Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 09. Mai 2017 - 1 BvR 943/17
Gericht
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
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Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Sozialversicherungswahlen 2017, konkret die Zurückweisung der Vorschlagsliste "Freie Liste …" (früher: "Freie Liste Initiative gegen Altersarmut - IgA") für die Wahl zur Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund).
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1. Annahmegründe für die Verfassungsbeschwerde (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor. Sie ist unzulässig. So ist der Rechtsweg nicht erschöpft; dies gilt unabhängig davon, ob man die Verfassungsbeschwerde auf die Entscheidungen des Wahlausschusses und des Bundeswahlausschusses sowie das diesbezügliche sozialgerichtliche Verfahren in der Hauptsache oder auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bezieht. In der Hauptsache ist das Verfahren noch in erster Instanz anhängig, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes liegt nur die Entscheidung des Sozialgerichts vor.
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Gründe für eine Vorabentscheidung auf der Grundlage von § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sind vom Beschwerdeführer nicht hinreichend dargetan und im Übrigen nicht ersichtlich. Der Verweis auf den nahen Wahltermin (Ende Mai 2017) und die mit der weiteren Durchführung der Wahl verbundenen Kosten sind hierfür nicht ausreichend; sonst müssten auch entsprechende Gesichtspunkte für nahezu jede im Vorfeld einer Wahl erhobene Verfassungsbeschwerde gelten. Wollte man dies ausreichen lassen, würden sowohl die grundsätzlich enge Begrenzung des Ausnahmetatbestandes aus § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG (vgl. hierzu BVerfGE 22, 349 <355>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2009 - 1 BvR 2436/09 -, juris, Rn. 10) als auch die aus § 57 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) ersichtliche gesetzliche Konzeption, nach der Rechtsschutz im Wahlverfahren - abgesehen von den einstweiligen Anordnungen nach § 57 Abs. 5 SGB IV - grundsätzlich nachträglich zu gewähren ist, weitgehend obsolet. Vorliegend erscheint zudem eine weitere fachgerichtliche Aufklärung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht - etwa hinsichtlich der Entscheidung der Wahlorgane, bei bekanntem Geburtsdatum auf die Angabe der Versicherungsnummer seitens der Unterstützer anderer freier Listen zu verzichten, und deren Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Beschwerdeführers als Listenvertreter (§§ 16 f. der Wahlordnung für die Sozialversicherung) einer aus anderen Gründen nicht zugelassenen Liste - sachgerecht und notwendig, bevor beurteilt werden kann, ob und gegebenenfalls welche verfassungsrechtlichen Fragen sich stellen.
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Überdies hat der Beschwerdeführer eine Verletzung in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten - auch in seiner Eigenschaft als Vertreter einer Vorschlagsliste - nicht hinreichend substantiiert dargetan. Der Sachverhalt ist der Begründung der Verfassungsbeschwerde selbst nicht hinreichend zu entnehmen. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes, sich die notwendigen Informationen aus pauschal in Bezug genommenen Unterlagen herauszusuchen. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer, der die Verletzung von Art. 20 und Art. 38 GG und von "grundlegenden Wahlrechtsgrundsätzen" rügt, die Möglichkeit einer Verletzung in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten und allgemein von spezifischem Verfassungsrecht nicht hinreichend substantiiert dargetan.
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2. Der Antrag auf einstweilige Anordnung im Sinne von § 32 BVerfGG kann keinen Erfolg haben. Er wird mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG). Er war überdies als solcher unzulässig.
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Zunächst wahrt er den auch für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung geltenden Grundsatz der Subsidiarität nicht. Der Beschwerdeführer hat die im fachgerichtlichen Rechtsschutzsystem zur Verfügung stehenden Mittel einstweiligen Rechtsschutzes nicht erschöpft (vgl. zu diesem Erfordernis zuletzt BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. April 2017 - 1 BvQ 13/17 -, juris, Rn. 2). Gründe, warum ihm dies nicht zugemutet werden könnte, hat der Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert dargetan.
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Im Übrigen muss ein Antragsteller, wenn er vorab einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellt, dartun, dass nachfolgend ein korrespondierender Hauptsacheantrag gestellt werden könnte, der nicht von vorneherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Oktober 2013 - 1 BvQ 44/13 -, juris, Rn. 2). Er muss daher die zur hinreichenden Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde notwendigen Ausführungen im Wesentlichen schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes machen. Insoweit führte das ungenügende Vorbringen des Beschwerdeführers zur Unzulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens.
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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Annotations
(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung.
(2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,
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soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, - b)
wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht.
(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.
(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.
(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.
(1) Gegen Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen, sind nur die in dieser Vorschrift, in § 48b Absatz 3, § 48c Absatz 3 Satz 1 und in der Wahlordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe zulässig.
(2) Die in § 48 Absatz 1 genannten Personen und Vereinigungen, der Bundeswahlbeauftragte und der zuständige Landeswahlbeauftragte können die Wahl durch Klage gegen den Versicherungsträger anfechten.
(3) Die Klage kann erhoben werden, sobald öffentlich bekannt gemacht ist, dass eine Wahlhandlung unterbleibt, oder sobald ein Wahlergebnis öffentlich bekannt gemacht worden ist. Die Klage ist spätestens einen Monat nach dem Tage der öffentlichen Bekanntmachung des endgültigen Wahlergebnisses bei dem für den Sitz des Versicherungsträgers zuständigen Sozialgericht zu erheben. Ein Vorverfahren findet nicht statt.
(4) Die Klage ist unzulässig, soweit von dem Recht, gegen eine Entscheidung des Wahlausschusses den hierfür vorgesehenen Rechtsbehelf einzulegen, kein Gebrauch gemacht worden ist.
(5) Während des Wahlverfahrens kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn ein Wahlverstoß vorliegt, der dazu führen würde, dass im Wahlanfechtungsverfahren die Wahl für ungültig erklärt wird.
(6) Hat das Gericht eine Entscheidung nach § 131 Absatz 4 des Sozialgerichtsgesetzes getroffen, kann es auf Antrag eine einstweilige Anordnung hinsichtlich der personellen Besetzung der Selbstverwaltungsorgane erlassen.
(7) Beschlüsse, die ein Selbstverwaltungsorgan bis zu dem Zeitpunkt einer Entscheidung nach § 131 Absatz 4 des Sozialgerichtsgesetzes getroffen hat, bleiben wirksam.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.
(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.
(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
(2) Die einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Bei besonderer Dringlichkeit kann das Bundesverfassungsgericht davon absehen, den am Verfahren zur Hauptsache Beteiligten, zum Beitritt Berechtigten oder Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(3) Wird die einstweilige Anordnung durch Beschluß erlassen oder abgelehnt, so kann Widerspruch erhoben werden. Das gilt nicht für den Beschwerdeführer im Verfahren der Verfassungsbeschwerde. Über den Widerspruch entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach mündlicher Verhandlung. Diese muß binnen zwei Wochen nach dem Eingang der Begründung des Widerspruchs stattfinden.
(4) Der Widerspruch gegen die einstweilige Anordnung hat keine aufschiebende Wirkung. Das Bundesverfassungsgericht kann die Vollziehung der einstweiligen Anordnung aussetzen.
(5) Das Bundesverfassungsgericht kann die Entscheidung über die einstweilige Anordnung oder über den Widerspruch ohne Begründung bekanntgeben. In diesem Fall ist die Begründung den Beteiligten gesondert zu übermitteln.
(6) Die einstweilige Anordnung tritt nach sechs Monaten außer Kraft. Sie kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden.
(7) Ist ein Senat nicht beschlußfähig, so kann die einstweilige Anordnung bei besonderer Dringlichkeit erlassen werden, wenn mindestens drei Richter anwesend sind und der Beschluß einstimmig gefaßt wird. Sie tritt nach einem Monat außer Kraft. Wird sie durch den Senat bestätigt, so tritt sie sechs Monate nach ihrem Erlaß außer Kraft.
(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.
(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.
(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.