Landgericht Dessau-Roßlau Urteil, 11. Okt. 2013 - 1 Ns (427 Js 19533/11), 1 Ns 427 Js 19533/11

ECLI:ECLI:DE:LGDESSA:2013:1011.1NS427JS19533.11.0A
bei uns veröffentlicht am11.10.2013

Gericht

Landgericht Dessau-Roßlau

Tenor

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Köthen – Jugendrichterin – vom 06.11.2012 (Az.: 2 Ds 427 Js 19533/11 (35/11)) aufgehoben.

Die Angeklagte S. und der Angeklagte K. sind jeweils der unterlassenen Hilfeleistung schuldig.

Die Angeklagte S. wird angewiesen, für die Dauer von einem Jahr die ihr angebotene Unterstützung der Sozialpädagogischen Familienhilfe anzunehmen und sich um die Aufnahme einer Bildungsmaßnahme zu bemühen. Über ihre diesbezüglichen Anstrengungen hat sie dem Gericht im Abstand von zwei Monaten, erstmals im ersten auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Monat, schriftlich zu berichten.

Der Angeklagte K. wird angewiesen, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen und an der Maßnahme des KK, an der er derzeit teilnimmt, bis zu deren Abschluss teilzunehmen und sich um einen erfolgreichen Abschluss zu bemühen.

Den sozialen Trainingskurs hat er schnellstmöglich zu beginnen, sobald ihm die Teilnahmemöglichkeit angeboten wird.

Von der Auferlegung der Kosten des Verfahrens wird abgesehen.

Angewendete Vorschriften:

§ 323 c StGB,

für die Angeklagte S. zudem §§ 1, 3 JGG,

für den Angeklagten K. zudem §§ 1, 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG.

Gründe

I.

1

Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau hat mit Anklageschrift vom 09.03.2012 den Angeklagten K. wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und die Angeklagte S. wegen unterlassener Hilfeleistung vor dem Amtsgericht – Jugendrichterin – Köthen angeklagt.

2

Das Amtsgericht hat die beiden Angeklagten mit Urteil vom 06.11.2012 aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

3

Gegen jenes Urteil hat die Staatsanwaltschaft mit am 08.11.2012 beim Amtsgericht Köthen eingegangenem Schriftsatz form- und fristgemäß Berufung eingelegt und anschließend eine Verurteilung der beiden Angeklagten als Berufungsziel angegeben.

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Im Ergebnis der Berufungshauptverhandlung hatte die Berufung den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.

II.

1.

5

Die Angeklagte S. wurde unehelich geboren. Ihre Eltern trennten sich, als die Angeklagte etwa sieben Jahre alt war. Zu dem Vater hat sie seither keinen regelmäßigen, aber noch ab und an Kontakt. Aus späteren Beziehungen ihrer Mutter hat die Angeklagte noch zwei Halbgeschwister, zu denen sie noch heute Kontakt hält. Am 07.12.2010 wurde die Angeklagte, die zu jener Zeit noch bei ihrer Mutter in A. wohnte, im Alter von 15 Jahren erstmals Mutter eines Kindes, des Sohnes L.F. (im Folgenden: L.), der Geschädigter in dem vorliegenden Verfahren ist. In der Folgezeit kam es zu einigen Streitigkeiten zwischen der Angeklagten und ihrer Mutter, weshalb die Angeklagte zeitweise beim Vater des L., Herrn F.P., wohnte. Die Meinungsverschiedenheiten der Angeklagten S. mit ihrer Mutter beruhten unter anderem darauf, dass die Angeklagte das Zimmer, in dem sie gemeinsam mit L. in ihrer elterlichen Wohnung wohnte, nicht aufräumte und in einem verwahrlosten Zustand beließ, in dem sie etwa gekochte Essensreste in dem Zimmer beließ. Im Januar 2011 zog sie jedoch wieder dauerhaft bei ihrer Mutter ein. Im Mai 2011 trennte sich die Angeklagte von Herrn P. und ging im Juni 2011 eine Beziehung mit dem Angeklagten K. ein, die bis August 2011, andauerte. Wenige Tage nach dem verfahrensgegenständlichen Vorfall trennten sich die beiden Angeklagten wieder. Zu jenem Zeitpunkt war die Angeklagte bereits im zweiten Monat von dem Angeklagten schwanger. Das Kind trug sie nicht aus. Nachdem die Mutter ebenfalls im Sommer 2011, nach dem verfahrensgegenständlichen Vorfall, eine Arbeitsstelle fand, zog die Angeklagte gemeinsam mit ihrer Mutter nach D..

6

In der Folge des verfahrensgegenständlichen Geschehens, in dessen Zusammenhang L. verletzt worden war, wurde der Junge nach dessen etwa einwöchigem Krankenhausaufenthalt zunächst in einer Kleinstwohngruppe in K. untergebracht. Mitte Dezember 2012 kam der Junge dann zu seinem leiblichen Vater, bei dem er seither wohnt. Die Angeklagte besucht ihren Sohn unregelmäßig, durchschnittlich aber etwa ein Mal pro Woche.

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Im Februar 2013 zog die Angeklagte in eine eigene Wohnung, im März 2013 wurde sie erneut Mutter. Eine feste Beziehung zu dem leiblichen Vater jenes zweiten Sohnes hatte die Angeklagte nie, jedoch hält der Kindesvater sporadisch Kontakt. Bereits seit Januar 2013 erhält die Angeklagte Unterstützung in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe für zwei Stunden pro Woche, die sie auch annimmt. Die Familienhilfe unterstützt sie bei der Erledigung von Behörden- und in finanziellen Angelegenheiten und kontrolliert auch den Umgang den Angeklagten mit ihren beiden Kindern. Die Angeklagte plant, im kommenden Jahr ab September eine Bildungsmaßnahme zum Erwerb des Hauptschulabschlusses zu absolvieren. Diesen hat sie bislang noch nicht erzielen können, weil sie ab der 7. Klasse die Schule bummelte, jene Klasse einmal wiederholte und in der 9. Klasse dann mit L. schwanger geworden war. Der Besuch eines Berufsvorbereitungsjahres ab August 2011 scheiterte erneut an zu vielen Fehlzeiten, der geplante Beginn eines neuen Berufsvorbereitungsjahres im Sommer 2012 konnte wegen der neuerlichen Schwangerschaft nicht wie geplant erfolgen. Bis März 2014 befindet sich die Angeklagte noch im Erziehungsurlaub. Späterer Berufswunsch der Angeklagten ist Friseurin.

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Die Angeklagte erhält derzeit in Form von Erziehungsgeld, Kindergeld, Unterhalt und ALG II monatlich etwa 975,00 Euro. Hiervon zahlt sie 435,00 Euro für Miete und den Genossenschaftsanteil für ihre Wohnung, etwa 100,00 Euro für Energie- und Telefonkosten und 50,00 Euro als Raten aus mehreren Ordnungswidrigkeitsverfahren.

9

Strafrechtlich ist die Angeklagte noch nicht in Erscheinung getreten.

2.

10

Der Angeklagte K. wurde als drittes von sechs Kindern ehelich geboren und wuchs in K. bei seinen Eltern auf, mit denen er noch bis vor kurzer Zeit gemeinsam in einer Bedarfsgemeinschaft lebte. Die Eltern sind bereits seit langer Zeit arbeitslos, lediglich zeitweise unterbrochen von einigen Beschäftigungsmaßnahmen. Sie beziehen ebenfalls ALG II. Nachdem es insbesondere im Jahr 2013 zu vermehrten Streitigkeiten mit seinen Eltern kam, von denen sich der Angeklagte bevormundet fühlte, zog er Anfang August 2013 bei ihnen aus und kam vorläufig bis zum Bezug einer eigenen Wohnung bei den Eltern seiner derzeitigen Lebensgefährtin unter. Zu seinen eigenen Eltern hat er derzeit keinen Kontakt, wohl aber zu seinen Geschwistern.

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Wegen häufiger Krankheiten besuchte der Angeklagte keine Krippe, sondern erst die Vorschule, bevor er 2001 eingeschult wurde. In der Schule wurden bei dem Angeklagten eine ADHS und eine Lese-Rechtschreibschwäche festgestellt. Die zweite Klasse wiederholte er und wechselte zur fünften Klasse auf die Sekundarschule. In der sechsten Klasse wurde er für etwa drei Monate in der KJP Bernburg stationär behandelt, wodurch sich sein Verhalten besserte. Eine bis dahin erfolgte Medikation mit Ritalin konnte daraufhin abgesetzt werden. Im Jahr 2010 erlangte er den Hauptschulabschluss und absolvierte anschließend ein Praktikum im Fach Metallbau. Da ihm diese Tätigkeit aber nicht gefiel, wurde er in ein Projekt an der Euro-Schule in A. aufgenommen. Im Sommer 2011 begann er eine Ausbildung zum Fachlageristen, jedoch wurde ihm im Mai 2012 gekündigt. Danach war er zunächst arbeits- und beschäftigungslos. Seit Januar 2013 ist er im K.er Kompetenzzentrum der B. GmbH integriert. Die Maßnahme ist befristet bis zum 31.01.2014.

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Nachdem sich der Angeklagte im August 2011 von der Angeklagten getrennt hatte, ging er noch im selben Jahr eine neue Beziehung ein. Aus dieser Beziehung ging ein im Juli 2012 geborenes Kind hervor. Bei dessen Geburt war der Angeklagte aber von der Kindesmutter bereits wieder getrennt, Kontakt zu dem Kind besteht wegen der Weigerung der Kindesmutter nicht.

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Seit November 2012 hat der Angeklagte eine jetzt 28 Jahre alte neue Lebensgefährtin, die bereits zwei Kinder im Alter von vier und zehn Jahren hat. Ende September 2013 ist ein gemeinsames Kind geboren. Bis zur Klärung seiner derzeitigen umzugsbedingten Angelegenheiten bezieht der Angeklagte noch ALG II in Höhe von 152,00 Euro.

14

Strafrechtlich ist der Angeklagte noch nicht in Erscheinung getreten.

III.

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Nachdem sich die beiden Angeklagten Mitte Juni 2011 kennen gelernt hatten und wenige Tage darauf ein Paar wurden, hielt sich der Angeklagte K. anschließend stetig mit in der Wohnung der Angeklagten S. auf, die diese gemeinsam mit ihrem Sohn L. und ihrer Mutter sowie anfangs noch deren damaligem Lebensgefährten in A. bewohnte. Schon vom Beginn der Beziehung der beiden Angeklagten an kümmerte sich der Angeklagte K. gemeinsam mit der Angeklagten S. um L., windelte, wusch, badete und fütterte ihn und spielte auch mit ihm. Zu dieser Zeit kümmerte sich der Angeklagte wie ein Vater um den Jungen. Schon kurze Zeit nach dem Beginn ihrer Beziehung wurde die Angeklagte S. vom Angeklagten K. schwanger. Als der Angeklagte K. dies etwa im Juli 2011 erfuhr, traten erste Spannungen zwischen den beiden Angeklagten auf, da sich der Angeklagte noch nicht auf eine Vaterrolle ausreichend vorbereitet fühlte. Auch die Angeklagte S. wurde nun launischer. Diese Entzweiung sollte sich nicht mehr bessern, bis sich die beiden kurz nach dem verfahrensgegenständlichen Vorfall Ende August 2011 trennten. Das Kind, mit dem die Angeklagte S. zu jenem Zeitpunkt schwanger war und von dem der Angeklagte K. der Angeklagten S. deutlich gesagt hatte, dass er es nicht wolle, trug sie nicht mehr aus.

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Am Wochenende des 13./14.08.2011 (von Samstag auf Sonntag) hielten sich die beiden Angeklagten bei den Eltern des Angeklagten K. in K. auf, da an jenem Samstag eine Geburtstagsfeier für den Vater des Angeklagten K. stattfand. Anlässlich der Feier wurde am Abend des 13.08.2011 auf dem Hof des Mehrparteienhauses gerillt. Daran nahmen neben den beiden Angeklagten noch weitere Personen aus dem Kreis der Familie K. teil. Gegen etwa 01.00 Uhr in der Nacht vom 13. auf den 14.08.2011 begaben sich die beiden Angeklagten - ob gemeinsam oder getrennt voneinander und gegebenenfalls in welcher Reihenfolge konnte nicht geklärt werden - in das Zimmer in der Wohnung der Familie K., in dem sie schlafen wollten und in dem L. bereits einige Stunden zuvor zum Schlafen hingelegt worden war.

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Dort bemerkten die beiden Angeklagten bei ihrem Eintreten in das Zimmer, dass L. zu jener Zeit frische, deutlich erkennbare rötliche Hämatome unter anderem im Bereich des linken Auges und des linken Ohres, und eine frische Beule am Kopf aufwies. Die Verletzung am Ohr hatte auch geblutet, wobei nicht mehr festgestellt werden konnte, ob die beiden Angeklagten diese Lokalisation des Austritts von kleineren Blutmengen erkannten. Jedenfalls aber erkannten sie anhand von Blutspuren am Body und dem Bettzeug im Bett L.s, dass L. aus Nase, Mund oder Ohren geblutet haben musste. Beiden Angeklagten war bewusst, dass die Verletzungen aufgrund ihres Umfanges und des Umstandes, dass der erst wenige Monate alte L. aufgrund seines „propperen“ Körperbaus in seiner Motorik noch nicht altersgerecht entwickelt war, nicht durch eigenes Handeln des L. verursacht, sondern auf eine Misshandlung zurück zu führen waren. Soweit diese Misshandlung nicht von den Angeklagten gemeinsam oder von einem von ihnen in Anwesenheit des anderen begangen worden sein sollten, war jedenfalls auch demjenigen, der die Verletzungen nicht verursacht oder deren Beibringung miterlebt hatte, bewusst, dass der jeweils andere die Misshandlungen begangen hatte. Beiden war ebenso bewusst, dass aufgrund der Misshandlungen, die die äußerlich erkennbaren nicht unerheblichen Verletzungen des erst wenige Monaten alten Kindes verursacht hatten, auch die Gefahr innerer Verletzungen des L. begründet hatten und dass dieser Gefahr mit einer schnellstmöglichen ärztlichen Untersuchung und gegebenenfalls Behandlung begegnet werden musste.

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Diese Gefahr nahmen beide Angeklagte in Kauf und unterließ die Verständigung oder das Aufsuchen eines Arztes aus Angst vor möglichen Konsequenzen für sich oder den Partner. Beide Angeklagte legten sich zum Schlafen, ohne sich weiter um L. zu kümmern. Am nächsten Morgen gegen 06.00 Uhr stellten beide Angeklagte fest, dass L. krampfte, mit dem rechten Bein und dem rechten Arm zuckte und starr nach links blickte. Sie verständigten telefonisch die Mutter der Angeklagten S., die daraufhin zu ihnen kam. Gemeinsam mit ihr und dem Kind fuhren sie in das Städtische Klinikum D.. Bei der dortigen Ankunft waren die Blicke des Kindes weiterhin eingeschränkt und seine Reaktion auf Schmerzreize in einer nicht adäquaten Weise herabgesetzt, die Krämpfe in Arm und Bein bestanden jedoch nicht mehr. L. wurde auf der Intensivstation aufgenommen und untersucht, dabei ein MRT des Schädels und Röntgenaufnahmen gefertigt, da aufgrund der Intensität der äußerlich erkennbaren Spuren am Kopf des Kindes die Gefahr bestand, dass Brüche des Schädels oder anderer Knochen bestehen oder innere Blutungen vorliegen könnten. Der Verdacht von inneren Blutungen oder Knochenbrüchen bestätigte sich nicht, jedoch wurde eine Vielzahl von Verletzungen insbesondere in Form von Hämatomen an dem Kind vorgefunden, die ersichtlich unterschiedlichen Entstehungsdatums waren, teils frisch, teils aber auch in der Entstehungszeit etwa aus dem Zeitraum von einer Woche vor der Aufnahme in der Klinik stammten. L. wurde zur klinischen Beobachtung stationär aufgenommen und verblieb für etwa eine Woche in der Klinik. Dies hatte sich aus ärztlicher Sicht deshalb erforderlich gemacht, weil zwar die vorgefundenen Verletzungen des L. letztlich nicht behandlungsbedürftig waren, die Ursache für den beschriebenen Krampfanfall des Kindes jedoch nicht gefunden werden konnte.

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Bei der Untersuchung des L. sowohl im Krankenhaus wie auch am 15.08.2011 durch Prof. S. vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums H. sind folgende Verletzungen festgestellt worden:

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Im Bereich von Kopf, Hals und Nacken:

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- eine randständig verwaschene blassbläuliche grobfleckige, bis 3 cm im Durchmesser haltende Einblutung im Bereich der linken Schläfenregion, übergreifend in die behaarte Kopfhaut,

- eine fleckförmige, etwa 1 x 1 cm messende, randständig verwaschene blassbläuliche Hauteinblutung über dem linken Stirnhöcker,

- eine angedeutete keilförmige 1,5 x 1 cm messende unscharf berandete blassbläuliche Hauteinblutung am linken Augenbrauenschwanz,

- eine Schwellung über dem linken Jochbogen,

- eine gelblich-grünliche, zentral Bräunlich-violette, etwa 3,5 x 2,5 cm messende Hauteinblutung mit unscharfer Berandung an der linken Wange,

- eine keilförmige Einblutung im linken Augenaußenwinkel mit einer Schenkellänge von etwa 1,5 cm,

- eine reiskorngroße oberflächliche, diskret unterblutete Hautläsion im äußeren Anteil des linken Augenoberlides,

- eine lindengroße Blutunterlaufung im linken Augenunterlid in Höhe des linken Nasenflügels, eine bandförmige, weitgehend abgeblasste Hauteinblutung mit unscharfen Rändern über dem linken Unterkiefer bis zum Ohrmuschelansatz reichend,

- eine fleckförmige Rötung an der Innenseite der linken Ohrmuschel mit mehrfachen Einblutungen,

- eine hirsekorngroße Blutung der Sklera am linken Auge links seitlich der Regenbogenhaut,

- eine bandförmige, etwa 5 x 2,5 cm messende feinfleckige strukturierte Druck-/Schürfmarke an der linken Mundbodenseite und

- eine blass-bläuliche flächenhafte Hauteinblutung über der rechten Stirn zwischen Augenbraue und Stirn-/Haaransatzgrenze, darin insgesamt vier abgrenzbare rundliche fingerkuppengroße bläulich-violette Einblutungsherde;

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im Bereich des Rumpfes:

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- eine etwa 3 x 11 cm messende, von medial nach lateral abgeblasste, unscharf berandete, gelblich-grünliche Hauteinblutung zwischen Brustbeinrand, linkem Schlüsselbein und Schultereckgelenk,

- eine relativ markante untere Abblassung zur linken Brustwarze hin mit mehreren abgrenzbaren, geformten, teils band-, teils keilförmige rötlich-violette Druck-/Schürfmarken im achselnahen Bereich,

- eine quere, unterhalb des linken Schlüsselbeines über die Mittellinie verlaufende feinfleckig geformte, bis 1 cm breite Druck-/Schürfmarke mit musterartiger textiler Zeichnung,

- eine fingerkuppengroße, gelblich-grünliche unscharf berandete Hauteinblutung über der Brustbeinmitte,

- eine bohnengroße gelblich-grünliche Hauteinblutung im linken Oberbauch unterhalb des Rippenbogenrandes,

- eine etwa reiskorngroße blassbläuliche Hauteinblutung an der linken Rumpfseite in Höhe der vorderen Axiliarlinie,

- eine landkartenartig begrenzte Oberhautablösungen mit nässendem Wundgrund im Bereich der Gesäßfurche (diese war auf Pflegemängel zurück zu führen, nicht auf Misshandlungseinwirkungen) und

- ein fast vollständig abgeblasstes fingerkuppengroßes blassbläuliches Hämatom oberhalb der Peniswurzel;

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im Bereich der Arme

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- mehrere keilförmige, angedeutet musterartig strukturierte Druck-/Schürfmarken mit diskreten Hauteinblutungen an der linken Oberarmaußen- und -vorderseite, bis in Höhe des Schultereckgelenk reichend,

- mehrere weitgehend abgeblasste fingerkuppengroße, blass-bläuliche Hauteinblutungen an der Außenseite des linken Unterarmes und

- eine Einblutung am rechten Handrücken bei Zustand nach Gefäßpunktion (diese war auf die ärztliche Behandlung zurück zu führen);

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und im Bereich der Beine:

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- kratzerartige reiskorngroße verborkte Oberhautläsion an der Vorderseite des linken Unterschenkels mittig,

- eine 3,5 x 0,5 messende blassbläuliche Hauteinblutung an der Außenseite des linken Oberschenkels und

- über der Knieregion mehrere kleinfleckige unspezifische, teils bräunlich, teils gelblich-grünliche Blutunterlaufungen bis zu einer Centstückgröße.

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Bei diesen dargestellten Spuren am Körper von L. handelte es sich - mit Ausnahme der Wunde am Gesäß und der Einblutung nach einer Gefäßpunktion - um Spuren mehrzeitiger stumpfer Gewalteinwirkungen, die auf Fremdeinwirkungen zurück zu führen waren. Der Zeitraum, in dem die Spuren beigebracht worden waren, lag zum einen im Bereich etwa des Vortages der Klinikaufnahme, zum anderen aber auch in einem Zeitraum bis zu einer Woche davor. Insgesamt waren die Verletzungen auf mindestens zwei unterschiedliche Entstehungszeiten zurück zu führen. Zumindest ein Teil der Hämatome, namentlich die bereits gelblich-grünlich verfärbten, waren jedenfalls vor dem 13.08.2011 verursacht worden und waren auch schon vor jenem Tag für jemanden, der die Körperpartien unbedeckt gesehen hat, als Hämatom mit da noch anderer Verfärbung erkennbar.

IV.

29

Die jeweiligen Feststellungen zur Person der beiden Angeklagten und zu ihrem jeweiligen persönlichen Werdegang beruhen auf den Angaben der Vertreter der Jugendgerichtshilfe, die von den beiden Angeklagten jeweils ausdrücklich bestätigt und entsprechend der getroffenen Feststellungen noch teilweise ergänzt worden sind. Es gab keinen Anlass, am Wahrheitsgehalt dieser Angaben zu zweifeln, insbesondere weil sie - sofern die Umstände beide Angeklagten betrafen - inhaltlich übereinstimmten und für fälschliche Angaben aus Gründen des Strafverfahrens insoweit keine Veranlassung bestand. Die Feststellungen zu den fehlenden Vorstrafen ergaben sich aus der für beide Angeklagte jeweils verlesenen Auskunft des Bundesamtes für Justiz vom 26.08.2013 (Datum der Auskunft).

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Zur Sache haben sich die Angeklagten darüber hinaus übereinstimmend dahingehend eingelassen, dass sie seit etwa Juni 2011 ein Paar gewesen seien. Schon während der gesamten Zeit habe sich der Angeklagte mit dem Einverständnis der Angeklagten auch um L. gekümmert, habe ihn gefüttert und gewindelt, wofür er auch nachts aufgestanden sei, und seine Zeit mit ihm verbracht. Nur das Baden blieb eine Aufgabe, die nahezu immer die Angeklagte S. erledigt habe. Gemeinsam mit L. seien sie am 12. oder 13.08.2011 zu den Eltern des Angeklagten K. gefahren, um am 13.08.2011 den Geburtstag des Vaters des Angeklagten K.s mit andern Personen aus der Familie K. zu feiern. Nachdem L. zunächst bei dieser Feier noch bei ihnen mit auf dem Hof gewesen sei, habe man ihn gegen Abend dann ins Bett zum Schlafen gelegt. In dem Zimmer, in dem L. habe schlafen sollen und in dem auch sie später geschlafen hätten, sei ein Babyphon vorhanden gewesen, dessen Empfängerteil sie mit auf den Hof genommen hätten. Im Laufe des Abends seien sie beide, nachdem sie sich zuvor noch auf dem Zimmer, in dem L. zu jener Zeit geschlafen habe, umgezogen hätten, noch zur Tankstelle gegangen, um dort Zigaretten zu holen. Bis zu ihrer Rückkehr habe das Babyphon auf einem Tisch auf dem Hof gestanden, ohne dass darüber von ihnen oder bei ihrer Abwesenheit von den anderen, wie diese berichtet hätten, etwas besonderes zu hören gewesen sei. Nach der Rückkehr von der Tankstelle seien sie beide zunächst noch kurz auf dem Hof geblieben.

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Bei der Schilderung des weiteren Geschehens wichen die Einlassungen der beiden Angeklagten dann, wie noch nachfolgend geschildert wird, ab.

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Am nächsten Morgen, so bekundeten sie dann wieder beide übereinstimmend, sich aber darin unterscheidend, wer das Kind zuerst angesehen habe und den jeweils anderen dann darauf aufmerksam gemacht habe, haben sie nach dem Aufwachen bemerkt, dass L. in seinem Bett gekrampft habe. Das Kind habe starr in eine Richtung geschaut und mit seinem rechten Arm und rechten Bein gezuckt. Die Stellen an seinem Kopf, dort im Bereich eines Auges und eines Ohres, sowie eine Stelle an der Schulter, die am Abend noch rot gewesen seien, seien nun blau gewesen. Einer von ihnen beiden habe die Mutter der Angeklagten S. telefonisch um Hilfe gebeten, die nach etwa 20 Minuten bei ihnen eingetroffen sei. Gemeinsam seien sie dann in die etwa 13 Kilometer entfernte Kinderklinik gefahren.

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In Bezug auf das Geschehen in der Nacht vom 13. auf den 14.08.2011 ab ihrer gemeinsamen Rückkehr von der Tankstelle hat die Angeklagte S. erklärt, dass der Angeklagte bald darauf auf das Zimmer gegangen sei. Etwa nach 10 bis 15 Minuten, vielleicht aber auch erst nach einer halben bis dreiviertel Stunde, das wisse sie heute nicht mehr, es könne auch schon gegen 01.00 Uhr bis 01.30 Uhr gewesen sein, habe sie zwei bis drei kurze Schreie von L., kein Weinen, sondern eher ein Quieken, gehört, aber nicht über das Babyphon, sondern durch das geöffnete Küchenfenster der im dritten Stock gelegenen Wohnung der Eltern des Angeklagten K.. Sie sei daraufhin auf das Zimmer gegangen und habe dort bemerkt, dass das Babyphon ausgeschaltet gewesen sei. Das Licht sei an und L. sei umgezogen gewesen. Der Angeklagte K. habe geweint und habe L. auf dem Arm gehalten. Der Body, den L. zuvor getragen habe und den der Angeklagte K. ihr zuerst nicht habe zeigen wollen, sei an einer Stelle zerrissen gewesen, es habe sich daran wie auch an dem Bettzeug von L. Blut befunden. L. habe rote Stellen im Gesicht, dort vor allem im Bereich der Wange, und auch so etwas wie eine Beule gehabt. Der Angeklagte K. habe gesagt, das Kind tue ihm leid. Er habe ihn so gefunden und L. habe aus dem Mund geblutet. Er habe ihn deshalb erst einmal umgezogen. Den Body, das habe ihr der Angeklagte noch gesagt, wolle er auf seiner Arbeit verbrennen. Er habe nicht gewollt, dass den Body bis dahin jemand sehe, und deshalb habe er ihn zunächst im Bettkasten versteckt. Sie, die Angeklagte S., habe kein Blut am Mund des Kindes gesehen, das nicht geweint, sondern ein wenig „geknauert“ habe.

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Sie habe zwar noch gesagt, man solle wegen des Zustandes von L. den Vater des Angeklagten K. holen, aber der Angeklagte habe gemeint, dass sie das nicht machen solle. Deshalb habe sie es dann auch gelassen. Sie habe dann in der Nacht niemand anderen mehr gesehen, auch nicht D. K., den Bruder des Angeklagten K., der einmal angegeben habe, den Angeklagten etwa zu jener Zeit noch auf dem Flur gesehen zu haben. Es könne aber sein, dass D. K. sie in der Nacht noch gehört habe, als sie L. habe beruhigen wollen, ohne dass ihr dazu aber noch ein Zusammenhang erinnerlich sei. An die ihr vorgehaltenen Angaben aus ihrer polizeilichen Vernehmung vom 23.08.2011, bei der sie laut Vernehmungsprotokoll angegeben habe, dass der Angeklagte gesagt habe, das ebenfalls in jener Nacht zu sehende Blut am eigenen (nicht L.s) Bettzeug sei von ihm, er habe Nasenbluten gehabt, dass er zu ihr vor dem Anblick L.s gesagt habe, sie solle sich nicht erschrecken und dass sie auch noch einen Kratzer auf der Brust von L. gesehen habe, der ausgesehen habe, als sei L. gewürgt worden, habe sie jetzt keine Erinnerung mehr.

35

Zum sonstigen Umgang mit L. gab die Angeklagte S. an, dass L. meist im Abstand von zwei bis drei Tagen gebadet worden sei und zwischendurch, wenn er sich mal bespuckt habe. Zuletzt sei er auch etwa zwei Tage vor dem Wochenende bei des Angeklagten K.s Eltern gebadet worden. Dabei habe er keine Verletzungen aufgewiesen, außer ein paar kleinen Flecken am Bein und einem blauen Flecken oberhalb seines „Pullermanns“. Sie habe den Jungen auch an dem Sonntag bei der Familie K. gewindelt, da sei L. auch nicht weiter verletzt gewesen. Zuvor, etwa Mitte Juli 2011, sei ihr schon einmal eine Stelle in der Nähe des Po des L. aufgefallen, die wie ein Handabdruck mit gespreizten Fingern ausgesehen habe. Sie habe den Angeklagten gefragt, wo das herkomme, der habe ihr aber geantwortet, dass er das nicht wisse. Der Vater des Angeklagten habe gesagt, eventuell sei das passiert, als der Angeklagte den Jungen auf dem Arm gehabt habe. Sie habe deshalb auch mit dem Jungen zum Arzt gehen wollen, aber der Vater des Angeklagten habe gesagt, dass man ihr dann den Jungen wegnehmen werde.

36

Wenn L. einmal - von dem Handabdruck abgesehen - blaue Flecke gehabt habe, könne sie sich das nur damit erklären, dass sich L. häufig selbst gekratzt oder gekniffen und sich auch schon mal mit einer Rassel gegen den Kopf gehauen habe.

37

Dem gegenüber hat der Angeklagte K. erklärt, er sei nach der Rückkehr von der Tankstelle noch auf dem Hof geblieben, bis er später gemeinsam mit seinem Vater nach oben in die Wohnung gegangen sei. Die Angeklagte S. sei schon zuvor auf das gemeinsame Zimmer gegangen. Er sei noch kurz auf dem WC gewesen, wobei er auf dem Flur noch seinen Bruder gesehen habe. Danach sei er zu der Angeklagten in das Zimmer zurück gekehrt. Das Licht im Zimmer sei aus gewesen und er habe L., der wohl schon geschlafen habe, nur „Knuckern“ gehört, habe ihn sich aber nicht mehr angesehen. Weil er alkoholisiert gewesen sei - über den Abend hinweg habe er etwa fünf Flaschen Bier getrunken -, habe er L. auch nicht mehr auf den Arm genommen, auch wenn er durch den Alkohol nicht beeinträchtigt gewesen sei. Das, was die Angeklagte S. zu einem Aufenthalt von ihm mit L. in dem Zimmer ausgesagt habe, stimme alles nicht. Er sei an dem Abend nicht mit L. allein gewesen. Von Verletzungen bei L. wisse er nur aus der Zeit davor, dass er rote Flecken am Augenlid gehabt habe, die die Angeklagte mit einem eigenen Schlag L.s mit der Babyrassel erklärt habe. Außerdem habe sich L. häufig selbst in sein Bein gekniffen und habe am Freitag vor der Geburtstagsfeier einen blauen Flecken in der Nähe seines „Pullermanns“ gehabt. Den von der Angeklagten S. erwähnten Handabdruck an L.s Gesäß habe er auch gesehen, wisse aber nicht, wie der entstanden sei. Allerdings habe ihn der Handabdruck damals stutzig gemacht, er habe auch die Angeklagte nach dessen Herkunft gefragt, von ihr aber keine Antwort erhalten. Von den Verletzungen, die L. am Montagmorgen gehabt habe - eine Beule am Kopf, blaue Flecke im Gesicht und an der Hörmuschel -, habe er abends zuvor nichts gesehen. Er habe L. auch an dem Wochenende bei seinem Vater nicht gewindelt und eventuell auch deshalb keine weiteren Verletzungen gesehen. Die später bei L. festgestellten Verletzungen könne er sich nicht erklären. Er wisse auch nicht mehr, warum sie die Mutter der Angeklagten S. angerufen haben und nicht seine Eltern um Hilfe baten, könne auch nicht sagen, warum sie nicht gleich einen Krankenwagen gerufen haben. Seit er sich von der Angeklagten getrennt habe, habe er sich über das damalige Geschehen aber auch keine Gedanken mehr gemacht. Auch dass die Angeklagte S. damals von ihm schwanger gewesen sei, habe er eigentlich schon vergessen. Der Grund für die Trennung sei letztlich gewesen, dass aus der Familie der Angeklagten S. heraus ihm vorgeworfen worden sei, dass er L. die Verletzungen zugefügt habe.

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Soweit er bei seiner polizeilichen Vernehmung andere Angaben gemacht habe, etwa dahingehend, dass er L. auch an dem Wochenende bei seinem Vater gewickelt habe und dass er L. in der Nacht sehr wohl noch angeschaut und dabei auch schon die Verletzungen gesehen habe, könne er sich daran heute nicht mehr erinnern.

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Die Kammer vermochte im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zu klären, wer L. die Verletzungen zugefügt hat. Zwar vermochte es die Kammer auszuschließen, dass es jemand anderer als einer der beiden Angeklagten oder auch sie beide zusammen gewesen sind. Denn im Rahmen der gesamten Beweisaufnahme haben sich keine Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass die zu unterschiedlichen Zeiten verursachten Verletzungen bei L., die, soweit sie schon älteren Datums waren, zur Überzeugung der Kammer von den Angeklagten auch schon vor dem 13.08.2011 bemerkt worden sind, von einem Dritten verursacht worden sein können, ohne dass dies die Angeklagten bemerkt hätten. Einen Grund, gemeinsam einen eventuellen dritten Verursacher zu schützen, hatten die Angeklagten ebenfalls nicht. Gegen die Verursachung durch eine dritte Person sprach zudem, dass beide Angeklagte zwar die eigene Täterschaft in Bezug auf die Körperverletzungen bestritten und den jeweils anderen auch nicht konkret belasteten, wohl aber jeweils Andeutungen machten, die auf den jeweils anderen als Täter bzw. Täterin hinwiesen. Dies betraf etwa den Teil der Einlassung der Angeklagten S. zu der Situation, in der sie bei ihrem Betreten des Zimmers in der Wohnung der K.s den Angeklagten mit L. vorgefunden habe oder die Einlassung des Angeklagten K., wonach er bei früheren Verletzungsspuren bei L. die Angeklagte darauf angesprochen, von dieser aber keine richtige Antwort erhalten habe. Schließlich fehlte es auch an jeglichem erkennbaren Motiv für eine dritte Person, zu unterschiedlichen Zeiten auf L. einzuwirken.

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Von den beiden Angeklagten als mögliche Verursacher der Verletzungen des L. kamen aber jeweils beide in Betracht:

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Gegen beide Angeklagte eröffnete sich durch die Einlassung des jeweils anderen ein Zeitfenster, in dem jeder Angeklagte zumindest die Verletzungen des L. am 13.08.2011 verursacht haben konnte. So sollte nach der Einlassung der Angeklagten S. der Angeklagte K. vor ihr auf das Zimmer gegangen sein und sie will erst gefolgt sein, als sie die kurzen Schreie von L. gehört habe. Nach der Einlassung des Angeklagten K. hingegen soll die Angeklagte vor ihm auf das Zimmer gegangen sein und er will erst mit seinem Vater in etwas zeitlichem Abstand gefolgt sein.

42

Indizien für eine Täterschaft der Angeklagten S. in Bezug auf die Körperverletzung zum Nachteil des L. ergaben sich daraus, dass die Angeklagte zwar von ihrer Mutter als im Umgang mit L. liebevoll beschrieben wurde, sie aber andererseits das Zimmer in der mütterlichen Wohnung, in dem sie mit L. anfangs wohnte, verwahrlosen ließ, was für eine Überforderung der Angeklagten im Umgang mit dem Kind sprach. Auch der Umstand, dass sie zur Überzeugung der Kammer mit den älteren Verletzungen L.s, die sie zum Beispiel beim Wickeln oder Baden des L. gesehen haben muss, nicht bei einem Arzt vorstellig wurde und, wenn sie den Jungen jene älteren Verletzungen nicht schon selbst beigebracht hatte, ihn in der Obhut des Angeklagten K. beließ, der dann als einziger weiterer Täter für die Verletzungen in Betracht kam, sprach gegen eine ausgeprägte Fürsorge. Gegen die Angeklagte S. sprach zudem, dass sie, worauf noch nachfolgend eingegangen wird, die Belastung des Angeklagten K. erst geäußert hat, als sie selbst als Beschuldigte vernommen wurde, dessen Belastung aber bei ihrer vorausgegangenen polizeilichen Befragung als Zeugin unerwähnt gelassen hatte. Zudem bekundete die Zeugin Sch., dass sie als Nachbarin der Familie K. mitbekommen habe, dass sich die Angeklagte S. bei ihren Aufenthalten bei den K.s nicht um L. gekümmert, diesen vielmehr dem Angeklagten K. überlassen und sich selbst nur mit ihrem Handy beschäftigt habe und dass sie selbst - die Zeugin Sch. - einmal dabei gewesen sei, als die Angeklagte S. ihren Sohn auf dem Arm gehabt und den Angeklagten K. aufgefordert habe, sich jetzt um den Jungen zu kümmern, sonst werde sie ihn fallen lassen.

43

Gegen eine Täterschaft der Angeklagten S. in Bezug auf die Körperverletzungen sprach allerdings, dass sie, nachdem sie erstmals den Angeklagten belastet hatte, im Kern bei dieser Aussage geblieben ist, wenn sie auch in der jetzigen Beweisaufnahme angab, sich an Details der Vorfindesituation des Angeklagten mit L. auf dem Zimmer nicht mehr erinnern zu können.

44

Bei ihrer Erstbefragung im Krankenhaus am 18.08.2011 hatte sie, belehrt als Zeugin, gegenüber dem Polizeibeamten P., wie dieser nun zeugenschaftlich bekundete, angegeben, dass L. in seinem Zustand im Bett vorgefunden worden sei. Am Abend zuvor sei der Angeklagte K. für etwa eine halbe Stunde allein mit L. im Zimmer gewesen, danach sei aber mit L. noch alles in Ordnung gewesen. Dessen Verletzungen im Gesicht habe sie erst am nächsten Morgen gesehen, als L. auch gekrampft habe. Eine in Richtung des Angeklagten K. belastende Aussage habe sie erst gemacht, als sie am 23.08.2011 als Beschuldigte belehrt von ihm und einer Kollegin vernommen worden sei. Dort habe sie bekundet, wie sie den Angeklagten mit dem verletzten L. am Abend des 13.08.2011 im Zimmer bei den Eltern des Angeklagten vorgefunden habe, dass L. einen blauen Fleck an der Stirn und eine Beule gehabt habe und seine Wange ganz rot gewesen sei. Der Angeklagte habe ihr gesagt, dass L. auch aus dem Mund geblutet habe und habe ihr den blutverschmierten Bettbezug aus L.s Bett und den blutverschmierten Body gezeigt, den er später auf der Arbeit habe vernichten wollen. Der Angeklagte habe dann geweint und ihr noch einen Kratzer an L.s Brust und dessen roten Hals gezeigt, was ausgesehen habe, als sei L. dort gewürgt worden. Blut auf dem Kissen des Bettbezuges des Angeklagten habe dieser mit eigenem Nasenbluten erklärt, was sie aber nicht geglaubt habe. Sie habe ihm das auch gesagt und er habe entgegnet, dass sie es dann „halt lassen“ soll. Dass sie dies nicht schon im Krankenhaus gegenüber der Polizei bekundet hatte, habe sie damit erklärt, dass sie Angst gehabt habe, dass sie Ärger bekomme, weil sie nicht sofort in der Nacht mit L. zum Arzt gegangen sei. Sie habe eigentlich den Eltern des Angeklagten noch in der Nacht Bescheid sagen wollen, das habe der Angeklagte aber nicht gewollt. Sie habe auch schon etwa drei bis fünf Tage vorher bei L. blaue Flecke an Bauch, Genital und rechten Innenknie gesehen, zu deren Entstehung sie den Angeklagten befragt habe. Der habe gesagt, dass sich L. da selbst „gekniept“ habe.

45

Den Angeklagten K. habe er, der Zeuge P., am 23.08.2011 zeugenschaftlich vernommen. Der Angeklagte habe unter anderem bekundet, dass er sich gleich von Beginn der Beziehung mit der Angeklagten an auch um L. gekümmert habe, habe ihn gewindelt, gewaschen, gebadet, gefüttert und mit ihm gespielt, das alles auch mit der Angeklagten zusammen. Auf den Vorhalt der bei L. festgestellten Verletzungen und deren Entstehungszeit habe er angegeben, dass er L. nie derb angefasst oder gar geohrfeigt habe. Es könne aber sein, „dass J. überfordert ist“, aber in seiner Gegenwart sei auch sie immer gut mit L. umgegangen. Er habe L. am Nachmittag des 11.08.2011 gewickelt, da habe L. einen kleinen Fleck oberhalb des Genitals gehabt. Am Nachmittag des 13.08.2011 habe er L. ebenfalls gewindelt und gefüttert, am selben Tag nach 20.00 Uhr dann noch einmal, bevor er ihn ins Bett gelegt habe. Gegen 21.45 Uhr habe er sich umgezogen, dabei ins L.s Bett geschaut, da habe er an beiden Seiten der Stirn „so rote Flecken gehabt“. Gegen 22.00 Uhr bis 22.30 Uhr sei er der Angeklagten wieder auf das Zimmer gefolgt, habe sich L. nochmals bei eingeschaltetem großem Deckenlicht angeschaut und wieder die genannten Flecken gesehen. Am Morgen habe die Angeklagte ihn - den Angeklagten - geweckt und die Flecken bei L. vom Vorabend seinen nun dick und blau gewesen, zudem habe L. gezuckt und nur in eine Richtung geschaut. Daraufhin sei die Mutter der Angeklagten angerufen worden und sie seien ins Krankenhaus gefahren. Auffällig sei dabei gewesen, so erklärte der Zeuge P., dass der Angeklagte bei dem Vorhalt von Widersprüchen oder Zweifeln, etwa, dass er beim Windeln des L. nie Verletzungen gesehen haben wollte oder er von Selbstverletzungen L.s in der Kindereinrichtung erfahren haben wollte zu einer Zeit, als L. gar nicht in der Einrichtung gewesen sei, aufbrausend und widerwillig reagiert habe. Die Kammer keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die von dem Zeugen P. wieder gegebene damalige Einlassung des Angeklagten zutreffend bekundet wurde. Sie deckte sich zum einen mit dem Inhalt des damaligen Protokolls, zum anderen hatte der Angeklagte K. keine Grund, sich bei der damaligen Einlassung in Bezug auf das nächtliche Erkennen von L.s Verletzungen zu Unrecht zu belasten.

46

Indizien für eine Täterschaft des Angeklagten K. in Bezug auf die Körperverletzung zum Nachteil des L. ergaben sich für die Kammer deshalb insbesondere aus diesem widersprüchlichen Einlassungsverhalten des Angeklagten K. gegenüber der Polizei und in der jetzigen Hauptverhandlung wie auch aus der Belastung, die er durch die Einlassung der Angeklagten S. erfahren hatte.

47

Andererseits durfte nicht übersehen werden, dass das jetzige Einlassungsverhalten dadurch mitbedingt gewesen sein mag, dass der Angeklagte spätestens durch die Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft erfahren hat, dass ihm auch bei einem fehlenden Nachweis für eine Täterschaft in Bezug auf die Körperverletzung des L. zumindest eine Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung drohte. Schon dies kann Anlass gewesen sein, jetzt auch abzustreiten, die Verletzungen L.s überhaupt schon vor dem Morgen des 14.08.2011 gesehen zu haben. Bei der Belastung des Angeklagten durch die Angeklagte S. war zu berücksichtigen, dass diese selbst als Täterin der Körperverletzung zum Nachteil des L. in Betracht kam und daher ein nicht ausschließbares Motiv hatte, den Angeklagten in den Verdacht der Täterschaft zu rücken. Insoweit war insbesondere zu beachten, dass sie den Angeklagten erstmals beschuldigte, als sie selbst als Beschuldigte vernommen wurde.

48

Aufgrund des Einlassungsverhaltens der beiden Angeklagten konnte sich daher die Kammer gegen keinen von ihnen die Überzeugung von deren Täterschaft im Hinblick auf die Misshandlungen bilden. Allerdings ist die Kammer aufgrund der Einlassung der Angeklagten S. in der jetzigen Beweisaufnahme und der Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, dass der Zeuge P. dies richtig wieder gegeben hatte stand für die Kammer nicht in Zweifel, davon überzeugt, dass L. in der Nacht vom 13. auf den 14.08.2011 die Verletzungen erlitten hat, die später bei dessen Untersuchung und Begutachtung als frische Verletzungen festgestellt worden sind. Denn einen Grund dafür, dass die beiden Angeklagten in den benannten Einlassungen jene frischen Verletzungen in der Nacht, die sich bis zum Morgen blau verfärbt hatten, falsch bekundet haben könnten, vermochte die Kammer nicht zu erkennen.

49

Soweit die Kammer Zeugen zu dem abendlichen Geschehen bei den Eltern des Angeklagten K. vernommen hat, konnten auch diese zu keiner weiteren Aufklärung beitragen.

50

Die Eltern des Angeklagten K., R. und B. K., haben ebenso wie der Bruder des Angeklagten, der Zeuge D. K., in der Berufungshauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Beim Amtsgericht in der Verhandlung erster Instanz, eingeführt durch Vernehmung der damals verhandlungsleitenden Richterin A. ..., hatte der Zeuge R. K. ebenfalls von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und die Zeugin B. K. lediglich unergiebige Angaben dahingehend gemacht, nichts mitbekommen zu haben. Der Zeuge D. K. hatte dort angegeben, in der Nacht gegen 01.00 Uhr oder 01.30 Uhr ein Klopfen aus dem Zimmer, in dem die Angeklagten und L. untergebracht gewesen seien, gehört zu haben und gehört zu haben, dass die Angeklagte S. beruhigend auf den Jungen eingeredet habe. Als er auf den Flur getreten sei, habe er seinen Bruder, den Angeklagten K., der von unten hoch gekommen sei, getroffen und ihn nach den Geräuschen befragt, was aber unbeantwortet geblieben sei. Weitere Details der früheren Aussage jenes Zeugen waren weder der Zeugin A. erinnerlich noch aus dem vorgehaltenen Protokoll zu entnehmen.

51

Da nicht festzustellen war, ob die von dem Zeugen D. K. beschriebenen Geräusche in irgendeinem Zusammenhang mit einem Misshandlungsgeschehen standen, konnte aus den Angaben dieses Zeugen auch kein Rückschluss auf den Täter gezogen werden.

52

Die Zeugen N. K. und ihr damaliger Lebensgefährte, der Zeuge M., konnten mit ihren Aussagen zwar bestätigen, dass sie beide auch auf der Geburtstagsfeier des R. K. gewesen seien, konnten aber zur weiteren Aufklärung ebenfalls nichts beitragen. Die Zeugin N. K. bekundete, sie sei gegen 21.30 Uhr zu Bett gegangen, bis dahin habe sie an jenem Tag bei L. bis auf einen kleineren Kratzer keine Verletzungen bemerkt, obwohl sie ihn auch auf dem Arm gehabt habe. L. sei auch ansonsten generell ein unauffälliger Junge gewesen, habe bei Besuchen zwar mal geweint, sei aber auch fröhlich gewesen, ohne auffällige Besonderheiten für einen Jungen seines Alters. Von dem nächtlichen Geschehen habe sie nichts mitbekommen und erst am nächsten Vormittag erfahren, dass L. ins Krankenhaus gebracht worden sei. Sie könne sich dessen Verletzungen nicht erklären, habe auch die beiden Angeklagten darauf angesprochen, aber von keinem der beiden darauf eine Antwort bekommen. Ihr Bruder, der Angeklagte K., sei als drittes von insgesamt sechs Geschwistern den Umgang mit kleineren Kindern seit jeher gewohnt gewesen und habe sich um die jüngeren Geschwister auch gekümmert und sei auch liebevoll zu L. gewesen. Diesen habe er auch zum Kindergarten gebracht und wieder abgeholt. Aber auch die Angeklagte S. sei in ihrer Gegenwart stets liebevoll mit L. umgegangen. Sie erinnere allerdings an eine Situation, als sie die Angeklagte S. mal mit L. in der Stadt getroffen habe und die Angeklagte dort laut und zornig gewesen sei, weil L. geweint habe. Sie, die Zeugin, könne sich aber nicht mehr erinnern, wie jene Situation geendet habe.

53

Der Zeuge M. vermochte sich noch daran zu erinnern, dass sie wegen der Geburtstagsfeier bei den Eltern K. gewesen seien, er sei aber auch bereits gegen 22.00 Uhr ins Bett gegangen. Von den Geschehnissen in der Nacht habe er deshalb nichts mitbekommen, erst am nächsten Tag erfahren, dass L. ins Krankenhaus gebracht worden sei. Von dem Grund dafür habe er aber nichts gehört. Er wisse bis heute nicht, welche Verletzungen L. damals gehabt habe, habe nur im Nachhinein irgendetwas von einer Babyrassel gehört, wisse den Zusammenhang aber nicht mehr. An dem 13.08.2011 habe er nachmittags L. gesehen, aber nicht auf dem Arm gehabt. Blaue Flecke habe er bei L. nicht bemerkt. Die Angeklagte sei nach seiner Erinnerung auch mal allein mit L. nach oben gegangen, weil er - L. - unten „Rabbatz“ gemacht habe, dass sei aber gewesen noch bevor er, der Zeuge M., ins Bett gegangen sei. Er meine, dass sie dann auch jedenfalls vor ihm noch mal oder immer noch oben in der Wohnung gewesen sei, wisse aber nicht, ob sie anschließend noch mal nach unten gegangen ist. Er habe am nächsten Tag gehört, dass sie wohl nicht mehr runter gekommen sei. Auch wenn die Nachbarin Sch. angebe, dass sie ihn - M. - noch gegen Mitternacht auf dem Hof gesehen habe, könne er das sicher ausschließen. Da habe er schon längere Zeit bei seiner Freundin und dem eigenen damals noch kein Jahr alten Kind in einem anderen Zimmer der Familie K. geschlafen.

54

Aus diesen Aussagen ließen sich keine Rückschlüsse auf den Täter der Misshandlungen ziehen. Zwar war es wenig nachvollziehbar, dass diese beiden Zeugen von den schon älteren Verletzungen des L. nichts bemerkt haben wollen und auch ihr angebliches Desinteresse an der Entstehung der jüngeren Verletzungen des L. war nur schwerlich nachzuvollziehen. Zu einer Feststellung des Täters der Verletzungen konnte dies aber nicht führen. Dies galt auch für die Aussage des Zeugen M. dazu, dass die Angeklagte S. schon vor ihm auf das Zimmer gegangen sei. Denn zeitlich passt dies in die Einlassung der beiden Angeklagten, dass man zwischenzeitlich auf dem Zimmer gewesen, danach aber noch zur Tankstelle gegangen sei. Der von dem Zeugen benannte Zeitraum des Aufenthalts der Angeklagten S. in dem Zimmer muss daher nicht die Tatzeit der Körperverletzungen gewesen sein.

55

Die Zeugin Sch. bekundete, sie habe bei den Aufenthalten der beiden Angeklagten mit L. bei ihren Nachbarn, den Eltern des Angeklagten K., einen immerzu und jede Nacht schreienden L. erlebt, den man als „Schreikind“ bezeichnen könne. Ständig habe sie das Weinen des L. vernommen und mitbekommen, dass sich um den Jungen nur der Angeklagte, dessen Schwester N. und die Mutter des Angeklagten gekümmert habe. Der Angeklagte habe mit L. gespielt, habe ihn gefüttert und gewindelt. Die Angeklagte S. hingegen sei dem Jungen gegenüber gleichgültig gewesen, sie habe immer nur an ihrem Handy gespielt und der Junge habe sie „genervt“. Sie habe sogar in der schon benannten Situation gedroht, ihn fallen zu lassen, wenn der Angeklagte K. ihn ihr nicht abnehme. Die Angeklagte S. sei damals nach ihrer Erinnerung wohl schwanger gewesen. Da der Angeklagte den Jungen da nicht an sich genommen habe, habe sie - die Zeugin Sch. - ihn genommen und dabei bemerkt, dass er blaue Flecke im Gesicht gehabt habe. Von den Eltern des Angeklagten K. habe sie auch gehört, dass sie bei L. mehrfach blaue Flecke gesehen und über deren Ursache gerätselt hätten.

56

Zu dem verfahrensgegenständlichen Abend könne sie nur sagen, dass sie stündlich am Fenster geraucht und dabei das Grillen der K.s gesehen habe. Die Angeklagte S. habe sie etwa um 22.00 Uhr zuletzt gesehen, dabei noch R., D. und B. K. sowie den Angeklagten. Gegen Mitternacht habe sie dann nur noch R. und D. K. und den Angeklagten und noch kurz N. K. gesehen, die ins Bett habe gehen wollen. Bei dieser in ihrer Tendenz die Angeklagte S. belastenden Aussage war zu beachten, dass die Angaben der Zeugin Sch. etwa zum Aufenthalt von Personen auf dem Hof am Abend der Geburtstagsfeier nicht mit den Angaben jener Zeugen stand, insbesondere aber auch, dass etwa die Aussage dieser Zeugin in Bezug auf das „Schreikind“ L. sich nicht mit den Beschreibungen des Kindes von allen anderen Zeugen vertrug. Insbesondere auch der Kindesvater und die Zeugin R., deren Angaben noch später dargestellt werden, beschrieben L. als auffällig ruhiges Kind. Insgesamt ließ die Aussage der Zeugin Sch. eine gewisse, möglicherweise durchaus unbewusste Belastungstendenz zu Lasten der Angeklagten S. erkennen.

57

Die Zeugin S., Mutter der Angeklagten S., konnte zur Aufklärung des tatnächtlichen Geschehens ebenfalls nichts beitragen. Sie gab an, am Morgen des 14.08.2011 gerufen worden zu sein, weil mit L. „etwas nicht stimmt“. Es sei am Abend „etwas passiert und jetzt sieht L. komisch aus“. Sie habe L. mit Hämatomen im Stirn- und Wangenbereich und einem apathischen Blick angetroffen, von dem Anblick sei ihr schlecht geworden. Gegenüber dem Polizeibeamten P. hatte sie dies, von diesem nun glaubhaft zeugenschaftlich bekundet, am 19.08.2011 dahingehend beschrieben, dass L. im Gesicht mit blauen Flecken übersät gewesen sei, an der Stirn habe er eine Beule gehabt, an der Wange alles blau, am Hals einen Kratzer und der Thorax verfärbt. Am Freitag sei L. bis auf einen kleinen Kratzer unter dem Auge, den er sich selbst in ihrem Beisein am 09.08.2011 mit der Babyrassel beigebracht habe und der schon gelblich-grün gewesen sei, im Gesicht unverletzt gewesen. Sie seien, so die Zeugin in der Beweisaufnahme weiter, dann zusammen in das Krankenhaus gefahren, ohne dass sie zuvor noch in der Wohnung der Familie K. gewesen sei. Sie habe nicht nachgefragt, warum sie erst jetzt gerufen worden sei, und habe entschieden, in die D. Klinik, nicht in das Krankenhaus nach K. zu fahren, weil die Klinik in K. keine Kinderstation habe. Zur Ursache des Zustandes von L. habe ihre Tochter, die nur geweint habe, ihr gesagt, dass sie nicht wisse, wie das passiert sei. Sie sei auf dem Hof gewesen, der Angeklagte sei vor ihr auf das Zimmer gegangen und später habe sie den Angeklagten mit L. in dem Zimmer angetroffen, da habe L. geblutet und Blut an seinem Body gehabt. Sie habe auch noch davon gesprochen, dass der Angeklagte gesagt habe, dass er den Body vernichten wolle. Der Angeklagte habe ihr nur gesagt, dass er L. in diesem Zustand gefunden habe. Sie erinnere auch noch, dass der Angeklagte zu ihrer Tochter gesagt habe, dass sie sagen solle, dass „es“ am Morgen passiert sei, aber ihre Tochter habe vom Vorabend gesprochen, als etwas passiert sei.

58

Ihre Tochter beschrieb die Zeugin S. als jemand, der trotz ihres jungen Alters mit der Mutterrolle gut zu Recht gekommen sei, nur die Ordnung habe etwas nachgelassen. L. habe nur selten geweint, sei unkompliziert, lieb und ruhig gewesen. Für dessen spätere Verletzungen habe sie keine Erklärung.

59

Der Zeuge P., leiblicher Vater von L., bekundete ebenfalls, dass die Angeklagte stets gut mit L. umgegangen sei, bis er beide im Juni 2011 letztmals vor dem verfahrensgegenständlichen Vorfall zusammen gesehen habe. Den Angeklagte K. habe er nur vom Sehen gekannt. Zu den Verletzungen L.s habe ihm die Angeklagte keine Details bezüglich deren Entstehung gesagt, aber angegeben, dass am Abend in dem Zimmer etwas passiert sein müsse und dass sie denke, dass es der Angeklagte war, der L. die Verletzungen beigebracht habe. Nur der Angeklagte sei mit L. allein gewesen, bevor sie die Verletzungen bei L. bemerkt habe. Heute sei L. ein lebensfroher Junge, er habe aus den damaligen Vorfällen keine bleibenden Schäden oder Beeinträchtigungen zurück behalten. Der Kontakt der Angeklagten zu L. sei anfangs, nachdem er das Kind zu sich geholt habe, regelmäßig gewesen, inzwischen aber unregelmäßiger geworden. Vor drei Wochen habe sie sie zuletzt besucht.

60

Der Zeuge Z. bekundete, er sei bis zum Eintritt der Volljährigkeit der Angeklagten S. für das Jugendamt des Landkreises als Vormund und gesetzlicher Vertreter des Kindes L. als Amtspfleger und Amtsvormund tätig gewesen. Er habe von der Angeklagten nichts über die Ursache der Verletzungen erfahren. Bei seinen Besuchen bei der Angeklagten vor dem verfahrensgegenständlichen Geschehen habe er nicht den Eindruck gehabt, dass sie mit der Erziehung L.s überfordert gewesen sei, allerdings habe er sie zuletzt vor jenem Geschehen im Mai oder Juni 2011 gesehen. Von bereits zu jener Zeit vorliegenden Verletzungen L.s habe er nichts bemerkt, wohl aber, dass die Ordnung im Zimmer der Angeklagten zu wünschen übrig gelassen habe. Dies habe aber damals noch keinen Grund zum Einschreiten geboten.

61

Die Zeugin R., vormals T., bekundete, dass sie im Sorgerechtsverfahren Verfahrensbeistand für L. gewesen sei. Sie habe L. dann im September 2011 erstmals gesehen und in der Folge auch die Angeklagte S. und Herrn P. kennen gelernt, wobei die Treffen in der Regel in der Kleinstwohngruppe statt gefunden haben. L. habe sich danach sehr gut entwickelt, anfangs habe es ihm etwas an Körperspannung gefehlt und er habe Probleme beim Umdrehen gehabt. Auffällig sei ansonsten gewesen, dass er schreckhaft gewesen sei und im Übrigen ein auffallend ruhiges Kind, dass selbst nach dem Erwachen aus dem Schlaf ruhig in seinem Bett liegen geblieben sei, bis sich jemand um ihn gekümmert habe. Als „Schreikind“ könne ihn überhaupt nicht bezeichnen, sie habe ihn nie ohne Grund schreien gehört. Die Angeklagte sei im Umgang mit L. in der Kleinstwohngruppe unsicher gewesen, sie habe Anregungen und Anleitungen benötigt, was sie - die Zeugin - auf das junge Alter zurück geführt habe. Auch habe die Angeklagte nicht alle Besuchstermine in der Kleinstwohngruppe eingehalten, habe teils entschuldigt, teils auch unentschuldigt Termine verstreichen lassen. Ansonsten habe sie die Angeklagte nicht als jähzornig oder aufbrausend, eher als schüchtern und nett erlebt. L. habe sich nie in gefährliche Situationen begeben, etwa Sachen verschluckt oder ähnliches, habe auch keine Neigung zu blauen Flecken gehabt. Er sei in seiner Motorik eingeschränkt gewesen, aber ohne dass dies zu Selbstverletzungen geführt habe.

62

Die Kammer vermochte sich bei dieser Beweislage keine Überzeugung davon zu bilden, wer von den beiden Angeklagten die Verletzungen des L. am 13.08.2011 verursacht hatte, da sowohl für wie auch gegen eine Täterschaft beider Angeklagte Indizien vorlagen, ohne dass diese auch bei einer Gesamtwürdigung für eine Überzeugungsbildung von der Täterschaft in Bezug auf die Misshandlungen genügen konnten.

63

Überzeugen konnte sich die Kammer aber davon, dass beide Angeklagte unabhängig von ihrer möglichen Täterschaft in Bezug auf die Misshandlungen selbst bereits am Abend des 13.08.2011 erkannt hatten, dass sich L. in Folge jener Misshandlungen in einer Gefahrenlage befand und eine Hilfeleistung für ihn erforderlich war.

64

Beide Angeklagte hatten aufgrund der für sie ersichtlichen frischen Verletzungen am Kopf des L. erkannt, dass auf ihn massiv und mit Gewalt eingewirkt worden war und dass sich die Einwirkungen jedenfalls auch auf eben jenen Bereich seines Kopfes bezogen hatten. Sie haben als mindestens durchschnittlich intelligente Personen, als die sie die Kammer in der Hauptverhandlung wahrgenommen hat, auch erkannt, dass durch derart massive Einwirkungen, die eine Beule und mehr als nur kleine rot-verfärbte Hämatome im Kopfbereich verursacht hatten und die einen Blutaustritt egal aus welcher Öffnung des Kopfes verursacht hatten, die Gefahr bestand, dass das Kind auch innere Verletzungen davon getragen haben könnte, und dass, um diese nicht sichtbaren inneren Verletzungen auszuschließen, eine ärztliche Hilfe erforderlich war.

65

Die Feststellungen zu den Verletzungen, die bei L. am Morgen des 14.08.2011 vorlagen und zu sehen waren, beruhen auf den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. und den Aussagen der beiden sachverständigen Zeugen Dr. M. und Prof. S..

66

Dr. M. hat dazu ausgeführt, dass ihm als Klinikchef der Fall als solcher noch in Erinnerung sei, er sich aber an Details nicht mehr erinnern könne. L. sei von anderen Ärzten aufgenommen worden, ihm sei dann aber später der Fall mitgeteilt worden. Bei der Aufnahme L.s im Krankenhaus sei eine Vielzahl von äußerlich erkennbaren Hämatomen und Kratzern vorgefunden worden sein, die den Rückschluss auf eine Beibringung durch Gewalt durch dritte Personen nahegelegt haben. Dieser Rückschluss habe darauf beruht, dass die Verletzungen unterschiedlichen Alters und über diverse Bereiche des Körpers hinweg verteilt gewesen seien. Zudem seien die Hämatome untypisch für eine Entstehung durch versehentliche Stöße oder ähnliches gewesen, weil sie sich überwiegend nicht an dafür typischen Stellen wie dem Oberschenkel, dem Rücken oder oberhalb der sogenannten „Hutkrempenlinie“ befunden hätten, sondern an Körperstellen, bei denen ein drohender Anstoß vorab erkannt werden und der Anstoß verhindert werden könne. Zudem sei auffällig gewesen, dass die Verfärbungen der Hämatome auf eine frische Beibringung in den letzten 24 Stunden, aber auch auf länger zurück liegende Beibringungen etwa im Zeitraum der letzten Woche vor der Vorstellung hingedeutet haben. Eine Selbstbeibringung durch L. habe ausgeschlossen werden können, da beispielsweise Verletzungen mit einer Rassel eine wesentlich kleinere Kontaktfläche beeinträchtigt hätte und zudem zur Verursachung eines Hämatoms ein Schlag mit einer Kraft nötig sei, die ein Kind im Alter L.s noch nicht habe. Zudem habe berücksichtigt werden müssen, das L. altersbedingt noch recht kurze Arme gehabt habe, mit denen er nicht alle verletzten Stellen mit dem nötigen Schwung hätte erreichen können, um sich dort zu verletzen. Die festgestellten Verletzungen seien allerdings im Ergebnis der Untersuchungen weder als „schwer“, noch als lebensbedrohlich eingestuft worden, mittels MRT und Röntgen habe ein Schütteltrauma oder eine knöcherne Verletzung ausgeschlossen werden können. Für den Krampfanfall, der von den Angeklagten beschrieben, aber bei der Vorstellung L.s im Krankenhaus bereits weitestgehend abgeklungen gewesen sei, habe sich keine Ursache finden lassen. Denkbare Ursache habe eine Fehlbildung oder ein im Kindesalter nicht seltener Gelegenheitskrampf sein können, auch eine ursachenloser Krampf „aus sich selbst heraus“ könne nicht ausgeschlossen werden. Ein Krampf als eine Verletzungsfolge sei zwar auch denkbar gewesen, hier aber eher unwahrscheinlich, weil weder eine Strangulation oder eine Hirnblutung habe festgestellt werden können, die einem Krampfanfall vorausgegangen sein könnte. Der Krampfanfall sei bei seinem Auftreten bei Kleinkindern grundsätzlich immer behandlungsbedürftig, so lange er noch vorliegt, um seine Dauer möglichst schnell zur Verhinderung von Folgeschäden zu beenden. Da er hier aber bereits wieder beendet gewesen sei, sei auch keine weitere Behandlung erfolgt. Aus seiner Erfahrung heraus könne er ausschließen, dass der Krampf bereits in der Nacht aufgetreten sei und bis zum Morgen angedauert habe, weil ein Krampf von dieser zeitlichen Dauer einen deutlich schlechteren Allgemeinzustand L.s nach sich gezogen hätte. Wegen der Verletzungen L.s im Gesicht seien ebenfalls ärztliche Untersuchungen wie das MRT und die Röntgenuntersuchung dringend indiziert gewesen, da nur so innere Verletzungen auszuschließen gewesen seien, die nach dem äußeren Erscheinungsbild der Verletzungen in Betracht gekommen seien. Als frische Verletzungen seien vor allem die blutig-verkrustete Verletzung im Bereich der Ohrmuschel und weitere Verletzungen im Gesicht aufgefallen. Nach der Beratung im Rahmen der klinikinternen Kinderschutzgruppe sei beschlossen worden, die Rechtsmedizin in H. hinzu zu ziehen, was dann auch geschehen sei.

67

Seitens der Rechtsmedizin wurde L. durch Prof. S. begutachtet, der seine damaligen Eindrücke im Rahmen der Beweisaufnahme wieder gab. Seine Dokumentation wurde durch den Sachverständigen Dr. H. ausgewertet und im Rahmen der jetzigen Beweisaufnahme vorgestellt. Dabei war zunächst festzustellen, dass die Ausführungen der Ärzte Dr. M. und Prof. S. in Bezug auf die Art und Lage der Verletzungen L.s überein stimmten. So bekundete der sachverständige Zeuge Prof. S., dass er L. am 15.08.2011 in der Klinik rechtsmedizinisch begutachtet habe. Da er, Prof. S., inzwischen pensioniert sei, seien ihm die damaligen Unterlagen nicht mehr zugänglich, aber er erinnere sich noch daran, dass es sich bei L. um einen kräftigen Jungen mit diversen Verletzungen insbesondere im Gesicht gehandelt habe. An frisch blutende Verletzungen habe er keine Erinnerung. Er habe seine damaligen Begutachtungsfeststellungen und -ergebnisse als Rechtsmediziner niedergelegt, diese Aufzeichnungen seien auch zutreffend gewesen. Zudem habe er Lichtbilder angefertigt, die die Kammer in Augenschein genommen hat. Auch diese haben, soweit die Aufnahmequalität dies zuließ, die Ausführungen des Dr. M. und des Prof. S. bestätigt. Darüber hinaus gab es ohnehin keinen Grund für einen der beiden sachverständigen Zeugen, in der jetzigen Beweisaufnahme unwahre Angaben zu machen, weshalb die Kammer von der Richtigkeit ihrer auch nachvollziehbaren Bekundungen überzeugt war.

68

Die Aufzeichnungen des Prof. S. hat in der jetzigen Beweisaufnahme der Sachverständige Dr. H. wieder gegeben und seine eigenen sachverständigen Ausführungen zu dem beschriebenen Verletzungsbild unter Berücksichtigung der Angaben des Dr. M. und des Prof. S. gemacht. Zudem bekundete Dr. H., dass er zum damaligen Zeitpunkt als stellvertretender Institutsleiter der Rechtsmedizin Vorgesetzter des Prof. S. gewesen sei. Er habe L. zwar nicht persönlich gesehen, sei aber bei der Gutachtenerstellung involviert gewesen, habe es mit erarbeitet und habe das Gutachten persönlich schon damals kritisch geprüft. Rechtsmedizinisch festgestellt worden seien die in den Feststellungen zur Sache dargestellten Verletzungen, die nicht durch Selbstverletzungen entstanden sein können. Dazu sei L. schon in seiner damaligen Mobilität zu eingeschränkt gewesen. Die Vielzahl der festgestellten Beeinträchtigungen, die mindestens etwa 20 Einwirkungen als Ursache gehabt haben müssen, deren beidseitig am Körper befindliche Lage, die teils flächige Ausdehnung und das teilweise erkennbare Überlagern mehrere Hämatome ließen nur den Rückschluss auf ein Misshandlungsgeschehen durch dritte Hand zu. Besonders beispielhaft sei dafür etwa ein Abdruck an der Stirn, der, wenn auch nicht mit letzter Sicherheit, so aber doch mit hoher Wahrscheinlichkeit, den typischen Abdruck von vier Fingern einer Hand an der Stirn L.s erkennen ließ. Einige der festgestellten Verletzungen seien sicher älteren Datums als vom 13. oder 14.08.2011 gewesen, am Untersuchungstag etwa drei Tage alt oder auch älter. Dazu seien auch die gelblichen Verfärbungen im Gesicht zu zählen, deren vorausgehende Verfärbung jedenfalls schon vor dem 14.08.2011 sichtbar gewesen sein müssen. Die aufgelisteten blass-bläulichen Verletzungen, insbesondere die im Gesichtsbereich L.s, und die Verletzung der Ohrmuschel, an der noch Blutreste zu sehen gewesen seien, seien hingegen frischer gewesen, wobei aber nicht sicher gesagt werden könne, wann diese genau entstanden seien. Da schon teilweise verwaschen, würde eine Entstehung der blass-bläulichen Hämatome etwa am 13.08.2011 zu der Verfärbung passen. Insbesondere die Angaben der beiden Angeklagten, dass Verletzungen in jenem Bereich am Abend des 13.08.2011 rot und am nächsten Morgen blau gewesen seien, seien damit mit einer Verursachung an jenem Abend vereinbar. Dies gelte ebenfalls für die Verletzung der Ohrmuschel, die am ehesten durch einen Schlag auf das Ohr erklärbar sei. Wäre diese Verletzung etwa durch einen Sturz verursacht worden, wäre zu erwarten gewesen, dass Verletzungen auch an prominenteren Stellen des Kopfes vorgefunden worden wären. Die gelblich verfärbten Verletzungen müssen jedoch wegen der Farbe älteren Ursprungs gewesen sein. Der Sachverständige bestätigte zudem die Aussage des Dr. M., dass eine Spielrassel aufgrund der denkbaren Auftrefffläche und der erforderlichen Kraft, um damit Verletzungen verursachen zu können, in der Hand L.s nicht als Verletzungsursache in Betracht komme. Zudem sah auch er keinen sicher feststellbaren Zusammenhang von den Verletzungen mit dem Krampfen L.s am Morgen des 14.08.2011. Aus sachverständiger Sicht könne daher die sichere Aussage getroffen werden, dass jedenfalls zu zwei zeitlich deutlich voneinander getrennten Zeiten auf L. mit Gewalt eingewirkt worden sei. Die älteren Verletzungen seien allerdings ihrerseits farblich nicht weiter aufzutrennen gewesen, so dass keine Aussage darüber getroffen werden könne, ob die älteren Verletzungen für sich betrachtet bei einer Gelegenheit oder wiederum aufgeteilt auf mehrere Gelegenheiten beigebracht worden seien. Die frischeren Verletzungen seien mit einer Entstehung am Abend des 13.08.2011, wie von den Angeklagten bekundet, erklärbar. Dem ist die Kammer nach eigener kritischer Würdigung der Ausführungen gefolgt, da die Erkenntnisse und Ausführungen des Sachverständigen mit den Angaben des Dr. M. in Einklang standen. Zudem deckten sich die Ausführungen in Bezug auf die frischen Verletzungen mit den Einlassungen der beiden Angeklagten in der jetzigen Beweisaufnahme bzw. bei der polizeilichen Vernehmung. Dass der Sachverständige entgegen den Einlassungen der beiden Angeklagten auch ältere Verletzungen und deren sichere Sichtbarkeit für dritte festgestellt hat, hat die Kammer ebenfalls aufgrund der Ausführungen zu der unterschiedlichen Verfärbung der Hämatome überzeugt.

V.

69

Die Angeklagten haben sich damit nebentäterschaftlich der unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gemacht. Die gewaltsamen Einwirkungen auf L., die zu den am Abend des 13.08.2011 sichtbaren Verletzungen geführt haben, stellten sich für L. als Unglücksfall dar. Da es sich dabei um nicht unerhebliche Einwirkungen unter anderem gegen den Kopf des noch nicht ein Jahr alten Kindes gehandelt hat, die neben den Verfärbungen auch zu einer jedenfalls sichtbaren Beule und einer blutenden Verletzung geführt haben, bestand die von den beiden Angeklagten erkannte Gefahr innerer Verletzungen des L., insbesondere im Kopfbereich. Diese Gefahr hat, aus der entscheidenden objektivierten ex-ante-Sicht, das sofortige Aufsuchen ärztlicher Hilfe erforderlich gemacht, um der Gefahr schwerer Folgen von inneren Verletzungen zu begegnen. Dabei ist es unerheblich, dass sich die Hilfe am nächsten Tag im Ergebnis der ärztlichen Untersuchung als tatsächlich nicht erforderlich erwiesen hat, weil es an inneren Verletzungen fehlte (vgl. dazu Fischer, StGB, 60. Auflage, § 323c StGB, Rn. 9 m.w.N.).

70

Die erforderliche Hilfeleistung schon in der Nacht vom 13. auf den 14.08.2011 - das Verschaffen ärztlicher Hilfe für L. - war beiden Angeklagten zumutbar, unabhängig davon, ob sie selbst die Verletzungen verursacht haben mögen und mit einer Vorstellung L.s beim Arzt ihre strafrechtliche Verfolgung drohte (Fischer, a.a.O., Rn. 16).

71

Eine Verurteilung der beiden Angeklagten oder nur der oder des Angeklagten wegen eines Körperverletzungsdeliktes oder wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen schied hingegen aus. Wer L. die Verletzungen am 13.08.2011 beigebracht hat, war nicht festzustellen. Dass durch die Verletzungen nach deren Entdeckung durch die andere Person als die des Täters selbst Schmerzen bei L. durch die nicht sofort herbei geholte ärztliche Hilfe verschärft oder unnötig verlängert worden sind, ließ sich ebenfalls nicht feststellen, weshalb auch insoweit eine Körperverletzung oder eine Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen ausschied. Ebenso schied eine Strafbarkeit vor dem Hintergrund, dass die die älteren Verletzungen nicht verursachende Person die älteren Verletzungen bemerkt haben muss, den oder die für sie deshalb erkennbare Täter oder Täterin aber nicht durch eine Intervention von den späteren Übergriffen am 13.08.2011 abgehalten hat (vgl. dazu BGH, NStZ 2004, 94 f.), aus. Denn die Person von den beiden Angeklagten, die die älteren Verletzungen nicht verursacht hat, musste aufgrund der nach den rechtsmedizinischen Ausführungen nicht ausschließbaren Einmaligkeit der älteren Verletzungshandlung (noch) nicht davon ausgehen, dass sich diese wiederholen wird. Eine Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen schied daher, unabhängig von der Frage, ob der Angeklagte K. als eventueller Täter eine Garantenstellung gehabt hat, aus.

VI.

72

Die Angeklagte S. war zur Tatzeit 16 Jahre alt. Die Kammer ist davon überzeugt, dass sie zur Tatzeit nach ihrer geistigen und sittlichen Entwicklung reif genug gewesen ist, das Unrecht ihrer Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, § 3 Satz 1 JGG. Tatbezogen sprach dafür insbesondere, das sie nach eigenen Angaben in der Nacht eigentlich habe Hilfe holen wollen, dies aber auf Drängen des Angeklagten K. unterlassen habe, und dass sie bei der ersten polizeilichen Befragung das schon nächtliche Erkennen der Verletzungen aus Angst vor Strafe verschwiegen habe.

73

Bei der Entscheidung, welche Sanktion für die Angeklagte S. erzieherisch notwendig war, hatte die Kammer zunächst zu berücksichtigen, dass weder die Schwere der Schuld eine Jugendstrafe erforderlich machte noch dass bei der Angeklagten S. aufgrund von Anlage- oder Erziehungsmängeln schädliche Neigungen in einem solchen Ausmaß ersichtlich wurden, dass es deshalb einer längerfristigen Gesamterziehung durch Freiheitsentzug bedurft hätte, um der Gefahr weiterer Störungen der Gemeinschaftsordnung durch neuerliche Straftaten der Angeklagten zu begegnen. Die Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 JGG oder eine Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe nach § 27 JGG schied daher als Sanktion aus.

74

Der Kammer erschien es vielmehr angezeigt, mit Weisungen im Sinne von § 10 JGG dahingehend auf die Angeklagte S. einzuwirken, dass sie dabei gefördert wird, Verantwortung für sich und ihre Kinder zu übernehmen. Dies wird zur Überzeugung der Kammer zur Folge haben, dass neue Delikte insbesondere aus dem familiären Bereich nicht mehr zu befürchten sind. Delikte anderer Art sind bislang von der Angeklagten ohnehin nicht zu erwarten.

75

Die Kammer hat, beraten von der Jugendgerichtshilfe und deren Anregung folgend, die Angeklagte S. deshalb angewiesen, für die Dauer von einem Jahr die ihr angebotene Unterstützung der Sozialpädagogischen Familienhilfe anzunehmen und sich um die Aufnahme einer Bildungsmaßnahme zu bemühen. Über ihre diesbezüglichen Anstrengungen soll sie dem Gericht im Abstand von zwei Monaten, erstmals im ersten auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Monat, schriftlich berichten, damit der Fortgang ihrer Bemühungen kontrolliert werden kann und sie sich zur Befolgung der Weisungen angehalten fühlt.

76

Der Angeklagte K. war zur Tatzeit 18 Jahre alt und somit Heranwachsender im Sinne des § 1 Abs. 2 JGG. Der Angeklagte stand jedoch jedenfalls zur Tatzeit nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleich, weil bei ihm noch Entwicklungskräfte in größerem Umfang wirksam waren. So befand sich der Angeklagte zur Tatzeit noch in einer jugendtypischen Entwicklungsphase, was daraus ersichtlich wurde, dass er zu jener Zeit noch im Elternhaus wohnhaft und der erzieherischen Einwirkung seiner Eltern ausgesetzt war. Auch der sorglose Umgang, der sich insbesondere in den Ausbildungsabbrüchen und darin zeigte, immer wieder neue Beziehungen zu Mädchen und Frauen einzugehen und dabei auch binnen kürzester Zeit Kinder zu zeugen, dann aber vor der damit verursachten Verantwortung zurück zu weichen wie etwa bei der Schwangerschaft der Angeklagten S., sprechen dafür, dass die Entwicklung des Angeklagten noch deutlich unausgereift ist.

77

In Bezug auf den Angeklagten K. war daher gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht anzuwenden.

78

Bei der Entscheidung, welche Sanktion erzieherisch für den Angeklagten erforderlich war, hatte die Kammer auch bei ihm zu beachten, dass es insbesondere angezeigt erscheint, seine Empathiefähigkeit und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, zu fördern, um weiteren Straftaten gegen andere Personen vorzubeugen. Auch bei ihm sind Straftaten aus anderen Deliktsfeldern, denen es entgegen zu wirken gälte, derzeit nicht zu befürchten.

79

Die Kammer hat, auch insoweit von der Jugendgerichtshilfe beraten und ihr folgend, den Angeklagten K. angewiesen, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen und an der Maßnahme des KK, an der er derzeit teilnimmt, bis zu deren Abschluss teilzunehmen und sich um einen erfolgreichen Abschluss zu bemühen.

80

Die Kammer hatte anzuerkennen, dass das Verfahren bereits eine erhebliche Zeit andauerte und diese Dauer insbesondere auf justizseitig zu vertretenden Gründen, hier insbesondere die Dauer zwischen der erstinstanzlichen und der jetzigen Verhandlung, wofür es keine Gründe außerhalb der Sphäre der Justiz gab, beruhte. Es handelte sich dabei aber noch nicht um eine solche Dauer, die bereits die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung erforderlich gemacht hätte.

81

Davon abgesehen vermochte die Verfahrensdauer ohnehin keinen Sanktionsabschlag zu begründen, da die verhängten Erziehungsmaßregeln keinem „Abschlag“ zugänglich gewesen wären.

VII.

82

Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 JGG und bezieht sich ausschließlich auf die Kosten und Auslagen des Gerichts. Ihre notwendigen Auslagen haben die Angeklagten selbst zu tragen, da insoweit eine Überbürdung der Kosten auf die Staatskasse gesetzlich nicht vorgesehen ist.


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Landgericht Dessau-Roßlau Urteil, 11. Okt. 2013 - 1 Ns (427 Js 19533/11), 1 Ns 427 Js 19533/11 zitiert 11 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende


(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, we

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Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 17 Form und Voraussetzungen


(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung. (2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 1 Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich


(1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist. (2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsend

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 3 Verantwortlichkeit


Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der ma

Strafgesetzbuch - StGB | § 323c Unterlassene Hilfeleistung; Behinderung von hilfeleistenden Personen


(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 10 Weisungen


(1) Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Der R

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 27 Voraussetzungen


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(1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.

(2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.

(3) Ist zweifelhaft, ob der Beschuldigte zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, sind die für Jugendliche geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden.

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht.

(1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.

(2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.

(3) Ist zweifelhaft, ob der Beschuldigte zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, sind die für Jugendliche geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht.

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

Kann nach Erschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilt werden, ob in der Straftat eines Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, daß eine Jugendstrafe erforderlich ist, so kann der Richter die Schuld des Jugendlichen feststellen, die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe aber für eine von ihm zu bestimmende Bewährungszeit aussetzen.

(1) Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. Der Richter kann dem Jugendlichen insbesondere auferlegen,

1.
Weisungen zu befolgen, die sich auf den Aufenthaltsort beziehen,
2.
bei einer Familie oder in einem Heim zu wohnen,
3.
eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle anzunehmen,
4.
Arbeitsleistungen zu erbringen,
5.
sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungshelfer) zu unterstellen,
6.
an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen,
7.
sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich),
8.
den Verkehr mit bestimmten Personen oder den Besuch von Gast- oder Vergnügungsstätten zu unterlassen oder
9.
an einem Verkehrsunterricht teilzunehmen.

(2) Der Richter kann dem Jugendlichen auch mit Zustimmung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters auferlegen, sich einer heilerzieherischen Behandlung durch einen Sachverständigen oder einer Entziehungskur zu unterziehen. Hat der Jugendliche das sechzehnte Lebensjahr vollendet, so soll dies nur mit seinem Einverständnis geschehen.

(1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.

(2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.

(3) Ist zweifelhaft, ob der Beschuldigte zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, sind die für Jugendliche geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

Im Verfahren gegen einen Jugendlichen kann davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.