Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 15. Dez. 2011 - 2 BvR 2362/11

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2011:rk20111215.2bvr236211
bei uns veröffentlicht am15.12.2011

Gründe

1

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Zwangsbehandlung eines auf der Grundlage des Sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten (SächsPsychKG) vom 10. Oktober 2007 (SächsGVBl S. 422, zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 14. Dezember 2010, SächsGVBl S. 414, 432) Untergebrachten.

2

1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat. Sie ist unzulässig, weil nicht ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer den Rechtsweg erschöpft hätte.

3

a) Hinsichtlich der konkreten Zwangsbehandlung mit einem Neuroleptikum, gegen die der Beschwerdeführer sich mit der Verfassungsbeschwerde wendet, hat er bisher, soweit aus seinem Vorbringen erkennbar, den Rechtsweg nicht beschritten. Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgelegten Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts betreffen die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses nach §§ 10, 17 SächsPsychKG sowie die Zustimmung des Amtsgerichts zur Untersuchung und Heilbehandlung des Beschwerdeführers nach § 16 SächsPsychKG. Die vom Beschwerdeführer beanstandete Zwangsbehandlung setzt jedoch über die Zustimmung nach § 16 SächsPsychKG hinaus eine konkrete Anordnung voraus (§ 22 Abs. 4 SächsPsychKG). Gegen die konkrete Anordnung der - mit der Verfassungsbeschwerde auch nicht näher beschriebenen - Zwangsbehandlung hat der Beschwerdeführer jedoch bisher nicht um fachgerichtlichen Rechtsschutz gemäß § 327 Abs. 1 FamFG bei dem nach § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 GVG zuständigen Amtsgericht nachgesucht.

4

b) Die Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs ist hier nicht deshalb ausnahmsweise unzumutbar (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG; BVerfGE 77, 275 <282>; 78, 155 <160>), weil keine ausreichenden Möglichkeiten fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes bestünden. Insbesondere wären die Fachgerichte nicht aus kompetenziellen Gründen gehindert, dem Beschwerdeführer vorläufigen Rechtsschutz auch im Hinblick auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlagen seiner Zwangsbehandlung (zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, EuGRZ 2011, S. 321 ff. sowie vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 633/11 -, juris) zu gewähren.

5

Auf Anträge von Untergebrachten hin, die sich gegen eine Zwangsmedikation richten, ist es zunächst Sache der Fachgerichte, auch die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen landesrechtlichen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen, gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren (s. dazu, dass die Fachgerichte an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht durch das in der Hauptsache nach Art. 100 Abs. 1 GG bestehende Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts gehindert sind, BVerfGE 86, 382<389>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 5. September 2005 - 1 BvR 1781/05 -, EuGRZ 2005, S. 634 f.) und bei negativem Ausgang der Prüfung die Sache unter Beachtung der Darlegungsanforderungen für Vorlagen im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (vgl. nur BVerfGE 88, 70 <74>; 105, 61 <67>) dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

6

Die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann von den Fachgerichten auch von Amts wegen - unabhängig von einer entsprechenden Rüge des jeweiligen Klägers - zu prüfen sein (vgl. BVerfGE 112, 50 <61>). Zwar kann Gerichten nicht angesonnen werden, rügeunabhängig oder unabhängig von näherer Substantiierung ein Gesetz ins Blaue hinein auf nicht offen zutage liegende verfassungsrechtliche Fehler - insbesondere etwa im Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens - zu prüfen (s. für die Substantiierungsbedürftigkeit von Rügen, die das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates betreffen, selbst vor dem Bundesverfassungsgericht BVerfGE 115, 118 <136>). Jedenfalls nachdem durch den Senatsbeschluss vom 23. März 2011 (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, EuGRZ 2011, S. 321 ff.) die wesentlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung geklärt sind, muss von den Fachgerichten aber erwartet werden, dass sie diese bei Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung von Untergebrachten betreffen, von Amts wegen im Auge behalten und entsprechend verfahren.

7

2. Durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

8

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 100


(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassu

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93d


(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung. (2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsb

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 90


(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwer

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 23a


(1) Die Amtsgerichte sind ferner zuständig für 1. Familiensachen;2. Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit nicht durch gesetzliche Vorschriften eine anderweitige Zuständigkeit begründet ist.Die Zuständigkeit nach Satz 1 Nummer 1 ist

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 327 Vollzugsangelegenheiten


(1) Gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Vollzug einer Unterbringungsmaßnahme nach § 312 Nummer 4 kann der Betroffene eine Entscheidung des Gerichts beantragen. Mit dem Antrag kann auch die Verpflichtung zum Erlass einer abge

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Bundesverfassungsgericht Beschluss, 12. Okt. 2011 - 2 BvR 633/11

bei uns veröffentlicht am 12.10.2011

Tenor 1. § 8 Absatz 2 Satz 2 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UBG) vom 2. Dezember 1991 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg

Referenzen

(1) Gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten im Vollzug einer Unterbringungsmaßnahme nach § 312 Nummer 4 kann der Betroffene eine Entscheidung des Gerichts beantragen. Mit dem Antrag kann auch die Verpflichtung zum Erlass einer abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme begehrt werden.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene geltend macht, durch die Maßnahme, ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(3) Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung anordnen.

(4) Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

(1) Die Amtsgerichte sind ferner zuständig für

1.
Familiensachen;
2.
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit nicht durch gesetzliche Vorschriften eine anderweitige Zuständigkeit begründet ist.
Die Zuständigkeit nach Satz 1 Nummer 1 ist eine ausschließliche.

(2) Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind

1.
Betreuungssachen, Unterbringungssachen sowie betreuungsgerichtliche Zuweisungssachen,
2.
Nachlass- und Teilungssachen,
3.
Registersachen,
4.
unternehmensrechtliche Verfahren nach § 375 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
5.
die weiteren Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 410 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
6.
Verfahren in Freiheitsentziehungssachen nach § 415 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
7.
Aufgebotsverfahren,
8.
Grundbuchsachen,
9.
Verfahren nach § 1 Nr. 1 und 2 bis 6 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen,
10.
Schiffsregistersachen sowie
11.
sonstige Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit sie durch Bundesgesetz den Gerichten zugewiesen sind.

(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 sind für die den Amtsgerichten obliegenden Verrichtungen in Teilungssachen im Sinne von § 342 Absatz 2 Nummer 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anstelle der Amtsgerichte die Notare zuständig.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

Tenor

1. § 8 Absatz 2 Satz 2 des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UBG) vom 2. Dezember 1991 (Gesetzblatt für Baden-WürttembergSeite 794) ist mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

2. Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 8. Februar 2011 - 2 Ws 161/10 - und des Landgerichts Heidelberg vom 3. Mai 2010 - 7 StVK 139/09 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Heidelberg zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

I.

1

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten auf der Grundlage des baden-württembergischen Gesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker (Unterbringungsgesetz - UBG BW) vom 2. Dezember 1991 (GBl S. 794, zuletzt geändert durch Art. 9 des Vierten Gesetzes zur Bereinigung des baden-württembergischen Landesrechts vom 4. Mai 2009, GBl S. 195, 199). Die einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes lauten:

2

§ 8

3

Heilbehandlung

4

(1) Wer auf Grund dieses Gesetzes in einer anerkannten Einrichtung untergebracht ist, hat Anspruch auf notwendige Heilbehandlung. Die Heilbehandlung umfaßt auch Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Untergebrachten nach seiner Entlassung ein eigenverantwortliches Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

5

(2) Der Untergebrachte ist über die beabsichtigte Untersuchung oder Behandlung angemessen aufzuklären. Er hat diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, soweit die Untersuchung oder Behandlung nicht unter Absatz 3 fällt.

6

(3) Erfordert die Untersuchung oder Behandlung einen operativen Eingriff oder ist sie mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden, darf sie nur mit der Einwilligung des Untergebrachten vorgenommen werden.

7

(4) Ist der Untergebrachte in den Fällen des Absatzes 3 nicht fähig, Grund, Bedeutung oder Tragweite der Untersuchung oder Behandlung einzusehen oder seinen Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, so ist die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters maßgeblich. Besitzt der Untergebrachte die in Satz 1 genannten Fähigkeiten, ist er aber geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig, so ist neben der Einwilligung des Untergebrachten die des gesetzlichen Vertreters erforderlich.

8

§ 12

9

Unmittelbarer Zwang

10

(1) Bedienstete der anerkannten Einrichtungen dürfen gegen Untergebrachte unmittelbaren Zwang nur dann anwenden, wenn der Untergebrachte zur Duldung der Maßnahme verpflichtet ist. Unmittelbarer Zwang zur Untersuchung und Behandlung ist nur auf ärztliche Anordnung zulässig.

11

(2) Unmittelbarer Zwang ist vorher anzukündigen. Die Ankündigung darf nur dann unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen.

12

§ 15

13

Maßregelvollzug

14

(1) Für den Vollzug der durch rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidung angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt gelten die §§ 7 bis 10 und 12 entsprechend.

15

(...)

16

2. Der Beschwerdeführer ist seit dem Jahr 2005, unterbrochen nur durch vorübergehende Verlegung, im Maßregelvollzug im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN), Wiesloch, untergebracht. Nach dem Strafurteil, das der Unterbringung zugrundeliegt, leidet er an einer multiplen Störung der Sexualpräferenz und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Im Juni 2009 kündigte die Maßregelvollzugsklinik dem Beschwerdeführer an, dass er mit dem Neuroleptikum Abilify behandelt werden und diese Behandlung erforderlichenfalls auch gegen seinen Willen - durch Injektion unter Fesselung - durchgeführt werden solle.

17

Hiergegen beantragte der Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG. Eine zwangsweise Medikamentengabe, insbesondere die Verabreichung von Neuroleptika, sei seit Beginn seiner Unterbringung niemals angeordnet oder für erforderlich gehalten worden und auch derzeit nicht erforderlich. Zur Begründung der Maßnahme habe man ihm erklärt, dass die Anordnung unter anderem deswegen erfolgt sei, weil er stets seine Interessen auf juristischem Wege verfolge und man ihn nunmehr zur Einsicht zwingen werde. Die zwangsweise Verabreichung von Neuroleptika sei für ihn jedoch wegen einer Herzerkrankung (Mitralklappenprolapssyndrom, bereits erlittener Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen) mit erheblicher Gefahr für Leben und Gesundheit verbunden. Nach § 15 Abs. 1, § 8 Abs. 3 UBG BW sei sie daher ohne seine Einwilligung nicht zulässig. Die geplante Verabreichung gegen seinen ausdrücklichen Willen verstoße darüber hinaus gegen sein allgemeines Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht. Sie sei zudem medizinisch nicht indiziert; auch insoweit sei eine unabhängige sachverständige Begutachtung erforderlich. Zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen sei die Verabreichung von Neuroleptika nicht zwingend erforderlich. Das medizinische Risiko stehe angesichts der massiven Nebenwirkungen außer Verhältnis zum beabsichtigten Behandlungserfolg.

18

3. Nachdem die Strafvollstreckungskammer der Maßregelvollzugsklinik zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig die Verabreichung von Abilify oder anderen Neuroleptika untersagt und zur Frage der Behandlungsrisiken aus kardiologischer und internistischer Sicht ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte, wies sie mit angegriffenem Beschluss vom 3. Mai 2010 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurück.

19

Nach dem eingeholten Gutachten und der Stellungnahme der Klinik hierzu könnten aus kardiologischer und internistischer Sicht gesundheitliche Risiken, die den Nutzen der Medikation überstiegen, ausgeschlossen werden. Aus dem Sachverständigengutachten ergebe sich ausdrücklich, dass aus kardiologischer Sicht Kontraindikationen für die Anwendung eines Neuroleptikums nicht bestünden. Dem Gutachten zufolge habe die Untersuchung des Beschwerdeführers keinen wesentlichen Mitralklappenprolaps nachweisen können; es zeige sich allenfalls eine minimale Mitralklappeninsuffizienz, die einer Behandlung mit Neuroleptika nicht entgegenstehe. Nach diesem überzeugenden Gutachten, dem die Klinik sich angeschlossen habe und das die Kammer sich zu eigen mache, könne der Antrag des Beschwerdeführers keinen Erfolg haben. Die Behandlung solle jedoch mit den vom Sachverständigen beschriebenen Vorsichtsmaßnahmenerfolgen. Dem weiteren Antrag auf Einholung eines Gutachtens zur Notwendigkeit der Behandlung mit Neuroleptika sei nicht nachzukommen gewesen. Die Klinik habe die Notwendigkeit einer solchen Behandlung im bisherigen Verfahren bereits dezidiert und überzeugend damit begründet, dass wegen des Misstrauens und der Feindseligkeit, die der Beschwerdeführer seinen Behandlern entgegenbringe und die auf sei- ne Persönlichkeitsstörung zurückzuführen seien, allein mit einer psychotherapeutischen Behandlung, wie der Behandlungsverlauf der letzten vier Jahre eindeutig belege, keine Fortschritte erzielt werden könnten. Die zusätzliche Behandlung mit Neuroleptika sei nach den Ausführungen der Klinik erforderlich, um die paranoiden Anteile der Persönlichkeitsstörung zurückzudrängen und das Misstrauen des Beschwerdeführers zu verringern, da sonst mit einer unabsehbar langen Verweildauer in der Unterbringung zu rechnen sei. Dem schließe die Kammer sich an.

20

4. Der Beschwerdeführer erhob Rechtsbeschwerde (§ 116 StVollzG). Die Ausführungen des Sachverständigen hätten zu einer anderen als der getroffenen Beurteilung führen müssen. Die Auflistung der erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen im Sachverständigengutachten wecke nicht nur Ängste, sondern werfe auch die Frage der Verhältnismäßigkeit auf. Das mit der Medikation verfolgte Ziel sei nicht klar definiert, nach derzeitigem Kenntnisstand solle eher "herumexperimentiert" werden. Der Sachverständige verweise zudem auf eine weitere Einschränkung, nämlich auf die zwingende Notwendigkeit einer strengen psychiatrischen Indikationsstellung. Daran fehle es. Allein Psychosen seien mit Neuroleptika zu behandeln. Beim Beschwerdeführer seien bislang nur Persönlichkeitsstörungen, von keinem einzigen Gutachter dagegen eine Psychose diagnostiziert worden. Die Klinik nenne allein den Grund, dass der Beschwerdeführer endlich eine vermeintliche Pädophilie einräumen solle, die er bislang abstreite. Mit der Verabreichung von Neuroleptika könne dieses Ziel aber nicht erreicht werden. Aus medizinischer Sicht spreche im Gegenteil einiges dafür, dass aufgrund der inneren Abwehrhaltung des Beschwerdeführers das Neuroleptikum den gewünschten Zielerfolg gerade nicht erreichen werde, denn Neuroleptika seien nicht zur Beseitigung einer inneren Abwehrhaltung, sondern allein zur Beseitigung von Psychosen geeignet. Demgemäß habe der Beschwerdeführer im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer die Einschaltung eines unabhängigen psychiatrischen Gutachters zur Klärung der psychiatrischen Indikation beantragt.

21

5. Das Oberlandesgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss vom 8. Februar 2011 die Rechtsbeschwerde als unzulässig. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG lägen nicht vor.

22

Es sei nicht geboten, die Nachprüfung der gerichtlichen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Der vorliegende Einzelfall gebe keinen Anlass zur Aufstellung von Leitsätzen für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften oder zur Ausfüllung von Gesetzeslücken. Rechtsgrundlage der Zwangsbehandlung sei § 138 Abs. 1 StVollzG in Verbindung mit den landesrechtlichen Unterbringungsgesetzen. Eine Behandlung gegen den Willen des Untergebrachten sei daher zulässig, wenn sie auf der Grundlage und unter Berücksichtigung der Voraussetzungen einer landesrechtlichen Vorschrift erfolge und der Bekämpfung der Anlasserkrankung diene. In diesen Fällen stelle die erzwungene Behandlung - die Wahrung der Verhältnismäßigkeitvorausgesetzt - auch keinen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Maßnahmen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich seien, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, hätten Maßregelvollzugspatienten gemäß § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW zu dulden. Eingriffe und Behandlungen, die mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit verbunden seien, bedürften nach § 8 Abs. 3 UBG BW allerdings der Einwilligung des Untergebrachten. Eine zwangsweise Gabe von Psychopharmaka zur Behandlung der Anlasskrankheit sei danach zulässig, wenn sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst indiziert und erforderlich sei und keine erheblichen Gesundheitsgefahren damit verbunden seien. Die behandelnden Ärzte verfügten in Bezug auf Diagnose und Indikation über einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum. Da der vorliegende Fall hinsichtlich dieser gesetzlichen Vorgaben keine besonderen rechtlichen Probleme aufgeworfen habe, sei eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nicht gefordert.

23

Die Nachprüfung des angegriffenen Beschlusses sei auch nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung geboten, weil die angefochtene Entscheidung rechtsfehlerfrei ergangen sei. Die - gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare - medizinische Indikation habe die Strafvollstreckungskammer auf die nachvollziehbare Stellungnahme der Klinik gestützt, die im besonderen Fall des Beschwerdeführers eine Behandlung der Persönlichkeitsstörung auch mit Neuroleptika für angezeigt halte. Es sei nicht ersichtlich, dass die Regeln der ärztlichen Kunst dabei außer Acht gelassen worden seien. Hinsichtlich der weiteren und für den Beschwerdeführer ersichtlich bedeutsamen Frage, ob die Gabe von Neuroleptika wegen einer kardialen Vorerkrankung mit erheblichen Gefahren für Leben oder Gesundheit im Sinne des § 8 Abs. 3 UBG BW verbunden sei, habe die Strafvollstreckungskammer ein externes kardiologisches Gutachten eingeholt und das Vorliegen dieser Gefahren auf der Grundlage des Gutachtens nachvollziehbar verneint.

II.

24

1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der - hier nicht mehr anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer, die angegriffenen Beschlüsse verletzten ihn in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen sei nicht zulässig. Eine mit einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben verbundene Behandlung bedürfe nach § 15 Abs. 1 und § 8 Abs. 3 UBG BW der Einwilligung des Betroffenen. Sein Herzklappenfehler und die Unverträglichkeiten, an denen er leide, würden einfach ignoriert. Die Klinik wolle nur seine Einsicht wecken und unterstelle eine Denkblockade. Man dürfe ihm nicht zwangsweise Medikamente verabreichen, wenn keine Psychose vorliege, erst recht nicht, wenn es nie zu Bedrohungen oder Übergriffen gekommen sei, und schon gar nicht wegen einer bloßen - angeblichen - Denkblockade. Neuroleptika seien nur zur Behandlung von Psychosen entwickelt worden. Das Land Baden-Württemberg nehme damit, dass es hier möglich sein solle, jemanden auch dann zwangszumedizieren, wenn, wie in seinem Fall, keine Psychose, sondern nur eine Persönlichkeitsstörung vorliege, eine Sonderrolle ein. Eine scharfe psychiatrische Indikation sei nicht gestellt. Er leide massivst unter den Nebenwirkungen der Medikation; diese verursache ihm Kopfschmerzen, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen, unangenehmes Gefühl im Magen, Benommenheit, Schläfrigkeit, verschwommenes Sehen und Blickfeldeinengung. Mit diesen Nebenwirkungen könne er sich auch nicht wie im Normalzustand konzentrieren. Im Übrigen verweist der Beschwerdeführer auf seine Schriftsätze aus dem fachgerichtlichen Verfahren.

25

2. Auf Antrag des Beschwerdeführers hat die 3. Kammer des Zweiten Senats durch Beschluss vom 21. April 2011 (- 2 BvR 633/11 -, EuGRZ 2011, S. 339 f.) dem Psychiatrischen Zentrum Nordbaden, Wiesloch, sowie dem Klinikum am Weissenhof, Weinsberg, in das der Beschwerdeführer zwischenzeitlich vorübergehend verlegt worden war, im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 32 BVerfGG) bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, untersagt, die angedrohte Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers mit dem Neuroleptikum Abilify zu vollziehen.

III.

26

1. Neben dem gemäß § 94 Abs. 2 BVerfGG anzuhörenden baden-württembergischen Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren erhielten gemäß § 94 Abs. 4 in Verbindung mit § 77 Nr. 1, § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, der Landtag und die Landesregierung von Baden-Württemberg, jeweils unter Hinweis auf den zu Fragen der Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug ergangenen Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, Gelegenheit zur Äußerung.

27

Das baden-württembergische Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren hat wie folgt Stellung genommen: Gemäß § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 UBG BW bedürfe eine Untersuchung oder Behandlung nur dann der Einwilligung des Untergebrachten, wenn sie einen operativen Eingriff erfordere oder mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sei. Beides sei bei der vorliegenden Art der Medikation nicht der Fall. Eine Einwilligung des Beschwerdeführers sei daher nicht erforderlich gewesen. Die von ihm befürchteten lebensgefährlichen Nebenwirkungen hätten nach dem eingeholten Gutachten ausgeschlossen werden können. Im Übrigen handele es sich bei Neuroleptika um eine der weltweit am häufigsten verordneten Medikamentengruppen, bei denen der Nutzen bei weitem etwaige seltene ernstere Risiken überwiege. Die von der Maßregelvollzugsklinik beabsichtigte Medikation habe den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW entsprochen, da mit ihr die Krankheit des Beschwerdeführers habe behandelt werden sollen. Im Unterschied zu dem Fall, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 zugrundegelegen habe - dort sei eine für die Anlasstat ursächliche paranoide Psychose behandelt worden -, leide der Beschwerdeführer unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Bei einer Persönlichkeitsstörung könne die Behandlung mit Neuroleptika erforderlich sein, um die paranoiden Anteile der Störung zurückzudrängen und das Misstrauen des Patienten gegenüber seinen Behandlern zu verringern. Dies könne dazu beitragen, dem betroffenen Patienten eine konkrete Entlassungsperspektive zu eröffnen. Diesen Zweck verfolge die beabsichtigte Behandlung. Eine zwangsweise Verabreichung der Medikamente sei insbesondere dann angezeigt, wenn der Patient ohne die Medikation krankheitsbedingt nicht einsichtsfähig sei und der Eingriff darauf abziele, die tatsächlichen Voraussetzungen freier Selbstbestimmung des Untergebrachten wiederherzustellen.Vorliegend sei ohne die Medikation mit einer unabsehbar langen Verweildauer des Beschwerdeführers im Maßregelvollzug zu rechnen. Dem solle mit der Zwangsmedikation entgegengewirkt werden. Die Forensischen Kliniken in Baden-Württemberg seien sich stets bewusst, dass Zwangsbehandlungen gravierende Eingriffe in die grundgesetzlich geschützten Rechte der untergebrachten Patienten darstellten. Daher sollten diese, sofern überhaupt für notwendig erachtet, mit großer Umsicht durchgeführt werden. Stets werde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Die Zwangsmedikation erfolge nur dann, wenn weniger einschneidende Maßnahmen - wie beispielsweise eine Psychotherapie - zu keinen oder nur zu geringen Fortschritten bei der Behandlung der Krankheit führten und die medikamentöse Behandlung damit ein geeignetes und im Hinblick auf den Erfolg das mildeste Mittel sei. Aus diesem Grund habe sich auch das Psychiatrische Zentrum Nordbaden entschlossen, dem Beschwerdeführer die Medikamente zu verabreichen. Im Übrigen sei Voraussetzung jeder Zwangsmedikation deren ärztliche Verordnung und Überwachung.

28

Die weiteren Äußerungsberechtigten haben keine Stellungnahme abgegeben.

29

2. Dem Senat haben die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens vorgelegen.

B.

I.

30

Die Verfassungsbeschwerde ist im Wesentlichen zulässig.

31

1. Unzulässig sind allerdings die Rügen, mit denen der Beschwerdeführer geltend macht, die Bedeutung einer bei ihm vorliegenden Herzerkrankung und damit zusammenhängender Unverträglichkeiten für die Zulässigkeit der angefochtenen Zwangsmedikation mit Neuroleptika sei von den Gerichten unter Verstoß gegen grundrechtliche Anforderungen unzutreffend gewürdigt worden. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde nicht ausreichend begründet, weil der Beschwerdeführer das im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer eingeholte Sachverständigengutachten, auf dessen Grundlage die Gerichte entschieden haben und ohne dessen Kenntnis die Berechtigung seiner diesbezüglichen Rügen sich nicht beurteilen lässt, weder vorgelegt noch im Einzelnen wiedergegeben hat (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfGK 5, 170 <171>).

32

2. Die Unzulässigkeit der den Umgang mit der behaupteten Vorerkrankung betreffenden Rügen berührt nicht die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde im Übrigen. Der Beschwerdeführer sieht sich auch dadurch in Grundrechten verletzt, dass die angegriffenen Beschlüsse die von ihm beanstandete neuroleptische Zwangsmedikation als rechtmäßig bestätigt haben, obwohl sie in seinem - durch das Vorliegen einer bloßen Persönlichkeitsstörung, keiner Psychose, gekennzeichneten - Fall medizinisch nicht angezeigt, zur Erreichung des angestrebten Behandlungserfolgs daher nicht geeignet und auch im Übrigen, ganz unabhängig von den bei ihm bestehenden besonderen gesundheitlichen Risiken, unverhältnismäßig sei, und obwohl die insoweit erforderliche Sachverhaltsaufklärung durch Einholung eines unabhängigen Gutachtens nicht stattgefunden habe.

33

3. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht insoweit auch nicht der Grundsatz der materiellen Subsidiarität (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>) im Hinblick darauf entgegen, dass der Beschwerdeführer im fachgerichtlichen Verfahren nicht ausdrücklich auch die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlagen seiner Zwangsbehandlung in Frage gestellt hat. Es kann offen bleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit bereits sein Vorbringen vor den Fachgerichten, da objektiv auch die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung nach dem baden-württembergischen Unterbringungsgesetz betreffend, als sinngemäß auch gegen diese gerichtet auszulegen war. Auch wenn davon auszugehen wäre, dass der Beschwerdeführer sich im fachgerichtlichen Verfahren darauf beschränkt hat, auf eine seine Grundrechte nicht verletzende Anwendung der ihn betreffenden Gesetzesbestimmungen hinzuwirken, wäre ihm dies nicht als unzureichende Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes entgegenzuhalten (vgl. BVerfGE 112, 50 <60 ff., 63>). Insbesondere handelt es sich bei den Fragen, die der vorliegende Fall hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten gesetzlichen Vorschriften aufwirft, nicht um solche, zu deren Prüfung die Gerichte nur auf der Grundlage - hinreichend substantiierten - klägerischen Vorbringens angehalten sind (vgl. BVerfGE 112, 50 <62>; Beispiel etwa BVerfGE 115, 118 <135 f.>).

II.

34

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit zulässig, begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

35

1. Die medizinische Zwangsbehandlung eines Untergebrachten greift in dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein, das die körperliche Integrität des Grundrechtsträgersund damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, EuGRZ 2011, S. 321 <326>). Entsprechendes gilt für die angegriffenen Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers als rechtmäßig bestätigen.

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Die Eingriffsqualität entfällt nicht bereits dann, wenn der Betroffene der abgelehnten Behandlung keinen physischen Widerstand entgegensetzt (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 326). Eine Zwangsbehandlung im Sinne einer medizinischen Behandlung, die gegen den Willen des Betroffenen erfolgt, liegt unabhängig davon vor, ob eine gewaltsame Durchsetzung der Maßnahme erforderlich wird oder der Betroffene sich, etwa weil er die Aussichtslosigkeit eines körperlichen Widerstandes erkennt, ungeachtet fortbestehender Ablehnung in die Maßnahme fügt und damit die Anwendung körperlicher Gewalt entbehrlich macht (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 332). Dem grundrechtseingreifenden Charakter der angegriffenen Entscheidungen steht es daher nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer sich unter der Drohung, dass man ihm das Neuroleptikum anderenfalls zwangsweise unter Fesselung injizieren würde, zur Vermeidung des zusätzlichen Übels der Gewaltanwendung zunächst auf die Einnahme der Medikamente eingelassen hatte.

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2. Die Zwangsbehandlung eines Untergebrachten kann allerdings ungeachtet der besonderen Schwere des darin liegenden Eingriffs durch das grundrechtlich geschützte Freiheitsinteresse des Untergebrachten selbst gerechtfertigt sein. Dies gilt auch für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung des Ziels des Maßregelvollzuges.Die Voraussetzungen hierfür hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23. März 2011 geklärt (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 327 f.).

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3. Nach den in diesem Beschluss konkretisierten Maßstäben verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer bereits deshalb in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, weil es für die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers, die sie als rechtmäßig bestätigen, an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt. § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und nichtig.

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a) Die medizinische Zwangsbehandlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels ist nach dieser Vorschrift nicht, wie verfassungsrechtlich geboten (s. im Einzelnen BVerfG, a.a.O., S. 328 f., 332), auf die Fälle seiner krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit begrenzt.

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Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW hat der Betroffene diejenigen Untersuchungs- und Heilmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln, soweit die Untersuchung oder Behandlung nicht unter Absatz 3 - d. h. unter das Einwilligungserfordernis für operative Eingriffe und Eingriffe, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind - fällt.

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In der vorgesehenen Bindung an die Regeln der ärztlichen Kunst liegt keine hinreichend deutliche gesetzliche Begrenzung der Möglichkeit der Zwangsbehandlung auf Fälle der fehlenden Einsichtsfähigkeit. Bereits der Umstand, dass eine Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen nur für operative Eingriffe und für Maßnahmen, die mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit des Untergebrachten verbunden sind, verlangt wird - nur diese bedürfen nach § 8 Abs. 4 Satz 1 UBG BW einer Einwilligung des Betroffenen, die dessen Einwilligungsfähigkeit voraussetzt -, spricht dafür, dass Eingriffe unterhalb der genannten Schwelle unabhängig von der Frage einer krankheitsbedingten Selbstbestimmungsunfähigkeit zugelassen sein sollen. Auch wenn man annehmen wollte, dass zwischen der Fähigkeit zu wirksamer rechtfertigender Einwilligung in eine medizinisch indizierte Behandlung und der Fähigkeit zur Einsicht in die Notwendigkeit der Behandlung zu unterscheiden ist, weil eine psychische Krankheit speziell die letztere Fähigkeit - insbesondere die Fähigkeit, die Risiken der Behandlung nicht zu überschätzen - beeinträchtigen kann, stellt jedenfalls nicht schon der Verweis auf die Regeln der ärztlichen Kunst in der notwendigen Weise klar, dass krankheitsbedingtfehlende Einsichtsfähigkeit Voraussetzung der Zwangsbehandlung ist. In Deutschland existieren, nachdem von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in den neunziger Jahren initiierte Versuche zur Etablierung medizinischer Standards für Zwangsbehandlungen nicht zu einem Ergebnis geführt haben (vgl. Steinert, in: Ketelsen/Schulz/Zechert, Seelische Krise und Aggressivi- tät,2004, S. 44 <47>), keine medizinischen Standards für psychiatrische Zwangsbehandlungen, aus denen mit der notwendigen Deutlichkeit hervorginge, dass Zwangsbehandlungen mit dem Ziel, den Untergebrachten entlassungsfähig zu machen, ausschließlich im Fall krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit zulässig sind. Dass dementsprechend ein Bewusstsein hierfür in den medizinischen und juristischen Fachkreisen noch nicht allgemein verbreitet und eine gesetzliche Regelung, wie im Beschluss des Senats vom 23. März 2011 festgestellt, unverzichtbar ist, illustriert nicht zuletzt der vorliegende Fall, in dem weder die Klinik noch die Fachgerichte sich mit der Frage, ob beim Beschwerdeführer eine krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Einsicht in die Notwendigkeit der Behandlung besteht, auch nur ansatzweise auseinandergesetzt haben. Die bloße Feststellung einer Persönlichkeitsstörung beantwortet diese Frage nicht.

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b) § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW entspricht auch nicht den weiteren aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden Anforderungen, denen ein zur medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten ermächtigendes Gesetz genügen muss. Voraussetzung der Zulässigkeit für nicht unter § 8 Abs. 3 UBG BW (operativer Eingriff, erhebliche Lebens- oder Gesundheitsgefahr) fallende Maßnahmen der Zwangsbehandlung ist nach dieser Vorschrift nur, dass sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln. Damit ist dem Erfordernis, die Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung über abstrakte Verhältnismäßigkeitsanforderungen hinaus gesetzlich zu konkretisieren (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 331 f.), nicht genügt.

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In verfahrensrechtlicher Hinsicht fehlt es beispielsweise an einer angemessenen Regelung des - unabhängig von der Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit des Betroffe- nen bestehenden - Erfordernisses der vorherigen Bemühung um eine auf Vertrauen gegründete, im Rechtssinne freiwillige Zustimmung (vgl. im Einzelnen BVerfG, a.a.O., S. 329, 332). Eine hinreichend konkretisierte Ankündigung ist ebenfalls nicht vorgesehen.§ 8UBG BW enthält hierzu nichts. § 12 Abs. 2 UBG BW fordert eine vorherige Ankündigung nur - sofern die Umstände sie zulassen - für die Anwendung unmittelbaren Zwangs. Mit einer Regelung, die eine Androhung allein für die Anwendung physischen Zwangs vorschreibt, sind jedoch die Fälle, für die das Ankündigungserfordernis von Verfassungs wegen besteht, schon im Ansatz nicht ausreichend erfasst (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 329, 332). Entsprechendes gilt für das Erfordernis der Anordnung und Überwachung durch einen Arzt (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 330). Auch hier greift die Regelung des baden-württembergischen Unterbringungsgesetzes zu kurz, indem sie ein Erfordernis ärztlicher Anordnung nur für den Fall der Anwendung unmittelbaren Zwangs vorsieht (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UBG BW). Weiter fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Regelung zur Dokumentation (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 330, 332). Entgegen den verfassungsrechtlichen Erfordernissen ist auch eine vorausgehende Überprüfung der Maßnahme durch Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 330, 332) nicht vorgesehen.

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c) Angesichts der festgestellten Mängel der gesetzlichen Eingriffsgrundlage bedarf es keiner Entscheidung, ob diese selbst und die auf sie gestützten gerichtlichen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 327 ff.) noch in weiteren Hinsichten nicht genügen.

III.

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1. Die Verfassungswidrigkeit des § 8 Abs. 2 Satz 2 UBG BW führt zur Nichtigkeit der Vorschrift. Die Voraussetzungen für eine bloße Unvereinbarerklärung liegen nicht vor (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 332).

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2. Die angegriffenen Beschlüsse sind aufzuheben, und die Sache ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Landgericht Heidelberg zurückzuverweisen.

47

3. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.