, die „zu den typischen Langzeiteffekten bei der PTBS“ gehöre (vgl. Bl. 612 f d. A.). Danach spricht alles dafür, dass die nach dem Unfallereignis vorhandene Magersucht der Klägerin kausal auf den Unfall bzw. das Erlebnis der Unfallverletzungen ihres Sohnes zurückzuführen ist. Der Umstand, dass die Klägerin ausweislich der in den Behandlungsunterlagen des Zeugen Dr. med. T2 dokumentierten Eintragungen bereits vor dem Unfall an den Symptomen einer Essstörung litt (vgl. die Eintragungen in die Tagesprotokolle des Dr. med. T2 für den Zeitraum vom 20.03.2000 bis zum 26.01.2006 betreffend die Daten des 01.03.2004, 20.12.2004, 05.09.2005 und 06.09.2005), steht dieser kausalen Verknüpfung nicht entgegen. Die Zurechnung von Schäden scheitert nicht daran, dass diese auf einer konstitutiven Schwäche oder sonstigen Prädisposition des Verletzten beruhen. Ein Schädiger kann sich infolgedessen nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten sei oder ein besonderes Ausmaß erlangt habe, weil der Verletzte infolge von Anomalien oder Dispositionen zur Krankheit besonders anfällig gewesen sei. Wer einen gesundheitlich schon angeschlagenen Menschen verletzt, kann nicht verlangen so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen (vgl. BGH, NJW 2012, 2966 – Rdn. 8 und 10 gemäß Juris(vgl. BGHZ 132, 341/ 343 ff; BGHZ 137, 142 ff – Rdn. 10 und 17, 20, 22 – jew. m. w. Nachw.). Stellt sich daher die bei der Klägerin nach dem Unfall vorhandene Magersucht als eine infolge erst des Unfallereignisses eingetretene Verschlimmerung oder Konversion einer bereits vorher vorhandenen Essstörung dar, hindert das den erforderlichen kausalen Zurechnungszusammenhang zwischen einerseits dem Verletzungsereignis und andererseits der erwähnten Magersucht nicht. So liegt der Fall hier. Nach den Ausführungen des Sachverständigen X2 in seinem schriftlichen Gutachten vom 29.05.2012 und im Termin am 08.01.2013 (Bl. 763 d. A.) trat die nach dem Unfallereignis vorhandene Magersucht der Klägerin als neuartiges Symptom bzw. neuartige Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung auf (vgl. 691 f d. A.), so dass es sich hierbei um eine „neue“ gesundheitliche Beeinträchtigung handelt, die auf eine ggf. bereits vorhandene Essstörung aufsattelte und diese verändert hat.
43Der Überzeugungskraft der dieser Würdigung zu Grunde liegenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. X2 steht es dabei nicht entgegen, dass nach den Angaben der erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen Dr. med. Dr. rer. nat. T demgegenüber das Unfallereignis als auslösendes Moment der Magersucht der Klägerin ausscheide und auch ein Posttraumatisches Belastungssyndrom nicht vorgelegen habe (vgl. u.a. die Ausführungen im Termin bei dem Landgericht am 27.10.2009). Den Ausführungen der Sachverständigen T liegt erkennbar die Erwägung zu Grunde, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen der nach dem Unfallereignis vorhandenen Magersucht der Klägerin und dem Unfall zu verneinen ist, wenn die Klägerin bereits vorher an einer solchen Essstörung litt (vgl. ihre Ausführungen im Termin vom 27.10.2009 und in dem schriftlichen Gutachten, Bl. 281 ff d. A.), was aus den oben aufgezeigten rechtlichen Gründen in dieser Form nicht zutrifft. Gleiches gilt, soweit die Sachverständige T den Umstand, dass die Klägerin keine „neutralen“ Zeugen benannt oder weitere Fotografien vorgelegt hat, die Aufschluss zu ihrer Gewichtsentwicklung vor dem Unfallereignis verschaffen könnten, indiziell gegen einen Ursachenzusammenhang sprechend gewertet hat. Selbst wenn danach eine auf eine schon vor dem Unfallereignis bestehende Essstörung hinweisende Gewichtsentwicklung der Klägerin dokumentiert würde, lässt das die Unfallbedingtheit der nach dem 20.09.2005 vorhandenen Magersucht nicht ausschließen.
44b) Hat die Klägerin nach alledem bewiesen, dass sich bei ihr kausal bedingt durch das Unfallereignis eine Magersucht entwickelt hat, so trifft die Beklagten wegen dieser gesundheitlichen Beeinträchtigung dem Grunde nach die Verpflichtung zum Schadensersatz und zur Zahlung von Schmerzensgeld.
45aa) Eine Gesundheitsbeschädigung i.S. des § 823 Abs. 1 BGB kann nicht nur bei physischer Einwirkung auf den Körper vorliegen, sondern auch psychisch vermittelt werden. Zwar beschränkt der Gesetzgeber die Deliktshaftung grundsätzlich auf den Schaden des "unmittelbar" Verletzten und versagt – mit Ausnahme der in den §§ 844, 845 BGB ausdrücklich geregelten Fälle - Ausgleichsansprüche für seelischen Schmerz, soweit dieser nicht Auswirkung der Verletzungen des eigenen Körpers oder der eigenen Gesundheit ist. Selbst Empfindungen wie Trauer und Schmerz, die ein negatives Erlebnis bei den dem unmittelbar Verletzten nahe stehenden Personen auslöst, und die jedenfalls in schweren Fällen von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet und für die körperliche Befindlichkeit durchaus medizinisch relevant sein können, vermögen für sich allein einen Anspruch des auf diese Weise „mittelbar“ Beeinträchtigten nicht zu begründen. Gerade in Fällen wie dem vorliegenden, bei dem ein noch sehr kleines Kind schwer verletzt wird, werden die Eltern in aller Regel schon durch die Nachricht von dem Unfall ihres Kindes in ihrer psychischen/seelischen Befindlichkeit empfindlich gestört werden und sich hieraus nicht nur immaterielle, sondern auch materielle Beeinträchtigungen für sie ergeben. Gleichwohl hat das Gesetz den materiellen Schadensersatz der nur "mittelbar" Geschädigten auf die in den §§ 844, 845 BGB näher bezeichneten Schäden begrenzt. Diese gesetzgeberische Entscheidung würde unterlaufen, wenn allein die aus dem Durchleben der beschriebenen psychischen/seelischen Auswirkungen entstehenden Beeinträchtigungen bereits als Gesundheitsverletzungen nach § 823 Abs. 1 BGB zu entschädigen wären. Vor diesem Hintergrund ist anerkannt, dass eine Ersatzpflicht für solche psychisch vermittelten Beeinträchtigungen nur dort in Betracht kommt, wo es zu gewichtigen psycho-pathologischen Ausfällen von einiger Dauer kommt, die diese auch sonst nicht leichten Nachteile eines schmerzlich empfundenen Unglücksfalls für das gesundheitliche Allgemeinbefinden erheblich übersteigen und die als solche pathologisch fassbar sind, und die deshalb auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Verletzung des Körpers oder der Gesundheit betrachtet werden (vgl. BGH, NJW 1989, 2317 – Rdn. 9 gemäß Juris-; BGH, NJW 1985, 1390, Rdn. 16 f gemäß Juris; OLG Nürnberg, DAR 1995, 447 – Rdn. 30 gemäß Juris – jeweils m. w. Nachw.). Dies vorausgeschickt erfordert der Ersatzanspruch des durch ein Unfallereignis nur „mittelbar“ Beeinträchtigten die Reaktion auf ein Erlebnis, die nach Art und Schwere deutlich über das hinausgeht, was Nahestehende als mittelbare Betroffene in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden; nur bei Überschreiten dieser Grenze liegt überhaupt eine Körper- bzw. Schutzgutverletzung i. S. der §§ 253 Abs. 2, 823 Abs. 1 BGB vor. Es muss sich ferner um eine im Hinblick auf den Anlass verständliche Reaktion handeln. Die Ersatzpflicht beschränkt sich schließlich immer auf die nächsten Angehörigen, namentlich also auf die Eltern eines Unfallopfers (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., Vorb v 249 Rdn. 40 mit w. Nachweisen).
46bb) All diese Voraussetzungen sind unter den Umständen des hier zu beurteilenden Streitfalls erfüllt.
47Die Klägerin hat als Mutter ihres bei dem Unfall am 29.09.2005 unmittelbar verletzten, zum damaligen Zeitpunkt vierjährigen Sohnes mit der sich als Ausdruck und Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung manifestierenden Magersucht eine als solche fassbare gesundheitliche Beeinträchtigung mit Krankheitswert erlitten, die der Art und dem Gewicht nach deutlich über das hinausgeht, was Nahestehende als mittelbar Betroffene in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden. Ob die Klägerin auch an den von ihr im Übrigen behaupteten, in dem erstinstanzlichen Beweisbeschluss vom 12.12.2007 aufgeführt Symptomen gelitten hat, ist dabei allerdings nicht von Belang. Denn es handelt sich hierbei nicht um Beeinträchtigungen, die unter dem Aspekt eines sog. „Schockschadens“ ersatzfähig sein können. Insoweit ist nicht zu erkennen, dass sie über das hinausgehen, was Nahestehende in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erleiden (BGH, NJW 1971, ,1883 – Rdn. 8 und 14 gem. Juris-Ausdruck; BGH, NJW 1989, 2317 ff – Rdn. 9 gemäߠ Juris-Ausdruck; Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., Vorb v § 249 Rdn. 40 – jew. m. w. Nachw.). Das gilt namentlich für die in Frage stehende „Depression“ und „gedrückte Stimmung mit erheblicher Verminderung des Antriebs und der Aktivität“ sowie „ständiger Angst um ihr Kind“. Gerade in den Fällen wie dem vorliegenden, bei dem ein im Unfallzeitpunkt noch sehr kleines Kind bei einem Verkehrsunfall nicht unerheblich verletzt aufgefunden wird und erkennbar leidet, werden die Eltern in aller Regel in ihrer psychischen Befindlichkeit gestört und sich hieraus nicht nur immaterielle, sondern auch materielle Beeinträchtigungen für sie ergeben. Diese mögen dabei durchaus auch von medizinischer Relevanz sein. Die Schwelle zu einer die Haftung des Schädigers nach den vorstehenden Maßstäben begründenden Gesundheitsbeeinträchtigung der Eltern ist indessen nur und erst dann überschritten, wo es zu gewichtigen psychisch-pathologischen Ausfällen von einiger Dauer kommt, die – wie oben bereits ausgeführt - das auch sonst nicht leichte Durchleben von Schrecken, Schmerz und Entsetzen über das Leiden des Kindes und die damit verbundene Beeinträchtigung des gesundheitlichen Allgemeinbefindens der Eltern erheblich übersteigen (BGH, NJW 1989, 2317 – Rdn. 9 gem. Juris-Ausdruck m. w. Nachw.). Mit Ausnahme der von der Klägerin als fassbares Symptom und Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung eingetretenen Magersucht handelt es sich bei den in Rede stehenden weiteren Beeinträchtigungen aber gerade um solche, wie sie sich typischerweise im Rahmen der Reaktion auf die Nachricht von einer schweren Unfallverletzung eines Kindes und deren Erleben durch die Eltern bei diesen einstellen können. Allein die Behauptung, dass sie sich bei der Klägerin nach dem Erleben der Unfallverletzungen ihres Sohnes eingestellt haben, lässt nicht erkennen, dass damit den qualitativen Sprung zu einer posttraumatischen Belastungsstörung überwindende Ausfälle mit Krankheitswert vorliegen. Weder dem Vortrag der Klägerin noch dem Sachverhalt im Übrigen lassen sich konkrete Anhaltspunkte über die Art und Schwere der vorbezeichneten Beeinträchtigungen entnehmen, die es rechtfertigen könnten, diese als Symptome einer unter dem Gesichtspunkt eines „Schockschadens“ zurechenbaren Gesundheitsverletzung einzuordnen. Im Ergebnis Gleiches gilt hinsichtlich der behaupteten „dauernden Schlaflosigkeit“, die sich als Phänomen darstellt, welches als solches typischerweise mit der Sorge und Angst um ein unfallverletztes Kind einhergehen kann. Dies würdigend vermag allein die sich auf der Grundlage einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickelnde Magersucht der Klägerin, die als schwere Essstörung außerhalb der typischerweise mit dem Erhalt der Nachricht von der schweren Unfallverletzung eines Kindes und der Wahrnehmung der Verletzungssituation verbundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen liegt, den Schadens- und Schmerzensgeldanspruch der Klägerin unter dem Aspekt des „Schockschadens“ zu begründen. Diese Gesundheitsbeeinträchtigung der Klägerin war weiter im Hinblick auf ihren Anlass auch verständlich; das Unfallereignis war nicht lediglich im Sinne einer „Bagatelle“ ganz geringfügig (vgl. BGHZ 137, 142 Rdn. 11 gemäß Juris-Ausdruck; Palandt/Grüneberg, a.a.O.). Bei dem Unfall des Sohnes der Klägerin, bei dem dieser einen erheblich dislozierten Oberschenkelbruch und eine Gehirnerschütterung erlitt, handelte es sich nicht lediglich um einen Bagatellunfall. Die Reaktion der Klägerin als Mutter des ihr Kind mit diesen Verletzungen auffindenden Elternteils mit einer sich in einer Essstörung niederschlagenden posttraumatischen Belastungsstörung steht auch nicht völlig außer Verhältnis zu diesem Anlass. Es mag sich dabei um eine ungewöhnlich intensive Reaktion einer Mutter auf die schwere Verletzung ihres Kindes durch einen Verkehrsunfall handeln, sie sprengt indessen nicht jegliches Verhältnis.
48c) Der Einwand der Beklagten, die Klägerin habe eine sog. „Begehrensneurose“ entwickelt, steht der nach diesen Voraussetzungen dem Grunde nach zu bejahenden Schadensersatzverpflichtung nicht entgegen. Einen kausalen Zurechnungszusammenhang schließt das nur dann aus, wenn der Renten- bzw. Versorgungswunsch der Klägerin der allein ausschlaggebende oder zumindest wesentliche Wunsch war und sich nicht lediglich als ein Symptom einer Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens darstellt (vgl. BGH Z 137, 142 Rdn. 20 , 22 f gemäß Juris). Eine solche Situation lässt sich nach den Ausführungen des Sachverständigen X2 im Termin am 08.01.2013 hier nicht feststellen. Seinen Erkenntnissen zufolge leidet die Klägerin vielmehr an einer Essstörung, wie sie sich als typische Folge einer zunächst vorhandenen posttraumatischen Belastungsstörung einstellen kann und nunmehr chronifiziert hat. Dass die bei der Klägerin vorhandene psychische und physische Störung ihr Gepräge durch die bewusste oder unbewusste Begehrensvorstellung nach einer Lebenssicherung oder die Ausnutzung einer vermeintlichen Rechtsposition erhält und dies derart im Vordergrund steht, dass der erforderliche Zurechnungszusammenhang mit dem Unfallereignis nicht mehr bejaht werden kann, lässt sich danach nicht feststellen.
493. Hinsichtlich der Höhe des dem Grund nach bestehenden Anspruchs auf Ersatz des ihr aus dem Verletzungsereignis entstandenen materiellen und immateriellen Schadens muss die Klägerin sich jedoch Einschränkungen gefallen lassen.
50a) Nur hinsichtlich der bis Ende 2007 andauernden gesundheitlichen Beeinträchtigung der Klägerin lässt sich ein Zurechnungszusammenhang mit dem Unfallereignis bejahen: Nach dem Bericht der Sozialpädagogin und klinischen Psychologin I vom 29.06.2006, also verhältnismäßig zeitnah nach dem Unfall, wurde der Klägerin empfohlen, sich einer stationären Therapie gemeinsam mit allen Familienangehörigen, also auch beiden Kindern zu unterziehen, und eine solche Therapiemöglichkeit in der Fachklinik für Psychotraumatologie in E auch abgeklärt. Dieses Therapieangebot nahm die Klägerin indes nicht an. Nach dem späteren Bericht des Universitätsklinikum C2 vom 23.05.2007 hatte sich in dem gesundheitlichen Zustand der Klägerin nach stationärem Aufenthalt vom 22.03.2007 bis 18.04.2007, also in verhältnismäßig kurzem Zeitraum, eine erhebliche Besserung mit deutlichem Rückgang der PTBS-Symptomatik eingestellt. Ihr wurde eine fortführende Behandlung mit Fokussierung auf die Essstörung angeboten, zu der die Klägerin sich wegen der damit verbundenen Trennung von ihren Kindern indessen nicht entschließen konnte. Dies in Verbindung mit den Ausführungen des Sachverständigen X2 in seinen schriftlichen Gutachten vom 26.07.2011 und 29.05.2012 würdigend, wonach bei Wahrnehmung der in der Vergangenheit angebotenen Therapiemöglichkeiten die Chancen einer Heilung oder zumindest Besserung des Krankheitsbildes bei Einsatz einer adäquaten Behandlung unmittelbar nach Schadenseintritt größer sind und bei der Klägerin bei Wahrnehmung der ihr in der Vergangenheit angebotenen Therapiemöglichkeiten eine Verbesserung ihres Zustands hätte erzielt werden können (Bl. 616 f, 694 d. A.), ist davon auszugehen, dass die Prognose einer Besserung des Zustandes der Klägerin günstig war. Soweit der Sachverständige im Termin am 08.01.2013 die Wahrscheinlichkeit der Erzielung einer wesentlichen Verbesserung des Zustands der Klägerin mit 50 % eingeschätzt hat, steht das dieser Würdigung nicht entgegen. Denn der Bericht des Universitätsklinikums Bonn, ausweislich dessen innerhalb eines Zeitraums von nur vier Wochen stationären Aufenthalts bereits eine erhebliche Besserung mit deutlichem Rückgang der PTBS-Symptomatik erzielt werden konnte, indiziert, dass die Klägerin auf die gebotene Behandlung positiv ansprach. In diese Richtung weist auch der spätere Bericht des St. B3-Krankenhauses vom 22.12.2008, wonach bei der Klägerin im Zeitraum vom 28.10.2008 bis 13.11.2008 eine Gewichtszunahme um 3,5 kg erzielt wurde. Danach spricht alles dafür, dass die Klägerin bei zeitnahem Ergreifen der ihr angebotenen und zumutbaren Therapiemaßnahmen jedenfalls bis Ende 2007 einen gesundheitlichen Zustand erreicht hätte, wie er dem Stadium vor dem Unfallereignis und Verletzungserlebnis entsprach und in dem sie u.a. in der Lage war, die mit der Führung des damals noch vierköpfigen Haushalts verbundenen Arbeiten allein zu bewältigen. Soweit daher die Klägerin noch über diesen Zeitpunkt hinaus unter einer Magersucht litt, handelt es sich nicht mehr um einen den Beklagten als Schädigern billigerweise rechtlich zurechenbaren Schaden (vgl.Palandt/Grüneberg, a.a.O., Vorb v § 249 Rdn. 26) und ist insoweit ein Zurechnungszusammenhang im Sinne der Adäquanz mit dem Unfallereignis nicht mehr zu erkennen.
51b) Dies würdigend hält der Senat ein Schmerzensgeld von 20.000,00 € für angemessen und ausreichend, um die Klägerin für die mit der unfallbedingten Magersucht verbundene immaterielle Beeinträchtigung, vor allem die mit der Essstörung verbundene körperliche Schwäche, zu entschädigen.
52Die Bemessung eines geringeren Schmerzensgeldes unter dem Aspekt eines der Klägerin anzulastenden „Mitverschuldens“ wegen nur unzureichend entfalteter Initiative zur Behandlung ihrer posttraumatischen Belastungsstörung kommt demgegenüber nicht in Betracht. Ausweislich der dokumentierten Behandlungsgeschichte hat sich die Klägerin um die Heilung, zumindest aber Besserung ihrer nach dem Unfall manifestierten Essstörung bemüht. Alles spricht zwar dafür, dass dies nicht in ausreichendem Maße geschehen ist. Dass der Klägerin dies aber im hier betroffenen Zeitraum subjektiv vorzuwerfen und nicht etwa Ausdruck ihrer auf das Unfallereignis zurückzugehenden psychischen Fehlentwicklung ist, lässt sich weder nach dem Vorbringen der insoweit darlegungspflichtigen Beklagten noch nach dem Sachverhalt im Übrigen feststellen.
53c) Was den geltend gemachten Haushaltsführungsschaden angeht, lässt sich dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen X2 vom 21.12.2012 zwar entnehmen, dass die Klägerin im hier maßgeblichen Zeitraum nicht in der Lage war, ihren Haushalt selbständig zu führen, weil ihr als Folge der posttraumatischen Belastungsstörung die hierfür erforderliche Kraft und Ausdauer fehlten (vgl. Bl. 757 d. A). Nach den vorstehenden Ausführungen begründet dies jedoch lediglich bis zum Ablauf des Jahres 2007 – mithin für 28 Monate – einen Anspruch auf Ersatz der mit der Unfähigkeit zur Hausarbeit verbundenen materiellen Einbuße. Diese ist gemäß § 287 ZPO auf der Grundlage der Versorgung eines damals noch aus 4 Personen bestehenden Haushalts durch die nicht erwerbstätige Klägerin unter Heranziehung der Tabellenwerke in Frank Pardey, Der Haushaltsführungsschaden (8. Auflage) sowie Herman Schulz-Borck, Der Haushaltsführungsschaden (7. Auflage) auf gerundet 1.200,00 pro Monat zu ermitteln, wobei eine wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin im Haushalt von 41,2 Stunden pro Woche (vgl. Pardey, a.a.O., S. 114) und ein Monatsentgelt bei entsprechender Bezahlung nach öffentlichem Tarifvertrag von 1.187,83 € netto (vgl. Schulz-Borck, a.a.O., S. 5) als Schätzungsgrundlage zu Grunde gelegt ist.
54Soweit der Klägerin nach alledem für den Haushaltsführungsschaden ein Gesamtbetrag in Höhe von 33.600,00 € zusteht, ergibt sich dieser nicht als Kapitalabfindungsbetrag, vielmehr wird damit dem Umstand Rechnung getragen, dass die jeweils monatlich geschuldeten Zahlungen sich ausschließlich auf einen bereits vergangenen Zeitraum beziehen, daher insoweit ein Rückstand angelaufen ist. Einen Anspruch auf Kapitalabfindung hatte die Klägerin demgegenüber nicht, sondern sie konnte nach Maßgabe von § 843 Abs. 1, 1. Alternative BGB einen Haushaltsführungsschaden von vornherein nur in der Form eines Rentenanspruchs ersetzt verlangen. Die Voraussetzungen einer Kapitalabfindung (§ 843 Abs. 3 BGB), nämlich das Vorliegen eines wichtigen Grundes, waren nicht erfüllt. Ein solcher wichtiger Grund ist gegeben, wenn die Kapitalabfindung einen voraussichtlich günstigen Einfluss auf den Zustand des Geschädigten hat (vgl. Palandt/Sprau, a.a.O., § 843 Rdn. 19 m. w. Nachw.). Das aber ist hier nicht ersichtlich. Denn dass die Zahlung eines Geldbetrages, der regelmäßig wiederkehrend auf ein Konto fließt, sich anders auf die Traumatisierung der Klägerin auswirken könnte als ein Kapitalbetrag, der über die Nutzung und/oder den Anblick der damit angeschafften Gegenstände den traumatisierenden Anlass ebenfalls in Erinnerung bringen könnte, ist nicht zu erkennen. Die von der Klägerin im Rahmen der Exploration durch die erstinstanzliche Sachverständige T geschilderten Situationen, in denen sie an das Trauma erinnert werde (warmes Duschwasser, das sie an Blut denken lasse, Geräusche u. s. w.) würden auch bei Zahlung eines Kapitalbetrages nicht entfallen oder gemildert werden können.
554. Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 288 Abs. 1 Satz 2, 291 BGB.
565. Der Feststellungsanspruch ist schließlich ebenfalls begründet, da sich die Möglichkeit, dass sich künftig eine auf den Unfall zurückzuführende psychische Fehlentwicklung der Klägerin mit Krankheitswert einstellen könnte, nicht ausschließen lässt.
57III.
58Die Kostenfolge ergibt sich aus den §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.
59Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
60Der Senat sah keinen Anlass für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO). Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Das Urteil beruht auf der Anwendung der in höchstrichterlicher Rechtsprechung definierten und geklärten Grundsätze der Haftung für sog. Schockschäden nur mittelbar Verletzter und allgemeiner Schadenshaftung auf den Einzelfall und ist in seinen Auswirkungen auf letzteren beschränkt; kontrovers diskutierte oder in höchstrichterlicher Rechtsprechung noch ungeklärte Rechtsfragen sind nicht betroffen.
61Wert: bis 500.000,00 €.
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.
(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.
(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.
(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.
(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.