Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 30. Sept. 2008 - 5 Sa 110/08

bei uns veröffentlicht am30.09.2008

Tenor

1. Die Berufung wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt in Zarrentin ein großes Logistikzentrum mit rund 60.000 Quadratmeter Lagerfläche, die sich auf zwei Stockwerke (Erdgeschoss und Obergeschoss) verteilen. Sie beschäftigt dort ungefähr 180 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die im Juni 1962 geborene Klägerin war seit Mai 1997 bei der Beklagten aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Blatt 3 ff. der Akte) zuletzt als Kommissioniererin zu einer monatlichen Bruttovergütung von EUR 1.730,00 beschäftigt.

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Die Arbeitnehmer der Beklagten hatten bis zu dem hier streitigen Vorfall die Möglichkeit, unverkäufliche Ware stark verbilligt zu erwerben. Ausgangspunkt dieser von der Belegschaft intensiv genutzten Möglichkeit ist der Umstand, dass die von dem Logistikzentrum belieferten Filialen keine eigenen Entsorgungsmöglichkeiten haben. Dort ausgesonderte Ware kommt mit den LKW zusammen mit anderen Gegenständen aus den Filialen zurück in das Logistikzentrum. Die rückläufigen Gegenstände werden nicht sofort in die auf dem Hof bzw. an der Rampe zur Verfügung stehen Abfallcontainer (Abfallpressen) verbracht, sondern sie werden auf Paletten, Gitterboxen oder anderen Transportmitteln in einem etwa 1.500 Quadratmeter großen Bereich im Erdgeschoss der Halle in der Nähe der Abfallcontainer und -pressen zwischengelagert.

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Die Mitarbeiter haben die Möglichkeit, noch brauchbare Ware oder andere Gegenstände aus diesem Zwischenlager stark verbilligt zu erwerben. Dazu gibt es relativ aufwendige Regeln.

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Hat ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin dort einen Gegenstand entdeckt, den sie erwerben will, muss sie sich zunächst einen Freigabeschein ausstellen lassen. Damit soll dokumentiert werden, dass es sich um ausgesonderte Ware handelt. Es gibt etwa 5 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus der QS-Abteilung, die eine solche Freigabe bescheinigen dürfen. Für die Freigabe gibt es im Betrieb der Beklagten eigens Formulare. Der oder die interessierte Mitarbeiterin soll nun den gewünschten Gegenstand zusammen mit dem Freigabebeleg in einen gesonderten Raum im Bürotrakt des Zentrums verbringen und dort zwischenlagern. Jeden Freitag werden dann innerhalb einer festgelegten Zeit von etwa einer Stunde in diesem Raum die Erwerbsgeschäfte abgewickelt. Die Mitarbeiter kommen dann dorthin, nehmen ihre zwischengelagerten Gegenstände, stellen diese einem Mitarbeiter der Beklagten vor, der den Preis dafür frei festsetzt. Nach Bezahlung können dann die Gegenstände mitgenommen werden.

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In der betrieblichen Praxis soll es nach Auskunft der Klägerin dazu gekommen sein, dass einige Kollegen von den im "Verkaufsraum" für den Erwerb am Freitag zwischengelagerten Gegenständen die Freigabebelege entfernt haben, um die Ware dann nach abermaliger Erteilung einer Freigabe auf ihren Namen für den eigenen Erwerb zu reservieren. Aus Angst vor einem solchen unkollegialen Verhalten haben Mitarbeiter immer wieder die zum späteren Erwerb im Rahmen des Freitagsverkaufs vorgesehenen Gegenstände am eigenen Arbeitsplatz versteckt und zwischengelagert, was man im Betrieb der Beklagten "Nester bauen" nannte. Freitags ist man dann mit den Gegenständen zunächst an die Rampe zur Freigabe gegangen und dann in den Verkaufsraum, wo sie dem zuständigen Mitarbeiter vorgelegt und nach Bezahlung erworben wurden.

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Der Klägerin wird im Rahmen der Kündigung vorgeworfen, sie habe dieses Erwerbssystem missbraucht und durch Täuschung der beteiligten Mitarbeiter der Beklagten einen Gegenstand erworben, der nicht ausgesondert war. Um den damit verbundenen Erwerbsvorgang zu verstehen, muss man zunächst noch einen Blick auf den Internetverkaufsbereich der Beklagten im ersten Stock des Gebäudes werfen.

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Die Beklagte ist seit 2007 dabei, sich über den Direktverkauf an Endkunden über das Internet für kleinteilige Waren eine neue Vertriebsschiene aufzubauen. Dieses Internetgeschäft wird über den sogenannten "Käfig" abgewickelt. Dabei handelt es sich um einen größeren eingezäunten Lagerbereich im Obergeschoss, in dem die kleinteilige Ware des Zentrums in Regalen und auf Paletten gelagert wird und wo auch ein PC-Arbeitsplatz eingerichtet ist. Der "Käfig" kann über zwei Tore betreten werden, die jeweils an den entgegengesetzten Seiten dieses Lagerbereichs angebracht sind und die normalerweise verschlossen sein sollten. Schlüssel für diesen Bereich besitzen rund 10 Mitarbeiter, von denen 5 das Internetgeschäft abwickeln. Die Klägerin besaß einen Schlüssel für den Käfig, war aber nicht mit Aufgaben im Rahmen des Handels über das Internet eingesetzt.

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Die rückläufige Ware aus dem Internetgeschäft gelangt ebenfalls wieder in den Käfig. Nach Prüfung durch die zuständigen Mitarbeiter wird die rückläufige Ware entweder als Müll ausgesondert, oder sie wird, wenn sie noch in Ordnung ist, zum abermaligen Verlauf bei den anderen Stücken der betroffenen Ware im "Käfig" eingelagert. Die im "Käfig" ausgesonderte Ware kommt dann ebenfalls in den Entsorgungsbereich an der Rampe im Erdgeschoss und könnte dann dort von den Mitarbeitern erworben werden. Da die aus dem Versandgeschäft rückläufigen Waren nicht immer zeitnah bewertet und dann eingelagert oder ausgesondert werden, gibt es im "Käfig" allerdings auch eine Zone mit Retourpaletten, die aufgrund ihrer Unordnung und der Staubablagerungen äußerlich große Ähnlichkeiten mit dem Entsorgungsbereich unten an der Rampe aufweist, wo die rückläufige Ware aus den Filialen bis zur Entsorgung zwischengelagert wird (vgl. die Fotos Blatt 318 der Akte).

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Am 14.06.2007 bearbeitete der Mitarbeiter L. im Internetbereich lagernde Retouren und stellte fest, dass dort vier Kartons mit Blumenampeln, bestehend aus einer Metallwandhalterung, einer Metalltopfhalterung und einem Terrakottatopf, vorhanden waren, die zum nochmaligen Verkauf eingelagert werden sollten. Am folgenden Tag fiel ihm auf, dass von den vier Kartons einer fehlte. Er meldete dies seinem Vorgesetzten Herrn B.. Der Verbleib des Kartons konnte bis heute nicht festgestellt werden.

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Am 15.06.2007 erwarb die Klägerin im Rahmen des Freitagsverkaufs eine solche Blumenampel bestehend aus Metallkorb, Metallhalterung und dazu gehörigem Terrakottatopf ohne Verpackung. Hierzu begab sie sich kurz nach 13.00 Uhr zu dem Bereich, in welchem der Mitarbeiter Herr S. den Personaleinkauf leitete. Dieser nahm die von der Klägerin vorgelegte Ware, unter anderem auch die fragliche Blumenampel in Augenschein und schrieb für die Ampel und weitere Dinge eine Rechnung über insgesamt EUR 5,00 (Blatt 91 der Akte). Die Klägerin zahlte die Summe und verbrachte die gekaufte Ware in ihren PKW.

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Nachdem Herr B. von dem fehlenden Karton einer Blumenampel erfahren und die Klägerin eben eine derartige Ampel erworben hatte, führten die Mitarbeiter E. und K. am 15.06.2007 um 14.30 Uhr ein Gespräch mit der Klägerin und baten um Aufklärung des Sachverhaltes. Von diesem Gespräch gibt es ein Protokoll (Blatt 67 der Akte). Nach dem Protokoll wies die Klägerin zum einen auf die Unvollständigkeit der Ampel hin. Sie musste allerdings die Frage, ob jemand gesehen habe, wie sie die Ampel aus dem Müll genommen habe, verneinen. Auf die Bitte, sich die Ampel im klägerischen Fahrzeug ansehen zu dürfen, teilte die Klägerin mit, sie habe die Ware bereits nach Hause gebracht. Dem Vorhaben, zur Klägerin nach Hause zu fahren, stimmte die Klägerin zunächst zu, ging zum Lager, um ihren Schlüssel zu holen. Sie kam zurück und zog ihre Einwilligung zur Fahrt nach Hause zurück.

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Nachdem die Mitarbeiter K. und D. auf dem Firmenparkplatz im Fahrzeug der Klägerin Waren gesehen hatten, informierte der Mitarbeiter K. hierüber den Mitarbeiter E.. Dieser führte daraufhin in Anwesenheit der Mitarbeiter S. und R. nochmals ein Gespräch mit der Klägerin. Hierüber besteht ebenfalls ein Gesprächsprotokoll (Blatt 68 ff. der Akte). Der Klägerin wurde vorgehalten, dass die Ware sich noch in ihrem PKW befinde. Die Klägerin erklärte sich daraufhin bereit, die im PKW befindliche Ware zu zeigen. Sie äußerte, dass es komplett sein würde, da sie das Terrakotta-Teil aus dem Karton aus dem Internetbereich im Käfig entnommen habe. Die Klägerin händigte den Mitarbeitern der Beklagten die Blumenampel aus und fragte, was sie tun könne, um alles rückgängig zu machen. Sie wurde nach Hause geschickt und für den Montag um 09.30 Uhr zu einem Gespräch gebeten.

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Nach dem über diese am 18.06.2007 im Zeitraum 09.30 Uhr bis 09.45 Uhr geführte Unterredung erstellten Protokoll (Blatt 70 ff. der Akte) schilderte die Klägerin, dass sie am Montag oder Dienstag das Metallteil in einer blauen Box im Erdgeschoss in dem Bereich bei den Abfallcontainern und -pressen gefunden habe. Der Topf sei kaputt gewesen. Sie habe das Teil am Freitag kaufen wollen. Am Mittwoch habe sie oben im Käfig in einem beschädigten Karton den dazu gehörigen Topf gesehen und herausgenommen. Sie habe beides an ihren Arbeitsplatz verbracht. Am Donnerstag sei sie zu dem Mitarbeiter B2 gegangen und habe sich den Beleg von ihm unterschreiben lassen. Anschließend habe sie die Ware zu dem für den Personalverkauf vorgesehenen Platz gebracht und am Freitag gekauft. Bei dem mit der Klägerin geführten Gespräch war das Betriebsratsmitglied W. anwesend und hat unter das Protokoll handschriftlich notiert: "Beim Durchlesen des Protokolls habe ich festgestellt, dass dieses hinsichtlich der Aussagen der Mitarbeiterin ... nicht vollständig sind."

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Die Klägerin war anschließend vom 18.06.2007 bis zum 30.09.2007 arbeitsunfähig erkrankt.

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Mit Schreiben vom 25.06.2007 (Blatt 75 ff. der Akte, es wird Bezug genommen) unterrichtete die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat über die Absicht, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich und fristlos zum 29.06.2007 zu kündigen mit der Begründung, die Klägerin habe im Rahmen des "Verkaufs beschädigter Ware" das Vorhandensein einer beschädigten Ware vorgetäuscht. Der Betriebsrat stimmte der - inzwischen rechtskräftig für unwirksam erklärten - außerordentlichen Kündigung nicht zu, verwies auf die bisherige lange anstandslose Zusammenarbeit mit der Klägerin, auf die Notwendigkeit einer vorherigen Abmahnung und eine fehlende Wiederholungsgefahr.

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Mit der Klägerin am 29.06.2007 zugegangenem Schreiben vom 29.06.2007 (Blatt 9 der Akte) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos zum 29.06.2007. Mit ihrer am 06.07.2007 beim Arbeitsgericht Schwerin eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen diese fristlose Kündigung gewandt.

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Die Beklagte hat sich dann noch entschieden, hilfsweise eine ordentliche fristgemäße Kündigung auszusprechen und informierte ihren Betriebsrat hierüber mit Schreiben vom 16.07.2007 (Blatt 193 - 198, es wird Bezug genommen). Der Betriebsrat erteilte zu dieser Kündigung seine Zustimmung. Mit Schreiben vom 30.07.2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien hilfsweise wegen des Vorfalls, der schon zur Begründung der außerordentlichen Kündigung herangezogen wurde, zum 30.11.2007. Mit Klageerweiterung vom 03.08.2007 hat sich die Klägerin auch gegen diese Kündigung gewandt und die Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen beantragt.

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Die Klägerin wurde nach ihrer Arbeitsunfähigkeit von der Beklagten aufgrund eines schriftlichen Vertrages über eine Weiterbeschäftigung während des Rechtsstreits wieder als Kommissioniererin eingesetzt, allerdings nicht im vormaligen Tätigkeitsbereich, sondern in der sogenannten Textilkommissionierung. Die Beschäftigung dauerte zum Zeitpunkt des Kammerverhandlungstermins vor dem Landesarbeitsgericht noch an.

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Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 10. Januar 2008 der Kündigungsschutzklage wegen der außerordentlichen Kündigung stattgegeben, die Klage wegen der ordentlichen Kündigung jedoch abgewiesen. Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

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Das Urteil ist der Klägerin am 20. März 2008 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete klägerische Berufung vom 3. April 2008 ist hier am 4. April 2008 eingegangen und sodann mit Schriftsatz vom 9. Mai 2008, Gerichtseingang am 13. Mai 2008 begründet worden. Die Beklagte hat trotz ihres teilweisen Unterliegens kein Rechtsmittel gegen das arbeitsgerichtliche Urteil eingelegt.

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Die Klägerin begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 30. Juli 2007. Sie meint, auch diese Kündigung sei unwirksam.

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Die Klägerin behauptet, zum Personaleinkauf würden die Mitarbeiter der Beklagten nicht nur Artikel aus den Gitterboxen im Entsorgungsbereich an der Rampe nehmen, sondern auch im Obergeschoss im Käfig gebe es Waren, die zur Entsorgung anstehen und daher für den Mitarbeitereinkauf zur Verfügung stünden. Zahlreiche Mitarbeiter, von denen die Klägerin fünf namentlich und nach der dort in Besitz genommenen Ware aufführt, hätten sich bereits von den Retourenpaletten aus dem Käfig Waren genommen und sie anschließend im Rahmen des Mitarbeiterverkaufs offiziell erworben.

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Die Klägerin trägt vor, Anfang der 24. KW, am Montag oder Dienstag habe sie in einer blauen Gitterbox im Entsorgungsbereich im Erdgeschoss einen stark eingedrückten Karton, auf dem eine Blumenampel abgebildet war, gesehen, ihn geöffnet und das unversehrte Metallgestell mit beschädigtem Terrakottatopf vorgefunden. Sie habe das Metallgestell zusammen mit anderen dort aufgefundenen Waren für den Personaleinkauf bei sich gelagert. Am Mittwoch, den 13.06.2007 habe sie im Bereich des Käfigs im Obergeschoss einen Karton mit Glasteilen vorgefunden, von denen sie annahm, dass diese hätten entsorgt werden sollen. Ein weiterer Mitarbeiter habe bereits ebenfalls einen derartigen Karton an sich genommen gehabt und sie darauf hingewiesen, dass sich diese Glasteile sehr gut dazu eigneten, ein Windlicht darin brennen zu lassen.

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Auf der entsprechenden Palette hätten sich auch Kartons mit den fraglichen Blumenampeln befunden, von denen einer eingebeult gewesen sei. Da sich auf dieser Palette diverse Sachen durcheinander befunden hätten und die Umverpackungen teilweise bereits eingebeult gewesen seien, habe sie - so der schriftsätzliche Vortrag - angenommen, dass es sich hierbei um Entsorgungsgut handle. Sie habe einen eingebeulten Karton mit einer Blumenampel herausgezogen und hinein gesehen. Eine Umverpackung sei in dem Karton nicht mehr vorhanden gewesen, sondern die beiden Metallteile und der Terrakottatopf hätten sich ohne Umverpackung im Karton befunden. Sie habe darauf dem Karton den Terrakottatopf entnommen und ihn dann nur noch mit Metallgestell darin wieder zurück auf die Palette gestellt. Sie habe den Topf und die Glasteile zu den anderen Dingen an ihrem Arbeitsplatz zur Lagerung gelegt. Soweit der Mitarbeiter L. am 15.06.2007 bemerkt habe, dass von vier einzulagernden Kartons Blumenampeln einer gefehlt habe, habe sie daher damit nichts zu tun.

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Die Klägerin behauptet weiter, am Abend des 14.06.2007 die von ihr gelagerte Ware in den Bereich verbracht zu haben, wo am nächsten Tag der Mitarbeiterverkauf habe stattfinden sollen. Nach dem Kauf der Ware am 15.06.2007 habe sie beim Einladen der Ware in ihr Fahrzeug bemerkt, dass sie ihr Handy vergessen gehabt habe, sei nach Hause gefahren und habe einige der gekauften Waren in ihre Wohnung verbracht.

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Die Klägerin meint, sie habe die Ware ohne Täuschungshandlung erworben. Im Gespräch mit den Mitarbeitern E. und S. sei sie von dem Mitarbeiter E. unter Druck gesetzt und des Diebstahls an einer Blumenampel bezichtigt worden. Da sie die Ampel ordnungsgemäß käuflich erworben habe, habe sie ihre unter Druck gegebene Einwilligung zur Fahrt nach Hause nach kurzer Bedenkzeit berechtigt verweigert. Nachdem die Mitarbeiter K. und D. auf Weisung des Mitarbeiters E. von außen in ihr Fahrzeug geschaut und die Ware gesehen hätten, habe der Mitarbeiter E. sie abermals unter Druck gesetzt und die Herausgabe der Blumenampel verlangt. Das Gesprächsprotokoll habe sie, da sie unter Schock gestanden habe, nicht unterzeichnen können. Die Schocksituation habe sich am Montag, dem 18.06.2007, fortgesetzt. Das Protokoll über die an diesem Tag geführte Unterredung sei falsch und unvollständig.

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Die Klägerin meint, sie habe weder einen Betrug noch eine Unterschlagung zu Lasten der Beklagten begangen. Vielmehr habe sie durch die Entnahme des Terrakottatopfs aus der bereits beschädigten Verpackung einen Gegenstand an sich genommen, der nicht mehr verkäuflich war und der daher demnächst zur Entsorgung angestanden hätte. Sie hätte damit nur das getan, was die anderen von ihr benannten 5 Mitarbeiter ebenfalls schon getan hätten. Vor dem Hintergrund ihrer mehr als 10-jährigen Betriebszugehörigkeit sei auch die ordentliche Kündigung ohne vorhergehende Abmahnung nicht berechtigt.

29

Die Klägerin vertritt schließlich die Meinung, die Betriebsratsanhörung zur ordnungsgemäßen Kündigung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil das Protokoll über die Anhörung vom 18. Juni 2007 nicht mit dem letzten Blatt vorgelegt worden sei. Die Mitarbeiter des Betriebsrates hätten daher davon ausgehen müssen, dass das Gesprächsprotokoll den wahren Inhalt des Gesprächsverlaufes wiedergebe, was allerdings nicht zutreffe. Dies ergebe sich aus dem dort angebrachten Zusatz der Betriebsrätin W. zur Unvollständigkeit des Protokolls.

30

Das arbeitsgerichtliche Urteil leide an teilweise falschen Feststellungen zu den Örtlichkeiten. Außerdem habe das Arbeitsgericht zu Unrecht aus der klägerischen Ablehnung der Gestattung einer Besichtigung ihrer Wohnung auf ihr schlechtes Gewissen geschlossen.

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Die Klägerin beantragt

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unter teilweiser Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 30.07.2007 zum 30.11.2007 aufgelöst ist.

33

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

35

Die Beklagte schließt sich der Bewertung der ordentlichen Kündigung durch das Arbeitsgericht an.

36

Die Beklagte meint, sie habe zum Erwerb beschädigter Ware klare Regelungen getroffen und diese im Schaukasten auf dem Weg zum Lager ausgehängt. Darüber hinaus seien Mitarbeiter immer wieder darüber belehrt worden.

37

Die Klägerin habe am 15. Juni 2007 im Rahmen des "Verkaufs beschädigter Ware" den Kauf beschädigter Ware vorgetäuscht. Es sei davon auszugehen, dass sie den Inhalt eines der im Internetretourenbereich gelagerten Kartons an sich genommen habe. Sie habe den Mitarbeiter B2 zur Unterschriftsleistung auf dem Freigabebeleg mit dem Hinweis, dass es sich um Müll handele, gebracht. Der Mitarbeiter B2 habe auf ihre Ehrlichkeit vertraut und sei davon ausgegangen, dass sie die Teile aus dem Entsorgungscontainer entnommen habe. Tatsächlich habe die Klägerin jedoch den Terrakottatopf nicht dem Entsorgungscontainer entnommen. Hierüber habe sie den Mitarbeiter B2 getäuscht. Entgegen ihrer Angabe auf dem Freigabebeleg habe es sich nicht um "Ampel-Müll" gehandelt, was der Klägerin auch bewusst gewesen sei.

38

Daraus, dass die Klägerin die Ware entgegen der für den Personaleinkauf bestehenden Regelungen an ihren Arbeitsplatz gelagert habe, lasse sich eine Vorbereitungshandlung für ein Eigentumsdelikt erkennen.

39

Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin den Terrakottatopf einem verbeulten Karton entnommen habe und behauptet, alle im Karton befindlichen Ampeln seien mit einer Umverpackung verpackt gewesen. Aber auch, wenn eine Originalverpackung nicht mehr vorgelegen habe, sei die Klägerin nicht berechtigt gewesen, diese Ware als "Entsorgungsware" auszusortieren. Sie habe sich eigenmächtig aus noch nicht bearbeiteter Retourenware bedient. Auch den Mitarbeiter S. habe sie in den Glauben versetzt, dass der Terrakottatopf aus dem Müll stamme und so den Verkauf bewirkt. Das Fehlverhalten setze bereits da ein, wo die Klägerin sich eigenmächtig an originalverpackter Ware zu schaffen gemacht habe, indem sie einen auf einer Retourenpalette des Internetbereiches stehenden Karton geöffnet habe. Sie habe diese Öffnung ohne Befugnis und Anweisung durchgeführt, die in dem Karton befindlichen Folienverpackungen entfernt und einen heilen Topf entnommen. Dabei habe sie allein anhand der Lagerung der Ware im abgeschlossenen Internetbereich erkennen können, dass es sich um zum Verkauf bestimmte Ware gehandelt habe.

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Die Beklagte trägt vor, ihr Interesse, eine zuverlässige, ehrliche und loyale Mitarbeiterin zu beschäftigen, die ihren Aufgaben gerecht werde und die sich des Vertrauens des Arbeitgebers würdig erweise, habe im Rahmen der Interessenabwägung überwogen. Zwar habe die Klägerin bis zu diesem Vorfall zu den vertrauenswürdigen Personen gezählt, sie habe sich jedoch die ihr zum Internetbereich eröffnete Zugangsmöglichkeit genutzt, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen. Das Vertrauen zur Klägerin sei nachhaltig und irreparabel zerstört. Sie könne es auch gegenüber den übrigen Mitarbeitern nicht darstellen, die Klägerin trotz ihres eklatanten Pflichtenverstoßes weiterhin unverändert zu beschäftigen. Ein Verhalten, wie es die Klägerin an den Tag gelegt habe, müsse vielmehr mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen geahndet werden, da es sonst Gang und Gäbe würde, dass Mitarbeiter Waren an sich nähmen und diese willkürlich komplettierten. Gerade das unredliche und gezielte Vorgehen der Klägerin erfordere den Ausspruch der Kündigung. Dabei komme es auf die Werthaltigkeit der Sache nicht an, denn auch die Entwendung geringwertiger Güter sei an sich als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung geeignet. Eine Abmahnung sei im Hinblick auf das begangene Eigentumsdelikt entbehrlich.

41

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die dem Gegenstand nach ohne Weiteres statthafte klägerische Berufung, die auch im Übrigen keinen Zulässigkeitsbedenken unterliegt, hat in der Sache keinen Erfolg. Trotz der teilweise berechtigten Kritik der Klägerin an den arbeitsgerichtlichen Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten bleibt die vom Arbeitsgericht vorgenommene Bewertung des Vorfalls im Kern zutreffend.

43

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist aufgrund der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 30. Juli 2007 zum 30. November 2007 beendet worden. Diese Kündigung ist rechtswirksam, denn sie ist sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG und sie unterliegt auch keinen weiteren Wirksamkeitsbedenken.

I.

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Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG.

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1. Sozial gerechtfertigt ist eine Kündigung unter anderem dann, wenn sie durch Gründe, die in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Erforderlich ist ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers, durch dass das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, sei es im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit, im personalen Vertrauensbereich oder sonst im Unternehmensbereich. Es genügen hierbei solche im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Umstände, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Dabei ist nicht von dem Standpunkt des jeweiligen Arbeitgebers auszugehen, sondern es ist vielmehr ein objektiver Maßstab anzulegen. Als verhaltensbedingter Kündigungsgrund kommt daher nur ein solcher Umstand in Betracht, der einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung bestimmen kann.

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Das Bundesarbeitsgericht gliedert die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung in zwei Schritte. Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass der in Frage stehende Vorfall "an sich", also seiner allgemeinen Bedeutung nach, geeignet ist, Kündigungen zu rechtfertigen. In einem zweiten Schritt ist dann noch unter Verwertung aller besonderen Umstände des Einzelfalles zu ermitteln, ob der konkrete Vorfall geeignet ist, die Kündigung zu rechtfertigen. Ob dieser zweite Prüfungsschritt - wie das Arbeitsgericht meint - mit der stets notwendigen Interessenabwägung identisch ist, kann hier offen bleiben.

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2. Der anlassgebende Vorfall ist an sich geeignet eine verhaltensbedingte Kündigung zu begründen.

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Bei dieser Feststellung geht das Gericht von den Schilderungen der Klägerin aus. Denn der sehr viel weiter gehende Verdacht der Beklagten, die Klägerin habe sich die komplette Blumenampel aus dem Internetbereich im "Käfig" besorgt und habe nur hinterher die Geschichte erfunden, sie habe einen Teil davon in einer Gitterbox im Erdgeschoss an der Rampe gefunden, ist spekulativ geblieben.

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Die Klägerin hat nach ihrer eigenen Schilderung einen Karton mit der Blumenampel, der sich im Retourenbereich im "Käfig" befand, geöffnet, den Terrakottatopf entnommen und diesen an sich genommen. Dazu war die Klägerin nicht berechtigt, da es sich nicht um ausgesonderte Ware, die zum Mitarbeiterverkauf freigegeben war, gehandelt hat. Wer in einem Warenhandelsgeschäft Waren des Arbeitgebers gegen dessen Willen an sich nimmt, begeht eine schwere Pflichtverletzung, die an sich geeignet ist eine verhaltensbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen.

50

Dies gilt auch dann, wenn der Mitarbeiter sich die Ware nicht direkt aneignet (Unterschlagung oder Diebstahl), sondern er sie - wie hier - zuvor noch im Rahmen des Mitarbeiterverkaufs einem Mitarbeiter des Arbeitgebers zur Preisfestsetzung vorlegt. Denn die Klägerin konnte die rechtswidrig dem Warenbestand entnommene Ware nur deshalb dem Mitarbeiter zur Preisfestsetzung vorlegen, weil sie sich zuvor durch Täuschung eines weiteren Mitarbeiters den Freigabeschein erschlichen hat. Mit dem Freigabeschein soll dokumentiert werden, dass das betreffende Warenstück tatsächlich aus dem Entsorgungsbereich stammt.

51

Die Klägerin hat dem Mitarbeiter nicht offenbart, dass sie den Terrakottatopf einer Palette im Internetbereich entnommen hat. Daher musste er annehmen, die Ware stamme wie vorgesehen aus dem Entsorgungsbereich. Damit hat die Klägerin diesen Mitarbeiter getäuscht. Durch die Täuschung wurde das vom Arbeitgeber eingerichtete Kontrollsystem für den verbilligten Verkauf an Mitarbeiter außer Kraft gesetzt. Erst so war es der Klägerin möglich, den Terrakottatopf endgültig an sich zu nehmen, ohne dass die Rechtswidrigkeit ihrer Handlung sofort auffallen musste.

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3. Die konkreten Verhältnisse im vorliegenden Falle rechtfertigen eine andere Bewertung nicht.

53

a) Aufgrund der Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung durch das Gericht ist davon auszugehen, dass die Klägerin wusste, dass die Palette, auf der sich der Karton mit dem Terrakottatopf befunden hat, nicht gänzlich mit Waren bestückt war, die nicht mehr eingelagert werden sollten, sondern der Entsorgung zugeführt werden sollten. Die Klägerin kannte die Arbeitsabläufe bei der Bearbeitung der Retouren im Internetbereich, sie wusste also, dass ein Mitarbeiter der Beklagten zunächst prüfen musste, ob die Retouren nochmals eingelagert werden können, oder ob sie der Entsorgung zugeführt werden müssen. Der Klägerin war bewusst, das der Karton mit dem Terrakottatopf zu den Retourenwaren gehörte, die noch nicht auf ihre weitere Verwendbarkeit geprüft wurde.

54

Damit hat sich die Klägerin eine Entscheidung angemaßt, die ihr nach der Arbeitsorganisation nicht zusteht und die geeignet ist, den Arbeitgeber in seinen Interessen als Eigentümer der Waren des Lagers empfindlich zu treffen.

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b) Es ist nicht ohne Weiteres möglich, wenigstens im Rahmen der Bewertung des Vorfalls mit der Klägerin davon auszugehen, dass der Karton mit dem Terrakottatopf tatsächlich zur Entsorgung anstand. Denn auch die Klägerin schildert, dass sich auf der Palette mehrere Kartons mit dieser Ware befunden haben, was die Möglichkeit nahelegt, dass man aus mehreren beschädigten Waren vielleicht noch einige vollständige Waren durch Austausch von Einzelteilen oder Verpackungen hätte herstellen können. Außerdem hätte es im Falle des Terrakottatopfes nahe gelegen, diesen auch dann noch einzulagern, wenn er derzeit unverkäuflich ist, da der Terrakottatopf das Teil der Blumenampel ist, das am leichtesten beschädigt werden kann, so dass man den intakten Topf gut hätte einlagern können, um ihn später für einen beschädigten Tontopf einsetzen zu können.

56

Es kann dahinstehen, ob sich die Beklagte, falls sie die Entscheidung zu treffen gehabt hätte, tatsächlich im aufgezeigten Sinne entschieden hätte. Entscheidend ist der Umstand, dass die Klägerin auch dann, wenn man von ihrer - allerdings streitigen - Behauptung ausgeht, der Karton sei beschädigt gewesen, und die Innenverpackung des Topfes habe gefehlt, nicht davon ausgehen durfte, dass diese beiden Umstände bereits zur völligen Wertlosigkeit des Warenstücks führen müssten.

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Demnach käme eine mildere Bewertung des Vorfalls nur dann in Betracht, wenn man davon ausgehen müsste, dass sich die Klägerin hinsichtlich der Möglichkeit der weiteren Verwertbarkeit des Warenstücks in einem Irrtum befunden hatte. Davon kann aber nicht ausgegangen werden. Denn wenn die Klägerin tatsächlich irrtümlich davon ausgegangen wäre, sie hätte ein mit Sicherheit zur Entsorgung anstehendes Warenstück an sich genommen und erworben, hätte sie bei den Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhaltes keinen Anlass gehabt, die Kooperation zu verweigern. In diesem Punkt schließt sich das Berufungsgericht der Bewertung dadurch das Arbeitsgericht trotz der scharfen Kritik der Klägerin ausdrücklich an. Die Klägerin hat die Kooperation bei der Aufklärung dadurch verweigert, dass sie nicht damit einverstanden war, gemeinsam in ihre Wohnung zu fahren, um sich das erworbene Warenstück nochmals anzuschauen. Das kann und muss vorliegend als Hinweis auf das schlechte Gewissen der Klägerin gewertet werden.

58

Es ist richtig, dass die Klägerin nicht verpflichtet war, Vertretern ihrer Arbeitgeberin den Zutritt zur Wohnung zu gestatten, es hätte jedoch nahe gelegen, diesen Besuch zur endgültigen Entkräftung der Verdachtsmomente zu gestatten. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO bewertet das Gericht daher dieses Verhalten als einen Hinweis auf ein schlechtes Gewissen der Klägerin. Diese Bewertung wird zusätzlich durch den unstreitigen Umstand gestützt, dass die Klägerin, als man sich kurze Zeit später am selben Tag gemeinsam zu ihrem Auto begeben hatte, im Sinne eines Geständnisses offenbarte, man werde dort eine vollständige Blumenampel vorfinden. Auch zu dieser Äußerung hätte kein Anlass bestanden, wenn die Klägerin tatsächlich guten Glaubens gewesen wäre, alles richtig gemacht zu haben.

59

c) Eine mildere Bewertung des Vorfalls kommt auch nicht in Hinblick auf den Umstand in Betracht, dass - nach streitiger Behauptung der Klägerin - einige namentlich benannte weitere Mitarbeiter der Beklagten namentlich benannte Warenstücke aus dem Internetbereich auf die gleiche Weise wie die Klägerin erworben haben sollen.

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Denn diesem Umstand könnte nur dann eine Bedeutung zukommen, wenn die Beklagte bei diesen Personen diese Vorgehensweise gekannt hätte. Denn nur dann, wenn die Arbeitgeberin weiß, dass die von ihr aufgestellten Regeln zum verbilligten Erwerb zu entsorgender Ware durchbrochen wurden und nunmehr auch auszusondernde Ware aus dem Internetbereich verbilligt erworben wird, könnte sich die weitere Frage stellen, ob die Beklagte dieses Vorgehen konkludent gebilligt oder jedenfalls stillschweigend geduldet hat.

61

Darauf ist die Klägerin ausdrücklich vor der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden, ohne dass sie ihren Vortrag ergänzen könnte. Demnach kann in dem Hinweis auf das Vorgehen der benannten Kollegen lediglich ein Hinweis darauf gesehen werden, dass auch andere Mitarbeiter versucht haben, die Beklagte zu hintergehen. Daraus kann kein Anspruch auf eine mildere Bewertung erwachsen.

62

d) Das Gericht hat keine Feststellungen zum Wert der Blumenampel getroffen. Aufgrund der vorgelegten Fotos kann man aber wohl sagen, dass sie nicht auffällig teuer gewesen sein kann. Das Gericht geht davon aus, dass ihr Wert so zwischen 5 und 15 EURO betragen haben muss (Wiederverkaufswert). Aber auch diese relative Geringwertigkeit rechtfertigt keine andere Bewertung des Vorfalls.

63

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist es nicht zulässig, vorsätzlichen oder widerrechtlichen Verletzungen des Eigentums oder des Vermögens des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer allein wegen einer als geringfügig anzusehenden Schädigung des Arbeitgebers von vornherein die Eignung für eine Kündigung abzusprechen (BAG Urteil vom 17.05.1984 -2 AZR 3/83 - AP Nr. 14 zu § 626 BGB, Verdacht strafbarer Handlung). Auch die Entwendung von im Eigentum des Arbeitgebers stehenden geringwertigen Sachen ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund abzugeben (BAG, Urteil vom 11.12.2003 - 2 AZR 36/03 - AP Nr. 179 zu § 626 BGB). Erst die Würdigung, ob dem Arbeitgeber deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar ist, könnte zu der Feststellung der Nichtberechtigung der Kündigung führen.

64

Die relative Geringwertigkeit der Sache steht hier der Feststellung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung nicht entgegen, denn die Klägerin hat aufgrund ihrer Arbeitsaufgabe ständig damit zu tun, mit Eigentum des Arbeitgebers umzugehen. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Arbeitgeberin hier einen strengen Maßstab anlegt.

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e) Die Kündigung scheidet nicht deshalb aus, weil die Klägerin zuvor nicht einschlägig in einem gleichgelagerten Fall abgemahnt worden ist.

66

Eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der notwendigen negativen Prognose im Rahmen der Prüfung der Wiederholungsgefahr. Sie ist allerdings entbehrlich, wenn sich bereits aus dem Vorfall, der der Kündigung zu Grunde liegt, mit ausreichender Sicherheit auf eine negative Zukunftsprognose schließen lässt (BAG 31.05.2007 - 2 AZR 200/06 - Privatnutzung des Internets - NZA 2007, 922 = NJW 2007, 2653 = AP Nr. 57 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern 25.4.2007 - 3 Sa 294/06, auf juris.de veröffentlicht). So liegen die Dinge hier. Das Berufungsgericht schließt sich insoweit der Bewertung durch das Arbeitsgericht an.

67

Eine Mitarbeiterin, die Unregelmäßigkeiten beim Personaleinkauf begeht, um Waren unberechtigt verbilligt zu erhalten, muss davon ausgehen, dass sie damit - auch wenn sich das Verhalten auf lediglich geringwertige Sachen beziehen sollte - ihren Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. So verhält es sich auch vorliegend. Die Klägerin hat keine Umstände dargetan, die gegen diese Annahme sprechen könnten. Da sie sich des Unrechts ihres Verhaltens bewusst war (siehe oben), muss sie als eine Arbeitnehmerin charakterisiert werden, die nicht bereit ist, sich den Vorgaben des Arbeitgebers zum Schutz seines Eigentums zu unterwerfen, es muss daher damit gerechnet werden, dass es zu weiteren vergleichbaren Zwischenfällen kommt. Damit steht fest, dass die Prognose für die weitere Zusammenarbeit negativ ist. Dass eine scharfe Abmahnung die Klägerin mutmaßlich zur Vernunft gebracht hätte, ist daher unerheblich.

68

4. Die vom Arbeitgericht vorgenommene Abwägung der beteiligten Interessen ist nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht schließt sich dieser Bewertung an.

69

Es ist der Beklagten nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis über die Kündigungsfrist hinaus fortzuführen. Das Interesse der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist gegen das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte und Einzelfallumstände gegeneinander abzuwägen. Für das Fortsetzungsinteresse der Klägerin spricht insbesondere ihre lange, beanstandungsfreie, über 10-jährige Beschäftigungszeit.

70

Auch wenn es sich bei der Blumenampel um eine Sache von geringem Wert handeln sollte, ist zum Nachteil der Klägerin zu berücksichtigen, dass sie in die Dispositionsbefugnis der Beklagten eingegriffen hat. Allein die Beklagte hat zu entscheiden, wie sie mit ihrem Eigentum verfahren möchte. Diese Entscheidungsbefugnis hat die Klägerin der Beklagten durch ihr Verhalten genommen.

71

Als erschwerend ist es zudem zu werten, wenn der Pflichtenverstoß mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit des Arbeitnehmers zusammen hängt, der Arbeitnehmer eine sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebende Obhutspflicht trägt und die Pflichtwidrigkeit bei Gelegenheit der Arbeitsleistung verübt wird. Diese Voraussetzungen treffen vorliegend zu. Die Klägerin hatte aufgrund ihrer Tätigkeitskreise Zutritt zum "Käfig" und konnte deshalb - gleichgültig, ob der Käfig verschlossen war oder nicht - Ware hieraus entnehmen, um sie mit Teilen aus dem "Müll" zu einem kompletten Verkaufsobjekt zusammenzustellen und dieses sodann verbilligt zu erwerben. Da sie auch gerade im "Käfig" eingesetzt war, oblag ihr über die dort lagernden Waren eine Obhutspflicht. Bereits aufgrund dieses erschwerenden Umstandes tritt ihre lange Betriebszugehörigkeit in den Hintergrund.

72

Zudem ist besonders erschwerend zu berücksichtigen, dass es sich nicht um ein sogenanntes "Augenblicksversagen" handelt, sondern die Klägerin gezielt über mehrere Handlungsabschnitte vorging. Sie hat sich nach ihren Angaben zwar die Metallteile aus dem "Müll" besorgt, sodann jedoch zielgerichtet einen Karton aus dem Retourenbereich gesucht, um die Ampel komplettieren zu können. Zudem ist zu ihren Lasten zu berücksichtigen, dass sie Arbeitskollegen, nämlich Herrn B2 und Herrn S., bewusst getäuscht hat, um die Blumenampel verbilligt zu erwerben. Sie hat das ihr von dem Kollegen B2 entgegengebrachte Vertrauen, dass ihre Angaben im Freigabebeleg zutreffen, ausgenutzt und vorgetäuscht, dass es sich um eine unvollständige Blumenampel handelt. Bei dem Kollegen S. hat sie es sich zu Nutze gemacht, dass der Kollege B2 den Freigabebeleg ohne Ansicht der Waren gezeichnet hatte und auch er von einer Unvollständigkeit der Blumenampel ausging.

73

Schließlich kann nicht unbeachtet bleiben, dass die Klägerin ihr Fehlverhalten erst eingeräumt hat, nachdem ihr praktisch nichts anderes mehr übrig geblieben war. Dies alles führt dazu, dass bei der Beklagten von einem unwiederbringlichen Vertrauensverlust auszugehen ist, der es ihr unmöglich macht, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

II.

74

Der Kündigung kann auch nicht die Wirksamkeit mit Verweis auf § 102 BetrVG versagt werden. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Das Berufungsgericht schließt sich diesen Ausführungen an.

75

Soweit sich die Klägerin darauf stützt, die letzte Seite des Gesprächsprotokolls vom 18.06.2007 habe dem Betriebsrat nicht vorgelegen, ist mit dem Arbeitsgericht darauf hinzuweisen, dass dieses Gesprächsprotokoll dem Betriebsrat bereits im Rahmen der Anhörung zur außerordentlichen Kündigung als Anlage 6 vorgelegt worden ist. Darüber hinaus konnte der Betriebsrat das Fehlen einer Seite feststellen und hätte, wenn es für ihn entscheidungserheblich gewesen wäre, diese Seite anfordern können.

76

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der dadurch fehlende handschriftliche Vermerk auf dem Protokoll von einem Betriebsratsmitglied verfasst worden ist, und damit erst Recht keine Gefahr bestand, dass die in dem Vermerk enthaltende Information verloren geht.

III.

77

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hatte (§ 97 ZPO).

78

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG | § 102 Mitbestimmung bei Kündigungen


(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. (2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kün

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Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 25. Apr. 2007 - 3 Sa 294/06

bei uns veröffentlicht am 25.04.2007

Tenor 1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 14.09.2007 - Aktenzeichen 4 Ca 578/06 - abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. 3

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(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 14.09.2007 - Aktenzeichen 4 Ca 578/06 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 19.04.2006.

2

Die am 13.04.1972 geborene und verheiratete Klägerin ist gegenüber zwei Kindern unterhaltsverpflichtet. Sie war seit dem 01.03.1992 bei der Beklagten zu einem Bruttomonatsgehalt von € 1.676,00 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt. Zuletzt war sie mit ihrer Zustimmung seit dem 01.01.2005 der ARGE Mecklenburg-Strelitz in der Funktion einer Bürosachbearbeiterin zugewiesen.

3

Mit Schreiben vom 19.04.2006 kündigte die nach wie vor für die personellen Angelegenheiten verantwortliche Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos.

4

Am 05.01.2005 unterzeichnete die Klägerin die Erklärung Nr. 4.6 OHB-L-AA- mit folgendem Inhalt:

5

"Über das Verbot der Mitwirkung bei Entscheidungen über Leistungen für mich und meine Angehörigen wurde ich belehrt."

6

Der Auszug aus dem Organisationshandbuch der Leistungsabteilung (OHB-L-AA-Nr. 4.6) ist mir bekannt:

7

"Ein Amtsangehöriger darf bei der Entscheidung über Leistungen für seine Angehörigen nicht mitwirken. Er soll von der Mitwirkung an Entscheidungen befreit werden, wenn sonstige Gründe bekannt werden, die Zweifel an seiner Unparteilichkeit rechtfertigen können."

8

In diesen Fällen übt der Leiter der Leistungsabteilung/Kundenbereichsleiter - bei Angehörigen des Leiters der Leistungsabteilung/Kundenbereichsleiters das vorsitzende Mitglied der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit - die Entscheidungs- und Anordnungsbefugnis aus, er bestimmt erforderlichenfalls, wer den Antrag oder den sonstigen Bearbeitungsvorgang zu bearbeiten hat.

9

Angehörige im Sinne dieser Vorschrift sind:

10

a) der/die Verlobte des/der Bediensteten;

11

b) der Ehegatte/die Ehegattin des/der Bediensteten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;

12

c) wer mit dem/der Bediensteten in gerader Linie verwandt oder verschwägert ist, in der Seitenlinie bis zum 3. Grad verwandt oder bis zum 2. Grad verschwägert ist oder war sowie die Pflegeeltern und Pflegekinder.

13

Die Befreiung von der Mitwirkung an Entscheidungen bei zweifelhafter Unparteilichkeit kann sowohl auf Anregung des Amtsangehörigen selbst als auch auf Verlangen eines Vorgesetzten erfolgen. Sie könnte u.a. angebracht sein, wenn es sich um den Antrag eines Angehörigen, eines anderen Beschäftigten oder um Anträge aus dem näheren Bekanntenkreis eines Mitarbeiters handelt.

14

Gleichwohl bearbeitete die Klägerin wiederholt im Jahre 2005 den Vorgang ihres Ehemannes A. B. zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II und mithin den Vorgang der eigenen Bedarfsgemeinschaft. Zudem nahm die Klägerin im Jahre 2005 mehrfach sachbearbeitende Tätigkeiten hinsichtlich des Leistungsantrages ihres Bruders vor.

15

Mit der Verdienstbescheinigung für den Monat November 2005 vom 23.11.2005 nahm die Beklagte zugleich auf Grund vorhergehender Überzahlungen der Klägerin für die Monate Mai bis Oktober 2005 eine Korrektur der Gehälter für den benannten Zeitraum mit dem Inhalt einer teilweisen Gehaltsreduzierung vor. Diesbezüglich reichte die Bedarfsgemeinschaft B. lediglich die Gehaltsabrechnungen mit reduzierten Bezügen der Klägerin für die Monate Juni, August und September 2005 zum Antrag des Ehemannes auf Bewilligung von Arbeitslosengeld II zur Akte ab. Die Abrechnungen mit den erhöhten Gehältern für die Monate Juli 2005 (inklusive Urlaubsgeld, Höhergruppierung, Stundenzahlerhöhung) und November 2005 (inklusive Weihnachtsgeld) wurden nicht zum ALG II-Antrag des Ehemannes der Klägerin abgereicht.

16

Die Klägerin nahm sodann am 30.11.2005 eine Korrekturabrechnung des Antrages des Ehemannes auf der Grundlage ihrer reduzierten Gehälter für die Monate Juni, August und September 2005 vor, ließ dabei ihre erhöhten Gehälter für die Monate Juli und November 2005 unberücksichtigt und gelangte so im Ergebnis zu einem erhöhten Leistungsanspruch für die Bedarfsgemeinschaft B. für den Zeitraum vom 01.06.2005 bis zum 30.11.2005 mit folgendem Inhalt im Einzelnen:

17
Zeitraum

Bescheid
vom 20.10.2005

Bescheid
vom 30.11.2005

01.06.2005 - 31.07.2005

624,18

634,40

01.08.2005 - 31.08.2005

384,36

408,80

01.09.2005 - 31.10.2005

404,08

434,79

01.11.2005 - 30.11.2005

362,44

393,64

18

Die vorstehenden Umstände wurden dem Bürgermeister der Beklagten durch die ARGE Mecklenburg-Strelitz sukzessive beginnend mit dem 06.04.2006 mitgeteilt. Mit Schreiben vom 11.04.2006 teilte der Bürgermeister der Beklagten dem dort bestehenden Personalrat die Absicht zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit (Bl. 125 Band I d. A.).

19

Vor der Personalratssitzung am 12.04.2006 übergab der Verwaltungsdezernent der Beklagten in Ergänzung der schriftlichen Anhörung vom 11.04.2006 fünf Vermerke vom 06.04.2006, das Schreiben vom 11.04.2006 sowie den Vermerk vom 12.04.2006 (Bl. 315 - 321 Band II d. A.).

20

In der anschließenden Sitzung vom 12.04.2006 stimmte der Personalrat der beabsichtigten fristlosen Kündigung zu.

21

Die Klägerin hat beantragt,

22

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 19.04.2006 nicht beendet worden ist und zu unveränderten Bedingungen über den 19.04.2006 hinaus fortbesteht,

23

2. die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

24

Die Beklagte hat beantragt,

25

die Klage abzuweisen.

26

Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat der Klage im Wesentlichen mit Urteil vom 14.09.2006 stattgegeben und diesbezüglich argumentiert, die im Streit befindliche Kündigung scheitere bereits an einer ordnungsgemäßen Personalratsanhörung. Die Beklagte sei ihren Unterrichtsverpflichtungen nicht vollumfänglich nachgekommen. Die erweiterte Unterrichtung durch den Verwaltungsdezernenten am 12.04.2006 sei nicht ausreichend, da der Leiter der Dienststelle gemäß § 62 Abs. 2 LPersVG M-V den Personalrat zu unterrichten habe.

27

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrages wird auf die ausführlichen tatbestandlichen Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

28

Das Urteil des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 14.09.2006 ist der Beklagten am 18.09.2006 zugestellt worden. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist am 25.09.2006 bei dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingegangen und nach entsprechender Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 18.12.2006 - Gerichtseingang am gleichen Tage - begründet worden.

29

Die Beklagte hält an ihrer Rechtsauffassung fest, wonach die im Streit befindliche außerordentliche Kündigung vom 19.04.2006 rechtswirksam sei.

30

Die Personalratsanhörung sei unter Berücksichtigung des Grundsatzes der sogenannten "subjektiven Determination" nicht zu beanstanden, da die Beklagte dem Personalrat die Umstände mitgeteilt habe, die sie der Kündigung zu Grunde gelegt habe. Die Mitteilungen des Verwaltungsdezernenten an den Personalrat am 12.04.2006 seien zu berücksichtigen, da der Personalrat die mangelnde Unterrichtung durch den Bürgermeister nicht gerügt habe.

31

Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin habe vorgelegen.

32

Zum einen habe die Klägerin sowohl hinsichtlich der Bearbeitung des Leistungsantrages des Bruders als auch des Ehemannes jeweils gegen das dienstliche Mitwirkungsverbot verstoßen. Zum anderen habe sie bei der Bearbeitung des Antrages des Ehemannes ihr jeweils höheres Einkommen für die Monate Juli 2005 und November 2005 vorsätzlich nicht berücksichtigt, um der Bedarfsgemeinschaft B. so einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.

33

Deshalb falle auch die notwendigerweise vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten der Beklagten aus. Sowohl der Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot als auch das Bestreben zur Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils zu Gunsten der eigenen Bedarfsgemeinschaft betreffe jeweils für sich genommen insbesondere auch die Außenwirkung/Außendarstellung der ARGE Mecklenburg-Strelitz. Das Vertrauen der Bürger in die Unparteilichkeit der Verwaltung sei mithin betroffen, was zukünftig die Glaubwürdigkeit der durch die ARGE Mecklenburg-Strelitz getroffenen Entscheidungen erheblich belaste.

34

Die Beklagte beantragt,

35

das Urteil des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg vom 14.09.2006 - 4 Ca 578/06 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

36

Die Klägerin beantragt,

37

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

38

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und geht weiterhin von einer unzureichenden Personalratsanhörung aus.

39

Im Übrigen sei nach dem Vortrag der Beklagten eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten nicht feststellbar. Die von ihr unterzeichnete Erklärung vom 05.01.2005 sei ihr nicht mehr erinnerlich gewesen. Den Antrag ihres Ehemannes habe sie sowohl am 30.11.2005 als auch am 08.12.2005 ordnungsgemäß bearbeitet. Hinsichtlich des von ihr am 30.11.2005 berechneten erhöhten Leistungsanspruches habe sie - wie bei jedem anderen Vorgang auch - lediglich die tatsächlich abgereichten Unterlagen berücksichtigen müssen. Sie sei arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, solche Umstände zu Grund zu legen, die der Antragsteller selbst nicht abgereicht habe. Derartige Umstände seien allenfalls hinsichtlich des privaten Bereiches als Angehörige der Bedarfsgemeinschaft unter sozialrechtlichen Gesichtspunkten von Belang, jedoch nicht Inhalt ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen.

40

Jedenfalls sei aber ein Vorgehen der Klägerin in betrügerischer Absicht nicht feststellbar, sodass im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung allenfalls der Ausspruch einer Abmahnung gerechtfertigt gewesen wäre.

41

Zudem dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Beklagte vergleichsweise Verhaltensweisen anderer Arbeitnehmer toleriert habe. Dies stelle eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. Schließlich habe die Beklagte die Frist des § 626 Absatz 2 BGB nicht eingehalten. Denn die Geschäftsleitung der ARGE habe von den Vorwürfen gegenüber der Klägerin bereits Ende März 2005 Kenntnis erlangt, sodass der - insoweit unstreitige - Zugang der Kündigung am 19.04.2006 zur Einhaltung der Frist des § 626 Absatz 2 BGB nicht ausreiche.

42

Wegen der weiteren Einzelheiten im Berufungsrechtszug wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

43

Die zulässige - insbesondere frist- und formgerecht eingelegte - Berufung der Beklagten ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg kann vorliegend von einer rechtsfehlerhaften Personalratsanhörung nicht ausgegangen werden. Darüber hinaus ist das erkennende Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die im Streit befindliche Kündigung der Beklagten vom 19.04.2006 rechtlich nicht zu beanstanden ist.

I.

44

Die streitbefangene fristlose Kündigung vom 19.04.2006 ist entgegen der Auffassung der Klägerin vorliegend nicht auf Grund einer rechtsfehlerhaften Personalratsanhörung rechtsunwirksam.

45

Gemäß § 68 Absatz 7 LPersVG MV in Verbindung mit § 108 Absatz 2 BPersVG ist eine Kündigung rechtsunwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Die benannte Rechtsfolge ergibt sich auch dann, wenn der Arbeitgeber den bei ihm bestehenden Personalrat nicht ordnungsgemäß, das heißt unvollständig über die beabsichtigte Kündigung unterrichtet hat (BAG vom 21.07.2005 - 6 AZR 498/04). Diesbezüglich sind von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung Grundsätze erarbeitet worden, wann von einer ausreichenden, das heißt ordnungsgemäßen Beteiligung einer bestehenden Arbeitnehmervertretung auszugehen ist. Dies ist u.a. nur dann der Fall, wenn der Arbeitgeber den ihm obliegenden Mitteilungspflichten nachgekommen ist, nämlich über die Person des Arbeitnehmers (inklusive der Sozialdaten Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltsverpflichtungen), über die Art der Kündigung, über den Zeitpunkt, zu dem gekündigt werden soll und die Kündigungsgründe unterrichtet hat, wobei die Kündigungsgründe selbst dezidiert und nicht lediglich schlagwortartig mitzuteilen sind (BAG vom 06.10.2005, NZA 2006, Seite 431, 434; BAG vom 21.07.2005 a.a.O.), um die bestehende Arbeitnehmervertretung so in die Lage zu versetzen, ohne weitere eigene Nachforschungen die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nachvollziehen zu können. In diesem Zusammenhang ist anerkannt, dass die Reichweite der Mitteilungspflichten dahingehend begrenzt ist, dass der Arbeitgeber die Arbeitnehmervertretung über solche Gründe zu informieren hat, auf die er selbst die Kündigung stützen will. Das heißt, der Arbeitgeber hat der Arbeitnehmervertretung die Kündigungsgründe mitzuteilen, die er selbst der Kündigung zu Grunde gelegt hat. Stellt sich beispielsweise im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses im Nachhinein heraus, dass der Arbeitgeber im Anhörungszeitpunkt unbewusst von einer unrichtigen Tatsachenfeststellung ausgegangen ist, so ergibt sich allein aus diesem Umstand nicht eine rechtsfehlerhafte Anhörung der Arbeitnehmervertretung. Lediglich die bewusste und gewollte unrichtige Mitteilung der für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers maßgebenden Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber und damit eine Irreführung der Arbeitnehmervertretung führt zu einem fehlerhaften und damit unwirksamen Anhörungsverfahren (BAG vom 11.07.1991, EzA § 102 Betriebsverfassungsgesetz 1972 Nr. 81).

46

Die Einleitung des personalvertretungsrechtlichen Anhörungsverfahrens hat diesbezüglich gemäß § 62 Absatz 2 Satz 1 LPersVG MV der Leiter der Dienststelle vorzunehmen. Gleichwohl führt die Einleitung des Anhörungsverfahrens durch andere Mitarbeiter auf Seiten des Arbeitgebers lediglich dann zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung, wenn der Personalrat diesen Umstand ausdrücklich rügt (BAG vom 10.10.2002 - 2 AZR 418/01).

47

Gemessen an den vorgenannten Voraussetzungen vermag das erkennende Gericht - entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes Neubrandenburg in der angefochtenen Entscheidung - eine rechtsfehlerhafte Personalratsanhörung vorliegend nicht zu erkennen.

48

Vorab ist festzuhalten, dass mit der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes davon auszugehen ist, dass die durch den Verwaltungsdezernenten am 12.04.2006 vor der Personalratssitzung übergebenen Unterlagen im Rahmen der Beurteilung der ordnungsgemäßen Personalratsanhörung zu berücksichtigen sind. Dieser Umstand ergibt sich bereits daraus, dass der bei der Beklagten bestehende Personalrat die Unterrichtung durch den Verwaltungsdezernenten unstreitig nicht gerügt hat.

49

Unter Berücksichtigung eben dieser Unterlagen ist von einer ordnungsgemäßen Personalratsanhörung auszugehen. Denn in dem Anhörungsschreiben vom 11.04.2006 ist die Person der Klägerin mit Geburtsdatum, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltsverpflichtungen benannt. Die Kündigungsart selbst wird mitgeteilt. Die insoweit in der erstinstanzlichen Entscheidung beschriebenen Zweifel sind für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar. Denn es heißt in dem Anhörungsschreiben diesbezüglich unmissverständlich:

50

"Die Kündigung erfolgt fristlos, aus im Verhalten der Beschäftigten liegenden Gründen."

51

Auch hat die Beklagte in ausreichendem Umfang dem Personalrat die Gründe mitgeteilt, die sie der Kündigung zu Grunde gelegt hat. In dem Anhörungsschreiben vom 11.04.2006 wird ausgeführt, dass die Klägerin vertragswidrig den Leistungsantrag der eigenen Bedarfsgemeinschaft bearbeitet hat und u.a. unvollständige Angaben zum Einkommen der Klägerin selbst zu unberechtigten Leistungen zum Vorteil der eigenen Bedarfsgemeinschaft geführt hätten. Diese Angaben sind dann noch einmal im Rahmen der Übergabe der beiden Vermerke vom 06.04.2006 (Anlagen B 26, 27, Bl. 318, 319 Band II d. A.) sowie des Schreibens vom 11.04.2006 (Anlage B 28, Bl. 320 Band II d. A.) durch den Verwaltungsdezernenten der Beklagten an den Personalrat am 12.04.2006 spezifiziert worden. Im Rahmen dieser Übergabe ist dem Personalrat durch den Verwaltungsdezernenten der Beklagten ebenfalls der Vermerk vom 12.04.2006 (Anlage B 29, Bl. 321 Band II d.A.) zugänglich gemacht worden, wonach die Klägerin ebenfalls den Leistungsantrag ihres Bruders bearbeitet hat. Mithin hat die Beklagte dem Personalrat in hinreichendem Umfang die Gründe mitgeteilt, die sie der Kündigung zu Grunde gelegt hat.

52

Soweit das Arbeitsgericht Neubrandenburg offensichtlich deshalb von einer fehlerhaften Personalratsanhörung ausgeht, weil die Beklagte unrichtigerweise dem Personalrat im Sinne eines erschwerenden Vorwurfes gegenüber der Klägerin in dem Anhörungsschreiben vom 11.04.2006 mitgeteilt habe, die Klägerin habe den Antrag ihres Ehemannes eigenverantwortlich herangezogen, so vermag das erkennende Gericht dem nicht zu folgen. Denn die Beklagte führt insoweit durch die Klägerin unbestritten aus, sie sei jedenfalls im Anhörungszeitpunkt und auch im Kündigungszeitpunkt eben gerade von diesem Umstand ausgegangen. Mithin hat die Beklagte dem Personalrat diesbezüglich die Umstände mitgeteilt, die sie selbst der Kündigung zu Grunde gelegt hat. Jedenfalls trägt auch die Klägerin nicht vor, die Beklagte habe dem Personalrat bewusst und in Kenntnis der Umstände unrichtige Tatsachen mitgeteilt.

53

Nach alledem ist vorliegend von einer ordnungsgemäßen Personalratsanhörung auszugehen.

54

2. Die streitbefangene fristlose Kündigung vom 19.04.2006 ist rechtlich nicht zu beanstanden.

55

Gemäß § 626 Absatz 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

56

Gemäß § 626 Absatz 2 BGB kann die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen, wobei die Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

57

Die genannten Voraussetzungen sind vorliegend nach Auffassung des erkennenden Gerichtes im Hinblick auf die im Streit befindliche außerordentliche Kündigung vom 19.04.2006 erfüllt.

58

a) Die Einhaltung der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB ist vorliegend - entgegen der Ansicht der Klägerin - zu bejahen. Soweit die Klägerin meint, die benannte Frist sei deshalb nicht eingehalten, weil die Geschäftsleitung der ARGE Mecklenburg-Strelitz bereits Ende März Kenntnis von den Kündigungsumständen erhalten habe, so vermag das erkennende Gericht dem nicht zu folgen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Bürgermeister der Beklagten und damit der Kündigungsberechtigte im Sinne des § 626 Abs. 2 BGB, am 06.04.2006 über die der Kündigung zugrunde liegenden Umstände informiert wurde, so dass im Hinblick auf den unstreitigen Zugang der Kündigung am 19.04.2006 von der Einhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB auszugehen ist.

59

b) Die fristlose Kündigung vom 19.04.2006 im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist rechtlich nicht zu beanstanden.

60

Im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung ist im Grundsatz die Notwendigkeit anerkannt (Ascheid u. a. GK-Kündigungsrecht, 2. Aufl./Dörner Rn. 59 zu § 626 BGB) den der außerordentlichen Kündigung zugrunde liegenden Lebenssachverhalt nach dem sachlichen Inhalt zu systematisieren, um dann zunächst zu überprüfen, ob der vorgefundene sachliche Inhalt dem Grunde nach - ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles (BAG, Urteil vom 12.08.1999, DB 2000, Seite 48) - an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Sodann ist zu überprüfen, ob der Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall arbeitsvertragliche Pflichten verletzt hat, so dass dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen der Arbeitsvertragsparteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist (BAG, Urteil vom 12.08.1999, a. a. O.).

61

aa) In diesem Zusammenhang kann es im Hinblick auf die streitbefangene Kündigung zunächst dahinstehen, ob bei der vorzunehmenden Systematisierung von einer Dreiteilung im Sinne des § 1 KSchG nach verhaltensbedingten, betriebsbedingten und personenbedingten Kündigungsgründen auszugehen ist oder ob darüber hinaus noch weitere Untergliederungen vorzunehmen sind (vgl. insgesamt Ascheid a. a. O. Rn. 61 ff. m. w. N.).

62

Denn hier kommt nach Auffassung des erkennenden Gerichts nach dem gegebenen Sach- und Streitstand ausschließlich ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund in Betracht. Denn insoweit ist die Kammer zu dem Ergebnis gelangt, dass die der Klägerin im Rahmen der fristlosen Kündigung vorgeworfenen Umstände dem steuerbaren Verhalten der Klägerin zuzuordnen sind und demnach ausschließlich eine verhaltensbedingte Kündigung in Frage kommt.

63

bb) Zudem ist die Kammer - entgegen der Ansicht der Klägerin - der Auffassung, dass die der Klägerin vorgeworfenen Verhaltensweise - ohne Berücksichtigung des konkreten Einzelfalles - jeweils grundsätzlich für sich genommen geeignet sind, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen zu können.

64

Die diesbezüglichen Einwendungen der Klägerin in der Berufungsinstanz sind für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar. Denn die der Klägerin vorgeworfenen Verhaltensweisen stellen bei der zugrunde zu legenden objektiven Betrachtungsweise - ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles - nicht lediglich untergeordnete Vertragsverletzungen dar. Vielmehr handelt es sich bei den durch die Beklagte gegenüber der Klägerin gemachten Vorhaltungen um erhebliche Vertragsverletzungen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der vertragswidrigen Bearbeitung der Leistungsanträge sowohl des Bruders als auch des Ehemannes der Klägerin. Ebenso verhält es sich mit dem Vorwurf der Beklagten gegenüber der Klägerin, sie habe vorsätzlich und arbeitsvertragswidrig anlässlich der Bearbeitung des Leistungsantrages des Ehemannes am 30.11.2005 das ihr bekannte höhere Einkommen für die Monate Juli 2005 und November 2005 nicht berücksichtigt, um zu einem erhöhten Leistungsanspruch zu Gunsten der eigenen Bedarfsgemeinschaft zu gelangen.

65

cc) Auch ergibt sich nach Ansicht der Kammer unter Berücksichtigung des insoweit unstreitigen Sach- und Streitstandes unter Verwertung des weiteren Vortrages der Parteien aufgrund der danach gegebenen Verhaltensweisen der Klägerin grundsätzlich ein kündigungsrechtlich relevanter Tatbestand im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB.

66

Denn der Klägerin sind im vorliegenden Fall erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen vorzuwerfen, indem sie jedenfalls vertragswidrig sowohl die Leistungsanträge ihres Bruders als auch den ihres Ehemannes wiederholt bearbeitete, ob schon sie am 05.01.2005 die Erklärung Nr. 4.6. 0HB-L-AA - Verbot der Mitwirkung bei Entscheidungen über Leistungen für die eigene Person und deren Angehörige - unterzeichnet hatte. Die diesbezüglichen Einlassungen der Klägerin, ihr sei die benannte Belehrung nicht mehr innerlich gewesen, vermögen das erkennende Gericht nicht zu überzeugen.

67

Insoweit schließt sich die Kammer den Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung an, als dort ausgeführt wird:

68

"Die Kammer bewertet die Arbeit der Klägerin an der Akte ihres Mannes und ihres Bruders als schuldhafte Arbeitspflichtverletzung. Sie ist viele Jahre bei der Beklagten beschäftigt und musste daher schon wissen und ein Empfinden entwickelt haben, dass sie von der Bearbeitung von Vorgängen, die Verwandte betreffen, ausgeschlossen ist. Im Übrigen wurde sie ausdrücklich belehrt. Beides zusammen kann auch bei höchstem Arbeitsdruck nicht verlorengehen oder gegenteiliges Verhalten begründen."

69

Dem ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts nichts hinzuzufügen.

70

Zudem muss sich die Klägerin vorhalten lassen, bei der Bearbeitung des Antrages ihres Ehemannes am 30.11.2005 lediglich die für die Bedarfsgemeinschaft B günstigen Abrechnungen für die Monate, Juni, August und September 2005 mit jeweils korrekturreduzierten Gehältern zugrunde gelegt zu haben, während die für den Leistungsantrag der benannten Bedarfsgemeinschaft ungünstigen Abrechnungen mit erhöhten Gehältern der Klägerin für die Monate Juli 2005 und November 2005 unberücksichtigt blieben, obgleich die benannten Unterlagen der Klägerin persönlich vor dem 30.11.2005 zur Verfügung standen.

71

Die Klägerin ist in diesem Zusammenhang der Auffassung, sie sei arbeitsvertraglich lediglich verpflichtet gewesen, die tatsächlich abgereichten Unterlagen einzuarbeiten. Es müsse bezüglich ihrer Person nach der Funktion als Arbeitnehmerin einerseits und ihrer privaten Rolle als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft B andererseits unterschieden werden. Sie sei arbeitsvertraglich nicht verpflichtet, die privaten Kenntnisse über die eigene Person in ihre Arbeit einfließen zu lassen, weil damit eine unzulässige Verquickung ihrer Stellung als Arbeitnehmerin einerseits und ihrer sozialrechtlichen Stellung als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft B andererseits verbunden sei.

72

Diese Auffassung der Klägerin ist nach Ansicht der Kammer - vorsichtig formuliert - rechtsirrig. Dass die Klägerin offensichtlich selbst an der Richtigkeit der eigenen Argumentation zweifelt, wird bereits an den eigenen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2007 deutlich, als die Klägerin dort auf gerichtliche Nachfrage hin selbst ausgeführt hat, ihre Vorgehensweise sei so nicht richtig gewesen und sie hätte der zuständigen Kollegin mitteilen müssen, dass die Unterlagen nicht vollständig gewesen seien.

73

Zudem ist nicht ersichtlich, weshalb die Bejahung einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung zur Berücksichtigung der Abrechnungen für die Monate Juli und November 2005 überhaupt zu einer Beeinträchtigung der sozialrechtlichen Stellung der Klägerin hätte führen sollen. Denn auch unter sozialrechtlichen Gesichtspunkten ist es keinesfalls rechtlich zulässig, den Versuch einer erhöhten Leistungsbewilligung zu unternehmen, indem die Mitteilung berücksichtigungsnotwendiger Vermögenswerte rechtswidrig unterlassen wird.

74

Selbstverständlich wäre die Klägerin mithin arbeitsvertraglich verpflichtet gewesen - wenn sie denn nun schon vertragswidrig den Antrag der eigenen Bedarfsgemeinschaft bearbeitet -, der Bearbeitung die ihr bekannten und tatsächlichen Umstände vollständig zugrunde zu legen.

75

Die zuletzt beschriebene Pflichtverletzung der Klägerin anlässlich der Bearbeitung des Leistungsantrages ihres Ehemannes am 30.11.2005 stellt darüber hinaus nicht lediglich eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar, sondern beinhaltet aus Sicht eines objektiven und verständigen Arbeitgebers in der Laiensphäre zumindest den strafrechtlich relevanten Versuch, durch ein manipulatives Verhalten der eigenen Bedarfsgemeinschaft einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.

76

Ob die Bedarfsgemeinschaft B diesbezüglich im Ergebnis tatsächlich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil erlangte, ist dabei ohne Belang und bleibt gegebenenfalls einem sozialgericht-lichen Verfahren vorbehalten. Ebenso ist ohne Bedeutung, ob unter strafrechtlichen Gesichtspunk-ten zweifelsfrei jedenfalls der Tatbestand des versuchten Betruges zu bejahen ist. Denn maßgeblich ist nicht die eigentliche strafrechtliche Bewertung, sondern vielmehr der Umstand, ob auf Grund einer strafrechtlich relevanten Verhaltensweise eines Arbeitnehmers aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers das für das Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört ist (BAG vom 12.08.1999, AP BGB § 123 Nr. 51).

77

Aus den oben bereits genannten Gründen sind diese Voraussetzungen hier zu bejahen.

78

Soweit die Klägerin meint, es sei eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gegeben, da auch durch andere Mitarbeiter der ARGE Mecklenburg-Strelitz Leistungsanträge von Angehörigen bearbeitet worden seien, was die Beklagte jedoch jeweils nicht mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung geahndet habe, so vermag das erkennende Gericht dem nicht zu folgen.

79

Zum einen stellt sich die Frage, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz in einem Kündigungsrechtsstreit überhaupt Platz greifen kann (zweifelnd BAG vom 28.04.1982, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 3). Ungeachtet dieser Problematik käme ein rechtsrelevanter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nur bei vergleichbaren Sachverhalten in Betracht. Das heißt, es müssten gleichartige Verstöße mehrerer Arbeitnehmer vorliegen. Dieser Umstand ist selbst nach dem Vortrag der Klägerin nicht gegeben. Denn die Klägerin selbst behauptet nicht, auch andere Mitarbeiter der ARGE Mecklenburg-Strelitz hätten bei der Bearbeitung von Leistungsanträgen ihrer Angehörigen beurteilungsrelevante Vermögenswerte bewusst unberücksichtigt gelassen, um damit gegebenenfalls eine erhöhte Leistungsfestsetzung rechtswidrig zu erreichen.

80

dd) Zudem ist hier nach Auffassung der Kammer in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

81

von der Entbehrlichkeit einer vorhergehenden Abmahnung auszugehen.

82

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (vom 10.02.1999, EzA Nr. 47 zu § 15 KSchG), welcher sich die Kammer anschließt, setzt die Rechtswirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung - sei es im sogenannten Leistungsbereich oder im sogenannten Vertrauensbereich - grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber das entsprechende Verhalten durch eine vorausgegangene einschlägige Abmahnung formgerecht gerügt hat. Dieser Grundsatz manifestiert sich nunmehr auch in der gesetzlichen Vorgabe des § 314 Absatz 2 BGB. Ein Abmahnungserfordernis besteht ausnahmsweise jedoch dann nicht, wenn die Abmahnung von vornherein nicht erfolgversprechend ist (BAG vom 18.05.1994, RzK I 5 i Nr. 93) oder wenn es um schwere Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei denen eine Akzeptanz des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG vom 10.02.1999, a.a.O.).

83

Die zuletzt genannten Ausnahmevoraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

84

Hinsichtlich der insoweit anzustellenden Zukunftsprognose im Sinne einer Negativprognose im Hinblick auf das zu erwartende künftige Verhalten der Klägerin im Rahmen der Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten ergibt sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts vorliegend die Entbehrlichkeit des Ausspruches einer vorhergehenden Abmahnung. Denn das Verhalten der Klägerin insbesondere bezüglich der Art und Weise der inhaltlichen Bearbeitung des Leistungsantrages des Ehemannes am 30.11.2005 ist - wie bereits erörtert - als sehr schwerwiegende Pflichtverletzung vor allem auch vor dem Hintergrund des beschriebenen strafrechtlich relevanten Sachverhaltes zu qualifizieren. Darüber hinaus wäre auf Grund der festgestellten Intensität der Vorgehensweise der Klägerin auch aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers mit dem Ausspruch einer Abmahnung im Rahmen einer Prognoseentscheidung nicht mit der notwendigen Sicherheit ein zukünftig vertragsgetreues Verhalten der Klägerin zu gewährleisten gewesen. Dies gilt umso mehr, als auch aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers bereits die vertragswidrige Bearbeitung des Leistungsantrages sowohl des Ehemannes als auch des Bruders der Klägerin eine beträchtliche Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses darstellt. Die darüber hinausgehende Nichtberücksichtigung des eigenen erhöhten Einkommens für die Monate Juli sowie November 2005 verbunden mit der einhergehenden möglichen strafrechtlichen Relevanz dieses Verhaltens führt auch bei objektiver Sichtweise zur Bejahung einer irreparablen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Beklagten und der Klägerin. Das heißt, auch ein verständiger Arbeitgeber musste und durfte auf Grund der Intensität und der willentlichen Vorgehensweise der Klägerin in dem geschilderten Zusammenhang davon ausgehen, dass der Ausspruch einer Abmahnung nicht mit der notwendigen Sicherheit zu einer vertragsgetreuen Arbeitsweise in der Zukunft durch die Klägerin geführt hätte.

85

Aber auch die Klägerin durfte angesichts der von ihr an den Tag gelegten Vorgehensweise - auch unter Berücksichtigung der Sichtweise eines verständigen Arbeitgebers - nicht darauf vertrauen, die Beklagte werde diesbezüglich mit einer Konsequenz unterhalb der Schwelle des Ausspruches einer fristlosen Kündigung reagieren. Die Klägerin musste sich darüber im Klaren sein, dass auch bei objektiver Betrachtungsweise bei einem derartigen Verhalten insbesondere im Hinblick auf die Art und Weise der inhaltlichen Bearbeitung des Antrages ihres Ehemannes am 30.11.2005 ohne jede sachlich begründete Veranlassung für den Arbeitgeber das notwendige Vertrauensverhältnis für die Zukunft jedenfalls irreparabel zerstört ist, wenn - wie hier - nicht lediglich das Innenverhältnis, sondern vielmehr das Außenverhältnis in Gestalt der Außenwirkung durch die Bearbeitung von Leistungsanträgen durch die ARGE Mecklenburg-Strelitz betroffen ist.

86

ee) Auch die notwendigerweise durchzuführende Interessenabwägung führt vorliegend aus Sicht der Kammer zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ist hier zu Gunsten der Klägerin zum einen ihre Betriebszugehörigkeit seit dem 01.03.1992 ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass auf Grund der Arbeitsmarktsituation in Vorpommern von einer schwierigen Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt auszugehen ist. Zudem darf auf Seiten der verheirateten Klägerin nicht unerwähnt bleiben, dass sie im Übrigen gegenüber zwei Kindern unterhaltsverpflichtet ist.

87

Jedoch ist zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass die Klägerin selbst ohne jedwede sachliche Veranlassung und insbesondere auch ohne Zutun der Beklagten die schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen, die zu dem - wie bereits dargelegt - teilweise strafrechtliche Relevanz besitzen, herbeigeführt hat. Wie ebenfalls bereits ausgeführt, hat dieser Umstand zu einer irreparablen Beeinträchtigung des notwendigen Vertrauensverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten geführt, welches sich auch nach der entsprechenden Prognoseentscheidung für die Zukunft nicht mit der notwendigen Sicherheit hätte wieder herstellen lassen.

88

Insgesamt sind mithin die Interessen der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses letztendlich höher zu bewerten, als die Interessen der Klägerin an dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.

II.

89

Da das Arbeitsverhältnis damit auf Grund der fristlosen Kündigung vom 19.04.2006 rechtswirksam beendet worden ist, ist der zudem gestellte Weiterbeschäftigungsantrag unbegründet.

III.

90

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass dieser Entscheidung kein neuer und entscheidungserheblicher Tatsachenvortrag aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 18.04.2007 zu Grunde liegt, so dass die Frage nach einer Zurückweisung des dortigen Vortrages als verspätet ebenso unentschieden bleiben kann, wie die Gewährung eines etwaigen Schriftsatzfristnachlasses zu Gunsten der Klägerin.

IV.

91

Die Klägerin hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 ZPO).

92

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.

(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn

1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat,
2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt,
3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann,
4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder
5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.

(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.

(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn

1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.

(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.

(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)