Finanzgericht Hamburg Urteil, 19. Juni 2015 - 4 K 147/14

19.06.2015

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Antidumpingzoll.

2

Mit Zollanmeldungen vom 28.01.2011 und 07.03.2011 meldete die Klägerin beim Beklagten Spanplattenschrauben aus rostendem Stahl der Codenummer 7318 1290 91 0 mit Ursprung in Malaysia zur Überführung in den freien Verkehr an. Ohne den Ursprung zu überprüfen, setzte der Beklagte wegen der angemeldeten Präferenznachweise zunächst lediglich Einfuhrumsatzsteuer fest. Die Sendungen wurden aufgrund der laufenden Untersuchung von Umgehungen der Antidumpingmaßnahme auf Verbindungselemente mit Ursprung in der Volksrepublik China durch aus Malaysia versandte Einfuhren (VO Nr. 966/2010) zollamtlich gesondert erfasst. Eine daher durchgeführte Überprüfung ergab, dass die Verbindungselemente einem Antidumpingzoll nach der VO Nr. 723/2011 unterlagen.

3

Daraufhin erhob der Beklagte mit Einfuhrabgabenbescheid vom 10.08.2011 Antidumpingzoll in Höhe von insgesamt 44.745,14 €.

4

Am 20.08.2011 legte die Klägerin Einspruch ein. Sie habe zu keinem Zeitpunkt Informationen über die gemäß der VO Nr. 966/2010 begonnenen Untersuchungen erhalten. Sie wandte sich unter anderem gegen die rückwirkende Ausweitung des Antidumpingzolls und monierte, dass das Verfahren gemäß Art. 13 Abs. 3 VO Nr. 1225/2009 nicht eingehalten worden sei. Insbesondere sei sie als bekanntermaßen betroffener Einführer nicht nach Art. 5 Abs. 11 VO Nr. 1225/2009 i. V. m. dem 13. Erwägungsgrund der VO Nr. 966/2010 angehört worden. Hätte sie Kenntnis von den Untersuchungen gehabt, hätte sie die Schrauben von einem nicht malaysischen Produzenten herstellen lassen.

5

Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 09.07.2014 zurückgewiesen. Zur Begründung legte der Beklagte dar, dass nach der Einleitung von Untersuchungen kein zu schützendes Vertrauen darauf bestehe, von Antidumpingzoll verschont zu bleiben. Auf die Unkenntnis von im Amtsblatt veröffentlichten Maßnahmen könne sich die Klägerin nicht berufen. Sie sei kein bekanntermaßen betroffener Einführer im Sinne des Art. 5 Abs. 11 VO Nr. 1225/2009 gewesen, ihre Einfuhren aus dem Juli und September 2010 - vor Erlass der VO Nr. 966/2010 am 27.10.2010 - seien nicht besonders erfasst worden. Art. 5 und Art. 6 VO Nr. 1225/2009 beträfen die erstmalige Einführung eines Antidumpingzolls und nicht die Ausweitung eines bereits bestehenden Antidumpingzolls. Art. 13 VO Nr. 1225/2009 verweise auch nur auf die Verfahrensbestimmungen zur Einleitung und Durchführung von Untersuchungen und nicht auf solche zur Einleitung des Verfahrens. Auch Fragebögen hätten an die Klägerin nicht übersandt werden müssen. Die Fragebögen hätten auch nur den Zweck, die Kommission in die Lage zu versetzen, die Sachlage zutreffend zu beurteilen. Es gehe dabei nicht um die Wahrnehmung von Verteidigungsrechten der Einführer. Die Unterrichtung auch der Klägerin sei durch die Veröffentlichung der VO Nr. 966/2010 im Amtsblatt erfolgt.

6

Mit ihrer am 12.08.2014 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung führt sie aus, aufgrund von Einfuhren im Juli und September 2010 seien ihre Daten durch die Kommission erfasst worden. Über die Einleitung der Untersuchung gemäß VO Nr. 966/2010 habe sie dennoch keine Informationen erhalten. Sie bestreite, dass Abfertigungen von Verbindungselementen aus Malaysia vor Einleitung der Untersuchung gemäß der VO Nr. 966/2010 nicht gesondert erfasst worden seien. Der Beklagte habe dies zwar behauptet, aber nicht belegt. Der in Art. 6 Abs. 2 VO Nr. 1225/2009 und im 13. Erwägungsgrund der VO Nr. 966/2010 normierten Aufgabe, ihr bekannten Einführern Fragebögen zuzusenden, hätte die Kommission nur nachkommen können, wenn die Einfuhren vor Erlass der VO Nr. 966/2010 erfasst worden wären.

7

Als bekannter Einführer hätte ihr der Fragebogen übersandt werden müssen, dies sei unterblieben. Art. 13 Abs. 3 VO Nr. 1225/2009 verweise ausdrücklich auf die Verfahrensbestimmungen, zu denen auch Art. 5 VO Nr. 1225/2009 gehöre, zudem ließen sich die Regelungen der Art. 6 und Art. 5 VO Nr. 1225/2009 nicht losgelöst voneinander betrachten. Art. 13 Abs. 3 VO Nr. 1225/2009 könne zwar so verstanden werden, dass er nur auf Art. 6 VO Nr. 1225/2009 - Untersuchungen - und nicht auf Art. 5 VO Nr. 1225/2009 - Einleitung des Verfahrens - verweise, dies sei jedoch unklar und unter Bestimmtheitsgesichtspunkten bedenklich. Jedenfalls ergebe sich die Notwendigkeit, ihr einen Fragebogen zuzusenden, aus dem 13. Erwägungsgrund der VO Nr. 966/2010.

8

Die Kommission habe auch ihre Verteidigungsrechte missachtet, da sie ihr rechtliches Gehör versagt und die Fragebögen nicht übersandt habe. In der VO Nr. 966/2010 und der VO Nr. 1225/2009 werde zwischen bekannten Einführern und interessierten Parteien differenziert. Bekannte Einführer müssten informiert werden (Art. 5 Abs. 11 VO Nr. 1225/2009, 13. Erwägungsgrund der VO Nr. 966/2010), interessierte Parteien dagegen müssten sich selbst melden, um Informationen und Fragebögen zu erhalten (Art. 5 Abs. 10 VO Nr. 1225/2009, 14. Erwägungsgrund der VO Nr. 966/2010). Die Zusendung der Fragebögen ziele darauf ab, eine Mitwirkung der bekannten Einführer sicherzustellen, dadurch würden auch die Verteidigungsrechte der bekannten Einführer gewahrt.

9

Jedenfalls seien wegen der unterbliebenen Übersendung der Fragebögen ihre Mitwirkungsrechte nicht beachtet worden. Nur wenn die Kommission von sämtlichen Einführern ausgefüllte Fragebögen erhalte, sei sie in der Lage, den Sachverhalt zutreffend zu beurteilen. Die Anhörung sei ein fundamentaler Grundsatz, so dass unerheblich sei, dass weder in der VO Nr. 1225/2009 noch in der VO Nr. 966/2010 ausdrückliche Regelungen über ein Anhörungserfordernis bzw. die Wahrung der Verteidigungsrechte enthalten seien.

10

Insofern rügt sie einen Anhörungsmangel, der zur Nichtigkeit, jedenfalls zur Rechtswidrigkeit der VO Nr. 723/2011 führe. Mangels unionsrechtlicher Regelung ergebe sich dies aus den §§ 125-129 AO. Jedenfalls führe die Nichtbeachtung des rechtlichen Gehörs während des Untersuchungsverfahrens zur Rechtswidrigkeit des Abgabenbescheides. Der Mangel sei auch beachtlich im Sinne von § 127 AO, ihre Einlassungen im Einleitungsverfahren hätten Auswirkungen auf den Erlass der Antidumpingmaßnahmen haben können.

11

Mit Blick auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 06.06.2013 (C-667/11) wendet sie sich ausdrücklich nicht mehr gegen die rückwirkende Ausweitung des Antidumpingzolls.

12

Die Klägerin beantragt,
den Einfuhrabgabenbescheid vom 10.08.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.07.2014 aufzuheben.

13

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

14

Zur Begründung nimmt er auf die Einspruchsentscheidung Bezug und betont, in einem Verfahren nach Art. 13 VO Nr. 1225/2009 - Umgehungsverfahren - würden nicht die Vorgaben des Art. 5 VO Nr. 1225/2009 - Einleitungsverfahren - gelten. Bei der Ausweitung handele es sich nicht um eine eigenständige Antidumpingmaßnahme, sie sei im Verhältnis zu dieser akzessorisch. Von daher werde lediglich auf Art. 6 VO Nr. 1225/2009 verwiesen. Der Hinweis im 13. Erwägungsgrund der VO Nr. 966/2010 sichere das Sammeln von Informationen für die Beurteilung der Umgehung und nicht das Interesse der Einführer. Im Übrigen hätte die Klägerin wegen der Veröffentlichung der VO Nr. 966/2010 im Amtsblatt Kenntnis von der Untersuchung haben müssen. Auf ihre Unkenntnis von der Veröffentlichung könne sie sich nicht berufen. Sie habe ausreichend Gelegenheit gehabt, sich zu den beabsichtigten Maßnahmen zu äußern.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.

I.

17

Der Einfuhrabgabenbescheid vom 10.08.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.07.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 FGO.

18

Die streitgegenständlichen Spanplattenschrauben unterlagen im Zeitpunkt der Einfuhr einem Antidumpingzoll. Insofern hat der Beklagte von der Klägerin zu Recht Antidumpingzoll erhoben.

19

Nach Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 der Verordnung (EG) 91/2009 des Rates vom 26.01.2009 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China (VO Nr. 91/2009, ABl. Nr. L 29/1) unterliegen u. a. von bestimmten Unternehmen hergestellte Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl, ausgenommen aus nicht rostendem Stahl, einem endgültigen Antidumpingzoll. Konkret genannt sind dort u. a. Waren des KN-Codes 7318 1290.

20

Mit der Verordnung (EU) Nr. 966/2010 der Kommission vom 27.10.2010 zur Einleitung einer Untersuchung betreffend die mutmaßliche Umgehung der mit der Verordnung (EG) Nr. 91/2009 des Rates eingeführten Antidumpingmaßnahme gegenüber den Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China durch aus Malaysia versandte Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl, ob als Ursprungserzeugnisse Malaysias angemeldet oder nicht, und zur zollamtlichen Überwachung dieser Einfuhren (VO Nr. 966/2010, ABl. Nr. L 282/29) leitete die Kommission gemäß Art. 13 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 des Rates vom 30.11.2009 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (VO Nr. 1225/2009, ABl. Nr. L 343/51) eine Untersuchung zur Feststellung der Umgehung des mit der VO Nr. 91/2009 festgesetzten Antidumpingzolls ein.

21

Nach Abschluss dieser Untersuchung erließ die Kommission die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 723/2011 des Rates vom 18.07.2011 zur Ausweitung des mit der Verordnung (EG) Nr. 91/2009 eingeführten endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhr bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China auf aus Malaysia versandte Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl, ob als Ursprungserzeugnisse Malaysias angemeldet oder nicht (VO Nr. 723/2011, ABl. Nr. L 194/6). Gemäß Art. 1 Abs. 1, Abs. 3 VO Nr. 723/2011 gilt der Antidumpingzoll auch für aus Malaysia versandte Waren u. a. des KN-Codes 7318 1290, deren Einfuhr nach Art. 2 VO Nr. 966/2010 sowie Art. 13 Abs. 3 und Art. 14 Abs. 5 VO Nr. 1225/2009 zollamtlich erfasst wurde.

22

Das Unternehmen, das die von der Klägerin eingeführten Waren hergestellt und versandt hat, die Firma X, ..., Malaysia, gehört nicht zu den gemäß Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 723/2011 von der Antidumpingmaßnahme ausgenommenen Unternehmen. Damit unterliegen die streitgegenständlichen Spanplattenschrauben der Codenummer 7318 1290 91 0 mit Ursprung in und versandt aus Malaysia einem endgültigen Antidumpingzoll.

23

Dies bestreitet auch die Klägerin nicht, sie ist indes der Auffassung, dass die VO Nr. 723/2011 bzw. der Einfuhrabgabenbescheid vom 10.08.2011 nichtig oder jedenfalls rechtswidrig sei, weil sie - die Klägerin - vor Erlass der VO Nr. 723/2011 nicht beteiligt worden sei. Dem folgt der Senat nicht. Er geht nicht davon aus, dass die Klägerin vor Erlass der VO Nr. 723/2011 hätte unterrichtet werden müssen, dass ihr zuvor ein Fragebogen hätte übersandt werden müssen oder dass sie vor Erlass dieser Verordnung in sonstiger Weise von Amts wegen hätte beteiligt bzw. angehört werden müssen. Jedenfalls würde eine unterbliebene Beteiligung der Klägerin nicht zur Rechtswidrigkeit der VO Nr. 723/2011 bzw. zur Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Bescheide führen.

24

Die Voraussetzungen für die Ausweitung eines Antidumpingzolls sind in Art. 13 VO Nr. 1225/2009 geregelt, problematisch ist insoweit allein, ob das Verfahren gemäß Art. 13 Abs. 3 S. 7 VO Nr. 1225/2009, wonach die einschlägigen Verfahrensbestimmungen dieser Verordnung zur Einleitung und Durchführung von Untersuchungen Anwendung finden, ordnungsgemäß durchgeführt wurde.

25

Der Senat ist insoweit der Auffassung, dass dieser Verweis - wie bereits der Wortlaut nahelegt - nur Verfahrensbestimmungen über die Einleitung und Durchführung von Untersuchungen betrifft; eine Anwendung von Bestimmungen, die die Einleitung des der Einleitung von Untersuchungen vorgelagerten Verfahrens betreffen, käme dann nicht in Betracht. Dann wäre Art. 5 VO Nr. 1225/2009, der die Einleitung des Verfahrens betrifft, von dem Verweis nicht erfasst. Der Verweis bezieht sich vielmehr auf Art. 6 VO Nr. 1225/2009, der die Einleitung und die Durchführung von Untersuchungen regelt. Diese Differenzierung - Einleitung des Verfahrens einerseits und Einleitung der Untersuchung andererseits - legt die Systematik der Normen nahe. So ergibt sich etwa aus Art. 5 Abs. 3 VO Nr. 1225/2009, dass die Kommission zunächst die Richtigkeit und die Stichhaltigkeit der dem Antrag beigefügten Beweise prüft, bevor die Einleitung einer Untersuchung gerechtfertigt wird. Auch Art. 6 Abs. 1 VO Nr. 1225/2009 stellt klar, dass die Kommission nach Einleitung des Verfahrens in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten eine Untersuchung auf Gemeinschaftsebene einleitet. Insofern betrifft Art. 5 Abs. 11 VO Nr. 1225/2009, der zwar eine Verpflichtung der Kommission, die bekanntermaßen betroffenen Einführer über die Einleitung des Verfahrens zu unterrichten, begründet, nur - wie es dort auch ausdrücklich heißt - die Einleitung des Verfahrens selbst, als gleichsam ersten Schritt. Die Verfahrensvorschriften des Art. 5 VO Nr. 1225/2009 gelten also im Zusammenhang mit der Einleitung des Verfahrens zum Erlass von Antidumpingzöllen, nicht jedoch für die Untersuchung im Hinblick auf eine Ausweitung bestehender Antidumpingzölle.

26

Art. 6 VO Nr. 1225/2009, auf den sich der Verweis in Art. 13 Abs. 3 S. 7 VO Nr. 1225/2009 bezieht, stellt seinerseits kein konkretes Beteiligungserfordernis auf, sondern regelt Einzelheiten im Zusammenhang mit der Zusendung von Fragebögen an Parteien, ohne festzulegen, dass und an wen derartige Fragebögen versandt werden müssen. Schon aus seinem Wortlaut ergibt sich nicht, dass allen (welchen?) Parteien ein Fragebogen zugesandt werden muss. Einen Anspruch auf Beteiligung durch Zusendung eines Fragebogens begründet diese Bestimmung jedenfalls nicht. Es liegt nahe, dass auch diese Bestimmung an Art. 5 Abs. 10 VO Nr. 1225/2009 anknüpft, auf den in Art 6 Abs. 5, Abs. 6 und Abs. 7 VO Nr. 1225/2009 ausdrücklich verwiesen wird und der die Beteiligung interessierter Parteien, die sich aus eigener Initiative gemeldet haben, regelt. Aus dem 7. Erwägungsgrund der VO Nr. 723/2011 ergibt sich im Übrigen - ohne Hinweis auf die insoweit angewandten Vorschriften -, dass die Kommission u. a. bekanntermaßen betroffene Einführer in der Union über die Einleitung der Untersuchung unterrichtete und an Einführer in der Union Fragebögen gingen; die interessierten Parteien erhielten Gelegenheit, innerhalb der in der Einleitungsverordnung gesetzten Frist schriftlich Stellung zu nehmen und eine Anhörung zu beantragen.

27

Der Senat übersieht dabei nicht, dass in der Literatur vertreten wird, dass Art. 5 und Art. 6 VO Nr. 1225/2009 auch auf das Umgehungsverfahren, also die Ausweitung von Antidumpingzöllen Anwendung finden (Schmid in Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, Art. 13 AD-GVO Rn. 50, 60) und sich der Verweis in Art. 13 Abs. 3 S. 7 VO Nr. 1225/2009 ausdrücklich auch auf Art. 5 Abs. 11 VO Nr. 1295/2009 beziehen soll (Lux in Dorsch, Zollrecht, Art. 13 AntidumpingVO Rn. 4). Aus den eingangs dargelegten Gründen vermag sich der Senat indes diesen Auffassungen, die auch nicht näher begründet werden, nicht anzuschließen.

28

Ein Beteiligungsrecht der Klägerin ergibt sich schließlich nicht aus der VO Nr. 966/2010. In dieser Verordnung wird die Einleitung der Untersuchung nach Art. 13 Abs. 3 VO Nr. 1225/2009 geregelt, ohne ausdrücklich Anhörungsrechte von Einführern zu begründen. In Art. 3 VO Nr. 966/2010 findet sich eine Bestimmung zur Anforderung von Fragebögen bei der Kommission und im 13. Erwägungsgrund der VO Nr. 966/2010 - der sich allein auf diese Verordnung bezieht und entgegen der Auffassung der Klägerin nicht etwaige Anhörungsrechte aus der VO Nr. 1225/2009 konkretisiert - heißt es u. a., dass die Kommission den ihr bekannten Einführern Fragebögen zusenden wird. Unabhängig von der Frage, ob sich Beteiligungsrechte überhaupt unmittelbar und allein aus Erwägungsgründen ergeben können, kann der 13. Erwägungsgrund nicht dahin verstanden werden, dass jedem der Kommission bekannten Einführer ein Anspruch auf Beteiligung durch Zusendung eines Fragebogens zustehen soll. Vielmehr dient, wie es dort ausdrücklich heißt, die Zusendung der Fragebögen dazu, der Kommission die für ihre Untersuchungen benötigten Informationen zu vermitteln. Es geht also gerade nicht um die Wahrung von Beteiligungs- oder gar Verteidigungsrechten der Einführer. Sofern es im 33. Erwägungsgrund der VO Nr. 1225/2009 heißt, eine Unterrichtung ermögliche den Parteien die Verteidigung ihrer Interessen, versteht der Senat dies nicht als Begründung für die Notwendigkeit der Unterrichtung, sondern als Hinweis auf die mit der Unterrichtung zwangsläufig verbundene Möglichkeit der Parteien, ihre eigenen Interessen wahrzunehmen. Über dies nimmt der 33. Erwägungsgrund der VO Nr. 1225/2009 ausdrücklich lediglich die "betroffenen Parteien", nicht aber die bekanntermaßen betroffenen Einführer in Bezug.

29

Ob die Ausweitung eines Antidumpingzolls möglicherweise rechtswidrig ist, wenn die Kommission die für ihre Untersuchungen benötigten Informationen (vgl. 13. Erwägungsgrund der VO Nr. 966/2010) gar nicht oder nicht in hinreichendem Umfang von den betroffenen Einführern eingeholt hat, muss der Senat aus Anlass dieses Rechtsstreits nicht entscheiden. Aus den Erwägungsgründen der VO Nr. 723/2011 ergibt sich, dass Fragebögen u. a. an die Einführer, die der Kommission bekannt waren bzw. die sich bei ihr gemeldet hatten, versandt wurden und auch interessierte Parteien Gelegenheit bekamen, Stellung zu nehmen bzw. angehört zu werden. Es meldeten sich neben 19 ausführenden Herstellern in Malaysia und drei Gruppen von ausführenden Herstellern aus China auch drei unabhängige Einführer aus der Union (7. und 8. Erwägungsgrund). Dass die VO Nr. 723/2011 auf einer unzureichenden Erkenntnisgrundlage erlassen worden wäre, lässt sich insoweit nicht feststellen und wird von der Klägerin auch nicht substantiiert behauptet.

30

Letztlich bedarf die Frage, ob Art. 5 Abs. 11 VO Nr. 1225/2009 über den Verweis in Art. 13 Abs. 3 S. 7 VO Nr. 1225/2009 Anwendung findet, keiner abschließenden Entscheidung. Art. 5 Abs. 11 VO Nr. 1225/2009 greift nämlich schon deshalb nicht, weil nicht ersichtlich ist, dass es sich bei der Klägerin um einen aus Sicht der Kommission bekanntermaßen betroffenen Einführer im Sinne dieser Vorschrift gehandelt hat. Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt, in diesem Sinne "bekanntermaßen betroffen" zu sein. Die beiden Einfuhren, auf die die Klägerin sich bezieht, fanden im Juli 2010 und im September 2010 statt, also vor Erlass der VO Nr. 966/2010, die in Art. 2 erst das Erfordernis, die Einfuhren zu erfassen, aufstellt und die erst am 27.10.2010 ausgefertigt und am 28.10.2010 im Amtsblatt veröffentlicht wurde. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass sich die Formulierung "bekanntermaßen betroffener Einführer" in Art. 5 Abs. 11 VO Nr. 1225/2009 auf Art. 5 Abs. 2 lit. b) VO Nr. 1225/2009 bezieht, wonach derjenige, der einen Antrag auf Untersuchung des Vorliegens von Dumpingpraktiken stellt, eine Liste der bekannten Einführer der betreffenden Ware vorzulegen hat. Dieser Normzusammenhang liegt auch deswegen nahe, weil nicht angenommen werden kann, dass der Kommission jede Einfuhr und jeder Einführer bekannt werden, zumal sich Einführer bei der Zollanmeldung häufig vertreten lassen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin zu dem in Art. 5 Abs. 11 VO Nr. 1225/2009 genannten Kreis gehörte.

31

Selbst wenn man mit der Klägerin annähme, dass sie vor Erlass der VO Nr. 723/2011 hätte beteiligt werden müssen, würde dies keine Bedenken an der Wirksamkeit der VO Nr. 723/2011 begründen. Der Senat ist der Überzeugung, dass sich eine etwaige verfahrensfehlerhaft unterbliebene Beteiligung der Klägerin allein nicht maßgeblich auf die Rechtmäßigkeit der Verordnung auswirken kann, wenn nicht wenigstens die Möglichkeit einer abweichenden materiellen Beurteilung der von der Verordnung zu regelnden Fragestellungen besteht. Dass dem vorliegend so ist, ist auch angesichts des Vorbringens der Klägerin nicht ersichtlich. Dabei darf auch nicht übersehen werden, dass die Klägerin ihre Einwendungen auch ohne Beteiligung von Amts wegen ohne weiteres hätte geltend machen können. Art. 3 Unterabs. 2 VO Nr. 966/2010 weist ausdrücklich auf die Möglichkeit für interessierte Parteien hin, mit der Kommission Kontakt aufzunehmen, ihren Standpunkt darzulegen sowie die beantworteten Fragebögen und sonstigen Informationen zu übermitteln, wenn diese Angaben bei der Untersuchung berücksichtigt werden sollen. Nach Unterabs. 4 können interessierte Parteien auch einen Antrag auf Anhörung durch die Kommission stellen. Diese Regelung entspricht Art. 5 Abs. 10 VO Nr. 1225/2009. Diese Möglichkeit hat die Klägerin nicht genutzt. Sie kann sich nicht darauf berufen, keine Kenntnis von der Einleitung der Untersuchung gehabt zu haben. Die Information hierüber ist durch Erlass und Veröffentlichung der VO Nr. 966/2010 erfolgt. Auf die fehlende Kenntnis des im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Unionsrechts kann sich niemand berufen (BFH, Beschluss vom 20.03.2006, VII B 99/05).

32

Wenn der Verordnungsgeber vor Erlass der VO Nr. 723/2011 Anhörungsrechte der Klägerin nicht gewahrt hätte, würde dies entgegen der Auffassung der Klägerin schließlich nicht zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide führen. Die Verordnung, die zur Erhebung des Antidumpingzolls ermächtigt, ist - wie oben dargelegt - wirksam. Dass der Beklagte im Zusammenhang mit dem Erlass des Abgabenbescheides Verfahrensrechte der Klägerin verletzt hätte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

33

Gegen die Berechnung der Höhe des festgesetzten Antidumpingzolls hat sich die Klägerin nicht gewandt. Auch dem Gericht drängen sich insoweit keine Bedenken auf.

34

Im Hinblick darauf, dass die von der Klägerin aufgeworfene Fragestellung der Anwendung des Art. 5 Abs. 11 VO Nr. 1225/2009 im Rahmen einer Untersuchung nach Art. 13 Abs. 3 VO Nr. 1225/2009 Angesichts der vorstehenden Ausführungen nicht streitentscheidend ist, hat der Senat auch keinen Anlass, den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV anzurufen.

II.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision ist zuzulassen, da Gründe des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Hamburg Urteil, 19. Juni 2015 - 4 K 147/14

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Finanzgericht Hamburg Urteil, 19. Juni 2015 - 4 K 147/14

Referenzen - Gesetze

Finanzgericht Hamburg Urteil, 19. Juni 2015 - 4 K 147/14 zitiert 6 §§.

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 115


(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 100


(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an di

Abgabenordnung - AO 1977 | § 127 Folgen von Verfahrens- und Formfehlern


Die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn ke

Referenzen

Die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.

(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt nicht, soweit der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist und deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.