Bundesgerichtshof Urteil, 12. März 2019 - XI ZR 253/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum 12. Februar 2019 eingereicht werden konnten, durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und Dr. Derstadt
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien - der Kläger zu 1 ist Unternehmensberater - streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss von vier Verbraucherdarlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen der Kläger.
- 2
- Die Parteien schlossen im März und April 2003 insgesamt vier grundpfandrechtlich gesicherte Darlehensverträge mit den Endziffern -33, -41 und -25 sowie -17. Bei Abschluss der Darlehensverträge belehrte die Beklagte die Kläger wortgleich über ihr Widerrufsrecht jeweils wie folgt:
- 3
- Auf der Grundlage von im Januar 2015 geschlossenen "Aufhebungsverträgen" beendeten die Parteien alle vier Darlehensverträge vorzeitig einvernehmlich. Die Kläger lösten die Darlehen im März 2015 ab und leisteten "Vorfälligkeitsentschädigungen" in Höhe von insgesamt 26.077,34 €, nämlich 10.780 €, 8.700,98 €, 3.792,72 € und 2.803,64 €. Mit Schreiben ihres vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 4. September 2015 widerriefen sie ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen.
- 4
- Ihre Klage auf Zahlung von 26.077,34 € nebst Zinsen hat das Landgericht abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Berufungsgericht der Klage - mit einer Einschränkung den Zinsausspruch betreffend - im Wesentlichen stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Zurückweisung der Berufung der Kläger weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
- 5
- Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
I.
- 6
- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - ausgeführt:
- 7
- Die Beklagte habe die Kläger unzureichend deutlich über das ihnen zustehende Widerrufsrecht belehrt, so dass die Widerrufsfrist im September 2015 noch nicht abgelaufen gewesen sei. Das Widerrufsrecht der Kläger sei nicht verwirkt. Es seien vorliegend keine auf dem Verhalten der Kläger beruhenden Umstände vorgetragen, auf die die Beklagte ein Vertrauen darauf habe gründen dürfen, die Kläger würden von ihrem Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr machen. Das Verhalten eines Kunden, der von seinem Widerrufsrecht keine Kenntnis habe, lasse keinen Schluss darauf zu, er werde das ihm zustehende Widerrufsrecht nicht ausüben. Dafür, dass die Kläger ihr fortbestehendes Widerrufsrecht schon vor der Erklärung des Widerrufs gekannt hätten, bestünden keine Anhaltspunkte. Dass die Kläger über Jahre hinweg monatliche Zahlungen geleistet und damit ihre vertraglich eingegangenen Verpflichtungen erfüllt hätten , habe die Beklagte nicht zu der Annahme berechtigt, die Kläger würden in Kenntnis eines (noch) bestehenden Widerrufsrechts auch zukünftig von einem Widerruf absehen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht in Ansehung der Aufhebungsverträge.
II.
- 8
- Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
- 9
- 1. Das Berufungsgericht hat allerdings im Ausgangspunkt richtig erkannt, den Klägern sei gemäß § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung (künftig: aF) zu widerrufen. Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Widerrufsfrist sei bei Erklärung des Widerrufs am 4. September 2015 noch nicht abgelaufen gewesen, weil die Beklagte die Kläger unzureichend deutlich über das ihnen zukommende Widerrufsrecht belehrt habe. Mittels der Wendung, die Widerrufsfrist beginne "einen Tag, nachdem der von Ihnen unterzeichnete Darlehensvertrag bei der Gläubigerin eingegangen ist", knüpfte die Beklagte das Anlaufen der Widerrufsfrist an einen Umstand, von dem der Darlehensnehmer keine Kenntnis hatte (Senatsurteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 24).
- 10
- 2. Als rechtsfehlerhaft erweisen sich aber die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Verwirkung des Widerrufsrechts verneint hat.
- 11
- Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung des Umstandsmoments die höchstrichterliche Rechtsprechung, der zufolge die Unkenntnis des Darlehensnehmers vom Fortbestand des Widerrufsrechts eine Verwirkung nicht hindert, verkannt. Es hat unterstellt, solange der Darlehensgeber davon ausgehen müsse , der Darlehensnehmer habe vom Fortbestehen des Widerrufsrechts keine Kenntnis, könne der Darlehensgeber schutzwürdiges Vertrauen im Sinne des Umstandsmoments nicht bilden. Damit hat das Berufungsgericht einen Rechtssatz formuliert, der zu der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Widerspruch steht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für das Umstandsmoment der Verwirkung weder auf die Kenntnis des Darlehensnehmers vom Fortbestand seines Widerrufsrechts noch auf das Vertrauen des Darlehensgebers an, der Darlehensnehmer habe in sonstiger Weise Kenntnis vom Fortbestand seines Widerrufsrechts erlangt. Dass der Darlehensgeber davon ausgeht oder ausgehen muss, der Darlehensnehmer habe von seinem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schließt vielmehr eine Verwirkung nicht aus (st. Rspr., vgl. zuletzt nur Senatsurteile vom 11. September 2018 - XI ZR 125/17, WM 2018, 2128 Rn. 33 und vom 27. November 2018 - XI ZR 111/17, juris Rn. 11; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 17 mwN).
- 12
- Das vom Berufungsgericht als Beleg für seine abweichende Auffassung zitierte Senatsurteil vom 20. Mai 2003 (XI ZR 248/02, WM 2003, 1370, 1371) belegt die Richtigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht. Es befasst sich mit der Frage, welche Anforderungen an die Verwirkung des Widerrufsrechts nach dem Haustürwiderrufsgesetz zu stellen sind, wenn dem Verbraucher überhaupt keine Belehrung erteilt worden ist. Um einen solchen Fall geht es hier nicht. Für das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen hat der Senat im Übrigen entschieden, für die Bildung schutzwürdigen Vertrauens der Bank spiele es keine Rolle, dass sie den Verbraucher überhaupt belehrt hat (Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 40).
III.
- 13
- Das Berufungsurteil unterliegt mithin der Aufhebung (§ 562 ZPO), da es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat , der der dem Tatrichter obliegenden Würdigung der konkreten Umstände nach § 242 BGB nicht vorgreifen kann (st. Rspr., vgl. zuletzt nur Senatsurteile vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 18 und - XI ZR 69/18, WM 2018, 2275 Rn. 21 mwN), verweist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird sich mit der Frage zu befassen haben, ob das Widerrufsrecht der Kläger verwirkt ist. Dabei wird es zu bedenken haben, dass die Freigabe von Sicherheiten, die die Revision ins Feld führt, ein Aspekt ist, den der Tatrichter bei der Prüfung des Umstandsmoments berücksichtigen kann (Senatsurteile vom 11. September 2018 - XI ZR 125/17, WM 2018, 2128 Rn. 34 und vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 17 sowie - XI ZR 69/18, WM 2018, 2275 Rn. 15; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 20 mwN).
Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 17.03.2016 - 3 O 514/15 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 24.03.2017 - 8 U 379/16 -
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Annotations
(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich.
(2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Es bestimmt alsbald den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, und den Termin zur Verkündung der Entscheidung. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist unzulässig, wenn seit der Zustimmung der Parteien mehr als drei Monate verstrichen sind.
(3) Ist nur noch über die Kosten oder Nebenforderungen zu entscheiden, kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen.
(4) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Dem Darlehensnehmer steht bei einem Verbraucherdarlehensvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu.
(2) Ein Widerrufsrecht besteht nicht bei Darlehensverträgen,
- 1.
die einen Darlehensvertrag, zu dessen Kündigung der Darlehensgeber wegen Zahlungsverzugs des Darlehensnehmers berechtigt ist, durch Rückzahlungsvereinbarungen ergänzen oder ersetzen, wenn dadurch ein gerichtliches Verfahren vermieden wird und wenn der Gesamtbetrag (Artikel 247 § 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche) geringer ist als die Restschuld des ursprünglichen Vertrags, - 2.
die notariell zu beurkunden sind, wenn der Notar bestätigt, dass die Rechte des Darlehensnehmers aus den §§ 491a und 492 gewahrt sind, oder - 3.
die § 504 Abs. 2 oder § 505 entsprechen.
(3) Bei Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen ist dem Darlehensnehmer in den Fällen des Absatzes 2 vor Vertragsschluss eine Bedenkzeit von zumindest sieben Tagen einzuräumen. Während des Laufs der Frist ist der Darlehensgeber an sein Angebot gebunden. Die Bedenkzeit beginnt mit der Aushändigung des Vertragsangebots an den Darlehensnehmer.
(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
(2) Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Sie beginnt mit Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(3) Im Falle des Widerrufs sind die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren. Bestimmt das Gesetz eine Höchstfrist für die Rückgewähr, so beginnt diese für den Unternehmer mit dem Zugang und für den Verbraucher mit der Abgabe der Widerrufserklärung. Ein Verbraucher wahrt diese Frist durch die rechtzeitige Absendung der Waren. Der Unternehmer trägt bei Widerruf die Gefahr der Rücksendung der Waren.
Ergibt die Begründung des Berufungsurteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.