Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 07. Feb. 2018 - 1 BvR 442/15

ECLI:ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20180207.1bvr044215
bei uns veröffentlicht am07.02.2018

Tenor

1. Das Urteil des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 29. Januar 2015 - 4 U 81/14 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes und wird aufgehoben. Die Sache wird an das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken zurückverwiesen.

2. Das Land Rheinland-Pfalz hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine zivilgerichtliche Entscheidung, die die Beschwerdeführerin in die Kosten eines Rechtsstreits über den Abdruck einer Gegendarstellung verurteilt. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihrer Pressefreiheit.

2

1. Die Beschwerdeführerin ist Verlegerin der Zeitschrift "Woche der Frau". Auf der Titelseite der Ausgabe vom 29. Februar 2012 veröffentlichte sie die Meldung:

J. - Sterbedrama um seinen besten Freund - Hätte er ihn damals retten können?

3

Der zugehörige Artikel im Innenteil stellte dar, dass ein ehemaliger Klassenkamerad des Moderators J. im Jahr 1982 einen tödlichen Herzinfarkt erlitten hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte zwischen J. und seinem Freund bereits seit längerem kein Kontakt mehr bestanden, was der Beschwerdeführerin auch bekannt war.

4

2. Im Zuge eines von J. betriebenen Verfahrens der einstweiligen Verfügung verurteilten das Landgericht F. (P.) und letztinstanzlich das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken die Beschwerdeführerin antragsgemäß zum Abdruck der folgenden Gegendarstellung, wobei die Größe des Wortes "Gegendarstellung" der Größe der Schrift der Worte "Sterbedrama um seinen besten Freund" und der Text der Gegendarstellung im Übrigen der Schriftgröße der Zeile "Hätte er ihn damals retten können?" zu entsprechen hatten:

Gegendarstellung

Auf der Titelseite von "Woche der Frau" vom 29. Februar 2012 schreiben Sie über mich:

"J. - Sterbedrama um seinen besten Freund - Hätte er ihn damals retten können?"

Hierzu stelle ich fest:

Ich hatte keine Möglichkeit, meinen Freund zu retten, da er aufgrund einer Erkrankung verstorben ist, auf die ich keinerlei Einfluss hatte.

Potsdam, den 9. März 2012

J.

5

3. Auf eine erste Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin hin hob das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen auf und verwies die Sache an das Landgericht F. (P.) zurück. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten die Pressefreiheit der Beschwerdeführerin, da die Fachgerichte sich nicht in einer den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 GG genügenden Weise mit der Einordnung des Fragesatzes auf der Titelseite auseinandergesetzt hätten; insbesondere damit, ob er eine gegendarstellungsfähige Tatsachenbehauptung enthalte (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2013 - 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13 -, NJW 2014, S. 766).

6

4. Da die Beschwerdeführerin zwischenzeitlich die Gegendarstellung abgedruckt hatte, erklärte der Verfügungskläger J. das vor dem Landgericht fortgesetzte Ausgangsverfahren für erledigt. Die Beschwerdeführerin widersprach der Erledigterklärung. Mit Endurteil vom 15. April 2014 wies das Landgericht den Antrag des Verfügungsklägers auf Feststellung der Erledigung ab, da die Voraussetzungen für den Abdruck der Gegendarstellung bei zutreffender Beurteilung nicht vorgelegen hätten.

7

Auf die Berufung des Verfügungsklägers erkannte das Oberlandesgericht mit dem angegriffenen Urteil vom 29. Januar 2015 auf Feststellung der Erledigung des einstweiligen Verfügungsverfahrens und erlegte der Beschwerdeführerin die Kosten auf. Zur Begründung führte das Oberlandesgericht aus, die beanstandete Titelmeldung "J. - Sterbedrama um seinen besten Freund - Hätte er ihn damals retten können?" beinhalte für den durchschnittlichen Leser der Zeitschrift "Woche der Frau" bei der gebotenen Deutung der Äußerung in ihrer Gesamtheit eine eigenständige Tatsachenbehauptung, die bereits ohne den Beitrag im Heftinneren aus sich heraus verständlich sei. Bei der Sinndeutung sei zu beachten, dass die Meldung einen Fragesatz enthalte. Echte Fragen, von denen im Zweifel auszugehen sei, stünden Werturteilen gleich, da sie nicht an den Kriterien von Wahrheit und Unwahrheit gemessen werden könnten. Davon abzugrenzen seien rhetorische Fragen, die nicht auf eine Antwort durch einen Dritten gerichtet oder nicht für verschiedene Antworten offen seien. Diese könnten sich als Ergebnis einer kontextbezogenen Deutung als in Frageform gekleidete Äußerung mit dem Substrat einer Tatsachenbehauptung erweisen. So liege es hier, denn das Aufwerfen der Frage nach einer Rettungsmöglichkeit von J. könne nur im Zusammenspiel mit der vorangestellten plakativen Aussage zum "Sterbedrama" gedeutet werden. Der verständige Titelseitenleser begreife die Frage nicht als von vornherein völlig sinnfrei gestellt. Damit dränge sich ihm als unabweisbare tatsächliche Schlussfolgerung auf, dass der Verfügungskläger zur Zeit des "Sterbedramas" noch immer in einer Nähebeziehung zu dem verstorbenen Freund gestanden habe und dass er in das "dramatische" Geschehen um dessen Tod selbst irgendwie einbezogen gewesen sei.

8

Die Titelzeilenmitteilung erwecke bereits für sich gesehen den Eindruck, es existierten in ihr angedeutete, aber noch nicht näher mitgeteilte tatsächliche Umstände, welche nachvollziehbaren Anlass für die Fragestellung böten, ob der Verfügungskläger bei Einschlagen eines von mehreren für ihn "damals" offenen Handlungswegen den Tod seines Freundes habe verhindern können. Um zu erkennen, dass die auf dem Titel aufgeworfene Frage bar jeden tatsächlichen Anhalts "aus der Luft gegriffen" sei, müsse der Artikel erst gelesen werden, was bei Titelseitenlesern aber nicht der Fall sei. Die Titelzeilenmitteilung sei eine Äußerung mit so viel tatsächlichem Gehalt, dass dieser gegendarstellungsfähig sei. Wolle man zudem solche Fragen auf Titelseiten als "echte" Fragen privilegieren, liege darin eine Überschreitung der dem Fragezeichen- beziehungsweise Spekulationsjournalismus durch das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen gesetzten Grenzen. Der Anspruch auf Gegendarstellung stelle insoweit eine "Waffengleichheit" her, ohne dass von ihm eine weitergehende Sanktionswirkung ausgehe.

9

Die Voraussetzungen eines Gegendarstellungsanspruchs nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 Landesmediengesetz (LMG) Rheinland-Pfalz lägen im Übrigen ebenso vor wie die Voraussetzungen einer Titelseitengegendarstellung, die dem Grundsatz der Waffengleichheit geschuldet sei.

10

5. In ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit. Unzutreffend sei das Oberlandesgericht von einer verdeckten Tatsachenbehauptung ausgegangen. Ein Anspruch auf Gegendarstellung komme bei verdeckten Behauptungen nur in Betracht, wenn die Äußerung den Leser unabweisbar zu einem konkreten Verständnis zwinge. Dies sei nicht der Fall, da der Fragesatz "Hätte er ihn retten können?" mit allen Antwortmöglichkeiten von + bis - und Möglicherweise beantwortet werden könne und als Ankündigung des Artikels im Innenteil zu verstehen sei.

11

6. Der Verfügungskläger hat sich zu der Verfassungsbeschwerde geäußert. Er hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die Landesregierung Rheinland-Pfalz hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

12

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

13

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Ihr fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Trotz Feststellung der Erledigung der Hauptsache durch das angegriffene Urteil nach Abdruck der Gegendarstellung besteht ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin an der Klärung der Rechtmäßigkeit der ursprünglich streitgegenständlichen Gegendarstellung (vgl. insoweit bereits BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2013 - 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13 -, NJW 2014, S. 766 <767>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. September 2003 - 1 BvR 825/99 -, NJW 2004, S. 1235).

14

2. Die Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

15

a) Der Schutzbereich der Pressefreiheit ist betroffen. Im Zentrum des Schutzes des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG steht die Freiheit der Gründung und Gestaltung von Presseerzeugnissen. Die Gestaltungsfreiheit wird sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht gewährleistet und umfasst sowohl die Bestimmung, welche Themen behandelt und welche Beiträge in eine Ausgabe aufgenommen werden sollen, als auch die Entscheidung über die äußere Darbietung der Beiträge sowie ihre Platzierung innerhalb der Ausgabe. Der Schutz der Pressefreiheit erstreckt sich auch auf das Titelblatt einer Publikation (vgl. BVerfGE 97, 125 <144>).

16

b) Die Verpflichtung zum Abdruck von Gegendarstellungen auf dem Titelblatt der Zeitschrift der Beschwerdeführerin beeinträchtigt diese in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit. Angesichts der besonderen Bedeutung, die dem Titelblatt von Zeitschriften zukommt, ist eine solche Beeinträchtigung regelmäßig als schwerwiegend anzusehen (vgl. BVerfGE 97, 125 <145>). Das Titelblatt prägt die Identität eines Publikationsorgans unter der Vielzahl der Presseerzeugnisse und dient dem Leser als Erkennungsmerkmal. Überdies enthält es diejenigen Mitteilungen, die den für das Presseerzeugnis Verantwortlichen aus publizistischen oder werbestrategischen Gründen besonders wichtig erscheinen. Auf die drucktechnische und grafische Gestaltung des Titelblatts wird deswegen erhöhte Sorgfalt verwandt. Das gilt besonders für Zeitungen und Zeitschriften, die weniger im Abonnement als im freien Verkauf abgesetzt werden und deswegen mit jeder Ausgabe neu um das Interesse des Publikums werben müssen (BVerfGE 97, 125 <144>).

17

c) Die Beeinträchtigung der Pressefreiheit ist nicht gerechtfertigt. Indem das Oberlandesgericht die Grundrechtsschranke des § 11 LMG Rheinland-Pfalz in einer Weise ausgelegt hat, die dem Verfügungskläger einen Gegendarstellungsanspruch zuspricht, hat es den Anwendungsbereich der Vorschrift überdehnt. Damit hat es Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit nicht hinreichend beachtet.

18

aa) Gegendarstellungsfähig ist nach § 11 Abs. 1 Satz 1 LMG Rheinland-Pfalz eine Tatsache, die die Presse zuvor behauptet hat. Im Blick auf die Abhängigkeit der Gegendarstellung von der Erstmitteilung verlangt die Pressefreiheit, dass die Erstmitteilung bei Auslegung der Vorschrift in einer den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise gedeutet und eingeordnet wird. Die Pressefreiheit ist verletzt, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden müsste, der keine entsprechende Tatsachenbehauptung vorangegangen ist; ebenso liegt ein Verstoß gegen die Pressefreiheit vor, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden müsste, die von der gesetzlichen Grundlage nicht gedeckt ist, weil es sich bei der Erstmitteilung nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt (vgl. BVerfGE 97, 125 <150 f.>).

19

bb) Der vom Oberlandesgericht ermittelte Sinngehalt der Titelseitenüberschrift

J. - Sterbedrama um seinen besten Freund - Hätte er ihn damals retten können?

konnte hiernach keinen Gegendarstellungsanspruch begründen. Der Frage fehlt ein hinreichender tatsächlicher Gehalt.

20

(1) Dem Gegendarstellungsanspruch liegt nach der Entscheidung des Gesetzgebers die Struktur zugrunde, dass derjenige, der von einer Tatsachenbehauptung der Presse betroffen ist, dem Bericht mit einer eigenen Darstellung des tatsächlichen Geschehens entgegentreten kann (vgl. BVerfGE 97, 125 <146>; 63, 131 <142>; BVerfGK 13, 97 <105>). Eine Ausdehnung der Gegendarstellung über diesen Rahmen hinaus - etwa auf die Äußerungen von Meinungen durch die Presse - wird von diesem Recht nicht erfasst (vgl. BVerfGE 97, 125 <147>). Das Gegendarstellungsrecht ist damit vom Gesetzgeber als ein spezifisch begrenztes Instrument ausgestaltet. Es soll Betroffenen die Möglichkeit geben, Tatsachenbehauptungen, die über sie verbreitet werden, unmittelbar inhaltlich entgegen zu treten und damit deren Wahrheitsgehalt in Frage zu ziehen. Dabei handelt es sich um ein Schutzinstrument, das bewusst unabhängig von der Wahrheit der Tatsachenbehauptungen und damit grundsätzlich unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit der Äußerung gewährt wird. Es ist damit nicht als Sanktionsinstrument ausgestaltet, das materiell vor unberechtigten Äußerungen schützen soll, sondern hat die spezifische Funktion, einer Verfestigung von bestimmten inhaltlichen Tatsachenbehauptungen in der Öffentlichkeit dadurch entgegenzuwirken, dass den Betroffenen eine andere Darstellung dieser Tatsachen ermöglicht wird. Der Betroffene soll so die Möglichkeit bekommen, die Frage der Wahrheit vorläufig in die Schwebe zu bringen (vgl. BVerfGE 97, 125 <148>; BVerfGK 13, 97 <105 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2001 - 1 BvQ 35/01 -, NJW 2002, S. 356 <357>). Die Frage, welche Darstellung letztlich die Wahrheit auf ihrer Seite hat und wieweit ein Betroffener erzwingen kann, dass der Äußernde von seiner Äußerung inhaltlich abzurücken oder sie zukünftig zu unterlassen hat, ist dann erforderlichenfalls in anderen Verfahren, etwa im Rahmen einer Unterlassungs- oder Widerrufsklage, zu klären. Aus dieser spezifisch begrenzten Funktion erhält das Darstellungsrecht seine Konturen, von ihr aus ist auch prozessrechtlich dessen Durchsetzung bestimmt.

21

(2) Diese vom Gesetzgeber vorgegebene Struktur des Gegendarstellungsrechts wird verlassen, wenn das Oberlandesgericht in eine offene Aufmacherfrage die verdeckte Tatsachenbehauptung hineininterpretiert, dass für das Aufwerfen der Frage hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte bestünden. Indem damit die gesetzlichen Grenzen des Gegendarstellungsrechts gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 LMG Rheinland-Pfalz überzogen werden, fehlt es für die Auferlegung des Abdrucks einer Gegendarstellung in Blick auf die Pressefreiheit an einer rechtfertigenden Grundlage.

22

Allerdings ist von Verfassungs wegen unbedenklich, dass ein Gegendarstellungsverlangen in Anknüpfung an verdeckte Tatsachenbehauptungen gewährt werden kann. Hierzu muss sich die verdeckte Aussage dem verständigen Leser als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängen, die dann gegendarstellungsfähig ist (vgl. BVerfGK 13, 97 <102 ff.>). Ergibt eine den Maßgaben der Pressefreiheit genügende Sinnermittlung der Ausgangsmitteilung, dass sich dem verständigen Empfänger aus dem Gesamtzusammenhang einer Presseberichterstattung ein bestimmter Eindruck unabweisbar aufdrängt, so kann hiergegen auch eine Eindrucksgegendarstellung zulässig sein. Voraussetzung ist freilich, dass sich der Eindruck auf bestimmte Tatsachen bezieht (vgl. HansOLG, Urteil vom 26. September 2000 - 7 U 73/00 -, NJW-RR 2001, S. 186 <187>; OLG München, Beschluss vom 8. März 2017 - 18 W 370/17 -, AfP 2017, S. 322 <323>; OLG Dresden, Beschluss vom 12. Juli 2017 - 4 W 558/17 -, juris, Rn. 6 ff.; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. November 1992 - 1 BvR 708/92 -, NJW 1993, S. 1461 <1462> - zu Art. 103 Abs. 1 GG).

23

Auch Gegendarstellungen, die an Fragen anknüpfen, sind unter Umständen von Verfassungs wegen nicht ausgeschlossen. Allerdings stehen Fragen unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit in der Regel Werturteilen gleich. Sind sie auf die Ermittlung von Wahrheit oder Unwahrheit gerichtet und offen für verschiedene Antworten (vgl. BVerfGE 85, 23 <32>), sind sie nicht gegendarstellungsfähig, denn Tatsachen werden dann gerade nicht behauptet, sondern allenfalls gesucht. Anders kann dies allerdings dann liegen, wenn mit einer Frage bei verständiger Auslegung eigenständig auch bestimmte Tatsachenbehauptungen verbreitet werden. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG an die Sinnermittlung entsprechen insoweit denen der Eindrucksgegendarstellung.

24

Allein der Eindruck, dass für das Aufwerfen einer inhaltlich offenen Aufmacherfrage irgendein Anlass bestehen müsse, genügt danach zur Annahme einer gegendarstellungsfähigen Tatsachenbehauptung nicht. Jede Frage enthält, indem sie sich auf einen bestimmten Gegenstand bezieht, kraft ihres Gestelltwerdens ausgesprochen oder unausgesprochen Annahmen tatsächlicher oder wertender Art über ihren Gegenstand (vgl. BVerfGE 85, 23 <32>). Hierzu mag auch die - der Deutung des Oberlandesgerichts zugrunde liegende - Annahme zählen, dass eine Frage nicht sinnfrei gestellt ist. In dem diffusen Hervorrufen einer solchen Annahme liegt jedoch nicht die Verbreitung einer eigenständigen Information mit einem bestimmten Inhalt, dessen Wahrheitsgehalt im Sinne des Gegendarstellungsrechts vorläufig in die Schwebe gebracht werden könnte. Solche Aufmacherfragen können das Problem aufwerfen, ob oder wieweit die betroffenen Personen zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht werden dürfen, nicht aber geht es hierbei um die Frage der Wahrheit oder Unwahrheit bestimmter Aussagen.

25

Das spiegelt sich auch in der Schwierigkeit, einen als Gegendarstellung kongruenten Text für solche Fälle zu formulieren. Die Gegendarstellung, zu deren Abdruck die Beschwerdeführerin durch das der Kostenentscheidung zugrunde liegende Urteil verpflichtet wurde, verfehlt jedenfalls die diesbezüglichen Anforderungen. Die als Gegendarstellung formulierte Behauptung, dass der Kläger keine Möglichkeit gehabt habe, seinen Freund zu retten, trifft die Aufmacherüberschrift nicht. Denn dass der Kläger eine solche Möglichkeit gehabt habe, hatte die Beschwerdeführerin nie behauptet.

26

(3) Allerdings kann ein Schutzbedürfnis hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch gegenüber Aufmacherfragen bestehen. Sofern diese - wie hier - keine bestimmten Tatsachenbehauptungen enthalten, ist dem Schutzbedürfnis der Betroffenen durch andere presserechtliche Institute Rechnung zu tragen. Der unberechtigten Erörterung ehrverletzender Fragen oder privater Angelegenheiten, auch in der Einkleidung von Aufmacherfragen, kann insbesondere mit der Unterlassungsklage entgegengetreten werden. Soweit insoweit Äußerungen in Frage stehen, die allein zur Steigerung des Umsatzes bewusst falsch oder bewusst ohne jede Berechtigung auf Kosten Dritter getroffen werden, kommt insoweit auch die Anerkennung einer Entschädigung in Betracht, die auch der Höhe nach so bemessen werden kann, dass diese zu einem wirksamen Schutz führt (vgl. BGHZ 128, 1 <12>; 160, 298 <307>; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. April 2017 - 1 BvR 2194/15 -, NJW-RR 2017, S. 879 <881>).

27

3. Das angegriffene Urteil, das die Erledigung des einstweiligen Verfügungsverfahrens feststellt und der Beschwerdeführerin die Kosten auferlegt, beruht auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern und ist aufzuheben. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.

28

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 5


(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Fi

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht


Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 34a


(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen ein

Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG | § 14 Rahmengebühren


(1) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermöge

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93c


(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsb

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Oberlandesgericht München Beschluss, 08. März 2017 - 18 W 370/17

bei uns veröffentlicht am 08.03.2017

Tenor 1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 23.02.2017, Az. 9 O 2680/17, abgeändert und folgende einstweilige Verfügung erlassen: Einstweilige Verfügung Der Antr

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(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Liegen die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 Buchstabe b vor und ist die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, kann die Kammer der Verfassungsbeschwerde stattgeben, wenn sie offensichtlich begründet ist. Der Beschluß steht einer Entscheidung des Senats gleich. Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 ausspricht, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt dem Senat vorbehalten.

(2) Auf das Verfahren finden § 94 Abs. 2 und 3 und § 95 Abs. 1 und 2 Anwendung.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 23.02.2017, Az. 9 O 2680/17, abgeändert und folgende einstweilige Verfügung erlassen:

Einstweilige Verfügung

Der Antragsgegnerin wird auferlegt, in dem gleichen Teil der Zeitschrift „d. a.“, in dem die Meldung „G. J. Erwischt! Nachts in P. …“ erschienen ist (Titelseite), unter Hervorhebung des Wortes „Gegendarstellung“ als Überschrift durch entsprechende drucktechnische Anordnung und Schriftart und -größe wie „G. J.“ in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Nummer ohne Einschaltungen und Weglassungen die folgende Gegendarstellung zu veröffentlichen, wobei der Fließtext die gleiche Schriftgröße und -art aufzuweisen hat wie das Wort „Januar“ (oben auf der Titelseite):

Gegendarstellung

Auf der Titelseite von „d. a.“ vom 28. Januar 2017 wird ein Foto von mir mit einer Frau veröffentlicht mit der Bildunterschrift:

„G. J.

Erwischt!

Nachts in P. …“

Hierzu stelle ich fest:

Das Foto zeigt mich beim Verlassen einer Museumseröffnung zwischen 18 Uhr und 19 Uhr neben einer Ehefrau eines Politikers, der mit uns die Veranstaltung verließ, aber nicht abgebildet wurde.

P., den ... 2017

G. J.

2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Verfügungsverfahrens tragen die Antragstellerin 1/4 und die Antragsgegnerin 3/4.

4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 30.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller verlangt im Wege der einstweiligen Verfügung eine Gegendarstellung.

Die Antragsgegnerin veröffentlichte auf der Titelseite der von ihr herausgegebenen Zeitschrift „d. a.“ Nr. 5 vom 28.1.2017 ein Foto des Antragstellers und einer nicht namentlich bezeichneten Frau mit der Bildunterschrift: "G. J. Erwischt! Nachts in P. …“. Wegen des genauen Inhalts dieser Titelseite wird auf die Anlage AST1 Bezug genommen.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 13.2.2017, der Beklagten zugegangen per Fax am selben Tag und mit Briefpost am 14.2.2017, forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin auf, zu erklären, dass sie die mit übersandte, vom Antragsteller unterzeichnete Gegendarstellung mit dem aus dem Tenor ersichtlichen Inhalt abdrucken werde (Anlagenkonvolut AST2). Mit Schriftsatz vom 20.2.2017, eingegangen am selben Tag, beantragte der Antragsteller, die Antragsgegnerin mit einstweiliger Verfügung zur Veröffentlichung dieser Gegendarstellung zu verpflichten. Wegen des genauen Inhalts und der Begründung des Verfügungsantrags wird auf Blatt 1/4 der Akten Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 23.2.2017 (Bl. 6/10 d.A.), dem Antragsteller zugestellt am 28.2.2017, wies das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück mit der Begründung, die angegriffene Darstellung lasse eine Vielzahl von Deutungsvarianten zu. Sie lege den vom Antragsteller bekämpften Eindruck dem Leser nicht als unabweisliche Schlussfolgerung nahe. Entsprechend sei die beantragte Gegendarstellung nicht kongruent zur Ausgangsbehauptung, auch in der vom Antragsteller dargestellten Deutungsvariante; sie erschöpfe sich vielmehr in der Aufzählung von Tatsachen, die dieser Auslegung entgegenstünden.

Mit Schriftsatz vom 27.2.2017, eingegangen am selben Tag, legte der Antragsteller gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde ein. Er bringt im Wesentlichen vor, die streitgegenständliche Äußerung lasse keine andere Deutung zu, als dass der Antragsteller mit „einer anderen Frau“ erwischt worden sei. Wahr sei jedoch der mit der Gegendarstellung behauptete Sachverhalt.

Mit Beschluss vom 2.3.2017 hat das Erstgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die nach § 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses und zum Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung.

Der Antragsteller kann von der Antragsgegnerin den Abdruck der streitgegenständlichen Gegendarstellung verlangen.

1. Nach Art. 10 Abs. 1 S. 1 BayPrG kann eine von einer Presseberichterstattung betroffene Person den darin mitgeteilten Tatsachen im Weg der Gegendarstellung ihre eigenen tatsächlichen Angaben entgegensetzen (vgl. Seitz/Schmidt, Der Gegendarstellungsanspruch, 4. Aufl., 5.136). Hierbei dürfen die für Unterlassungsansprüche geltenden Grundsätze für den Umgang mit mehrdeutigen Äußerungen nicht angewandt werden. Ein Anspruch auf Gegendarstellung besteht daher nicht schon dann, wenn eine nicht fernliegende Deutung bei der Ermittlung einer verdeckten Aussage einen gegendarstellungsfähigen Inhalt ergibt (BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 – 1 BvR 967/05 - NJW 2008, 1654). Insoweit gelten vielmehr die Grundsätze, die vom Bundesverfassungsgericht bei der Überprüfung eines Strafurteils oder von zivilrechtlichen Verurteilungen zu Schadensersatz, Entschädigung oder Berichtigung angewandt werden. Danach wird die Meinungsfreiheit verletzt, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zu einer Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher mit nachvollziehbaren Gründen Deutungen ausgeschlossen zu haben, welche die Verurteilung nicht zu rechtfertigen vermögen (vgl. BVerfGE 85, 1 86, 1; 93, 266; 94, 1).

2. Maßgeblich für die Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts der streitgegenständlichen Äußerung ist der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat.

a) Bei der Interpretation ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, der ihren Sinn aber nicht abschließend festlegt. Dieser wird vielmehr auch von dem Kontext bestimmt, in dem die umstrittene Äußerung steht, und von den Begleitumständen, unter denen sie fällt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind (BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91, NJW 1995, 3303/3305). Die begleitende Bildberichterstattung ist zur Interpretation der Wortberichterstattung mit heranzuziehen. Die Äußerung darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, Urteile vom 22.9.2009 – VI ZR 19/08; vom 3.2.2009 – VI ZR 36 /07; vom 16.11.2004 – VI ZR 298/03; vom 30.1.1996 – VI ZR 386, 94; vom 28.6.1994 – VI ZR 252/93). Fernliegende Deutungen sind auszuscheiden. Ist der Sinn unter Zugrundelegung dieses Maßstabs eindeutig, ist er der weiteren Prüfung zugrunde zu legen. Zeigt sich aber, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung als mehrdeutig wahrnimmt, oder verstehen erhebliche Teile des Publikums den Inhalt jeweils unterschiedlich, ist bei der weiteren Prüfung von einem mehrdeutigen Inhalt auszugehen (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98 Rnr. 31; vgl. auch BGH, Urteil vom 12.5.1987 – VI ZR 195/86).

Wenn die Titelseite - wie hier - eine eigenständige Tatsachenaussage enthält, die aus sich heraus, das heißt ohne den im Heftinneren stehenden Artikel, verständlich ist, kann diese auch ohne Rücksicht auf den Inhalt des Artikels angegriffen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.1.1998 - 1 BvR 1861/3, NJW 1998, 1381; Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage Rnr. 4.36). Bei der Interpretation ist daher der – hier nicht mitgeteilte - Inhalt des angekündigten Berichts auf Seite 20 der Zeitschrift in den Kontext nicht einzubeziehen.

b) Nach diesen Maßstäben hat die angegriffene Pressemitteilung folgenden Aussagegehalt: Die Mitteilung befindet sich in der rechten oberen Ecke des Titelblattes auf leuchtend blauem Grund. Darüber ist ein etwa 4 x 6 cm großes Foto abgedruckt, das den Antragsteller neben einer blonden Frau zeigt, bei der es sich nicht um die - aus zahlreichen illustrierten Presseberichten dem Aussehen nach bekannte – Ehefrau des Antragstellers handelt. Der Antragsteller trägt ein dunkles Sakko, eine dunkle Hose und eine gemusterte Krawatte zu weißem Hemd und hat ein weiteres, dunkles Kleidungsstück über den linken Arm gelegt. Die Frau ist in einem kurzen weißen Mantel zu sehen, den sie mit der linken Hand über der Brust zusammenhält, und trägt in der rechten Hand eine helle Tragetasche. Die beiden abgebildeten Personen stehen nebeneinander vor einem undefinierten hellen Hintergrund und blicken mit unverkennbar erschrockenem Gesichtsausdruck ungefähr in Richtung des Fotografen. Darunter befindet sich folgender Text:

G. J.

Erwischt!

Nachts in P. …

Seite 20

Die Worte „G. J.“ und „Erwischt!“ sind in gelber Schrift abgefasst, das Wort „Erwischt!“ etwa doppelt so groß wie der Name. Der übrige Text ist in weißer Schrift in mittlerer Größe abgedruckt. Der Text entspricht in Farbe, Größe und graphischer Gestaltung der darunter befindlichen, ebenfalls mit einem kleinen Foto illustrierten Meldung „Königin S. Krebs-Schock! M. ist bei ihr“.

Die Aussagen „Erwischt! Nachts in P. …“ werden vom maßgeblichen Leserpublikum, dem Titelseiten- und Kioskleser, unter Berücksichtigung der zugehörigen Bildberichterstattung naheliegend nur so verstanden, dass der Antragsteller in einer Nacht, d.h. jedenfalls deutlich nach 20 Uhr, allein mit der abgebildeten Frau zusammen war und dieses Zusammentreffen geheim halten wollte, dabei jedoch von dem Fotografen, der das beigefügte Bild aufgenommen hat, ertappt wurde. Zwar wird nicht ausgesprochen, wobei genau der Antragsteller und die Frau „erwischt“ wurden. Jedoch versteht der maßgebliche Leser das optisch deutlich hervorgehobene Wort „Erwischt!“ so, dass es sich bei dem auf dem Foto abgebildeten Zusammentreffen um ein solches handelte, das der Antragsteller nicht nur zur Wahrung seiner Privatsphäre geheim halten wollte, sondern auch weil es als moralisch anstößig gelten und bei Bekanntwerden sein Ansehen in der Öffentlichkeit, seine Ehe und/oder sein Familienleben beeinträchtigen könnte. Dies drängt sich dem maßgeblichen verständigen Leser schon deshalb als unabweisbare Schlussfolgerung auf, weil das Verbum „erwischen“ in erster Linie verwendet wird in der Bedeutung „nach einem Vergehen oder Ähnlichem fassen, bei einem Vergehen oder Ähnlichem ertappen“ (www.d...de), und wird verstärkt durch die Aussage, dass das Ereignis nachts stattgefunden habe. Dagegen, dass hier lediglich mitgeteilt werden soll, man habe den Antragsteller gerade noch angetroffen oder unverhofft zu fassen bekommen (weitere Wortbedeutung, vgl. www.d...de), spricht sowohl der auf dem beigefügten Foto erkennbare Gesichtsausdruck des Antragstellers und seiner Begleiterin, der sich nicht allein mit der Tatsache erklären lässt, dass die beiden Personen unerwartet fotografiert wurden, als auch die hervorgehobene Stellung der Nachricht, die eine sensationelle Meldung in dem angekündigten Artikel auf „Seite 20“ erwarten lässt.

Fernliegend, und damit bei der weiteren Prüfung außer Betracht zu lassen, ist deshalb die mit der Gegendarstellung übereinstimmende Interpretationsvariante, dass der Antragsteller bei einem gesellschaftlichen Ereignis in P. fotografiert wurde, das er mit mehreren anderen Personen besuchte. Die auf dem Foto erkennbare Kleidung des Antragstellers und seiner Begleiterin ist entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht so festlich oder „formal“, dass sie für das private Treffen eines Paares zu zweit ungeeignet erscheint, sondern gehobene Straßenkleidung. Auch wäre der triumphierende Ausruf „Erwischt!“ unverständlich, wenn der Antragsteller in großer Gesellschaft, erst recht in öffentlichem Rahmen, angetroffen worden wäre. Es ist nicht davon auszugehen, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung als in dieser Weise mehrdeutig wahrnimmt oder erhebliche Teile des Publikums den Inhalt in dieser Weise verstehen. Das Landgericht hat selbst nicht ausgeführt, welche „beliebig viele“ weitere Deutungsvarianten es für möglich hält.

3. Anders als das Landgericht meint, hat der Antragsteller der in der Gegendarstellung wiedergegebenen Ausgangsmitteilung richtigerweise die Behauptungen entgegengesetzt, das Foto zeige ihn, als er

– zusammen mit einem Politiker und dessen Frau

– eine Museumseröffnung verlassen habe,

– und zwar zwischen 18 und 19 Uhr.

Damit hat der Antragsteller ausreichend, aber ohne geschwätzig zu sein, den in der Ausgangsmitteilung enthaltenen Behauptungen widersprochen, er sei fotografiert worden, als er

– allein mit einer Frau

– heimlich zusammen gewesen sei,

– und zwar nachts.

4. Allerdings konnte dem Abdruckverlangen des Antragstellers nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang entsprochen werden, denn eine Verpflichtung zum Abdruck der Überschrift und des Textes der Gegendarstellung in derselben Schriftgröße wie das Wort „Erwischt!“ würde Art. 10 Abs. 2 S. 3 BayPrG widersprechen und die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Pressefreiheit der Antragsgegnerin verletzen. In der Verpflichtung zum Abdruck von Gegendarstellungen in einer näher bestimmten Aufmachung auf dem Titelblatt von Zeitschriften liegt regelmäßig eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Pressefreiheit. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt zwar nicht, Titelblätter von Gegendarstellungen freizuhalten. Den Belangen der Pressefreiheit muss aber u.a. dadurch Rechnung getragen werden, dass die Titelseite durch Umfang und Aufmachung der Gegendarstellung nicht ihre Funktion verliert, eine Identifizierung des Blattes zu ermöglichen, die als besonders wichtig erachteten Mitteilungen aufzunehmen und das Interesse des Publikums zu erregen (BVerfG, Beschluss vom 14.1.1998 – 1 BvR 1861/93 –, BVerfGE 97, 125-156). Dies ist durch die vorliegend ausgesprochene Abdruckanordnung gewährleistet, die gleichzeitig sicherstellt, dass die Gegendarstellung insgesamt nur geringfügig größer ausfällt als die beanstandete Erstmitteilung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Senat veranschlagt das Unterliegen des Antragstellers hinsichtlich der Schriftgröße von Überschrift und Text der Gegendarstellung mit einem Viertel.

Die Festsetzung des Streitwerts des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 53 Abs. 1 Nr. 1, § 47 GKG, § 3 ZPO.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.

(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.

(1) Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

(2) Ist eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr anzurechnen, ist die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen.

(3) Im Rechtsstreit hat das Gericht ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer einzuholen, soweit die Höhe der Gebühr streitig ist; dies gilt auch im Verfahren nach § 495a der Zivilprozessordnung. Das Gutachten ist kostenlos zu erstatten.