Finanzgericht München Urteil, 27. Juli 2015 - 7 K 1718/14
Gericht
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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1.
Mit Schreiben vom 11. Februar 2011 forderte sie eine Schulbescheinigung für S und, falls bisher kein Kindergeld gezahlt wurde, eine schriftliche Begründung dafür, warum bisher keine Antragstellung erfolgte. Die Klägerin reichte die Schulbescheinigung nach und teilte mit, dass sie, seit sie in ... (Anmerkung des Dokumentars: Deutschland) wohnt, kein Kindergeld bezogen hat, weil sie keine Arbeitserlaubnis hatte. Da sie diese jetzt hat, stellte sie jetzt den Antrag.
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2.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2011 forderte sie den Nachweis über die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Deutschland (Bescheinigung des Arbeitgebers) bzw. bei Selbständigkeit eine Gewerbeanmeldung, eine Kopie des Mietvertrages mit Nachweisen über laufende Mietzahlungen seit 1.3.2010, Nachweise, bis wann und von wem für die Kinder in Bulgarien Kindergeld bezogen wurde und die Mitteilung, wer (die Klägerin oder ihr Ehegatte), wo, wann und bei welcher Firma außerhalb Deutschlands als Arbeitnehmer oder Selbstständiger tätig ist, da entsprechende Angaben im Kindergeldantrag gemacht worden sein sollen (die Frage im Kindergeldantrag lautete, ob der Antragsteller oder sein Ehegatte in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung außerhalb Deutschlands als Arbeitnehmer, Selbstständiger usw. tätig war). Die Klägerin teilte mit, dass in Bulgarien für die Kinder kein Kindergeld bezogen worden sei und weder sie noch ihr Ehegatte außerhalb Deutschlands gearbeitet hätten. Sie legte eine Arbeitgeberbescheinigung vom 4.3.2011 vor, dass sie seit 18.01.2011 im hiesigen Betrieb bis auf weiteres beschäftigt ist sowie einen Mietvertrag ab 1.1.2011 nebst Quittungen über Mietzahlungen.
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3.
Mit Schreiben vom 18. Mai 2011 forderte die Familienkasse die Vorlage des Mietvertrags ab März 2010 bis Dezember 2010 und Nachweise über die Mietzahlungen, Beschäftigungsnachweise für den Zeitraum März 2010 bis Dezember 2010, die Einreichung des Formulars „Auskunftsersuchen E411“, welches für die Klägerin und ihren Ehegatten in Bulgarien zu bestätigen ist, den Abmeldungsbescheid der bulgarischen Sozialversicherung, die Angabe seit wann die Klägerin verheiratet ist, die Angabe, bei welcher Person D vom 1.3.2010 bis 23.7.2010 gelebt hat sowie für das Kind D eine Schulbescheinigung ab Beginn des Schulbesuchs. Bei der Familienkasse ging nur das für die Klägerin von der bulgarischen Behörde ausgefüllte Formular E 411 ein.
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4.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2011 wurde an die Vorlage der mit Schreiben vom 18. Mai 2011 angeforderten Unterlagen erinnert und mitgeteilt, dass das von der bulgarischen Behörde ausgefüllte Auskunftsersuchen E 411 für den Ehegatten der Klägerin fehlt. Außerdem wurde die Klägerin aufgefordert, die beiliegende Schulbescheinigung für die Kinder D und S bestätigen zu lassen. Die angeforderten Unterlagen wurden nicht vorgelegt.
unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Mai 2013 und der hierzu erlassenen Einspruchsentscheidung vom 2. Juni 2014, soweit darin die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum vor Januar 2012 abgelehnt wurde, die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für S von März 2010 bis Dezember 2011 und für D von März 2010 bis Dezember 2011 festzusetzen.
die Klage abzuweisen und beruft sich zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt sie aus, dass die Klägerin, wenn sie bei der erstmaligen Beantragung des Kindergelds im Jahre 2011 Probleme bei der Beschaffung der Unterlagen gehabt hat, diese Hinderungsgründe spätestens im Einspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 16.12.2011 hätte vortragen können und müssen. Sie habe jedoch auf den Bescheid überhaupt nicht reagiert und in bestandskräftig werden lassen. Insoweit sei ihr sehr wohl grobes Verschulden vorzuwerfen.
Gründe
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1.
Der Kindergeldablehnungsbescheid vom 16. Dezember 2011 ist in formelle Bestandskraft erwachsen, da er wirksam bekannt gegeben wurde und gegen ihn kein Einspruch eingelegt worden ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist er auch nicht nach § 125 Abgabenordnung (AO) nichtig. Nichtig ist ein Verwaltungsakt dann, wenn er an einen besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Um das Anfechtungserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen, hat die Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden Fehler nur angenommen, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (BFH-Urteil vom 15. Mai 2002 X R 33/99, BFH/NV 2002, 1415). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss anhand der jeweiligen für das Verhalten der Behörde maßgebenden Rechtsvorschrift beurteilt werden (BFH-Urteil vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BStBl II 2001, 381, m.w.N.).
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2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Annotations
(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,
- 1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen, - 2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.
(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.
1Kindergeld wird nicht für ein Kind gezahlt, für das eine der folgenden Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre:
- 1.
Leistungen für Kinder, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder der Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 217 Absatz 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 30. Juni 2020 geltenden Fassung oder dem Kinderzuschuss aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 270 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 16. November 2016 geltenden Fassung vergleichbar sind, - 2.
Leistungen für Kinder, die von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährt werden und dem Kindergeld vergleichbar sind.
(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.
(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,
- 1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Finanzbehörde aber nicht erkennen lässt, - 2.
den aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen kann, - 3.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, - 4.
der gegen die guten Sitten verstößt.
(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil
- 1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind, - 2.
eine nach § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 und Satz 2 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat, - 3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsakts vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war, - 4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.
(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsakts, so ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Finanzbehörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.
(5) Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.
(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,
- 1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen, - 2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.
(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.
(1) Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,
- 1.
soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird, - 2.
soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
(2) Als rückwirkendes Ereignis gilt auch der Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung, wenn gesetzlich bestimmt ist, dass diese Voraussetzung für eine bestimmte Zeit gegeben sein muss, oder wenn durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist, dass sie die Grundlage für die Gewährung der Steuervergünstigung bildet. Die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung gilt nicht als rückwirkendes Ereignis.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.