Finanzgericht München Urteil, 15. Feb. 2016 - 7 K 1977/15

bei uns veröffentlicht am15.02.2016

Gericht

Finanzgericht München

Gründe

Finanzgericht München

Az.: 7 K 1977/15

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

Stichwort: Ermessensausübung bei der Entscheidung über einen Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes

In der Streitsache

...

Klägerin

gegen

...

Beklagte

Beigeladen: ...

wegen Kindergeld

hat der 7. Senat des Finanzgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung

vom 15. Februar 2016

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen.

Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.bundesfinanzhof.de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26. November 2004 (BGBl. I S. 3091) einzuhalten ist.

Vor dem Bundesfinanzhof müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer zugelassen; zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, deren Partner ausschließlich Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer sind. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des vorhergehenden Satzes zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/92 31-201.

Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs über die Zulassung der Revision ist jedoch bei dem Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im Revisionsverfahren nach Maßgabe des vierten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin bezieht für ihren Sohn F, geboren am ...1996, Kindergeld. Auf Antrag des Sohnes entschied die beklagte Familienkasse mit Bescheid vom 25.3.2015, dass das Kindergeld ab Januar 2015 i. H. v. 184 € monatlich nach § 74 Abs. 1 i. V. m. § 76 Einkommensteuergesetz (EStG) an den Sohn F abgezweigt wird. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass nach den Feststellungen der Familienkasse die Klägerin dem Kind keinen Unterhalt gewährt und die Abzweigung in dieser Höhe angemessen ist, weil das Kindergeld insoweit für den Kindesunterhalt bestimmt ist. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein, der damit begründet wurde, dass sie sehr wohl Unterhaltszahlungen geleistet habe. Auch jetzt noch zahle sie monatlich 49 € für den Klavierunterricht von F. Die Familienkasse zog F nach § 360 Abgabenordnung (AO) zum Einspruchsverfahren hinzu und wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2015 als unbegründet zurück, da keine regelmäßigen Unterhaltszahlungen nachgewiesen seien.

Dagegen richtet sich die Klage. Die Klägerin trägt vor, dass sie monatlich 49 € an die Musikschule überweise. Zwar werde der Klavierunterricht von F nicht mehr besucht, sie sei jedoch vertraglich gebunden, da der Vertrag mit der Musikschule erst mit Wirkung zum 31.1.2016 gekündigt worden sei.

Mit Beschluss vom 8.12.2015 ist F zum Verfahren nach § 60 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) beigeladen worden. Mit Beschluss vom 22.1.2016 ist der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Aufhebung des Abzweigungsbescheides vom 25.3.2015 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22.7.2015.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 15.2.2015 wird Bezug genommen.

II.

Die Klage ist unbegründet. Die Familienkasse hat die Entscheidung über die Abzweigung des Kindergeldes ermessensfehlerfrei getroffen.

Die Entscheidung der Familienkasse über eine Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG ist eine Ermessensentscheidung („kann“). Nach § 102 Satz 1 FGO kann das Gericht eine Ermessensentscheidung nur darauf hin überprüfen, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zwecke der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung) maßgebend (BFH-Beschluss vom 20. Februar 2012 III B 107/11, BFH/NV 2012, 987, Rz. 10).

Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG kann das für ein Kind festgesetzte (oder festzusetzende) Kindergeld an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Das gilt nach Satz 3 der Vorschrift auch, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrags zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Für ein volljähriges unterhaltsberechtigtes Kind, das auswärts lebt, ist der Unterhalt regelmäßig durch eine Geldrente zu erbringen. Leistet der Unterhaltsverpflichtete tatsächlich keinen Unterhalt, liegt es im pflichtgemäßen Ermessen, das Kindergeld an das Kind auszuzahlen. Das Ermessen wird nicht dadurch eingeschränkt, dass der Unterhaltspflichtige anstelle des zivilrechtlich geschuldeten Barunterhalts Naturalleistungen anbietet (vgl. BFH-Beschluss v. 17.03.2006 III B 135/05, BFH/NV).

Bei der Ausübung des Ermessens ist insbesondere der Zweck des § 74 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen (vgl. § 5 AO). Trägt der Kindergeldberechtigte überhaupt keine Aufwendungen für den Unterhalt des Kindes, soll das gesamte Kindergeld nicht ihm, sondern entweder dem Kind oder aber demjenigen zugutekommen, der dem Kind tatsächlich Unterhalt gewährt. Auch geringe Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten sind aber bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 23.02.2006 III R 65/04, BStBl. II 2008, 753). Entstehen dem Kindergeldberechtigten Unterhaltsaufwendungen mindestens in Höhe des Kindergeldes, ist allein die Auszahlung des vollen Kindergeldes an den Kindergeldberechtigten ermessensgerecht (BFH-Urteil vom 15.07.2010 III R 89/09, BFH/NV 2011, 121, m. w. N.).

Im Streitfall war die Abzweigung des Kindergeldes nicht ermessensfehlerhaft, da die Klägerin dem volljährigen Sohn kein Unterhalt in Form einer regelmäßigen Geldrente geleistet hat.

Die von der Klägerin im streitigen Zeitraum von Januar bis Juli 2015 (Erlass der Einspruchsentscheidung) teilweise geleisteten Zahlungen an die Musikschule stellen keine Geldrente an den Sohn dar, vielmehr handelt es sich um eine vertragliche Verpflichtung gegenüber einem Dritten, die dem Sohn nicht für seinen Lebensunterhalt zugute gekommen ist. Diese ändern daher an der Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung nichts.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 102


Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Er

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 60


(1) Das Finanzgericht kann von Amts wegen oder auf Antrag andere beiladen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden, insbesondere solche, die nach den Steuergesetzen neben dem Steuerpflichtigen haften.

Abgabenordnung - AO 1977 | § 5 Ermessen


Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

Einkommensteuergesetz - EStG | § 74 Zahlung des Kindergeldes in Sonderfällen


(1) 1Das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Absatz 1 kann an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. 2Kindergeld kann an Kinder, die bei der Festsetzu

Abgabenordnung - AO 1977 | § 360 Hinzuziehung zum Verfahren


(1) Die zur Entscheidung über den Einspruch berufene Finanzbehörde kann von Amts wegen oder auf Antrag andere hinzuziehen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden, insbesondere solche, die nach den St

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Gründe Finanzgericht München Az.: 7 K 1977/15 IM NAMEN DES VOLKES Urteil Stichwort: Ermessensausübung bei der Entscheidung über einen Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes In der Streitsa

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(1) Die zur Entscheidung über den Einspruch berufene Finanzbehörde kann von Amts wegen oder auf Antrag andere hinzuziehen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden, insbesondere solche, die nach den Steuergesetzen neben dem Steuerpflichtigen haften. Vor der Hinzuziehung ist derjenige zu hören, der den Einspruch eingelegt hat.

(2) Wird eine Abgabe für einen anderen Abgabenberechtigten verwaltet, so kann dieser nicht deshalb hinzugezogen werden, weil seine Interessen als Abgabenberechtigter durch die Entscheidung berührt werden.

(3) Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie hinzuzuziehen. Dies gilt nicht für Mitberechtigte, die nach § 352 nicht befugt sind, Einspruch einzulegen.

(4) Wer zum Verfahren hinzugezogen worden ist, kann dieselben Rechte geltend machen, wie derjenige, der den Einspruch eingelegt hat.

(5) Kommt nach Absatz 3 die Hinzuziehung von mehr als 50 Personen in Betracht, kann die Finanzbehörde anordnen, dass nur solche Personen hinzugezogen werden, die dies innerhalb einer bestimmten Frist beantragen. Von einer Einzelbekanntgabe der Anordnung kann abgesehen werden, wenn die Anordnung im Bundesanzeiger bekannt gemacht und außerdem in Tageszeitungen veröffentlicht wird, die in dem Bereich verbreitet sind, in dem sich die Entscheidung voraussichtlich auswirken wird. Die Frist muss mindestens drei Monate seit Veröffentlichung im Bundesanzeiger betragen. In der Veröffentlichung in Tageszeitungen ist mitzuteilen, an welchem Tage die Frist abläuft. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist gilt § 110 entsprechend. Die Finanzbehörde soll Personen, die von der Entscheidung erkennbar in besonderem Maße betroffen werden, auch ohne Antrag hinzuziehen.

(1) Das Finanzgericht kann von Amts wegen oder auf Antrag andere beiladen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden, insbesondere solche, die nach den Steuergesetzen neben dem Steuerpflichtigen haften. Vor der Beiladung ist der Steuerpflichtige zu hören, wenn er am Verfahren beteiligt ist.

(2) Wird eine Abgabe für einen anderen Abgabenberechtigten verwaltet, so kann dieser nicht deshalb beigeladen werden, weil seine Interessen als Abgabenberechtigter durch die Entscheidung berührt werden.

(3) Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie beizuladen (notwendige Beiladung). Dies gilt nicht für Mitberechtigte, die nach § 48 nicht klagebefugt sind.

(4) Der Beiladungsbeschluss ist allen Beteiligten zuzustellen. Dabei sollen der Stand der Sache und der Grund der Beiladung angegeben werden.

(5) Die als Mitberechtigte Beigeladenen können aufgefordert werden, einen gemeinsamen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen.

(6) Der Beigeladene kann innerhalb der Anträge eines als Kläger oder Beklagter Beteiligten selbständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen und alle Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen. Abweichende Sachanträge kann er nur stellen, wenn eine notwendige Beiladung vorliegt.

(1)1Das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Absatz 1 kann an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt.2Kindergeld kann an Kinder, die bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigt werden, bis zur Höhe des Betrags, der sich bei entsprechender Anwendung des § 76 ergibt, ausgezahlt werden.3Dies gilt auch, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrags zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld.4Die Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt.

(2) Für Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen gegen die Familienkasse gelten die §§ 102 bis 109 und 111 bis 113 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch entsprechend.

Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Finanzbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen.

(1)1Das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Absatz 1 kann an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt.2Kindergeld kann an Kinder, die bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigt werden, bis zur Höhe des Betrags, der sich bei entsprechender Anwendung des § 76 ergibt, ausgezahlt werden.3Dies gilt auch, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrags zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld.4Die Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Kind Unterhalt gewährt.

(2) Für Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen gegen die Familienkasse gelten die §§ 102 bis 109 und 111 bis 113 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch entsprechend.

Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

Tatbestand

1

I. Die im März 1987 geborene Tochter der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) lebte seit dem Jahr 2005 in einer Wohnform des betreuten Wohnens. Die Kosten hierfür übernahm der Beigeladene als Jugendhilfeträger. Diese Hilfe für junge Volljährige wurde zum 31. August 2006 wegen Rückkehr der Tochter in den Haushalt der Klägerin beendet.

2

Im März 2006 beantragte der Beigeladene, das Kindergeld für die Tochter an ihn auszuzahlen (abzuzweigen), weil die Klägerin sich weigere, Barunterhalt für die Tochter zu leisten. Mit Bescheid vom 3. April 2006 zweigte die damals zuständige Familienkasse R das Kindergeld ab April 2006 in Höhe von 154 € an den Beigeladenen ab mit der Begründung, die Abzweigung sei in dieser Höhe angemessen, weil die Klägerin ihrer Tochter keinen Unterhalt gewähre und das Kindergeld insoweit für den Kindesunterhalt bestimmt sei.

3

Mit ihrem Einspruch machte die Klägerin geltend, sie sei nicht damit einverstanden gewesen, dass der Beigeladene ihrer Tochter das Wohnen außerhalb des Elternhauses ermögliche. Sie habe ihm mitgeteilt, dass der Tochter ein eigenes Zimmer im Haus der Eltern zur Verfügung stehe und ansonsten der Unterhalt innerhalb der Familie gewährt werde. Ein Anspruch auf Barunterhalt bestehe nicht.

4

Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Abzweigung lägen vor, da die Klägerin ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Die nach Ansicht des Beigeladenen tiefgreifende Zerrüttung der Beziehungen zwischen Eltern und Kind rechtfertige den Auszug des Kindes aus der elterlichen Wohnung und damit den Barunterhaltsanspruch.

5

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage gegen die --während des finanzgerichtlichen Verfahrens zuständig gewordene-- Familienkasse P (Beklagte und Revisionsklägerin --Familienkasse--) mit Urteil vom 14. Oktober 2008  12 K 2884/06 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 575) statt und hob den Abzweigungsbescheid sowie die Einspruchsentscheidung auf.

6

Es führte im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes lägen nicht vor. Die Klägerin sei ihrer Unterhaltspflicht durch das Anbieten von Naturalunterhalt und Zahlung des Schulgeldes nachgekommen. Diese Bestimmung über die Art der Unterhaltsgewährung sei gegenüber der Tochter wirksam getroffen worden und gelte, weil sie nicht missbräuchlich sei, auch gegenüber Dritten.

7

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

8

Die Familienkasse beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

10

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

11

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

12

1. Entgegen der Auffassung des FG liegen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes an den Beigeladenen dem Grunde nach vor.

13

a) Das für ein Kind festgesetzte Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG kann gemäß § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG an die Person oder Stelle ausgezahlt werden, die dem Kind Unterhalt gewährt, wenn der Kindergeldberechtigte dem Kind gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt.

14

b) Nach §§ 1601 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs war die Klägerin verpflichtet, ihrer Tochter Unterhalt zu gewähren. Die Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung blieb auch insoweit bestehen, als der Beigeladene die Kosten für den Unterhalt und die Unterbringung der Tochter getragen hat. Jugendhilfeleistungen sind zwar nach den im Streitzeitraum April bis August 2006 geltenden Vorschriften nur in eingeschränktem Umfang nachrangig, da sie dem Ausgleich eines Erziehungsdefizits dienen und daher mit Unterhaltsleistungen nicht "kongruent" sind (Wiesner, SGB VIII, § 10 Rz 26). Sie führen nicht zu einem gesetzlichen Übergang des Unterhaltsanspruchs des Kindes auf den Jugendhilfeträger, sondern mindern die Unterhaltsverpflichtung der Eltern, soweit der Bedarf des Kindes durch Jugendhilfeleistungen gedeckt ist (§ 10 Abs. 2 Satz 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch --SGB VIII-- in der Fassung für die streitigen Monate August bis Dezember 2006). Unterhaltspflichtige Eltern sind aber an den Kosten durch einen Kostenbeitrag zu beteiligen (§ 10 Abs. 2 Satz 1, § 91 Abs. 1 Nr. 5, § 92 Abs. 1 Nr. 5, § 94 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII). Diese Regelung setzt also einen zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch voraus. Trotz der Jugendhilfeleistungen bleibt die zivilrechtliche Unterhaltspflicht der Eltern dem Grunde nach bestehen (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Dezember 2006 XII ZR 197/04, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2007, 377, a.E.).

15

c) Die Klägerin ist ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht i.S. des § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG nachgekommen, da sie jedenfalls die zum Lebensbedarf ihrer Tochter gehörenden laufenden Kosten für die Unterbringung nicht getragen und die Zahlung eines Kostenbeitrags abgelehnt hat.

16

Der Unterhaltspflicht nicht nachkommen bedeutet, dass der Kindergeldberechtigte objektiv und dauerhaft für den wesentlichen Unterhalt des Kindes nicht aufkommt. Auf die Gründe für die Nichterfüllung der Unterhaltspflicht kommt es nicht an (vgl. Senatsurteile vom 23. Februar 2006 III R 65/04, BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753; vom 9. Februar 2009 III R 37/07, BFHE 224, 290, BStBl II 2009, 928; vom 17. Dezember 2008 III R 6/07, BFHE 224, 228, BStBl II 2009, 926).

17

2. Da die Voraussetzungen für eine Abzweigung dem Grunde nach vorliegen, hängt die Rechtmäßigkeit des Abzweigungsbescheids davon ab, ob die Entscheidung der Familienkasse über die Abzweigung sachgerechtem Ermessen entspricht. Dies kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG nicht abschließend entscheiden; die Sache ist daher an das FG zurückzuverweisen.

18

a) Die nach § 74 Abs. 1 EStG ("kann") im Ermessen der Familienkasse stehende Entscheidung, ob und in welcher Höhe das Kindergeld abgezweigt wird, ist gerichtlich nur auf Ermessensfehler überprüfbar (§ 102 FGO). Stellt das Gericht einen Ermessensfehler fest, kann es nicht selbst Ermessen ausüben, sondern ist darauf beschränkt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Lediglich dann, wenn nur eine Entscheidung ermessensgerecht erscheint (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist das Gericht befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Familienkasse zu setzen (Senatsurteil in BFHE 224, 290, BStBl II 2009, 928, m.w.N.).

19

b) Bei der Ausübung des Ermessens ist insbesondere der Zweck des § 74 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen (§ 5 der Abgabenordnung). Trägt der Kindergeldberechtigte überhaupt keine Aufwendungen für den Unterhalt des Kindes, soll das gesamte Kindergeld nicht ihm, sondern entweder dem Kind oder aber demjenigen zugute kommen, der dem Kind tatsächlich Unterhalt gewährt. Auch geringe Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten sind aber bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen (Senatsurteil in BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753). Entstehen dem Kindergeldberechtigten Unterhaltsaufwendungen mindestens in Höhe des Kindergeldes, ist nach der Rechtsprechung des Senats allein die Auszahlung des vollen Kindergeldes an den Kindergeldberechtigten ermessensgerecht (Senatsurteil in BFHE 224, 290, BStBl II 2009, 928).

20

Eine Abzweigung des vollen Kindergeldes an den --die Unterhaltskosten tragenden-- Jugendhilfeträger kann nicht darauf gestützt werden, dass er nach § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII, § 74 Abs. 2 EStG einen Erstattungsanspruch in Höhe des Kindergeldes hat. Denn in einem finanzgerichtlichen Verfahren über die Rechtmäßigkeit einer Abzweigung kann nicht eingewendet werden, die Auszahlung sei aufgrund eines Erstattungsanspruchs gerechtfertigt (Senatsbeschluss vom 13. August 2007 III B 51/07, BFH/NV 2007, 2276).

21

Gewährt wie im Streitfall ein Jugendhilfeträger aufgrund von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 41, 34, 39 SGB VIII dem Kind Unterkunft und Unterhalt außerhalb des Elternhauses, kann der Kindergeldberechtigte gegen die Abzweigung des Kindergeldes nicht einwenden, er habe dem Kind ein Zimmer im Elternhaus und Unterhalt innerhalb der Familie angeboten. Denn er ist Kraft Gesetzes verpflichtet, einen Kostenbeitrag zu den vom Jugendhilfeträger übernommenen Kosten zu leisten (§ 94 Abs. 3 SGB VIII).

22

c) Die Familienkasse hat ihre Abzweigungsentscheidung allein darauf gestützt, dass die Klägerin keinen Barunterhalt für Unterkunft und Verpflegung geleistet habe. Sie hat nicht geprüft, ob die Klägerin andere Zahlungen, wie z.B. das behauptete Schulgeld, erbracht hat, die bei der (Ermessens-)Entscheidung über die Abzweigung des Kindergeldes zu berücksichtigen sind. Das FG hat --aus seiner Sicht zu Recht-- bisher nicht ermittelt, ob und in welcher Höhe die Klägerin derartige Zahlungen erbracht hat und welche Auswirkungen dies auf die Ermessensentscheidung hat.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.