Bundessozialgericht Urteil, 18. Mai 2010 - B 7 AL 43/08 R
Gericht
Tatbestand
- 1
-
Im Streit ist die Minderung des an den Kläger in der Zeit ab 1.12.2005 für die Dauer von 65 Tagen gezahlten Arbeitslosengelds (Alg) um 16,17 Euro täglich wegen einer verspäteten Meldung als arbeitsuchend.
- 2
-
Der Kläger bezog bis zum 24.7.2005 Alg. Bereits am 20.7.2005 hatte er der Beklagten angezeigt, dass er am 25.7.2005 eine unbefristete Beschäftigung aufnehmen werde. Tatsächlich war das Arbeitsverhältnis aber - was der Kläger erst später erkannt haben will - bis zum 30.11.2005 befristet. Am 8.8.2005 beantragte er unter Vorlage des Arbeitsvertrags die Gewährung von Fahrkostenbeihilfe für seine Tätigkeit. Die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Befristung vermerkte die Beklagte in ihrer Datenbank. Auf den Antrag des Klägers vom 15.11.2005 bewilligte sie Alg ab 1.12.2005 mit der Maßgabe, dass sich der Anspruch wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung um 16,17 Euro täglich mindere (Bescheid vom 13.12.2005, Widerspruchsbescheid vom 6.2.2006).
- 3
-
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe die ihm nach § 37b Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) obliegende Pflicht zur unverzüglichen Meldung als arbeitsuchend verletzt(Urteil vom 29.5.2007). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers durch eine Entscheidung des Berichterstatters zurückgewiesen und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (Urteil vom 2.10.2008). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe spätestens am 8.8.2005 Kenntnis von der Befristung des Arbeitsverhältnisses gehabt; seine gegenteilige Behauptung sei nicht glaubhaft. Er hätte sich deshalb unverzüglich arbeitsuchend melden müssen. Dieser Obliegenheit sei er fahrlässig nicht nachgekommen. Unerheblich sei, dass die Beklagte von der Befristung des Arbeitsverhältnisses auf Grund des Antrags auf Fahrkostenhilfe Kenntnis erlangt habe.
- 4
-
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 37b Satz 1 und 2 SGB III. Er ist insbesondere der Ansicht, eine (frühere) Arbeitsuchendmeldung sei in Hinblick auf die Vorlage des befristeten Arbeitsvertrags am 8.8.2005 nicht mehr erforderlich gewesen.
- 5
-
Der Kläger beantragt,
-
die Urteile des Sächsischen LSG vom 2.10.2008 und des SG Chemnitz vom 29.5.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12./13.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.2.2006 aufzuheben.
- 6
-
Die Beklagte beantragt,
-
die Revision zurückzuweisen.
- 7
-
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
- 8
-
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz
) . Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nur durch den Berichtserstatter ist regelmäßig ein auch ohne Rüge der Beteiligten von Amts wegen zu beachtender Verfahrensfehler; denn das LSG hat die Sache nicht in der vorschriftsmäßigen Besetzung entschieden (BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, jeweils RdNr 11; BSG SozR 4-1500 § 105 Nr 1 RdNr 13).
- 9
-
Nach § 33 Satz 1 SGG werden die Senate des LSG jeweils in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig. Die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter an der Entscheidung zählt zu den tragenden Grundsätzen des sozialgerichtlichen Verfahrens (BSGE 7, 230, 234 = SozR Nr 1 zu § 108 SGG; BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, jeweils RdNr 14). Abweichungen von diesem Grundsatz sind daher nur in Ausnahmefällen gestattet. Einen solchen regelt § 155 Abs 3, 4 SGG, wonach der Vorsitzende oder Berichterstatter eine (auch verfahrensabschließende) Entscheidung anstelle des Senats ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter treffen kann, wenn die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben.
- 10
-
Das dem Vorsitzenden/Berichterstatter hiernach eingeräumte Ermessen ist in gleicher Weise wie bei einer Entscheidung des erstinstanzlichen Richters - ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) in der Weise begrenzt, dass es sich um eine Sache ohne besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art handeln muss (angedeutet in BSG SozR 4-1500 § 155 Nr 1 RdNr 45 f; BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, jeweils RdNr 22). Ist die Rechtssache mit besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden, muss der konsertierte Einzelrichter eine Entscheidung des Senats herbeiführen.
- 11
-
Von besonderen rechtlichen Schwierigkeiten ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Einzelrichter einer zu entscheidenden Rechtsfrage - subjektiv - grundsätzliche Bedeutung beimisst (BSG SozR 4-1500 § 105 Nr 1 RdNr 19; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 105 RdNr 6; Roller in Lüdtke, SGG, 3. Aufl 2009, § 105 RdNr 2). Will er mithin die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zulassen, weist die Sache regelmäßig "besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art" auf und schließt eine Entscheidung als Einzelrichter aus (BSG SozR 4-1500 § 105 Nr 1 RdNr 17). So liegt der Fall hier, wobei der Senat indes die Richtigkeit der materiell-rechtlichen Prüfung durch das LSG zum Erfordernis einer Arbeitsuchendmeldung trotz Vorlage des befristeten Arbeitsvertrags nicht in Zweifel zieht.
- 12
-
Eine von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zugelassene Ausnahme liegt nicht vor. Das Urteil des LSG bezieht sich weder auf eine ständige Rechtsprechung des eigenen Senats (vgl BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2 RdNr 22)noch auf eine vorhandene, verfahrensfehlerfrei in vollständiger Senatsbesetzung getroffene Leitentscheidung oder bereits beim BSG anhängige Parallelfälle (vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 24 RdNr 11)noch ist das Einverständnis des Klägers mit der Entscheidung durch den Einzelrichter auch für den Fall der Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache protokolliert (hierzu: BSG, Urteil vom 3.12.2009 - B 11 AL 38/08 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, Juris, RdNr 14).
- 13
-
Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
moreResultsText
Annotations
(1) Jeder Senat wird in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig. § 12 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 5 gilt entsprechend.
(2) In Senaten, die in Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2) entscheiden, wirken die für Angelegenheiten der Sozialversicherung berufenen ehrenamtlichen Richter mit.
Die Beteiligten können zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Die Schriftsätze sind den übrigen Beteiligten von Amts wegen mitzuteilen.
(1) Der Vorsitzende kann seine Aufgaben nach den §§ 104, 106 bis 108 und 120 einem Berufsrichter des Senats übertragen.
(2) Der Vorsitzende entscheidet, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht,
- 1.
über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens; - 2.
bei Zurücknahme der Klage oder der Berufung, Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch oder Anerkenntnis des Anspruchs, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe; - 3.
bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe; - 4.
über den Streitwert; - 5.
über Kosten.
(3) Im Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende auch sonst anstelle des Senats entscheiden.
(4) Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden.
(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.
(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.
(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.
(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.