Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 30. Juni 2010 - 2 Sa 322/09


Gericht
Tenor
I. Die Berufung des Klägers wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Parteien streiten um die Zahlung einer tarifvertraglichen Entfernungsentschädigung. Zum Sachverhalt heißt es im Tatbestand des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts S vom 11.11.2009 – 3 Ca 345/09 – u. a. wie folgt:
- 2
Der Kläger ist als Forstarbeiter im Landesdienst Mecklenburg-Vorpommern im Nationalpark A V, Revier Z, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in forstwirtschaftlichen Verwaltungen, Einrichtungen und Betrieben der Länder (TV-Forst) vom 18.12.2007, am 01.01.2008 in Kraft getreten, Anwendung.
- 3
Der Kläger fährt täglich mit seinem Privat-Pkw von seinem Wohnort zum Ausstellungsgebäude S W im Revier Z und zurück.
- 4
Für die Monate Januar bis Dezember 2008 zahlte das beklagte Land an den Kläger eine Entfernungsentschädigung nach § 23 Abs. 7 TV-Forst. Im Oktober 2008 erhielt der Kläger eine Entfernungsentschädigung iHv. 79,20 EUR, im November 2008 iHv. 108,90 und im Dezember 2008 iHv. 71,70 EUR.
- 5
§ 23 Abs. 7 TV-Forst lautet wie folgt:
- 6
"Benutzt der/die Beschäftigte sein/ihr Kraftfahrzeug für die Fahrtstrecke von seiner Wohnung zur ersten Arbeitsstelle und von der letzten Arbeitsstelle zurück zur Wohnung, erhält er/sie eine Entfernungsentschädigung. Die Entfernungsentschädigung wird ab dem 31. km gewährt; Hinfahrt und Rückfahrt sind jeweils gesondert zu betrachten. Sie beträgt bei einem Kraftfahrzeug mit einem Hubraum
- 7
a) bis 600 ccm
0,18 EUR,
b) von mehr als 600 ccm
0,30 EUR.
- 8
Mit neu eingestellten Beschäftigten kann abweichend von Satz 1 auch ein anderer Ort als der Wohnort für die Gewährung der Entfernungsentschädigung im Arbeitsvertrag vereinbart werden.
- 9
Verlegt der/die Beschäftigte aus persönlichen Gründen seinen/ihren Wohnsitz, erhöht sich dadurch der Anspruch auf Entfernungsentschädigung nach den Sätzen 1 bis 4 nicht."
- 10
Das beklagte Land sah zunächst in Übereinstimmung mit dem im Land für Tarifrecht zuständigen Finanzministerium einen Anspruch auf Entfernungsentschädigung auch dann als gegeben an, wenn der Beschäftigte keine wechselnden – also verschiedenen – Arbeitsstellen, sondern nur eine einzige Arbeitsstelle hat und sah die Formulierung "erste und letzte Arbeitsstelle" nur als Berechnungsgrundlage an.
...
- 11
In der Folge wies das beklagte Land alle Dienststellen, die Beschäftigte im Geltungsbereich des TV-Forst haben, an, die Entfernungsentschädigung nicht mehr zu zahlen, wenn dauerhaft keine wechselnden Arbeitsstellen vorliegen bzw. wenn von den Beschäftigten mit ihrem Fahrzeug stets der gleiche Treffpunkt angefahren wird, von welchem aus dann mit einem Betriebsfahrzeug verschiedene Arbeitsstellen angefahren werden oder wenn ein Betriebsfahrzeug bestellt wird.
- 12
Eine Klage auf Zahlung einer Entfernungsentschädigung von 1.210,20 EUR nebst Zinsen hat das Arbeitsgericht S abgewiesen. In den Gründen hat es ausgeführt: Nach dem Wortlaut der Tarifnorm sei es erforderlich, dass mehrere Arbeitsstellen angefahren werden. Der Kläger habe jedoch eine ständige Arbeitsstelle, die er täglich mit seinem Privat-Pkw anfährt und verläßt. Soweit der Kläger seinen Dienst nicht im Ausstellungsgebäude verrichtet, sondern sich im Revier fortbewegen muss, tut er dies entweder zu Fuß oder mit dem Dienstfahrrad. Unter § 23 Abs. 7 TV-Forst falle aber nur der Waldarbeiter, der zumindest wechselnde Arbeitsstellen mit seinem Privat-Pkw nutze. Auch auf betriebliche Übung könne der Kläger sich nicht stützen.
- 13
Dieses Urteil ist dem Kläger am 27.11.2009 zugestellt worden. Er hat dagegen Berufung eingelegt, die am 28.12.2009, einem Montag, beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist. Nachdem aufgrund eines rechtzeitig eingegangenen Antrages die Berufungsbegründungsfrist bis zum 27.2.2010 verlängert worden ist, ist die Berufungsbegründung an einem Montag, 01.03.2010, beim Landesarbeitsgericht eingegangen.
- 14
Der Kläger ist der Auffassung, die Tarifparteien hätten eine Beschäftigung an verschiedenen Arbeitsstellen nicht als anspruchsbegründend vorausgesetzt. Dies ergebe sich auch aus dem Vorläufer der Entfernungsentschädigung (MTW-O § 34 Abs. 1 Satz 1), wonach ein Wegegeld immer gezahlt werde, wenn die Entfernung zur Arbeitsstelle mehr als 7 km (Hin- und Rückweg) betrage. Auch die Durchführungshinweise der TdL zu § 23 Abs. 7 würden dieses Ergebnis stützen. Auch könne von einer festen Arbeitsstelle des Klägers nicht ausgegangen werden. Der Kläger beginne und beende seinen Tag zwar im Ausstellungsgebäude. Dazwischen sei er jedoch in dem weitläufigen Revier tätig. Der Tarifnorm sei nicht zu entnehmen, dass der Weg zwischen den Arbeitsstellen mit einem Kraftfahrzeug zurückgelegt werden müsse.
- 15
Der Kläger beantragt,
- 16
1. unter Abänderung des am 11.11.2009 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts S, Az.: 3 Ca 345/09, wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger EUR 1.210,20 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 17
2. Das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger weitere EUR 620,40 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 18
Das beklagte Land beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
- 19
Es tritt der angefochtenen Entscheidung bei. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 20
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
- 21
Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Es kann daher zunächst auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug genommen werden. Zu den Angriffen der Berufung gilt Folgendes:
- 22
Es kann dahinstehen, ob der Vorläufer des § 23 Abs. 7, der § 34 MTW-O ein Wegegeld für die Entfernung vom Wohnort zur Arbeitsstelle gewährt hat. Mit der Neufassung des § 23 Abs. 7 TV-Forst haben die Tarifparteien die Ansprüche grundsätzlich auf eine neue Stufe stellen wollen. Ferner ist bei der Auslegung dieser Tarifnorm zu berücksichtigen, dass es dem Arbeitsrecht grundsätzlich fremd ist, dass der Arbeitgeber für die Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstelle finanziell verantwortlich ist. Dies wäre insbesondere bei größeren Entfernungen, die allein auf privaten Lebensentscheidungen der einzelnen Arbeitnehmer beruhen, auch hin und wieder grob unbillig.
- 23
Unter diesem Blickwinkel spricht die Formulierung "zur ersten Arbeitsstelle und von der letzten Arbeitsstelle" dafür, dass die Tarifparteien den Geltungsbereich dieser Norm auf die Arbeitnehmer beschränken wollten, bei denen die erste und die letzte Arbeitsstelle während des Arbeitstages regelmäßig wechseln. Dies ist bei dem Kläger nicht der Fall. Der Kläger beginnt und verläßt seine Arbeit jeweils an der gleichen Stelle. Damit ist er nicht der typische Arbeitnehmer in einer forstwirtschaftlichen Einrichtung. Dessen Arbeit wird gerade von wechselnden Einsatzorten in der Weise geprägt, dass der erste und der letzte Einsatzort nicht miteinander identisch sind. Es wird eingeräumt, dass der Gesichtspunkt, dass die Tarifnorm keinen Ausschluss der Entfernungsentschädigung für die Arbeitnehmer enthält, die nur an einer Arbeitsstelle tätig sind, für den Kläger spricht. Man könnte daher auch vertreten, dass die Tarifvertragsparteien für diese Arbeitnehmer eine Gleichbehandlung gewollt hätten.
- 24
Angesichts der ausdrücklichen Regelung hinsichtlich der ersten und letzten Arbeitsstelle sprechen jedoch nach Auffassung des Gerichts die besseren Argumente dafür, dass die Entschädigung nur den Arbeitnehmern zugute kommen soll, bei denen die erste und letzte Arbeitsstelle grundsätzlich unterschiedlich sind. Den Durchführungshinweisen zu § 23 Abs. 7 der TdL kommt in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung zu, da die Tarifgemeinschaft zu erkennen gegeben hat, dass er an der bisherigen Auslegungspraxis nicht mehr festhält. Dies ergibt sich auch aus der beigefügten Auskunft vom 29. März 2010 (Blatt 199 d. A.).
- 25
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO.


Annotations
(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.
(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,
- a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist, - b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt, - c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder - d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.
(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft - a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen, - b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder - c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
- 3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.
(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.
(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.
(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.
(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.
(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)