Bundessozialgericht Beschluss, 30. Aug. 2017 - B 14 AS 12/17 B

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:300817BB14AS1217B0
bei uns veröffentlicht am30.08.2017

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. Dezember 2016 - L 7 AS 879/15 - aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Klägerin bezieht seit April 2011 Leistungen des beklagten Jobcenters. Umstritten ist der Bescheid des Beklagten vom 28.3.2013 an die Klägerin, in dem eine Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II durch einen Verwaltungsakt ersetzt worden ist. Ihr Widerspruch wurde zurückgewiesen; ihre Klage wurde abgewiesen; ihre Berufung hat das LSG nach § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss zurückgewiesen.

2

II. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 160a Abs 5 SGG). Der Beschluss des LSG beruht auf einem Verfahrensfehler nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, der von der Klägerin entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG bezeichnet worden ist. Zu Recht beanstandet sie, dass das LSG ihre Berufung im vereinfachten Beschlussverfahren nach § 153 Abs 4 SGG unter Verwertung ua ihres Schreibens vom April 2012 zurückgewiesen hat, ohne sie vorher zur Verwertung dieses Schreibens anzuhören.

3

Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG, außer wenn das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. Nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind die Beteiligten vorher zu hören. Dieses Anhörungserfordernis ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zugunsten der Beteiligten weit auszulegen, weil die Anhörungsmitteilung die ansonsten durch die mündliche Verhandlung ermöglichte umfassende Anhörung der Beteiligten kompensieren und der Wahrung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG)dienen soll (vgl nur Keller in Meyer-Ladewig ua, SGG, 12. Aufl 2017, § 153 RdNr 19).

4

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG, die bei einem Vorgehen im Beschlusswege diesen Anspruch sichern soll, liegt vor, wenn die Entscheidung auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen die Beteiligten sich nicht äußern konnten(sog Überraschungsentscheidung, BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190; BVerfG vom 8.2.1994 - 1 BvR 765/89 ua - BVerfGE 89, 381, 392; vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1; BSG vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 7 RdNr 26), oder wenn das LSG seine Pflicht verletzt hat, das Vorbringen der Beteiligten in seine Erwägungen miteinzubeziehen (BVerfG vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 f). Daraus folgt jedoch weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der mündlichen Verhandlung oder einer sie ersetzenden Anhörung die endgültige Beweiswürdigung bereits darzulegen. Geboten ist vielmehr lediglich dann ein Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (BSG vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 7 RdNr 26 mwN).

5

Die Voraussetzungen einer solchen Überraschungsentscheidung und damit eines Verstoßes gegen die Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind vorliegend durch die Verwertung des Schreibens der Klägerin vom April 2012 in dem angefochtenen Beschluss erfüllt.

6

In diesem Beschluss hat das LSG die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 28.3.2013 bestätigt und zur Begründung ausgeführt, der Erlass eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts setze eine atypische Situation voraus, wie etwa die Weigerung der leistungsberechtigten Person eine entsprechende Vereinbarung abzuschließen. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall "eindeutig erfüllt", denn schon im Schreiben vom 12.4.2012 habe die Klägerin ihre Absicht zum Ausdruck gebracht, keine neue Eingliederungsvereinbarung abschließen zu wollen, bevor nicht der Beklagte ihre verschiedenen Forderungen erfüllt habe. Nach dem Beratungsgespräch vom 26.10.2012 und dem anschließend übersandten Entwurf einer Eingliederungsvereinbarung, in dem der Beklagte nicht schematisch an den früheren Eingliederungsvereinbarungen festgehalten habe, habe die Klägerin schließlich in ihrem Schreiben vom 9.11.2012 unmissverständlich den Abschluss einer neuen Eingliederungsvereinbarung aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt.

7

Wie diesem Gang der Begründung zu entnehmen ist, war das Schreiben der Klägerin vom 16.4.2012 (nicht wie das LSG anführt vom "12.4.2012") für die Entscheidung des LSG neben dem weiteren Schreiben vom November 2012 ein tragender Gesichtspunkt. Weder in dem Verwaltungsverfahren noch in den beiden gerichtlichen Instanzen - abgesehen von dem angefochtenen Beschluss - wurde das Schreiben der Klägerin vom April 2012 jedoch erwähnt.

8

Einer Überraschungsentscheidung steht nicht entgegen, dass es sich bei dem April-Schreiben um ein eigenes Schreiben der Klägerin im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung mit dem Beklagten handelt, dessen Existenz und Inhalt ihr bekannt gewesen sein müssen. Denn selbst wenn das Schreiben im Sinne des LSG - kein Abschluss einer neuen Eingliederungsvereinbarung - auszulegen sein sollte, hat der Beklagte trotz dieses Schreibens gut ein halbes Jahr später im Rahmen des Beratungsgesprächs vom 26.10.2012 wieder Verhandlungen mit der Klägerin über eine solche Vereinbarung geführt, so dass er anscheinend davon ausging, das Schreiben vom April 2012 sei - aus welchen Gründen auch immer - überholt. Der ersetzende Verwaltungsakt vom 28.3.2013 erging nochmals fünf Monate später, nachdem die Klägerin ihre Position erneut im Schreiben vom 9.11.2012 dargelegt hatte. Weder in diesem Bescheid noch im weiteren Verfahren hat sich ein Beteiligter und auch nicht das SG in seinem klageabweisenden Urteil auf das Schreiben vom April 2012 bezogen, so dass es für die Klägerin überraschend war, wenn das LSG dann seine Entscheidung vom 9.12.2016 auf dieses Schreiben stützt, ohne ihr Gelegenheit zu geben, zu diesem nunmehr über vier Jahre zurückliegenden Schreiben Stellung zu nehmen. Dies folgt nicht nur aus den zeitlichen Abläufen, sondern trotz des durchgehenden Sozialrechtsverhältnisses zwischen den Beteiligten aus den konkreten Abläufen, die zu dem vorliegend umstrittenen Bescheid vom 28.3.2013 geführt haben, weil der Beklagte im Oktober 2012 ein neues Verfahren zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung mit der Klägerin begonnen hat.

9

Dass die Entscheidung des LSG auf dieser Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör beruhen kann, hat die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung nachvollziehbar dargelegt. Denn im Rahmen einer möglichen Stellungnahme hätte sie die näheren Umstände und Hintergründe für dieses Schreiben sowie dessen Bedeutung für das Verwaltungsverfahren und den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung im Oktober 2012 erläutern können, zumal an die Rechtmäßigkeit eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts erhebliche Anforderungen bestehen (vgl nur BSG vom 23.6.2016 - B 14 AS 42/15 R - BSGE = SozR 4-4200 § 15 Nr 6).

10

Angesichts dieser Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör kann eine Entscheidung über die von ihr erhobenen weiteren Rügen und die Erörterung der Frage, ob Fehler bei der ordnungsgemäßen Durchführung der Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG als absoluter Revisionsgrund zu behandeln sind(verneinend: BSG vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7; BSG vom 8.1.2013 - B 13 R 300/11 B - juris), dahingestellt bleiben.

11

Der Senat macht von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, den angefochtenen Beschluss wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, weil für eine abschließende Entscheidung in der Sache Tatsachenfeststellungen und eine Würdigung der genannten Schreiben notwendig sind.

12

Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

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(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder

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(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

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Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

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(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

Kosten sind von den Beteiligten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) für den Zeitraum vom 1.1.1997 bis zum 30.6.2005.

2

Die 1995 geborene Klägerin ist das Kind von N.M. (Mutter) und F.N. (Vater). Beide Elternteile sind als Asylbewerber aus Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) nach Deutschland gekommen und haben ab April 1996 in einer gemeinsamen Wohnung gewohnt. Die in den Kriegswirren in Zaire schwer misshandelte Mutter leidet an einer psychotischen Erkrankung des schizophrenen Formenkreises, sodass ihr bereits 1993 für ihr erstgeborenes Kind die elterliche Sorge entzogen und am 31.10.1995 das Ruhen der elterlichen Sorge auch hinsichtlich der Klägerin festgestellt wurde. Die Vormundschaft über die Klägerin erhielt in der Zeit vom 31.10.1995 bis 24.3.1996 das Kreisjugendamt E. und vom 25.3.1996 bis 15.1.2003 der Vater. In der Zeit vom 16.1.2003 bis 3.5.2005 lag die elterliche Sorge bei der Kindesmutter, anschließend beim Jugendamt der Stadt M. (Beigeladene zu 1.) als Amtsvormund. Ab dem 5.10.2011 bis zur Volljährigkeit der Klägerin oblag die elterliche Sorge wieder dem Vater.

3

Am 3.1.1997 erlitt die Klägerin (im Alter von 15 Monaten) während der berufsbedingten Abwesenheit des Vaters in der elterlichen Wohnung aufgrund einer Misshandlung durch die Mutter eine Schädel-Hirn-Verletzung mit Erblindung des linken sowie Schädigung des rechten Auges. Ein diesbezüglich eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde nach Vernehmung ua des Vaters mangels Schuldfähigkeit der Mutter zum Tatzeitpunkt eingestellt (Staatsanwaltschaft Bonn, Az 72 Js 941/97). Die Stellung eines Antrags nach dem OEG erfolgte erst am 29.7.2005 durch den Beigeladenen zu 1. gemäß § 97 SGB VIII.

4

Der beklagte Landschaftsverband stellte eine Hirnschädigung nach Schädelfraktur parasagittal frontal links mit kleiner Hirnkontusion rechts frontolateral und Subarachnoidalblutung 1997 sowie Sehminderung, Gesichtsfeldausfälle rechtes Auge, Erblindung linkes Auge und ein operiertes Innenschielen linkes Auge als Folge einer Schädigung im Sinne des OEG fest und gewährte ab dem 1.7.2005 Versorgungsgrundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vH unter Ablehnung eines früheren Leistungsbeginns (Bescheid vom 20.6.2008; Widerspruchsbescheid vom 10.10.2008).

5

Das SG hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin keinen Anspruch auf eine rückwirkende Gewährung von Versorgungsleistungen nach § 60 Abs 1 S 2 und 3 BVG habe. Auch aus dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ergebe sich kein Entschädigungsanspruch für zurückliegende Zeiträume (Urteil vom 8.2.2013).

6

Die anschließende Berufung der Klägerin hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 31.10.2014), weil diese keinen Anspruch auf einen früheren Leistungsbeginn habe. Die Klägerin sei nicht ohne Verschulden gehindert gewesen in der Zeit vor der tatsächlichen Antragstellung Beschädigtenversorgung zu beantragen. Sie müsse sich insoweit das Verschulden des damals sorgeberechtigten Vaters, der es pflichtwidrig unterlassen habe einen Antrag nach dem OEG zu stellen, zurechnen lassen. Rechtsunkenntnis des Vaters schließe ein Verschulden nicht aus und ein schutzwürdiger Interessenkonflikt habe für diesen nicht vorgelegen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheide aus, weil der Beklagte selbst keine Beratungspflichten verletzt habe und diesem eine fehlende Beratung durch das damals zuständige Jugendamt nicht zuzurechnen sei.

7

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung der Vorschrift des § 1 Abs 1 OEG iVm § 60 Abs 1 S 3 BVG. Es sei rechtsfehlerhaft für die Nichtantragstellung vor dem 29.7.2005 ein Verschulden des zu der Zeit allein sorgeberechtigten Vaters anzunehmen und dies der Klägerin zuzurechnen. Obwohl der Vater das Gespräch mit den zuständigen Stellen gesucht und geführt habe, sei durch keine einzige Behörde Aufklärung über eine mögliche Antragstellung nach dem OEG erfolgt, obwohl sich gerade für den Beigeladenen zu 2. eine solche Hinweispflicht aufgedrängt habe. Zudem wären Leistungen nach dem OEG im Rahmen von "SGB II-Leistungen" bedarfsmindernd zu berücksichtigen gewesen.

8

Jedenfalls stehe der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine frühere Leistungsgewährung zu, weil das LSG rechtsfehlerhaft eine Funktionseinheit zwischen dem zuständigen Jugendamt und dem Beklagten verkannt habe. Jugendämter besäßen einen nachrangigen Kostenerstattungsanspruch für bereits erbrachte Leistungen gegenüber dem vorrangig zuständigen Sozialleistungsträger, sodass ihnen ein eigenes Antragsrecht auf Gewährung von Versorgung gemäß § 97 SGB VIII zustehe. Die materiell-rechtliche Verknüpfung und das arbeitsteilige Zusammenwirken ergebe sich auch aus den diversen Informationsveranstaltungen und Fortbildungsseminaren über das OEG zur Verbesserung der Kooperation, die ausdrücklich des Rundschreibens des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zum sozialen Entschädigungsrecht vom 15.11.1999 nebst Schreiben des Landesversorgungsamtes Nordrhein-Westfalen vom 15.3.2000 gefordert worden seien.

9

Auch habe das LSG rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass die Mutter und alleinige Gewalttäterin vom 16.1.2003 bis 2.5.2005 allein sorgeberechtigt gewesen sei und damit eine Verschuldenszurechnung hinsichtlich der Fristversäumung gegenüber der Klägerin ausscheide.

10

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 31. Oktober 2014 und des SG Köln vom 8. Februar 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung seines Bescheides vom 20. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 2008 zu verurteilen, der Klägerin Versorgungsrente nach dem OEG auch für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 30. Juni 2005 zu zahlen.

11

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Er hält das Urteil des LSG für rechtmäßig.

13

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet, sie hat keinen Anspruch auf Versorgungsleistungen aufgrund der am 3.1.1997 erlittenen Schädigungen bereits für den Zeitraum vom 1.1.1997 bis zum 30.6.2005. Die Urteile des LSG vom 31.10.2014 und SG vom 8.2.2013 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin ebenso wenig in ihren Rechten wie der Bescheid des Beklagten vom 20.6.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2008.

15

Gegenstand der Revision ist das die Berufung der Klägerin zurückweisende Urteil des LSG. Dieses hat die Entscheidung des SG bestätigt, das die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG) der Klägerin auf einen früheren Leistungsbeginn ihrer Grundrente abgewiesen hat. Dabei sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass der beklagte Landschaftsverband seit dem 1.1.2008 passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26 mwN). Dies hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verwaltungsverfahrens zuständig gewordene Rechtsträger, hier der Landschaftsverband Rheinland, die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann. Ob für einen Anspruch der Klägerin im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen von § 1 Abs 4 OEG oder von Abs 5 bzw Abs 6 der Vorschrift für Ausländer Anwendung findet, kann hier dahinstehen, weil sich ein Anspruch der Klägerin für einen früheren Leistungsbeginn als ab dem 1.7.2005 weder aus § 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 60 Abs 1 S 2 und 3 BVG(in der Fassung vom 10.8.1978, BGBl I 1217; siehe hierzu 1.) noch unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (siehe hierzu unter 2.) ergibt.

16

1. Ein Anspruch der Klägerin auf die von ihr begehrte Leistung für die Zeit vor dem 1.7.2005 richtet sich nach § 1 OEG iVm den Vorschriften des BVG. Insoweit setzt § 1 Abs 1 S 1 OEG allgemein voraus, dass eine natürliche Person ("wer") im (räumlichen) Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Außerdem ist ein wirksamer Antrag ("auf Antrag") weitere materiell-rechtliche Voraussetzung (zu den allgemeinen Leistungsvoraussetzungen für eine Entschädigung nach dem OEG vgl zB BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 12 = Breithaupt 2008, 507). Dass die Klägerin am 3.1.1997 Opfer einer Gewalttat iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden ist und dadurch eine bleibende gesundheitliche Schädigung erlitten hat, steht nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG außer Zweifel; der beklagte Landschaftsverband hat als zuständige Versorgungsverwaltung der Klägerin ab Beginn des Antragsmonats (1.7.2005) Leistungen nach dem OEG iVm dem BVG zuerkannt. Entsprechend der Auffassung der Vorinstanzen lässt sich ein früherer Beginn der von der Klägerin begehrten Beschädigtenversorgung - hier der Beschädigtengrundrente - nicht aus § 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 60 Abs 1 S 3 BVG herleiten. Der Vater der Klägerin war als ihr gesetzlicher Vertreter zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses nicht ohne Verschulden gehindert, vor Ablauf der Jahresfrist des § 60 Abs 1 S 2 BVG Antrag auf Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu stellen.

17

Nach § 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 60 Abs 1 S 1 BVG beginnen auch bei Opfern von Gewalttaten die Leistungen der Beschädigtenversorgung im Grundsatz mit dem Antragsmonat, wenn die sonstigen materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Vorschrift des § 60 Abs 1 BVG ist nach § 1 Abs 1 S 1 OEG auf die Opferentschädigung entsprechend anwendbar(vgl BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 5 RdNr 18 mwN zum Konzept des § 60 Abs 1 BVG). Ausnahmsweise eröffnet § 60 Abs 1 S 2 BVG eine Rückwirkung, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird. Die Jahresfrist wird nach § 60 Abs 1 S 3 BVG wiederum um den Zeitraum verlängert, in dem eine unverschuldete Verhinderung der Antragstellung vorlag. Ihrer Wirkung nach ermöglicht die (verlängerte) Jahresfrist eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bei Eintritt der Schädigung. Entgegen der Auffassung der Revision sind hier die Voraussetzungen des Verlängerungstatbestands des § 60 Abs 1 S 3 BVG nicht gegeben, denn die Klägerin war nicht ohne Verschulden gehindert, bis zum Ablauf der Jahresfrist (beginnend mit dem Eintritt der Schädigung) Leistungen wie zB die Beschädigtengrundrente nach § 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 31 Abs 1 BVG zu beantragen.

18

Ein eigenes Verschulden der Klägerin scheidet allerdings schon deshalb aus, weil diese in der Zeit vom 4.1.1997 bis zum 3.1.1998 (also während der Jahresfrist des § 60 Abs 1 S 2 BVG) weder geschäftsfähig (§ 104 Nr 1 BGB) noch sozialrechtlich handlungsfähig (§ 36 Abs 1 SGB I) war und deshalb keine rechtswirksamen Willenserklärungen abgeben, mithin auch keinen Antrag nach dem OEG stellen konnte (zum Antrag als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung stellvertretend BSG SozR 3-1200 § 16 Nr 2 S 5; BSG SozR 4-1200 § 44 Nr 2 RdNr 23; Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 5 RdNr 20).

19

Die Klägerin muss sich jedoch entsprechend der in § 27 Abs 1 S 2 SGB X getroffenen Regelung sowie den zu § 67 Abs 1 SGG von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ein Verschulden ihres Vaters als ihren gesetzlichen Vertreter zurechnen lassen(vgl BSGE 59, 40, 41 f = SozR 3800 § 1 Nr 5 S 13; BSG SozR 3-3100 § 60 Nr 3 S 5; BSGE 94, 282 = SozR 4-3800 § 1 Nr 8, RdNr 6; BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 5 RdNr 21; siehe zur Zurechnung des Verschuldens des gesetzlichen Vertreters auch § 51 Abs 2 ZPO). Danach liegt ein Verschulden nur dann nicht vor, wenn der Vertreter die nach den Umständen des Falles zu erwartende Sorgfalt beachtet hat. Grundsätzlich gilt insoweit ein subjektiver Maßstab. Es sind insbesondere der Geisteszustand, das Alter, der Bildungsgrad und die Geschäftsgewandtheit zu berücksichtigen. Rechtsunkenntnis schließt ein Verschulden allerdings nicht aus (vgl BSG SozR 3-3100 § 60 Nr 3 S 5; BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 30).

20

Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG war gesetzlicher Vertreter der Klägerin in der Zeit vom 25.3.1996 bis zum 15.1.2003 allein deren Vater, der in diesem Zeitraum vom Amtsgericht (AG) E. mit Beschluss vom 25.3.1996 zum Vormund bestellt worden war. Diesem war die sich aus der elterlichen Sorge (§ 1626 Abs 1 S 1 BGB) ergebende Personensorge (§ 1626 Abs 1 S 2 BGB) vom AG nach §§ 1666, 1666a BGB nur hinsichtlich des Rechts auf Feststellung der Vaterschaft, die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen sowie die Regelung von Erb- und Pflichtteilsrechten im Falle des Todes des Vaters und seiner Verwandten entzogen und dem Jugendamt E. als Pflegschaft übertragen worden. Nur für diese Angelegenheiten (diesen Wirkungskreis) war das Jugendamt damit gesetzlicher Vertreter, sodass mit der Befugnis des Jugendamts zur Antragstellung nach § 97 S 1 SGB VIII keine Verschuldenszurechnung zu Lasten der Klägerin begründet werden kann(vgl hierzu BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 5 RdNr 25 ff). Die übrigen sich aus der Personen- und Vermögenssorge ergebenden Rechte und Pflichten, wie zB die Pflicht zur Stellung des Antrags auf Beschädigtengrundrente nach dem OEG, blieben bei dem Vater der Klägerin; für diese Angelegenheiten war dieser nach wie vor ihr gesetzlicher Vertreter bis zum 15.1.2003. Der Vater der Klägerin war auch entgegen der Auffassung der Revision nicht gehindert, bis zum Ablauf der Jahresfrist - also zum 3.1.1998 (§ 187 Abs 1, § 188 Abs 2 BGB) - einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG zu stellen.

21

Als gesetzlicher Vertreter der Klägerin wäre der Vater verpflichtet gewesen, deren Interessen wahrzunehmen. Zu seinen objektiven Betreuungspflichten hätte es gehört, rechtzeitig (innerhalb der Jahresfrist des § 60 Abs 1 S 2 BVG) einen Versorgungsantrag nach dem OEG zu stellen. Dass diese Möglichkeit besteht, ist ihm zwar nach seinem eigenen Vorbringen weder bekannt gewesen, noch ist er hierüber insbesondere vom Jugendamt in Kenntnis gesetzt worden. Nach den Feststellungen des LSG liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vater im Hinblick auf seinen Geisteszustand, sein Alter, seinen Bildungsstand und/oder seine Geschäftsgewandtheit subjektiv nicht in der Lage gewesen wäre, die nach den Umständen des Falles zu erwartende zumutbare Sorgfalt bei der Antragstellung zu beachten. Auch ein Entschuldigungsgrund ist nicht ersichtlich.

22

Der Ausnahmecharakter der erweiterten Rückwirkung des Antrags nach § 60 Abs 1 S 3 BVG gebietet eine enge Handhabung(vgl insgesamt Rohr/Sträßer/Dahm, BVG Soziales Entschädigungsrecht und Sozialgesetzbücher, § 60 BVG, Stand Januar 2010 Anmerkung 2). Nach der Gesetzesbegründung sollte den Belangen von Impfgeschädigten und Opfern von Gewalttaten Rechnung getragen werden (BT-Drucks 8/1735 S 19). Allein das fehlende Wissen um einen möglicherweise bestehenden Anspruch nach § 1 OEG stellt keinen Anwendungsfall von § 60 Abs 1 S 3 BVG dar, weil jedem Bürger gesetzliche Bestimmungen nach ihrer Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt als bekannt gelten(Publizitätsgrundsatz, vgl BSG Urteil vom 27.7.2004 - B 7 SF 1/03 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 14 mwN) und im Sozialrecht für den Bürger vielfältige Möglichkeiten bestehen, sich über seine sozialen Rechte zu informieren wie zB nach den §§ 13 bis 15 SGB I(vgl BSG Urteil vom 15.8.2000 - B 9 VG 1/99 R - SozR 3-3100 § 60 Nr 3, S 5). Auch der Umstand, dass eine betreffende Person rechtsunkundig ist und aus einem fremden Sprach- und Kulturkreis stammt, reicht für die Annahme höherer Gewalt als Entschuldigungsgrund nicht aus (vgl BSG Urteil vom 2.2.2006 - B 10 EG 9/05 R - BSGE 96, 44 = SozR 4-1300 § 27 Nr 2, RdNr 17 f). Die Forderung an einen Ausländer, der mit den einschlägigen deutschen Rechtsvorschriften nicht vertraut ist, sich zu erkundigen, verlangt dem Betroffenen auch aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts Unzumutbares ab (BVerfG Kammerbeschluss vom 22.1.1999 - 2 BvR 729/96 - Juris RdNr 36). Unter Anwendung äußerster Sorgfalt wäre es dem Vater der Klägerin möglich und zumutbar gewesen, vorsorglich bei einer der mit ihm in Kontakt stehenden Behörden, insbesondere beim Jugendamt, nachzufragen, ob eventuell weitere Anspruchsmöglichkeiten für die Klägerin auf Entschädigungsleistungen bestehen (vgl BFH Urteil vom 8.2.2001 - VII R 59/99, BFHE 194, 466 = BStBl II 2001, 506, zum Ausschluss höherer Gewalt bei Vertrauen auf richtige Sachbehandlung durch eine Behörde; vgl auch BVerwG Urteil vom 11.5.1979 - 6 C 70/78 -, BVerwGE 58, 100). Die bloße Unkenntnis eines gesetzlichen Vertreters über anspruchsbegründende Umstände und Rechtsnormen stellt nach der Rechtsprechung des BSG selbst dann keinen Umstand höherer Gewalt dar, wenn diese im Wesentlichen auf einer mangelnden Aufklärung durch die zuständigen staatlichen Stellen beruhte (vgl BSG Beschluss vom 27.3.2014 - B 9 V 69/13 B - Juris; Urteil vom 27.7.2004 - B 7 SF 1/03 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 14; Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VJ 2/02 R - BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1, RdNr 23; Urteil vom 11.5.2000 - B 13 RJ 85/98 R - BSGE 86, 153, 161 f = SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 18, S 65 f). Auf eine den Grundsatz der formellen Publizität möglicherweise aufhebende falsche oder irreführende amtliche Information oder sonstiges rechts- oder treuwidriges Verhalten des Beklagten beruft sich die Klägerin selbst nicht (vgl hierzu BSGE 67, 90 = SozR 3-1200 § 13 Nr 1; BSGE 91, 39 = SozR 4-1500 § 67 Nr 1, RdNr 12). Derartiges ist weder festgestellt noch ersichtlich.

23

Dem Gebot, im Interesse des Kindes rechtzeitig Antrag auf Leistungen nach dem OEG zu stellen, standen nach den Feststellungen des LSG auch keine eigenen schutzwürdigen tat- oder täterbestimmten Interessen entgegen, die dazu führen könnten, das Verschulden des gesetzlichen Vertreters ausnahmsweise nicht dem minderjährigen Gewaltopfer zuzurechnen. Zwar hat das BSG von dem Grundsatz, dass eine pflichtwidrig unterlassene rechtzeitige Antragstellung des gesetzlichen Vertreters dem Opfer einer Gewalttat iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG zuzurechnen ist, in seiner bisherigen Rechtsprechung Ausnahmen zugelassen(vgl die umfassende Darstellung in: BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 34 ff). Allerdings liegt eine derartige Konstellation, in der der gesetzliche Vertreter zugleich der - bisher unentdeckte - Täter war oder dieser im Falle des Offenbarwerdens mit einem empfindlichen Ansehensverlust und einer Kriminalstrafe seines Angehörigen zu rechnen hat, ebenso wenig vor wie die Gefahr eines zivilrechtlichen Regressanspruchs durch den OEG Kostenträger gegen den Gewalttäter. Denn zum einen lag eine unentdeckte Straftat bereits deshalb nicht vor, weil die Misshandlung der Klägerin aufgrund der dramatischen gesundheitlichen Konsequenzen umgehend sowohl dem Jugendamt des Beigeladenen zu 2. als kurz danach auch den Strafverfolgungsbehörden bekannt geworden ist. Nach den Feststellungen des LSG ist dabei von den zuständigen Strafverfolgungsbehörden ersichtlich nicht in Betracht gezogen worden, strafrechtlich gegen den Vater der Klägerin vorzugehen, der in dem Ermittlungsverfahren gegen die Mutter umfassend als Zeuge ausgesagt und dem Jugendamt Auskunft erteilt hat. Ebenso ist danach vom Beklagten zu keinem Zeitpunkt ein zivilrechtlicher Regressanspruch gegen den Vater der Klägerin als vermeintlichem Täter in Betracht gezogen worden. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat kein schuldhaftes tatbezogenes Verhalten des Vaters vorgelegen, welches einen Interessenkonflikt hätte auslösen können. Dies gilt auch hinsichtlich eines erstmals im Revisionsverfahren behaupteten Bezuges von "SGB II-Leistungen". Insoweit fehlen schon Darlegungen dazu, wer diese wann tatsächlich bezogen haben soll.

24

Die Frage, ob ein schutzwürdiger Interessenkonflikt für den Vater überdies bereits deshalb ausscheidet, weil dieser nach den Feststellungen des LSG mit der Mutter der Klägerin weder verlobt noch verheiratet ist und ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 383 Abs 1 Nr 1 - 3 ZPO) zusteht (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 37 f mwN),kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.

25

Eine darüber hinausgehende Verlängerung der Antragsfrist nach § 60 Abs 1 S 3 BVG ergibt sich entgegen dem Vorbringen der Revision nicht aus dem Umstand, dass die Mutter der Klägerin in der Zeit vom 16.1.2003 bis 3.5.2005 die elterliche Sorge innehatte. Denn eine erweiternde Rückwirkung des Antrags nach § 60 Abs 1 S 2 BVG iS von § 60 Abs 1 S 3 BVG kann entsprechend dem Wortlaut der Regelung denknotwendig nur nahtlos, vor Ablauf der Frist, erfolgen. Im Falle der Klägerin war nach Ablauf des Jahres die Antragsfrist des § 60 Abs 1 S 2 BVG am 3.1.1998 nach § 187 Abs 1 und § 188 Abs 2 BGB abgelaufen. Später liegende Zeiträume sind damit ohne Belang, ebenso ein eventueller Interessenkonflikt der Mutter im Falle einer versäumten Antragstellung.

26

Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör darin sieht, dass das LSG sie von weiterem Sachvortrag abgehalten habe, weil der Berichterstatter des LSG-Senats in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung die bloße Möglichkeit eines Interessenkonflikts beim Vater der Klägerin als anspruchsbegründend bewertet habe, dringt sie damit nicht durch. Der in §§ 62, 128 Abs 2 SGG konkretisierte Anspruch auf rechtliches Gehör(Art 101 Abs 1 GG) soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht haben äußern können (s § 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). In diesem Rahmen besteht jedoch weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage, noch die Pflicht bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der mündlichen Verhandlung bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen; denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Art 103 Abs 1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 84, 188, 190).

27

Die Bewertung der im Verfahren insgesamt vorliegenden Tatsachen und Beweise ist grundsätzlich eine tatrichterliche Aufgabe. Der der rechtskundig vertretenen Klägerin insgesamt bekannte Sachverhalt ist ohne juristische oder anderweitige besondere Kenntnisse zu erfassen gewesen. Insofern waren dazu Hinweise des LSG nicht erforderlich. Die Mitteilung der persönlichen Rechtsauffassung des Berichterstatters in einem von ihm rund neun Monate vor der mündlichen Senatsverhandlung durchgeführten Erörterungstermin, der sich noch ein kontroverser Austausch von Schriftsätzen zwischen den Beteiligten angeschlossen hat, führt nicht zu einer Sachlage, bei der die Klägerin nicht damit zu rechnen brauchte, dass das LSG im Rahmen der Beratung nach der mündlichen Verhandlung ihren Anspruch für die Zeit vor der Antragstellung verneinen würde. Damit musste die Klägerin schon aufgrund des Inhalts des Widerspruchsbescheides und des Urteils des SG rechnen. Im Übrigen hat die Klägerin nicht dargelegt, welcher Vortrag ihrerseits unterblieben sein soll und zu welchem Ergebnis dieser auf der Grundlage der Rechtsauffassung des LSG geführt hätte.

28

2. Schließlich kann die Klägerin auch unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht so gestellt werden, als sei ein Antrag früher gestellt worden.

29

Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Er setzt demnach eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung voraus, die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geworden ist. Außerdem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (stRspr, vgl BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 41). Darüber hinaus hat der Senat auch bereits entschieden, dass die Regelung des § 60 BVG die Begründung eines früheren Leistungsbeginns im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht ausschließt, insbesondere wenn feststeht, dass eine Behörde pflichtwidrig eine gebotene Beratung über bestehende Antragsmöglichkeiten unterlassen hat. Über die in § 60 Abs 1 S 3 BVG praktisch enthaltene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Eintritt der Schädigung erfasst der Herstellungsanspruch zusätzlich auch Fristversäumnisse, die auf Behördenfehlern beruhen(vgl insgesamt BSG, aaO, RdNr 42 mwN). Insoweit ist insbesondere § 14 SGB I Grundlage für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, wonach jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch hat. Zuständig für die Beratung sind allerdings (grundsätzlich) die Leistungsträger, denen gegenüber Rechte geltend zu machen oder Pflichten zu erfüllen sind. In der Regel wird die Beratungspflicht durch ein entsprechendes Begehren des Berechtigten ausgelöst. Aber auch unabhängig davon ist der Leistungsträger gehalten, bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und von jedem verständigen Berechtigten mutmaßlich genutzt werden (sog Spontanberatung, vgl BSG, aaO, RdNr 43 mwN). Eine solche Beratungspflichtverletzung kann dem beklagten Landschaftsverband nach den Feststellungen des LSG vorliegend nicht angelastet werden, weil diesem erst bei Antragstellung am 29.7.2005 bei dem damals zuständigen Versorgungsamt K. Kenntnis vom Tatgeschehen am 3.1.1997 zugerechnet werden kann. Im davorliegenden Zeitraum war den für die Angelegenheiten nach dem OEG zuständigen Stellen die Gewalttat völlig unbekannt und bestand auch keinerlei Kontakt zum Vater der Klägerin.

30

Zwar kann sich nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auch aus einem fehlerhaften Verhalten anderer Behörden ergeben, welches sich der zuständige Leistungsträger zurechnen lassen muss. Einer anderen Behörde als der für Entscheidung über die Leistung befugten Stelle kann eine Beratungspflicht, deren Verletzung zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegen den zuständigen Leistungsträger führen kann, dann obliegen, wenn die andere Behörde vom Gesetzgeber im Sinne einer Funktionseinheit in das Verwaltungsverfahren "arbeitsteilig" eingeschaltet ist. Ebenso muss sich ein Leistungsträger das Fehlverhalten derjenigen Behörde zurechnen lassen, deren Funktionsnachfolge er angetreten hat (hier das Versorgungsamt K. ; vgl hierzu insbesondere Senatsurteil vom 16.12.2004 - B 9 VJ 2/03 R - Juris RdNr 28 mwN). Eine zurechenbare Beratungspflichtverletzung wird von der Rechtsprechung des BSG auch dann angenommen, wenn die Zuständigkeitsbereiche beider Stellen materiell-rechtlich eng miteinander verknüpft sind, die andere Behörde im maßgeblichen Zeitpunkt aufgrund eines bestehenden Kontaktes der aktuelle "Ansprechpartner" des Berechtigten ist und sie - die Behörde - aufgrund der ihr bekannten Umstände erkennen kann, dass bei dem Berechtigten im Hinblick auf das andere sozialrechtliche Gebiet ein dringender Beratungsbedarf in einer gewichtigen Frage besteht (vgl hierzu insgesamt BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 44 mwN; s auch zur Zurechnung des Verhaltens Dritter iS einer Funktionseinheit BSG Urteil vom 8.10.1998 - B 8 KN 1/97 U R - BSGE 83, 30, 35 f = SozR 3-5670 § 5 Nr 1 S 7 f).

31

Vorliegend waren die Jugendämter des Beigeladenen zu 1. und zu 2. weder im Sinne einer Funktionseinheit in das Verwaltungsverfahren der Versorgungsverwaltung "arbeitsteilig" eingeschaltet noch mit dieser materiell-rechtlich eng verknüpft. Insbesondere bestand nach den Feststellungen des LSG bis zur Antragstellung am 29.7.2005 keinerlei Kontakt zwischen der Versorgungsverwaltung und dem Jugendamt. Damit kommt es auf die Frage, ob die Jugendämter eine Beratungspflicht hinsichtlich einer Antragstellung nach dem OEG gegenüber dem Vater der Klägerin oder deren Mutter verletzt haben könnten, nicht an. Die Jugendämter sind grundsätzlich nicht mit der Bearbeitung von Anträgen nach dem OEG befasst. Über solche Anträge entscheidet allein die Versorgungsverwaltung. Auch an der Vorbereitung solcher Entscheidungen sind die Jugendämter nicht beteiligt. Deren Befugnis nach § 97 S 1 SGB VIII beim zuständigen Versorgungsamt ein Verwaltungsverfahren zur Feststellung einer Leistungspflicht nach dem OEG einzuleiten, bezieht sich lediglich darauf, im eigenen Interesse und im eigenen Namen gegenüber einem anderen Leistungsträger ein fremdes Recht geltend zu machen, nämlich die Feststellung einer (anderen) Sozialleistung zu betreiben und (als gesetzlicher Prozessstandschafter des eigentlich Berechtigten) gegen eine ablehnende Entscheidung Rechtsmittel einzulegen(BSG Urteil vom 11.12.2008 - B 9/9a VG 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 5 RdNr 25 mwN). Daneben obliegt dem Jugendamt zB im Rahmen der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII keine Pflicht, über sämtliche rechtlichen Vorteile und Möglichkeiten im Zuständigkeitsbereich anderer Behörden zu beraten(vgl BSG Urteil vom 27.7.2004 - B 7 SF 1/03 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 10 und 12). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Verfügung des Landesversorgungsamtes Nordrhein-Westfalen vom 15.3.2000 (II/1 c - 1204/4370/4370.2.2/ 4372 A - 476/99 - Sa.-Nr. 43/2000), mit dem das Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit- und Sozialordnung vom 15.11.1999 (VI a 2 - 52039) bekanntgegeben worden ist. Zwar sollte durch dieses Rundschreiben ein bestehendes erhebliches Informationsdefizit über das OEG bei den Jugendämtern ausgeräumt werden, weil insbesondere die Kenntnis darüber fehlte, dass auch ohne Strafanzeige Anträge nach dem OEG mit grundsätzlicher Aussicht auf Erfolg gestellt werden könnten. Dieser Umstand ändert jedoch nichts an der ausschließlichen Zuständigkeit für Anträge nach dem OEG durch die Versorgungsverwaltung. Ferner bewirkt weder die Verfügung des Landesversorgungsamtes noch das Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit- und Sozialordnung eine arbeitsteilige Einschaltung der Jugendämter in das Verwaltungsverfahren der Behörden der Versorgungsverwaltung und führt nicht zu einer materiell-rechtlichen Verknüpfung der Zuständigkeitsbereiche beider Behörden (vergleichbar etwa des Leistungsbezugs aus der Arbeitslosenversicherung mit der Rentenversicherung, hierzu BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 22). Damit kann der Beklagte im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auch nicht für eine möglicherweise unterbliebene Auskunft über eine Antragstellung nach dem OEG durch das Jugendamt verpflichtet werden. Dieses ist keine für die Auskunft über alle sozialen Angelegenheiten nach dem Sozialgesetzbuch zuständige Stelle (vgl § 15 Abs 1 SGB I). Ein weiter gefasstes Verständnis der Pflicht zur Aufklärung iS des § 13 SGB I und zur Beratung iS des § 14 SGB I würde im Übrigen die Antragserfordernisse und Antragsfristen in sozialrechtlichen Leistungsgesetzen unterlaufen(vgl BSG Urteil vom 27.7.2004 - B 7 SF 1/03 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 5 RdNr 15).

32

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird unter Änderung der Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2015 und des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Oktober 2014 festgestellt, dass der Verwaltungsakt vom 20. Mai 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2014 sowie des Änderungsbescheids vom 1. August 2014 für die Zeit vom 20. Mai 2014 bis 19. November 2014 rechtswidrig war.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für alle Instanzen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen Eingliederungsvereinbarungen (EinglVb) nach dem SGB II ersetzende Verwaltungsakte (im Folgenden: Eingliederungsverwaltungsakte).

2

Der 1978 geborene Kläger bezieht vom beklagten Jobcenter laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Nachdem die ihm gesetzte Frist zur Unterzeichnung einer EinglVb verstrichen war, ersetzte der Beklagte die EinglVb unter Hinweis auf die nicht zustande gekommene Vereinbarung und die Notwendigkeit der Verbesserung der beruflichen Integrationschancen des Klägers für die Dauer vom 20.5.2014 bis 19.11.2014 durch einen Verwaltungsakt ua folgenden Inhalts:

"1. Unterstützung durch Jobcenter …
Das Jobcenter unterbreitet Ihnen Vermittlungsvorschläge, soweit geeignete Stellenangebote vorliegen.
Das Jobcenter unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme von angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB III, sofern Sie diese zuvor beantragt haben.
Das Jobcenter unterstützt Ihre Bewerbungsaktivitäten nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB III durch Übernahme von angemessenen und nachgewiesenen Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen, sofern die Kostenübernahme vor Fahrtantritt durch Sie beantragt wurde.


2. Bemühungen von G
- …
- Sie unternehmen von Mai 2014 bis einschließlich Oktober 2014 mindestens 6 Bewerbungen pro Monat für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und legen hierüber folgende Nachweise … vor:
- Vorlage dieser Dokumentation bei jeder Einladung durch die Arbeitsvermittlung!
- … "
(Bescheid vom 20.5.2014 und Widerspruchsbescheid vom 21.5.2014).

3

Nach Erhebung der Klage hiergegen und noch vor Ablauf des Geltungszeitraums dieses Eingliederungsverwaltungsakts erließ der Beklagte auf Hinweise, dass die geforderten Bewerbungen des Klägers bei den Arbeitgebern nicht eingegangen seien, und nach Nichtzustandekommen einer ihm deswegen unterbreiteten ändernden EinglVb einen den ursprünglichen Bescheid teilweise ersetzenden neuen Eingliederungsverwaltungsakt für die Zeit vom 1.8.2014 bis 31.1.2015, wonach bei unveränderter Fassung im Übrigen nunmehr Bewerbungsschreiben innerhalb von drei Werktagen zum Postversand beim Beklagten einzureichen seien (Bescheid vom 1.8.2014 und Widerspruchsbescheid vom 13.8.2014).

4

Gestützt auf ein vom Kläger nicht angenommenes Teilanerkenntnis des Beklagten hat das SG den Bescheid vom 1.8.2014 aufgehoben, soweit der Geltungszeitraum des Eingliederungsverwaltungsakts durch ihn über den 19.11.2014 hinaus verlängert worden ist, und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 30.10.2014). Das LSG hat die Berufung hiergegen nach Umstellung der Klage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage zurückgewiesen (Urteil vom 26.2.2015): Der Eingliederungsverwaltungsakt beruhe auf einer verfassungsmäßigen Rechtsgrundlage und sei auch im Übrigen rechtmäßig. Insbesondere seien dem Kläger sechs Bewerbungen monatlich zumutbar. Nicht zu beanstanden sei auch die partielle Änderung des Eingliederungsverwaltungsakts. Eine hierzu berechtigende rechtlich wesentliche Änderung der Verhältnisse iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X bestehe, wenn aus begründetem Anlass während der Geltungsdauer eines Eingliederungsverwaltungsakts Verhandlungen über eine neue EinglVb aufgenommen würden. So liege es hier wegen der Feststellung des Beklagten, dass entgegen der Angaben des Klägers keine Bewerbungen bei potentiellen Arbeitgebern eingegangen seien. In dieser Lage dürfe das Jobcenter die Vorlage von Bewerbungskopien fordern.

5

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 15 Abs 1 SGB II sowie seiner Grundrechte aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 GG sowie aus Art 2 Abs 1, Art 12 Abs 1 sowie Art 3 Abs 1 GG. Die in Ziff 1 des Eingliederungsverwaltungsakts umschriebenen Unterstützungsleistungen des Beklagten seien unbestimmt und daher unzureichend, insbesondere im Hinblick auf Bewerbungs- und Fahrkosten. Der tatsächliche Zugang von Bewerbungen in der Vergangenheit stelle keinen rechtlich wesentlichen Umstand für den Fortbestand des ursprünglichen Eingliederungsverwaltungsakts dar und rechtfertige daher nicht den Erlass des Änderungsbescheids. Verfassungswidrig sei, dass er über die Sanktionsnormen der §§ 31 ff SGB II dazu angehalten werde, jede zumutbare Arbeit aufzunehmen, unabhängig davon, ob dies seinem Willen oder seinem Verständnis von guter Arbeit entspreche.

6

Der Kläger beantragt,
unter Änderung der Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2015 und des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Oktober 2014 festzustellen, dass der Verwaltungsakt vom 20. Mai 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2014 sowie des Änderungsbescheids vom 1. August 2014 für die Zeit vom 20. Mai 2014 bis 19. November 2014 rechtswidrig war.

7

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Ersetzung der EinglVb war mangels einer ausreichenden Ermessensbetätigung seitens des beklagten Jobcenters zu den ihm zu gewährenden Leistungen zur Eingliederung in Arbeit rechtswidrig.

9

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nach Ablauf des Geltungszeitraums des Eingliederungsverwaltungsakts vom 20.5.2014 und dessen teilweiser Aufhebung durch das SG für die Zeit ab dem 20.11.2014 das Begehren des Klägers, für den verbliebenen Zeitraum vom 20.5.2014 bis 19.11.2014 seine Rechtswidrigkeit in der Gestalt feststellen zu lassen, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 21.5.2014 und den Änderungsbescheid vom 1.8.2014 erhalten hat. Dieses Interesse verfolgt der Kläger zulässig mit der Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs 1 Satz 3 SGG(vgl zum berechtigten Interesse nach zeitbedingter Erledigung eines Eingliederungsverwaltungsakts BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 195/11 R - BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr 2, RdNr 16).

10

2. Rechtsgrundlage des Eingliederungsverwaltungsakts ist § 15 Abs 1 Satz 6 iVm § 15 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB II(hier idF der Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13.5.2011, BGBl I 850). Hiernach soll die Agentur für Arbeit (AA) im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). Diese soll insbesondere bestimmen, 1. welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält, 2. welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind, 3. welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu beantragen haben (Satz 1 und 2). Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die Regelungen durch Verwaltungsakt erfolgen (Satz 6).

11

Hiernach war, nachdem der Kläger den ihm unterbreiteten Entwurf einer EinglVb nicht unterzeichnet hatte, jedenfalls deshalb (vgl BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 195/11 R - BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr 2, RdNr 17 ff; weitergehend BSG Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 13/09 R - BSGE 104, 185 = SozR 4-4200 § 15 Nr 1, RdNr 17) Raum für den Erlass eines ersetzenden Eingliederungsverwaltungsakts. Dafür war der Beklagte in Wahrnehmung der Aufgaben der AA auch sachlich zuständig (§ 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II). Bei dem dabei auszuübenden Ermessen hat er aber die Anforderungen verfehlt, die bei Ersetzungsentscheidungen nach § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II zu beachten sind.

12

3. Ersetzt das Jobcenter eine EinglVb durch Verwaltungsakt, sind die ersetzenden Regelungen im Rahmen pflichtgemäßem Ermessens nach denselben Maßstäben zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, wie sie für die konsensuale EinglVb gelten.

13

a) Ob und mit welchen Inhalten eine EinglVb durch Verwaltungsakt ersetzt wird, hat das Jobcenter gemäß § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II ("sollen die Regelungen … durch Verwaltungsakt erfolgen") nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Entsprechend § 39 Abs 1 SGB I ist daher die Ersetzungsentscheidung an den Zwecken auszurichten, die nach dem Regelungskonzept des SGB II mit der zu ersetzenden EinglVb verfolgt werden, und es sind die Grenzen einzuhalten, die auch bei einer vertraglichen Verständigung über die Inhalte der EinglVb zu wahren sind. Auch die Regelungen eines Eingliederungsverwaltungsakts müssen danach zunächst den Anforderungen genügen, die je für sich aus den möglichen Inhalten nach § 15 Abs 1 Satz 2 SGB II abzuleiten sind. Zu beachten sind zudem weiter die Maßgaben, die aus der Vertragsform der zu ersetzenden EinglVb resultieren. Als öffentlich-rechtlicher Vertrag (so Urteil vom heutigen Tag, BSG Urteil vom 23.6.2016 - B 14 AS 30/15 R - RdNr 16) unterliegt der Abschluss einer EinglVb den Anforderungen des § 55 Abs 1 Satz 2 SGB X(dazu näher ebenda RdNr 16). Muss danach die Gegenleistung, zu der sich der Vertragspartner der Behörde verpflichtet, "den gesamten Umständen nach angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen", so gilt nichts anderes, wenn das Jobcenter "die Regelungen" (§ 15 Abs 1 Satz 6 SGB II) durch Verwaltungsakt zu ersetzen hat; auch in dieser Handlungsform wahrt die verbindliche und ggf die Sanktionsfolgen nach §§ 31a, 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II auslösende Konkretisierung der Eigenbemühungen der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten den durch § 55 Abs 1 Satz 2 SGB X vorgegebenen Rahmen nur, wenn ihr eine iS der Vorschrift den Umständen nach angemessene Bestimmung der "vertraglichen Leistung der Behörde", also: der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 15 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II, gegenübersteht.

14

b) Nichts anderes folgt aus dem bei der Ersetzungsentscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu beachtenden Sinn und Zweck von § 15 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB II selbst. Wie die Materialien und die Verankerung der Verpflichtung zum Abschluss einer EinglVb bereits in die zentrale Bestimmung des § 2 Abs 1 Satz 2 SGB II zur Eigenverantwortung der Leistungsberechtigten erweisen, misst der Gesetzgeber der wechselbezüglichen Konkretisierung von Pflichten und Obliegenheiten im Rahmen von EinglVben entgegen verbreiteter Skepsis(vgl etwa Ebsen in von Wulffen/Krasney, Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, S 725, 736 ff; von Koppenfels-Spies, NZS 2011, 1, 5 ff) eine herausgehobene Bedeutung für die Eingliederung in Arbeit zu (vgl BT-Drucks 15/1516 S 43). Getragen von der Erwartung, dass bei personalintensiverer Betreuung und individuellen Eingliederungskonzepten insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit besser abgebaut werden könne, soll das einem Fallmanagement dienen, das unter aktiver Mitarbeit des Leistungsberechtigten aufbauend auf einer Erhebung seiner konkreten Bedarfslage ein individuelles Angebot mit einer "maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen" planen und steuern soll (vgl BT-Drucks 15/1516 S 44). Demgemäß soll die EinglVb in Konkretisierung des Sozialrechtsverhältnisses zwischen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und AA (vgl BT-Drucks 15/1516 S 54) sicherstellen, dass einerseits die AA Angebote unterbreitet, die den individuellen Bedürfnissen des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, den Anforderungen des Arbeitsmarktes und den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit entsprechen, und zugleich soll mit jedem Leistungsberechtigten vereinbart werden, welche Anstrengungen von ihm selbst im Rahmen des Eingliederungsprozesses erwartet werden (vgl BT-Drucks 15/1516 S 46). Diesem Zweck würde es nicht genügen, würde das Jobcenter nicht auch bei Ersetzungsentscheidungen nach § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II eine der individuellen Bedarfslage des erwerbsfähigen Leistungsbeziehers gerecht werdende Konkretisierung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit vornehmen.

15

c) Nur so versteht sich in systematischer Hinsicht auch, dass mit dem Eingliederungsverwaltungsakt gemäß § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II "die" Regelungen nach § 15 Abs 1 Satz 2 SGB II zu ersetzen und im Unterschied zur Arbeitsförderung nicht nur die Eigenbemühungen des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zu konkretisieren sind. Soweit dort das Instrumentarium der EinglVb (zunächst § 35 Abs 4 SGB III idF des Job-AQTIV-Gesetzes vom 10.12.2001, BGBl I 3443; seit 1.1.2009: § 37 Abs 2 SGB III idF des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008, BGBl I 2917) zwischenzeitlich in § 37 Abs 3 Satz 4 SGB III ebenfalls um eine Regelung zur Ersetzung durch Verwaltungsakt ergänzt worden ist, beschränkt sie sich ausschließlich auf die Festsetzung der "erforderlichen Eigenbemühungen" iS von § 37 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB III. Ob die Arbeitsagentur darüber hinaus in dem die EinglVb ersetzenden Verwaltungsakt auch Leistungen der aktiven Arbeitsförderung gewährt, ist hingegen in ihr Ermessen gestellt (vgl Rademacker in Hauck/Noftz, SGB III, K § 37 SGB III RdNr 28, Stand der Einzelkommentierung Juli 2013). Diese unterschiedliche Ausgestaltung erweist ebenfalls, dass sich die Eingliederungsverwaltungsakte nach dem SGB II auch in Bezug auf das Sanktionsregime der §§ 31a, 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II nicht auf die Bestimmung der von den Leistungsberechtigten erwarteten Eigenbemühungen beschränken dürfen(zu den Motiven für die Einführung des Eingliederungsverwaltungsakts in das SGB III durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vgl dagegen BT-Drucks 16/10810 S 30), sondern dass sie zur Meidung eines Formenmissbrauchs jeweils ebenso situationsangepasste Eingliederungszusagen vorzusehen haben.

16

d) Gestützt wird das schließlich auch durch die Weiterentwicklung, die § 15 SGB II nach dem Entwurf der Bundesregierung eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung (im Folgenden: 9. SGB II-ÄndG-E) erfahren soll. Danach soll den Vorschriften über die EinglVb in Anlehnung an § 37 Abs 1 SGB III eine Pflicht zur Durchführung von Potentialanalysen vorangestellt werden(§ 15 Abs 1 Satz 1 SGB II idF 9. SGB II-ÄndG-E, vgl BT-Drucks 18/8041 S 7), wie es in den fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu § 15 SGB II im Rahmen des sogenannten Profilings bereits zugrunde gelegt wird(vgl Brühl/Hofmann, Durchführungshinweise der BA für die Anwendung des SGB II, 8. Aufl 2011, Anlage zu § 15). Auch das unterstreicht, dass die EinglVb nach der Konzeption des SGB II als das maßgebliche Werkzeug zur Planung und Gestaltung des Eingliederungsprozesses und zur Festlegung gegenseitiger Rechte und Pflichten anzusehen und dabei an den jeweiligen individuellen Umständen auszurichten ist (vgl BT-Drucks 18/8041 S 37), was auch bei Ersetzungsentscheidungen durch Verwaltungsakt entsprechend zu berücksichtigen ist.

17

4. Hieran gemessen war der streitbefangene Eingliederungsverwaltungsakt sowohl in seiner ursprünglichen Fassung vom 20.5.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.5.2014 als auch in der Fassung des Änderungsbescheids vom 1.8.2014 in der noch im Streit stehenden Zeit vom 20.5.2014 bis 19.11.2014 rechtswidrig, ohne dass es auf die Berechtigung zu der Änderung selbst noch ankommt.

18

a) Dahinstehen kann dabei, ob bereits das an den Kläger gerichtete Verlangen rechtswidrig war, mindestens sechs Bewerbungen pro Monat für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und hierüber Nachweis zu führen. Zwar können solche Aufforderungen nach dem Maßstab von § 2 Abs 2 Satz 2 SGB II und § 10 SGB II zumutbar sein, wie das BSG zu entsprechenden Anforderungen aus dem Regelungsbereich des SGB III bereits entschieden hat(BSG Urteil vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3, RdNr 29; BSG Urteil vom 31.1.2006 - B 11a AL 13/05 R - RdNr 21). Hiernach müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen einsetzen (§ 2 Abs 2 Satz 2 SGB II), soweit nicht einer der Ausnahmetatbestände des § 10 Abs 1 SGB II vorliegt. Jedoch entzieht sich auch das einer schematischen, die Umstände des Einzelfalls außer Betracht lassenden Bewertung. Wie der erkennende Senat schon entschieden hat, darf in Eingliederungsvereinbarungen nicht an Zielen starr festgehalten werden, die sich als erfolglos erwiesen haben (BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 195/11 R - BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr 2, RdNr 21). Ebenso hat der 4. Senat des BSG darauf hingewiesen, dass die Chancen, eine Arbeitsstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erlangen, bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die die Voraussetzungen des § 16d Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllen, deutlich herabgesetzt sind(BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R - BSGE 102, 201 = SozR 4-4200 § 16 Nr 4, RdNr 25 zu § 16 Abs 3 Satz 2 SGB II idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954). Von Bedeutung ist schließlich ebenfalls die Arbeitsmarktlage in der konkreten Bewerbersituation (vgl BSG Urteil vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R - BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr 3, RdNr 29).

19

Daher ist die Rechtsprechung des BSG zu § 119 Abs 1 Nr 1 SGB III(in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung, inzwischen entsprechend: § 138 Abs 1 Nr 2 SGB III) nicht dahin zu verstehen, dass aus der Selbsthilfeobliegenheit des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB II eine allgemeingültige Zahl monatlicher Bewerbungsbemühungen abzuleiten sein könnte, die von besonderen und entsprechend darzulegenden Umständen des Einzelfalls abgesehen grundsätzlich als zumutbar anzusehen wäre. Vielmehr ist nach der aufgezeigten Regelungsintention des Gesetzgebers jeweils im Einzelfall zu beurteilen, welche Eigenbemühungen von dem Arbeitsuchenden mit Blick auf die individuellen Fähigkeiten und gesundheitliche Situation einerseits (vgl etwa Müller in Hauck/Noftz, SGB II, § 15 RdNr 49, Stand Einzelkommentierung Juli 2012; Berlit in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 15 RdNr 26; Kador in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 15 RdNr 43; Sonnhoff in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 15 RdNr 88 ff; zur Rechtslage nach dem BSHG auch BVerwG Urteil vom 17.5.1995 - 5 C 20/93 - BVerwGE 98, 203, Juris RdNr 17) und die Arbeitsmarktlage andererseits zumutbar verlangt werden können. Ob die hier im Streit stehenden Anforderungen dem genügt haben, vermochte der Senat mangels näherer Feststellungen der Vorinstanzen (vgl § 163 SGG) nicht zu beurteilen. Das konnte indes dahinstehen, weil sich jedenfalls die Eingliederungszusagen des streitbefangenen Eingliederungsverwaltungsakts als unzureichend erweisen und er deshalb insgesamt rechtswidrig ist.

20

b) Die Eingliederungszusagen sind allerdings entgegen der Auffassung des Klägers nicht schon hinsichtlich der Erklärung unzureichend, Bewerbungsaktivitäten nach "Maßgabe des § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB III" zu unterstützen durch Übernahme von "angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen …, sofern Sie diese zuvor beantragt haben" bzw "von angemessenen und nachgewiesenen Fahrkosten zu Vorstellungsgesprächen, sofern die Kostenübernahme vor Fahrtantritt durch Sie beantragt wurde". Darin liegt zwar eine verbindliche Verpflichtung dem Grunde nach und nicht lediglich ein nicht bindender Verweis auf die Rechtslage (zu einer solchen Fallgestaltung vgl dagegen Urteil vom heutigen Tag, BSG Urteil vom 23.6.2016 - B 14 AS 30/15 R - RdNr 21 ff). Das ist auch ausgehend von der Rechtsprechung des BSG zum Eintritt einer Sperrzeit im Arbeitsförderungsrecht nicht entbehrlich (vgl BSG Urteil vom 15.2.1979 - 7/12 RAr 43/77 - SozR 4100 § 119 Nr 7 S 32; BSG Urteil vom 16.10.1990 - 11 RAr 65/89 - SozR 3-4100 § 119 Nr 4 S 16 ff). In der Ausgestaltung hat das BSG es indes regelmäßig ausreichen lassen, wenn die auf Antrag bestehenden Ansprüche dem Grunde nach verbindlich bezeichnet waren (vgl BSG Urteil vom 15.2.1979 - 7/12 RAr 43/77 - SozR 4100 § 119 Nr 7 S 32; BSG Urteil vom 16.10.1990 - 11 RAr 65/89 - SozR 3-4100 § 119 Nr 4 S 17). Hiervon abzuweichen besteht jedenfalls in Fällen wie hier kein Anlass. Zwar mögen Gestaltungen denkbar sein, bei denen angesichts der geforderten Eigenbemühungen mit hohen Bewerbungskosten zu rechnen ist und deren Höhe im Vorhinein abschätzbar ist. Dass es hier so lag, ist indes weder den Feststellungen des LSG noch dem Vorbringen des Klägers zu entnehmen. Angesichts dessen lässt es keinen Ermessensfehler erkennen, dass die zu beanspruchenden Leistungen in den streitbefangenen Verfügungen nach Art und Rechtsgrundlage lediglich dem Grunde nach bezeichnet worden sind und die Bestimmung ihrer Höhe im Einzelnen dem Antragsverfahren überlassen geblieben ist.

21

c) Unzureichend war jedoch, dass der streitbefangene Eingliederungsverwaltungsakt über den Verweis auf die Rechtsansprüche zur Erstattung von Bewerbungskosten und der Zusage, bei geeigneten Angeboten Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten, hinaus keine konkreten Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne der angestrebten "maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen" (vgl BT-Drucks 15/1516 S 44) bezeichnet hat, ohne dass dies von hinreichenden Ermessenserwägungen getragen wäre. Zwar mag es dafür im Einzelfall Gründe geben. Soll auf Eingliederungsangebote nach § 15 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II, die auf die individuelle Situation zugeschnitten sind, verzichtet werden, setzt das jedoch gemäß § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II ("sollen" die Regelungen von Satz 2 durch Verwaltungsakt erfolgen) die Ausübung pflichtgemäßem Ermessens voraus(§ 39 Abs 1 SGB I), wofür mangels jeder Begründung der angefochtenen Entscheidungen (§ 35 Abs 1 Satz 3 SGB X) hier nichts erkennbar ist. Damit erschöpften sich die streitbefangenen Entscheidungen von der Bezeichnung ohnehin bestehender gesetzlicher Ansprüche abgesehen in der Konkretisierung von Eigenbemühungen des Klägers, womit sie im Ergebnis auf eine Anknüpfungsgrundlage für mögliche Sanktionsentscheidungen reduziert worden sind; das entspricht der gesetzlichen Konzeption nicht (vgl ebenso etwa LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 22.1.2007 - L 13 AS 4160/06 ER-B - RdNr 6; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 12.1.2012 - L 7 AS 242/10 B - RdNr 11; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 14.7.2015 - L 9 AS 609/15 - RdNr 25).

22

d) Dieser Ermessensausfall begründete die Rechtswidrigkeit der streitbefangenen Eingliederungsverwaltungsakte insgesamt. Zwar konnte der Kläger etwaige weitergehende Eingliederungsleistungen auch ohne Fixierung im Eingliederungsverwaltungsakt beanspruchen. Ebenso bestand eine entsprechende Verpflichtung auf Seiten des Beklagten, ohne dass es auf die ersetzten EinglVben ankam (vgl § 14 SGB II). Nach dem dargelegten Konzept des § 15 SGB II mit der Wechselbezüglichkeit konkret zu fassender Leistungen zur Eingliederung in Arbeit auf der einen und konkret zu bestimmender Anforderungen an die Eigenbemühungen der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auf der anderen Seite ist eine auf Absatz 1 Satz 6 gestützte Ersetzungsentscheidung nach dem Rechtsgedanken des § 58 Abs 3 SGB X aber insgesamt zu Lasten des Regelungsadressaten rechtswidrig, wenn sie sich auf die Vorgabe allein ihn verpflichtender Maßgaben beschränkt. Hiernach ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag bei der Nichtigkeit auch eines Teils im Ganzen nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Teil geschlossen worden wäre. Das gilt für den eine EinglVb als öffentlich-rechtlichen Vertrag ersetzenden Verwaltungsakt entsprechend, weil es nach der gesetzlichen Konzeption, wie ausgeführt, ausgeschlossen ist, dass das Jobcenter die Ersetzungsentscheidung von besonderen Ausnahmefällen abgesehen regelhaft auf die Bestimmung ausschließlich von Pflichten der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beschränken darf. Sind keine Gründe dargelegt, die ermessensfehlerfrei ausnahmsweise das Absehen von situationsangepassten Leistungen zur Eingliederung in Arbeit tragen, ist der die EinglVb ersetzende Verwaltungsakt in einer das Regelungskonzept des SGB II verfehlenden Weise allein auf die die sanktionsbewehrte Kontrolle der Eigenaktivitäten des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beschränkt und insgesamt rechtswidrig.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2011 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im oben bezeichneten Beschluss wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 28.6.2011 einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt und zu deren Durchführung Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., beantragt. Mit der Beschwerdebegründung vom 12.10.2011 macht sie Verfahrensmängel geltend.

3

II. Der PKH-Antrag ist abzulehnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO). Denn die Nichtzulassungsbeschwerde erfüllt bereits nicht die insoweit geltenden formellen Voraussetzungen. Da der Klägerin PKH nicht zu gewähren ist, hat sie auch keinen Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

4

III. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung vom 12.10.2011 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, denn sie zeigt den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß auf (§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).

5

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels(§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

6

1. Wird (unter II 1 und 2 der Beschwerdebegründung) ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt, muss die Begründung folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).

7

Ein anwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Entsprechendes gilt für das Beschlussverfahren (§ 153 Abs 4 S 1 SGG); hier ist ein Beweisantrag, der nach Erhalt einer Anhörungsmitteilung (§ 153 Abs 4 S 2 SGG) nicht wiederholt wird, grundsätzlich so zu behandeln, als habe er sich erledigt (stRspr, vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 52; SozR 4-1500 § 160 Nr 11 RdNr 7). Ein Beweisantrag, auf den das LSG lediglich mit einer Bezugnahme auf eine frühere Anhörung reagiert, braucht hingegen nicht wiederholt zu werden, um eine zulässige Sachaufklärungsrüge darauf zu stützen (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 11 und Nr 12). Nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG soll die Sachaufklärungsrüge die Revisionsinstanz nur dann eröffnen, wenn das Tatsachengericht vor seiner Entscheidung durch einen Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts(§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21; Nr 31 S 52).

8

Selbst wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass sie einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet und nach der skizzierten Rechtsprechung bis zuletzt aufrechterhalten habe, fehlt es jedenfalls an ausreichenden Darlegungen, weshalb sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den von ihm abgelehnten Beweis zu erheben. Hierzu hätte die Klägerin ausführen müssen, weshalb das LSG sich auf die von ihm erhobenen Beweise nicht hätte stützen dürfen, etwa weil die vorliegenden Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters besteht oder wenn die in verschiedenen Gutachten enthaltenen sich widersprechenden Schlussfolgerungen mit entsprechenden Feststellungen einhergehen (stRspr, vgl nur BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN).

9

Den Ausführungen der Beschwerdebegründung (zu II 1) lässt sich keine tragfähige Begründung entnehmen, weshalb sich das LSG hätte gedrängt fühlen müssen, ihrem Beweisantrag im Schriftsatz vom 13.5.2011 zu folgen, ein Gutachten dazu einzuholen, dass "für die Ausübung der Tätigkeit einer Versandfertigmacherin eine zumindest normale und vollständige Belastbarkeit der Arme (Hände) und uneingeschränkte Fingergeschicklichkeit erforderlich" sei. Die Beschwerdebegründung gibt (S 5 Mitte) die Stellungnahme Dr. K. vom 31.3.2011 wieder, wonach die Klägerin die einzelnen Tätigkeiten einer Versandfertigmacherin ausüben könne, wie sie die berufskundliche Stellungnahme L. ausweise. Dem aber kann zwanglos entnommen werden, dass Dr. K. die Klägerin hierfür - ungeachtet der seinem Gutachten vom 13.1.2010 zu entnehmenden Einschränkungen - in der Lage gehalten hat. Dass dies mit den einzelnen Feststellungen des Sachverständigen in diesem Gutachten nicht übereinstimme, trägt die Beschwerdebegründung nicht vor. Damit aber fehlt es an der schlüssig vorgetragenen Notwendigkeit der Einholung eines berufskundlichen Gutachtens zu den Anforderungen an eine Versandfertigmacherin.

10

Auch in ihren Ausführungen zu II 2 fehlt es der Beschwerdebegründung am erforderlichen Vortrag. Die Klägerin ist zwar der Meinung, dass die Äußerungen des Sachverständigen, des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K., zur Einsatzfähigkeit der Klägerin als Pförtnerin "in sich widersprüchlich und inkohärent" seien, weshalb das LSG den Beweisantrag der Klägerin "auf Aufklärung und Feststellung, dass sie zur Ausführung der Tätigkeit eines Pförtners nicht in der Lage" sei, hätte nachkommen müssen (vgl S 7 Beschwerdebegründung). Es fehlt aber schon an Vortrag, dass sich das LSG zur Ablehnung des Rentenanspruchs maßgeblich auf die Verweisungstätigkeit einer Pförtnerin bezogen habe. Vielmehr führt die Beschwerdebegründung (S 4 unten) aus, das LSG habe "lediglich Bezug auf die Frage der Tätigkeit als Versandfertigmacherin" genommen. Deshalb erschließt sich nicht, aus welchem Grund sich das LSG nach den aufgezeigten Maßgaben von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt sehen müssen, ein weiteres Gutachten zur Einsatzfähigkeit als Pförtnerin einzuholen.

11

2. Soweit die Klägerin (unter II 1 und 2 der Beschwerdebegründung) auch eine Gehörsverletzung (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) rügt, ist ein Verfahrensfehler ebenso wenig ordnungsgemäß bezeichnet.

12

Das Gebot der Wahrung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht regelmäßig nur dazu, die Ausführungen von Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Es ist erst verletzt, wenn sich klar ergibt, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung gar nicht erwogen worden ist (vgl zB BVerfGE 65, 293, 295 f mwN = SozR 1100 Art 103 Nr 5 S 3 f). Wenn die Klägerin (S 6, 2. Absatz der Beschwerdebegründung) meint, das LSG habe sich zu ihren mit Schriftsatz vom 13.5.2011 mitgeteilten Einwendungen, die Tätigkeit einer Pförtnerin nicht wahrnehmen zu können, "überhaupt nicht" geäußert, steht dies in Widerspruch zu ihrem ausdrücklichen Vortrag (S 4 unten der Beschwerdebegründung), dass sich das LSG mit den Einwendungen im Schriftsatz vom 13.5.2011 "insoweit auseinander"gesetzt habe, "als es erklärt, diese Einwände würden nicht überzeugen, im folgenden … jedoch lediglich Bezug auf die Frage der Tätigkeit einer Versandfertigmacherin" genommen habe. Hieraus aber ergibt sich zwanglos, dass das LSG den genannten Schriftsatz der Klägerin vom 13.5.2011 zur Kenntnis genommen, die Einwände der Klägerin aber nicht für überzeugend gehalten hat.

13

3. Soweit die Klägerin (unter III der Beschwerdebegründung) meint, es liege wegen einer Verletzung des § 153 Abs 4 S 2 SGG ein Verstoß gegen den "Grundsatz des gesetzlichen Richters" vor, macht sie sinngemäß wiederum nichts anderes als die Verletzung des rechtlichen Gehörs(Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG)geltend. Sie hat aber nicht hinreichend aufgezeigt, dass etwaige Verfahrensmängel die Entscheidung des Gerichts haben beeinflussen können.

14

Die Klägerin trägt vor, das LSG habe auf die mit Schriftsatz vom 13.5.2011 angekündigten Beweisanträge mit Anhörungsschreiben vom 15.6.2011, zugegangen am 17.6.2011, mitgeteilt, dass weiterhin beabsichtigt sei, durch Beschluss zu entscheiden, ohne darauf hinzuweisen, weshalb es den Beweisantritten nicht folgen werde. Der am 28.6.2011 getroffene Beschluss des LSG sei bereits vor Ablauf eines Monats nach dem Datum des zweiten Anhörungsschreibens vom 15.6.2011, und zwar am 11.7.2011 zur Post gegeben worden. Hierin liege ein Verstoß gegen § 153 Abs 4 SGG wegen der "fehlerhaften Besetzung der Richterbank". Dies stelle einen absoluten Revisionsgrund (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) dar, sodass nähere Ausführungen zur Kausalität des Fehlers entbehrlich seien (S 8 Beschwerdebegründung).

15

Nach § 153 Abs 4 S 1 SGG kann das LSG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, falls die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung des SG kein Gerichtsbescheid(§ 105 Abs 2 S 1 SGG) ist. Nach § 153 Abs 4 S 2 SGG sind die Beteiligten vorher zu hören. Diese Anhörungspflicht ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG), das im Beschlussverfahren nicht verkürzt werden darf. Ihm ist Genüge getan, wenn den Beteiligten Gelegenheit sowohl zur Äußerung von etwaigen Bedenken, die sie gegen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter) haben, als auch zur Stellungnahme in der Sache selbst eingeräumt wird (vgl BSG vom 9.4.2003 - B 5 RJ 140/02 B - Juris RdNr 8).

16

Wird nach einer (ersten) Anhörungsmitteilung weiter vorgetragen und werden formelle Beweisanträge gestellt, muss eine neue Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG mit Äußerungsmöglichkeit ergehen, wenn das Berufungsgericht auch unter Würdigung des neuen Vorbringens an seiner Absicht festhalten will, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden und den Beweisanträgen nicht nachzugehen(stRspr BSG, vgl zB BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 8 S 24; BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 12 f; Senatsbeschluss vom 27.8.2009 - B 13 RS 9/09 B - Juris RdNr 13 mwN). Einer erneuten Anhörungsmitteilung in diesem Sinne bedarf es nur dann nicht, wenn das neue Vorbringen nicht entscheidungserheblich oder unsubstantiiert ist, neben der Sache liegt oder früheren Vortrag lediglich wiederholt (vgl Senatsbeschluss vom 27.8.2009 - B 13 RS 9/09 B - Juris RdNr 13).

17

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellt die Verletzung der Anhörungspflicht von § 153 Abs 4 S 2 SGG jedoch - anders als die Verletzung von § 153 Abs 4 S 1 SGG - keinen absoluten Revisionsgrund dar(vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19; Senatsbeschluss vom 23.2.2011 - B 13 R 19/10 BH - BeckRS 2011, 69538 RdNr 10; Senatsbeschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 61/12 B - Juris RdNr 9; an der abweichenden Aussage im Senatsbeschluss vom 20.10.2010 - B 13 R 63/10 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 15, 17 hält der Senat nicht fest: vgl Senatsbeschluss vom 17.12.2012 - B 13 R 371/11 B), bei dem unwiderleglich vermutet wird, dass die Entscheidung auf dem Verfahrensverstoß beruht.

18

Selbst wenn nach dem Vortrag der Klägerin die Dauer von mehr als drei Wochen nach dem Datum des zweiten Anhörungsschreibens bis zur Absendung des angefochtenen Beschlusses für eine weitere Stellungnahme zu kurz gewesen wäre und das LSG insoweit verfahrensfehlerhaft gehandelt hätte, kann die Beschwerde keinen Erfolg haben. Denn die Klägerin hat nicht, wie erforderlich (s oben), hinreichend aufgezeigt, dass die Entscheidung des LSG auf der Gehörsverletzung von § 153 Abs 4 S 2 SGG beruhen kann, weil sie nicht dargelegt hat, welche konkreten Argumente von ihr weiter vorgetragen worden wären und inwiefern diese eine abweichende Entscheidung hätten bewirken können.

19

Der Beschwerdevortrag reduziert sich insoweit darauf, dass sie der Meinung ist, das LSG habe die in ihrem Schriftsatz vom 13.5.2011 vorgetragenen Einwendungen bzw angekündigten Beweisanträge nicht hinreichend berücksichtigt. Neue Tatsachen oder neue rechtliche Gesichtspunkte hat sie hingegen nicht dargelegt.

20

Aus demselben Grund liegt schließlich auch keine Gehörsverletzung (§ 153 Abs 4 S 2 SGG) vor, soweit die Klägerin meint, das LSG hätte in der zweiten Anhörungsmitteilung begründen müssen, weshalb es den angekündigten Beweisantritten nicht folgen werde. Auch insofern hat die Klägerin nicht hinreichend aufgezeigt, dass eine etwaige Verletzung der Anhörungspflicht entscheidungserheblich hätte sein können. Denn die Klägerin hätte spätestens in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vortragen müssen, welche weiteren Argumente sie vorgebracht hätte und inwiefern diese das Ergebnis der Entscheidung hätten beeinflussen können. Daran fehlt es.

21

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

22

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.