Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 24. Juni 2014 - 4 K 246/13

ECLI:ECLI:DE:FGST:2014:0624.4K246.13.0A
bei uns veröffentlicht am24.06.2014

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

Die Klägerin bezog Kindergeld für ihren behinderten Sohn R., geb. ... 1977.

2

Mit Bescheid vom 27. Februar 2012 setzte die Beklagte auf  Antrag der Klägerin vom 30. Juni 2011  zu ihren Gunsten (weiterhin) Kindergeld für R. fest. Gleichzeitig zweigte sie aus dem Kindergeldanspruch der Klägerin ab März 2011 einen Betrag in Höhe von 184 € monatlich an das Sozialamt der Stadt C.  ab.

3

Nach Zurückweisung ihres Einspruchs gegen die Abzweigung des Kindergeldes durch Entscheidung vom 25. Februar 2013 hat sich die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 04. März 2013 an das Gericht gewandt. Die ersten Seiten ihrer Klage sind handschriftlich verfasst.  Die dritte und letzte Seite ist eine Kopie. Darauf befindet sich auch – ebenfalls in Kopie – ihre Unterschrift. Die Klageschrift und diverse Anlagen wurden in einem Briefumschlag versandt, auf dem Anschrift des Gerichts und Adresse der Absenderin ebenfalls vermerkt sind. Allerdings weicht das Schriftbild des  Absenders von dem der Anschrift und auch von der (kopierten) Unterschrift der Klägerin auf der Klageschrift erheblich ab. Auch wurde der Absender mit einer schwarzen Kugelschreibermine geschrieben, während die Anschrift mit einem blauen Stift aufgetragen worden war.

4

Mit der gerichtlichen Eingangsverfügung vom 11. März 2013 ist die Klägerin aufgefordert worden, umgehend zu bestätigen, dass sie die vorliegende Klage tatsächlich erheben wollte. Sie ist auch darüber informiert worden, dass dem Gericht die Seite drei ihrer Klageschrift nur in Kopie vorliege. Die Klägerin hat darauf nicht geantwortet. Sie hat sich in weiteren Schriftsätzen nur dazu geäußert, warum ihrer Ansicht nach die Abzweigung rechtswidrig sei.

5

Mit der Eingangsverfügung war ein Formular zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zum Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe   der Klägerin übersandt worden. Dieses ging ausgefüllt, jedoch ohne Unterschrift und Datum, am 25. März 2013 bei Gericht ein. Nach gerichtlicher Aufforderung reichte die Klägerin ihre Unterschrift vom 23. August 2013 am 02. September 2013 nach.

6

In der Sache ist die Klägerin der Ansicht, dass das Sozialamt den Abzweigungsantrag nicht ohne ihr Einverständnis hätte stellen dürfen. Das Sozialamt wolle nur deshalb das Kindergeld, weil es davon die Beiträge für die B. für ihren Sohn R. zahle. Von den ihr zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes erhalte die Klägerin nur 275 € ausgezahlt und müsse davon auch ihre Kinder ernähren und kleiden. Sie habe für ihren Sohn R. infolge seiner Krankheit und Behinderung einen Mehrbedarf.

7

Einen ausdrücklichen Antrag hat die Klägerin nicht gestellt.

8

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

9

Die Abzweigung des Kindergeldes in voller Höhe sei gerechtfertigt, weil die Klägerin nicht habe nachweisen können, dass sie aus ihren ALG II- Leistungen Unterhaltsleistungen für ihren über eigene Mittel verfügenden Sohn erbringe.

10

Das Gericht hat durch Beschluss vom 08. Juli 2013 die Stadt C.  beigeladen.

11

Die für die Klägerin geführte Kindergeldakte hat dem Gericht vorgelegen.

Entscheidungsgründe

12

Das Gericht konnte in mündlicher Verhandlung entscheiden, obwohl die Klägerin nicht teilgenommen hat und sich auch nicht hat vertreten lassen, denn sie ist in der Ladung darauf hingewiesen worden, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten gemäß § 91 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann. Der fernmündlich vor Verhandlungsbeginn durch die Klägerin  mitgeteilte Abwesenheitsgrund  ist keine hinreichende Entschuldigung. Soweit die Klägerin darüber informierte, dass „was mit der Wohnung sei“ und die Kündigung bevorstehe, konnte sie nicht erklären, inwiefern dies ihre Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung bedinge. Da sie bereits mit Schreiben vom 08. April 2014 geladen worden war, hatte sie auch ausreichend Zeit, um eine Betreuung ihres Sohnes, der auf ihre Hilfe angewiesen ist, zu organisieren. Im Übrigen war der Termin zur mündlichen Verhandlung am 08. April 2014 auf Wunsch der Klägerin verlegt worden, weil sie nach ihrer Aussage aus Krankheitsgründen nicht teilnehmen konnte. Den angeforderten Beweis ihrer Krankheit durch ein ärztliches Attest ist sie jedoch bis heute schuldig geblieben.

13

Die Klägerin hat keinen ausdrücklichen Klageantrag gestellt. Das Gericht legt ihr Vorbringen derart aus, dass sie beantragt,
den an die Beigeladene gerichteten Bescheid vom 27. Februar 2012, die Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2013 in vollem Umfang und den an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 27. Februar 2012 insoweit aufzuheben, als eine Abzweigung des Kindergeldes an die Beigeladene ausgesprochen wird und
die Beklagte zu verpflichten, den Abzweigungsantrag der Beigeladenen abzulehnen und das Kindergeld an die Klägerin auszuzahlen.

14

Die Klage ist unzulässig, weil es am zwingenden Schriftformerfordernis des § 64 Abs. 1 FGO fehlt (vgl. von Groll in Gräber, Kommentar zur FGO, 7. Auflage, § 64 Rz. 19 m.w.N.).

15

Eine Klage  ist nach § 64 Abs. 1 FGO bei dem Gericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Die Klageschrift gehört zu den sogenannten bestimmenden Schriftsätzen, weil sie ein gerichtliches Verfahren einleitet. Durch die eigenhändige Unterschrift erkennt das Gericht, dass es der unbedingte Wille des Klägers ist, eine Klage zu erheben, und dass die Klageschrift nicht nur einen Entwurf darstellt. Da eine Anfechtungsklage bzw. sinngemäß die Verpflichtungsklage nach § 47 Abs. 1 FGO fristgebunden ist und innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erhoben werden muss, muss auch innerhalb der Klagefrist deutlich sein, dass die Klageschrift mit Wissen und Wollen des Klägers einging. Nachträgliche Erklärungen und nachträgliche Beweisangebote dafür, dass die Klageschrift mit Wissen und Wollen ihres Verfassers bei Gericht eingereicht worden sei, vermögen die Unwirksamkeit der Klageerhebung wegen fehlender eigenhändiger Unterschrift nicht zu heilen. Der Schriftform ist aber ausnahmsweise auch genügt, wenn zwar nicht der bestimmende Schriftsatz selbst, wohl aber ein mit diesem zusammen eingereichtes Schriftstück die eigenhändige Unterschrift des Verfassers des bestimmenden Schriftsatzes trägt und daraus geschlossen werden kann, dass der bestimmende Schriftsatz mit Wissen und Wollen des Verfassers eingereicht worden ist  (BFH Urteil vom 29. August 1969 III R 86/68, BStBl II 1970, 89).

16

Im Streitfall fehlt es an der Schriftform, da die eigenhändige handschriftliche Unterschrift unter der Klageschrift fehlt. Bei der dritten Seite der Klageschrift, auf der sich die Unterschrift befindet, handelt es sich um eine Ablichtung und nicht um eine Unterschrift im Original.

17

Der Schriftform ist auch nicht auf andere Weise genügt.

18

Die Klageschrift beginnt zwar mit „Ich A. B...“ jedoch kann das Gericht daraus nicht zweifelsfrei schließen, dass tatsächlich die Klägerin Verfasserin ist. Denn im Folgenden wird ausgeführt „Meine Mutter bekommt Harz IV in Höhe von 382 €...“ und dazu ist der an die Klägerin adressierte Sozialleistungsbescheid beigefügt worden, so dass sich der Eindruck aufdrängt, eines ihrer Kinder sei der Urheber der Klageschrift. Das Schriftbild des Absenders auf dem Briefumschlag, in dem sich die Klage befand,  unterscheidet sich auch deutlich von dem, in dem die Anschrift geschrieben wurde, und von dem des handschriftlichen Klageschreibens, so dass die Absenderangabe nicht von dem Verfasser der Klageschrift sein kann. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die am 25. März 2013, und damit noch innerhalb der Klagefrist, bei Gericht einging,  war nicht unterschrieben. Die Unterschrift wurde erst im August (Eingang im Gericht:     02. September 2013), nach Ablauf der Klagefrist, nachgeholt.  Innerhalb der Klagefrist wurde auch kein weiterer eigenhändig unterschriebener Schriftsatz bei Gericht eingereicht.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.


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Finanzgerichtsordnung - FGO | § 135


(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 47


(1) Die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf, in den Fällen des § 45 und in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 91


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, beim Bundesfinanzhof von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkü

Finanzgerichtsordnung - FGO | § 64


(1) Die Klage ist bei dem Gericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. (2) Der Klage sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; § 77 Abs. 2 gilt sinngemäß.

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(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, beim Bundesfinanzhof von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Das Gericht kann Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Die Klage ist bei dem Gericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben.

(2) Der Klage sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; § 77 Abs. 2 gilt sinngemäß.

(1) Die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage beträgt einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf, in den Fällen des § 45 und in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf nicht gegeben ist, mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Dies gilt für die Verpflichtungsklage sinngemäß, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(2) Die Frist für die Erhebung der Klage gilt als gewahrt, wenn die Klage bei der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung erlassen oder den Beteiligten bekannt gegeben hat oder die nachträglich für den Steuerfall zuständig geworden ist, innerhalb der Frist angebracht oder zu Protokoll gegeben wird. Die Behörde hat die Klageschrift in diesem Fall unverzüglich dem Gericht zu übermitteln.

(3) Absatz 2 gilt sinngemäß bei einer Klage, die sich gegen die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen oder gegen die Festsetzung eines Steuermessbetrags richtet, wenn sie bei der Stelle angebracht wird, die zur Erteilung des Steuerbescheids zuständig ist.

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.