Landgericht Essen Urteil, 06. Juli 2015 - 4 O 236/12
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.817,88 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 5.3.2012 zu zahlen.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 800,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 11.09.2012 zu zahlen.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung für ihren Ausfall im Haushalt in Höhe von 672,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 11.09.2012 zu zahlen;
Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 359,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 11.09.2012 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 60% und der Beklagte zu 40%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin macht einen Amtshaftungsanspruch gegen den beklagte Kreis wegen einer behaupteten Verletzung seiner Verkehrssicherungspflicht geltend.
3Die Klägerin befuhr mit ihrem PKW am … gegen 10:00 Uhr in Begleitung ihrer Mutter die X-Straße (Kreisstraße Nr. …) in Richtung I. Die Außentemperatur betrug zu diesem Zeitpunkt etwa 3,0 Grad Celsius.
4Im Kilometerbereich 0.400 geriet die Klägerin unmittelbar bei Einfahren in die dort befindliche leichte Linkskurve aufgrund von Eisglätte ins Schlingern und verlor dadurch die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Infolge dessen kam sie von der Fahrbahn ab und prallte gegen eine Baumgruppe. Dadurch kippte der PKW um und blieb auf der Beifahrerseite liegen. Die Klägerin und ihre Mutter verletzten sich dabei. Die Klägerin hing in ihrem Sicherungsgurt unmittelbar über ihrer Mutter. Beide mussten von der Feuerwehr aus dem Fahrzeug geborgen werden.
5Auch das klägerische Fahrzeug wurde beschädigt.
6Die Klägerin wurde anschließend ins Krankenhaus gebracht und ärztlich versorgt.
7Die X-Straße macht im Bereich der Unfallstelle eine leichte Linkskurve. Die Straße hat zwei Fahrspuren, die durch eine unterbrochene Markierungslinie voneinander getrennt sind. Am linken Fahrbahnrand in Fahrtrichtung I grenzen Baumreihen. Kurz vor der Unfallstelle führt die Straße durch ein kleines Waldstück.
8Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Ersatz folgender materieller Schäden:
91.400,00 EUR Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges
10340,35 EUR Abschleppkosten
1180,00 EUR Ummeldungskostenpauschale
12532,00 EUR Nutzungsausfallschaden für 14 Tage á 38,00 EUR
1325,00 EUR Unkostenpauschale
14= 2.377,35 EUR
15Sie verlangt zudem ein angemessenes Schmerzensgeld und Ersatz des entstandenen Haushaltsführungsschadens.
16Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Unfallstelle zur Sicherung des Verkehrs abzustreuen. Dadurch hätte der Unfall vermieden werden können. Hierzu behauptet sie, dass es an diesem Tag bereits in den frühen Morgenstunden (6.00 Uhr) zu zahlreichen Unfällen gekommen war und der beklagte Kreis die Unfallstelle bis zum Unfallereignis um 10:00 Uhr immer noch nicht gestreut hatte. Die Klägerin bestreitet in diesem Zusammenhang mit Nichtwissen, dass um 4:30 Uhr und um 7:00 Uhr Kontrollfahrten des beklagten Kreises stattgefunden haben und dieser erst um 8:20 Uhr von einer bestehenden Glätte Kenntnis erlangt hat
17Die Unfallstelle sei wegen überfrierender Nässe spiegelglatt gewesen. Auch ein weiteres Fahrzeug sei ins Rutschen gekommen und verunfallt.
18Die Klägerin selbst sei aufmerksam, vorsichtig und mit verringerter Geschwindigkeit gefahren, obwohl vorher keinerlei Glätte auf der Fahrbahn herrschte und die Glätte auch vorher nicht zu erkennen war.
19Durch das Unfallereignis habe sie ein massives Schleudertrauma und zudem mehrere Schnittwunden erlitten. Die Schnittwunden seien durch Glassplitter verursacht worden. Zur Entfernung des Glassplitter habe ein breiter Streifen des Kopfhaares abrasiert werden. Der Unfall habe zudem erhebliche Schmerzen im Brustbereich verursacht. Das massive Schleudertrauma habe (vermutlich) einen Bandscheibenvorfall ausgelöst. Es kam zum „Einschlafen“ der Hände. Sie kann bis heute nur leichte Gewichte tragen.
20Das Unfallereignis habe sie traumatisiert, sodass sie bis heute unter den psychischen Folgeschäden leide.
21Aufgrund der Unfallschäden habe die Klägerin den Haushalt nicht mehr bestreiten können. So sei sie bis 17.12.2011 zu gar keiner Hausarbeit fähig gewesen. Für die Zeit vom 1.02.2012 bis zum 31.05.2012 sei ihr Einsatzfähigkeit im Haushalt um 30% vermindert gewesen.
22Sie ist daher der Ansicht, dass ihr auf Grundlage eines Arbeitszeitbedarfs für einen Zweipersonenhaushalt von 37,5 Stunden pro Woche und eines Stundenlohns einer einfachen Haushaltshilfe von 8,00 EUR ein Haushaltsführungsschaden in Höhe von 3.925,72 EUR zustehe.
23Sie ist zudem der Auffassung, dass ihr aufgrund der erlittenen Unfallschäden ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 EUR zustehe.
24Die Klägerin beantragt,
251. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.377,35 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.3.2012 zu zahlen;
262. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;
273. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Entschädigung für ihren Ausfall im Haushalt in Höhe von 3.925,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen;
284. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 718,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
29Der beklagte Kreis beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Er ist der Auffassung, dass er seine Pflicht zur Verkehrssicherung nicht verletzt habe. Prophylaktische Maßnahmen seien nicht geschuldet. Es habe lediglich partielle Glätte vorgelegen, sodass Streumaßnahmen nicht angezeigt waren. Um 4:30 Uhr und 7.00 Uhr seien Kontrollfahrten durchgeführt worden, bei der keine Glätte festgestellt wurde. Erst gegen 8:20 Uhr habe der Betriebshof von einer plötzlichen Glättebildung Kenntnis erlangt, woraufhin unverzüglich der Winterdienst angeordnet worden sei.
32Vor diesem Hintergrund sei dem beklagten Kreis nicht zumutbar gewesen, in kürzester Zeit alle Bereiche winterdienstlich zu versorgen.
33Die Unfallstelle befinde sich zudem außerorts und sei keine besonders gefährliche Unfallstelle mit erhöhtem Verkehrsaufkommen, sodass für diese nach der obergerichtlichen Rechtsprechung schon überhaupt keine Räum- und Streupflicht bestanden habe.
34Die Unfallfolgen und die Höhe des Haushaltsführungsschadens bestreitet der beklagte Kreis mit Nichtwissen.
35Die gerichtlichen Sachverständige T und N haben ein schriftliches interdisziplinäres Gutachten vom 29.04.2014 erstellt. Den medizinischen Teil hat die Sachverständige N die in der mündlichen Verhandlung vom 13.04.2015 weiter erläutert. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das vorgenannte Gutachten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2015 verwiesen.
36Das Gericht hat ferner Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen K, I1, G, L und X1. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4.03.2013 Bezug genommen.
37Mit Schriftsatz vom 3.06.2015, bei Gericht eingegangen am 3.06.2015, hat die Klägerin einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt. Der Beklagte hat einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 1.06.2015, bei Gericht eingegangen am 3.06.2015, zugestimmt. Das Gericht hat mit Beschluss vom 8.06.2015 den Zeitpunkt, bis zu welchem Schriftsätze eingereicht werden können und der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, auf den 22.06.2015 und Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 6.07.2015 bestimmt.
38Entscheidungsgründe:
39Das Gericht kann im schriftlichen Verfahren entscheiden, nachdem die Parteien einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben und seit dem Eingang der letzten Zustimmung am 3.06.2015 noch nicht mehr als drei Monate verstrichen sind, vgl. § 128 Abs. 2 ZPO.
40Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
41I.
42Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 3.289,88 EUR aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG i.V.m. §§ 9 Abs. 1, 3 S. 1, 9a, 43 Abs. 1 Nr. 2 StrWG. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
431. Der beklagte Kreis hat den von der Klägerin erlittenen Unfall durch eine schuldhafte Verletzung der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht verursacht.
44a)
45Der beklagte Kreis ist als verantwortlicher Straßenbaulastträger gemäß § 9 Abs. 1, 3 S. 1 und § 43 Abs.m1 Nr. 2 StrWG NRW verkehrssicherungspflichtig für die streitgegenständliche Verkehrsanlage. Diese Pflicht besteht gegenüber allen Benutzern der Verkehrsanlage und somit auch gegenüber dem Kläger.
46b)
47Es lag eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle vor.
48Den Gebietskörperschaften obliegt zum Schutze des Fahrzeugverkehrs außerhalb geschlossener Ortslage eine Streupflicht an besonders gefährlichen und verkehrswichtigen Stellen (vgl. BGH VersR 1987, 934).
49Die Unfallstelle befindet sich an einer außerhalb der geschlossenen Ortschaft befindlichen, aber dennoch verkehrswichtigen Stelle. Es steht auch zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Unfallstelle besonders gefährlich ist.
50(1)
51Die Verkehrswichtigkeit der Unfallstelle ergibt sich bereits aus der Widmung der X-Straße als Kreisstraße Nr. …. Denn nach der Definition des § 3 Abs. 3 StrwG NRW haben Kreisstraßen Straßen „überörtliche Verkehrsbedeutung“.
52(2)
53Bei der Unfallstelle handelt es sich auch um eine besonders gefährliche Stelle.
54Eine besonders gefährliche Stelle liegt dann vor, wenn der Straßenbenutzer bei der für Fahrten auf winterlichen Straßen zu fordernden schärferen Beobachtung des Straßenzustandes und der damit zu fordernden höheren Sorgfalt den die Gefahr bedingenden Zustand der Straße nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und deshalb die Gefahr nicht meistern kann (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02. März 2001 – 9 U 133/00, abrufbar über Juris).
55Die Gefährlichkeit der Unfallstelle war trotz der für Fahrten auf winterlichen Straßen zu fordernden schärferen Beachtung des Straßenzustandes und der damit zu fordernden erhöhten Vorsicht des Kraftfahrers (vgl. BGH VersR 1987, 934) nicht rechtzeitig zu erkennen.
56Die Kreisstraße war im Bereich der Unfallstelle über eine Länge von 100m bis 200m spiegelglatt. Diese ergibt sich aus den Feststellungen in der Verkehrsunfallzeige und zudem aus den glaubhaften Bekundungen der Zeugen I1 und X1 in der mündlichen Verhandlung vom 4.03.2015. Diese haben übereinstimmend erklärt, dass die Unfallstelle trotz der Temperatur von 3,0 Grad Celsius spiegelglatt war. Der Zeuge I1 hat die Größe der Eisfläche auf Nachfrage auf 100-200 m geschätzt und erklärt, dass die Eisfläche über den Bereich der Linkskurve hinaus auch ein Stück vor der Kurve befand. Ihre Erklärungen decken sich insoweit mit den in der Verkehrsunfallanzeige niedergelegten Feststellungen.
57Bereits der Umstand, dass sich trotz der am Unfalltag vorherrschenden Temperatur von durchschnittlich 3,0 Grad Celsius im Bereich der Unfallstelle eine großflächige, spiegelglatte Eisfläche bilden kann, ist ein Indiz für eine besondere Gefährlichkeit.
58Eine durchgehende Eisfläche auf einer Länge von 100m bis 200m kann nach Auffassung des Gerichts gerade in einer nur leichten Kurve wie eine Falle wirken.
59Der Umstand, dass die Linkskurve keinen engen Verlauf aufweist, führt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zu der Feststellung, die Unfallstelle sei nicht besonders gefährlich. Denn bei scharfen Kurven ist die Gefährlichkeit offensichtlich und für jeden erkennbar ist, sodass sich ein aufmerksamer und rücksichtsvoller Fahrer hierauf einstellen kann.
60Besonders gefährlich kann eine Stelle aber gerade auch deswegen sein, weil die ihr immanente Gefährlichkeit gerade nicht offen zu Tage tritt. Denn in diesem Fall wird dem Straßenbenutzer die Möglichkeit genommen, sich trotz schärferer Beobachtung des Straßenzustandes auf die Gefahrenquelle einzustellen.
61Nach Auffassung des Gerichts steht der Annahme einer besonderen Gefährlichkeit daher nicht entgegen, dass die Straße nur in einer leichten Linkskurve verläuft. Vielmehr geht es davon aus, dass gerade ein nur leichter Kurvenverlauf dazu veranlassen kann, eine tatsächliche bestehende Gefahrenquelle zu unterschätzen.
62Es ist zudem zu berücksichtigen, dass sich die Unfallstelle in einem Bereich der Kreisstraße befindet, wo diese aus einem kleinen Waldstück herausführt. Gerade in solchen Bereichen kann es aufgrund der Temperaturunterschiede zu einem plötzlichen Wechsel von fester zu glatter Fahrbahn kommen. Der Zeuge G erklärte in der mündlichen Verhandlung entsprechend, dass er selbst gemerkt habe, dass „es glatt war, vor allem an Stellen, wenn man aus dem Wald herausfuhr, was dann besonders tückisch war“.
63Schließlich ist zu berücksichtigen, dass an dem Unfalltage vor der Klägerin bereits zwei weitere Fahrzeuge von der Fahrbahn abgekommen waren. Der Zeuge I1 hat bekundet, dass noch ein weiteres Fahrzeug an der Unfallstelle verunfallt war. Zudem habe er auf der anderen Seite im Feld Unfallspuren gesehen. Auf dem oberen Lichtbild in Anlage A 3 des Gutachtens des Sachverständigen T sind entsprechende Fahrspuren zu erkennen, darauf schließen lassen, das ein weiteres Fahrzeug von der Fahrspur abgekommen ist.
64Nach der glaubhaften Erklärung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 4.3.2013, sei der Straßenbelag bis zur Unfallstelle auch „völlig normal“ gewesen. Zudem hatte die Klägerin ihre Geschwindigkeit bereits von zulässigen 70 km/ h auf geschätzte 55 km/h reduziert und fuhr insoweit - jedenfalls im Ansatz - zurückhaltend und vorsichtig.
65Es steht daher zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ein Straßenbenutzer bei der für Fahrten auf winterlichen Straßen zu fordernden schärferen Beobachtung des Straßenzustandes und der damit zu fordernden höheren Sorgfalt den die Gefahr bedingenden Zustand der Straße in Gestalt der 100m-200m langen Eisfläche nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und deshalb die Gefahr nicht meistern konnte.
66Die Unfallstelle war daher eine besonders gefährliche Stelle.
67c)
68Eine Abhilfe dieser Situation war dem Beklagten auch zumutbar.
69Die Glättebildung ist von dem beklagten Kreis zu spät erkannt worden. Nach der Aussage des Zeugen G war er der einzige Straßenwärter, der an diesem Tag Spähdienst hatte. Er hat glaubhaft bekundet, dass er um 4:45 Uhr und 6:45 Uhr Kontrollfahrten durchgeführt hat, bei denen er kein Glatteis feststellte.
70Allerdings hat der Zeuge G lediglich außerhalb des Bezirks kontrolliert, in dem der Unfall passiert ist. Nach seiner Aussage sei für den Bezirk, in dem der Unfall passiert ist, ein anderer Kollege zuständig gewesen. Er selbst habe nur in seinem Bezirk kontrolliert. Dieser sei eine ganz andere Gegend.
71Nach Auffassung des Gerichts kann es nicht ausreichen, in nur einem Bezirk zu kontrollieren, wenn dieser sich in einer ganz anderen Gegend befindet. Denn in diesem Fall kann eine Kontrolle in diesem Bezirk erkennbar keine Aussage über eine mögliche Glatteisbildung in gänzlich anderen Bereichen des Kreisgebietes treffen.
72Erst um ca. 8:00 bis 8:30 Uhr ist der beklagte Kreis durch einen nicht im Dienst befindlichen Mitarbeiter auf die bestehende überfrierende Nässe aufmerksam geworden. So hat der Zeuge L ausgesagt, dass er an diesem, für ihn freien Tag gegen 8:00 bis 8:30 Uhr auf einer Kreisstraße ins Rutschen kam und daraufhin den Zeugen G informiert hat.
73Es spricht der Beweis der ersten Anscheines dafür, dass bei einer ausreichender Kontrolle, die den Bezirk umfasst, in dem der Unfall passiert ist, die Glatteisbildung frühzeitig festgestellt und die Straßen rechtzeitig gestreut worden wären. Dass das Glatteis erst in einem Zeitraum zwischen 6:45 Uhr und 8:30 Uhr entstanden ist, erscheint wenig plausibel und ist daher auch nicht anzunehmen.
74Nach der Aussage des Zeugen G war Streubeginn für 5:00 Uhr angesetzt. Hätte man zu diesem Zeitpunkt auch den Bezirk, in dem Unfall passiert ist, kontrolliert und entsprechende Streumaßnahmen eingeleitet, wäre die Unfallstelle bis zum Unfallereignis gegen 10:00 Uhr gestreut gewesen. Nach der Aussage des Zeugen G hätte der streitgegenständliche Bezirk innerhalb von drei Stunden gestreut werden können.
75d)
76Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch nicht von einer partiellen Glätte auszugehen, mit der Folge, dass eine Streupflicht nicht bestand.
77Wie die Zeugen G und L bekundet haben, war es nicht nur am Unfallort, sondern in vielen Bereichen in N1 und E glatt (s.o.). Zudem wurde für das gesamte Kreisgebiet der Winterdienst angeordnet.
78Von einer nur partiellen Glätte kann daher nicht ausgegangen werden.
79e)
80Der Unfall ist auch unstreitig durch das Glatteis verursacht worden.
812.
82Es ist ein allerdings anspruchsminderndes Mitverschulden der Klägerin nach § 9 StVG i.V.m. § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen. Dieses ist mit 20% zu beziffern.
83Die Klägerin hat sich zum einen die Betriebsgefahr ihres Pkw anrechnen zu lassen (§ 7 Abs. 1 StVG), da sie den Nachweis, dass der Unfall für sie ein unabwendbares Ereignis gewesen ist, nicht führen kann.
84Nach Auffassung des Gerichts hätte sie zum anderen nach ihrer eigenen Unfallschilderung mit dem plötzlich auftretenden Glatteis rechnen können. Nach ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 4.03.2013 habe sie vor dem Unfall bereits mehrere Fahrzeuge am Straßenrand gesehen. Hierzu erklärte sie, dass sie sich dabei aber nichts weiter gedacht habe. Sie sei ja langsam und vorsichtig gefahren sei. Damit ist sie den Sorgfaltsanforderungen eines vorsichtig und rücksichtsvoll agierenden Autofahrers bei winterlichen Verhältnissen nicht gerechnet geworden. Aufgrund der drei liegengebliebenen Fahrzeuge am Straßenrand und Temperaturen um den Gefrierpunkt hätte die Klägerin mit Glatteis rechnen können. Sie hätte deswegen ihre Geschwindigkeit noch weiter verringern müssen. Selbst eine reduzierte Geschwindigkeit von 55 km/h bietet nicht hinreichend Sicherheit.
85Der Klägerin ist daher ein Mitverschuldensvorwurf zu machen, den das Gericht mit 20% beziffert.
863.
87Die Klägerin hat daher Anspruch auf Ersatz ihres materiellen Schadens in Höhe von 1.817,88 EUR.
88a)
89Die folgenden unstreitigen Schadenspositionen sind um den Mitverschuldensanteil in Höhe von 20% wie folgt zu kürzen:
90Schadensposition |
Kosten |
20% |
Wiederbeschaffungswert Fahrzeug |
1.400,00 EUR |
1.120,00 EUR |
Abschleppkosten |
340,35 EUR |
272,28 EUR |
Nutzungsausfall für 14 Tage á 38,00 EUR |
532,00 EUR |
425,60 EUR |
Gesamt |
2.377,35 EUR |
1.817,88 EUR |
b)
92Die Ummeldungskostenpauschale sowie die weitere Unkostenpauschale sind nicht ersatzfähig. Es fehlt ein schlüssiger Vortrag dazu, wofür und in welcher Höhe der Klägerin weitere zu ersetzende Kosten entstanden sind. Eine allgemeine Kostenpauschale ist außerhalb von Schadensfällen aufgrund eines Verkehrsunfalls nicht anzuerkennen (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2012 – VI ZR 37/11 - NJW 2012, 2267; Palandt, BGB, 2015, § 249 Rn. 79 ).
934.
94Die Klägerin hat zudem einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 800,00 EUR.
95a)
96Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wurde berücksichtigt, dass die Klägerin infolge des Unfalls ein einfaches Schleudertrauma (HWS-Distorsion) sowie eine rechtsseitige Schädelprellung und eine Kopfplatzwunde erlitten hat.
97Das Schleudertrauma ist als nicht massiv zu bewerten. Es hat insbesondere nicht zu einem Bandscheibenvorfall geführt. Auch hat der Unfall keine Verletzungen im Brust- bzw. Brustbeinbereich verursacht. Es ist nicht von unfallbedingt anhaltenden Beschwerden auszugehen. Dauerschäden sind insoweit ausgeschlossen.
98Die genannten Verletzungen sieht das Gericht aufgrund der Feststellungen der Sachverständigen N als bewiesen an.
99Die Sachverständige N hat in ihrem Gutachten vom 29.04.2014 überzeugend ausgeführt, dass ein einfaches Schleudertrauma aufzeigbar, ein „massives“ Schleudertrauma aber in Zweifel zu ziehen sei. In der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2015 hat sie hierzu erläutert, dass ein „massives“ Trauma, ein entsprechendes Beschwerdebild in Gestalt von Ausfallerscheinungen, starken Schmerzen, die zur Bettlägerigkeit führen sowie umfangreichen therapiemaßnahmen voraussetze. All dies konnte bei der Klägerin nicht festgestellt werden.
100In diesem Zusammenhang konnte sie aufzeigen, dass auch bei länger anhaltender Symptomatik des Schleudertraumas keine unfallbedingten Dauerfolgen anzunehmen sind. Die Beschwerden am Brustbein konnten nicht auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Insoweit ist die Klägerin beweisfällig geblieben.
101Soweit Röntgenbilder bei der Begutachtung nicht zur Verfügung standen, konnte die Sachverständige überzeugend darlegen, dass sich aus diesen keine anderen Feststellungen ergeben würden. Denn sie habe zwei kernspintomographische Aufnahmen von unmittelbar vor dem Unfall und sechs Monate danach vergleichen können. Hier sei keine Veränderung erkennbar gewesen, sodass eine Fraktur ausgeschlossen werden kann.
102Hinsichtlich der klägerseits darlegten Einsatzminderung hat sie unter Berücksichtigung der festgestellten unfallbedingten Verletzungen in ihrem Gutachten überzeugend ausgeführt, dass die behauptete 100%ige Einsatzminderung an 46 Tagen und die daran anschließende 30%ige Einsatzminderung an 152 Tagen nicht darstellbar sei.
103Vielmehr schätzte sie die Einsatzminderung aufgrund des streitgegenständlichen Unfalls wie folgt ein:
104Zeitraum |
Einsatzminderung |
Woche 1 |
90 % (80%-100%) |
Woche 2 |
70% |
Woche 3 |
50% |
Woche 4 – 14 (Mitte März) |
20% |
Woche 15 – 27 (6 Monate, d.h. bis 16.6.12) |
10% |
Dieser Einschätzung folgt das Gericht und hat dies auch im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigt.
106b)
107Soweit die Klägerin psychische Folgewirkungen des Unfalls behauptet hat, ist sie auf eigenen Wunsch beweisfällig geblieben.
108Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 21.05.2015 hat sie mitgeteilt, dass sie sich einer psychiatrischen Untersuchung nicht stellen will.
109Den Beweisfragen zu II. des Beschlusses vom 25.03.2013 war insoweit nicht mehr nachzugehen.
110Das Gericht hat jedoch trotz dieser Beweisfälligkeit der Klägerin insoweit als offenkundige Tatsache zugrunde gelegt, dass ein Unfall mit Umkippen des Fahrzeuges für den Insassen jedenfalls einen kurzfristigen Schock im Sinne einer „Schrecksekunde“ auslöst, was gleichfalls im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen war.
111c)
112Unter weiterer Berücksichtigung vergleichbarer Rechtsprechung sowie dem dargelegten Mitverschulden der Klägerin erscheint dem Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 800,00 UR als angemessen, aber auch ausreichend.
1135.
114Die Klägerin hat zudem einen Anspruch auf Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens in Höhe 672,00 EUR, § 843 Abs. 1 BGB.
115Das Gericht hat hier - wie dargelegt - die überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen N zugrunde gelegt, die die Einsatzminderung wie folgt geschätzt hat (s.o.):
116Zeitraum |
Einsatzminderung |
Woche 1 |
90 % (80%-100%) |
Woche 2 |
70% |
Woche 3 |
50% |
Woche 4 – 14 (Mitte März) |
20% |
Woche 15 – 27 (6 Monate, d.h. bis 16.6.12) |
10% |
Das Gericht geht weiter davon aus, dass die Klägerin den Arbeitszeitbedarf eines 2-Personen-Haushalts mit 37,5 Stunden pro Woche und auch den in Ansatz gebrachten Stundenlohn von 8,00 EUR für eine Haushaltshilfe zutreffend geschätzt hat und legt diesen zugrunde.
118Allerdings sind nicht die vollen 37,5 Stunden ersatzfähig wären, sondern lediglich die Hälfte hiervon, also 18,75 Stunden.
119In der mündlichen Verhandlung vom 30.03.2015 hat die Klägervertreterin klargestellt, dass die Klägerin auch während des streitgegenständlichen Zeitraumes als Vollzeitkraft in einer Behindertenwerkstatt angestellt war. Vor diesem Hintergrund ist zwar ein Haushaltsführungsschaden nicht ausgeschlossen, kann jedoch nicht mehr zu 100% anerkannt werden, da die Klägerin jedenfalls nicht als Hausfrau tätig war. Daher wurde zugrunde gelegt, dass sie sich den Haushalt mit ihrem Ehemann hälftig geteilt hat.
120Nach dieser Maßgabe schätzt das Gericht den Haushaltsführungsschaden nach § 287 ZPO wie folgt:
121Zeitraum |
Stundenaufwand |
Einsatzminderung |
Geminderter Stundenaufwand |
Summe á 8,00 EUR |
Woche 1 |
18,75 h |
90% |
16,875 h |
135,00 EUR |
Woche 2 |
18,75 h |
70% |
13,125 h |
105,00 EUR |
Woche 3 |
18,75 h |
50% |
9,375 h |
75,00 EUR |
Woche 4-14 |
11x18,75 =206,25 h |
20% |
41,25 h |
330,00 EUR |
Woche 15-27 |
13x18,75 =243,75 h |
10% |
24,375 h |
195,00 EUR |
Gesamt |
210 h |
840,00 EUR |
||
80% Abzug Mitverschulden |
672,00 EUR |
6.
123Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 2 Nr. 3 BGB. Mit Zurückweisung der geltend gemachten Forderungen durch die Kommunalversicherung mit Schreiben vom 5.3.2012 ist der beklagte Kreis in Verzug geraten.
124Hinsichtlich des Schmerzensgeldes und des Haushaltsführungsschaden wurden Zinsen jedoch erst ab Klagezustellung beantragt (§ 308 Abs. 1 ZPO). Die Klagezustellung erfolgte am 10.9.2012.
125II.
1261.
127Der Umfang der ersatzfähigen vorgerichtlichen Anwaltskosten richtet sich nach der Höhe der berechtigten Hauptforderung sowie nach Maßgabe des RVG (in der Gültigkeit vom 03.12.2011 bis 23.08.2012, vgl. Juris). Danach ergibt sich folgende Berechnung:
128Gegenstandswert: 3.289,88 EUR
129(1,3) Gebühr Nr. 2300 VV: 282,10 €
130Auslagenpauschale Nr. 7002 VV: 20,00 €
131Zwischensumme: 302,10 €
132zzgl. 19 % MWSt.: 57,40 €
133Gesamtbetrag: 359,50 €
1342.
135Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB. Die Klagezustellung erfolgte am 10.9.2012.
136III.
137Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
138Der Streitwert wird auf 8.303,07 EUR festgesetzt.
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(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich.
(2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Es bestimmt alsbald den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, und den Termin zur Verkündung der Entscheidung. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist unzulässig, wenn seit der Zustimmung der Parteien mehr als drei Monate verstrichen sind.
(3) Ist nur noch über die Kosten oder Nebenforderungen zu entscheiden, kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen.
(4) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.
(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.
Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden die Vorschriften des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Maßgabe Anwendung, dass im Fall der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Verletzten gleichsteht.
(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
(2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Die Vorschrift des § 278 findet entsprechende Anwendung.
(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.
(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin betreibt Strom- und Gasnetze im Bereich Südhessen /Ried/Odenwald. Die Beklagte, ein Bauunternehmen, beschädigte bei Tiefbauarbeiten in der Zeit vom 30. Juni 2008 bis 23. März 2009 sechs Stromkabel und eine Gasleitung der Klägerin. Die Haftung der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. Die Schadensfälle wurden von ihrem Haftpflichtversicherer mit Ausnahme der von der Klägerin jeweils verlangten Kostenpauschale von 25 € reguliert. Der Anspruch auf Zahlung dieser Beträge nebst Zinsen ist Gegenstand des Rechtsstreits. Das Amtsgericht hat der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Die zugelassene Berufung der Beklagten führte zur vollumfänglichen Klageabweisung. Mit der vom Landgericht zugelas- senen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
- 2
- Die Beklagte macht geltend, ihr Haftpflichtversicherer habe die Klageforderung einschließlich Zinsen inzwischen aus wirtschaftlichen Erwägungen bezahlt.
Entscheidungsgründe:
I.
- 3
- Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die im Zusammenhang mit der Regulierung von Verkehrsunfallschäden entwickelte Praxis der Erstattung einer Auslagenpauschale sei auf Fälle der Beschädigung von Strom- und Gasleitungen nicht zu übertragen. Die Auslagenpauschale solle Telefon-, Porto- und Fahrtkosten abgelten. Dass derartige Kosten bei der Abwicklung von Leitungsschäden regelmäßig in erheblicher Höhe anfielen, sei nicht anzunehmen. Der Geschädigte in Verkehrsunfallsachen sei in den meisten Fällen als Privatperson mit der Abwicklung von Schadensfällen nicht vertraut. Zudem müsse er im Allgemeinen mit zahlreichen Beteiligten brieflich oder telefonisch Kontakt aufnehmen , nämlich mit dem eigenen Versicherer, dem Unfallgegner, dessen Haftpflichtversicherer , einem Sachverständigen sowie der Reparaturwerkstatt. Demgegenüber erfolge die Abwicklung im vorliegenden Fall durch ein großes Unternehmen, bei dem solche Schadensfälle häufig seien. Die Abläufe der Schadensermittlung und -abwicklung seien eingespielt und weitgehend automatisiert. Der dafür erforderliche Aufwand und die dabei entstehenden Aufwendungen seien regelmäßig geringer als bei der Abwicklung von Verkehrsunfallschäden.
II.
- 4
- Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
- 5
- 1. Der erkennende Senat hat nicht zu prüfen, ob die Klage im Hinblick auf die von der Beklagten im Revisionsrechtszug geltend gemachte Zahlung unbegründet sein könnte. Das Revisionsgericht überprüft die Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht gemäß § 559 Abs. 1 ZPO grundsätzlich allein auf der Grundlage des zweitinstanzlichen Parteivorbringens. Neu vorgetragene Tatsachen sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie unstreitig sind und für die Entscheidung materiellrechtlich Bedeutung haben, sofern schützenswerte Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen (st. Rspr., zu § 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F. vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1998 - IX ZR 272/96, BGHZ 139, 214, 220 ff. mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
- 6
- 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Klage allerdings nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, es sei nicht wahrscheinlich , dass die Schadensabwicklung im Streitfall erhebliche Kosten verursacht habe, weil sie durch ein großes Unternehmen erfolgt sei, bei dem die Abläufe eingespielt und automatisiert seien.
- 7
- Die Klägerin begehrt mit den von ihr geltend gemachten Auslagenpauschalen Ersatz für Aufwendungen, die ihr dadurch entstünden, dass sich ein Mitarbeiter vor Ort begebe, ein Unternehmen mit der Reparatur beauftragt werde , der Schädiger - gegebenenfalls durch Anfragen bei Behörden - ermittelt werden müsse und oft Kontakt zu seinem Haftpflichtversicherer aufgenommen werde. Auch wenn ein Unternehmen, das häufig mit der Abwicklung von im Wesentlichen gleich gelagerten Schadensfällen konfrontiert ist, aufgrund der routinemäßigen Bearbeitung und der Verwendung geeigneter Formulare in der Lage sein mag, die Schadensabwicklung rationeller und kostengünstiger zu gestalten, als dies einer damit nicht vertrauten Privatperson möglich ist (vgl. Senatsurteil vom 9. März 1976 - VI ZR 98/75, BGHZ 66, 112, 117), so bedeutet dies nicht, dass durch die im Rahmen der Schadensabwicklung erforderlichen Maßnahmen, insbesondere die dabei anfallende Kommunikation, ersatzpflichtige Kosten in nennenswertem Umfang nicht entstünden.
- 8
- 3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Auslagenpauschalen gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht zustehe, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung jedoch im Ergebnis stand.
- 9
- a) Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr., vgl. Senatsurteile vom 7. Juni 2009 - VI ZR 110/08, BGHZ 181, 242 Rn. 10; vom 17. Mai 2011 - VI ZR 142/10, VersR 2001, 1026 Rn. 7 und vom 27. März 2012 - VI ZR 40/10, zVb Rn. 6, jeweils mwN). Für die Schadensschätzung nach dieser Vorschrift benötigt der Richter als Ausgangssituation aber greifbare Tatsachen, die der Geschädigte im Regelfall im Einzelnen darlegen und beweisen muss. Eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens, auch in Form der Schätzung eines "Mindestschadens", lässt § 287 ZPO grundsätzlich nicht zu (vgl. Senatsurteil vom 16. März 2004 - VI ZR 138/03, VersR 2004, 874, 875 mwN).
- 10
- b) Im Streitfall sind keine für eine Schadensschätzung zureichenden Anknüpfungstatsachen festgestellt. Dass das Berufungsgericht insoweit entschei- dungserheblichen Sachvortrag der Klägerin übergangen habe, zeigt die Revision nicht auf. Soweit sie auf schriftsätzliches Vorbringen zur Abwicklung von Leitungsschäden verweist, wird daraus nicht hinreichend deutlich, in welchem Maße die Schadensabwicklung regelmäßig eine Kommunikation erfordert. Ausschlaggebend hierfür ist nicht etwa die zeitliche Dauer der Schadensermittlung, denn für den eigenen Zeitaufwand kann der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich keinen Ersatz verlangen (Senatsurteil vom 9. März 1976 - VI ZR 98/75, aaO S. 114 f.). Welche Auslagen für Telefonate, Briefwechsel oder Fahrtkosten die Abwicklung von Leitungsschäden typischerweise erfordert, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.
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- c) Soweit hinsichtlich solcher Kosten bei der Abwicklung von Verkehrsunfallschäden regelmäßig von näherem Vortrag abgesehen wird und die Rechtsprechung dem Geschädigten eine Auslagenpauschale zuerkennt, auch wenn Anknüpfungstatsachen hierfür im konkreten Einzelfall nicht dargetan sind, ist dies dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der Regulierung von Verkehrsunfällen um ein Massengeschäft handelt (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 1977 - VI ZR 14/76, VersR 1978, 278, 280 und Senatsbeschluss vom 18. November 2008 - VI ZB 22/08, BGHZ 178, 338 Rn. 17), bei dem dem Gesichtspunkt der Praktikabilität besonderes Gewicht zukommt. Eine generelle Anerkennung einer solchen Pauschale für sämtliche Schadensfälle ohne nähere Darlegung der getätigten Aufwendungen - etwa auch im Rahmen der vertraglichen Haftung - gibt es in der Rechtsprechung nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 21. Dezember 2005 - I-15 U 44/05, juris Rn. 26 f.) und ist angesichts der unterschiedlichen Abläufe bei der jeweiligen Schadensabwicklung auch nicht gerechtfertigt (a.A.: Kannowski, VersR 2001, 555, 558). Nichts anderes gilt für Fälle der Beschädigung von Energieversorgungsanlagen, die insoweit keine Besonderheit darstellen (a.A.: Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 249 Rn. 79; Schulze, VersR 2003, 707 f.).
- 12
- 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Galke Wellner Pauge Stöhr von Pentz
AG Michelstadt, Entscheidung vom 08.07.2010 - 1 C 225/10 (03) -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 15.12.2010 - 21 S 143/10 -
(1) Wird infolge einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit die Erwerbsfähigkeit des Verletzten aufgehoben oder gemindert oder tritt eine Vermehrung seiner Bedürfnisse ein, so ist dem Verletzten durch Entrichtung einer Geldrente Schadensersatz zu leisten.
(2) Auf die Rente finden die Vorschriften des § 760 Anwendung. Ob, in welcher Art und für welchen Betrag der Ersatzpflichtige Sicherheit zu leisten hat, bestimmt sich nach den Umständen.
(3) Statt der Rente kann der Verletzte eine Abfindung in Kapital verlangen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.
(4) Der Anspruch wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein anderer dem Verletzten Unterhalt zu gewähren hat.
(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.
(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.
(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn
- 1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, - 2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt, - 3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, - 4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.
(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.
(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.
(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.