Bundesverfassungsgericht Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren, 04. Aug. 2015 - 2 BvR 1690/14

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2015:rk20150804.2bvr169014
bei uns veröffentlicht am04.08.2015

Gründe

I.

1

Über die Verfassungsbeschwerde ist nicht mehr zu entscheiden, weil die Beschwerdeführer sie für erledigt erklärt haben (vgl. BVerfGE 85, 109 <113>). Gegenstand des Verfahrens ist nur noch die Frage, ob den Beschwerdeführern die ihnen durch die Verfassungsbeschwerde entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten sind.

2

Die Verfassungsbeschwerde betraf eine Eilentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster (§ 123 VwGO), die es abgelehnt hatte, den Bürgermeister der Stadt Bad S. zu verpflichten, den Fraktionsstatus der Beschwerdeführer im Rat der Stadt vorläufig anzuerkennen. Die Beschwerdeführer rügten, durch diese Entscheidung in ihren Rechten aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG verletzt worden zu sein. Nachdem die Stadt Bad S. die Beschwerdeführer nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde als Fraktion anerkannt hat, erklärten sie die Verfassungsbeschwerde für erledigt und beantragten, die Kosten im vorliegenden Verfahren gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG dem Land Nordrhein-Westfalen aufzuerlegen.

II.

3

1. Über die Erstattung der den Beschwerdeführern durch die Verfassungsbeschwerde entstandenen Auslagen hat gemäß § 93d Abs. 2 Satz 1 BVerfGG die Kammer zu entscheiden (vgl. BVerfGE 72, 34 <38 f.>). Der Maßstab für diese Entscheidung ergibt sich aus § 34a Abs. 3 BVerfGG (vgl. BVerfGE 85, 109 <114>). Danach ist eine Entscheidung nach Billigkeitsgesichtspunkten zu treffen.

4

Diese Billigkeitsentscheidung ist grundsätzlich nicht aufgrund einer überschlägigen Beurteilung der Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde, bei der eine lediglich kursorische Prüfung verfassungsrechtlicher Zweifelsfragen erfolgen müsste, zu treffen (vgl. BVerfGE 85, 109 <115 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Juni 2014 - 2 BvR 1222/14 -, juris, Rn. 2; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. März 2015 - 1 BvR 505/13 -, juris, Rn. 9). Eine Erstattung der Auslagen aus Billigkeitsgründen kommt nur in Betracht, wenn die Verfassungsbeschwerde bei überschlägiger Beurteilung offensichtlich Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, ohne dass das Bundesverfassungsgericht dabei kursorisch zu verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen Stellung nehmen muss. Dies ist der Fall, wenn die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde offensichtlich sind und die verfassungsrechtliche Lage - etwa durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem gleich gelagerten Fall - bereits geklärt ist (vgl. BVerfGE 85, 109 <115 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. April 2011 - 1 BvR 689/11 -, NJW 2011, S. 3081 <3082>; BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 1954/11 -, NJW 2012, S. 2096 <2097>; vom 16. Oktober 2013 - 2 BvR 1446/12 -, juris, Rn. 5; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. November 2014 - 1 BvR 159/09 -, FamRZ 2015, S. 476 <477>).

5

Wesentliche Bedeutung kann im Rahmen der Billigkeitsentscheidung auch dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, zukommen (BVerfGE 85, 109 <114 f.>; 87, 394 <397>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. März 2015 - 1 BvR 505/13 -, juris, Rn. 9). Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, so kann, falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind, davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet. In einem solchen Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und dem Beschwerdeführer die Erstattung seiner Auslagen in gleicher Weise zuzubilligen, wie wenn seiner Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (vgl. BVerfGE 85, 109 <115>; 87, 394 <397>; 91, 146 <147>).

6

2. Gemessen daran scheidet eine Auslagenerstattung vorliegend aus. Zwar hat die Stadt Bad S. den Fraktionsstatus der Beschwerdeführer im Rat der Stadt inzwischen anerkannt und dadurch der mit der angegriffenen Entscheidung verbundenen Beschwer der Beschwerdeführer abgeholfen. Jedoch war die Verfassungsbeschwerde bereits im Zeitpunkt ihrer Einlegung unzulässig, so dass eine Auslagenerstattung für das Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht der Billigkeit entspricht (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. April 2011 - 1 BvR 689/11 -, NJW 2011, S. 3081 <3082>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Juni 2014 - 2 BvR 1222/14 -, juris, Rn. 3; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Oktober 2014 - 2 BvR 550/14 -, juris, Rn. 3).

7

Den Beschwerdeführern fehlte gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG bereits die Beschwerdeberechtigung. Die angefochtene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster betraf die Beschwerdeführer ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Träger eines kommunalen Mandats, mithin als Inhaber eines öffentlichen Amtes. Belastende Wirkungen ergaben sich für sie nur insofern, als sie im Rat der Stadt Bad S. nicht als Fraktion anerkannt worden waren.

8

Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch der spezifische Rechtsbehelf des Bürgers gegen den Staat. Sie ist "jedermann" eröffnet, wenn die öffentliche Gewalt in die Sphäre des Bürgers eingreift, die durch Grundrechte oder grundrechtsgleiche Gewährleistungen gegenüber dem Staat gesichert ist (vgl. BVerfGE 4, 27 <30>; 6, 445 <448>; 60, 175 <201 f.>; 64, 301 <312>). Dagegen sind Streitigkeiten zwischen Staatsorganen nicht im Rahmen der Verfassungsbeschwerde, sondern in den dafür vorgesehenen Organstreitverfahren auszutragen (vgl. BVerfGE 15, 298 <302>; 43, 142 <148>) - soweit diese eröffnet sind. Dies gilt auch, wenn Abgeordnete geltend machen, in mit ihrem Status verbundenen Rechten verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 62, 1 <32> m.w.N.; vgl. insgesamt zur fehlenden Beschwerdeberechtigung BVerfGK 19, 40 <42>; BVerfG, Beschuss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 1993 - 2 BvR 1130/93 -, NVwZ 1994, S. 56 <57>).

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

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(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93d


(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung. (2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsb

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(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen ein

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(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwer

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Gründe I. 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsuchung ei

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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsuchung eines Notariats.

2

1. Die Beschwerdeführer sind Notare in Hamburg. Im Rahmen eines Strafverfahrens ersuchte das Landgericht München II die Beschwerdeführer um Auskunft darüber, ob in deren Notariat für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis heute Urkunden über einen Treuhandvertrag betreffend die Gesellschaftsanteile an einer - unterschiedlich firmierenden - GmbH unter Beteiligung mindestens eines der beiden Angeklagten vorhanden seien. Gleichlautende Auskunftsersuchen sandte die Strafkammer an eine Vielzahl weiterer Notare in H. …, R. … und R. ….

3

2. Da die Beschwerdeführer - wie auch andere Notare - die Auskunft unter Berufung auf ihre Verschwiegenheitspflicht verweigerten, ordnete das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 9. Juni 2011 die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführer nach diesen Urkunden sowie die Beschlagnahme von Kopien im Falle nicht freiwilliger Herausgabe an (§§ 94, 98, 103, 105, 162 StPO). Die Urkunden seien als Beweismittel im anhängigen Strafverfahren von Bedeutung. Es bestünden konkrete Anhaltspunkte, dass tatsächlich ein Treuhandvertrag abgeschlossen worden sei und dass die Urkunden bei den Beschwerdeführern aufgefunden würden. So habe unter anderem ein als Zeuge vernommener Rechtsanwalt bekundet, den Entwurf einer Treuhandvereinbarung vorbereitet zu haben. Da die Angeklagten nach Aktenlage bei verschiedenen Notaren in Reinbek, Hamburg und Rosenheim Urkunden hätten erstellen lassen, sei eine Konkretisierung auf einen Notar aus diesen Bezirken zu erwarten. Die Urkunden selbst unterlägen nicht dem Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO.

4

3. Mit ihrer hiergegen eingelegten Beschwerde machten die Beschwerdeführer geltend, der angegriffene gerichtliche Beschluss diene der Ausforschung. Anhaltspunkte dafür, dass ein Treuhandvertrag durch einen der Beschwerdeführer beurkundet worden sei, gebe es offensichtlich nicht. Schließlich seien entsprechende Durchsuchungsbeschlüsse gegen alle oder fast alle hamburgischen und auch gegen bayerische Notare erlassen worden. Darüber hinaus lasse der Beschluss nicht erkennen, dass die von § 160a Abs. 2 StPO gestellten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit von Ermittlungsmaßnahmen bei Berufsgeheimnisträgern beachtet worden seien.

5

4. Die Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht München mit angegriffenem Beschluss vom 27. Juli 2011 als unbegründet. Gegen die beiden Angeklagten laufe gegenwärtig die Hauptverhandlung vor dem Landgericht München II. Sie würden der Steuerhinterziehung (Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer) beziehungsweise der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in den Jahren 2003 bis 2008 beschuldigt. Der Durchsuchungsbeschluss des Landgerichts genüge den Anforderungen nach §§ 103, 105 StPO. Insbesondere lägen bestimmte Tatsachen vor, die vermuten ließen, dass die als Beweismittel dienenden Gegenstände bei den betroffenen Notariaten gefunden würden. Es liege keine Ausforschung vor, da die Durchsuchung auf die Herausgabe einer Urkunde über ein konkret bezeichnetes Treuhandverhältnis zwischen den Angeklagten ziele.

6

Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig. Von beweiserheblicher Bedeutung sei, ob zwischen den Angeklagten ein Treuhandverhältnis bestehe, so dass das wirtschaftliche Eigentum an den Gesellschaftsanteilen dem einen Angeklagten zuzurechnen sei, während der andere Angeklagte hinsichtlich seiner eigenen Gesellschafter- und Geschäftsführerposition nur als "Strohmann" zu betrachten sei. Die Durchsuchung und Beschlagnahme stelle (nach dem erfolglosen formlosen Herausgabeverlangen) eine geeignete, unter den geschilderten Umständen erforderliche und unter Abwägung der Interessen der Beschwerdeführer und der den Angeklagten zur Last gelegten massiven Steuerdelikte (Verkürzung von Steuern in Millionenhöhe) auch verhältnismäßige Maßnahme dar.

7

Eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit liege auch nicht darin, dass sich die Strafkammer zur Zweckerreichung - zur Aufklärung über Existenz und Inhalt einer notariellen Urkunde über ein Treuhandverhältnis - nicht vorab an das Finanzamt gewandt habe. Zwar hätten Notare den Abschluss eines Treuhandvertrages gemäß § 54 EStDV dem Finanzamt anzuzeigen. Das Landgericht habe sich aber nicht vorab an das Finanzamt wenden müssen, zumal unter dem Gesichtspunkt des Steuergeheimnisses unsicher sein könnte, ob Finanzämter auf eine Anfrage der Strafkammer tatsächlich unverzüglich Auskunft erteilen würden. Die Ermessensentscheidung über die konkrete Auswahl zwischen zwei gleichrangigen Ermittlungsmaßnahmen obliege der Strafkammer. Ein Eingriff in dieses richterliche Ermessen der erkennenden Strafkammer des Landgerichts sei dem Senat im Beschwerdeweg verwehrt, sofern kein Ermessensfehler erkennbar sei. Ein derartiger Ermessensfehler liege hier nicht vor.

8

5. Mit ihrer am 25. August 2011 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihres Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG.

9

Bei der Auslegung und Anwendung der Tatbestandsmerkmale der §§ 103, 105 StPO hätten die Gerichte Bedeutung und Tragweite des Art. 13 Abs. 1 und 2 GG gerade mit Blick auf die Eigenschaft der Beschwerdeführer als Berufsgeheimnisträger nicht hinreichend Rechnung getragen und Durchsuchungen in deren Geschäftsräumen angeordnet, die unverhältnismäßig in ihr Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG eingriffen und zudem nachhaltig ihre berufliche Tätigkeit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ihrer Mandanten beeinträchtigten.

10

Unter anderem sei die vom Landgericht getroffene und vom Oberlandesgericht bestätigte Maßnahme nicht erforderlich. Denn sie sei nicht das mildeste Mittel unter im Wesentlichen gleich geeigneten Ermittlungsmaßnahmen. Weniger einschneidende Maßnahmen wären beispielsweise die Vernehmung von Mitarbeitern der beiden Angeklagten gewesen sowie die Anfrage an das Finanzamt nach dem Vorliegen einer Treuhandvereinbarung. Jede notariell beurkundete Treuhandvereinbarung über GmbH-Geschäftsanteile sei dem Finanzamt gemäß § 54 EStDV anzuzeigen. Anhaltspunkte dafür, dass ein Notar dies nicht getan habe, hätten die Gerichte nicht genannt. Gegenüber der Durchsuchung sei die Anfrage beim Finanzamt eine wesentlich mildere Maßnahme gewesen. Die Argumentation des Oberlandesgerichts - der Beschluss des Landgerichts lasse hierzu jegliche Ausführungen vermissen -, unter dem Gesichtspunkt des Steuergeheimnisses sei unsicher, ob die Finanzämter auf die Anfrage der Strafkammer tatsächlich unverzüglich Auskunft erteilen würden, verfange nicht. Das Landgericht habe offenbar nicht einmal versucht, an die Finanzämter heranzutreten. Aus welchen Gründen die Durchsuchung der Geschäftsräume des Notariats gegenüber Ermittlungen bei den Beschuldigten oder den Finanzämtern vorrangig sein solle, hätten sowohl Landgericht als auch Oberlandesgericht unerörtert gelassen.

11

Ferner sei die vom Landgericht angeordnete Maßnahme auch nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts zu weitgehend. Das Oberlandesgericht gehe nämlich davon aus, dass nur ein Treuhandvertrag zwischen den beiden Angeklagten beweiserheblich sei. Dennoch beziehe sich die richterliche Anordnung auf einen Treuhandvertrag "unter Beteiligung mindestens eines der Nachbenannten", nämlich der Angeklagten. Damit seien auch Fälle erfasst, in denen einer der Angeklagten einen Treuhandvertrag mit einem unbeteiligten Dritten getroffen habe.

12

Schließlich sei die durch die Entscheidungen der Gerichte getroffene beziehungsweise bestätigte Maßnahme auch nicht angemessen. Die Gerichte verkennten, dass die Durchsuchung von Geschäftsräumen eines Berufsgeheimnisträgers in Rede stehe. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass durch die Anordnung nicht nur der Berufsgeheimnisträger in seinem Recht aus Art. 13 GG betroffen werde, sondern mittelbar auch seine berufliche Tätigkeit betroffen sei und seine weiteren, nicht beschuldigten Mandanten in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG beeinträchtigt würden. Gerade der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen juristisch tätigem Berufsgeheimnisträger und Mandant liege auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Die Gerichte hätten es vollständig unterlassen, diese Belange in die Prüfung der Angemessenheit der angeordneten Maßnahme einzustellen.

13

6. Die Gehörsrüge nach § 33a StPO, die die Beschwerdeführer zur Erschöpfung des Rechtsweges und Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes vorsorglich erhoben haben, hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 29. August 2011 zurückgewiesen.

14

7. Mit Beschluss vom 12. Oktober 2011 hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit einstweiliger Anordnung die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts München II und des Oberlandesgerichts München bis zur Entscheidung in der Hauptsache ausgesetzt.

II.

15

Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, denn die Verfassungsbeschwerde besitzt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Sie ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

16

Das Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführer ist entfallen, da sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt hat. Der angegriffene Durchsuchungsbeschluss wurde noch nicht vollstreckt und kann auch nicht mehr vollstreckt werden, da er außer Kraft getreten ist. Der Durchsuchungsbeschluss ist am 9. Juni 2011 erlassen und vom Oberlandesgericht am 27. Juli 2011, also vor mehr als einem halben Jahr, bestätigt worden und hat daher seine rechtfertigende Kraft für die beabsichtigten Durchsuchungsmaßnahmen verloren. Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres ist davon auszugehen, dass die dem Durchsuchungsbeschluss zugrundeliegende richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Grundrechtsschutzes zu sichern vermag (vgl. BVerfGE 96, 44 <54>).

III.

17

Es entspricht der Billigkeit, nach § 34a Abs. 3 BVerfGG die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer anzuordnen, da die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet gewesen wäre.

18

Bei der Entscheidung nach § 34a Abs. 3 BVerfGG kommt dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 f.>). Zwar findet eine überschlägige Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Auslagenerstattungsverfahren regelmäßig nicht statt. Eine solche kursorische Prüfung entspricht nicht der Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, verfassungsrechtliche Zweifelsfragen mit bindender Wirkung inter omnes zu klären (vgl. BVerfGE 33, 247 <264 f.>; 85, 109 <115 f.>; 87, 394 <397 f.>). Eine Erstattung aus Billigkeitsgesichtspunkten kommt aber dennoch in Betracht, wenn die Verfassungsbeschwerde bei überschlägiger Beurteilung offensichtlich Aussicht auf Erfolg gehabt hätte und wenn im Rahmen der lediglich kursorischen Prüfung zu verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen nicht Stellung genommen zu werden braucht. Dies ist der Fall, wenn die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Billigkeitsentscheidung unterstellt werden kann oder wenn die verfassungsrechtliche Lage bereits geklärt ist (vgl. BVerfGE 85, 109 <115 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juni 1997 - 2 BvR 1581/95 -, juris, Rn. 14).

19

Nach diesen Maßstäben entspricht es der Billigkeit, die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer anzuordnen. Die Verfassungsbeschwerde wäre vorliegend offensichtlich begründet gewesen. Die fachgerichtlichen Entscheidungen stellten einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG dar. Den Gerichten hätte ein gegenüber dem Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses milderes Mittel zur Verfügung gestanden, das den Zweck der Durchsuchung ebenso effektiv hätte erzielen können. Nach § 54 Abs. 1 EStDV sind Notare verpflichtet, dem zuständigen Finanzamt eine beglaubigte Abschrift aller aufgrund gesetzlicher Vorschrift aufgenommenen oder beglaubigten Urkunden zu übersenden, die die Verfügung über Anteile an Kapitalgesellschaften zum Gegenstand haben. Zu Verfügungen in diesem Sinne gehören auch Anteilsübertragungen im Rahmen eines Treuhandverhältnisses. Vor diesem Hintergrund hätte ohne weitere Schwierigkeiten bei dem nach § 20 AO zuständigen Finanzamt ermittelt werden können, ob ein notariell beurkundeter Treuhandvertrag zwischen den Angeklagten bezüglich der Anteile an der im Beschluss des Landgerichts genannten GmbH besteht. Dieser Aufklärungsmöglichkeit stand auch nicht das Steuergeheimnis entgegen. Nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 lit. b) AO ist die Offenbarung der von einem Finanzbeamten als Amtsträger erlangten Kenntnisse zulässig, wenn sie - wie vorliegend - der Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer Steuerstraftat dient.

20

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

21

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

1. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

2. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Gegenstand des Verfahrens ist nunmehr noch die Frage, ob dem Beschwerdeführer die durch seine für erledigt erklärte Verfassungsbeschwerde entstandenen Auslagen zu erstatten sind.

2

Die Verfassungsbeschwerde betraf die Zurückweisung eines Antrags auf Vollstreckungsschutz für unbestimmte Zeit (§ 765a ZPO) gegen eine Zwangsräumung. Nachdem der neben dem Vollstreckungsschutzverfahren betriebenen Drittwiderspruchsklage des Beschwerdeführers rechtskräftig stattgegeben worden war, hat er die Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt und beantragt, die Auslagenerstattung anzuordnen (§ 34a Abs. 3 BVerfGG).

II.

3

Über die Erstattung der dem Beschwerdeführer durch die Verfassungsbeschwerde entstandenen Auslagen hat gemäß § 93d Abs. 2 Satz 1 BVerfGG die Kammer zu entscheiden. Der Maßstab für diese Entscheidung ergibt sich aus § 34a Abs. 3 BVerfGG (vgl. BVerfGE 85, 109 <114>). Danach ist die Entscheidung nach Billigkeitsgesichtspunkten zu treffen.

4

Dabei kommt insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 f.>; 87, 394 <397>). Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, kann - soweit keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind - davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In diesem Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und sie zu verpflichten, die Auslagen des Beschwerdeführers in gleicher Weise zu erstatten, wie wenn der Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (vgl. BVerfGE 87, 394 <397>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16. März 2004 - 1 BvR 1778/01 -, juris, Rn. 5).

5

Eine Erstattung aus Billigkeitsgesichtspunkten kommt auch dann in Betracht, wenn die Verfassungsbeschwerde bei überschlägiger Beurteilung offensichtlich Aussicht auf Erfolg gehabt hätte und wenn im Rahmen der kursorischen Prüfung zu verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen nicht Stellung genommen zu werden braucht. Dies ist der Fall, wenn die Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde unterstellt werden kann und wenn die verfassungsrechtliche Lage bereits geklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 1954/11 -, juris, Rn. 18; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 22. Januar 2013 - 1 BvR 367/12 -, juris, Rn. 2).

6

Nach diesen Maßstäben entspricht es der Billigkeit, die Erstattung der dem Beschwerdeführer durch die Verfassungsbeschwerde entstandenen Auslagen anzuordnen. Zwar hat die öffentliche Gewalt die angegriffenen Entscheidungen nicht von sich aus beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abgeholfen. Es stellt keine Abhilfe in diesem Sinne dar, dass der Drittwiderspruchsklage stattgegeben wurde, denn in diesem Verfahren war die Frage, ob die Räumungsvollstreckung eine mit den Grundrechten nicht vereinbare sittenwidrige Härte darstellt, weder zu prüfen noch zu entscheiden. Die Verfassungsbeschwerde hatte aber bei kursorischer Prüfung offensichtlich Aussicht auf Erfolg. Die verfassungsrechtliche Lage ist geklärt.

7

Die zulässige Verfassungsbeschwerde war offensichtlich begründet.

8

Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet die Vollstreckungsgerichte, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Eine unter Beachtung dieser Grundsätze vorgenommene Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und - in absoluten Ausnahmefällen - auf unbestimmte Zeit einzustellen ist. Ergibt die erforderliche Abwägung, dass die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als die Belange, deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahmen dienen sollen, so kann ein gleichwohl erfolgender Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen (vgl. BVerfGE 52, 214 <219>; BVerfGK 6, 5 <10> m.w.N.).

9

Nach diesen Maßstäben sind die angegriffenen Entscheidungen mit dem Grundrecht des am 1. Februar 1913 geborenen Beschwerdeführers auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) offensichtlich unvereinbar. Eine die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts in gebotenem Maß berücksichtigende Abwägung haben die Fachgerichte nicht vorgenommen. Weder das Amtsgericht noch das Landgericht setzen sich mit der in dem vorgelegten Attest einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 28. Dezember 2011 enthaltenen Prognose auseinander, dass bei Patienten dieses Alters allein ein Umgebungswechsel ein lebensbedrohliches Zustandsbild auslösen könne. Das Alter des Beschwerdeführers, die ihm bescheinigte Erkrankung und der Umstand, dass er ständig von zwei Pflegekräften betreut wird, ließen ferner schon für sich genommen darauf schließen, dass sich ein Umzug in erheblichem Maße auf seinen Gesundheitszustand auswirken werde. Weder haben die Gerichte Anlass gesehen, dies weiter aufzuklären, noch haben sie es bei der Abwägung in gebotenem Maße berücksichtigt. Auch die Begründung des Landgerichts, eine Verlängerung des Räumungsaufschubs sei nicht möglich, weil Bemühungen um Erlangung von Ersatzwohnraum nicht vorgetragen worden seien, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.

III.

10

Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 36).

(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.

(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.