Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 19. Sept. 2017 - 1 BvR 1928/17

ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2017:rk20170919.1bvr192817
published on 19/09/2017 00:00
Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 19. Sept. 2017 - 1 BvR 1928/17
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Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie ist unzulässig, weil sie dem Grundsatz der Subsidiarität nicht genügt.

2

1. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität aus § 90 Abs. 2 BVerfGG (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>) müssen vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um die jeweils geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen. Werden mit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine fachgerichtliche Eilentscheidung ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt, die sich auf die Hauptsache beziehen, bietet das Verfahren der Hauptsache regelmäßig die Chance, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen. Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz kommen daher als Gegenstand der Verfassungsbeschwerde regelmäßig nur in Betracht, soweit sie eine selbständige verfassungsrechtliche Beschwer enthalten, die sich nicht mit derjenigen durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache deckt (vgl. BVerfGE 77, 381 <400 f.>; 79, 275 <278 f.>; 104, 65 <70 f.>; stRspr).

3

2. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt keine hinreichend substantiierte Rüge einer eigenständigen Beschwer durch die Eilentscheidung des Finanzgerichts erkennen. Insbesondere erschließt sich nicht, welche Beschwer gerade durch die gerichtliche Entscheidung zur Aussetzung des sofortigen Vollzugs einer Prüfungsverfügung nach dem Mindestlohngesetz - im Unterschied zu einer eventuellen Beschwer durch die behördliche Verfügung selbst - entstanden sein soll.

4

a) Eine Verletzung des Rechts der Beschwerdeführerin mangels Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union als gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 73, 339 <366>; 135, 155 <230 Rn. 177>; stRspr) kommt nicht in Betracht. Dieses Recht kann durch eine fachgerichtliche Eilentscheidung nicht verletzt sein, da in solchen Verfahren grundsätzlich keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht (vgl. BVerfGK 5, 196 <201>; 9, 330 <334 f.>; 10, 48 <53>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Dezember 2016 - 1 BvR 1221/12, www.bverfg.de, Rn. 16; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. November 1991 - 2 BvR 1642/91 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, www.bverfg.de, Rn. 15; s.a. EuGH, Urteil vom 24. Mai 1977 - C-107/76 "Hoffmann-La Roche" -, juris, Rn. 5; Urteil vom 27. Oktober 1982 -C 35/82 "Morson und Jhanjan" -, juris, Rn. 8 f.).

5

b) Eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 19 Abs. 4 GG ist ebenfalls nicht zu erkennen. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert zwar nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern beinhaltet auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 1 <13>; stRspr). Den Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz müssen die Gerichte auch bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über den Eilrechtsschutz Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 79, 69 <74>). Doch garantiert das Grundgesetz die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen nicht schlechthin. Vielmehr können es überwiegende öffentliche Belange rechtfertigen, den Anspruch auf Rechtsschutz einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen rechtzeitig in die Wege zu leiten (vgl. BVerfGE 35, 382 <402>). Dies hat das Finanzgericht hier angenommen, ohne dass die Beschwerdeführerin dem mit hinreichend konkretem Vortrag entgegengetreten wäre.

6

3. Eine Vorabentscheidung der Verfassungsbeschwerde wegen allgemeiner Bedeutung nach dem entsprechend anwendbaren § 90 Abs. 2 Satz 2 Var. 1 BVerfGG ist nicht angezeigt. Soweit nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin erkennbar, gehen mit der Verweisung auf den fachgerichtlichen Rechtsweg nur verhältnismäßig geringe Belastungen einher. So hat die Beschwerdeführerin nicht etwa bereits bei Erhalt der Prüfungsverfügungen nach dem Mindestlohngesetz eine Feststellungsklage erhoben (vgl. insoweit BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juni 2015 - 1 BvR 555/15 -, www.bverfg.de, Rn. 11 ff.), sondern hierzu bislang nur einen Antrag in der Hauptsache angekündigt, diesen aber nicht begründet. Zudem trägt sie selbst vor, dass zahlreiche fachrechtliche und auch hier relevante Fragen des Mindestlohngesetzes ungeklärt sind. Auch das spricht dagegen, hier ausnahmsweise auf die im Regelfall im Sinne der Subsidiarität verfassungsgerichtlicher Entscheidungen prozessrechtlich geforderte Klärung solcher Fragen durch die dazu berufenen Fachgerichte zu verzichten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juni 2015 - 1 BvR 555/15 -, www.bverfg.de, Rn. 14 ff.).

7

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung. (2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsb
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Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.525 € festgesetzt. Gründe
published on 26/07/2018 00:00

Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.525 € festgesetzt. Gründe
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Annotations

(1) Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

(2) Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.

(3) Das Recht, eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, bleibt unberührt.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.