Landgericht Aachen Urteil, 23. Juni 2016 - 66 KLs 24/15 - 901 Js 51/14 -


Gericht
Tenor
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Der Angeklagte ist für die Dauer der Freiheitsentziehung vom 25.10.2013 bis 14.08.2014 zu entschädigen.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen – einschließlich der Kosten und der notwendigen Auslagen für das Revisionsverfahren - werden der Staatskasse auferlegt.
1
Gründe
2I.
4Die Staatsanwaltschaft Aachen hat dem Angeklagten mit Anklageschrift vom 2. April 2014 – 901 Js 51/14 – vorgeworfen, sich gemeinsam mit den früheren Mitangeklagten X, XX, XXX und dem gesondert verfolgten XXXX in der Zeit vom August 2012 bis zum 24. Oktober 2013 des gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht zu haben, wobei er als Mitglied einer Bande gehandelt haben soll.
5Mit insoweit rechtskräftigem Urteil vom 14. August 2014 verhängte die 6. Große Jugendkammer des Landgerichts Aachen – 98 KLs 1/14 – gegen den damaligen Mitangeklagten X wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten und sprach die weiteren damaligen Mitangeklagten XX und Zagrace frei.
6Gegen den hiesigen Angeklagten verhängte die 6. Große Jugendkammer des Landgerichts Aachen in demselben Urteil wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die Revision des hiesigen Angeklagten hob der BGH mit Beschluss vom 9. Juli 2015 – 2 StR 58/15 – das Urteil der 6. Großen Jugendkammer vom 14. August 2014 mit seinen Feststellungen auf, sofern es diesen betraf. Die Sache wurde zur Neuverhandlung an eine andere große Strafkammer des LG Aachen zurückverwiesen.
7In der neuen Hauptverhandlung vor der 6. Großen Strafkammer konnte der Anklagevorwurf aus tatsächlichen Gründen nicht bestätigt werden. Der Angeklagte war deshalb entsprechend den übereinstimmenden Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung freizusprechen.
8II.
9Der 36 Jahre alte Angeklagte wurde am 31. Mai 1980 in der Stadt Fier in Albanien geboren und ist albanischer Staatsangehöriger. Sein Vater war Offizier und ist im Sommer 2012 verstorben. Seine Mutter ist Hausfrau. Sie lebt in einer ihr gehörenden Immobilie und finanziert ihren Lebensunterhalt dadurch, dass sie für andere Personen den Haushalt führt. Der Angeklagte hat noch einen 31 Jahre alten, jüngeren Bruder. Nach der Volksschule besuchte der Angeklagte noch zwei Jahre eine Landwirtschaftsschule. Nachdem er eine Zeitlang in der Landwirtschaft gearbeitet hatte, eröffneten der Angeklagte und sein Bruder in ihrer Heimatstadt Fier ein Handygeschäft, welches bis heute besteht und von beiden betrieben wird. Dort veräußern und reparieren sie Mobilfunkgeräte, Computer und Drucker. Nach seinen Angaben wirft das Geschäft im Monat einen Gewinn von ca. 1.500 Euro ab.
10Der Angeklagte ist seit dem Jahr 2010 verheiratet. Mit seiner Ehefrau hat er 3 gemeinsame Kinder: Die Tochter ist fünfeinhalb Jahre, der ältere Sohn 4 Jahre und der jüngere Sohn 7 Monate alt. Er lebt mit seiner Familie in derselben Immobilie seiner Mutter.
11Von ernsthaften Erkrankungen ist der Angeklagte, der keine Drogen konsumiert, bislang verschont geblieben. Größere Schulden sind bei ihm nicht vorhanden.
12In strafrechtlicher Hinsicht ist die Angeklagte ausweislich des Auszugs aus dem BZR vom 25. Januar 2016 in Deutschland bislang nicht in Erscheinung getreten.
13In vorliegender Sache wurde der Angeklagte am 24. Oktober 2013 vorläufig festgenommen und befand sich bis zum 14. August 2014 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Aachen vom 25. Oktober 2013 (622 Gs #####/####a) seit diesem Tag in Untersuchungshaft in der JVA Aachen. Am 14. August 2014 hob die 6. Große Jugendkammer des Landgerichts Aachen den vorgenannten Haftbefehl auf.
14III.
15Folgender Sachverhalt konnte festgestellt werden:
16Der frühere Mitangeklagte X, ein weitläufiger Verwandter des Angeklagten, befand sich seit Januar 2011 in Köln in Untersuchungshaft. Er wurde angeklagt, den Albaner Oliver Imeraij getötet zu haben. Von diesem Vorwurf wurde er durch Urteil des Landgerichts Köln vom 11. November 2011 rechtskräftig freigesprochen und aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Familie Imeraij erachtete den X allerdings trotz des rechtskräftigen Freispruchs für den Mörder ihres Verwandten und rief gegen diesen die in weiten Teilen Albaniens noch praktizierte Blutrache, den „Kanun“, aus. Um dieser Blutrache zu entgehen, hielt sich der X nach seiner Haftentlassung zunächst in verschiedenen europäischen Ländern bei Landsleuten auf. Im Juni 2012 kehrte er nach Albanien zurück, bevor er sich im Februar 2013 dazu entschloss, Albanien endgültig zu verlassen und nach Deutschland zu gehen. Als Ziel wählte er Aachen aus, weil sein Bruder XXXX damals dort in der JVA einsaß. Ende März 2013 mietete der X in Aachen eine im 2. Obergeschoss des Hauses C-Weg, also unmittelbar gegenüber des Justizzentrums, gelegene Wohnung an. Um jedoch – die Blutrache war nicht aufgehoben worden – nicht in Aachen alleine sein zu müssen, baten er bzw. seine Familie den Angeklagten, ebenfalls nach Deutschland zu reisen und diesem dort zur Seite zu stehen. Zu diesem Zweck reiste der Angeklagte am 13. März 2013 über Wien nach Deutschland ein und lebte anschließend zusammen mit X in der fraglichen Wohnung am C-Weg.
17Am 1. Mai 2013 wurde der X in Rotterdam festgenommen und am 30. Juli 2013 aus den Niederlanden nach Albanien abgeschoben. Am 13. Oktober 2013 kehrte der X dann nach Aachen in die Wohnung am C-Weg zurück.
18Der Angeklagte blieb nach der Festnahme des X in Aachen. Am 13. Juni 2013 reiste er vorübergehend nach Albanien zurück, um dann am 29. Juni 2013 über Wien wieder nach Aachen zurück zu kehren. Am 5. September 2013 reiste er über Wien erneut nach Albanien, bevor er am 4. Oktober 2013 über Wien wieder nach Aachen zurückkehrte.
19Am Morgen des 24. Oktober 2013 kam es dann aufgrund eines entsprechenden Beschlusses des AG Aachen vom 2. Oktober 2013 – 622 Gs #####/#### b – zu einer Durchsuchung der fraglichen Wohnung im C-Weg in Aachen. Ausweislich des Beschlussinhaltes diente die Durchsuchung dem Auffinden von Betäubungsmitteln, Betäubungsmittelutensilien, Aufzeichnungen über Betäubungsmittelgeschäfte usw. Als Beschuldigte waren in dem Durchsuchungsbeschluss unter anderem der X und der Angeklagte bezeichnet. Zunächst drangen gegen 8.00 Uhr polizeiliche Spezialkräfte in die Wohnung ein und nahmen alle dort angetroffenen Personen in Gewahrsam. Dabei wurden in der insgesamt unterwohnt wirkenden Wohnung, die aus einem Flur, einer provisorisch eingerichteten Küche, einem Badezimmer, einem Wohnzimmer sowie zwei weiteren Räumen bestand, in einem Raum X und der frühere Mitangeklagte XX sowie in einem zweiten Raum der Angeklagte, der frühere Mitangeklagte Zagrace und ein Herr S, jeweils auf Matratzen auf dem Fußboden schlafend, angetroffen. Die Polizeibeamten platzierten sich so, dass alle 5 Personen auf den Matratzen verblieben. Ab 8.10 Uhr wurde die Wohnung dann von Beamten des Zollfahndungsamtes Essen unter Leitung des Zeugen H durchsucht. In dem Raum, in welchem unter anderen der Angeklagte angetroffen wurde, stand ein großer Kleiderschrank mit 7 Türen und 4 Abteilen. Der Zeuge H und seine Kollegen fragten nach den Ausweisen der Angetroffenen und versuchten zu erfragen, wer den beschriebenen Kleiderschrank nutzt. Da die angetroffenen Personen, sämtlich Albaner, kein Deutsch verstanden und ein Dolmetscher nicht vorhanden war, verständigte man sich “mit Händen und Füßen“, wie es der Zeuge H beschrieben hat. Vielleicht auf die Frage nach dem Ausweis, vielleicht auf die Frage nach der Schranknutzung zeigte der Angeklagte ohne verbale Erläuterung auf die äußere rechte Tür des fraglichen Kleiderschranks, welcher im übrigen an keiner Stelle abgeschlossen war. Anschließend wurden die fünf in der Wohnung angetroffenen Männer zur weiteren Vernehmung auf die Dienststelle der Bundespolizei transportiert. Erst danach begann die eigentliche Durchsuchung der Wohnung. Nach Öffnen der besagten rechten äußeren – unverschlossenen – Schranktür fanden die Zollbeamten in dem Teil des Schrankes, auf welchen der Angeklagte gezeigt hatte, dessen albanischen Personalausweis sowie 10 Kokain-Briefchen mit insgesamt 8,69 Gramm Kokain und einem Wirkstoffgehalt von 7,18 Gramm Kokainhydrochlorid. Außerdem lagen dort ein Mobiltelefon und eine Plastikkarte der Firma P, aus welcher offensichtlich eine SIM-Karte herausgetrennt worden war. Die konkrete Auffindesituation konnte mangels hinreichender Dokumentation nicht mehr rekonstruiert werden. In dem Futter eines Koffers, welcher auf dem fraglichen Schrank lag, wurde ein Beutel gefunden, in dem sich insgesamt 194,0 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 159,8 Gramm Kokainhydrochlorid befanden. Unter dem Schrank war in einer Umverpackung noch ein weiterer Kunststoffbeutel eingeklemmt, in dem sich 7,94 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 6,5 Gramm Kokainhydrochlorid befanden. Auf einem Sideboard im Wohnzimmer wurden in einer Zigarettenschachtel neben 3 Zigaretten auch zwei Briefchen mit 1,27 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 1,06 Gramm Kokainhydrochlorid sichergestellt. In dem gleichen Sideboard konnten auch zwei Feinwaagen sowie F-Weg gefunden werden. In der Dunstabzugshaube in der Küche wurde eine Platte mit etwa 500 Gramm Cannabisharz sowie ein weiterer Brocken mit ca. 56 Gramm Cannabisharz entdeckt. Auf einem Regal im Flur lag hinter mehreren Behältnissen eine grüne Plastiktüte, in der sich insgesamt ca. 200g Cannabisharz befanden. Weiterhin wurde auf dem Regal im Flur eine weitere Feinwaage entdeckt. Bei der Durchsuchung der Wohnung wurden damit insgesamt 211,9 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 174,48 Gramm Kokain-Hydrochlorid sowie 755,2 Gramm Cannabisharz mit einem Wirkstoffgehalt von 19,7 Gramm Tetrahydrocannabinol sichergestellt.
20Da der Angeklagte und die anderen angetroffenen Personen zum Auffindezeitpunkt nicht mehr in der Wohnung waren, konnten sie nicht zu den jeweiligen Funden vor Ort befragt werden.
21Die in der Wohnung aufgefundenen Drogen waren sämtlich von dem X kurz nach seiner Rückkehr aus Albanien am 13. Oktober 2013 für insgesamt 10.000 € von einem namentlich nicht ermittelten Bekannten erworben worden und dienten dem gewinnbringenden Weiterverkauf, wobei er erhoffte, einen Gewinn von etwa 2.000 € zu erzielen. Der Angeklagte wusste zwar, dass der X die vorbezeichneten Drogen gekauft hatte und in der Wohnung lagerte. Er hat sich aber in keiner Weise aktiv oder sonstwie unterstützend an den Drogengeschäften des X beteiligt.
22Auf verschiedenen Gegenständen, die bei der Durchsuchung sicher gestellt werden konnten, wurden daktyloskopische und DNA-Spuren gefunden. Auf insgesamt einer vorgefundenen Verpackung von Betäubungsmitteln konnten Fingerabdrücke des Angeklagten nachgewiesen werden.
23IV.
241.
25Der Angeklagte hat sich mittels einer von ihm als zutreffend bestätigten schriftlichen Verteidigererklärung bzw. auf Nachfragen ergänzender mündlicher Angaben wie folgt eingelassen:
26Er sei auf Bitten des X und dessen Familie nach Deutschland gekommen, um diesem, gegen welchen die Blutrache des „Kanun“ ausgerufen worden sei, dort zur Seite zu stehen. Er habe dann mit X in der Wohnung im C-Weg zusammen gewohnt. Als X im Mai 2013 nicht aus den Niederlanden zurückgekommen sei, habe er den Grund hierfür nicht zunächst gekannt. Später habe er dann erfahren, dass X verhaftet worden sei. Dessen Familie habe ihn aber gebeten, sich weiterhin um dessen Wohnung zu kümmern, damit X diese nicht verliere. Zu diesem Zweck habe er aus Albanien Geld erhalten. Er habe dann in der Folgezeit quasi „Urlaub“ in Aachen gemacht. Die Zeit habe er genutzt, um neben dem in Aachen inhaftierten XXXX, den er noch aus Kindheitstagen kenne, verschiedene andere Bekannte in Köln zu besuchen. Zwischendurch sei er auch zweimal nach Albanien und zurück nach Aachen gefahren, weil ansonsten sein Visum abgelaufen wäre. Als X nach Albanien abgeschoben worden sei, habe er zwar noch die Wohnung in Aachen bezahlt, aber sich selbst überwiegend in Köln aufgehalten. Dort habe er Kontakte geknüpft, um günstig gebrauchte Mobilfunkgeräte für sein Geschäft in Albanien zu kaufen. Er sei dann im September 2013 nach Albanien zurückgekehrt, weil er davon ausgegangen sei, dass X jetzt dauerhaft in Albanien bleiben werde. Im Oktober 2013 sei er nur deshalb wieder nach Deutschland gekommen, weil ihn die Verwandten nochmals gebeten hätten, zumindest die Wohnung für den X zu halten, weil dieser jetzt doch wieder nach Deutschland kommen und in der Wohnung bleiben sollte. Als X dann tatsächlich nach Deutschland zurückgekehrt sei, sei er quasi von seiner „Aufgabe“ entbunden gewesen und habe seine Rückkehr nach Albanien vorbereitet. Primär habe er sich wegen seiner Mobilfunkgeschäfte in Köln aufgehalten. X habe ihm zwar gesagt, dass er in ein Drogengeschäft einsteigen wolle und hierfür Kokain gekauft habe, er habe diesem aber daraufhin entgegnet, dass er davon nichts halte und dies sicherlich nicht im Sinne seiner Familie sei. Er habe dann später durch X davon erfahren, dass tatsächlich Kokain in der fraglichen Wohnung deponiert worden sei, mit dessen Verkauf habe er aber nichts zu tun gehabt. Es sei möglich, dass er einmal eine Betäubungsmittelverpackung angefasst habe. Die in dem besagten Schrankfach gefundenen Kokain-Briefchen hätten ihm nicht gehört und seien auch nicht von ihm dort gelagert worden. Eine feste Zuordnung der einzelnen Schrankabtrennungen sei ohnehin nicht getroffen worden. Dass er am Tag der Durchsuchung nochmals in der Wohnung in Aachen geschlafen habe, sei nur Zufall gewesen.
272.
28Die Kammer wollte den früheren Mitangeklagten X als Zeugen vernehmen. Es ließ sich allerdings keine ladungsfähige Anschrift von ihm ermitteln. Deshalb hat die Kammer zur Aufklärung dessen damaliger Einlassung Richter am Landgericht C als Zeugen vernommen, welcher im damaligen Verfahren vor der 6. Großen Jugendkammer des Landgerichts Aachen als beisitzender Richter mitgewirkt hatte.
29Der Zeuge C hat bekundet, dass der X den von ihm betriebenen Kokainhandel in der Hauptverhandlung eingeräumt habe. Dieser habe zugegeben, die am 24. Oktober 2013 aufgefundenen Betäubungsmittel selbst gekauft und selbst in der von ihm angemieteten Wohnung deponiert zu haben. Sein, Xs, Plan sei es gewesen, die Drogen für sich allein gewinnbringend weiterzuveräußern. X habe sich weiter dahin eingelassen, dass er dem hiesigen Angeklagten die von ihm in der Wohnung deponierten Betäubungsmittel gezeigt habe. Dieser habe also von seinen, Xs, Plänen gewusst. Ansonsten sei, so der Zeuge C, Xs Einlassung dahin gegangen, dass der hiesige Angeklagte über das bloße Wissen hinaus mit dessen Drogengeschäften nichts zu tun gehabt habe. Sämtliches in der Wohnung gefundene Bargeld sei nach der Einlassung sein, Xs, Eigentum gewesen.
30Der Zeuge C hat weiter bekundet, dass die übrigen Mitangeklagten im damaligen Verfahren keine Angaben zu einer Tatbeteiligung des hiesigen Angeklagten gemacht hätten.
313.
32Desweiteren hat die Kammer H vom Zollfahndungsamt Essen als Zeugen vernommen. Dieser hatte die Durchsuchung der Wohnung des X am 24. Oktober 2013 geleitet. Der Zeuge H hat den Gang der Durchsuchung und deren Ergebnisse so geschildert, wie es oben unter III. wiedergegeben worden ist. Insbesondere hat er glaubhaft bekundet, dass eine sprachliche Kommunikation mit den fünf in der Wohnung angetroffenen Männern nicht möglich gewesen sei, da diese offenkundig die deutsche Sprache nicht beherrschten und andererseits sie, die Zollbeamten, zum damaligen Zeitpunkt über keinen Dolmetscher verfügten. Deshalb habe man sich lediglich „mit Händen und Füßen“ verständigen können. Sie hätten nach den Ausweisen der fünf Männer sowie danach gefragt, wer welchen Bereich des fraglichen Kleiderschrankes für sich nutze. In diesem Zusammenhang habe der hiesige Angeklagte auf die äußere rechte Hälfte des besagten Kleiderschrankes mit 7 Türen und 4 Abteilen gezeigt und damit aus seiner, des Zeugen, Sicht zu erkennen gegeben, dass es sich hierbei um den von ihm genutzten Schrankbereich gehandelt habe. Erst nach dem Abtransport der fünf Männer durch die Bundespolizei habe die eigentliche Durchsuchung der Wohnung und damit auch des fraglichen, im Übrigen an keiner Stelle verschlossenen Kleiderschrankes begonnen, bei welcher dann in der fraglichen äußeren rechten Schrankhälfte der albanische Personalausweis des hiesigen Angeklagten, 10 Kokainbriefchen, ein Mobiltelefon sowie eine Plastikkarte, aus welcher offensichtlich eine SIM-Karte heraus getrennt worden sei, gefunden worden seien. Es sei versäumt worden, die konkrete Auffindesituation zu dokumentieren. Anhand der vorliegenden Unterlagen könne er nicht mehr nachvollziehen, wie und in welchem konkreten Bereich des fraglichen Schrankes die aufgefundenen Gegenstände gelegen hätten. Der Angeklagte habe mit dem Fund auf der von ihm nonverbal als die seinige bezeichneten Schrankseite nicht mehr konfrontiert werden können, da er ja zu diesem Zeitpunkt bereits zur Vernehmung abtransportiert gewesen sei.
334.
34Bei einer Gesamtwürdigung dieses Beweisergebnisses lässt sich zunächst überhaupt nicht feststellen, dass der Angeklagte, wie ursprünglich angeklagt, täterschaftlich mit Betäubungsmitteln gehandelt hat. Hierfür fehlt es an jeglicher Anknüpfungstatsache. Zu diskutieren ist lediglich, wie dies auch schon die 6. Große Jugendkammer in dem insoweit aufgehobenen Urteil getan hat, eine Beihilfehandlung zu den Drogengeschäften des X. Aber auch eine solche lässt sich anhand des Beweisergebnisses nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen. Gesichert ist lediglich, dass der Angeklagte von den Drogengeschäften seines Verwandten X wusste. Dass er in irgendeiner Weise aktiv oder passiv fördernd daran beteiligt war, lässt sich überhaupt nicht feststellen. Der Umstand, dass sich in dem von ihm genutzten Teil des fraglichen Kleiderschrankes Betäubungsmittel befanden, stellt jedenfalls kein insoweit hinreichendes Indiz dar. Denn zum einen war der fragliche Schrank an keiner Stelle abgeschlossen, so dass jeder der fünf Männer, welche sich damals in der fraglichen Wohnung aufhielten, dazu faktisch Zugang hatte. Desweiteren hat sich der X, wie von dem Zeugen C glaubhaft bekundet, in der damaligen Hauptverhandlung vor der 6. großen Jugendkammer selbst dazu bekannt, die Betäubungsmittel in der gesamten von ihm angemieteten Wohnung und damit auch in dem besagten Teil des Kleiderschrankes deponiert zu haben. Es ist kein Grund zu erkennen, weshalb der X sich damals als Angeklagter in seinem eigenen Verfahren insoweit zu Unrecht belastet haben soll. Damit gibt es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine plausible und keineswegs lebensfremde Erklärung, wie die Betäubungsmittel in den fraglichen Kleiderschrank gelangt sind. Diese korrespondiert wiederum mit der Einlassung des Angeklagten, dass er sich in keiner Weise in die Drogengeschäfte des X eingebracht habe. Schließlich ist noch zu sehen, dass es unaufgeklärt geblieben ist, was der Angeklagte eigentlich mit seiner Geste, gegenüber dem Zeugen H und seinen Kollegen auf die äußere rechte Hälfte des besagten Kleiderschrank zu zeigen, zum Ausdruck bringen wollte, da er ja, wie der Zeuge glaubhaft ausgesagt hat, mit diesem überhaupt nicht sprachlich kommunizieren konnte. Es bleibt daher offen, was der Angeklagte eigentlich damals verstanden hat. Aber selbst wenn er die Frage verstanden hätte, welcher Teil des besagten Kleiderschrankes ihm zuzurechnen sei, dann ergibt sich aus seiner nonverbalen Antwort hierauf keineswegs, dass er sich damit in irgendeiner Weise zu den dort gelagerten Betäubungsmitteln bekannt hat. Denn der Bundesgerichtshof hat in seinem Revisionsbeschluss vom 9. Juli 2015 zutreffend darauf hingewiesen, dass es zweifelhaft ist, ob es einen Erfahrungssatz dahin gibt, dass in einer Wohnung vorhandene Schrankfächer stets den einzelnen Nutzern einer Wohnung fest zugeteilt werden. Diesen Zweifeln des Bundesgerichtshofes kann nur beigetreten werden. Überdies lassen sich aus der konkreten Auffindesituation hierzu keine gegenteiligen Schlussfolgerungen ziehen, da diese, wie der Zeuge H glaubhaft bekundet hat, nicht mehr rekonstruiert werden kann und daher – was nicht zulasten des Angeklagten gehen kann – unbekannt bleibt.
35Insgesamt konnte deshalb die Einlassung des Angeklagten nicht widerlegt werden.
36Deshalb war er entsprechend den übereinstimmenden und überzeugenden Schlussanträgen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft bzw. der Verteidiger freizusprechen.
37V.
38Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO. Die Entscheidung über die Gewährung von Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft folgt aus § 2 Abs. 1 StrEG.
39Dr. R |
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Annotations
(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.
(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.
(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er
- 1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder - 2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.
(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.
(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.
(1) Wer durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt, soweit er freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird oder soweit das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn ablehnt.
(2) Andere Strafverfolgungsmaßnahmen sind
- 1.
die einstweilige Unterbringung und die Unterbringung zur Beobachtung nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Jugendgerichtsgesetzes, - 2.
die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 der Strafprozeßordnung, - 3.
Maßnahmen des Richters, der den Vollzug des Haftbefehls aussetzt (§ 116 der Strafprozeßordnung), - 4.
die Sicherstellung, die Beschlagnahme, der Vermögensarrest nach § 111e der Strafprozeßordnung und die Durchsuchung, soweit die Entschädigung nicht in anderen Gesetzen geregelt ist, - 5.
die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, - 6.
das vorläufige Berufsverbot.
(3) Als Strafverfolgungsmaßnahmen im Sinne dieser Vorschrift gelten die Auslieferungshaft, die vorläufige Auslieferungshaft, die Sicherstellung, die Beschlagnahme und die Durchsuchung, die im Ausland auf Ersuchen einer deutschen Behörde angeordnet worden sind.