Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 03. Juni 2013 - 2 K 1727/10

ECLI:ECLI:DE:FGRLP:2013:0603.2K1727.10.0A
03.06.2013

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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob dem Kläger als selbstständig Tätigem in Deutschland Kindergeld für seine in Polen lebenden Kinder zusteht.

2

Mit Eingang bei der Beklagten am 27. Dezember 2007 beantragte der Kläger für seine am 8. Januar 1988 (A) und 4. August 1994 (K) geborenen Kinder Kindergeld. Er gab an, sie seien noch bis 2010 in Ausbildung. Er sei selbständig in Deutschland tätig. Dem Antrag beigefügt waren unter anderem eine Bestätigung darüber, dass der Kläger vom 1. Oktober 1999 bis auf weiteres gesetzlich renten-, unfall- und krankenversichert sei, und zwar in der Kasse der Sozialversicherung für Landwirte. Auf die Bescheinigungen im polnischer Sprache sowie ihre Übersetzung wird verwiesen (Blatt 34-35 der Kindergeldakte). Die Ehefrau des Klägers war ebenfalls in dieser Weise versichert (Blatt 36-37 der Kindergeldakte). Des Weiteren beigefügt war eine Bescheinigung E 401 (Blatt 9-11 der Kindergeldakte) und E 411 (Blatt 12-14 der Kindergeldakte), jeweils ausschließlich in polnischer Sprache.

3

Mit Schreiben vom 21. April 2008 forderte die Beklagte Informationen darüber, von wem für welchen Zeitraum Kindergeld gezahlt worden sei und warum eventuell in Polen kein Antrag gestellt worden sei. Hierauf wurden Bestätigungen darüber vorgelegt, dass die Ehefrau des Klägers bis einschließlich Dezember 2007 in Polen Kindergeld erhalten habe.

4

Mit einem Bescheid vom 5. August 2008 lehnte die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld ab, da der Kläger in Polen sozialversicherungspflichtig sei und er somit nach Art. 13- 17 der VO (EWG) 1408/71 ausschließlich ausländischen Rechtsvorschriften unterliege, so dass ein Anspruch in Deutschland nicht bestehe.

5

Mit seinem Einspruch hiergegen trug der Kläger vor, ein Ausschluss nach Artikel 13-17 sei nicht erkennbar. Er habe einen Anspruch auf deutsches Kindergeld unter Anrechnung eines etwa zustehenden polnischen Kindergeldes, welches mangels eines Antrags der Ehefrau in Polen etwa zustehen würde. Die zuständigen Behörden in Polen hätten der Beklagten eine Bescheinigung E 411 zugesandt, mit der der Kindergeldanspruch in Polen erneut habe bescheinigt werden sollen. Es stehe bereits fest, dass der Kläger in Deutschland Anspruch auf hälftiges Kindergeld seit März 2006 habe. Dieser Anspruch basiere auf der Konkurrenzvorschrift des Art. 12 Abs. 2 VO Nummer 1408/71 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 DVO Nummer 574/72 gehabt. Danach führe der Ausschluss des deutschen Kindergeldes dazu, dass hier hälftiges Kindergeld zu zahlen sei.

6

Wegen einer Bescheinigung E 411 vom 8. Juni 2009 (Blatt 79-83 der Kindergeldakte) wird auf die Übersetzung (Blatt 84 der Kindergeldakte) verwiesen. Aus der Bescheinigung schlussfolgerte der Kläger, dass ihm für K bis Ende 2007 polnisches Kindergeld zugestanden habe, so dass von März 2006 bis Dezember 2007 Kindergeld zur Hälfte und ab Januar 2008 voll zu zahlen sei. Da ihm für A kein polnisches Kindergeld zustehe, sei für das Kind ab März 2006 deutsches Kindergeld in voller Höhe zu leisten.

7

Mit Schriftsatz vom 12. November 2009 teilte der Kläger mit, wegen nachträglicher Feststellung zu hoher Einkommensgrenzen aus seinen Einnahmen in Deutschland sei polnisches Kindergeld für den Zeitraum September 2006 ist August 2007 von ihm zurückgefordert worden. Auf den Rückforderungsbescheid werde verwiesen (Blatt 91 der Kindergeldakte in polnischer Sprache). Daher beurteile sich der Anspruch allein nach §§ 62 ff. EStG, § 65 EStG und die damit verbundenen gemeinschaftsrechtlichen Konkurrenzregelungen fänden keine Anwendung. Für A bestehe ebenfalls ein Anspruch, da in Polen wegen des Studiums des Kindes kein Anspruch bestehe.

8

Die Beklagte forderte nunmehr einen Nachweis darüber, dass durchgängig ab März 2006 in Polen aus rechtlichen Gründen kein Anspruch auf Kindergeld bestanden habe.

9

Der Kläger verwies auf eine Bescheinigung einer polnischen Behörde vom 2. Februar 2010, dass für das Kind A kein Kindergeld bewilligt worden sei, weil es sich in einer universitären Ausbildung befunden habe (Übersetzung: Blatt 147,150-151 der Kindergeldakte).

10

Weiterhin legte der Kläger auf Aufforderung eine Freizügigkeitsbescheinigung vom 20. Juni 2006 vor (Blatt 131 der Kindergeldakte).

11

Mit zwei Teilabhilfebescheiden vom 5. Mai 2010 setzte die Beklagte für den Zeitraum September 2006 ist August 2007 für beide Kinder Kindergeld in voller Höhe fest. Für A wurde überdies Kindergeld in voller Höhe ab Februar 2009 festgesetzt. Im Übrigen wurde mit Einspruchsentscheidung vom 5. Mai 2010 der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Hierzu trug die Beklagte vor, nach Art. 13 Abs. 2 VO Nummer 1408/71 unterliege eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats erwerbstätig sei, grundsätzlich den Rechtsvorschriften dieses Staates, auch wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohne. Unterliege diese Person den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates, bestehe für sie Anspruch auf deutsches Kindergeld unter den Voraussetzungen des EStG oder des Bundeskindergeldgesetzes, sofern in dem anderen Mitgliedstaat wegen nationaler Regelungen kein Anspruch auf Kindergeld oder vergleichbare Leistungen bestehe, zum Beispiel wegen Überschreitens einer Alters- oder Einkommensgrenze. Würden jedoch Leistungen dieser Art im anderen Mitgliedstaat gewährt, sei nach § 65 Abs. 1 EStG eine Gewährung deutschen Kindergeldes ausgeschlossen sei. Differenz- bzw. Unterschiedzahlungen kämen nicht in Betracht, der Kläger sei in Polen gesetzlich rentenversichert. Er unterliege somit polnischen Rechtsvorschriften und könne Kindergeld nur erhalten, wenn dieses in Polen wegen nationaler Regelungen ausgeschlossen. Seine Ehefrau habe von Juni 2006 ist August 2006 und September 2007 bis August 2008 in Polen Kindergeld erhalten und ab September 2008 sei noch keinen Antrag gestellt worden. Für A habe dem Grunde nach in Polen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres im September 2009 ein Anspruch auf Kindergeld bestanden. K vollende im August 2012 das 18. Lebensjahr. Bis zu diesem Zeitpunkt bestehe jedenfalls dem Grunde nach in Polen ein Anspruch. Für März 2006 bis August 2006 und September 2007 bis Januar 2009 bestehe weder für A noch K hier ein Anspruch auf Kindergeld, für K auch nicht ab Februar 2009.

12

Mit seiner Klage hiergegen trägt der Kläger vor, für A habe gemäß Bescheinigung E 411 vom 22. Februar 2010 in Polen ein Anspruch nur von März 2006 ist August 2006 bestanden. Ab September 2007 habe mangels Erfüllung gesetzlicher Voraussetzungen, ein Studium sei begonnen worden und eine Behinderung habe nicht bestanden, kein Anspruch mehr bestanden. Für K habe von März 2006 bis August 2006 sowie September 2007 bis August 2008 ein Anspruch auf polnisches Kindergeld bestanden. Soweit in Polen kein Anspruch bestehe, seit hier Kindergeld zu bewilligen. Für die mit der Klage geltend gemachten Zeiträume sei mangels polnischer Kindergeldzahlung der Anspruch erfüllt. Wäre in Polen gezahlt worden, wäre ein Anspruch nach § 65 EStG grundsätzlich ausgeschlossen. Hier komme die Konkurrenzregelung der VO 1408/71 sowie die hierzu ergangene Durchführungsverordnung (DVO) 574/12 zur Anwendung mit der Folge, dass bei einem Anspruch im Herkunftsland die deutsche Leistung unter deren Anrechnung zu gewähren sei. Voraussetzung sei eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit als Arbeitnehmer oder bei Selbständigen eine Rentenversicherungspflicht. Der Kläger sei als Selbständiger nicht rentenversicherungspflichtig. Dann sei keine Anrechnung der ausländischen Leistungen möglich, allerdings sei die allgemeine Konkurrenzregelung des Art. 12 Abs. 2 VO Nummer 1408/71 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 DVO Nummer 574/72 anzuwenden. Danach führe der grundsätzliche Ausschluss des deutschen Kindergeldes dazu, dass hier das halbe Kindergeld zu zahlen sei.

13

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 5. August 2008 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 5. Mai 2010 sowie in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 5. Mai 2010 dahin zu ändern,
dass für das Kind K für die Zeiträume März 2006 bis August 2006 sowie September 2007 bis August 2008 Kindergeld zur Hälfte und für die Zeit ab September 2008 in voller Höhe festgesetzt wird,
dass für das Kind A für die Zeiträume März 2006 bis August 2006 Kindergeld zur Hälfte sowie für September 2007 bis Dezember 2008 in voller Höhe festgesetzt wird,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

14

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

15

Zur Begründung verweist sie auf ihre Einspruchsentscheidung.

16

Während des Klageverfahrens legte der Kläger eine Studienbescheinigung für A vor, wonach diese noch bis zum September 2012 studiere, sowie eine Bescheinigung für K, wonach diese im Schuljahr 2010/2011 noch die Schule besuche (Blatt 40-41 der Kindergeldakte). Des Weiteren legte der Kläger eine Gewerbeanmeldung seiner Ehefrau in E (Deutschland) vom 11. Februar 2009 vor, wonach diese Dienstleistungen in der Landwirtschaft, Weinbau, Pflege- und Betreuungsarbeiten nach Hausfrauenart erbringen wolle.

17

Am 17. April 2012 wurde in einer mündlichen Verhandlung die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs diskutiert, insbesondere zu der Frage, welchen Versichertenstatus der Kläger bis in die jüngere Vergangenheit in Polen innegehabt habe. Der Kläger sollte hierzu der Grund der Versicherung in Polen angeben, insbesondere zur Frage, ob die Rentenversicherung aufgrund von eigenem Erwerbseinkommen oder über die Versicherung der Ehefrau bestehe.

18

In der mündlichen Verhandlung hat auch der Kläger, wie auch die Beklagte auf erneute mündliche Verhandlung verzichtet. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll verwiesen (Blatt 82-83 der Prozessakten).

19

Hierauf trägt der Kläger vor, er sei als Familienmitglied im Haushalt seiner Ehefrau bei der polnischen Versicherung für Bauern (KRUS) versichert. Eine Versicherung aus Anlass einer Beschäftigung oder anderweitiger Erwerbstätigkeit habe nicht bestanden. Seine Ehefrau lebe seit 2009 regelmäßig in Deutschland und habe sich mit einem Gewerbebetrieb niedergelassen. Daher könne ab Februar 2009 in Polen kein Anspruch auf Kindergeld mehr begründet werden. Die in der Verhandlung angesprochene Rechtsprechung sei mithin nicht einschlägig. Der Bundesfinanzhof habe in den genannten Verfahren (III R 81/08, III R 55/08) diese zur erneuten Entscheidung an die Finanzgerichte zurückverwiesen. Er habe einen Anspruch nicht abgelehnt, sondern festgestellt, dass weitere Feststellungen zur Anspruchsberechtigung in Bezug auf die Kinder zu treffen seien. Es habe eine Prüfung nach dem EStG zu erfolgen. Auf eine Sozialversicherungspflicht im Rahmen der Prüfung des § 65 EStG komme es nicht. Ab Oktober 2010 habe die Beklagte Kindergeld festgesetzt.

20

Hierzu trägt die Beklagte vor, für A sei außerhalb des Streitzeitraums ab Oktober 2011 Kindergeld festgesetzt worden. In Oktober 2012 sei wegen der Beendigung ihres Studiums die Festsetzung aufgehoben worden. Somit sei für A von Februar 2009 bis September 2012 Kindergeld gezahlt worden. Aus der Bescheinigung der polnischen Sozialversicherung für Landwirte vom 1. August 2007 ergebe sich eindeutig, dass der Kläger seit 1. Oktober 1999 bis auf weiteres aus eigenem Recht gesetzlich renten-, unfall- und krankenversichert gewesen sei. Eine gegenteilige Bestätigung habe er nicht vorgelegt. Nach dem BFH-Urteil vom 4. August 2011 (III R 55/08) sei die VO Nummer 1408/71 auch den Kläger anwendbar, es bestehe ein Anspruch in Polen, der einen solchen nach dem EStG ausschließe.

Entscheidungsgründe

21

Die Klage ist unbegründet.

22

Streitzeitraum ist die Zeit von März 2006 bis Mai 2010, also dem Monat, in dem die Einspruchsentscheidung bekannt gegeben wurde. Dies ergibt sich aus dem im Kindergeldrecht geltenden Monatsprinzip (§ 66 Abs. 2 EStG).

23

Die Klage hat zunächst keinen Erfolg, soweit der Kläger für bestimmte Zeiträume Kindergeld nur in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Anspruches geltend macht.

24

So ergibt sich für den Zeitraum März 2006 bis August 2006 für beide Kinder sowie für den Zeitraum September 2007 bis August 2008 für das Kind K kein Anspruch auf (hälftiges) deutsches Kindergeld. Dem steht entgegen, dass der Kläger in den genannten Zeiträumen Kindergeld bzw. damit vergleichbare Leistungen seitens polnischer Leistungsträger erhalten hat und darüber hinaus weder ein Anspruch auf Differenzkindergeld noch ein Anspruch nach Art. 12 Abs. 2 VO Nummer 1408/71 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 DVO Nummer 574/72 bestand.

25

Ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den §§ 62 f. EStG ist durch die Verordnung (VO) Nummer 1408/71 und die Verordnung (EWG) Nummer 574/72 ausgeschlossen. Für die genannten Zeiträume ist diese Verordnung anzuwenden.

26

Der persönliche Geltungsbereich der VO Nummer 1408/71 wird im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des Titels I in Art. 2 der VO Nummer 1408/71 festgelegt. Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung insbesondere für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene. Die in dieser Vorschrift verwendeten Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" werden in Artikel 1a der VO Nummer 1408/71 definiert. Sie bezeichnen jede Person, die im Rahmen eines der in Art. 1a der VO Nummer 1408/71 aufgeführten Systeme der sozialen Sicherheit gegen die in dieser Vorschrift angegebenen Risiken unter den dort genannten Voraussetzungen versichert ist. Eine Person besitzt somit zum Beispiel die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der VO Nummer 1408/71, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen der in Art. 1 Buchstabe Art dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Es ist nicht die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit maßgeblich sondern der Versichertenstatus. Die VO 1408/71 soll also grundsätzlich für alle Personen gelten, die im Rahmen der für Arbeitnehmer und Selbstständige bereit gestellten Systeme sozialer Sicherheit oder aufgrund der Ausübung einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert sind.

27

Erforderlich, aber auch ausreichend für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nummer 1408/71 ist, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1a der Verordnung in irgend einem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der Europäischen Union versichert ist. Dass eine Person die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1a der Verordnung Nummer 1408/71 in Bezug auf ihre in Deutschland ausgeübte Tätigkeit nicht erfüllt, bedeutet daher noch nicht, dass sie dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung nicht unterfällt, denn dieser kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem System der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats eröffnet sein.

28

Die Verordnung ist personenbezogen. Ihr Ziel ist die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der Europäischen Union zu- oder abwandern, soll jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist daher in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob eine Person die Versicherteneigenschaft nach den für die soziale Sicherheit gelten Rechtsvorschriften irgendeines, gegebenenfalls auch mehrerer, Mitgliedstaaten besitzt.

29

Ist danach der persönliche Geltungsbereich der VO Nummer 1408/71 für eine Person eröffnet, ist in einem zweiten Schritt das auf sie anzuwendende Recht nach den Artikeln 13 ff. der VO Nummer 1408/71 zu bestimmen.

30

Bezogen auf den Streitfall ist daher zu prüfen, ob der Kläger in Polen und/oder in Deutschland als Arbeitnehmer und/oder Selbständiger im Sinne des Artikel 1a der VO gilt oder nicht.

31

In Deutschland war der Kläger im Hinblick auf seine gewerbliche Tätigkeit nicht versichert und auch nicht versicherungspflichtig, so dass er insoweit hier nicht als Selbständiger im Sinne der Verordnung gilt. Diese Voraussetzung erfüllte er nach den vorliegenden Erkenntnissen jedoch durch eine Versicherung gegen soziale Risiken in Polen.

32

Entgegen anders lautender Auffassung des Klägers und insoweit von ihm trotz Thematisierung in der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2012 nicht nachgewiesen, bestand für ihn selbst eine Versicherung in der Sozialversicherung für Landwirte, und zwar gemäß der Bescheinigung vom 1. August 2007 durchgängig seit dem 1. Oktober 1999 als Landwirt. Dies ergibt sich aus der Bestätigung, auf deren Übersetzung verwiesen wird (Blatt 35 der Kindergeldakte). Insoweit ist nicht darauf abzustellen, ob er eventuell über seine Ehefrau in der Sozialversicherung für Landwirte abgesichert gewesen ist. Vielmehr ergibt sich, dass diese wiederum selbst mit zwei Kindern dort abgesichert ist. Hierzu wird auf die die Ehefrau betreffende Bestätigung verwiesen (Blatt 37 der Kindergeldakte).

33

Umstände, nach denen eine solche Versicherung des Klägers im streitigen Zeitraum nicht mehr bestanden haben könnte sind nicht ersichtlich. Der Kläger muss sich daher weiterhin so behandeln lassen, als wäre er als selbständiger Landwirt in Polen tätig, wofür der Versichertenstatus gemäß dem Zweck der Anwendung der VO fortbesteht (so zum Ganzen mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung BFH Urteil vom 4. August 2011 III R 55/08, BFH/NV 2012, 85).

34

Das anzuwendende Recht bestimmt sich daher nach den Vorschriften des Titels II dieser Verordnung (Art. 13 ff.).

35

Gemäß Art. 13 Absatz 2b der VO Nummer 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaates eine selbständige Tätigkeit ausübt, den Vorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Staates wohnt.

36

Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nummer 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausgeübt wird, bestimmt sich dies nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt. Anzuknüpfen ist dabei an diejenige Tätigkeit, hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger im Sinne des Art. 1 a der VO Nummer 1408/71 gilt (zum Ganzen BFH Urteil vom 4. August 2011 III R 55/08, BFH/NV 2012, 85).

37

Für den Streitfall kann sich die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften daher nicht aus Art. 13 Absatz 2b der VO Nummer 1408/71 ergeben, denn hinsichtlich seiner in Deutschland ausgeübten gewerblichen Tätigkeit gilt er hiernach nicht als Selbständiger (zum Ganzen Anm. von Richter am Bundesfinanzhof Dr. Selder zu BFH Urteil vom 4. August 2011 III R 55/08, juris-Dokument).

38

Soweit der Kläger somit im Inland nicht als Selbständiger im Sinne der Verordnung gilt, er vielmehr nach Art. 13 ff. der VO Nummer 1408/71 den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates unterliegt, besteht kein Anspruch auf deutsches Kindergeld, auch wenn die Voraussetzungen der § 62 ff. EStG im übrigen erfüllt sein sollten (so Urteil des FG Nürnberg vom 10. Februar 2011 7 K 592/08, EFG 2011, 1172).

39

Weiterhin ist im Streitfall zu beachten, dass zumindest im streitigen Zeitraum die Kinder nicht in Deutschland lebten. Vielmehr bestand für sie über ihre mit in Polen lebende Mutter und Ehefrau des Klägers ein Anspruch auf Kindergeld für die streitigen Zeiträume.

40

Die Klage ist eben so für die verbliebenen Zeiträume, für die Kindergeld in voller Höhe geltend gemacht wird, unbegründet. Auch für diese Zeiträume ist zu beachten, dass der Kläger in Deutschland nicht als Selbständiger im Sinne des Artikel 1a der VO Nummer 1408/71 gilt, so dass sich keine Anwendung deutscher Vorschriften aus Art. 13 Absatz 2b der VO Nummer 1408/71 ergibt.

41

Die Verordnung bildet ein geschlossenes System von Kollisionsnormen, dass dem nationalen Gesetzgeber die Befugnis entzieht, in diesem Bereich den Geltungsbereich und die Anwendungsvoraussetzungen der nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick darauf zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und mit welchem Gebiet sie ihre Wirkung entfalten soll. Somit ist Deutschland als nicht zuständiger Mitgliedstaats auch nicht befugt, im Streitfall Kindergeld nach Maßgabe der §§ 62 f. EStG zu gewähren, weil ein solches in Polen nicht geleistet wird.

42

Anders als im Fall Bosman (EuGH Urteil vom 20. Mai 2008 -C-352/06- EuGH E2 1008, I-3827) hat der Kläger dadurch, dass er sein Recht auf Freizügigkeit genutzt hat und in Deutschland tätig war, keine Verluste erlitten, denn sein Anspruch auf Zahlung von Kindergeld in Polen ist allein aufgrund der Höhe seines Einkommens ausgeschlossen gewesen, sowie hinsichtlich des Kindes A aufgrund der Tatsache, dass dieses nach Vollendung seines 21. Lebensjahres nicht mehr den Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nach polnischem Recht unterlag, nicht aber aufgrund des Umstandes, dass er in Deutschland tätig gewesen ist. Zudem lebten -anders als im Fall Bosman- die Kinder des Klägers und auch seine Ehefrau in Polen und nicht in Deutschland.

43

Hinsichtlich der Ehefrau ist ein Nachweis, dass sie in Deutschland lebt nicht geführt worden. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus ihrer Gewerbeanmeldung vom Februar 2009. Damit ist weder den Nachweis geführt, dass sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet hat (§§ 8,9 AO) (zu einem mit dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt auch: Urteil des Finanzgerichts Münster vom 8. Februar 2012 11 K 4112/09 Kg, EFG 2012, 1277).

44

Für den Mai 2010 als letztem streitigen Monat gilt nichts anderes, auch diesbezüglich ist die Klage aus den genannten Gründen unbegründet. So ist die ab diesem Monat geltende Verordnung (VO) 883/2004 (Art. 90 Abs. VO 883/2004) gemäß Durchführungsverordnung (EG) 987/2009 vom 16. September 2009 erst ab Inkrafttreten dieser letztgenannten Verordnung am 10. Mai 2010 anzuwenden.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

46

Gründe für die Zulassung der Revision bestanden nicht. So sind die für den Streitfall einschlägigen rechtlichen Fragen durch die Entscheidungen des Bundesfinanzhofes, unter anderem mit BFH Urteilen vom 4. August 2011 (III R 81/08, III R 55/08) geklärt.

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Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Einkommensteuergesetz - EStG | § 65 Andere Leistungen für Kinder


1Kindergeld wird nicht für ein Kind gezahlt, für das eine der folgenden Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre:1.Leistungen für Kinder, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder der Kinderzulage aus

Einkommensteuergesetz - EStG | § 66 Höhe des Kindergeldes, Zahlungszeitraum


(1) Das Kindergeld beträgt monatlich für jedes Kind 250 Euro. (2) Das Kindergeld wird monatlich vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfa

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Tatbestand 1 I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist polnischer Staatsangehöriger. Seine Ehefrau wohnt mit den gemeinsamen Kindern in Polen.

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Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland Pfalz vom 3. Juni 2013  2 K 1727/10 aufgehoben.

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1Kindergeld wird nicht für ein Kind gezahlt, für das eine der folgenden Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre:

1.
Leistungen für Kinder, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder der Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 217 Absatz 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 30. Juni 2020 geltenden Fassung oder dem Kinderzuschuss aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 270 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 16. November 2016 geltenden Fassung vergleichbar sind,
2.
Leistungen für Kinder, die von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährt werden und dem Kindergeld vergleichbar sind.
2Soweit es für die Anwendung von Vorschriften dieses Gesetzes auf den Erhalt von Kindergeld ankommt, stehen die Leistungen nach Satz 1 dem Kindergeld gleich.3Steht ein Berechtigter in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit nach § 24 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder ist er versicherungsfrei nach § 28 Absatz 1 Nummer 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder steht er im Inland in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis, so wird sein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind nicht nach Satz 1 Nummer 2 mit Rücksicht darauf ausgeschlossen, dass sein Ehegatte als Beamter, Ruhestandsbeamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Union für das Kind Anspruch auf Kinderzulage hat.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist polnischer Staatsangehöriger. Er ist verheiratet und hat zwei im April 1986 und im Juni 1990 geborene Kinder, die mit seiner Ehefrau in Polen leben. In Deutschland betreibt der Kläger ein Gewerbe.

2

Seinen Antrag, ihm für seine beiden Kinder Kindergeld zu gewähren, lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) im Oktober 2006 ab. Den Einspruch des Klägers wies sie durch Einspruchsentscheidung im Januar 2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger seit 1991 bei der Sozialversicherung der Landwirte in Polen (KRUS) als Landwirt versichert sei und daher allein den polnischen Rechtsvorschriften unterliege.

3

Im hiergegen gerichteten Klageverfahren, in dem er beantragte, ihm für seine beiden Kinder ab Januar 2006 Kindergeld zu gewähren, gab der Kläger u.a. an, er sei über seine Ehefrau bei der KRUS sozialversichert.

4

Mit Urteil vom 16. Januar 2008  2 K 623/07 (juris) hob das Finanzgericht (FG) den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung der Familienkasse auf und verwies die Sache nach § 100 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur weiteren Sachaufklärung an die Familienkasse zurück.

5

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung der Art. 1, 2 und 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 --VO Nr. 118/97-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1997 Nr. L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 --VO Nr. 647/2005-- (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2005 Nr. L 117, S. 1).

6

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8

Zur Begründung trägt er u.a. vor, die VO Nr. 1408/71 sei auf ihn nicht anzuwenden, da er weder in Deutschland noch in Polen sozialversichert sei. Da er in Polen keiner Tätigkeit nachgehe, könne er dort nicht versichert sein; dies ergebe sich aus Art. 5a Abs. 1 und Abs. 10 des polnischen Gesetzes über die Sozialversicherung der Landwirte vom 20. Dezember 1990. Richtig sei lediglich, dass er aufgrund eines Fehlers der KRUS bei dieser als Versicherter geführt werde, bis der Fehler entdeckt und das angeblich bestehende Versicherungsverhältnis rückabgewickelt werde. Die Bescheinigung der KRUS sei unrichtig, die Versicherung nichtig und daher als Anknüpfungspunkt ungeeignet.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

10

1. Das FG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den §§ 62 f. des Einkommensteuergesetzes (EStG) für seine Kinder allenfalls nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG (bzw. für das 1986 geborene Kind auch deshalb, weil das Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG noch zu prüfen ist), nicht aber auch nach den vorrangigen Bestimmungen der VO Nr. 1408/71 ausgeschlossen sein könne. Die bisherigen Feststellungen des FG ermöglichen allerdings keine abschließende Entscheidung dazu, ob der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird und ob in diesem Fall deutsches oder polnisches Recht auf ihn anzuwenden wäre.

11

2. Ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den §§ 62 f. EStG könnte durch die VO Nr. 1408/71 und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO Nr. 1408/71 (VO Nr. 574/72) in ihrer durch die VO Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die VO Nr. 647/2005, ausgeschlossen sein.

12

a) Auf den Streitfall sind noch diese Verordnungen anzuwenden. Die VO Nr. 1408/71 wurde zwar ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit --VO Nr. 883/2004-- (ABlEU 2004 Nr. L 166, S. 1). Letztere gilt jedoch nach ihrem Art. 91 Abs. 2 erst ab dem Tag des Inkrafttretens der zu ihrer Durchführung erlassenen Verordnung. Diese --die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO Nr. 883/2004 --VO Nr. 987/2009-- (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1)-- trat nach ihrem Art. 97 Satz 2 erst am 1. Mai 2010 in Kraft. Die VO Nr. 574/72 wurde nach Art. 96 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 erst mit Wirkung vom 1. Mai 2010 aufgehoben. Für den Streitfall gelten demnach noch die VO Nr. 1408/71 und die hierzu ergangene VO Nr. 574/72.

13

b) Als Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der VO Nr. 1408/71 unterfällt das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung ihrem sachlichen Geltungsbereich (z.B. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 14. Oktober 2010 C-16/09, Schwemmer, Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht --ZESAR-- 2011, 86 Rdnr. 33).

14

c) Die bisherigen Feststellungen des FG reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger auch dem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 unterfällt.

15

aa) Der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 wird im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des Titels I in Art. 2 der VO Nr. 1408/71 festgelegt. Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung insbesondere für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

16

Die in dieser Vorschrift verwendeten Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" werden in Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 definiert. Sie bezeichnen jede Person, die im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 aufgeführten Systeme der sozialen Sicherheit gegen die in dieser Vorschrift angegebenen Risiken unter den dort genannten Voraussetzungen versichert ist. Eine Person besitzt somit z.B. die Arbeitnehmereigenschaft i.S. der VO Nr. 1408/71, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses (z.B. EuGH-Urteile vom 7. Juni 2005 C-543/03, Dodl und Oberhollenzer, Slg. 2005, I-5049 Rdnrn. 29 ff.; vom 10. März 2011 C-516/09, Borger, Europäische Zeitung für Wirtschaftsrecht 2011, 436 Rdnrn. 28 ff.). Es ist nicht die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit maßgeblich, sondern der Versichertenstatus (Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach D, I. Kommentierung, Art. 72 der VO Nr. 1408/71 Rz 5). Die VO Nr. 1408/71 soll also grundsätzlich für alle Personen gelten, die im Rahmen der für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten Systeme sozialer Sicherheit oder aufgrund der Ausübung einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert sind (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 3).

17

bb) Für die Frage, ob der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet ist, kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bzw. Selbständige auch die Voraussetzungen erfüllt, die in ihrem Anhang I Teil I Buchst. D aufgeführt sind. Denn die in dieser Bestimmung enthaltenen Einschränkungen gelten, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt ("Ist ein deutscher Träger der zuständige Träger für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 der Verordnung, ..."), nur für die Vorschriften des Titels III Kapitel 7 der VO Nr. 1408/71, d.h. bei Anwendung ihrer Art. 72 ff. (z.B. EuGH-Urteile vom 12. Mai 1998 C-85/96, Martinez Sala, Slg. 1998, I-2691 Rdnrn 35 ff., 43 f., und vom 4. Mai 1999 C-262/96, Sürül, Slg. 1999, I-2685 Rdnrn. 89 ff.; ferner EuGH-Urteile vom 30. Januar 1997 C-4/95, 5/95, Stöber und Pereira, Slg. 1997, I-511 Rdnrn. 26 ff.; vom 12. Juni 1997 C-266/95, Garcia, Slg. 1997, I-3279 Rdnrn. 21 ff., und vom 5. März 1998 C-194/96, Kulzer, Slg. 1998, I-895 Rdnrn. 35 f., jeweils zu Art. 73 der VO Nr. 1408/71; ferner EuGH-Urteil Schwemmer in ZESAR 2011, 86 Rdnr. 34; Vorlagebeschluss des Senats vom 30. Oktober 2008 III R 92/07, BFHE 223, 358, BStBl II 2009, 923 Rz 16 ff.). Das setzt voraus, dass die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 bereits bejaht wurde.

18

Sollte sich dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. August 2002 VIII R 54/00 (BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869) zum Anwendungsbereich des Anhangs I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 etwas anderes entnehmen lassen, könnte der Senat dem aus den oben dargelegten Gründen nicht folgen. Eine Anfrage beim VIII. Senat wäre schon deshalb nicht erforderlich, weil dieser Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für Fragen betreffend Kindergeld (§§ 62 bis 78 EStG) nicht mehr zuständig ist.

19

cc) Erforderlich, aber auch ausreichend für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71 ist, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) versichert ist. Dass eine Person die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in Bezug auf ihre in Deutschland ausgeübte Tätigkeit nicht erfüllt, bedeutet daher noch nicht, dass sie dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung nicht unterfällt, denn dieser kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem System der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats eröffnet sein.

20

Die VO Nr. 1408/71 gilt personen- und nicht tätigkeitsbezogen. Ihr Ziel ist die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der EU zu- und abwandern, soll jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 8). Um dieses Ziel zu erreichen, ist daher in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob eine Person die Versicherteneigenschaft nach den für die soziale Sicherheit geltenden Rechtsvorschriften (irgend) eines, ggf. auch mehrerer, Mitgliedstaaten besitzt (vgl. auch EuGH-Urteil Sürül in Slg. 1999, I-2685 Rdnr. 85). Ist danach der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 für eine Person eröffnet, ist in einem zweiten Schritt das auf sie anzuwendende Recht nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zu bestimmen.

21

dd) Bezogen auf den vorliegenden Fall ist daher zunächst zu prüfen, ob der Kläger in Polen und/oder in Deutschland als Arbeitnehmer und/oder Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt.

22

(1) Entgegen der Auffassung des FG kann der Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 nicht bereits mit der Begründung als nicht eröffnet angesehen werden, dass der Kläger in Polen keine Tätigkeit ausübe, Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 aber die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit voraussetze. Denn die Frage der Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs beurteilt sich allein danach, ob der Kläger i.S. des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger gilt oder nicht.

23

(2) In Deutschland war der Kläger zwar im Hinblick auf seine Tätigkeit im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit nicht versichert und auch nicht versicherungspflichtig, so dass er insoweit nicht als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Die bisherigen Feststellungen des FG ermöglichen jedoch keine Beurteilung, ob der Kläger ggf. in Polen als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt.

24

Nach den Feststellungen des FG ist der Kläger in Polen über seine Ehefrau in der KRUS mitversichert. Diese Feststellung allein reicht jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger deshalb als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Denn nicht jede Mitgliedschaft in einem System der sozialen Sicherheit führt zur Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71. Diese knüpft insoweit in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 vielmehr daran an, dass eine Person entweder in einem für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten System der sozialen Sicherheit, oder jedenfalls gerade aufgrund einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert ist (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 3). Die Mitgliedschaft in einem System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats führt also nur dann zur Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71, wenn sie zugleich die Voraussetzungen des Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung erfüllt. Dafür kann ggf. auch die freiwillige Mitgliedschaft eines Selbständigen ausreichen (vgl. Art. 1 Buchst. a Ziff. iv der VO Nr. 1408/71). Die erforderlichen Feststellungen zum polnischen System der sozialen Sicherheit und zu dem konkreten Versichertenstatus des Klägers im Rahmen dieses Systems sind daher nun nachzuholen. Insoweit kann auch von Bedeutung sein, ob, wovon das FG offenbar ausgeht, der Kläger über seine Ehefrau in der KRUS mitversichert ist, oder ob die in der Kindergeldakte enthaltenen Bescheinigungen der KRUS vom 3. November 2006 nicht stattdessen eine Versicherung des Klägers als Landwirt und eine Mitversicherung seiner Ehefrau belegen.

25

(3) Soweit der Kläger vorträgt, dass er in Polen nicht versichert sein könne, weil er in Polen keine Tätigkeit ausübe, und dass er lediglich aufgrund eines Fehlers der KRUS bei dieser als Versicherter geführt werde, obliegt es ihm, den Nachweis zu erbringen, dass er im Streitzeitraum tatsächlich nicht versichert war, die bestehende Versicherung also rückabgewickelt wurde. Bescheinigt ein ausländischer Versicherungsträger wie hier die KRUS das Bestehen einer Versicherung, so sind deutsche Behörden und Gerichte an diese Bescheinigung grundsätzlich gebunden, sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Bescheinigung als solche fehlerhaft ist (vgl. EuGH-Urteil vom 26. Januar 2006 C-2/05, Herbosch Kiere, Slg. 2006, I-1079 Rdnrn. 18 ff.). Bescheinigt ein ausländischer Versicherungsträger also z.B. (weiterhin) das Bestehen einer Versicherung als Landwirt, weil ein vormals in Polen als Landwirt tätiger und als solcher Versicherter es unterlässt, dem zuständigen Versicherungsträger mitzuteilen, dass er diese Tätigkeit aufgegeben hat und nunmehr im Ausland eine Tätigkeit ausübt, so muss sich der so Versicherte --entsprechend der tatsächlich (noch) bestehenden und insoweit zutreffend bescheinigten Versicherung-- an diesem Versichertenstatus festhalten lassen mit der Folge, dass er (weiterhin) so behandelt wird, als ob er (weiterhin) als selbständiger Landwirt in Polen tätig ist. In diesem Fall gilt er daher nicht nur i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger, sondern --entsprechend der tatsächlich noch bestehenden Versicherung-- auch als ein Arbeitnehmer bzw. Selbständiger, der i.S. des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a bzw. b der VO Nr. 1408/71 in Polen eine Tätigkeit ausübt. Es ist Aufgabe des Versicherten, seiner Versicherung gegenüber rechtzeitig Änderungen mitzuteilen, die für sein Versicherungsverhältnis von Bedeutung sind, und auf diese Weise einen seinen tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Versichertenstatus zu erreichen. Solange daher der Kläger nicht den Nachweis erbracht hat, dass er im Streitzeitraum tatsächlich nicht mehr bei der KRUS versichert war und die bestehende Versicherung tatsächlich rückabgewickelt wurde, muss er sich für Zwecke der Anwendung der VO Nr. 1408/71 entsprechend seines von der KRUS bescheinigten, tatsächlich bestehenden Versichertenstatus behandeln lassen.

26

ee) Dahinstehen kann, ob die Ehefrau des Klägers als Arbeitnehmerin bzw. Selbständige i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 und der Kläger als ihr Familienangehöriger (Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 der VO Nr. 1408/71) anzusehen sind, weil dies entgegen der Auffassung der Familienkasse nicht dazu führen würde, dass das auf den Kläger anzuwendende Recht sich nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 richten würde. Denn diese Bestimmungen knüpfen nicht an den Familienangehörigen eines Arbeitnehmers bzw. Selbständigen, sondern an diesen selbst an (vgl. EuGH-Urteil vom 3. Juni 1999 C-211/97, Gomez-Rivero, Slg. 1999, I-3219 Rdnrn. 22 ff.).

27

3. Sollten die noch erforderlichen Ermittlungen des FG ergeben, dass der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird, ist das auf ihn anzuwendende Recht nach den Vorschriften des Titels II dieser Verordnung (Art. 13 ff.) zu bestimmen.

28

a) Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird (so z.B. in Art. 13 Abs. 2 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71), bestimmt sich dies entgegen der Auffassung der Familienkasse grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern --entsprechend dem insoweit eindeutigen Wortlaut der jeweiligen Bestimmung-- danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt. Dabei ist grundsätzlich von dem bescheinigten Versichertenstatus des Versicherten auszugehen (vgl. oben unter II.2.c dd (3)).

29

Anzuknüpfen ist allerdings nur an diejenige(n) Tätigkeit(en), hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Die Vorschriften des Titels II der VO Nr. 1408/71 beziehen sich zwar ihrem Wortlaut nach auf Personen, die abhängig beschäftigt sind bzw. eine selbständige Tätigkeit ausüben, und nicht auf Arbeitnehmer oder Selbständige. Eine kohärente Auslegung des persönlichen Geltungsbereichs dieser Verordnung und des durch sie geschaffenen Systems von Kollisionsregeln gebietet es aber, die fraglichen Begriffe des Titels II der VO Nr. 1408/71 im Lichte der Definitionen ihres Art. 1 Buchst. a auszulegen (vgl. EuGH-Urteil vom 30. Januar 1997 C-221/95, Hervein, Slg. 1997, I-609 Rdnrn. 19 f.). Für den Kläger kann sich die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften daher nicht aus Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 ergeben, denn hinsichtlich seiner in Deutschland ausgeübten gewerblichen Tätigkeit gilt er nicht als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71.

30

b) Sollte die Prüfung der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 gleichwohl ergeben, dass auf den Kläger deutsche Rechtsvorschriften anzuwenden sind, müsste --neben der Frage, ob auch das 1986 geborene Kind die Voraussetzungen des § 32 EStG erfüllt-- noch ermittelt werden, ob und ggf. für welche Monate des Streitzeitraums für die Kinder des Klägers in Polen ein Anspruch auf Familienleistungen bestand. Soweit ein solcher Anspruch bestand, wäre die dann gegebene Anspruchskumulierung nach den Antikumulierungsvorschriften der VO Nr. 1408/71 bzw. der VO Nr. 574/72 zu klären. Dabei wären bei Anwendung des Art. 76 der VO Nr. 1408/71 bzw. des Art. 10 der VO Nr. 574/72 die Einschränkungen des Anhangs I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 zu berücksichtigen.

31

c) Sollten nach den Bestimmungen der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 die deutschen Rechtsvorschriften nicht anzuwenden sein, stellte sich die Frage, ob Deutschland als der nach der VO Nr. 1408/71 dann nicht zuständige Mitgliedstaat gleichwohl befugt wäre, Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG zu zahlen, und ob in einem solchen Fall der Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unionsrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Insoweit handelte es sich um die gleichen Fragestellungen, die bereits Gegenstand der Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 21. Oktober 2010 III R 5/09 (BFHE 231, 183) und III R 35/10 (BFHE 231, 194) sind, so dass eine Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in den bei diesem anhängigen Verfahren C-611/10 und C-612/10 in Betracht kommen könnte.

32

4. Sollte der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 für den Kläger nicht eröffnet sein, richtete sich sein Kindergeldanspruch allein nach den §§ 62 ff. EStG. Insoweit wäre, worauf das FG bereits selbst hingewiesen hat, insbesondere noch zu klären, ob und ggf. für welche Monate des Streitzeitraums in Polen für die Kinder des Klägers ein Anspruch auf Familienleistungen bestand. Zudem wäre noch zu prüfen, ob auch das 1986 geborene Kind die Voraussetzungen des § 32 EStG erfüllt.

33

5. Die Sache ist im Rahmen des Revisionsbegehrens danach nicht spruchreif und war deshalb nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine (erneute) Anwendung des § 100 Abs. 3 FGO im zweiten Rechtsgang nicht in Betracht kommt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 IX R 63/95, BFHE 182, 287, BStBl II 1997, 409; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 100 FGO Rz 105, 121), so dass dahinstehen kann, ob diese Bestimmung auf den hier gegebenen Fall der Verpflichtungsklage überhaupt anwendbar ist (ablehnend z.B. Lange in HHSp, § 101 FGO Rz 36, m.w.N.; für eine analoge Anwendung z.B. Brandt in Beermann/ Gosch, FGO § 101 Rz 20 ff.).

(1) Das Kindergeld beträgt monatlich für jedes Kind 250 Euro.

(2) Das Kindergeld wird monatlich vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen.

(3) (weggefallen)

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist polnischer Staatsangehöriger. Er ist verheiratet und hat zwei im April 1986 und im Juni 1990 geborene Kinder, die mit seiner Ehefrau in Polen leben. In Deutschland betreibt der Kläger ein Gewerbe.

2

Seinen Antrag, ihm für seine beiden Kinder Kindergeld zu gewähren, lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) im Oktober 2006 ab. Den Einspruch des Klägers wies sie durch Einspruchsentscheidung im Januar 2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger seit 1991 bei der Sozialversicherung der Landwirte in Polen (KRUS) als Landwirt versichert sei und daher allein den polnischen Rechtsvorschriften unterliege.

3

Im hiergegen gerichteten Klageverfahren, in dem er beantragte, ihm für seine beiden Kinder ab Januar 2006 Kindergeld zu gewähren, gab der Kläger u.a. an, er sei über seine Ehefrau bei der KRUS sozialversichert.

4

Mit Urteil vom 16. Januar 2008  2 K 623/07 (juris) hob das Finanzgericht (FG) den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung der Familienkasse auf und verwies die Sache nach § 100 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur weiteren Sachaufklärung an die Familienkasse zurück.

5

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung der Art. 1, 2 und 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 --VO Nr. 118/97-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1997 Nr. L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 --VO Nr. 647/2005-- (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2005 Nr. L 117, S. 1).

6

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8

Zur Begründung trägt er u.a. vor, die VO Nr. 1408/71 sei auf ihn nicht anzuwenden, da er weder in Deutschland noch in Polen sozialversichert sei. Da er in Polen keiner Tätigkeit nachgehe, könne er dort nicht versichert sein; dies ergebe sich aus Art. 5a Abs. 1 und Abs. 10 des polnischen Gesetzes über die Sozialversicherung der Landwirte vom 20. Dezember 1990. Richtig sei lediglich, dass er aufgrund eines Fehlers der KRUS bei dieser als Versicherter geführt werde, bis der Fehler entdeckt und das angeblich bestehende Versicherungsverhältnis rückabgewickelt werde. Die Bescheinigung der KRUS sei unrichtig, die Versicherung nichtig und daher als Anknüpfungspunkt ungeeignet.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

10

1. Das FG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den §§ 62 f. des Einkommensteuergesetzes (EStG) für seine Kinder allenfalls nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG (bzw. für das 1986 geborene Kind auch deshalb, weil das Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG noch zu prüfen ist), nicht aber auch nach den vorrangigen Bestimmungen der VO Nr. 1408/71 ausgeschlossen sein könne. Die bisherigen Feststellungen des FG ermöglichen allerdings keine abschließende Entscheidung dazu, ob der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird und ob in diesem Fall deutsches oder polnisches Recht auf ihn anzuwenden wäre.

11

2. Ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den §§ 62 f. EStG könnte durch die VO Nr. 1408/71 und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO Nr. 1408/71 (VO Nr. 574/72) in ihrer durch die VO Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die VO Nr. 647/2005, ausgeschlossen sein.

12

a) Auf den Streitfall sind noch diese Verordnungen anzuwenden. Die VO Nr. 1408/71 wurde zwar ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit --VO Nr. 883/2004-- (ABlEU 2004 Nr. L 166, S. 1). Letztere gilt jedoch nach ihrem Art. 91 Abs. 2 erst ab dem Tag des Inkrafttretens der zu ihrer Durchführung erlassenen Verordnung. Diese --die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO Nr. 883/2004 --VO Nr. 987/2009-- (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1)-- trat nach ihrem Art. 97 Satz 2 erst am 1. Mai 2010 in Kraft. Die VO Nr. 574/72 wurde nach Art. 96 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 erst mit Wirkung vom 1. Mai 2010 aufgehoben. Für den Streitfall gelten demnach noch die VO Nr. 1408/71 und die hierzu ergangene VO Nr. 574/72.

13

b) Als Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der VO Nr. 1408/71 unterfällt das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung ihrem sachlichen Geltungsbereich (z.B. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 14. Oktober 2010 C-16/09, Schwemmer, Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht --ZESAR-- 2011, 86 Rdnr. 33).

14

c) Die bisherigen Feststellungen des FG reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger auch dem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 unterfällt.

15

aa) Der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 wird im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des Titels I in Art. 2 der VO Nr. 1408/71 festgelegt. Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung insbesondere für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

16

Die in dieser Vorschrift verwendeten Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" werden in Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 definiert. Sie bezeichnen jede Person, die im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 aufgeführten Systeme der sozialen Sicherheit gegen die in dieser Vorschrift angegebenen Risiken unter den dort genannten Voraussetzungen versichert ist. Eine Person besitzt somit z.B. die Arbeitnehmereigenschaft i.S. der VO Nr. 1408/71, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses (z.B. EuGH-Urteile vom 7. Juni 2005 C-543/03, Dodl und Oberhollenzer, Slg. 2005, I-5049 Rdnrn. 29 ff.; vom 10. März 2011 C-516/09, Borger, Europäische Zeitung für Wirtschaftsrecht 2011, 436 Rdnrn. 28 ff.). Es ist nicht die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit maßgeblich, sondern der Versichertenstatus (Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach D, I. Kommentierung, Art. 72 der VO Nr. 1408/71 Rz 5). Die VO Nr. 1408/71 soll also grundsätzlich für alle Personen gelten, die im Rahmen der für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten Systeme sozialer Sicherheit oder aufgrund der Ausübung einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert sind (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 3).

17

bb) Für die Frage, ob der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet ist, kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bzw. Selbständige auch die Voraussetzungen erfüllt, die in ihrem Anhang I Teil I Buchst. D aufgeführt sind. Denn die in dieser Bestimmung enthaltenen Einschränkungen gelten, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt ("Ist ein deutscher Träger der zuständige Träger für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 der Verordnung, ..."), nur für die Vorschriften des Titels III Kapitel 7 der VO Nr. 1408/71, d.h. bei Anwendung ihrer Art. 72 ff. (z.B. EuGH-Urteile vom 12. Mai 1998 C-85/96, Martinez Sala, Slg. 1998, I-2691 Rdnrn 35 ff., 43 f., und vom 4. Mai 1999 C-262/96, Sürül, Slg. 1999, I-2685 Rdnrn. 89 ff.; ferner EuGH-Urteile vom 30. Januar 1997 C-4/95, 5/95, Stöber und Pereira, Slg. 1997, I-511 Rdnrn. 26 ff.; vom 12. Juni 1997 C-266/95, Garcia, Slg. 1997, I-3279 Rdnrn. 21 ff., und vom 5. März 1998 C-194/96, Kulzer, Slg. 1998, I-895 Rdnrn. 35 f., jeweils zu Art. 73 der VO Nr. 1408/71; ferner EuGH-Urteil Schwemmer in ZESAR 2011, 86 Rdnr. 34; Vorlagebeschluss des Senats vom 30. Oktober 2008 III R 92/07, BFHE 223, 358, BStBl II 2009, 923 Rz 16 ff.). Das setzt voraus, dass die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 bereits bejaht wurde.

18

Sollte sich dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. August 2002 VIII R 54/00 (BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869) zum Anwendungsbereich des Anhangs I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 etwas anderes entnehmen lassen, könnte der Senat dem aus den oben dargelegten Gründen nicht folgen. Eine Anfrage beim VIII. Senat wäre schon deshalb nicht erforderlich, weil dieser Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für Fragen betreffend Kindergeld (§§ 62 bis 78 EStG) nicht mehr zuständig ist.

19

cc) Erforderlich, aber auch ausreichend für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71 ist, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) versichert ist. Dass eine Person die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in Bezug auf ihre in Deutschland ausgeübte Tätigkeit nicht erfüllt, bedeutet daher noch nicht, dass sie dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung nicht unterfällt, denn dieser kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem System der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats eröffnet sein.

20

Die VO Nr. 1408/71 gilt personen- und nicht tätigkeitsbezogen. Ihr Ziel ist die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der EU zu- und abwandern, soll jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 8). Um dieses Ziel zu erreichen, ist daher in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob eine Person die Versicherteneigenschaft nach den für die soziale Sicherheit geltenden Rechtsvorschriften (irgend) eines, ggf. auch mehrerer, Mitgliedstaaten besitzt (vgl. auch EuGH-Urteil Sürül in Slg. 1999, I-2685 Rdnr. 85). Ist danach der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 für eine Person eröffnet, ist in einem zweiten Schritt das auf sie anzuwendende Recht nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zu bestimmen.

21

dd) Bezogen auf den vorliegenden Fall ist daher zunächst zu prüfen, ob der Kläger in Polen und/oder in Deutschland als Arbeitnehmer und/oder Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt.

22

(1) Entgegen der Auffassung des FG kann der Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 nicht bereits mit der Begründung als nicht eröffnet angesehen werden, dass der Kläger in Polen keine Tätigkeit ausübe, Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 aber die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit voraussetze. Denn die Frage der Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs beurteilt sich allein danach, ob der Kläger i.S. des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger gilt oder nicht.

23

(2) In Deutschland war der Kläger zwar im Hinblick auf seine Tätigkeit im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit nicht versichert und auch nicht versicherungspflichtig, so dass er insoweit nicht als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Die bisherigen Feststellungen des FG ermöglichen jedoch keine Beurteilung, ob der Kläger ggf. in Polen als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt.

24

Nach den Feststellungen des FG ist der Kläger in Polen über seine Ehefrau in der KRUS mitversichert. Diese Feststellung allein reicht jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger deshalb als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Denn nicht jede Mitgliedschaft in einem System der sozialen Sicherheit führt zur Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71. Diese knüpft insoweit in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 vielmehr daran an, dass eine Person entweder in einem für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten System der sozialen Sicherheit, oder jedenfalls gerade aufgrund einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert ist (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 3). Die Mitgliedschaft in einem System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats führt also nur dann zur Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71, wenn sie zugleich die Voraussetzungen des Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung erfüllt. Dafür kann ggf. auch die freiwillige Mitgliedschaft eines Selbständigen ausreichen (vgl. Art. 1 Buchst. a Ziff. iv der VO Nr. 1408/71). Die erforderlichen Feststellungen zum polnischen System der sozialen Sicherheit und zu dem konkreten Versichertenstatus des Klägers im Rahmen dieses Systems sind daher nun nachzuholen. Insoweit kann auch von Bedeutung sein, ob, wovon das FG offenbar ausgeht, der Kläger über seine Ehefrau in der KRUS mitversichert ist, oder ob die in der Kindergeldakte enthaltenen Bescheinigungen der KRUS vom 3. November 2006 nicht stattdessen eine Versicherung des Klägers als Landwirt und eine Mitversicherung seiner Ehefrau belegen.

25

(3) Soweit der Kläger vorträgt, dass er in Polen nicht versichert sein könne, weil er in Polen keine Tätigkeit ausübe, und dass er lediglich aufgrund eines Fehlers der KRUS bei dieser als Versicherter geführt werde, obliegt es ihm, den Nachweis zu erbringen, dass er im Streitzeitraum tatsächlich nicht versichert war, die bestehende Versicherung also rückabgewickelt wurde. Bescheinigt ein ausländischer Versicherungsträger wie hier die KRUS das Bestehen einer Versicherung, so sind deutsche Behörden und Gerichte an diese Bescheinigung grundsätzlich gebunden, sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Bescheinigung als solche fehlerhaft ist (vgl. EuGH-Urteil vom 26. Januar 2006 C-2/05, Herbosch Kiere, Slg. 2006, I-1079 Rdnrn. 18 ff.). Bescheinigt ein ausländischer Versicherungsträger also z.B. (weiterhin) das Bestehen einer Versicherung als Landwirt, weil ein vormals in Polen als Landwirt tätiger und als solcher Versicherter es unterlässt, dem zuständigen Versicherungsträger mitzuteilen, dass er diese Tätigkeit aufgegeben hat und nunmehr im Ausland eine Tätigkeit ausübt, so muss sich der so Versicherte --entsprechend der tatsächlich (noch) bestehenden und insoweit zutreffend bescheinigten Versicherung-- an diesem Versichertenstatus festhalten lassen mit der Folge, dass er (weiterhin) so behandelt wird, als ob er (weiterhin) als selbständiger Landwirt in Polen tätig ist. In diesem Fall gilt er daher nicht nur i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger, sondern --entsprechend der tatsächlich noch bestehenden Versicherung-- auch als ein Arbeitnehmer bzw. Selbständiger, der i.S. des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a bzw. b der VO Nr. 1408/71 in Polen eine Tätigkeit ausübt. Es ist Aufgabe des Versicherten, seiner Versicherung gegenüber rechtzeitig Änderungen mitzuteilen, die für sein Versicherungsverhältnis von Bedeutung sind, und auf diese Weise einen seinen tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Versichertenstatus zu erreichen. Solange daher der Kläger nicht den Nachweis erbracht hat, dass er im Streitzeitraum tatsächlich nicht mehr bei der KRUS versichert war und die bestehende Versicherung tatsächlich rückabgewickelt wurde, muss er sich für Zwecke der Anwendung der VO Nr. 1408/71 entsprechend seines von der KRUS bescheinigten, tatsächlich bestehenden Versichertenstatus behandeln lassen.

26

ee) Dahinstehen kann, ob die Ehefrau des Klägers als Arbeitnehmerin bzw. Selbständige i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 und der Kläger als ihr Familienangehöriger (Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 der VO Nr. 1408/71) anzusehen sind, weil dies entgegen der Auffassung der Familienkasse nicht dazu führen würde, dass das auf den Kläger anzuwendende Recht sich nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 richten würde. Denn diese Bestimmungen knüpfen nicht an den Familienangehörigen eines Arbeitnehmers bzw. Selbständigen, sondern an diesen selbst an (vgl. EuGH-Urteil vom 3. Juni 1999 C-211/97, Gomez-Rivero, Slg. 1999, I-3219 Rdnrn. 22 ff.).

27

3. Sollten die noch erforderlichen Ermittlungen des FG ergeben, dass der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird, ist das auf ihn anzuwendende Recht nach den Vorschriften des Titels II dieser Verordnung (Art. 13 ff.) zu bestimmen.

28

a) Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird (so z.B. in Art. 13 Abs. 2 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71), bestimmt sich dies entgegen der Auffassung der Familienkasse grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern --entsprechend dem insoweit eindeutigen Wortlaut der jeweiligen Bestimmung-- danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt. Dabei ist grundsätzlich von dem bescheinigten Versichertenstatus des Versicherten auszugehen (vgl. oben unter II.2.c dd (3)).

29

Anzuknüpfen ist allerdings nur an diejenige(n) Tätigkeit(en), hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Die Vorschriften des Titels II der VO Nr. 1408/71 beziehen sich zwar ihrem Wortlaut nach auf Personen, die abhängig beschäftigt sind bzw. eine selbständige Tätigkeit ausüben, und nicht auf Arbeitnehmer oder Selbständige. Eine kohärente Auslegung des persönlichen Geltungsbereichs dieser Verordnung und des durch sie geschaffenen Systems von Kollisionsregeln gebietet es aber, die fraglichen Begriffe des Titels II der VO Nr. 1408/71 im Lichte der Definitionen ihres Art. 1 Buchst. a auszulegen (vgl. EuGH-Urteil vom 30. Januar 1997 C-221/95, Hervein, Slg. 1997, I-609 Rdnrn. 19 f.). Für den Kläger kann sich die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften daher nicht aus Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 ergeben, denn hinsichtlich seiner in Deutschland ausgeübten gewerblichen Tätigkeit gilt er nicht als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71.

30

b) Sollte die Prüfung der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 gleichwohl ergeben, dass auf den Kläger deutsche Rechtsvorschriften anzuwenden sind, müsste --neben der Frage, ob auch das 1986 geborene Kind die Voraussetzungen des § 32 EStG erfüllt-- noch ermittelt werden, ob und ggf. für welche Monate des Streitzeitraums für die Kinder des Klägers in Polen ein Anspruch auf Familienleistungen bestand. Soweit ein solcher Anspruch bestand, wäre die dann gegebene Anspruchskumulierung nach den Antikumulierungsvorschriften der VO Nr. 1408/71 bzw. der VO Nr. 574/72 zu klären. Dabei wären bei Anwendung des Art. 76 der VO Nr. 1408/71 bzw. des Art. 10 der VO Nr. 574/72 die Einschränkungen des Anhangs I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 zu berücksichtigen.

31

c) Sollten nach den Bestimmungen der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 die deutschen Rechtsvorschriften nicht anzuwenden sein, stellte sich die Frage, ob Deutschland als der nach der VO Nr. 1408/71 dann nicht zuständige Mitgliedstaat gleichwohl befugt wäre, Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG zu zahlen, und ob in einem solchen Fall der Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unionsrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Insoweit handelte es sich um die gleichen Fragestellungen, die bereits Gegenstand der Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 21. Oktober 2010 III R 5/09 (BFHE 231, 183) und III R 35/10 (BFHE 231, 194) sind, so dass eine Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in den bei diesem anhängigen Verfahren C-611/10 und C-612/10 in Betracht kommen könnte.

32

4. Sollte der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 für den Kläger nicht eröffnet sein, richtete sich sein Kindergeldanspruch allein nach den §§ 62 ff. EStG. Insoweit wäre, worauf das FG bereits selbst hingewiesen hat, insbesondere noch zu klären, ob und ggf. für welche Monate des Streitzeitraums in Polen für die Kinder des Klägers ein Anspruch auf Familienleistungen bestand. Zudem wäre noch zu prüfen, ob auch das 1986 geborene Kind die Voraussetzungen des § 32 EStG erfüllt.

33

5. Die Sache ist im Rahmen des Revisionsbegehrens danach nicht spruchreif und war deshalb nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine (erneute) Anwendung des § 100 Abs. 3 FGO im zweiten Rechtsgang nicht in Betracht kommt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 IX R 63/95, BFHE 182, 287, BStBl II 1997, 409; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 100 FGO Rz 105, 121), so dass dahinstehen kann, ob diese Bestimmung auf den hier gegebenen Fall der Verpflichtungsklage überhaupt anwendbar ist (ablehnend z.B. Lange in HHSp, § 101 FGO Rz 36, m.w.N.; für eine analoge Anwendung z.B. Brandt in Beermann/ Gosch, FGO § 101 Rz 20 ff.).

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist polnischer Staatsangehöriger. Seine Ehefrau wohnt mit den gemeinsamen Kindern in Polen.

2

Bis Januar 2007 war der Kläger in Polen selbständig tätig. Seither ist er als Unternehmer im Baugewerbe in Deutschland selbständig tätig und begründete in X-Stadt einen zweiten Wohnsitz. Er legte u.a. ein Schreiben in polnischer Sprache vor, bei dem es sich nach der von der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) eingeholten Übersetzung um ein Schreiben der polnischen Sozialversicherung handele, in dem ausgeführt werde, dass der Kläger vom 5. Februar 2006 bis zum Tag des Schreibens, dem 21. Juni 2007, "Versicherungsleistungen zwecks Leitung einer Wirtschaftstätigkeit erhalten" habe.

3

Die Familienkasse lehnte den Antrag des Klägers, ihm für die Kinder Kindergeld zu gewähren, im Mai 2007 ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies sie durch Einspruchsentscheidung vom 6. August 2007 als unbegründet zurück.

4

Mit Urteil vom 11. Juni 2008  5 K 2208/07 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 194) hob das Finanzgericht (FG) den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung der Familienkasse auf und verpflichtete sie, über den Antrag des Klägers, ihm für die Kinder ab Januar 2007 Kindergeld zu gewähren, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wies es die Klage ab.

5

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung der Art. 1, 2 und 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 --VO Nr. 118/97-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1997 Nr. L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 --VO Nr. 1791/2006-- (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2006 Nr. L 363, S. 1).

6

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8

Er trägt im Wesentlichen vor, er sei in Polen pflichtversichert, da es für einen polnischen Staatsangehörigen nicht möglich sei, ein Geschäft oder eine sonstige Tätigkeit in Polen oder in einem anderen Staat der Europäischen Union (EU) auszuüben, ohne dort versichert zu sein. In Polen werde für seine Kinder kein Kindergeld gezahlt, weil er, der Kläger, ausschließlich in Deutschland tätig sei. Er unterfalle nicht dem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71. Die von der Familienkasse aufgeworfene Frage, ob ein polnischer Staatsangehöriger, der im Inland einer selbständigen Tätigkeit nachgehe und einen Antrag auf Kindergeld gestellt habe, dann nicht dem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 unterfalle, wenn er wegen dieser Tätigkeit im Inland nicht der Versicherungspflicht in der deutschen Sozialversicherung unterliege, betreffe die Auslegung der VO Nr. 1408/71 und sei daher vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu klären.

9

Selbst wenn man davon ausgehe, dass er, der Kläger, vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst werde, seien auf ihn nach deren Art. 13 Abs. 2 Buchst. b die deutschen Rechtsvorschriften anzuwenden, denn er übe seine selbständige Tätigkeit ausschließlich in Deutschland aus. Wenn der Normgeber tatsächlich, wie die Familienkasse meine, hätte vermeiden wollen, dass eine Person den Sozialversicherungssystemen bzw. Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten unterliege, hätte er nicht an die jeweilige Ausübung der Tätigkeit in einem Mitgliedstaat anknüpfen dürfen. Die VO Nr. 1408/71 solle verhindern, dass eine Person unverdient Doppelleistungen in Anspruch nehme, andererseits aber sicherstellen, dass sie ihr zweifellos zustehende Leistungen jedenfalls von einem Mitgliedstaat erhalte. Letzteres unterbleibe in seinem Fall jedoch.

Entscheidungsgründe

10

II. Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

11

1. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise geht das FG zwar davon aus, dass der Kläger i.S. des § 62 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat und dass einer Berücksichtigung seiner Kinder nach § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht entgegensteht, dass diese in Polen leben. Dem Urteil des FG lässt sich allerdings nicht entnehmen, ob die Kinder auch die weiteren Voraussetzungen erfüllen, die für ihre Berücksichtigung nach § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 3 bis 5 EStG erforderlich sind.

12

Nicht gefolgt werden kann dem FG darüber hinaus insoweit, als es davon ausgeht, dass ein Anspruch des Klägers nach den §§ 62 f. EStG allenfalls nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, nicht aber auch nach den vorrangigen Bestimmungen der VO Nr. 1408/71 ausgeschlossen sein könnte. Die bisherigen Feststellungen des FG ermöglichen allerdings keine abschließende Entscheidung dazu, ob der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird und welches Recht in diesem Fall auf ihn anzuwenden wäre.

13

2. Ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den §§ 62 f. EStG könnte durch die VO Nr. 1408/71 und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (VO Nr. 574/72) in ihrer durch die VO Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die VO Nr. 1791/2006, ausgeschlossen sein.

14

a) Auf den Streitfall sind noch diese Verordnungen anzuwenden. Die VO Nr. 1408/71 wurde zwar ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit --VO Nr. 883/2004-- (ABlEU 2004 Nr. L 166, S. 1). Letztere gilt jedoch nach ihrem Art. 91 Abs. 2 erst ab dem Tag des Inkrafttretens der zu ihrer Durchführung erlassenen Verordnung. Diese --die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO Nr. 883/2004 --VO Nr. 987/2009-- (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1)-- trat nach ihrem Art. 97 Satz 2 erst am 1. Mai 2010 in Kraft. Die VO Nr. 574/72 wurde nach Art. 96 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 erst mit Wirkung vom 1. Mai 2010 aufgehoben. Für den Streitfall gelten demnach noch die VO Nr. 1408/71 und die hierzu ergangene VO Nr. 574/72.

15

b) Als Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der VO Nr. 1408/71 unterfällt das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h der VO Nr. 1408/71 ihrem sachlichen Geltungsbereich (z.B. EuGH-Urteil vom 14. Oktober 2010 C-16/09, Schwemmer, Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht --ZESAR-- 2011, 86 Rdnr. 33).

16

c) Die bisherigen Feststellungen des FG reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger auch dem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 unterfällt.

17

aa) Der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 wird im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des Titels I in Art. 2 der VO Nr. 1408/71 festgelegt. Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung insbesondere für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

18

Die in dieser Vorschrift verwendeten Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" werden in Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 definiert. Sie bezeichnen jede Person, die im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 aufgeführten Systeme der sozialen Sicherheit gegen die in dieser Vorschrift angegebenen Risiken unter den dort genannten Voraussetzungen versichert ist. Eine Person besitzt somit z.B. die Arbeitnehmereigenschaft i.S. der VO Nr. 1408/71, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses (z.B. EuGH-Urteile vom 7. Juni 2005 C-543/03, Dodl und Oberhollenzer, Slg. 2005, I-5049 Rdnrn. 29 ff.; vom 10. März 2011 C-516/09, Borger, Europäische Zeitung für Wirtschaftsrecht 2011, 436 Rdnrn. 28 ff.). Es ist nicht die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit maßgeblich, sondern der Versichertenstatus (Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach D, I. Kommentierung, Art. 72 der VO Nr. 1408/71 Rz 5). Die VO Nr. 1408/71 soll also grundsätzlich für alle Personen gelten, die im Rahmen der für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten Systeme sozialer Sicherheit oder aufgrund der Ausübung einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert sind (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 3).

19

bb) Für die Frage, ob der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet ist, kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bzw. Selbständige auch die Voraussetzungen erfüllt, die in ihrem Anhang I Teil I Buchst. E aufgeführt sind. Denn die in dieser Bestimmung enthaltenen Einschränkungen gelten, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt ("Ist ein deutscher Träger der zuständige Träger für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 der Verordnung, ..."), nur für die Vorschriften des Titels III Kapitel 7 der VO Nr. 1408/71, d.h. bei Anwendung ihrer Art. 72 ff. (z.B. EuGH-Urteile vom 12. Mai 1998 C-85/96, Martinez Sala, Slg. 1998, I-2691 Rdnrn. 35 ff., 43 f., und vom 4. Mai 1999 C-262/96, Sürül, Slg. 1999, I-2685 Rdnrn. 89 ff.; ferner EuGH-Urteile vom 30. Januar 1997 C-4/95 und C-5/95, Stöber und Pereira, Slg. 1997, I-511 Rdnrn. 26 ff.; vom 12. Juni 1997 C-266/95, Garcia, Slg. 1997, I-3279 Rdnrn. 21 ff., und vom 5. März 1998 C-194/96, Kulzer, Slg. 1998, I-895 Rdnrn. 35 f., jeweils zu Art. 73 der VO Nr. 1408/71; ferner EuGH-Urteil Schwemmer in ZESAR 2011, 86 Rdnr. 34; Vorlagebeschluss des Senats vom 30. Oktober 2008 III R 92/07, BFHE 223, 358, BStBl II 2009, 923 Rz 16 ff.). Das setzt voraus, dass die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 bereits bejaht wurde.

20

Sollte sich dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. August 2002 VIII R 54/00 (BFHE 200, 204, BStBl II 2004, 869) zum Anwendungsbereich des Anhangs I Teil I Buchst. D (zuletzt Buchst. E) der VO Nr. 1408/71 etwas anderes entnehmen lassen, könnte der Senat dem aus den oben dargelegten Gründen nicht folgen. Eine Anfrage beim VIII. Senat wäre schon deshalb nicht erforderlich, weil dieser Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für Fragen betreffend Kindergeld (§§ 62 bis 78 EStG) nicht mehr zuständig ist.

21

cc) Erforderlich, aber auch ausreichend für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71 ist, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der EU versichert ist. Dass eine Person die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in Bezug auf ihre in Deutschland ausgeübte Tätigkeit nicht erfüllt, bedeutet daher noch nicht, dass sie dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung nicht unterfällt, denn dieser kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem System der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats eröffnet sein.

22

Die VO Nr. 1408/71 gilt personen- und nicht tätigkeitsbezogen. Ihr Ziel ist die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der EU zu- und abwandern, soll jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 8). Um dieses Ziel zu erreichen, ist daher in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob eine Person die Versicherteneigenschaft nach den für die soziale Sicherheit geltenden Rechtsvorschriften (irgend) eines, ggf. auch mehrerer, Mitgliedstaaten besitzt (vgl. auch EuGH-Urteil Sürül in Slg. 1999, I-2685 Rdnr. 85). Ist danach der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 für eine Person eröffnet, ist in einem zweiten Schritt das auf sie anzuwendende Recht nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zu ermitteln. Einer Vorlage an den EuGH bedarf es angesichts des insoweit eindeutigen Wortlauts insbesondere des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 und der bereits ergangenen Entscheidungen des EuGH zu ihrem persönlichen Geltungsbereich nicht.

23

dd) Bezogen auf den vorliegenden Fall ist daher zunächst zu prüfen, ob der Kläger in Polen und/oder in Deutschland als Arbeitnehmer und/oder Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt.

24

(1) Da der Kläger in Bezug auf seine in Deutschland ausgeübte Tätigkeit hier nicht versicherungspflichtig und auch nicht versichert ist, gilt er insoweit nicht als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71. Wie dargelegt, reicht es für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71 jedoch aus, wenn der Kläger in irgendeinem Mitgliedstaat der EU als Arbeitnehmer oder Selbständiger i.S. ihres Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a gilt.

25

(2) Die bisherigen Feststellungen des FG ermöglichen jedoch keine Beurteilung, ob der Kläger wegen einer Mitgliedschaft im polnischen System der sozialen Sicherheit als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 anzusehen ist.

26

In seinem Tatbestand nimmt das FG Bezug auf ein Schreiben der Zaklad Ubezpieczen Spolecznych (ZUS), der polnischen Sozialversicherungsanstalt, vom 21. Juni 2007. Den genauen Inhalt dieser Bescheinigung hat das FG bislang nicht festgestellt. Eigenen Angaben des Klägers zufolge wird darin nicht bescheinigt, dass er, wie es in der von der Familienkasse eingeholten Übersetzung des Schreibens heißt, seit dem 5. Februar 2006 "Versicherungsleistungen zwecks Leitung einer Wirtschaftstätigkeit erhalten" habe, sondern dass er seit dem 5. Februar 2006 in der polnischen Sozialversicherung versichert sei und Beiträge zur Kranken-, Alters- und Berufsunfähigkeitsversicherung zahle.

27

Um beurteilen zu können, ob und ggf. in welchem Umfang der Kläger im Streitzeitraum Mitglied des polnischen Systems der sozialen Sicherheit war und ob er deshalb als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt, sind daher Feststellungen zum polnischen System der sozialen Sicherheit und zum konkreten Versichertenstatus des Klägers im Rahmen dieses Systems erforderlich. Dabei ist insbesondere auch zu ermitteln, ob es sich bei der Versicherung des Klägers um eine Pflichtversicherung oder um eine freiwillige (ggf. Weiter-)Versicherung handelt.

28

3. Sollten die noch erforderlichen Ermittlungen des FG ergeben, dass der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst ist, ist das auf ihn anzuwendende Recht nach den Vorschriften des Titels II dieser Verordnung (Art. 13 ff.) zu bestimmen.

29

a) Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird (so z.B. in Art. 13 Abs. 2 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71), bestimmt sich dies entgegen der Auffassung der Familienkasse grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern --entsprechend dem insoweit eindeutigen Wortlaut der jeweiligen Bestimmung-- danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt.

30

Anzuknüpfen ist dabei allerdings nur an diejenige(n) Tätigkeit(en), hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Die Vorschriften des Titels II der VO Nr. 1408/71 beziehen sich zwar ihrem Wortlaut nach auf Personen, die abhängig beschäftigt sind bzw. eine selbständige Tätigkeit ausüben, und nicht auf Arbeitnehmer oder Selbständige. Eine kohärente Auslegung des persönlichen Geltungsbereichs dieser Verordnung und des durch sie geschaffenen Systems von Kollisionsregeln gebietet es aber, die fraglichen Begriffe des Titels II dieser Verordnung im Lichte der Definitionen ihres Art. 1 Buchst. a auszulegen (vgl. EuGH-Urteil vom 30. Januar 1997 C-221/95, Hervein, Slg. 1997, I-609 Rdnr. 19 f.). Für den Kläger kann sich die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften daher nicht aus Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 ergeben, denn hinsichtlich seiner in Deutschland ausgeübten Tätigkeit gilt er nicht als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71.

31

b) Sollte die Prüfung der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 gleichwohl ergeben, dass auf den Kläger deutsche Rechtsvorschriften anzuwenden sind, müsste --neben der Frage, ob die Kinder des Klägers auch die Voraussetzungen nach § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 3 bis 5 EStG erfüllen-- noch geklärt werden, ob und ggf. für welche Monate des Streitzeitraums für die Kinder in Polen ein Anspruch auf Familienleistungen bestand. Soweit ein solcher Anspruch bestand, wäre die dann gegebene Anspruchskumulierung nach den Antikumulierungsvorschriften der VO Nr. 1408/71 bzw. der VO Nr. 574/72 zu klären. Dabei wären bei Anwendung des Art. 76 der VO Nr. 1408/71 bzw. des Art. 10 der VO Nr. 574/72 die Einschränkungen des Anhangs I Teil I Buchst. E der VO Nr. 1408/71 zu berücksichtigen.

32

c) Sollten nach den Bestimmungen der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 die deutschen Rechtsvorschriften nicht anzuwenden sein, stellte sich die Frage, ob Deutschland als der nach der VO Nr. 1408/71 dann nicht zuständige Mitgliedstaat gleichwohl befugt wäre, Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG zu zahlen, und ob in einem solchen Fall der Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unionsrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Insoweit handelte es sich um die gleichen Fragestellungen, die bereits Gegenstand der Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 21. Oktober 2010 III R 5/09 (BFHE 231, 183) und III R 35/10 (BFHE 231, 194) sind, so dass eine Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in den bei diesem anhängigen Verfahren C-611/10 und C-612/10 in Betracht kommen könnte.

33

4. Sollte der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 für den Kläger nicht eröffnet sein, richtete sich sein Kindergeldanspruch allein nach den §§ 62 ff. EStG. Insoweit wäre, worauf das FG bereits selbst hingewiesen hat, insbesondere noch zu klären, ob und ggf. für welche Monate des Streitzeitraums für die Kinder des Klägers in Polen ein Anspruch auf Familienleistungen bestand, der einen Anspruch des Klägers auf deutsches Kindergeld nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausschließen würde. Dabei wäre das FG an die ggf. fehlerhafte Beurteilung einer polnischen Behörde über die Anwendbarkeit der VO Nr. 1408/71 nicht gebunden (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1581, unter II.1.). Zudem müsste noch ermittelt werden, ob die Kinder des Klägers auch die Voraussetzungen nach § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 3 bis 5 EStG erfüllen.

34

5. Die Streitsache wird nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zurückverwiesen. Soweit der Senat sich in seinem Urteil vom 2. Juni 2005 III R 66/04 (BFHE 210, 265, BStBl II 2006, 184; vgl. ferner Senatsurteil vom 24. Februar 2010 III R 73/07, BFH/NV 2010, 1429) an einer entsprechenden Zurückverweisung an das FG gehindert sah, weil das FG --auch bei rechtlich gebundenen Entscheidungen-- von der Verwaltung bisher noch nicht geprüfte Sachverhalte nicht aufgreifen und durch eigene Ermittlungen klären dürfe, hält er daran im Hinblick auf die Amtsermittlungspflicht des FG (§ 76 Abs. 1 FGO) nicht mehr fest.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist polnischer Staatsangehöriger. Er ist verheiratet und hat zwei im April 1986 und im Juni 1990 geborene Kinder, die mit seiner Ehefrau in Polen leben. In Deutschland betreibt der Kläger ein Gewerbe.

2

Seinen Antrag, ihm für seine beiden Kinder Kindergeld zu gewähren, lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) im Oktober 2006 ab. Den Einspruch des Klägers wies sie durch Einspruchsentscheidung im Januar 2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger seit 1991 bei der Sozialversicherung der Landwirte in Polen (KRUS) als Landwirt versichert sei und daher allein den polnischen Rechtsvorschriften unterliege.

3

Im hiergegen gerichteten Klageverfahren, in dem er beantragte, ihm für seine beiden Kinder ab Januar 2006 Kindergeld zu gewähren, gab der Kläger u.a. an, er sei über seine Ehefrau bei der KRUS sozialversichert.

4

Mit Urteil vom 16. Januar 2008  2 K 623/07 (juris) hob das Finanzgericht (FG) den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung der Familienkasse auf und verwies die Sache nach § 100 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur weiteren Sachaufklärung an die Familienkasse zurück.

5

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine unzutreffende Auslegung der Art. 1, 2 und 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 --VO Nr. 118/97-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1997 Nr. L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 --VO Nr. 647/2005-- (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2005 Nr. L 117, S. 1).

6

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8

Zur Begründung trägt er u.a. vor, die VO Nr. 1408/71 sei auf ihn nicht anzuwenden, da er weder in Deutschland noch in Polen sozialversichert sei. Da er in Polen keiner Tätigkeit nachgehe, könne er dort nicht versichert sein; dies ergebe sich aus Art. 5a Abs. 1 und Abs. 10 des polnischen Gesetzes über die Sozialversicherung der Landwirte vom 20. Dezember 1990. Richtig sei lediglich, dass er aufgrund eines Fehlers der KRUS bei dieser als Versicherter geführt werde, bis der Fehler entdeckt und das angeblich bestehende Versicherungsverhältnis rückabgewickelt werde. Die Bescheinigung der KRUS sei unrichtig, die Versicherung nichtig und daher als Anknüpfungspunkt ungeeignet.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

10

1. Das FG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den §§ 62 f. des Einkommensteuergesetzes (EStG) für seine Kinder allenfalls nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG (bzw. für das 1986 geborene Kind auch deshalb, weil das Vorliegen der Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG noch zu prüfen ist), nicht aber auch nach den vorrangigen Bestimmungen der VO Nr. 1408/71 ausgeschlossen sein könne. Die bisherigen Feststellungen des FG ermöglichen allerdings keine abschließende Entscheidung dazu, ob der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird und ob in diesem Fall deutsches oder polnisches Recht auf ihn anzuwenden wäre.

11

2. Ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den §§ 62 f. EStG könnte durch die VO Nr. 1408/71 und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO Nr. 1408/71 (VO Nr. 574/72) in ihrer durch die VO Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die VO Nr. 647/2005, ausgeschlossen sein.

12

a) Auf den Streitfall sind noch diese Verordnungen anzuwenden. Die VO Nr. 1408/71 wurde zwar ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit --VO Nr. 883/2004-- (ABlEU 2004 Nr. L 166, S. 1). Letztere gilt jedoch nach ihrem Art. 91 Abs. 2 erst ab dem Tag des Inkrafttretens der zu ihrer Durchführung erlassenen Verordnung. Diese --die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO Nr. 883/2004 --VO Nr. 987/2009-- (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1)-- trat nach ihrem Art. 97 Satz 2 erst am 1. Mai 2010 in Kraft. Die VO Nr. 574/72 wurde nach Art. 96 Abs. 1 der VO Nr. 987/2009 erst mit Wirkung vom 1. Mai 2010 aufgehoben. Für den Streitfall gelten demnach noch die VO Nr. 1408/71 und die hierzu ergangene VO Nr. 574/72.

13

b) Als Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. u Ziff. i der VO Nr. 1408/71 unterfällt das Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. h dieser Verordnung ihrem sachlichen Geltungsbereich (z.B. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 14. Oktober 2010 C-16/09, Schwemmer, Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht --ZESAR-- 2011, 86 Rdnr. 33).

14

c) Die bisherigen Feststellungen des FG reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger auch dem persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 unterfällt.

15

aa) Der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 wird im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des Titels I in Art. 2 der VO Nr. 1408/71 festgelegt. Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung insbesondere für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

16

Die in dieser Vorschrift verwendeten Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" werden in Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 definiert. Sie bezeichnen jede Person, die im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 aufgeführten Systeme der sozialen Sicherheit gegen die in dieser Vorschrift angegebenen Risiken unter den dort genannten Voraussetzungen versichert ist. Eine Person besitzt somit z.B. die Arbeitnehmereigenschaft i.S. der VO Nr. 1408/71, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses (z.B. EuGH-Urteile vom 7. Juni 2005 C-543/03, Dodl und Oberhollenzer, Slg. 2005, I-5049 Rdnrn. 29 ff.; vom 10. März 2011 C-516/09, Borger, Europäische Zeitung für Wirtschaftsrecht 2011, 436 Rdnrn. 28 ff.). Es ist nicht die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit maßgeblich, sondern der Versichertenstatus (Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach D, I. Kommentierung, Art. 72 der VO Nr. 1408/71 Rz 5). Die VO Nr. 1408/71 soll also grundsätzlich für alle Personen gelten, die im Rahmen der für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten Systeme sozialer Sicherheit oder aufgrund der Ausübung einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert sind (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 3).

17

bb) Für die Frage, ob der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet ist, kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bzw. Selbständige auch die Voraussetzungen erfüllt, die in ihrem Anhang I Teil I Buchst. D aufgeführt sind. Denn die in dieser Bestimmung enthaltenen Einschränkungen gelten, wie sich bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt ("Ist ein deutscher Träger der zuständige Träger für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 der Verordnung, ..."), nur für die Vorschriften des Titels III Kapitel 7 der VO Nr. 1408/71, d.h. bei Anwendung ihrer Art. 72 ff. (z.B. EuGH-Urteile vom 12. Mai 1998 C-85/96, Martinez Sala, Slg. 1998, I-2691 Rdnrn 35 ff., 43 f., und vom 4. Mai 1999 C-262/96, Sürül, Slg. 1999, I-2685 Rdnrn. 89 ff.; ferner EuGH-Urteile vom 30. Januar 1997 C-4/95, 5/95, Stöber und Pereira, Slg. 1997, I-511 Rdnrn. 26 ff.; vom 12. Juni 1997 C-266/95, Garcia, Slg. 1997, I-3279 Rdnrn. 21 ff., und vom 5. März 1998 C-194/96, Kulzer, Slg. 1998, I-895 Rdnrn. 35 f., jeweils zu Art. 73 der VO Nr. 1408/71; ferner EuGH-Urteil Schwemmer in ZESAR 2011, 86 Rdnr. 34; Vorlagebeschluss des Senats vom 30. Oktober 2008 III R 92/07, BFHE 223, 358, BStBl II 2009, 923 Rz 16 ff.). Das setzt voraus, dass die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 bereits bejaht wurde.

18

Sollte sich dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. August 2002 VIII R 54/00 (BFHE 200, 204, BStBl II 2002, 869) zum Anwendungsbereich des Anhangs I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 etwas anderes entnehmen lassen, könnte der Senat dem aus den oben dargelegten Gründen nicht folgen. Eine Anfrage beim VIII. Senat wäre schon deshalb nicht erforderlich, weil dieser Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für Fragen betreffend Kindergeld (§§ 62 bis 78 EStG) nicht mehr zuständig ist.

19

cc) Erforderlich, aber auch ausreichend für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71 ist, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) versichert ist. Dass eine Person die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in Bezug auf ihre in Deutschland ausgeübte Tätigkeit nicht erfüllt, bedeutet daher noch nicht, dass sie dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung nicht unterfällt, denn dieser kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem System der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats eröffnet sein.

20

Die VO Nr. 1408/71 gilt personen- und nicht tätigkeitsbezogen. Ihr Ziel ist die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der EU zu- und abwandern, soll jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 8). Um dieses Ziel zu erreichen, ist daher in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob eine Person die Versicherteneigenschaft nach den für die soziale Sicherheit geltenden Rechtsvorschriften (irgend) eines, ggf. auch mehrerer, Mitgliedstaaten besitzt (vgl. auch EuGH-Urteil Sürül in Slg. 1999, I-2685 Rdnr. 85). Ist danach der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 für eine Person eröffnet, ist in einem zweiten Schritt das auf sie anzuwendende Recht nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 zu bestimmen.

21

dd) Bezogen auf den vorliegenden Fall ist daher zunächst zu prüfen, ob der Kläger in Polen und/oder in Deutschland als Arbeitnehmer und/oder Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt.

22

(1) Entgegen der Auffassung des FG kann der Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 nicht bereits mit der Begründung als nicht eröffnet angesehen werden, dass der Kläger in Polen keine Tätigkeit ausübe, Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 aber die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit voraussetze. Denn die Frage der Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs beurteilt sich allein danach, ob der Kläger i.S. des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger gilt oder nicht.

23

(2) In Deutschland war der Kläger zwar im Hinblick auf seine Tätigkeit im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit nicht versichert und auch nicht versicherungspflichtig, so dass er insoweit nicht als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Die bisherigen Feststellungen des FG ermöglichen jedoch keine Beurteilung, ob der Kläger ggf. in Polen als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt.

24

Nach den Feststellungen des FG ist der Kläger in Polen über seine Ehefrau in der KRUS mitversichert. Diese Feststellung allein reicht jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob der Kläger deshalb als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Denn nicht jede Mitgliedschaft in einem System der sozialen Sicherheit führt zur Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71. Diese knüpft insoweit in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 vielmehr daran an, dass eine Person entweder in einem für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten System der sozialen Sicherheit, oder jedenfalls gerade aufgrund einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert ist (vgl. ihren Erwägungsgrund Nr. 3). Die Mitgliedschaft in einem System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats führt also nur dann zur Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71, wenn sie zugleich die Voraussetzungen des Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung erfüllt. Dafür kann ggf. auch die freiwillige Mitgliedschaft eines Selbständigen ausreichen (vgl. Art. 1 Buchst. a Ziff. iv der VO Nr. 1408/71). Die erforderlichen Feststellungen zum polnischen System der sozialen Sicherheit und zu dem konkreten Versichertenstatus des Klägers im Rahmen dieses Systems sind daher nun nachzuholen. Insoweit kann auch von Bedeutung sein, ob, wovon das FG offenbar ausgeht, der Kläger über seine Ehefrau in der KRUS mitversichert ist, oder ob die in der Kindergeldakte enthaltenen Bescheinigungen der KRUS vom 3. November 2006 nicht stattdessen eine Versicherung des Klägers als Landwirt und eine Mitversicherung seiner Ehefrau belegen.

25

(3) Soweit der Kläger vorträgt, dass er in Polen nicht versichert sein könne, weil er in Polen keine Tätigkeit ausübe, und dass er lediglich aufgrund eines Fehlers der KRUS bei dieser als Versicherter geführt werde, obliegt es ihm, den Nachweis zu erbringen, dass er im Streitzeitraum tatsächlich nicht versichert war, die bestehende Versicherung also rückabgewickelt wurde. Bescheinigt ein ausländischer Versicherungsträger wie hier die KRUS das Bestehen einer Versicherung, so sind deutsche Behörden und Gerichte an diese Bescheinigung grundsätzlich gebunden, sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Bescheinigung als solche fehlerhaft ist (vgl. EuGH-Urteil vom 26. Januar 2006 C-2/05, Herbosch Kiere, Slg. 2006, I-1079 Rdnrn. 18 ff.). Bescheinigt ein ausländischer Versicherungsträger also z.B. (weiterhin) das Bestehen einer Versicherung als Landwirt, weil ein vormals in Polen als Landwirt tätiger und als solcher Versicherter es unterlässt, dem zuständigen Versicherungsträger mitzuteilen, dass er diese Tätigkeit aufgegeben hat und nunmehr im Ausland eine Tätigkeit ausübt, so muss sich der so Versicherte --entsprechend der tatsächlich (noch) bestehenden und insoweit zutreffend bescheinigten Versicherung-- an diesem Versichertenstatus festhalten lassen mit der Folge, dass er (weiterhin) so behandelt wird, als ob er (weiterhin) als selbständiger Landwirt in Polen tätig ist. In diesem Fall gilt er daher nicht nur i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger, sondern --entsprechend der tatsächlich noch bestehenden Versicherung-- auch als ein Arbeitnehmer bzw. Selbständiger, der i.S. des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a bzw. b der VO Nr. 1408/71 in Polen eine Tätigkeit ausübt. Es ist Aufgabe des Versicherten, seiner Versicherung gegenüber rechtzeitig Änderungen mitzuteilen, die für sein Versicherungsverhältnis von Bedeutung sind, und auf diese Weise einen seinen tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Versichertenstatus zu erreichen. Solange daher der Kläger nicht den Nachweis erbracht hat, dass er im Streitzeitraum tatsächlich nicht mehr bei der KRUS versichert war und die bestehende Versicherung tatsächlich rückabgewickelt wurde, muss er sich für Zwecke der Anwendung der VO Nr. 1408/71 entsprechend seines von der KRUS bescheinigten, tatsächlich bestehenden Versichertenstatus behandeln lassen.

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ee) Dahinstehen kann, ob die Ehefrau des Klägers als Arbeitnehmerin bzw. Selbständige i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 und der Kläger als ihr Familienangehöriger (Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 der VO Nr. 1408/71) anzusehen sind, weil dies entgegen der Auffassung der Familienkasse nicht dazu führen würde, dass das auf den Kläger anzuwendende Recht sich nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 richten würde. Denn diese Bestimmungen knüpfen nicht an den Familienangehörigen eines Arbeitnehmers bzw. Selbständigen, sondern an diesen selbst an (vgl. EuGH-Urteil vom 3. Juni 1999 C-211/97, Gomez-Rivero, Slg. 1999, I-3219 Rdnrn. 22 ff.).

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3. Sollten die noch erforderlichen Ermittlungen des FG ergeben, dass der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird, ist das auf ihn anzuwendende Recht nach den Vorschriften des Titels II dieser Verordnung (Art. 13 ff.) zu bestimmen.

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a) Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird (so z.B. in Art. 13 Abs. 2 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71), bestimmt sich dies entgegen der Auffassung der Familienkasse grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern --entsprechend dem insoweit eindeutigen Wortlaut der jeweiligen Bestimmung-- danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt. Dabei ist grundsätzlich von dem bescheinigten Versichertenstatus des Versicherten auszugehen (vgl. oben unter II.2.c dd (3)).

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Anzuknüpfen ist allerdings nur an diejenige(n) Tätigkeit(en), hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt. Die Vorschriften des Titels II der VO Nr. 1408/71 beziehen sich zwar ihrem Wortlaut nach auf Personen, die abhängig beschäftigt sind bzw. eine selbständige Tätigkeit ausüben, und nicht auf Arbeitnehmer oder Selbständige. Eine kohärente Auslegung des persönlichen Geltungsbereichs dieser Verordnung und des durch sie geschaffenen Systems von Kollisionsregeln gebietet es aber, die fraglichen Begriffe des Titels II der VO Nr. 1408/71 im Lichte der Definitionen ihres Art. 1 Buchst. a auszulegen (vgl. EuGH-Urteil vom 30. Januar 1997 C-221/95, Hervein, Slg. 1997, I-609 Rdnrn. 19 f.). Für den Kläger kann sich die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften daher nicht aus Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 ergeben, denn hinsichtlich seiner in Deutschland ausgeübten gewerblichen Tätigkeit gilt er nicht als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71.

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b) Sollte die Prüfung der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 gleichwohl ergeben, dass auf den Kläger deutsche Rechtsvorschriften anzuwenden sind, müsste --neben der Frage, ob auch das 1986 geborene Kind die Voraussetzungen des § 32 EStG erfüllt-- noch ermittelt werden, ob und ggf. für welche Monate des Streitzeitraums für die Kinder des Klägers in Polen ein Anspruch auf Familienleistungen bestand. Soweit ein solcher Anspruch bestand, wäre die dann gegebene Anspruchskumulierung nach den Antikumulierungsvorschriften der VO Nr. 1408/71 bzw. der VO Nr. 574/72 zu klären. Dabei wären bei Anwendung des Art. 76 der VO Nr. 1408/71 bzw. des Art. 10 der VO Nr. 574/72 die Einschränkungen des Anhangs I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 zu berücksichtigen.

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c) Sollten nach den Bestimmungen der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 die deutschen Rechtsvorschriften nicht anzuwenden sein, stellte sich die Frage, ob Deutschland als der nach der VO Nr. 1408/71 dann nicht zuständige Mitgliedstaat gleichwohl befugt wäre, Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG zu zahlen, und ob in einem solchen Fall der Anwendung des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG unionsrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Insoweit handelte es sich um die gleichen Fragestellungen, die bereits Gegenstand der Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom 21. Oktober 2010 III R 5/09 (BFHE 231, 183) und III R 35/10 (BFHE 231, 194) sind, so dass eine Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in den bei diesem anhängigen Verfahren C-611/10 und C-612/10 in Betracht kommen könnte.

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4. Sollte der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 für den Kläger nicht eröffnet sein, richtete sich sein Kindergeldanspruch allein nach den §§ 62 ff. EStG. Insoweit wäre, worauf das FG bereits selbst hingewiesen hat, insbesondere noch zu klären, ob und ggf. für welche Monate des Streitzeitraums in Polen für die Kinder des Klägers ein Anspruch auf Familienleistungen bestand. Zudem wäre noch zu prüfen, ob auch das 1986 geborene Kind die Voraussetzungen des § 32 EStG erfüllt.

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5. Die Sache ist im Rahmen des Revisionsbegehrens danach nicht spruchreif und war deshalb nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine (erneute) Anwendung des § 100 Abs. 3 FGO im zweiten Rechtsgang nicht in Betracht kommt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 IX R 63/95, BFHE 182, 287, BStBl II 1997, 409; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 100 FGO Rz 105, 121), so dass dahinstehen kann, ob diese Bestimmung auf den hier gegebenen Fall der Verpflichtungsklage überhaupt anwendbar ist (ablehnend z.B. Lange in HHSp, § 101 FGO Rz 36, m.w.N.; für eine analoge Anwendung z.B. Brandt in Beermann/ Gosch, FGO § 101 Rz 20 ff.).