Bundesgerichtshof Urteil, 12. März 2019 - XI ZR 98/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum 12. Februar 2019 eingereicht werden konnten, durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und Dr. Derstadt
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen der Kläger.
- 2
- Die Parteien schlossen im November 2005 einen Darlehensvertrag über 345.000 € mit einem bis zum 30. November 2015 festen Zinssatz von 3,91% p.a. Zur Sicherung der Beklagten diente ein Grundpfandrecht. Bei Ab- schluss des Darlehensvertrags belehrte die Beklagte die Kläger über ihr Widerrufsrecht wie folgt:
- 3
- Die Kläger erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Ende des Jahres 2012 verhandelten die Parteien wegen einer vorzeitigen Beendigung des Darlehensvertrags. Die Beklagte beanspruchte eine "Vorfälligkeitsentschädigung" und ein Bearbeitungsentgelt. Beides waren die Kläger zunächst nur unter dem Vorbehalt einer weiteren Prüfung zu leisten bereit. Nachdem die Beklagte erklärt hatte, Zahlungen unter Vorbehalt nicht anzunehmen, erklärten sich die Kläger mit den Bedingungen der Beklagten ohne Vorbehalt einverstanden. Ende Dezember 2012 brachten die Kläger die Gesamtforderung der Beklagten zum Ausgleich. Die Beklagte gab die Sicherheit frei. Mit Schreiben ihres vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 3. Februar 2015, zugegangen am selben Tag, widerriefen die Kläger ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen.
- 4
- Ihre Klage auf Erstattung des zu ihren Gunsten errechneten Saldos aus dem Rückgewährschuldverhältnis in Höhe von 61.489,32 € nebst Zinsen und auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten hat das Landgericht abgewiesen. Der dagegen gerichteten Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht teilweise entsprochen. Es hat die Beklagte aufgrund der von ihm geringer veranschlagten Nutzungen zur Zahlung von 42.174,14 € nebst Zinsen an die Kläger "als Gesamtgläubiger" verurteilt. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Gegen die teilweise Abänderung des landgerichtlichen Urteils richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Zurückweisung der Berufung der Kläger weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
- 5
- Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
I.
- 6
- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - ausgeführt:
- 7
- Das Widerrufsrecht der fehlerhaft belehrten Kläger sei nicht verwirkt. Es fehle "jedenfalls am Umstandsmoment". Das "Verhalten eines Kunden, der von seinem Widerrufsrecht keine Kenntnis" habe, lasse "keinen Schluss darauf zu, er werde von dem ihm zustehenden Widerrufsrecht keinen Gebrauch machen". Es fehle "an dem für die Verwirkung erforderlichen Vertrauenstatbestand, wenn der andere Teil davon ausgehen" müsse, "dass der Berechtigte keine Kenntnis von seinem (noch bestehenden) Recht" habe. Es seien nach "Maßgabe dieser - jüngst durch den Bundesgerichtshof bestätigten - Rechtsprechung […] vorliegend keine auf dem Verhalten des Berechtigten beruhenden Umstände vorgetragen , auf welche die Beklagte ein Vertrauen darauf" habe "gründen dürfen, die Kläger würden von ihrem Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr machen. Dass die Kläger über Jahre hinweg monatliche Zahlungen geleistet, die Darlehenssumme vollständig zurückgeführt und damit ihre vertraglich eingegangenen Verpflichtungen erfüllt" hätten, habe die Beklagte nicht zu der Annahme berechtigt, "die Kläger würden in Kenntnis eines (noch) bestehenden Widerrufsrechts auch zukünftig von einem Widerruf absehen". Ein schutzwürdiges Vertrauen könne die Beklagte zudem schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst herbeigeführt habe, indem sie eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erteilt habe. Jedenfalls während der Laufzeit des Darlehensvertrags sei es der Beklagten möglich und zumutbar gewesen, mittels einer Nachbelehrung für Klarheit zu sorgen. Die vorzeitige einvernehmliche Beendigung des Darlehensvertrags habe nicht zu einem Erlöschen des Widerrufsrechts geführt. "Nach alledem" habe die Beklagte "auch im Hinblick auf den zwischen dem Vertragsschluss (November 2005) und der Erklärung des Widerrufs (Februar 2015) liegenden, mehr als neunjährigen Zeitraum nicht darauf vertrauen" dürfen, "die Kläger würden nicht (mehr) widerrufen". Die Beklagte habe die Vermutung nicht widerlegt, aus Zins- und Tilgungsleistungen der Kläger Nutzungen in Höhe von zweieinhalb Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gezogen zu haben.
II.
- 8
- Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
- 9
- 1. Das Berufungsgericht hat allerdings im Ausgangspunkt richtig erkannt, den Klägern sei gemäß § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung zu widerrufen. Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Widerrufsfrist sei bei Erklärung des Widerrufs am 3. Februar 2015 noch nicht abgelaufen gewesen , weil die Beklagte die Kläger unzureichend deutlich über das ihnen zukommende Widerrufsrecht belehrt habe (vgl. zu einer inhaltsgleichen Belehrung Senatsurteile vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 449/16, WM 2017, 2251 Rn. 17, - XI ZR 455/16, juris Rn. 18 f., - XI ZR 456/16, WM 2017, 2254 Rn. 18, - XI ZR 457/16, WM 2017, 2256 Rn. 31, - XI ZR 549/16, juris Rn. 15 sowie - XI ZR 555/16, WM 2017, 2259 Rn. 16).
- 10
- 2. Als rechtsfehlerhaft erweisen sich aber die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Verwirkung des Widerrufsrechts verneint hat. -
- 11
- Dass die Beklagte davon ausging oder ausgehen musste, die Kläger hätten von ihrem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schloss entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts eine Verwirkung nicht aus. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Beklagte "die Situation selbst herbeigeführt hat", weil sie eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erteilt hat. Gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen - wie hier - kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren. Das gilt in besonderem Maße, wenn die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht (Senatsurteile vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 443/16, WM 2017, 2248 Rn. 26 und - XI ZR 450/16, juris Rn. 18 sowie vom 15. Mai 2018 - XI ZR 199/16, juris Rn. 17 und vom 18. September 2018 - XI ZR 750/16, juris Rn. 11; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 16 ff.).
- 12
- Im Übrigen hat das Berufungsgericht bei der Prüfung der Frage, ob das Widerrufsrecht der Kläger verwirkt sei, zulasten der Beklagten einen wesentlichen Gesichtspunkt unberücksichtigt gelassen, weil es in seine Würdigung den Umstand nicht einbezogen hat, dass die Beklagte im Zuge der vorzeitigen Beendigung des Darlehensvertrags die ihr gewährte Sicherheit freigegeben hat (st. Rspr., vgl. zuletzt Senatsurteile vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 17 und - XI ZR 69/18, WM 2018, 2275 Rn. 15 mwN).
III.
- 13
- Das Berufungsurteil unterliegt mithin, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat, der Aufhebung (§ 562 ZPO), da es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat, der der dem Tatrichter obliegenden Würdigung der konkreten Umstände nach § 242 BGB nicht vorgreifen kann (st. Rspr., vgl. zuletzt nur Senatsurteile vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 18 und - XI ZR 69/18, WM 2018, 2275 Rn. 21 mwN), verweist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 ZPO), das sich zunächst mit der Frage zu befassen haben wird, ob das Widerrufsrecht der Kläger verwirkt ist.
Vorinstanzen:
LG Mainz, Entscheidung vom 16.03.2016 - 5 O 94/15 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 13.01.2017 - 8 U 392/16 -
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Annotations
(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich.
(2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Es bestimmt alsbald den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, und den Termin zur Verkündung der Entscheidung. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist unzulässig, wenn seit der Zustimmung der Parteien mehr als drei Monate verstrichen sind.
(3) Ist nur noch über die Kosten oder Nebenforderungen zu entscheiden, kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen.
(4) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Dem Darlehensnehmer steht bei einem Verbraucherdarlehensvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu.
(2) Ein Widerrufsrecht besteht nicht bei Darlehensverträgen,
- 1.
die einen Darlehensvertrag, zu dessen Kündigung der Darlehensgeber wegen Zahlungsverzugs des Darlehensnehmers berechtigt ist, durch Rückzahlungsvereinbarungen ergänzen oder ersetzen, wenn dadurch ein gerichtliches Verfahren vermieden wird und wenn der Gesamtbetrag (Artikel 247 § 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche) geringer ist als die Restschuld des ursprünglichen Vertrags, - 2.
die notariell zu beurkunden sind, wenn der Notar bestätigt, dass die Rechte des Darlehensnehmers aus den §§ 491a und 492 gewahrt sind, oder - 3.
die § 504 Abs. 2 oder § 505 entsprechen.
(3) Bei Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen ist dem Darlehensnehmer in den Fällen des Absatzes 2 vor Vertragsschluss eine Bedenkzeit von zumindest sieben Tagen einzuräumen. Während des Laufs der Frist ist der Darlehensgeber an sein Angebot gebunden. Die Bedenkzeit beginnt mit der Aushändigung des Vertragsangebots an den Darlehensnehmer.
(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
(2) Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Sie beginnt mit Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(3) Im Falle des Widerrufs sind die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren. Bestimmt das Gesetz eine Höchstfrist für die Rückgewähr, so beginnt diese für den Unternehmer mit dem Zugang und für den Verbraucher mit der Abgabe der Widerrufserklärung. Ein Verbraucher wahrt diese Frist durch die rechtzeitige Absendung der Waren. Der Unternehmer trägt bei Widerruf die Gefahr der Rücksendung der Waren.
Ergibt die Begründung des Berufungsurteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.