Gericht

Finanzgericht Nürnberg

Tenor

1. Die Nichtigkeit des Umsatzsteuerbescheids für 2012 vom 28.06.2004 wird festgestellt.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

Der Kläger hatte zum 01.02.2002 die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit bei der Stadt 1 angemeldet („Grafik-Design, Disc-Jockey, Event-Management, Musik-Produzent“). Im Fragebogen des Finanzamts zur steuerlichen Erfassung gab er nur die Tätigkeiten ohne das Event-Management an; dort machte er keine Angaben zu seinen voraussichtlichen Umsätzen und beantragte die Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten. Ausweislich der Akten bestand vorher kein Steuersignal für den Kläger.

Der Kläger gab Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Februar bis April 2002 ab (letzte Einreichung: berichtigte Anmeldung am 15.05.2002). Dabei meldete er Umsätze zum Regelsteuersatz und Vorsteuern wie folgt an:

Monat Umsätze 16% (Kz 51) Vorsteuern (Kz 66) verbleibende USt (Kz 83)

Februar 292 73,25 ./. 17,57 März 1.386 144,35 77,41 April 417 103,48 ./. 36,76 Summen 2.095 321,08 28,03 Mittelwert 698,33 107,03 7,7 Aus dem später erlassenen Jahresbescheid ergibt sich, dass der Kläger die für diesen Zeitraum angemeldete Umsatzsteuer auch abführte.

Die restlichen Monate des Streitjahres wurden im Schätzungswege in den Monaten August 2002 bis Februar 2003 wie folgt festgesetzt.

Monat Umsätze 16% (Kz 51) Vorsteuern (Kz 66) verbleibende USt (Kz 83)

Mai 900 70 74 Juni 900 70 74 Juli 1.000 70 90 August 900 70 74 September 1.000 70 90 Oktober 1.000 70 90 November 2.000 70 250 Dezember 2.100 70 266 Spätestens seit März 2003 ging die Post des Finanzamts an die in der Gewerbeanmeldung genannte Adresse des Klägers als unzustellbar an das Finanzamt zurück (erstes belegtes Schreiben ist die Mahnung für die Umsatzsteuervorauszahlung Dezember 2002 vom 25.03.2003).

Beginnend mit dem 22.08.2003 finden sich Abdrucke von Niederschlagungsverfügungen der Vollstreckungsstelle in der Einkommensteuerakte, in der auf die Abgabe einer eidesstaatlichen Versicherung durch den Kläger bereits am 28.05.2002 vor dem Amtsgericht 1 hingewiesen wird. Die eidesstaatliche Versicherung selbst befindet sich nicht in den vorgelegten Verwaltungsakten.

Sie wurde erst im Klageverfahren - nach Hinweis des Berichterstatters auf dieses Manko - vorgelegt. Darin hat der Kläger unter dem 28.05.2002 erklärt, ein Erwerbsgeschäft zu betreiben, aus dem ihm noch Forderungen in Höhe von 300 € zustehen („fällig seit 20.05.02“). Als weitere Aufträge nannte er zwei, nämlich „Imagebroschüre“ für „ca. Juli 2002“ und „Internetseite“ für „ca. August 2002“.

Eine telefonische Nachfrage am 11.09.2003 bei der in der Gewerbeanmeldung genannten Telefonnummer ergab, dass eine andere Person („Nachmieter“) angab, der Kläger sei an der dort genannten Adresse nicht mehr wohnhaft. Daraufhin wurden die Steuersignale für den Kläger zum 01.01.2004 gelöscht.

Ausweislich eines Aktenvermerks wohl der Vollstreckungsstelle („VO5 an G35“) vom 27.01.2004 in der Einkommensteuerakte sei der Kläger an der vormaligen Adresse noch polizeilich gemeldet.

Mit Bescheiden vom 28.06.2004 veranlagte das Finanzamt den Kläger im Schätzungswege zur Einkommensteuer und zur Umsatzsteuer. Die Bescheide wurden öffentlich zugestellt. In beiden Bescheiden setzte es auch Verspätungszuschläge fest. Der Umsatzsteuerbescheid vom 28.06.2004 legt Umsätze zum Regelsteuersatz in Höhe von 15.000 € und Vorsteuern in Höhe von 500 € zugrunde und eine verbleibende Umsatzsteuer in Höhe von 1.900 € fest. In den Akten findet sich keinerlei Dokumentation über etwaige Schätzungserwägungen.

Für das Jahr 2009 reichte der Kläger anscheinend eine Einkommensteuererklärung ein. Das Finanzamt erstattete den Minusbetrag nicht an den Kläger, sondern verrechnete ihn mit offener Umsatzsteuer. In der Folge erlangte der Kläger u.a. vom Umsatzsteuerbescheid für 2002 Kenntnis.

Am 11.10.2010 legte der Kläger u.a. gegen den Umsatzsteuerbescheid für 2002 vom 28.06.2004 ein. Im Einspruchsverfahren trug er u.a. vor, der angegriffene Bescheid sei nichtig.

Seinen Einspruch gegen diesen Bescheid wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 28.03.2012 als unzulässig wegen versäumter Einspruchsfrist ab. Ausweislich der Rechtsbehelfsbelehrung:stand dem Kläger hiergegen nur die Klage an das Finanzgericht offen. In den Gründen äußert sich das Finanzamt auch ausführlich zur vorgetragenen Nichtigkeit.

Er stellte u.a. einen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit, den das Finanzamt mit Bescheid vom 26.06.2014, bestätigt durch die Einspruchsentscheidung vom 08.11.2016, ablehnte. In der Einspruchsentscheidung erläuterte es seine Schätzung damit, dass angesichts von vorangemeldeten Umsätzen in Höhe von 2.095 € und der Berücksichtigung von „Anlaufschwierigkeiten“ 15.000 € als Umsätze geschätzt worden seien. Vorsteuerbeträge in Höhe von 881,08 € für das Gesamtjahr 2002 nicht zu beanstanden seien.

Der Kläger hat Klage erhoben und sinngemäß beantragt, die Nichtigkeit des Umsatzsteuerbescheides vom 28.06.2004 festzustellen. Hilfsweise beantragt er sinngemäß eine abweichende Festsetzung der Umsatzsteuer 2014 auf 500 €.

Er begründet seine Klage im Wesentlichen damit, dass das Finanzamt vor Erlass des angegriffenen Bescheides hätte erkennen können und müssen, dass er sein Gewerbe nicht weiter betrieben hatte. Es hätte nicht genügend Nachforschungen angestellt. Im Übrigen greife für ihn die Kleinunternehmerregelung.

Das Finanzamt beantragt Klageabweisung und begründet dies im Wesentlichen damit, dass selbst grobe Schätzungsfehler nicht zur Nichtigkeit führten und kein Willkürakt vorliege, wie die Erläuterung der Schätzung in der Einspruchsentscheidung belege. Im Übrigen sei mit der Einspruchsentscheidung vom 28.03.2012 bestandskräftig über die Nichtigkeit entschieden worden.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 20.03.2017 auf mündliche Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt; das Finanzamt hat dies mit Schreiben vom 13.02.2017 getan.

Gründe

Die zulässige Klage ist im Hauptantrag begründet. Daher musste über den Hilfsantrag nicht mehr entschieden werden.

Die Klage ist im Hauptantrag zulässig.

Der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit (§ 41 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO) steht keine Entscheidung des Finanzamts nach § 125 Abs. 5 Abgabenordnung (AO) entgegen.

Die Feststellung nach § 125 Abs. 5 AO ist ein Verwaltungsakt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20.08.2014 X R 15/10, BFHE 247, 8, BStBl II 2015, 109). Eine negative Feststellung nach § 125 Abs. 5 AO steht einer Klage nach 41 FGO entgegen (BFH-Urteil vom 20.08.2014 X R 15/10, BFHE 247, 8; Urteil des FG Neustadt vom 22.11.1995 5 K 1802/95).

Bei einer Äußerung eines Finanzamts zu § 125 AO ist allerdings stets zu prüfen, ob es damit tatsächlich eine Feststellung gemäß § 125 Abs. 5 AO treffen wollte, oder nur seine Rechtsansicht dargestellt hat (vgl. BFH-Urteil vom 07.10.1997 VIII R 4/96, BFH/NV 1998, 1195; BFH-Urteil vom 20.08.2014 X R 15/10, BFHE 247, 8).

Der Einspruchsentscheidung vom 28.03.2012 ist keine Feststellung entsprechend § 125 Abs. 5 AO zu entnehmen. Dagegen spricht schon der Tenor der Entscheidung, die ausdrücklich nur - neben der Verbindung der Einsprüche zu Einkommen- und Umsatzsteuer 2002 - die Zurückweisung des Einspruchs enthält. Hinzu kommt, dass auch die enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung:nur die Entscheidung über den Einspruch abdeckt und nicht eine - damit verbundene - Entscheidung nach § 125 Abs. 5 AO, gegen die ihrerseits der Einspruch statthaft gewesen wäre (§ 347 Abs. 1 AO). Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass auch die ausführlichen Erläuterungen in der Einspruchsentscheidung zur (fehlenden) Nichtigkeit keinerlei Bezug auf § 125 Abs. 5 AO nehmen und auch an keiner Stelle eine Feststellung zur Nichtigkeit angesprochen wird. Der einleitende Satz „Die angefochtenen Bescheide sind nicht nichtig“ kann daher nur als Einleitung einer Darstellung der Rechtsauffassung des Finanzamts verstanden werden.

Die Feststellungsklage ist auch begründet.

Nach § 125 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) ist ein Verwaltungsakt - und damit auch ein Steuerbescheid - nur dann nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies außerdem bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Um das Anfechtungserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen, hat die Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden Fehler nur angenommen, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss anhand der jeweiligen für das Verhalten der Behörde maßgebenden Rechtsvorschrift beurteilt werden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20.12.2000 I R 50/00, BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381, m.w.N.).

Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, zu der die Finanzbehörden insbesondere bei Verletzung von Mitwirkungspflichten berechtigt und verpflichtet sind, verlangt die Berücksichtigung aller für die anzuwendende Steuerrechtsnorm einschlägigen Umstände. Die Vorschriften über die Schätzung erlauben es, Tatsachenfeststellungen mit einem geringeren Grad an Überzeugung zu treffen, als dies in der Regel (nach § 88 AO) geboten ist (sog. Reduzierung des Beweismaßes; vgl. BFH-Urteile vom 15.02.1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462; vom 14.08.1991 X R 86/88, BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128). Der Grad der grundsätzlich erforderlichen Gewissheit („Überzeugung“) reduziert sich in der Weise, dass der Sachverhalt aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen festgestellt werden darf. Dies bedeutet, dass sich das Gericht hinsichtlich nicht feststehender Tatsachen über gegebene Zweifel hinwegsetzen kann. Stets ist freilich vorauszusetzen, dass die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder nicht berechnet werden können (§ 162 Abs. 1 AO). Andererseits ist das gewonnene Schätzungsergebnis nur dann schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig (vgl. BFH-Beschluss vom 28.03.2001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217, m.w.N. der Rechtsprechung), wenn feststehende Tatsachen berücksichtigt werden.

Eine Schätzung erscheint nicht schon deswegen als rechtswidrig, weil sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht; solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Die Schätzung erweist sich vielmehr erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. Wird die Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige - wie im Streitfall - seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das FA an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will. Verlässt eine überzogene Schätzung diesen Rahmen, hat dies im Allgemeinen nur die Rechtswidrigkeit der Schätzung, nicht aber bereits ihre Nichtigkeit zur Folge. Nichtigkeit ist selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf der Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen (BFH-Urteil vom 20.12.2000 I R 50/00, BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381). Etwas anderes gilt, wenn sich das FA nicht nach dem Auftrag des § 162 Abs. 1 AO an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat. Willkürmaßnahmen, die mit den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verwaltung schlechterdings nicht zu vereinbaren sind, können einen besonders schweren Fehler i.S. von § 125 Abs. 1 AO abgeben (BFH-Urteil vom 20.12.2000 I R 50/00, BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381).

Willkürlich und damit nichtig i.S. von § 125 Abs. 1 AO ist ein Schätzungsbescheid nicht nur bei subjektiver Willkür des handelnden Bediensteten. Auch wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden, wenn somit ein „objektiv willkürlicher“ Hoheitsakt vorliegt, ist Nichtigkeit i.S. von § 125 Abs. 1 AO gegeben. Es ist dann davon auszugehen, dass die Schätzung nicht mehr mit der Rechtsordnung und den diese Ordnung tragenden Prinzipien in Einklang steht, da das FA grundsätzlich gehalten ist, diejenigen Erkenntnismittel, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich gewesen wäre, auszuschöpfen (BFH-Urteil vom 15.03.2002 X R 33/99, HFR 2002, 963). Selbst wenn derartige Erkenntnismöglichkeiten und auch andere geeignete Anhaltspunkte für die Schätzung fehlen, muss es Ziel der Schätzung sein, die Besteuerungsgrundlagen annähernd zutreffend zu ermitteln. Die Schätzung darf nicht dazu verwendet werden, „die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Kläger zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten“ (BFH-Urteil vom 15.03.2002 X R 33/99, HFR 2002, 963); „Strafschätzungen“ eher enteignungsgleichen Charakters gilt es zu vermeiden.

Im Rechtsstaat bleibt dem irrationalen Verwaltungsakt die Gültigkeit verwehrt. Anders als ein auf rationalem Verwaltungshandeln beruhender, fehlergeprägter Verwaltungsakt verletzt ein irrationaler, auf unvertretbaren Sachverhaltsannahmen oder Rechtsauslegungen beruhender Verwaltungsakt als objektiv willkürliches Verhalten der Finanzbehörde die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in so hohem Maße, dass ihm jede Verbindlichkeit abzusprechen ist (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz).

Auch wenn die Sachverhaltsermittlung erschwert ist und der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt, kann sich die Behörde nicht auf eine „Schätzung ins Blaue hinein“ zurückziehen, sondern muss seiner Verpflichtung zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO) genügen, indem es den fragmentarisch bekannten Sachverhalt als Basis einer Schätzung zugrunde legt und in nachvollziehbarer Weise Schlüsse auf die unbekannten Sachverhaltselemente zieht. Dabei darf sie nicht einseitig nur Aspekte zulasten des Steuerpflichtigen in seine Schätzung einstellen, sondern muss auch naheliegende Möglichkeiten zugunsten des Steuerpflichtigen mitberücksichtigen (vgl. auch BFH-Urteil vom 15.05.2002 X R 33/99, HFR 2002, 963, Rn. 20).

Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob die vom Finanzamt angesetzte Steuerlast „per se“ absurd hoch ist, oder in vergleichbaren Konstellationen vollkommen unrealistisch ist. Willkürlich ist eine Schätzung, deren Annäherungsgrad an die Realität - bzw. Abweichung von der Realität - im konkreten Fall unvertretbar ist.

Die angegriffene Schätzung ist objektiv willkürlich, da sich den Akten des Finanzamts keinerlei Schätzungserwägungen entnehmen lassen. Vielmehr ist offenkundig, dass das Finanzamt naheliegende Möglichkeiten zur Sachverhaltsermittlung, insb. die Auswertung der eidesstattlichen Versicherung vom 28.05.2002, unterlassen hat.

Die angesetzten Besteuerungsgrundlagen weichen auch eklatant von den bereits damals ermittelbaren Tatsachen ab. So ist aus den Akten in keiner Weise nachvollziehbar, wie von durchschnittlichen Monatsvoranmeldungen in Höhe von rund 700 € (aufs Jahr 8.400 €) auf 15.000 geschlossen wurde. Die nachträglich gegebene Erklärung „Anlaufschwierigkeiten“ wird durch die dem Finanzamt schon damals zur Verfügung stehende eidesstattliche Versicherung widerlegt, aus der sich jedenfalls länger anhaltende „Anlaufschwierigkeiten“ aufdrängen (Einzelumsatz in Höhe von nur 300 € als Außenstand, nur zwei weitere Aufträge für die folgenden drei Monate bekannt). Für einen „Aufschlag“ in Höhe von 80% auf den fortgeschriebenen Mittelwert fehlt eine erkennbare Veranlassung. Die Diskrepanz zu den vorangemeldeten Umsätzen wird noch extremer, wenn man die Werte aus der eidesstattlichen Versicherung (300 € im Mai, ähnliche Höhe für Juli und August) ansetzt.

Aus den Akten sind keinerlei Hinweise dafür ersichtlich, dass sich der Kläger dem Zugriff des Finanzamts entziehen wollte, um eine Steuerhinterziehung zu verheimlichen. Seine Voranmeldungen hat er entrichtet, obwohl sich hieraus insgesamt eine (geringe) Zahllast ergab.

Der Kläger hat den Anlass zur Schätzung gegeben und muss deswegen grundsätzlich auch grobe Schätzungsfehler akzeptieren (BFH-Urteil vom 20.12.2000 I R 50/00, BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381), sofern das Finanzamt eine rational begründbare Schätzung durchführt. Ebenso hat er hier die damit einhergehenden Nachteile einer öffentlichen Zustellung selbst zu tragen, da u.a. die Erfüllung seiner Erklärungspflicht gemäß § 18 Umsatzsteuergesetz seinen Aufenthaltsort offenbart hätte. Dennoch darf das Finanzamt das Instrument der öffentlichen Zustellung nicht nutzen, um im Hinblick auf nicht zu erwartenden Widerspruch einseitige Strafschätzungen zu erlassen.

Da dem Finanzamt bei Erlass des Schätzungsbescheides bereits bekannt war, dass dieser nur durch öffentliche Zustellung bekannt gegeben werden konnte und die Rechtsschutzmöglichkeiten des Klägers daher von vorneherein stark eingeschränkt waren, hätte das Finanzamt die Schätzungsgrundlagen genauer ermitteln (z.B. durch Nachfrage bei den aus der eidesstaatlichen Versicherung bekannten Auftraggebern), die frei verfügbaren Unterlagen sichten und sein Vorgehen genauer dokumentieren müssen, um seiner Verpflichtung, den Sachverhalt auch zugunsten des Steuerpflichtigen zu ermitteln (§ 88 Abs. 2 AO), zu genügen und dem Anschein einer einseitigen „Strafschätzung“ zu entgehen. Wenn es den Verwaltungsaufwand unter Aufwand-Ertrags-Überlegungen geringhalten wollte, so hätte es jedenfalls nicht einseitig zulasten des Klägers von „Anlaufschwierigkeiten“ ausgehen dürfen.

Die Summe der Unterlassungen sind mit den Erwartungen an eine ordnungsgemäße Verwaltung nicht mehr zu vereinbaren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob ein bewusstes Fehlverhalten des Sachbearbeiters vorliegt, da äußerlich eine bewusste Strafschätzung nicht von einer nur auf Nachlässigkeit beruhenden weit überzogenen Schätzung zu unterscheiden ist. Eine solche Nachlässigkeit wird exemplarisch belegt durch die fehlerhafte Aussage in der Einspruchsentscheidung zu den gewährten Vorsteuerbeträgen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Nürnberg Urteil, 04. Okt. 2018 - 2 K 1723/16

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Finanzgericht Nürnberg Urteil, 04. Okt. 2018 - 2 K 1723/16 zitiert 8 §§.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Abgabenordnung - AO 1977 | § 162 Schätzung von Besteuerungsgrundlagen


(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. (2) Zu schätzen ist insbesondere dann, we

Abgabenordnung - AO 1977 | § 125 Nichtigkeit des Verwaltungsakts


(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. (2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des

Abgabenordnung - AO 1977 | § 88 Untersuchungsgrundsatz


(1) Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. (2) Die Finanzbehörde bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 41


(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungskla

Abgabenordnung - AO 1977 | § 347 Statthaftigkeit des Einspruchs


(1) Gegen Verwaltungsakte1.in Abgabenangelegenheiten, auf die dieses Gesetz Anwendung findet,2.in Verfahren zur Vollstreckung von Verwaltungsakten in anderen als den in Nummer 1 bezeichneten Angelegenheiten, soweit die Verwaltungsakte durch Bundesfin

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Bundesfinanzhof Urteil, 20. Aug. 2014 - X R 15/10

bei uns veröffentlicht am 20.08.2014

Tatbestand 1 I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wenden sich gegen die Anpassung ihres Einkommensteuerbescheids 1994 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenord

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(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Finanzbehörde aber nicht erkennen lässt,
2.
den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann,
3.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
4.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 und Satz 2 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wenden sich gegen die Anpassung ihres Einkommensteuerbescheids 1994 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO), die auf die Feststellung der Nichtigkeit eines Grundlagenbescheids gestützt ist.

2

Der Kläger war ausweislich der am 19. Juni 1995 abgegebenen Feststellungserklärung im Jahr 1993 als Kommanditist in die A-GmbH & Co. KG (KG) eingetreten und im November 1993 oder März 1994 (das genaue Datum ist streitig) wieder ausgetreten. Das Vermögen der KG ging mit Vertrag vom 27. Juni 1994 auf die Komplementär-GmbH (GmbH) über. Das Erlöschen der KG wurde am 28. Februar 1995 in das Handelsregister eingetragen.

3

Mit einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 26. März 1997 stellte das Finanzamt B (Betriebs-FA) im Wege der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung für das Jahr 1994 erklärungsgemäß für den Kläger einen laufenden Gewinn von 0 DM und einen Veräußerungsgewinn von ... DM aus der Übertragung des Kommanditanteils auf die GmbH fest. In seiner Einkommensteuererklärung für 1994 hatte der Kläger diesen Veräußerungsgewinn ebenfalls erklärt. Mit Einkommensteuerbescheiden vom 19. April 1996 und zuletzt vom 21. Juli 2000 veranlagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Kläger entsprechend.

4

Im Zuge einer Außenprüfung bei der GmbH, die auch die steuerlichen Verhältnisse der KG umfasste, vertrat der Prüfer die Auffassung, der Veräußerungsgewinn sei bereits im Jahr 1993 und die Verzinsung des Kaufpreises als Einkünfte aus Kapitalvermögen im Jahr 1994 zu erfassen. Mit Feststellungsbescheid vom 20. Dezember 2001 setzte das Betriebs-FA den Veräußerungsgewinn im Jahr 1993 an. Ferner hob es mit Bescheid vom 17. Januar 2002, der an die GmbH als Rechtsnachfolgerin der KG mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten gerichtet war, den Feststellungsbescheid 1994 vom 26. März 1997 auf.

5

Am 18. Januar 2002 legte der Kläger beim Betriebs-FA Einspruch gegen den geänderten Feststellungsbescheid für das Jahr 1993 vom 20. Dezember 2001 ein. Er wandte sich im Wesentlichen gegen die Aufhebung des Feststellungsbescheids für das Jahr 1994 und den Ansatz des Veräußerungsgewinnes im Jahr 1993.

6

Bereits mit Schreiben vom 18. Dezember 2001 hatte das Betriebs-FA dem FA mitgeteilt, der Feststellungsbescheid 1994 vom 26. März 1997 sei ersatzlos aufgehoben worden. Dem Kläger seien jedoch im Jahr 1994 Einnahmen aus Kapitalvermögen aus der Verzinsung des Kaufpreises der Beteiligung in Höhe von ... DM zugeflossen. Mit Bescheid vom 6. Februar 2002 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid 1994 entsprechend und berücksichtigte keinen Veräußerungsgewinn mehr, dafür aber die --betragsmäßig erheblich geringeren-- Einnahmen aus Kapitalvermögen. Der Kläger legte im Hinblick auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen auch gegen diesen Bescheid Einspruch ein, nahm diesen aber am 18. März 2003 zurück.

7

Am 10./24. Juli 2003 teilte das Betriebs-FA dem Kläger zum Feststellungsbescheid 1993 u.a. Folgendes mit:

8

"... hiermit stelle ich hinsichtlich des aufgrund der bei Ihnen durchgeführten Außenprüfung ergangenen Bescheides vom 20.12.2001 über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1993 gemäß § 125 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 AO zur Beseitigung des durch ihn hervorgerufenen Rechtsscheins die Nichtigkeit dieses Bescheides fest.
Begründung:
Der Bescheid bezeichnet einen falschen Inhaltsadressaten. Dies führt gemäß Tz. 4.1 des AEAO zu § 122 AO i.V.m. § 157 S. 2 AO zur Nichtigkeit.
Hierdurch erledigt sich Ihr Einspruch vom 18.01.2002.
Der Erlass eines neuen Bescheides wird derzeit noch geprüft."

9

Das Betriebs-FA gelangte im weiteren Verfahren zu dem Ergebnis, der Feststellungsbescheid für 1994 vom 17. Januar 2002 sei (ebenfalls) an den falschen Inhaltsadressaten und außerdem nicht korrekt bekannt gegeben worden. Es richtete an den Kläger unter dem 14. Juli 2004 das folgende Schreiben, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war:

10

"Dieser Bescheid ergeht an Sie als ehemaligen Gesellschafter (Kommanditist) der nicht mehr bestehenden ... KG, ... gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1994 für die... KG
...
hiermit stelle ich zur Beseitigung des durch ihn hervorgerufenen Rechtsscheins, die Nichtigkeit des Bescheides 1994 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte vom 17.01.2002 (bekanntgegeben an die ... GmbH mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten) fest.
Der Bescheid vom 17.01.2002 ist gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig und folglich unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO).
Begründung:
...
Hinweis:
Durch die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 17.01.2002 lebt der Ihnen bekanntgegebene Feststellungsbescheid vom 26.03.1997 wieder auf."

11

Das Betriebs-FA informierte zeitgleich das FA. Dieses berücksichtigte mit dem --im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen-- Änderungsbescheid vom 26. August 2004 bei der Einkommensteuer 1994 wieder den Veräußerungsgewinn in Höhe von ... DM. Am 20. September 2004 legten die Kläger hiergegen Einspruch ein. Ihr zugleich gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) blieb beim FA und Finanzgericht (FG) erfolglos. Auf die Beschwerde der Kläger gewährte der erkennende Senat AdV gegen Sicherheitsleistung (Beschluss vom 21. Juni 2005 X B 72/05, BFH/NV 2005, 1490).

12

Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens machten die Kläger geltend, nach Auffassung des erkennenden Senats ermögliche der Wortlaut des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die Anpassung des Folgebescheids offenbar nicht. Andernfalls hätte der Bundesfinanzhof (BFH) keine AdV gewährt. Eine analoge Anwendung der Bestimmung komme im Rahmen der Eingriffsverwaltung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 14. August 1996  2 BvR 2088/93, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 3146) und des BFH (Urteil vom 18. Februar 1977 VI R 177/75, BFHE 121, 572, BStBl II 1977, 524) nicht in Betracht.

13

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1950 veröffentlicht.

14

Mit der Revision machen die Kläger im Wesentlichen unter Berufung auf den AdV-Beschluss des Senats in BFH/NV 2005, 1490 geltend, die Mitteilung des Betriebs-FA über die Unwirksamkeit des Bescheids habe nur deklaratorischen Charakter. Nach ständiger Rechtsprechung (BFH-Entscheidungen vom 17. Oktober 1985 VII R 185/83, BFH/NV 1986, 720; vom 15. November 1991 VI R 81/89, BFHE 165, 566, BStBl II 1992, 224; in BFH/NV 2005, 1490, und vom 22. August 2007 II R 44/05, BFHE 218, 494, BStBl II 2009, 754) sei die Nichtigkeitsfeststellung gemäß § 125 Abs. 5 AO kein Verwaltungsakt. Im Urteil vom 24. Januar 2008 V R 36/06 (BFHE 220, 208, BStBl II 2008, 686) habe der BFH diese Frage nicht bejaht, sondern lediglich offen gelassen. Das Bundessozialgericht (BSG) äußere seine gegenteilige Auffassung im Urteil vom 23. Februar 1989  11/7 RAr 103/87 (Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1989, 902) nur im Rahmen eines obiter dictum, das es zudem nicht nachvollziehbar begründet habe.

15

Die Nichtigkeitsfeststellung erfülle nicht die Voraussetzungen der gesetzlichen Definition des Verwaltungsakts, denn es fehle an einer Regelung, die unmittelbare Rechtswirkungen zeitige. Die Unwirksamkeit des Verwaltungsakts ergebe sich bereits ipso iure (§ 124 Abs. 3 AO).

16

Selbst wenn es sich um einen Verwaltungsakt handeln sollte, sei die Anpassung des Folgebescheids nicht möglich. Der Feststellung der Nichtigkeit fehle die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung für das Folgebescheidsverfahren, da sich die Bindungswirkung nicht in dem --ggf. vorhandenen-- Regelungsinhalt des Verwaltungsakts erschöpfen dürfe. Sie stehe auch der Aufhebung eines Grundlagenbescheids mit Bindungswirkung nicht gleich. Eine analoge Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sei insbesondere in Bezug auf die Tatbestände des § 171 AO nach allgemeiner Auffassung unzulässig und stelle einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich verankerten Gesetzesvorbehalt dar.

17

Schließlich sei Festsetzungsverjährung eingetreten, da die Nichtigkeitsfeststellung außerhalb der Festsetzungsfrist sowohl des Grundlagenbescheids- als auch des Folgebescheidsverfahrens ergangen sei.

18

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 18. Mai 2010  2 K 146/06 sowie den Einkommensteuerbescheid 1994 vom 26. August 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2006 aufzuheben.

19

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

20

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht erkannt, dass die Feststellung der Nichtigkeit des Gewinnfeststellungsbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO den Erlass des angefochtenen Einkommensteuerbescheids als Folgebescheid ermöglicht hat.

21

Die Finanzbehörde hat grundsätzlich die Möglichkeit, die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts in der (Handlungs-)Form eines Verwaltungsakts festzustellen (dazu unten 1.). Ob im jeweiligen Einzelfall ein Verwaltungsakt gegeben ist, ist durch Auslegung zu ermitteln; vorliegend stellte die Nichtigkeitsfeststellung vom 14. Juli 2004 einen Verwaltungsakt dar (dazu unten 2.). Da die Nichtigkeitsfeststellung im Streitfall als Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO anzusehen ist, war der Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern (dazu unten 3.).

22

1. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist es grundsätzlich möglich, die in § 125 Abs. 5 AO vorgesehene Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts im Wege des Erlasses eines Verwaltungsakts zu treffen. Zwar ist diese Frage innerhalb der höchstrichterlichen Rechtsprechung umstritten (dazu unten a); der erkennende Senat schließt sich jedoch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des BSG an (dazu unten b). Die Einwendungen der Kläger stehen dem nicht entgegen (dazu unten c).

23

a) Innerhalb der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Frage, ob die von einer Behörde vorgenommene Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ihrerseits einen Verwaltungsakt darstellt oder aber --mangels Regelungsgehalt-- lediglich deklaratorischen Charakter hat, bisher nicht einheitlich beurteilt worden.

24

aa) Die einzelnen Senate des BFH haben in der Vergangenheit mehrheitlich die Auffassung vertreten, die Nichtigkeitsfeststellung durch eine Finanzbehörde sei deklaratorisch.

25

Mit Urteil in BFH/NV 1986, 720 hat der VII. Senat des BFH über eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit (§ 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) eines Haftungsbescheids entschieden. Er hat ausgeführt, eine solche Klage sei zulässig, ohne dass zuvor ein Verfahren nach § 125 Abs. 5 AO durchgeführt werden müsse. Die Feststellung der Nichtigkeit enthalte ebenso wie ihre Ablehnung durch eine Verwaltungsbehörde (§ 125 Abs. 5 AO) lediglich den Rechtscharakter einer Auskunft darüber, ob die Behörde den Verwaltungsakt für wirksam halte. Eine darüber hinausgehende Verbindlichkeit sei der von der Behörde getroffenen Entscheidung nicht beizumessen.

26

Auch der VI. Senat des BFH hat mit Urteil in BFHE 165, 566, BStBl II 1992, 224 --im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Entscheidung des VII. Senats in BFH/NV 1986, 720-- die Auffassung vertreten, eine Mitteilung über die Nichtigkeit habe nur deklaratorischen Charakter und sei lediglich als Äußerung einer Rechtsansicht zu verstehen.

27

In gleicher Weise hat der II. Senat des BFH mit Urteil in BFHE 218, 494, BStBl II 2009, 754 unter Bezugnahme auf das Urteil in BFH/NV 1986, 720 sowie den AdV-Beschluss des erkennenden Senats in BFH/NV 2005, 1490 Stellung bezogen.

28

Der VIII. Senat des BFH konnte in seinem Urteil vom 7. Oktober 1997 VIII R 4/96 (BFH/NV 1998, 1195, dort unter II.1.) die Frage, ob über einen Antrag nach § 125 Abs. 5 AO durch Verwaltungsakt entschieden werden könne, ausdrücklich offenlassen. Dem dortigen Schreiben der Behörde habe bereits der Regelungswille --als wesentliches Element eines jeden Verwaltungsakts-- gefehlt. Ähnlich hat der II. Senat im Beschluss vom 29. Juli 1998 II R 64/95 (BFH/NV 1998, 1455) entschieden.

29

Demgegenüber hat der V. Senat des BFH im Urteil in BFHE 220, 208, BStBl II 2008, 686 (dort unter II.2.a) geäußert, er neige dazu, gegen die bisherige Rechtsprechung des BFH in einer Nichtigkeitsfeststellung nicht nur eine unverbindliche, deklaratorische Wissenserklärung zu sehen, sondern mit dem BSG und der "herrschenden Meinung der Rechtslehre" von einem die Behörde bindenden, feststellenden Verwaltungsakt auszugehen.

30

bb) Die finanzgerichtliche Rechtsprechung ist nicht einheitlich. Neben dem Schleswig-Holsteinischen FG im Streitfall hat auch das FG Rheinland-Pfalz die Verwaltungsaktsqualität der Nichtigkeitsfeststellung nach § 125 Abs. 5 AO bejaht (Urteil vom 22. November 1995  5 K 1802/95, EFG 1996, 203, als Vorinstanz zur Entscheidung des VIII. Senats in BFH/NV 1998, 1195). Das Niedersächsische FG hatte im Urteil vom 16. März 2006  16 K 359/05 (EFG 2007, 139, Vorinstanz zur Entscheidung des V. Senats in BFHE 220, 208, BStBl II 2008, 686) die Frage nicht entschieden. Weitere Gerichte haben die Aussagen des VII. Senats übernommen (FG Düsseldorf, Entscheidungen vom 8. März 1989  15 V 280/88 A (F), EFG 1989, 385, und vom 11. Oktober 1996  18 K 2021/93 F, EFG 1998, 2; FG München, Urteil vom 24. April 1996  1 K 2685/92, EFG 1996, 960; FG Baden-Württemberg, Urteile vom 3. November 1998  1 K 93/94, EFG 2000, 981, sowie vom 24. März 2011  3 K 1562/08, nicht veröffentlicht; FG Köln, Urteil vom 7. April 2004  7 K 7227/99, EFG 2004, 1184).

31

cc) Das BVerwG und das BSG vertreten zu den gleichlautenden Bestimmungen der anderen Verfahrensgesetze (diese unterscheiden sich von § 125 Abs. 5 AO nur insoweit, als dort anstelle der "Finanzbehörde" die "Behörde" genannt ist) die Auffassung, eine Nichtigkeitsfeststellung sei ein Verwaltungsakt.

32

So lässt das BVerwG die Anfechtungsklage gegen eine auf § 44 Abs. 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) gestützte behördliche Nichtigkeitsfeststellung zu (Urteil vom 30. Januar 1990  1 C 26/87, BVerwGE 84, 314). Dies setzt denknotwendig die Qualifikation einer solchen Feststellung als Verwaltungsakt voraus. Das BSG hält die Nichtigkeitsfeststellung nach § 40 Abs. 5 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) explizit ebenfalls für einen (deklaratorischen) Verwaltungsakt (Urteil vom 23. Februar 1989  11/7 RAr 103/87, Deutsches Verwaltungsblatt 1990, 210). Allerdings war diese Aussage für das angeführte Urteil nicht entscheidungserheblich.

33

dd) Die steuerrechtliche Literatur ist uneinheitlich (die Eigenschaft als Verwaltungsakt bejahend Rozek in Hübschmann/ Hepp/Spitaler --HHSp--, § 125 AO Rz 106, unter ausdrücklichem Verweis auf die anerkannte Rechtslage bei § 44 Abs. 5 VwVfG und § 40 Abs. 5 SGB X; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 124 AO Rz 25; Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 125 Rz 40; einen Verwaltungsakt verneinend Brockmeyer/Ratschow in Klein, AO, 11. Aufl., § 125 Rz 15).

34

b) Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des BVerwG und des BSG sowie der vom V. Senat des BFH geäußerten Auffassung an. Die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts durch eine Behörde kann ihrerseits alle in § 118 AO genannten Begriffsmerkmale eines Verwaltungsakts erfüllen. Insbesondere ist eine derartige Feststellung dem Grunde nach fähig und geeignet, unmittelbare Rechtswirkungen nach außen zu zeitigen.

35

Zwar ändert sich an der objektiven Nichtigkeit des vorangegangenen Verwaltungsakts durch eine spätere Nichtigkeitsfeststellung nichts. Gleichwohl beseitigt diese Feststellung zum einen den durch den vorangegangenen nichtigen Verwaltungsakt erzeugten Rechtsschein (dazu unten aa) und trifft zum anderen eine verbindliche, abschließende sowie der Bestandskraft fähige Entscheidung über die Nichtigkeit (unten bb).

36

aa) Bereits die Beseitigung des bestehenden Rechtsscheins ist als Rechtswirkung anzusehen.

37

Zwar mag es auf den ersten Blick widersprüchlich anmuten, in der Beseitigung eines Rechtsscheins Rechtswirkungen zu sehen, da es gerade Wesenselement eines nichtigen Verwaltungsakts zu sein scheint, keine Rechtswirkungen zu zeitigen. In dieser Allgemeinheit ist das jedoch unzutreffend. Der Rechtsschein selbst --und damit folgerichtig auch seine Beseitigung-- ist eine Rechtswirkung i.S. des § 118 AO. Er begründet das --irrige-- Vertrauen der Beteiligten in die Wirksamkeit der behördlichen Maßnahmen und damit in den Rechtsschein. Die Wirkungen, die ein --insbesondere unerkannt-- nichtiger Verwaltungsakt entfaltet, beruhen gerade auf diesem Vertrauen. Dieses kann zu tatsächlichen Handlungen, aber auch zu Rechtshandlungen erheblichen Umfangs führen, die ihrerseits (rechts)wirksam sein können. Beispielsweise ist ein Folgebescheid, der auf einem nichtigen Grundlagenbescheid beruht, zwar rechtswidrig, jedoch nicht nichtig. Damit ist auch dieses Vertrauen ein rechtlich relevanter Umstand. Vor diesem Hintergrund bewegen sich die Erzeugung wie auch die Beseitigung des Rechtsscheins nicht im rechtsfreien Raum, sondern sind Maßnahmen mit Wirkung im Rechtsverkehr.

38

Aus diesen Wirkungen eines nichtigen Verwaltungsakts ergibt sich im Einzelfall gerade das --in § 125 Abs. 5 AO und § 41 Abs. 1 FGO vom Gesetzgeber ausdrücklich berücksichtigte-- berechtigte Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit.

39

bb) Die Wirkung der Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts besteht vor allem darin, eine endgültige und der Bestandskraft fähige Entscheidung über die Frage der Nichtigkeit zu treffen und die möglicherweise streitige Frage, ob der Verwaltungsakt nichtig war, mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten zu beantworten. Diese Bestandskraftwirkung ist eine Rechtswirkung, die über die in der Beseitigung des Rechtsscheins liegende Rechtswirkung noch deutlich hinausgeht und zwingend die Annahme einer Regelungswirkung --und damit eines Verwaltungsakts-- zur Folge hat.

40

Könnte eine Nichtigkeitsfeststellung hingegen nicht in Bestandskraft erwachsen, entstünde ein Widerspruch zu den Grundsätzen der Rechtskraft entsprechender Feststellungsurteile. Verfahrensrechtlich schlüssig ist das Nebeneinander der behördlichen Nichtigkeitsfeststellung nach § 125 Abs. 5 AO und der Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 41 Abs. 1 FGO nur, wenn die Nichtigkeitsfeststellung nach § 125 Abs. 5 AO die gleichen Rechtswirkungen zeitigen kann wie die Nichtigkeitsfeststellungsklage.

41

Nach § 110 Abs. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, u.a. die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Das gilt auch für Feststellungsurteile nach § 41 Abs. 1 FGO, folglich auch für Urteile, in denen die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts festgestellt wird. Es gibt keinen Anlass, § 110 Abs. 1 FGO nicht auf Urteile anzuwenden, mit denen die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts festgestellt oder dies abgelehnt wird (vgl. auch Senatsurteil vom 9. Dezember 2009 X R 54/06, BFHE 228, 111, BStBl II 2010, 732).

42

Durch die Rechtskraftwirkung ist hinsichtlich des tenorierten Inhalts des Urteils --vorbehaltlich der Möglichkeiten eines Restitutions- oder Wiederaufnahmeverfahrens-- über den Streitgegenstand abschließend entschieden. Diese Frage kann im justizförmigen Verfahren nicht mehr neu aufgerollt werden. Dies gilt unabhängig davon, wie die Frage richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre.

43

Wenn aber eine durch Urteil ausgesprochene Nichtigkeitsfeststellung die dargestellte Wirkung entfaltet, wäre es widersprüchlich, einem inhaltsgleichen Ausspruch der Verwaltung nicht dieselbe Rechtsfolge beizumessen. Ansonsten wäre der Steuerpflichtige, der nach Rechtssicherheit hinsichtlich der Nichtigkeitsfrage strebt, zur Klage gezwungen.

44

Wäre die Nichtigkeitsfeststellung gemäß § 125 Abs. 5 AO kein Verwaltungsakt, der in Bestandskraft erwachsen kann, stellte sich nicht zuletzt die Frage, welche Funktion die Vorschrift überhaupt haben soll. Für die Befugnis der Finanzbehörde, unverbindlich Rechtsansichten zu äußern, bedürfte es keiner Rechtsgrundlage. Dem steht nicht entgegen, dass diese Rechtswirkung einer Nichtigkeitsfeststellung lediglich verfahrensrechtlicher Art ist. Auch das Verfahrensrecht hat (weitreichende) Rechtswirkungen. Die bestandskräftige Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts bewirkt, dass dessen Nichtigkeit nicht mehr in Frage zu stellen ist. Dies gilt auch für den Fall einer inhaltlich unzutreffenden Entscheidung.

45

c) Die Einwendungen der Kläger stehen der Auffassung des erkennenden Senats nicht entgegen.

46

aa) Die Nichtigkeitsfeststellung selbst kann niemals --wie die Kläger meinen-- auf etwas Unmögliches gerichtet sein, weil sie auch dann, wenn sie unzutreffend wäre, lediglich einen tatsächlich nicht nichtigen Verwaltungsakt beseitigte. Sie ist insofern vergleichbar mit einer bestandskräftig werdenden Aufhebung eines vermeintlich rechtswidrigen, in Wahrheit aber rechtmäßigen Bescheids im Einspruchs- oder Klageverfahren.

47

bb) Zwar kann die Frage, ob der Grundlagenbescheid Bindungswirkung hat, also wirksam geworden ist, auch im Verfahren gegen den Folgebescheid geprüft werden (allgemeine Auffassung, vgl. Söhn in HHSp, § 182 AO Rz 61). Dies schließt es jedoch nicht aus, die Nichtigkeit bereits im Grundlagenverfahren verbindlich festzustellen. Anders als die Kläger meinen, ermöglicht dies auch nicht, Bescheide außerhalb der gesetzlichen Vorgaben zu ändern. Die Einordnung einer bestimmten behördlichen Handlung als Verwaltungsakt kann zwar Voraussetzung für die Anwendung der Änderungsvorschriften sein, schafft aber keine neue Rechtsgrundlage für eine Änderung.

48

cc) Für die Annahme der Kläger, eine Nichtigkeitsfeststellung könne nur die Finanzbehörde, nicht jedoch den Adressaten binden, gibt es keine gesetzliche Grundlage. Aus dem als nichtig festgestellten Verwaltungsakt darf weder das FA noch der Steuerpflichtige Rechtsfolgen ableiten. Der durch einen nichtigen Verwaltungsakt verursachte Rechtsschein kann im Übrigen --anders als die Kläger zu unterstellen scheinen-- auch zu einer ungerechtfertigten Begünstigung des Adressaten geführt haben.

49

dd) Soweit die Kläger einwenden, eine bestandskräftig gewordene Nichtigkeitsfeststellung durch eine Behörde stünde einem gerichtlichen Verfahren nach § 41 FGO entgegen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Auch Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sind nur zulässig, soweit noch keine Bestandskraft eingetreten ist.

50

ee) Aus der Vorschrift des § 124 Abs. 3 AO, wonach ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam ist, ohne dass er --wie sich hieraus mittelbar ergibt-- angefochten oder anderweit aufgehoben werden müsste, folgt kein Argument gegen die Annahme, die Feststellung der Nichtigkeit sei der Bestandskraft fähig. Vielmehr betrifft diese Norm lediglich die Frage, welche Wirkungen --ipso iure-- von einem nichtigen Verwaltungsakt ausgehen. Sie regelt aber nicht, in welcher Weise und mit welcher Folge im finanzbehördlichen oder finanzgerichtlichen Verfahren die Nichtigkeit zu klären ist. Insbesondere schließt sie nicht aus, in diesen Verfahren eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die in § 124 Abs. 3 AO angeordnete Rechtsfolge ipso iure eingetreten ist. Vielmehr sieht § 41 Abs. 1 FGO eine Entscheidung über genau diese Frage im gerichtlichen Verfahren gerade vor.

51

ff) Unschädlich ist ebenso, dass die Nichtigkeitsfeststellung im Verhältnis zu dem nichtigen Verwaltungsakt kein actus contrarius ist. Sie ist keine vollständige Umkehrung des nichtigen Verwaltungsakts, regelt aber doch dessen Unwirksamkeit.

52

2. Auch wenn sich damit die Finanzbehörde für die auf § 125 Abs. 5 AO gestützte Feststellung der Nichtigkeit grundsätzlich der Handlungsform des Verwaltungsakts bedienen kann, bleibt stets zu prüfen, ob sie im jeweiligen Einzelfall tatsächlich einen Verwaltungsakt erlassen oder aber --wie in dem Fall, der der Entscheidung in BFH/NV 1998, 1195 zugrunde lag-- nur unverbindlich ihre Rechtsmeinung zur Wirksamkeit eines Bescheids geäußert hat. Insbesondere muss die Finanzbehörde mit entsprechendem Regelungswillen gehandelt haben. Dies ist durch Auslegung der entsprechenden finanzbehördlichen Äußerung zu ermitteln.

53

Vorliegend handelt es sich bei dem Schreiben des Betriebs-FA vom 14. Juli 2004 um eine Nichtigkeitsfeststellung mit entsprechendem Regelungswillen. Es stellt daher einen Verwaltungsakt dar. Das Betriebs-FA hat dieses Schreiben selbst als "Bescheid" bezeichnet und damit seinen Regelungswillen deutlich gemacht. Der Bescheid enthält die regelungstypische Zweiteilung in Tenor und Begründung. Zwar fehlt eine Rechtsbehelfsbelehrung. Dies ändert jedoch nichts am Regelungswillen, da sich in derartigen Fällen lediglich die Frist für die Einlegung des Einspruchs verlängert (§ 356 Abs. 2 AO).

54

3. Nach diesen Grundsätzen war das FA im Streitfall zum Erlass des angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheids vom 26. August 2004 berechtigt. Die Nichtigkeitsfeststellung vom 14. Juli 2004 ist ein Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO (dazu unten a). Auf seinen Erlass hin war die Einkommensteuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern (unten b). Festsetzungsverjährung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten (unten c).

55

a) Gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO ist Grundlagenbescheid ein Feststellungsbescheid, Steuermessbescheid oder anderer Verwaltungsakt, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist.

56

aa) Herkömmlicherweise werden unter "Feststellungsbescheiden" i.S. des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO lediglich die in den §§ 179 ff. AO genannten Bescheide verstanden (vgl. Banniza in HHSp, § 171 AO Rz 202). Ob ein Bescheid über die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts allein deshalb als Feststellungsbescheid nach §§ 179 ff. AO --dann unproblematisch gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO mit Bindungswirkung-- anzusehen ist, weil er sich auf einen solchen Gewinnfeststellungsbescheid nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO bezieht, könnte zweifelhaft sein.

57

bb) Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, weil die Nichtigkeitsfeststellung in jedem Falle einen "anderen Verwaltungsakt" i.S. des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO darstellt. Da die Vorschrift insoweit nicht eingrenzt, kann prinzipiell jeder Verwaltungsakt einer Behörde, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist, ein Grundlagenbescheid sein. Die Bindungswirkung der Nichtigkeitsfeststellung folgt aus der Bindungswirkung des zuletzt ergangenen wirksamen Feststellungsbescheids nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO --oder deren Fehlen-- in Verbindung mit der aus § 124 Abs. 1 Satz 2 AO folgenden Feststellungswirkung der Nichtigkeitserklärung.

58

Die Nichtigkeitsfeststellung trifft eine Entscheidung darüber, ob der Verwaltungsakt, auf den sie sich bezieht, nichtig ist. Bezieht sie sich auf einen seinerseits mit Bindungswirkung nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO versehenen Grundlagenbescheid, entscheidet sie darüber, ob dieser für den Folgebescheid bindend war und ist und ob deshalb die entsprechenden Folgerungen gezogen werden durften und dürfen. Damit hat sie selbst Bindungswirkung für das Folgebescheidsverfahren.

59

Anders als die Kläger meinen, ist daher eine --ggf. unzulässige-- Analogie nicht gegeben.

60

b) Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Die Nichtigkeitsfeststellung stellt den Erlass eines Grundlagenbescheides im Sinne dieser Vorschrift dar. Daher war der Einkommensteuerbescheid 1994 zu ändern. Ob die Nichtigkeitsfeststellung möglicherweise außerdem der Aufhebung des für nichtig befundenen Verwaltungsakts gleichzustellen ist --wogegen sich die Kläger wehren--, kann dahinstehen, da § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO den Erlass, die Aufhebung und die Änderung von Grundlagenbescheiden gleichrangig nebeneinander stellt.

61

c) Die Nichtigkeitsfeststellung ist gemäß § 125 Abs. 5 AO "jederzeit" und damit auch nach Ablauf der Feststellungsfrist möglich. Da sie Grundlagenbescheid ist, ermöglicht sie nach § 171 Abs. 10 AO binnen zwei Jahren die Folgeänderung. Diese Frist ist gewahrt.

62

aa) Eine Änderung ist infolgedessen grundsätzlich zeitlich unbeschränkt möglich. Es verhält sich im Ergebnis allerdings nicht anders, als wenn die Besteuerungsgrundlage nicht gesondert festgestellt worden wäre, sondern unmittelbar Eingang in einen nichtigen Steuerbescheid gefunden hätte. Auch dessen Nichtigkeit wäre --mit den entsprechenden Folgen im Erhebungsverfahren-- grundsätzlich zeitlich unbeschränkt festzustellen. Angesichts der dienenden Funktion der gesonderten Feststellung gegenüber der Steuerfestsetzung sowie des Umstandes, dass es häufig von Zufälligkeiten (Belegenheit des Betriebes, Beteiligung mehrerer an Einkünften) abhängt, ob Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden, wäre es unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen, Nichtigkeitsfolgen unterschiedlich zu behandeln.

63

Aus diesen Gründen ist eine Nichtigkeitsfeststellung im gesonderten Feststellungsverfahren mit der Konstellation, die dem BFH-Urteil vom 21. Februar 2013 V R 27/11 (BFHE 240, 487, BStBl II 2013, 529) zugrunde lag, nicht zu vergleichen. In jener Entscheidung wurde § 171 Abs. 10 AO teleologisch dahingehend reduziert, dass bei Grundlagenbescheiden von aus Sicht der AO ressortfremden Behörden --anders als bei Grundlagenbescheiden i.S. der §§ 179 ff. AO von Finanzbehörden (§ 6 Abs. 2 AO)-- die von dieser Vorschrift angeordnete Ablaufhemmung voraussetzt, dass der Grundlagenbescheid noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, bekanntgegeben wird. Nach dem Regelungssystem der AO seien Grundlagenbescheide, soweit eine ausdrückliche von der Festsetzungsfrist des betreffenden Steuerbescheides (Folgebescheides) abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehle, steuerrechtlich nur zu berücksichtigen, wenn sie innerhalb der Festsetzungsfrist für den betreffenden (Folge-)Steuerbescheid erlassen worden seien.

64

Im Streitfall bedarf es keiner teleologischen Reduktion des § 171 Abs. 10 AO. Das Betriebs-FA ist keine ressortfremde Behörde, sondern erlässt Grundlagenbescheide im Anwendungsbereich der AO. Auf die Frage, ob die Nichtigkeitsfeststellung selbst ein Grundlagenbescheid i.S. der §§ 179 ff. AO ist, kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht an, da ihr Regelungsgehalt sich jedenfalls auf einen Grundlagenbescheid i.S. der §§ 179 ff. AO bezieht. Sie ist zudem von der Zielrichtung der einschränkenden Auslegung des § 171 Abs. 10 AO nicht erfasst, da sie dem Regelungssystem der AO entspricht. Die Verknüpfung des --steuerlich noch zu berücksichtigenden-- Grundlagenbescheids mit der Festsetzungsfrist des Folgebescheids steht auch nach der Entscheidung in BFHE 240, 487, BStBl II 2013, 529 unter dem Vorbehalt, dass eine ausdrückliche abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehlt. Mit der Formulierung in § 125 Abs. 5 AO, die Finanzbehörde könne die Nichtigkeit "jederzeit von Amts wegen feststellen", hat die AO selbst die Nichtigkeitsfeststellung ausdrücklich außerhalb aller Fristen für die Festsetzungs- und Feststellungsverjährung ermöglicht.

65

bb) Der Senat verkennt nicht, dass es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar wäre, Abgaben zeitlich unbegrenzt (nach)erheben zu können (vgl. dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013  1 BvR 2457/08, BVerfGE 133, 143, BGBl I 2013, 820). Eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ab wann dies dem Erlass einer Nichtigkeitsfeststellung entgegenstehen könnte, ist im Streitfall indes nicht veranlasst. Diese Frage betrifft die Rechtmäßigkeit der Nichtigkeitsfeststellung als Grundlagenbescheid, über die gemäß § 351 Abs. 2 AO im vorliegenden Verfahren --betreffend den Folgebescheid-- nicht zu befinden ist. Für eine Nichtigkeit der Nichtigkeitsfeststellung ihrerseits, die auch im vorliegenden Folgebescheidsverfahren zu prüfen und zu beachten wäre, bestehen keine Anhaltspunkte.

66

Der Senat hält es für verfassungsrechtlich unbedenklich, dass § 125 Abs. 5 AO die Nichtigkeitsfeststellung dem Grunde nach zeitlich unbegrenzt ermöglicht. Für die Beachtung etwa rechtsstaatlich erforderlich werdender Korrektive --in zeitlicher Hinsicht, aber auch mit Rücksicht auf alle anderen Umstände des Einzelfalls, die ein etwaiges schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Bestand eines nichtigen Verwaltungsakts begründen könnten-- bietet das der Behörde eingeräumte Ermessen den erforderlichen, geeigneten, aber auch hinreichenden Spielraum. Da bereits bei der Entscheidung über die Frage, ob eine Nichtigkeitsfeststellung auszusprechen ist, der Zeit- und Vertrauensschutzfaktor berücksichtigt werden muss, unterscheidet sie sich maßgebend von den Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden. Das behördliche Ermessen stellt den Steuerpflichtigen nicht rechtsschutzlos. Eine Ermessensentscheidung steht nicht im Belieben der Verwaltung, sondern unterliegt der Überprüfung durch ein ordnungsgemäßes Rechtsbehelfsverfahren sowie der gerichtlichen Kontrolle. Sie vermag so in ausreichender Weise den berechtigten Belangen des Betroffenen Rechnung zu tragen.

67

Da dem Steuerpflichtigen eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle der Nichtigkeitsfeststellung zur Verfügung steht, bedarf es zur effektiven Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Steuerpflichtigen keines Durchgriffs auf das Folgebescheidsverfahren unter Durchbrechung der verfahrensrechtlichen Trennung zwischen Grundlagenbescheid und Folgebescheid.

68

Es kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, ob im Einzelfall entgegen diesen Grundsätzen aufgrund besonders unglücklich gelagerter Umstände ein derartiger Durchgriff auf das Folgebescheidsverfahren möglich und erforderlich sein sollte. Die tatsächlichen Verhältnisse des Streitfalls verlangen dies in der Sache nicht. Der nichtige Feststellungsbescheid für 1994 war am 17. Januar 2002 erlassen worden; das Betriebs-FA hat seine Nichtigkeit am 14. Juli 2004 festgestellt. Der darin liegende zeitliche Abstand von weniger als zweieinhalb Jahren gebietet es nicht, die dem FA eingeräumte Möglichkeit zur "jederzeitigen" Feststellung der Nichtigkeit einzuschränken, zumal vorliegend auch der betroffene Folgebescheid erst durch Rücknahme des ursprünglich eingelegten Einspruchs am 18. März 2003 bestandskräftig geworden war.

69

4. Mit dieser Entscheidung weicht der Senat von den unter 1.a aa genannten Entscheidungen des II., VI. und VII. Senats des BFH ab. Die betroffenen Senate haben auf Anfrage mitgeteilt, dass sie der Abweichung zustimmen.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Finanzbehörde aber nicht erkennen lässt,
2.
den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann,
3.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
4.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 und Satz 2 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wenden sich gegen die Anpassung ihres Einkommensteuerbescheids 1994 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO), die auf die Feststellung der Nichtigkeit eines Grundlagenbescheids gestützt ist.

2

Der Kläger war ausweislich der am 19. Juni 1995 abgegebenen Feststellungserklärung im Jahr 1993 als Kommanditist in die A-GmbH & Co. KG (KG) eingetreten und im November 1993 oder März 1994 (das genaue Datum ist streitig) wieder ausgetreten. Das Vermögen der KG ging mit Vertrag vom 27. Juni 1994 auf die Komplementär-GmbH (GmbH) über. Das Erlöschen der KG wurde am 28. Februar 1995 in das Handelsregister eingetragen.

3

Mit einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 26. März 1997 stellte das Finanzamt B (Betriebs-FA) im Wege der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung für das Jahr 1994 erklärungsgemäß für den Kläger einen laufenden Gewinn von 0 DM und einen Veräußerungsgewinn von ... DM aus der Übertragung des Kommanditanteils auf die GmbH fest. In seiner Einkommensteuererklärung für 1994 hatte der Kläger diesen Veräußerungsgewinn ebenfalls erklärt. Mit Einkommensteuerbescheiden vom 19. April 1996 und zuletzt vom 21. Juli 2000 veranlagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Kläger entsprechend.

4

Im Zuge einer Außenprüfung bei der GmbH, die auch die steuerlichen Verhältnisse der KG umfasste, vertrat der Prüfer die Auffassung, der Veräußerungsgewinn sei bereits im Jahr 1993 und die Verzinsung des Kaufpreises als Einkünfte aus Kapitalvermögen im Jahr 1994 zu erfassen. Mit Feststellungsbescheid vom 20. Dezember 2001 setzte das Betriebs-FA den Veräußerungsgewinn im Jahr 1993 an. Ferner hob es mit Bescheid vom 17. Januar 2002, der an die GmbH als Rechtsnachfolgerin der KG mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten gerichtet war, den Feststellungsbescheid 1994 vom 26. März 1997 auf.

5

Am 18. Januar 2002 legte der Kläger beim Betriebs-FA Einspruch gegen den geänderten Feststellungsbescheid für das Jahr 1993 vom 20. Dezember 2001 ein. Er wandte sich im Wesentlichen gegen die Aufhebung des Feststellungsbescheids für das Jahr 1994 und den Ansatz des Veräußerungsgewinnes im Jahr 1993.

6

Bereits mit Schreiben vom 18. Dezember 2001 hatte das Betriebs-FA dem FA mitgeteilt, der Feststellungsbescheid 1994 vom 26. März 1997 sei ersatzlos aufgehoben worden. Dem Kläger seien jedoch im Jahr 1994 Einnahmen aus Kapitalvermögen aus der Verzinsung des Kaufpreises der Beteiligung in Höhe von ... DM zugeflossen. Mit Bescheid vom 6. Februar 2002 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid 1994 entsprechend und berücksichtigte keinen Veräußerungsgewinn mehr, dafür aber die --betragsmäßig erheblich geringeren-- Einnahmen aus Kapitalvermögen. Der Kläger legte im Hinblick auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen auch gegen diesen Bescheid Einspruch ein, nahm diesen aber am 18. März 2003 zurück.

7

Am 10./24. Juli 2003 teilte das Betriebs-FA dem Kläger zum Feststellungsbescheid 1993 u.a. Folgendes mit:

8

"... hiermit stelle ich hinsichtlich des aufgrund der bei Ihnen durchgeführten Außenprüfung ergangenen Bescheides vom 20.12.2001 über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1993 gemäß § 125 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 AO zur Beseitigung des durch ihn hervorgerufenen Rechtsscheins die Nichtigkeit dieses Bescheides fest.
Begründung:
Der Bescheid bezeichnet einen falschen Inhaltsadressaten. Dies führt gemäß Tz. 4.1 des AEAO zu § 122 AO i.V.m. § 157 S. 2 AO zur Nichtigkeit.
Hierdurch erledigt sich Ihr Einspruch vom 18.01.2002.
Der Erlass eines neuen Bescheides wird derzeit noch geprüft."

9

Das Betriebs-FA gelangte im weiteren Verfahren zu dem Ergebnis, der Feststellungsbescheid für 1994 vom 17. Januar 2002 sei (ebenfalls) an den falschen Inhaltsadressaten und außerdem nicht korrekt bekannt gegeben worden. Es richtete an den Kläger unter dem 14. Juli 2004 das folgende Schreiben, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war:

10

"Dieser Bescheid ergeht an Sie als ehemaligen Gesellschafter (Kommanditist) der nicht mehr bestehenden ... KG, ... gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1994 für die... KG
...
hiermit stelle ich zur Beseitigung des durch ihn hervorgerufenen Rechtsscheins, die Nichtigkeit des Bescheides 1994 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte vom 17.01.2002 (bekanntgegeben an die ... GmbH mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten) fest.
Der Bescheid vom 17.01.2002 ist gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig und folglich unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO).
Begründung:
...
Hinweis:
Durch die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 17.01.2002 lebt der Ihnen bekanntgegebene Feststellungsbescheid vom 26.03.1997 wieder auf."

11

Das Betriebs-FA informierte zeitgleich das FA. Dieses berücksichtigte mit dem --im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen-- Änderungsbescheid vom 26. August 2004 bei der Einkommensteuer 1994 wieder den Veräußerungsgewinn in Höhe von ... DM. Am 20. September 2004 legten die Kläger hiergegen Einspruch ein. Ihr zugleich gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) blieb beim FA und Finanzgericht (FG) erfolglos. Auf die Beschwerde der Kläger gewährte der erkennende Senat AdV gegen Sicherheitsleistung (Beschluss vom 21. Juni 2005 X B 72/05, BFH/NV 2005, 1490).

12

Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens machten die Kläger geltend, nach Auffassung des erkennenden Senats ermögliche der Wortlaut des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die Anpassung des Folgebescheids offenbar nicht. Andernfalls hätte der Bundesfinanzhof (BFH) keine AdV gewährt. Eine analoge Anwendung der Bestimmung komme im Rahmen der Eingriffsverwaltung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 14. August 1996  2 BvR 2088/93, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 3146) und des BFH (Urteil vom 18. Februar 1977 VI R 177/75, BFHE 121, 572, BStBl II 1977, 524) nicht in Betracht.

13

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1950 veröffentlicht.

14

Mit der Revision machen die Kläger im Wesentlichen unter Berufung auf den AdV-Beschluss des Senats in BFH/NV 2005, 1490 geltend, die Mitteilung des Betriebs-FA über die Unwirksamkeit des Bescheids habe nur deklaratorischen Charakter. Nach ständiger Rechtsprechung (BFH-Entscheidungen vom 17. Oktober 1985 VII R 185/83, BFH/NV 1986, 720; vom 15. November 1991 VI R 81/89, BFHE 165, 566, BStBl II 1992, 224; in BFH/NV 2005, 1490, und vom 22. August 2007 II R 44/05, BFHE 218, 494, BStBl II 2009, 754) sei die Nichtigkeitsfeststellung gemäß § 125 Abs. 5 AO kein Verwaltungsakt. Im Urteil vom 24. Januar 2008 V R 36/06 (BFHE 220, 208, BStBl II 2008, 686) habe der BFH diese Frage nicht bejaht, sondern lediglich offen gelassen. Das Bundessozialgericht (BSG) äußere seine gegenteilige Auffassung im Urteil vom 23. Februar 1989  11/7 RAr 103/87 (Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1989, 902) nur im Rahmen eines obiter dictum, das es zudem nicht nachvollziehbar begründet habe.

15

Die Nichtigkeitsfeststellung erfülle nicht die Voraussetzungen der gesetzlichen Definition des Verwaltungsakts, denn es fehle an einer Regelung, die unmittelbare Rechtswirkungen zeitige. Die Unwirksamkeit des Verwaltungsakts ergebe sich bereits ipso iure (§ 124 Abs. 3 AO).

16

Selbst wenn es sich um einen Verwaltungsakt handeln sollte, sei die Anpassung des Folgebescheids nicht möglich. Der Feststellung der Nichtigkeit fehle die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung für das Folgebescheidsverfahren, da sich die Bindungswirkung nicht in dem --ggf. vorhandenen-- Regelungsinhalt des Verwaltungsakts erschöpfen dürfe. Sie stehe auch der Aufhebung eines Grundlagenbescheids mit Bindungswirkung nicht gleich. Eine analoge Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sei insbesondere in Bezug auf die Tatbestände des § 171 AO nach allgemeiner Auffassung unzulässig und stelle einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich verankerten Gesetzesvorbehalt dar.

17

Schließlich sei Festsetzungsverjährung eingetreten, da die Nichtigkeitsfeststellung außerhalb der Festsetzungsfrist sowohl des Grundlagenbescheids- als auch des Folgebescheidsverfahrens ergangen sei.

18

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 18. Mai 2010  2 K 146/06 sowie den Einkommensteuerbescheid 1994 vom 26. August 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2006 aufzuheben.

19

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

20

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht erkannt, dass die Feststellung der Nichtigkeit des Gewinnfeststellungsbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO den Erlass des angefochtenen Einkommensteuerbescheids als Folgebescheid ermöglicht hat.

21

Die Finanzbehörde hat grundsätzlich die Möglichkeit, die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts in der (Handlungs-)Form eines Verwaltungsakts festzustellen (dazu unten 1.). Ob im jeweiligen Einzelfall ein Verwaltungsakt gegeben ist, ist durch Auslegung zu ermitteln; vorliegend stellte die Nichtigkeitsfeststellung vom 14. Juli 2004 einen Verwaltungsakt dar (dazu unten 2.). Da die Nichtigkeitsfeststellung im Streitfall als Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO anzusehen ist, war der Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern (dazu unten 3.).

22

1. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist es grundsätzlich möglich, die in § 125 Abs. 5 AO vorgesehene Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts im Wege des Erlasses eines Verwaltungsakts zu treffen. Zwar ist diese Frage innerhalb der höchstrichterlichen Rechtsprechung umstritten (dazu unten a); der erkennende Senat schließt sich jedoch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des BSG an (dazu unten b). Die Einwendungen der Kläger stehen dem nicht entgegen (dazu unten c).

23

a) Innerhalb der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Frage, ob die von einer Behörde vorgenommene Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ihrerseits einen Verwaltungsakt darstellt oder aber --mangels Regelungsgehalt-- lediglich deklaratorischen Charakter hat, bisher nicht einheitlich beurteilt worden.

24

aa) Die einzelnen Senate des BFH haben in der Vergangenheit mehrheitlich die Auffassung vertreten, die Nichtigkeitsfeststellung durch eine Finanzbehörde sei deklaratorisch.

25

Mit Urteil in BFH/NV 1986, 720 hat der VII. Senat des BFH über eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit (§ 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) eines Haftungsbescheids entschieden. Er hat ausgeführt, eine solche Klage sei zulässig, ohne dass zuvor ein Verfahren nach § 125 Abs. 5 AO durchgeführt werden müsse. Die Feststellung der Nichtigkeit enthalte ebenso wie ihre Ablehnung durch eine Verwaltungsbehörde (§ 125 Abs. 5 AO) lediglich den Rechtscharakter einer Auskunft darüber, ob die Behörde den Verwaltungsakt für wirksam halte. Eine darüber hinausgehende Verbindlichkeit sei der von der Behörde getroffenen Entscheidung nicht beizumessen.

26

Auch der VI. Senat des BFH hat mit Urteil in BFHE 165, 566, BStBl II 1992, 224 --im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Entscheidung des VII. Senats in BFH/NV 1986, 720-- die Auffassung vertreten, eine Mitteilung über die Nichtigkeit habe nur deklaratorischen Charakter und sei lediglich als Äußerung einer Rechtsansicht zu verstehen.

27

In gleicher Weise hat der II. Senat des BFH mit Urteil in BFHE 218, 494, BStBl II 2009, 754 unter Bezugnahme auf das Urteil in BFH/NV 1986, 720 sowie den AdV-Beschluss des erkennenden Senats in BFH/NV 2005, 1490 Stellung bezogen.

28

Der VIII. Senat des BFH konnte in seinem Urteil vom 7. Oktober 1997 VIII R 4/96 (BFH/NV 1998, 1195, dort unter II.1.) die Frage, ob über einen Antrag nach § 125 Abs. 5 AO durch Verwaltungsakt entschieden werden könne, ausdrücklich offenlassen. Dem dortigen Schreiben der Behörde habe bereits der Regelungswille --als wesentliches Element eines jeden Verwaltungsakts-- gefehlt. Ähnlich hat der II. Senat im Beschluss vom 29. Juli 1998 II R 64/95 (BFH/NV 1998, 1455) entschieden.

29

Demgegenüber hat der V. Senat des BFH im Urteil in BFHE 220, 208, BStBl II 2008, 686 (dort unter II.2.a) geäußert, er neige dazu, gegen die bisherige Rechtsprechung des BFH in einer Nichtigkeitsfeststellung nicht nur eine unverbindliche, deklaratorische Wissenserklärung zu sehen, sondern mit dem BSG und der "herrschenden Meinung der Rechtslehre" von einem die Behörde bindenden, feststellenden Verwaltungsakt auszugehen.

30

bb) Die finanzgerichtliche Rechtsprechung ist nicht einheitlich. Neben dem Schleswig-Holsteinischen FG im Streitfall hat auch das FG Rheinland-Pfalz die Verwaltungsaktsqualität der Nichtigkeitsfeststellung nach § 125 Abs. 5 AO bejaht (Urteil vom 22. November 1995  5 K 1802/95, EFG 1996, 203, als Vorinstanz zur Entscheidung des VIII. Senats in BFH/NV 1998, 1195). Das Niedersächsische FG hatte im Urteil vom 16. März 2006  16 K 359/05 (EFG 2007, 139, Vorinstanz zur Entscheidung des V. Senats in BFHE 220, 208, BStBl II 2008, 686) die Frage nicht entschieden. Weitere Gerichte haben die Aussagen des VII. Senats übernommen (FG Düsseldorf, Entscheidungen vom 8. März 1989  15 V 280/88 A (F), EFG 1989, 385, und vom 11. Oktober 1996  18 K 2021/93 F, EFG 1998, 2; FG München, Urteil vom 24. April 1996  1 K 2685/92, EFG 1996, 960; FG Baden-Württemberg, Urteile vom 3. November 1998  1 K 93/94, EFG 2000, 981, sowie vom 24. März 2011  3 K 1562/08, nicht veröffentlicht; FG Köln, Urteil vom 7. April 2004  7 K 7227/99, EFG 2004, 1184).

31

cc) Das BVerwG und das BSG vertreten zu den gleichlautenden Bestimmungen der anderen Verfahrensgesetze (diese unterscheiden sich von § 125 Abs. 5 AO nur insoweit, als dort anstelle der "Finanzbehörde" die "Behörde" genannt ist) die Auffassung, eine Nichtigkeitsfeststellung sei ein Verwaltungsakt.

32

So lässt das BVerwG die Anfechtungsklage gegen eine auf § 44 Abs. 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) gestützte behördliche Nichtigkeitsfeststellung zu (Urteil vom 30. Januar 1990  1 C 26/87, BVerwGE 84, 314). Dies setzt denknotwendig die Qualifikation einer solchen Feststellung als Verwaltungsakt voraus. Das BSG hält die Nichtigkeitsfeststellung nach § 40 Abs. 5 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) explizit ebenfalls für einen (deklaratorischen) Verwaltungsakt (Urteil vom 23. Februar 1989  11/7 RAr 103/87, Deutsches Verwaltungsblatt 1990, 210). Allerdings war diese Aussage für das angeführte Urteil nicht entscheidungserheblich.

33

dd) Die steuerrechtliche Literatur ist uneinheitlich (die Eigenschaft als Verwaltungsakt bejahend Rozek in Hübschmann/ Hepp/Spitaler --HHSp--, § 125 AO Rz 106, unter ausdrücklichem Verweis auf die anerkannte Rechtslage bei § 44 Abs. 5 VwVfG und § 40 Abs. 5 SGB X; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 124 AO Rz 25; Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 125 Rz 40; einen Verwaltungsakt verneinend Brockmeyer/Ratschow in Klein, AO, 11. Aufl., § 125 Rz 15).

34

b) Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des BVerwG und des BSG sowie der vom V. Senat des BFH geäußerten Auffassung an. Die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts durch eine Behörde kann ihrerseits alle in § 118 AO genannten Begriffsmerkmale eines Verwaltungsakts erfüllen. Insbesondere ist eine derartige Feststellung dem Grunde nach fähig und geeignet, unmittelbare Rechtswirkungen nach außen zu zeitigen.

35

Zwar ändert sich an der objektiven Nichtigkeit des vorangegangenen Verwaltungsakts durch eine spätere Nichtigkeitsfeststellung nichts. Gleichwohl beseitigt diese Feststellung zum einen den durch den vorangegangenen nichtigen Verwaltungsakt erzeugten Rechtsschein (dazu unten aa) und trifft zum anderen eine verbindliche, abschließende sowie der Bestandskraft fähige Entscheidung über die Nichtigkeit (unten bb).

36

aa) Bereits die Beseitigung des bestehenden Rechtsscheins ist als Rechtswirkung anzusehen.

37

Zwar mag es auf den ersten Blick widersprüchlich anmuten, in der Beseitigung eines Rechtsscheins Rechtswirkungen zu sehen, da es gerade Wesenselement eines nichtigen Verwaltungsakts zu sein scheint, keine Rechtswirkungen zu zeitigen. In dieser Allgemeinheit ist das jedoch unzutreffend. Der Rechtsschein selbst --und damit folgerichtig auch seine Beseitigung-- ist eine Rechtswirkung i.S. des § 118 AO. Er begründet das --irrige-- Vertrauen der Beteiligten in die Wirksamkeit der behördlichen Maßnahmen und damit in den Rechtsschein. Die Wirkungen, die ein --insbesondere unerkannt-- nichtiger Verwaltungsakt entfaltet, beruhen gerade auf diesem Vertrauen. Dieses kann zu tatsächlichen Handlungen, aber auch zu Rechtshandlungen erheblichen Umfangs führen, die ihrerseits (rechts)wirksam sein können. Beispielsweise ist ein Folgebescheid, der auf einem nichtigen Grundlagenbescheid beruht, zwar rechtswidrig, jedoch nicht nichtig. Damit ist auch dieses Vertrauen ein rechtlich relevanter Umstand. Vor diesem Hintergrund bewegen sich die Erzeugung wie auch die Beseitigung des Rechtsscheins nicht im rechtsfreien Raum, sondern sind Maßnahmen mit Wirkung im Rechtsverkehr.

38

Aus diesen Wirkungen eines nichtigen Verwaltungsakts ergibt sich im Einzelfall gerade das --in § 125 Abs. 5 AO und § 41 Abs. 1 FGO vom Gesetzgeber ausdrücklich berücksichtigte-- berechtigte Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit.

39

bb) Die Wirkung der Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts besteht vor allem darin, eine endgültige und der Bestandskraft fähige Entscheidung über die Frage der Nichtigkeit zu treffen und die möglicherweise streitige Frage, ob der Verwaltungsakt nichtig war, mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten zu beantworten. Diese Bestandskraftwirkung ist eine Rechtswirkung, die über die in der Beseitigung des Rechtsscheins liegende Rechtswirkung noch deutlich hinausgeht und zwingend die Annahme einer Regelungswirkung --und damit eines Verwaltungsakts-- zur Folge hat.

40

Könnte eine Nichtigkeitsfeststellung hingegen nicht in Bestandskraft erwachsen, entstünde ein Widerspruch zu den Grundsätzen der Rechtskraft entsprechender Feststellungsurteile. Verfahrensrechtlich schlüssig ist das Nebeneinander der behördlichen Nichtigkeitsfeststellung nach § 125 Abs. 5 AO und der Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 41 Abs. 1 FGO nur, wenn die Nichtigkeitsfeststellung nach § 125 Abs. 5 AO die gleichen Rechtswirkungen zeitigen kann wie die Nichtigkeitsfeststellungsklage.

41

Nach § 110 Abs. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, u.a. die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Das gilt auch für Feststellungsurteile nach § 41 Abs. 1 FGO, folglich auch für Urteile, in denen die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts festgestellt wird. Es gibt keinen Anlass, § 110 Abs. 1 FGO nicht auf Urteile anzuwenden, mit denen die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts festgestellt oder dies abgelehnt wird (vgl. auch Senatsurteil vom 9. Dezember 2009 X R 54/06, BFHE 228, 111, BStBl II 2010, 732).

42

Durch die Rechtskraftwirkung ist hinsichtlich des tenorierten Inhalts des Urteils --vorbehaltlich der Möglichkeiten eines Restitutions- oder Wiederaufnahmeverfahrens-- über den Streitgegenstand abschließend entschieden. Diese Frage kann im justizförmigen Verfahren nicht mehr neu aufgerollt werden. Dies gilt unabhängig davon, wie die Frage richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre.

43

Wenn aber eine durch Urteil ausgesprochene Nichtigkeitsfeststellung die dargestellte Wirkung entfaltet, wäre es widersprüchlich, einem inhaltsgleichen Ausspruch der Verwaltung nicht dieselbe Rechtsfolge beizumessen. Ansonsten wäre der Steuerpflichtige, der nach Rechtssicherheit hinsichtlich der Nichtigkeitsfrage strebt, zur Klage gezwungen.

44

Wäre die Nichtigkeitsfeststellung gemäß § 125 Abs. 5 AO kein Verwaltungsakt, der in Bestandskraft erwachsen kann, stellte sich nicht zuletzt die Frage, welche Funktion die Vorschrift überhaupt haben soll. Für die Befugnis der Finanzbehörde, unverbindlich Rechtsansichten zu äußern, bedürfte es keiner Rechtsgrundlage. Dem steht nicht entgegen, dass diese Rechtswirkung einer Nichtigkeitsfeststellung lediglich verfahrensrechtlicher Art ist. Auch das Verfahrensrecht hat (weitreichende) Rechtswirkungen. Die bestandskräftige Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts bewirkt, dass dessen Nichtigkeit nicht mehr in Frage zu stellen ist. Dies gilt auch für den Fall einer inhaltlich unzutreffenden Entscheidung.

45

c) Die Einwendungen der Kläger stehen der Auffassung des erkennenden Senats nicht entgegen.

46

aa) Die Nichtigkeitsfeststellung selbst kann niemals --wie die Kläger meinen-- auf etwas Unmögliches gerichtet sein, weil sie auch dann, wenn sie unzutreffend wäre, lediglich einen tatsächlich nicht nichtigen Verwaltungsakt beseitigte. Sie ist insofern vergleichbar mit einer bestandskräftig werdenden Aufhebung eines vermeintlich rechtswidrigen, in Wahrheit aber rechtmäßigen Bescheids im Einspruchs- oder Klageverfahren.

47

bb) Zwar kann die Frage, ob der Grundlagenbescheid Bindungswirkung hat, also wirksam geworden ist, auch im Verfahren gegen den Folgebescheid geprüft werden (allgemeine Auffassung, vgl. Söhn in HHSp, § 182 AO Rz 61). Dies schließt es jedoch nicht aus, die Nichtigkeit bereits im Grundlagenverfahren verbindlich festzustellen. Anders als die Kläger meinen, ermöglicht dies auch nicht, Bescheide außerhalb der gesetzlichen Vorgaben zu ändern. Die Einordnung einer bestimmten behördlichen Handlung als Verwaltungsakt kann zwar Voraussetzung für die Anwendung der Änderungsvorschriften sein, schafft aber keine neue Rechtsgrundlage für eine Änderung.

48

cc) Für die Annahme der Kläger, eine Nichtigkeitsfeststellung könne nur die Finanzbehörde, nicht jedoch den Adressaten binden, gibt es keine gesetzliche Grundlage. Aus dem als nichtig festgestellten Verwaltungsakt darf weder das FA noch der Steuerpflichtige Rechtsfolgen ableiten. Der durch einen nichtigen Verwaltungsakt verursachte Rechtsschein kann im Übrigen --anders als die Kläger zu unterstellen scheinen-- auch zu einer ungerechtfertigten Begünstigung des Adressaten geführt haben.

49

dd) Soweit die Kläger einwenden, eine bestandskräftig gewordene Nichtigkeitsfeststellung durch eine Behörde stünde einem gerichtlichen Verfahren nach § 41 FGO entgegen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Auch Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sind nur zulässig, soweit noch keine Bestandskraft eingetreten ist.

50

ee) Aus der Vorschrift des § 124 Abs. 3 AO, wonach ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam ist, ohne dass er --wie sich hieraus mittelbar ergibt-- angefochten oder anderweit aufgehoben werden müsste, folgt kein Argument gegen die Annahme, die Feststellung der Nichtigkeit sei der Bestandskraft fähig. Vielmehr betrifft diese Norm lediglich die Frage, welche Wirkungen --ipso iure-- von einem nichtigen Verwaltungsakt ausgehen. Sie regelt aber nicht, in welcher Weise und mit welcher Folge im finanzbehördlichen oder finanzgerichtlichen Verfahren die Nichtigkeit zu klären ist. Insbesondere schließt sie nicht aus, in diesen Verfahren eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die in § 124 Abs. 3 AO angeordnete Rechtsfolge ipso iure eingetreten ist. Vielmehr sieht § 41 Abs. 1 FGO eine Entscheidung über genau diese Frage im gerichtlichen Verfahren gerade vor.

51

ff) Unschädlich ist ebenso, dass die Nichtigkeitsfeststellung im Verhältnis zu dem nichtigen Verwaltungsakt kein actus contrarius ist. Sie ist keine vollständige Umkehrung des nichtigen Verwaltungsakts, regelt aber doch dessen Unwirksamkeit.

52

2. Auch wenn sich damit die Finanzbehörde für die auf § 125 Abs. 5 AO gestützte Feststellung der Nichtigkeit grundsätzlich der Handlungsform des Verwaltungsakts bedienen kann, bleibt stets zu prüfen, ob sie im jeweiligen Einzelfall tatsächlich einen Verwaltungsakt erlassen oder aber --wie in dem Fall, der der Entscheidung in BFH/NV 1998, 1195 zugrunde lag-- nur unverbindlich ihre Rechtsmeinung zur Wirksamkeit eines Bescheids geäußert hat. Insbesondere muss die Finanzbehörde mit entsprechendem Regelungswillen gehandelt haben. Dies ist durch Auslegung der entsprechenden finanzbehördlichen Äußerung zu ermitteln.

53

Vorliegend handelt es sich bei dem Schreiben des Betriebs-FA vom 14. Juli 2004 um eine Nichtigkeitsfeststellung mit entsprechendem Regelungswillen. Es stellt daher einen Verwaltungsakt dar. Das Betriebs-FA hat dieses Schreiben selbst als "Bescheid" bezeichnet und damit seinen Regelungswillen deutlich gemacht. Der Bescheid enthält die regelungstypische Zweiteilung in Tenor und Begründung. Zwar fehlt eine Rechtsbehelfsbelehrung. Dies ändert jedoch nichts am Regelungswillen, da sich in derartigen Fällen lediglich die Frist für die Einlegung des Einspruchs verlängert (§ 356 Abs. 2 AO).

54

3. Nach diesen Grundsätzen war das FA im Streitfall zum Erlass des angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheids vom 26. August 2004 berechtigt. Die Nichtigkeitsfeststellung vom 14. Juli 2004 ist ein Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO (dazu unten a). Auf seinen Erlass hin war die Einkommensteuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern (unten b). Festsetzungsverjährung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten (unten c).

55

a) Gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO ist Grundlagenbescheid ein Feststellungsbescheid, Steuermessbescheid oder anderer Verwaltungsakt, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist.

56

aa) Herkömmlicherweise werden unter "Feststellungsbescheiden" i.S. des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO lediglich die in den §§ 179 ff. AO genannten Bescheide verstanden (vgl. Banniza in HHSp, § 171 AO Rz 202). Ob ein Bescheid über die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts allein deshalb als Feststellungsbescheid nach §§ 179 ff. AO --dann unproblematisch gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO mit Bindungswirkung-- anzusehen ist, weil er sich auf einen solchen Gewinnfeststellungsbescheid nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO bezieht, könnte zweifelhaft sein.

57

bb) Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, weil die Nichtigkeitsfeststellung in jedem Falle einen "anderen Verwaltungsakt" i.S. des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO darstellt. Da die Vorschrift insoweit nicht eingrenzt, kann prinzipiell jeder Verwaltungsakt einer Behörde, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist, ein Grundlagenbescheid sein. Die Bindungswirkung der Nichtigkeitsfeststellung folgt aus der Bindungswirkung des zuletzt ergangenen wirksamen Feststellungsbescheids nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO --oder deren Fehlen-- in Verbindung mit der aus § 124 Abs. 1 Satz 2 AO folgenden Feststellungswirkung der Nichtigkeitserklärung.

58

Die Nichtigkeitsfeststellung trifft eine Entscheidung darüber, ob der Verwaltungsakt, auf den sie sich bezieht, nichtig ist. Bezieht sie sich auf einen seinerseits mit Bindungswirkung nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO versehenen Grundlagenbescheid, entscheidet sie darüber, ob dieser für den Folgebescheid bindend war und ist und ob deshalb die entsprechenden Folgerungen gezogen werden durften und dürfen. Damit hat sie selbst Bindungswirkung für das Folgebescheidsverfahren.

59

Anders als die Kläger meinen, ist daher eine --ggf. unzulässige-- Analogie nicht gegeben.

60

b) Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Die Nichtigkeitsfeststellung stellt den Erlass eines Grundlagenbescheides im Sinne dieser Vorschrift dar. Daher war der Einkommensteuerbescheid 1994 zu ändern. Ob die Nichtigkeitsfeststellung möglicherweise außerdem der Aufhebung des für nichtig befundenen Verwaltungsakts gleichzustellen ist --wogegen sich die Kläger wehren--, kann dahinstehen, da § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO den Erlass, die Aufhebung und die Änderung von Grundlagenbescheiden gleichrangig nebeneinander stellt.

61

c) Die Nichtigkeitsfeststellung ist gemäß § 125 Abs. 5 AO "jederzeit" und damit auch nach Ablauf der Feststellungsfrist möglich. Da sie Grundlagenbescheid ist, ermöglicht sie nach § 171 Abs. 10 AO binnen zwei Jahren die Folgeänderung. Diese Frist ist gewahrt.

62

aa) Eine Änderung ist infolgedessen grundsätzlich zeitlich unbeschränkt möglich. Es verhält sich im Ergebnis allerdings nicht anders, als wenn die Besteuerungsgrundlage nicht gesondert festgestellt worden wäre, sondern unmittelbar Eingang in einen nichtigen Steuerbescheid gefunden hätte. Auch dessen Nichtigkeit wäre --mit den entsprechenden Folgen im Erhebungsverfahren-- grundsätzlich zeitlich unbeschränkt festzustellen. Angesichts der dienenden Funktion der gesonderten Feststellung gegenüber der Steuerfestsetzung sowie des Umstandes, dass es häufig von Zufälligkeiten (Belegenheit des Betriebes, Beteiligung mehrerer an Einkünften) abhängt, ob Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden, wäre es unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen, Nichtigkeitsfolgen unterschiedlich zu behandeln.

63

Aus diesen Gründen ist eine Nichtigkeitsfeststellung im gesonderten Feststellungsverfahren mit der Konstellation, die dem BFH-Urteil vom 21. Februar 2013 V R 27/11 (BFHE 240, 487, BStBl II 2013, 529) zugrunde lag, nicht zu vergleichen. In jener Entscheidung wurde § 171 Abs. 10 AO teleologisch dahingehend reduziert, dass bei Grundlagenbescheiden von aus Sicht der AO ressortfremden Behörden --anders als bei Grundlagenbescheiden i.S. der §§ 179 ff. AO von Finanzbehörden (§ 6 Abs. 2 AO)-- die von dieser Vorschrift angeordnete Ablaufhemmung voraussetzt, dass der Grundlagenbescheid noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, bekanntgegeben wird. Nach dem Regelungssystem der AO seien Grundlagenbescheide, soweit eine ausdrückliche von der Festsetzungsfrist des betreffenden Steuerbescheides (Folgebescheides) abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehle, steuerrechtlich nur zu berücksichtigen, wenn sie innerhalb der Festsetzungsfrist für den betreffenden (Folge-)Steuerbescheid erlassen worden seien.

64

Im Streitfall bedarf es keiner teleologischen Reduktion des § 171 Abs. 10 AO. Das Betriebs-FA ist keine ressortfremde Behörde, sondern erlässt Grundlagenbescheide im Anwendungsbereich der AO. Auf die Frage, ob die Nichtigkeitsfeststellung selbst ein Grundlagenbescheid i.S. der §§ 179 ff. AO ist, kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht an, da ihr Regelungsgehalt sich jedenfalls auf einen Grundlagenbescheid i.S. der §§ 179 ff. AO bezieht. Sie ist zudem von der Zielrichtung der einschränkenden Auslegung des § 171 Abs. 10 AO nicht erfasst, da sie dem Regelungssystem der AO entspricht. Die Verknüpfung des --steuerlich noch zu berücksichtigenden-- Grundlagenbescheids mit der Festsetzungsfrist des Folgebescheids steht auch nach der Entscheidung in BFHE 240, 487, BStBl II 2013, 529 unter dem Vorbehalt, dass eine ausdrückliche abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehlt. Mit der Formulierung in § 125 Abs. 5 AO, die Finanzbehörde könne die Nichtigkeit "jederzeit von Amts wegen feststellen", hat die AO selbst die Nichtigkeitsfeststellung ausdrücklich außerhalb aller Fristen für die Festsetzungs- und Feststellungsverjährung ermöglicht.

65

bb) Der Senat verkennt nicht, dass es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar wäre, Abgaben zeitlich unbegrenzt (nach)erheben zu können (vgl. dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013  1 BvR 2457/08, BVerfGE 133, 143, BGBl I 2013, 820). Eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ab wann dies dem Erlass einer Nichtigkeitsfeststellung entgegenstehen könnte, ist im Streitfall indes nicht veranlasst. Diese Frage betrifft die Rechtmäßigkeit der Nichtigkeitsfeststellung als Grundlagenbescheid, über die gemäß § 351 Abs. 2 AO im vorliegenden Verfahren --betreffend den Folgebescheid-- nicht zu befinden ist. Für eine Nichtigkeit der Nichtigkeitsfeststellung ihrerseits, die auch im vorliegenden Folgebescheidsverfahren zu prüfen und zu beachten wäre, bestehen keine Anhaltspunkte.

66

Der Senat hält es für verfassungsrechtlich unbedenklich, dass § 125 Abs. 5 AO die Nichtigkeitsfeststellung dem Grunde nach zeitlich unbegrenzt ermöglicht. Für die Beachtung etwa rechtsstaatlich erforderlich werdender Korrektive --in zeitlicher Hinsicht, aber auch mit Rücksicht auf alle anderen Umstände des Einzelfalls, die ein etwaiges schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Bestand eines nichtigen Verwaltungsakts begründen könnten-- bietet das der Behörde eingeräumte Ermessen den erforderlichen, geeigneten, aber auch hinreichenden Spielraum. Da bereits bei der Entscheidung über die Frage, ob eine Nichtigkeitsfeststellung auszusprechen ist, der Zeit- und Vertrauensschutzfaktor berücksichtigt werden muss, unterscheidet sie sich maßgebend von den Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden. Das behördliche Ermessen stellt den Steuerpflichtigen nicht rechtsschutzlos. Eine Ermessensentscheidung steht nicht im Belieben der Verwaltung, sondern unterliegt der Überprüfung durch ein ordnungsgemäßes Rechtsbehelfsverfahren sowie der gerichtlichen Kontrolle. Sie vermag so in ausreichender Weise den berechtigten Belangen des Betroffenen Rechnung zu tragen.

67

Da dem Steuerpflichtigen eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle der Nichtigkeitsfeststellung zur Verfügung steht, bedarf es zur effektiven Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Steuerpflichtigen keines Durchgriffs auf das Folgebescheidsverfahren unter Durchbrechung der verfahrensrechtlichen Trennung zwischen Grundlagenbescheid und Folgebescheid.

68

Es kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, ob im Einzelfall entgegen diesen Grundsätzen aufgrund besonders unglücklich gelagerter Umstände ein derartiger Durchgriff auf das Folgebescheidsverfahren möglich und erforderlich sein sollte. Die tatsächlichen Verhältnisse des Streitfalls verlangen dies in der Sache nicht. Der nichtige Feststellungsbescheid für 1994 war am 17. Januar 2002 erlassen worden; das Betriebs-FA hat seine Nichtigkeit am 14. Juli 2004 festgestellt. Der darin liegende zeitliche Abstand von weniger als zweieinhalb Jahren gebietet es nicht, die dem FA eingeräumte Möglichkeit zur "jederzeitigen" Feststellung der Nichtigkeit einzuschränken, zumal vorliegend auch der betroffene Folgebescheid erst durch Rücknahme des ursprünglich eingelegten Einspruchs am 18. März 2003 bestandskräftig geworden war.

69

4. Mit dieser Entscheidung weicht der Senat von den unter 1.a aa genannten Entscheidungen des II., VI. und VII. Senats des BFH ab. Die betroffenen Senate haben auf Anfrage mitgeteilt, dass sie der Abweichung zustimmen.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Finanzbehörde aber nicht erkennen lässt,
2.
den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann,
3.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
4.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 und Satz 2 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wenden sich gegen die Anpassung ihres Einkommensteuerbescheids 1994 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO), die auf die Feststellung der Nichtigkeit eines Grundlagenbescheids gestützt ist.

2

Der Kläger war ausweislich der am 19. Juni 1995 abgegebenen Feststellungserklärung im Jahr 1993 als Kommanditist in die A-GmbH & Co. KG (KG) eingetreten und im November 1993 oder März 1994 (das genaue Datum ist streitig) wieder ausgetreten. Das Vermögen der KG ging mit Vertrag vom 27. Juni 1994 auf die Komplementär-GmbH (GmbH) über. Das Erlöschen der KG wurde am 28. Februar 1995 in das Handelsregister eingetragen.

3

Mit einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid vom 26. März 1997 stellte das Finanzamt B (Betriebs-FA) im Wege der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung für das Jahr 1994 erklärungsgemäß für den Kläger einen laufenden Gewinn von 0 DM und einen Veräußerungsgewinn von ... DM aus der Übertragung des Kommanditanteils auf die GmbH fest. In seiner Einkommensteuererklärung für 1994 hatte der Kläger diesen Veräußerungsgewinn ebenfalls erklärt. Mit Einkommensteuerbescheiden vom 19. April 1996 und zuletzt vom 21. Juli 2000 veranlagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Kläger entsprechend.

4

Im Zuge einer Außenprüfung bei der GmbH, die auch die steuerlichen Verhältnisse der KG umfasste, vertrat der Prüfer die Auffassung, der Veräußerungsgewinn sei bereits im Jahr 1993 und die Verzinsung des Kaufpreises als Einkünfte aus Kapitalvermögen im Jahr 1994 zu erfassen. Mit Feststellungsbescheid vom 20. Dezember 2001 setzte das Betriebs-FA den Veräußerungsgewinn im Jahr 1993 an. Ferner hob es mit Bescheid vom 17. Januar 2002, der an die GmbH als Rechtsnachfolgerin der KG mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten gerichtet war, den Feststellungsbescheid 1994 vom 26. März 1997 auf.

5

Am 18. Januar 2002 legte der Kläger beim Betriebs-FA Einspruch gegen den geänderten Feststellungsbescheid für das Jahr 1993 vom 20. Dezember 2001 ein. Er wandte sich im Wesentlichen gegen die Aufhebung des Feststellungsbescheids für das Jahr 1994 und den Ansatz des Veräußerungsgewinnes im Jahr 1993.

6

Bereits mit Schreiben vom 18. Dezember 2001 hatte das Betriebs-FA dem FA mitgeteilt, der Feststellungsbescheid 1994 vom 26. März 1997 sei ersatzlos aufgehoben worden. Dem Kläger seien jedoch im Jahr 1994 Einnahmen aus Kapitalvermögen aus der Verzinsung des Kaufpreises der Beteiligung in Höhe von ... DM zugeflossen. Mit Bescheid vom 6. Februar 2002 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid 1994 entsprechend und berücksichtigte keinen Veräußerungsgewinn mehr, dafür aber die --betragsmäßig erheblich geringeren-- Einnahmen aus Kapitalvermögen. Der Kläger legte im Hinblick auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen auch gegen diesen Bescheid Einspruch ein, nahm diesen aber am 18. März 2003 zurück.

7

Am 10./24. Juli 2003 teilte das Betriebs-FA dem Kläger zum Feststellungsbescheid 1993 u.a. Folgendes mit:

8

"... hiermit stelle ich hinsichtlich des aufgrund der bei Ihnen durchgeführten Außenprüfung ergangenen Bescheides vom 20.12.2001 über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1993 gemäß § 125 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 AO zur Beseitigung des durch ihn hervorgerufenen Rechtsscheins die Nichtigkeit dieses Bescheides fest.
Begründung:
Der Bescheid bezeichnet einen falschen Inhaltsadressaten. Dies führt gemäß Tz. 4.1 des AEAO zu § 122 AO i.V.m. § 157 S. 2 AO zur Nichtigkeit.
Hierdurch erledigt sich Ihr Einspruch vom 18.01.2002.
Der Erlass eines neuen Bescheides wird derzeit noch geprüft."

9

Das Betriebs-FA gelangte im weiteren Verfahren zu dem Ergebnis, der Feststellungsbescheid für 1994 vom 17. Januar 2002 sei (ebenfalls) an den falschen Inhaltsadressaten und außerdem nicht korrekt bekannt gegeben worden. Es richtete an den Kläger unter dem 14. Juli 2004 das folgende Schreiben, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war:

10

"Dieser Bescheid ergeht an Sie als ehemaligen Gesellschafter (Kommanditist) der nicht mehr bestehenden ... KG, ... gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1994 für die... KG
...
hiermit stelle ich zur Beseitigung des durch ihn hervorgerufenen Rechtsscheins, die Nichtigkeit des Bescheides 1994 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte vom 17.01.2002 (bekanntgegeben an die ... GmbH mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten) fest.
Der Bescheid vom 17.01.2002 ist gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig und folglich unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO).
Begründung:
...
Hinweis:
Durch die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 17.01.2002 lebt der Ihnen bekanntgegebene Feststellungsbescheid vom 26.03.1997 wieder auf."

11

Das Betriebs-FA informierte zeitgleich das FA. Dieses berücksichtigte mit dem --im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen-- Änderungsbescheid vom 26. August 2004 bei der Einkommensteuer 1994 wieder den Veräußerungsgewinn in Höhe von ... DM. Am 20. September 2004 legten die Kläger hiergegen Einspruch ein. Ihr zugleich gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) blieb beim FA und Finanzgericht (FG) erfolglos. Auf die Beschwerde der Kläger gewährte der erkennende Senat AdV gegen Sicherheitsleistung (Beschluss vom 21. Juni 2005 X B 72/05, BFH/NV 2005, 1490).

12

Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens machten die Kläger geltend, nach Auffassung des erkennenden Senats ermögliche der Wortlaut des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die Anpassung des Folgebescheids offenbar nicht. Andernfalls hätte der Bundesfinanzhof (BFH) keine AdV gewährt. Eine analoge Anwendung der Bestimmung komme im Rahmen der Eingriffsverwaltung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 14. August 1996  2 BvR 2088/93, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 3146) und des BFH (Urteil vom 18. Februar 1977 VI R 177/75, BFHE 121, 572, BStBl II 1977, 524) nicht in Betracht.

13

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1950 veröffentlicht.

14

Mit der Revision machen die Kläger im Wesentlichen unter Berufung auf den AdV-Beschluss des Senats in BFH/NV 2005, 1490 geltend, die Mitteilung des Betriebs-FA über die Unwirksamkeit des Bescheids habe nur deklaratorischen Charakter. Nach ständiger Rechtsprechung (BFH-Entscheidungen vom 17. Oktober 1985 VII R 185/83, BFH/NV 1986, 720; vom 15. November 1991 VI R 81/89, BFHE 165, 566, BStBl II 1992, 224; in BFH/NV 2005, 1490, und vom 22. August 2007 II R 44/05, BFHE 218, 494, BStBl II 2009, 754) sei die Nichtigkeitsfeststellung gemäß § 125 Abs. 5 AO kein Verwaltungsakt. Im Urteil vom 24. Januar 2008 V R 36/06 (BFHE 220, 208, BStBl II 2008, 686) habe der BFH diese Frage nicht bejaht, sondern lediglich offen gelassen. Das Bundessozialgericht (BSG) äußere seine gegenteilige Auffassung im Urteil vom 23. Februar 1989  11/7 RAr 103/87 (Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1989, 902) nur im Rahmen eines obiter dictum, das es zudem nicht nachvollziehbar begründet habe.

15

Die Nichtigkeitsfeststellung erfülle nicht die Voraussetzungen der gesetzlichen Definition des Verwaltungsakts, denn es fehle an einer Regelung, die unmittelbare Rechtswirkungen zeitige. Die Unwirksamkeit des Verwaltungsakts ergebe sich bereits ipso iure (§ 124 Abs. 3 AO).

16

Selbst wenn es sich um einen Verwaltungsakt handeln sollte, sei die Anpassung des Folgebescheids nicht möglich. Der Feststellung der Nichtigkeit fehle die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung für das Folgebescheidsverfahren, da sich die Bindungswirkung nicht in dem --ggf. vorhandenen-- Regelungsinhalt des Verwaltungsakts erschöpfen dürfe. Sie stehe auch der Aufhebung eines Grundlagenbescheids mit Bindungswirkung nicht gleich. Eine analoge Anwendung von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sei insbesondere in Bezug auf die Tatbestände des § 171 AO nach allgemeiner Auffassung unzulässig und stelle einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich verankerten Gesetzesvorbehalt dar.

17

Schließlich sei Festsetzungsverjährung eingetreten, da die Nichtigkeitsfeststellung außerhalb der Festsetzungsfrist sowohl des Grundlagenbescheids- als auch des Folgebescheidsverfahrens ergangen sei.

18

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 18. Mai 2010  2 K 146/06 sowie den Einkommensteuerbescheid 1994 vom 26. August 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2006 aufzuheben.

19

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

20

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht erkannt, dass die Feststellung der Nichtigkeit des Gewinnfeststellungsbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO den Erlass des angefochtenen Einkommensteuerbescheids als Folgebescheid ermöglicht hat.

21

Die Finanzbehörde hat grundsätzlich die Möglichkeit, die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts in der (Handlungs-)Form eines Verwaltungsakts festzustellen (dazu unten 1.). Ob im jeweiligen Einzelfall ein Verwaltungsakt gegeben ist, ist durch Auslegung zu ermitteln; vorliegend stellte die Nichtigkeitsfeststellung vom 14. Juli 2004 einen Verwaltungsakt dar (dazu unten 2.). Da die Nichtigkeitsfeststellung im Streitfall als Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO anzusehen ist, war der Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern (dazu unten 3.).

22

1. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist es grundsätzlich möglich, die in § 125 Abs. 5 AO vorgesehene Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts im Wege des Erlasses eines Verwaltungsakts zu treffen. Zwar ist diese Frage innerhalb der höchstrichterlichen Rechtsprechung umstritten (dazu unten a); der erkennende Senat schließt sich jedoch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und des BSG an (dazu unten b). Die Einwendungen der Kläger stehen dem nicht entgegen (dazu unten c).

23

a) Innerhalb der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Frage, ob die von einer Behörde vorgenommene Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts ihrerseits einen Verwaltungsakt darstellt oder aber --mangels Regelungsgehalt-- lediglich deklaratorischen Charakter hat, bisher nicht einheitlich beurteilt worden.

24

aa) Die einzelnen Senate des BFH haben in der Vergangenheit mehrheitlich die Auffassung vertreten, die Nichtigkeitsfeststellung durch eine Finanzbehörde sei deklaratorisch.

25

Mit Urteil in BFH/NV 1986, 720 hat der VII. Senat des BFH über eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit (§ 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) eines Haftungsbescheids entschieden. Er hat ausgeführt, eine solche Klage sei zulässig, ohne dass zuvor ein Verfahren nach § 125 Abs. 5 AO durchgeführt werden müsse. Die Feststellung der Nichtigkeit enthalte ebenso wie ihre Ablehnung durch eine Verwaltungsbehörde (§ 125 Abs. 5 AO) lediglich den Rechtscharakter einer Auskunft darüber, ob die Behörde den Verwaltungsakt für wirksam halte. Eine darüber hinausgehende Verbindlichkeit sei der von der Behörde getroffenen Entscheidung nicht beizumessen.

26

Auch der VI. Senat des BFH hat mit Urteil in BFHE 165, 566, BStBl II 1992, 224 --im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Entscheidung des VII. Senats in BFH/NV 1986, 720-- die Auffassung vertreten, eine Mitteilung über die Nichtigkeit habe nur deklaratorischen Charakter und sei lediglich als Äußerung einer Rechtsansicht zu verstehen.

27

In gleicher Weise hat der II. Senat des BFH mit Urteil in BFHE 218, 494, BStBl II 2009, 754 unter Bezugnahme auf das Urteil in BFH/NV 1986, 720 sowie den AdV-Beschluss des erkennenden Senats in BFH/NV 2005, 1490 Stellung bezogen.

28

Der VIII. Senat des BFH konnte in seinem Urteil vom 7. Oktober 1997 VIII R 4/96 (BFH/NV 1998, 1195, dort unter II.1.) die Frage, ob über einen Antrag nach § 125 Abs. 5 AO durch Verwaltungsakt entschieden werden könne, ausdrücklich offenlassen. Dem dortigen Schreiben der Behörde habe bereits der Regelungswille --als wesentliches Element eines jeden Verwaltungsakts-- gefehlt. Ähnlich hat der II. Senat im Beschluss vom 29. Juli 1998 II R 64/95 (BFH/NV 1998, 1455) entschieden.

29

Demgegenüber hat der V. Senat des BFH im Urteil in BFHE 220, 208, BStBl II 2008, 686 (dort unter II.2.a) geäußert, er neige dazu, gegen die bisherige Rechtsprechung des BFH in einer Nichtigkeitsfeststellung nicht nur eine unverbindliche, deklaratorische Wissenserklärung zu sehen, sondern mit dem BSG und der "herrschenden Meinung der Rechtslehre" von einem die Behörde bindenden, feststellenden Verwaltungsakt auszugehen.

30

bb) Die finanzgerichtliche Rechtsprechung ist nicht einheitlich. Neben dem Schleswig-Holsteinischen FG im Streitfall hat auch das FG Rheinland-Pfalz die Verwaltungsaktsqualität der Nichtigkeitsfeststellung nach § 125 Abs. 5 AO bejaht (Urteil vom 22. November 1995  5 K 1802/95, EFG 1996, 203, als Vorinstanz zur Entscheidung des VIII. Senats in BFH/NV 1998, 1195). Das Niedersächsische FG hatte im Urteil vom 16. März 2006  16 K 359/05 (EFG 2007, 139, Vorinstanz zur Entscheidung des V. Senats in BFHE 220, 208, BStBl II 2008, 686) die Frage nicht entschieden. Weitere Gerichte haben die Aussagen des VII. Senats übernommen (FG Düsseldorf, Entscheidungen vom 8. März 1989  15 V 280/88 A (F), EFG 1989, 385, und vom 11. Oktober 1996  18 K 2021/93 F, EFG 1998, 2; FG München, Urteil vom 24. April 1996  1 K 2685/92, EFG 1996, 960; FG Baden-Württemberg, Urteile vom 3. November 1998  1 K 93/94, EFG 2000, 981, sowie vom 24. März 2011  3 K 1562/08, nicht veröffentlicht; FG Köln, Urteil vom 7. April 2004  7 K 7227/99, EFG 2004, 1184).

31

cc) Das BVerwG und das BSG vertreten zu den gleichlautenden Bestimmungen der anderen Verfahrensgesetze (diese unterscheiden sich von § 125 Abs. 5 AO nur insoweit, als dort anstelle der "Finanzbehörde" die "Behörde" genannt ist) die Auffassung, eine Nichtigkeitsfeststellung sei ein Verwaltungsakt.

32

So lässt das BVerwG die Anfechtungsklage gegen eine auf § 44 Abs. 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) gestützte behördliche Nichtigkeitsfeststellung zu (Urteil vom 30. Januar 1990  1 C 26/87, BVerwGE 84, 314). Dies setzt denknotwendig die Qualifikation einer solchen Feststellung als Verwaltungsakt voraus. Das BSG hält die Nichtigkeitsfeststellung nach § 40 Abs. 5 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) explizit ebenfalls für einen (deklaratorischen) Verwaltungsakt (Urteil vom 23. Februar 1989  11/7 RAr 103/87, Deutsches Verwaltungsblatt 1990, 210). Allerdings war diese Aussage für das angeführte Urteil nicht entscheidungserheblich.

33

dd) Die steuerrechtliche Literatur ist uneinheitlich (die Eigenschaft als Verwaltungsakt bejahend Rozek in Hübschmann/ Hepp/Spitaler --HHSp--, § 125 AO Rz 106, unter ausdrücklichem Verweis auf die anerkannte Rechtslage bei § 44 Abs. 5 VwVfG und § 40 Abs. 5 SGB X; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 124 AO Rz 25; Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 125 Rz 40; einen Verwaltungsakt verneinend Brockmeyer/Ratschow in Klein, AO, 11. Aufl., § 125 Rz 15).

34

b) Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des BVerwG und des BSG sowie der vom V. Senat des BFH geäußerten Auffassung an. Die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts durch eine Behörde kann ihrerseits alle in § 118 AO genannten Begriffsmerkmale eines Verwaltungsakts erfüllen. Insbesondere ist eine derartige Feststellung dem Grunde nach fähig und geeignet, unmittelbare Rechtswirkungen nach außen zu zeitigen.

35

Zwar ändert sich an der objektiven Nichtigkeit des vorangegangenen Verwaltungsakts durch eine spätere Nichtigkeitsfeststellung nichts. Gleichwohl beseitigt diese Feststellung zum einen den durch den vorangegangenen nichtigen Verwaltungsakt erzeugten Rechtsschein (dazu unten aa) und trifft zum anderen eine verbindliche, abschließende sowie der Bestandskraft fähige Entscheidung über die Nichtigkeit (unten bb).

36

aa) Bereits die Beseitigung des bestehenden Rechtsscheins ist als Rechtswirkung anzusehen.

37

Zwar mag es auf den ersten Blick widersprüchlich anmuten, in der Beseitigung eines Rechtsscheins Rechtswirkungen zu sehen, da es gerade Wesenselement eines nichtigen Verwaltungsakts zu sein scheint, keine Rechtswirkungen zu zeitigen. In dieser Allgemeinheit ist das jedoch unzutreffend. Der Rechtsschein selbst --und damit folgerichtig auch seine Beseitigung-- ist eine Rechtswirkung i.S. des § 118 AO. Er begründet das --irrige-- Vertrauen der Beteiligten in die Wirksamkeit der behördlichen Maßnahmen und damit in den Rechtsschein. Die Wirkungen, die ein --insbesondere unerkannt-- nichtiger Verwaltungsakt entfaltet, beruhen gerade auf diesem Vertrauen. Dieses kann zu tatsächlichen Handlungen, aber auch zu Rechtshandlungen erheblichen Umfangs führen, die ihrerseits (rechts)wirksam sein können. Beispielsweise ist ein Folgebescheid, der auf einem nichtigen Grundlagenbescheid beruht, zwar rechtswidrig, jedoch nicht nichtig. Damit ist auch dieses Vertrauen ein rechtlich relevanter Umstand. Vor diesem Hintergrund bewegen sich die Erzeugung wie auch die Beseitigung des Rechtsscheins nicht im rechtsfreien Raum, sondern sind Maßnahmen mit Wirkung im Rechtsverkehr.

38

Aus diesen Wirkungen eines nichtigen Verwaltungsakts ergibt sich im Einzelfall gerade das --in § 125 Abs. 5 AO und § 41 Abs. 1 FGO vom Gesetzgeber ausdrücklich berücksichtigte-- berechtigte Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit.

39

bb) Die Wirkung der Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts besteht vor allem darin, eine endgültige und der Bestandskraft fähige Entscheidung über die Frage der Nichtigkeit zu treffen und die möglicherweise streitige Frage, ob der Verwaltungsakt nichtig war, mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten zu beantworten. Diese Bestandskraftwirkung ist eine Rechtswirkung, die über die in der Beseitigung des Rechtsscheins liegende Rechtswirkung noch deutlich hinausgeht und zwingend die Annahme einer Regelungswirkung --und damit eines Verwaltungsakts-- zur Folge hat.

40

Könnte eine Nichtigkeitsfeststellung hingegen nicht in Bestandskraft erwachsen, entstünde ein Widerspruch zu den Grundsätzen der Rechtskraft entsprechender Feststellungsurteile. Verfahrensrechtlich schlüssig ist das Nebeneinander der behördlichen Nichtigkeitsfeststellung nach § 125 Abs. 5 AO und der Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 41 Abs. 1 FGO nur, wenn die Nichtigkeitsfeststellung nach § 125 Abs. 5 AO die gleichen Rechtswirkungen zeitigen kann wie die Nichtigkeitsfeststellungsklage.

41

Nach § 110 Abs. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, u.a. die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Das gilt auch für Feststellungsurteile nach § 41 Abs. 1 FGO, folglich auch für Urteile, in denen die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts festgestellt wird. Es gibt keinen Anlass, § 110 Abs. 1 FGO nicht auf Urteile anzuwenden, mit denen die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts festgestellt oder dies abgelehnt wird (vgl. auch Senatsurteil vom 9. Dezember 2009 X R 54/06, BFHE 228, 111, BStBl II 2010, 732).

42

Durch die Rechtskraftwirkung ist hinsichtlich des tenorierten Inhalts des Urteils --vorbehaltlich der Möglichkeiten eines Restitutions- oder Wiederaufnahmeverfahrens-- über den Streitgegenstand abschließend entschieden. Diese Frage kann im justizförmigen Verfahren nicht mehr neu aufgerollt werden. Dies gilt unabhängig davon, wie die Frage richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre.

43

Wenn aber eine durch Urteil ausgesprochene Nichtigkeitsfeststellung die dargestellte Wirkung entfaltet, wäre es widersprüchlich, einem inhaltsgleichen Ausspruch der Verwaltung nicht dieselbe Rechtsfolge beizumessen. Ansonsten wäre der Steuerpflichtige, der nach Rechtssicherheit hinsichtlich der Nichtigkeitsfrage strebt, zur Klage gezwungen.

44

Wäre die Nichtigkeitsfeststellung gemäß § 125 Abs. 5 AO kein Verwaltungsakt, der in Bestandskraft erwachsen kann, stellte sich nicht zuletzt die Frage, welche Funktion die Vorschrift überhaupt haben soll. Für die Befugnis der Finanzbehörde, unverbindlich Rechtsansichten zu äußern, bedürfte es keiner Rechtsgrundlage. Dem steht nicht entgegen, dass diese Rechtswirkung einer Nichtigkeitsfeststellung lediglich verfahrensrechtlicher Art ist. Auch das Verfahrensrecht hat (weitreichende) Rechtswirkungen. Die bestandskräftige Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts bewirkt, dass dessen Nichtigkeit nicht mehr in Frage zu stellen ist. Dies gilt auch für den Fall einer inhaltlich unzutreffenden Entscheidung.

45

c) Die Einwendungen der Kläger stehen der Auffassung des erkennenden Senats nicht entgegen.

46

aa) Die Nichtigkeitsfeststellung selbst kann niemals --wie die Kläger meinen-- auf etwas Unmögliches gerichtet sein, weil sie auch dann, wenn sie unzutreffend wäre, lediglich einen tatsächlich nicht nichtigen Verwaltungsakt beseitigte. Sie ist insofern vergleichbar mit einer bestandskräftig werdenden Aufhebung eines vermeintlich rechtswidrigen, in Wahrheit aber rechtmäßigen Bescheids im Einspruchs- oder Klageverfahren.

47

bb) Zwar kann die Frage, ob der Grundlagenbescheid Bindungswirkung hat, also wirksam geworden ist, auch im Verfahren gegen den Folgebescheid geprüft werden (allgemeine Auffassung, vgl. Söhn in HHSp, § 182 AO Rz 61). Dies schließt es jedoch nicht aus, die Nichtigkeit bereits im Grundlagenverfahren verbindlich festzustellen. Anders als die Kläger meinen, ermöglicht dies auch nicht, Bescheide außerhalb der gesetzlichen Vorgaben zu ändern. Die Einordnung einer bestimmten behördlichen Handlung als Verwaltungsakt kann zwar Voraussetzung für die Anwendung der Änderungsvorschriften sein, schafft aber keine neue Rechtsgrundlage für eine Änderung.

48

cc) Für die Annahme der Kläger, eine Nichtigkeitsfeststellung könne nur die Finanzbehörde, nicht jedoch den Adressaten binden, gibt es keine gesetzliche Grundlage. Aus dem als nichtig festgestellten Verwaltungsakt darf weder das FA noch der Steuerpflichtige Rechtsfolgen ableiten. Der durch einen nichtigen Verwaltungsakt verursachte Rechtsschein kann im Übrigen --anders als die Kläger zu unterstellen scheinen-- auch zu einer ungerechtfertigten Begünstigung des Adressaten geführt haben.

49

dd) Soweit die Kläger einwenden, eine bestandskräftig gewordene Nichtigkeitsfeststellung durch eine Behörde stünde einem gerichtlichen Verfahren nach § 41 FGO entgegen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Auch Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sind nur zulässig, soweit noch keine Bestandskraft eingetreten ist.

50

ee) Aus der Vorschrift des § 124 Abs. 3 AO, wonach ein nichtiger Verwaltungsakt unwirksam ist, ohne dass er --wie sich hieraus mittelbar ergibt-- angefochten oder anderweit aufgehoben werden müsste, folgt kein Argument gegen die Annahme, die Feststellung der Nichtigkeit sei der Bestandskraft fähig. Vielmehr betrifft diese Norm lediglich die Frage, welche Wirkungen --ipso iure-- von einem nichtigen Verwaltungsakt ausgehen. Sie regelt aber nicht, in welcher Weise und mit welcher Folge im finanzbehördlichen oder finanzgerichtlichen Verfahren die Nichtigkeit zu klären ist. Insbesondere schließt sie nicht aus, in diesen Verfahren eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die in § 124 Abs. 3 AO angeordnete Rechtsfolge ipso iure eingetreten ist. Vielmehr sieht § 41 Abs. 1 FGO eine Entscheidung über genau diese Frage im gerichtlichen Verfahren gerade vor.

51

ff) Unschädlich ist ebenso, dass die Nichtigkeitsfeststellung im Verhältnis zu dem nichtigen Verwaltungsakt kein actus contrarius ist. Sie ist keine vollständige Umkehrung des nichtigen Verwaltungsakts, regelt aber doch dessen Unwirksamkeit.

52

2. Auch wenn sich damit die Finanzbehörde für die auf § 125 Abs. 5 AO gestützte Feststellung der Nichtigkeit grundsätzlich der Handlungsform des Verwaltungsakts bedienen kann, bleibt stets zu prüfen, ob sie im jeweiligen Einzelfall tatsächlich einen Verwaltungsakt erlassen oder aber --wie in dem Fall, der der Entscheidung in BFH/NV 1998, 1195 zugrunde lag-- nur unverbindlich ihre Rechtsmeinung zur Wirksamkeit eines Bescheids geäußert hat. Insbesondere muss die Finanzbehörde mit entsprechendem Regelungswillen gehandelt haben. Dies ist durch Auslegung der entsprechenden finanzbehördlichen Äußerung zu ermitteln.

53

Vorliegend handelt es sich bei dem Schreiben des Betriebs-FA vom 14. Juli 2004 um eine Nichtigkeitsfeststellung mit entsprechendem Regelungswillen. Es stellt daher einen Verwaltungsakt dar. Das Betriebs-FA hat dieses Schreiben selbst als "Bescheid" bezeichnet und damit seinen Regelungswillen deutlich gemacht. Der Bescheid enthält die regelungstypische Zweiteilung in Tenor und Begründung. Zwar fehlt eine Rechtsbehelfsbelehrung. Dies ändert jedoch nichts am Regelungswillen, da sich in derartigen Fällen lediglich die Frist für die Einlegung des Einspruchs verlängert (§ 356 Abs. 2 AO).

54

3. Nach diesen Grundsätzen war das FA im Streitfall zum Erlass des angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheids vom 26. August 2004 berechtigt. Die Nichtigkeitsfeststellung vom 14. Juli 2004 ist ein Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO (dazu unten a). Auf seinen Erlass hin war die Einkommensteuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern (unten b). Festsetzungsverjährung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten (unten c).

55

a) Gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO ist Grundlagenbescheid ein Feststellungsbescheid, Steuermessbescheid oder anderer Verwaltungsakt, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist.

56

aa) Herkömmlicherweise werden unter "Feststellungsbescheiden" i.S. des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO lediglich die in den §§ 179 ff. AO genannten Bescheide verstanden (vgl. Banniza in HHSp, § 171 AO Rz 202). Ob ein Bescheid über die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts allein deshalb als Feststellungsbescheid nach §§ 179 ff. AO --dann unproblematisch gemäß § 182 Abs. 1 Satz 1 AO mit Bindungswirkung-- anzusehen ist, weil er sich auf einen solchen Gewinnfeststellungsbescheid nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO bezieht, könnte zweifelhaft sein.

57

bb) Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, weil die Nichtigkeitsfeststellung in jedem Falle einen "anderen Verwaltungsakt" i.S. des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO darstellt. Da die Vorschrift insoweit nicht eingrenzt, kann prinzipiell jeder Verwaltungsakt einer Behörde, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist, ein Grundlagenbescheid sein. Die Bindungswirkung der Nichtigkeitsfeststellung folgt aus der Bindungswirkung des zuletzt ergangenen wirksamen Feststellungsbescheids nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO --oder deren Fehlen-- in Verbindung mit der aus § 124 Abs. 1 Satz 2 AO folgenden Feststellungswirkung der Nichtigkeitserklärung.

58

Die Nichtigkeitsfeststellung trifft eine Entscheidung darüber, ob der Verwaltungsakt, auf den sie sich bezieht, nichtig ist. Bezieht sie sich auf einen seinerseits mit Bindungswirkung nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO versehenen Grundlagenbescheid, entscheidet sie darüber, ob dieser für den Folgebescheid bindend war und ist und ob deshalb die entsprechenden Folgerungen gezogen werden durften und dürfen. Damit hat sie selbst Bindungswirkung für das Folgebescheidsverfahren.

59

Anders als die Kläger meinen, ist daher eine --ggf. unzulässige-- Analogie nicht gegeben.

60

b) Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Die Nichtigkeitsfeststellung stellt den Erlass eines Grundlagenbescheides im Sinne dieser Vorschrift dar. Daher war der Einkommensteuerbescheid 1994 zu ändern. Ob die Nichtigkeitsfeststellung möglicherweise außerdem der Aufhebung des für nichtig befundenen Verwaltungsakts gleichzustellen ist --wogegen sich die Kläger wehren--, kann dahinstehen, da § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO den Erlass, die Aufhebung und die Änderung von Grundlagenbescheiden gleichrangig nebeneinander stellt.

61

c) Die Nichtigkeitsfeststellung ist gemäß § 125 Abs. 5 AO "jederzeit" und damit auch nach Ablauf der Feststellungsfrist möglich. Da sie Grundlagenbescheid ist, ermöglicht sie nach § 171 Abs. 10 AO binnen zwei Jahren die Folgeänderung. Diese Frist ist gewahrt.

62

aa) Eine Änderung ist infolgedessen grundsätzlich zeitlich unbeschränkt möglich. Es verhält sich im Ergebnis allerdings nicht anders, als wenn die Besteuerungsgrundlage nicht gesondert festgestellt worden wäre, sondern unmittelbar Eingang in einen nichtigen Steuerbescheid gefunden hätte. Auch dessen Nichtigkeit wäre --mit den entsprechenden Folgen im Erhebungsverfahren-- grundsätzlich zeitlich unbeschränkt festzustellen. Angesichts der dienenden Funktion der gesonderten Feststellung gegenüber der Steuerfestsetzung sowie des Umstandes, dass es häufig von Zufälligkeiten (Belegenheit des Betriebes, Beteiligung mehrerer an Einkünften) abhängt, ob Besteuerungsgrundlagen gesondert festgestellt werden, wäre es unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen, Nichtigkeitsfolgen unterschiedlich zu behandeln.

63

Aus diesen Gründen ist eine Nichtigkeitsfeststellung im gesonderten Feststellungsverfahren mit der Konstellation, die dem BFH-Urteil vom 21. Februar 2013 V R 27/11 (BFHE 240, 487, BStBl II 2013, 529) zugrunde lag, nicht zu vergleichen. In jener Entscheidung wurde § 171 Abs. 10 AO teleologisch dahingehend reduziert, dass bei Grundlagenbescheiden von aus Sicht der AO ressortfremden Behörden --anders als bei Grundlagenbescheiden i.S. der §§ 179 ff. AO von Finanzbehörden (§ 6 Abs. 2 AO)-- die von dieser Vorschrift angeordnete Ablaufhemmung voraussetzt, dass der Grundlagenbescheid noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, bekanntgegeben wird. Nach dem Regelungssystem der AO seien Grundlagenbescheide, soweit eine ausdrückliche von der Festsetzungsfrist des betreffenden Steuerbescheides (Folgebescheides) abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehle, steuerrechtlich nur zu berücksichtigen, wenn sie innerhalb der Festsetzungsfrist für den betreffenden (Folge-)Steuerbescheid erlassen worden seien.

64

Im Streitfall bedarf es keiner teleologischen Reduktion des § 171 Abs. 10 AO. Das Betriebs-FA ist keine ressortfremde Behörde, sondern erlässt Grundlagenbescheide im Anwendungsbereich der AO. Auf die Frage, ob die Nichtigkeitsfeststellung selbst ein Grundlagenbescheid i.S. der §§ 179 ff. AO ist, kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht an, da ihr Regelungsgehalt sich jedenfalls auf einen Grundlagenbescheid i.S. der §§ 179 ff. AO bezieht. Sie ist zudem von der Zielrichtung der einschränkenden Auslegung des § 171 Abs. 10 AO nicht erfasst, da sie dem Regelungssystem der AO entspricht. Die Verknüpfung des --steuerlich noch zu berücksichtigenden-- Grundlagenbescheids mit der Festsetzungsfrist des Folgebescheids steht auch nach der Entscheidung in BFHE 240, 487, BStBl II 2013, 529 unter dem Vorbehalt, dass eine ausdrückliche abweichende Regelung zur Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid fehlt. Mit der Formulierung in § 125 Abs. 5 AO, die Finanzbehörde könne die Nichtigkeit "jederzeit von Amts wegen feststellen", hat die AO selbst die Nichtigkeitsfeststellung ausdrücklich außerhalb aller Fristen für die Festsetzungs- und Feststellungsverjährung ermöglicht.

65

bb) Der Senat verkennt nicht, dass es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar wäre, Abgaben zeitlich unbegrenzt (nach)erheben zu können (vgl. dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013  1 BvR 2457/08, BVerfGE 133, 143, BGBl I 2013, 820). Eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ab wann dies dem Erlass einer Nichtigkeitsfeststellung entgegenstehen könnte, ist im Streitfall indes nicht veranlasst. Diese Frage betrifft die Rechtmäßigkeit der Nichtigkeitsfeststellung als Grundlagenbescheid, über die gemäß § 351 Abs. 2 AO im vorliegenden Verfahren --betreffend den Folgebescheid-- nicht zu befinden ist. Für eine Nichtigkeit der Nichtigkeitsfeststellung ihrerseits, die auch im vorliegenden Folgebescheidsverfahren zu prüfen und zu beachten wäre, bestehen keine Anhaltspunkte.

66

Der Senat hält es für verfassungsrechtlich unbedenklich, dass § 125 Abs. 5 AO die Nichtigkeitsfeststellung dem Grunde nach zeitlich unbegrenzt ermöglicht. Für die Beachtung etwa rechtsstaatlich erforderlich werdender Korrektive --in zeitlicher Hinsicht, aber auch mit Rücksicht auf alle anderen Umstände des Einzelfalls, die ein etwaiges schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Bestand eines nichtigen Verwaltungsakts begründen könnten-- bietet das der Behörde eingeräumte Ermessen den erforderlichen, geeigneten, aber auch hinreichenden Spielraum. Da bereits bei der Entscheidung über die Frage, ob eine Nichtigkeitsfeststellung auszusprechen ist, der Zeit- und Vertrauensschutzfaktor berücksichtigt werden muss, unterscheidet sie sich maßgebend von den Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden. Das behördliche Ermessen stellt den Steuerpflichtigen nicht rechtsschutzlos. Eine Ermessensentscheidung steht nicht im Belieben der Verwaltung, sondern unterliegt der Überprüfung durch ein ordnungsgemäßes Rechtsbehelfsverfahren sowie der gerichtlichen Kontrolle. Sie vermag so in ausreichender Weise den berechtigten Belangen des Betroffenen Rechnung zu tragen.

67

Da dem Steuerpflichtigen eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle der Nichtigkeitsfeststellung zur Verfügung steht, bedarf es zur effektiven Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte des Steuerpflichtigen keines Durchgriffs auf das Folgebescheidsverfahren unter Durchbrechung der verfahrensrechtlichen Trennung zwischen Grundlagenbescheid und Folgebescheid.

68

Es kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen, ob im Einzelfall entgegen diesen Grundsätzen aufgrund besonders unglücklich gelagerter Umstände ein derartiger Durchgriff auf das Folgebescheidsverfahren möglich und erforderlich sein sollte. Die tatsächlichen Verhältnisse des Streitfalls verlangen dies in der Sache nicht. Der nichtige Feststellungsbescheid für 1994 war am 17. Januar 2002 erlassen worden; das Betriebs-FA hat seine Nichtigkeit am 14. Juli 2004 festgestellt. Der darin liegende zeitliche Abstand von weniger als zweieinhalb Jahren gebietet es nicht, die dem FA eingeräumte Möglichkeit zur "jederzeitigen" Feststellung der Nichtigkeit einzuschränken, zumal vorliegend auch der betroffene Folgebescheid erst durch Rücknahme des ursprünglich eingelegten Einspruchs am 18. März 2003 bestandskräftig geworden war.

69

4. Mit dieser Entscheidung weicht der Senat von den unter 1.a aa genannten Entscheidungen des II., VI. und VII. Senats des BFH ab. Die betroffenen Senate haben auf Anfrage mitgeteilt, dass sie der Abweichung zustimmen.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Finanzbehörde aber nicht erkennen lässt,
2.
den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann,
3.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
4.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 und Satz 2 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) Gegen Verwaltungsakte

1.
in Abgabenangelegenheiten, auf die dieses Gesetz Anwendung findet,
2.
in Verfahren zur Vollstreckung von Verwaltungsakten in anderen als den in Nummer 1 bezeichneten Angelegenheiten, soweit die Verwaltungsakte durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu vollstrecken sind,
3.
in öffentlich-rechtlichen und berufsrechtlichen Angelegenheiten, auf die dieses Gesetz nach § 164a des Steuerberatungsgesetzes Anwendung findet,
4.
in anderen durch die Finanzbehörden verwalteten Angelegenheiten, soweit die Vorschriften über die außergerichtlichen Rechtsbehelfe durch Gesetz für anwendbar erklärt worden sind oder erklärt werden,
ist als Rechtsbehelf der Einspruch statthaft. Der Einspruch ist außerdem statthaft, wenn geltend gemacht wird, dass in den in Satz 1 bezeichneten Angelegenheiten über einen vom Einspruchsführer gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist.

(2) Abgabenangelegenheiten sind alle mit der Verwaltung der Abgaben einschließlich der Abgabenvergütungen oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten einschließlich der Maßnahmen der Bundesfinanzbehörden zur Beachtung der Verbote und Beschränkungen für den Warenverkehr über die Grenze; den Abgabenangelegenheiten stehen die Angelegenheiten der Verwaltung der Finanzmonopole gleich.

(3) Die Vorschriften des Siebenten Teils finden auf das Straf- und Bußgeldverfahren keine Anwendung.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Finanzbehörde aber nicht erkennen lässt,
2.
den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann,
3.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
4.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 und Satz 2 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(2) Die Finanzbehörde bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen nach den Umständen des Einzelfalls sowie nach den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden.

(3) Zur Gewährleistung eines zeitnahen und gleichmäßigen Vollzugs der Steuergesetze können die obersten Finanzbehörden für bestimmte oder bestimmbare Fallgruppen Weisungen über Art und Umfang der Ermittlungen und der Verarbeitung von erhobenen oder erfassten Daten erteilen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist. Bei diesen Weisungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden. Die Weisungen dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Weisungen der obersten Finanzbehörden der Länder nach Satz 1 bedürfen des Einvernehmens mit dem Bundesministerium der Finanzen, soweit die Landesfinanzbehörden Steuern im Auftrag des Bundes verwalten.

(4) Das Bundeszentralamt für Steuern und die zentrale Stelle im Sinne des § 81 des Einkommensteuergesetzes können auf eine Weiterleitung ihnen zugegangener und zur Weiterleitung an die Landesfinanzbehörden bestimmter Daten an die Landesfinanzbehörden verzichten, soweit sie die Daten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zuordnen können. Nach Satz 1 einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zugeordnete Daten sind unter Beachtung von Weisungen gemäß Absatz 3 des Bundesministeriums der Finanzen weiterzuleiten. Nicht an die Landesfinanzbehörden weitergeleitete Daten sind vom Bundeszentralamt für Steuern für Zwecke von Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b bis zum Ablauf des 15. Jahres nach dem Jahr des Datenzugangs zu speichern. Nach Satz 3 gespeicherte Daten dürfen nur für Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b sowie zur Datenschutzkontrolle verarbeitet werden.

(5) Die Finanzbehörden können zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern und Steuervergütungen sowie Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsysteme). Dabei soll auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung berücksichtigt werden. Das Risikomanagementsystem muss mindestens folgende Anforderungen erfüllen:

1.
die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird,
2.
die Prüfung der als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte durch Amtsträger,
3.
die Gewährleistung, dass Amtsträger Fälle für eine umfassende Prüfung auswählen können,
4.
die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung.
Einzelheiten der Risikomanagementsysteme dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Auf dem Gebiet der von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern legen die obersten Finanzbehörden der Länder die Einzelheiten der Risikomanagementsysteme zur Gewährleistung eines bundeseinheitlichen Vollzugs der Steuergesetze im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen fest.

(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 verletzt. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nach § 158 Absatz 2 nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 nicht erteilt. Hat der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb verletzt, so wird widerlegbar vermutet, dass in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte in Bezug zu Staaten oder Gebieten im Sinne des § 3 Absatz 1 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb

1.
bisher nicht erklärt wurden, tatsächlich aber vorhanden sind, oder
2.
bisher zwar erklärt wurden, tatsächlich aber höher sind als erklärt.

(3) Verletzt ein Steuerpflichtiger seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Absatz 3 dadurch, dass er keine Aufzeichnungen über einen Geschäftsvorfall vorlegt, oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass der Steuerpflichtige Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 Satz 5 nicht zeitnah erstellt hat, so wird widerlegbar vermutet, dass seine im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 dienen, höher als die von ihm erklärten Einkünfte sind. Hat in solchen Fällen die Finanzbehörde eine Schätzung vorzunehmen und können diese Einkünfte nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, insbesondere nur auf Grund von Preisspannen bestimmt werden, kann dieser Rahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden. Bestehen trotz Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen durch den Steuerpflichtigen Anhaltspunkte dafür, dass seine Einkünfte bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten Einkünfte, und können entsprechende Zweifel deswegen nicht aufgeklärt werden, weil eine ausländische, nahe stehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 nicht erfüllt, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden.

(4) Legt ein Steuerpflichtiger über einen Geschäftsvorfall keine Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 vor oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar, ist ein Zuschlag von 5 000 Euro festzusetzen. Der Zuschlag beträgt mindestens 5 Prozent und höchstens 10 Prozent des Mehrbetrags der Einkünfte, der sich nach einer Berichtigung auf Grund der Anwendung des Absatzes 3 ergibt, wenn sich danach ein Zuschlag von mehr als 5 000 Euro ergibt. Der Zuschlag ist regelmäßig nach Abschluss der Außenprüfung festzusetzen. Bei verspäteter Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen beträgt der Zuschlag bis zu 1 000 000 Euro, mindestens jedoch 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung; er kann für volle Wochen und Monate der verspäteten Vorlage in Teilbeträgen festgesetzt werden. Soweit den Finanzbehörden Ermessen hinsichtlich der Höhe des jeweiligen Zuschlags eingeräumt ist, sind neben dem Zweck dieses Zuschlags, den Steuerpflichtigen zur Erstellung und fristgerechten Vorlage der Aufzeichnungen nach § 90 Absatz 3 anzuhalten, insbesondere die von ihm gezogenen Vorteile und bei verspäteter Vorlage auch die Dauer der Fristüberschreitung zu berücksichtigen. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Pflichten nach § 90 Abs. 3 entschuldbar erscheint oder ein Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen steht dem eigenen Verschulden gleich.

(4a) Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Steueroasen-Abwehrgesetzes, ist Absatz 4 entsprechend anzuwenden. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten entschuldbar erscheint oder das Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.

(5) In den Fällen des § 155 Abs. 2 können die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Finanzbehörde aber nicht erkennen lässt,
2.
den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann,
3.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
4.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 und Satz 2 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 verletzt. Das Gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nach § 158 Absatz 2 nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen und der Steuerpflichtige die Zustimmung nach § 93 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 nicht erteilt. Hat der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb verletzt, so wird widerlegbar vermutet, dass in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte in Bezug zu Staaten oder Gebieten im Sinne des § 3 Absatz 1 des Gesetzes zur Abwehr von Steuervermeidung und unfairem Steuerwettbewerb

1.
bisher nicht erklärt wurden, tatsächlich aber vorhanden sind, oder
2.
bisher zwar erklärt wurden, tatsächlich aber höher sind als erklärt.

(3) Verletzt ein Steuerpflichtiger seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Absatz 3 dadurch, dass er keine Aufzeichnungen über einen Geschäftsvorfall vorlegt, oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar oder wird festgestellt, dass der Steuerpflichtige Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 Satz 5 nicht zeitnah erstellt hat, so wird widerlegbar vermutet, dass seine im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 dienen, höher als die von ihm erklärten Einkünfte sind. Hat in solchen Fällen die Finanzbehörde eine Schätzung vorzunehmen und können diese Einkünfte nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, insbesondere nur auf Grund von Preisspannen bestimmt werden, kann dieser Rahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden. Bestehen trotz Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen durch den Steuerpflichtigen Anhaltspunkte dafür, dass seine Einkünfte bei Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes höher wären als die auf Grund der Aufzeichnungen erklärten Einkünfte, und können entsprechende Zweifel deswegen nicht aufgeklärt werden, weil eine ausländische, nahe stehende Person ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 oder ihre Auskunftspflichten nach § 93 Abs. 1 nicht erfüllt, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden.

(4) Legt ein Steuerpflichtiger über einen Geschäftsvorfall keine Aufzeichnungen im Sinne des § 90 Absatz 3 vor oder sind die über einen Geschäftsvorfall vorgelegten Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar, ist ein Zuschlag von 5 000 Euro festzusetzen. Der Zuschlag beträgt mindestens 5 Prozent und höchstens 10 Prozent des Mehrbetrags der Einkünfte, der sich nach einer Berichtigung auf Grund der Anwendung des Absatzes 3 ergibt, wenn sich danach ein Zuschlag von mehr als 5 000 Euro ergibt. Der Zuschlag ist regelmäßig nach Abschluss der Außenprüfung festzusetzen. Bei verspäteter Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen beträgt der Zuschlag bis zu 1 000 000 Euro, mindestens jedoch 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung; er kann für volle Wochen und Monate der verspäteten Vorlage in Teilbeträgen festgesetzt werden. Soweit den Finanzbehörden Ermessen hinsichtlich der Höhe des jeweiligen Zuschlags eingeräumt ist, sind neben dem Zweck dieses Zuschlags, den Steuerpflichtigen zur Erstellung und fristgerechten Vorlage der Aufzeichnungen nach § 90 Absatz 3 anzuhalten, insbesondere die von ihm gezogenen Vorteile und bei verspäteter Vorlage auch die Dauer der Fristüberschreitung zu berücksichtigen. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Pflichten nach § 90 Abs. 3 entschuldbar erscheint oder ein Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen steht dem eigenen Verschulden gleich.

(4a) Verletzt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 12 des Steueroasen-Abwehrgesetzes, ist Absatz 4 entsprechend anzuwenden. Von der Festsetzung eines Zuschlags ist abzusehen, wenn die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten entschuldbar erscheint oder das Verschulden nur geringfügig ist. Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen ist dem Steuerpflichtigen zuzurechnen.

(5) In den Fällen des § 155 Abs. 2 können die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden.

(1) Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Dabei hat sie alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(2) Die Finanzbehörde bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen nach den Umständen des Einzelfalls sowie nach den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden.

(3) Zur Gewährleistung eines zeitnahen und gleichmäßigen Vollzugs der Steuergesetze können die obersten Finanzbehörden für bestimmte oder bestimmbare Fallgruppen Weisungen über Art und Umfang der Ermittlungen und der Verarbeitung von erhobenen oder erfassten Daten erteilen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist. Bei diesen Weisungen können allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden. Die Weisungen dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Weisungen der obersten Finanzbehörden der Länder nach Satz 1 bedürfen des Einvernehmens mit dem Bundesministerium der Finanzen, soweit die Landesfinanzbehörden Steuern im Auftrag des Bundes verwalten.

(4) Das Bundeszentralamt für Steuern und die zentrale Stelle im Sinne des § 81 des Einkommensteuergesetzes können auf eine Weiterleitung ihnen zugegangener und zur Weiterleitung an die Landesfinanzbehörden bestimmter Daten an die Landesfinanzbehörden verzichten, soweit sie die Daten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zuordnen können. Nach Satz 1 einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einem bestimmten Finanzamt zugeordnete Daten sind unter Beachtung von Weisungen gemäß Absatz 3 des Bundesministeriums der Finanzen weiterzuleiten. Nicht an die Landesfinanzbehörden weitergeleitete Daten sind vom Bundeszentralamt für Steuern für Zwecke von Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b bis zum Ablauf des 15. Jahres nach dem Jahr des Datenzugangs zu speichern. Nach Satz 3 gespeicherte Daten dürfen nur für Verfahren im Sinne des § 30 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a und b sowie zur Datenschutzkontrolle verarbeitet werden.

(5) Die Finanzbehörden können zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern und Steuervergütungen sowie Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsysteme). Dabei soll auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung berücksichtigt werden. Das Risikomanagementsystem muss mindestens folgende Anforderungen erfüllen:

1.
die Gewährleistung, dass durch Zufallsauswahl eine hinreichende Anzahl von Fällen zur umfassenden Prüfung durch Amtsträger ausgewählt wird,
2.
die Prüfung der als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte durch Amtsträger,
3.
die Gewährleistung, dass Amtsträger Fälle für eine umfassende Prüfung auswählen können,
4.
die regelmäßige Überprüfung der Risikomanagementsysteme auf ihre Zielerfüllung.
Einzelheiten der Risikomanagementsysteme dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte. Auf dem Gebiet der von den Landesfinanzbehörden im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern legen die obersten Finanzbehörden der Länder die Einzelheiten der Risikomanagementsysteme zur Gewährleistung eines bundeseinheitlichen Vollzugs der Steuergesetze im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen fest.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.