Bundesgerichtshof Urteil, 23. Aug. 2016 - X ZR 76/14

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:230816UXZR76.14.0
bei uns veröffentlicht am23.08.2016
vorgehend
Landgericht Düsseldorf, 4a O 23/12, 13.08.2013
Oberlandesgericht Düsseldorf, 15 U 29/14, 08.07.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 76/14 Verkündet am:
23. August 2016
Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
V-förmige Führungsanordnung
EPÜ Art. 69 Abs. 1; PatG § 14
Die Orientierung der Überlegungen des Fachmanns, mit denen er ein im Sinne
des Merkmals der Erfindung gleichwirkendes Austauschmittel als gleichwirkend
auffinden kann, am Patentanspruch und damit die Verletzung des Patents mit
äquivalenten Mitteln kann regelmäßig nicht mit der Begründung verneint werden
, der Patentinhaber habe sich mit der konkreten Formulierung des Merkmals
auf eine dessen Wortsinn entsprechende Ausgestaltung festgelegt.
BGH, Urteil vom 23. August 2016 - X ZR 76/14 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
ECLI:DE:BGH:2016:230816UXZR76.14.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. August 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski, Hoffmann und die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 8. Juli 2014 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 259 105 (Klagepatents), das unter Inanspruchnahme der Priorität zweier britischer Patentanmeldungen vom 4. Februar und 31. Mai 2000 am 31. Januar 2001 angemeldet wurde und ein austauschbares Verschleißteil zur Montage an einer vorderen Kante eines Arbeitswerkzeugs betrifft.
2
Patentanspruch 1 hat in der Verfahrenssprache des Klagepatents in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung folgenden Wortlaut: "A replaceable wear part (13, 22, 22a, 32, 41) for mounting on a leading edge (12, 27) of a working tool (10, 27, 30), said leading edge and said wear part having co-operative guide formations (16, 18) extending generally perpendicular to the leading edge and which provide a socket and projection type of slidable inter-fit and allow the wear part to slide in a direction generally perpendicular to the leading edge, and are arranged to exert a wedging action on the wear part so that the greater the distance travelled, the stronger will be the frictional engagement forces acting between the guide formations, whereby the wear part can be driven by a force extending generally perpendicular to the leading edge in order to take up a working position in which it is secured against displacement from the working position by frictional inter-engagement between the guide formations (16, 18) on the wear part and the leading edge, and without need for threaded or other separate removable fasteners, said co-operative guide formations (16, 18) allowing the wear part (13) to slide in a direction generally perpendicular to the leading edge (12), and providing a wedge-type inter-engagement between the guide formations (16, 18) such that the greater the distance travelled, the stronger will be the frictional engagement forces acting between the guide formations: characterised in that the guide formations are defined by walls or faces (16, 18) which are each of matching V-shape in cross section to oppose relative rotation of the wear part (13) about its longitudinal axis (19), the guide formations (18) of the wear part (13, 22, 22a, 32, 41) are provided on opposed edges of a rearwardly-projecting mounting portion (17, 25, 25a, 32) of the wear part, and the guide formations (16) of the working tool are provided on opposed side walls of a socket portion of the working tool."
3
Die Beklagte bietet in der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung "Euroshare M7" austauschbare Verschleißteile für Landmaschinen (angegriffene Ausführungsform ) an. Sie werden an einem mitgelieferten Adapter montiert, der seinerseits mit Bolzen an dem Arbeitswerkzeug befestigt wird. Ihre Ausgestaltung und Funktionsweise ergibt sich aus den nebenstehend wiedergegebenen Lichtbildern sowie der nachfolgenden Abbildung aus einem Prospekt der Beklagten.


4
Die Klägerin hat die Beklagte wegen unmittelbarer Verletzung des Klagepatents auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung und die Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision, der die Beklagte entgegentritt, verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe:


5
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6
I. Das Klagepatent betrifft ein austauschbares Verschleißteil zur Montage an der vorderen Kante eines Arbeitswerkzeuges, das etwa als Pflug zur Bodenbearbeitung eingesetzt wird.
7
Nach der Klagepatentschrift werden derartige Verschleißteile herkömmlich durch zwei Schrauben an dem Werkzeug montiert. Eine solche Verbindung sei hinreichend stabil, um allen im Einsatz auftretenden Verdrillungen, Drehbewegungen oder sonstigen Krafteinwirkungen zu widerstehen (Abs. 6), habe aber den Nachteil, dass ein Austausch der Verschleißteile, etwa auf dem Feld, zeitaufwändig und schwierig werden könne, insbesondere wenn die Befestigungsmittel wegen Beschädigungen, Rost oder dergleichen schwer zu lösen seien (Abs. 7).
8
Um Montage und Demontage zu vereinfachen, sei es bekannt, nur ein Befestigungsmittel vorzusehen. Dies setze eine geeignet geformte Auflagefläche voraus, welche die Verschleißteile gegen Drehen um die Achse des einzelnen Befestigungsmittels sperre (Abs. 10). Als Beispiel hierfür nennt die Beschreibung ein Verschleißteil mit einem schmalen abstehenden Ansatz, der von einer Aussparung im Hauptkörper einer Zinkenfräse aufgenommen werde, um einer Drehung um die Achse des Befestigungsmittels entgegenzuwirken. Diese Konstruktion verlasse sich auf die Festigkeit des schmalen Ansatzes, auf den im Einsatz jedoch konzentrierte Kräfte wirkten, die einen vorzeitigen Ausfall zur Folge haben könnten.
9
Das der Erfindung zugrunde liegende Problem kann - ohne Berücksichtigung von Lösungsansätzen - hiernach dahin formuliert werden, eine Anordnung von austauschbaren Verschleißteilen zur Verfügung zu stellen, die auf einfache und schnell montierbare Weise zuverlässig gegen eine Verlagerung aus der Arbeitsposition gesichert sind (vgl. Abs. 13).
10
Dies soll nach Patentanspruch 1 durch eine Anordnung mit folgenden Merkmalen erreicht werden [in eckigen Klammern die Gliederung des Berufungsgerichts ]: 1 Das austauschbare Verschleißteil (13) ist zum Montieren an einer Vorderkante (12) eines Arbeitswerkzeugs (10) geeignet [1]. 2 Die Vorderkante (12) und das Verschleißteil (13) weisen zusammenwirkende Führungsanordnungen (16, 18) auf, von denen 2.1 die Führungsanordnungen (18) des Verschleißteils (13) an gegenüberliegenden Rändern eines nach hinten hervorragenden Montageabschnitts (17) des Verschleißteils gebildet sind [7] und 2.2 die Führungsanordnungen (16) des Arbeitswerkzeugs (10) an gegenüberliegenden Rändern eines Aufnahmeabschnitts (14) des Arbeitswerkzeugs gebildet sind [8]. 3 Die zusammenwirkenden Führungsanordnungen (16, 18) 3.1 erstrecken sich im Allgemeinen senkrecht zu der Vorderkante (12) [2]. 3.2 stellen eine gleitfähige Aufnahme-Vorsprung-Passung bereit und ermöglichen es dem Verschleißteil (13), ohne dass Schrauben oder andere separat entfernbare Befestigungsmittel nötig sind, in einer im Allgemeinen senkrechten Richtung zur Vorderkante (12) zu gleiten [aus 3 und 5] und durch eine Kraft vorangetrieben zu werden, die sich im Allgemeinen senkrecht zur Vorderkante erstreckt , um eine Arbeitsstellung einzunehmen, in der es durch Reibschluss zwischen den Führungsanordnungen gegen eine Verlagerung aus der Arbeitsstellung gesichert ist [4], 3.3 erlauben ein keilartiges Eingreifen des Verschleißteils (13) [in das Arbeitswerkzeug], so dass die zwischen den Führungsanordnungen (16, 18) wirkenden Reibkräfte umso stärker sind, je größer die zurückgelegte Strecke ist [aus 3 und 5] und 3.4 sind mittels Wänden oder Flächen definiert, die im Querschnitt jeweils eine passende V-Form aufweisen (are each of matching V-shape), um einer Relativdrehung des Verschleißteils (13) um seine Längsachse (19) entgegenzuwirken [6].
11
Nach der Beschreibung kann ein erfindungsgemäßes austauschbares Verschleißteil etwa mit einem Hammerin die Arbeitsposition getrieben werden, wobei es aufgrund der zusammenwirkenden Führungsanordnungen in einer im Allgemeinen zur Vorderkante senkrechten Richtung gleiten kann. Die Führungsanordnungen sind so ausgebildet, dass sie einen keilartigen Eingriff des Verschleißteils erlauben, wodurch die Reibkräfte zwischen den Führungsanordnungen umso stärker werden, je weiter die zurückgelegte Strecke ist (Merkmale 3.2 und 3.3). Eine Schraubbefestigung oder dergleichen wird hierdurch entbehrlich. Um einer Drehung des Verschleißteils gegenüber der Vorderkante um seine Längsachse entgegenzuwirken, weisen die die Querschnittsform der Führungsanordnungen definierenden Wände und Flächen jeweils eine aneinander angepasste V-Form auf (Merkmal 3.4; Abs. 19).
12
Die nachfolgend wiedergegebenen Zeichnungen stammen aus der Klagepatentschrift und zeigen ein erfindungsgemäßes Ausführungsbeispiel:
13
II. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
14
Die angegriffene Ausführungsform mache vom Merkmal 3.4 [6] keinen wortsinngemäßen Gebrauch, weil die Führungsanordnungen im Querschnitt Uförmig und nicht V-förmig ausgebildet seien.
15
Die Lehre des Patentanspruchs 1 werde aber auch nicht in patentrechtlich äquivalenter Weise verwirklicht. Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform mit halbkreis- bzw. U-förmigen Führungsanordnungen sei jedenfalls nicht gleichwertig. Es möge zwar sein, dass auch eine U-Form das Leistungsergebnis der patentgeschützten Lehre erreiche, weil auch hiermit eine Verdrehung des Verschleißteils um seine Längsachse wirksam verhindert werden könne. Die Klagepatentschrift leite den Fachmann aber nicht zu einer sol- chen Ausgestaltung an, weil sie sich gerade auf die V-Form festlege. Wollte man jedwede geometrische Form der Führungsanordnung, die ein die Rotation verhinderndes Ineinandergreifen sicherstellen könne, als äquivalente Benutzung auffassen, so hätte die vom Klagepatent gelehrte Formgebung keine eigenständige Bedeutung mehr. Dass sich die Patentinhaberin hinsichtlich dieser Formgebung bewusst festgelegt habe, ergebe sich aus einer systematischen Auslegung des Patentanspruchs 1 unter Berücksichtigung der anderen Anspruchsmerkmale. Denn hinsichtlich der Form der Führungsanordnungen des Verschleißteils in ihrer räumlichen Anordnung zueinander - ob diese also rechteckig , trapezförmig oder sonst wie ausgestaltet sei - lege sich der Anspruch im Gegensatz zur Ausgestaltung des Querschnitts der Führungsanordnungen nicht fest. Dies spreche dafür, die Festlegung auf die V-Form als bewusste Auswahlentscheidung zu verstehen. Zudem sei eine U-Form aufgrund ihres bogenförmigen Verlaufs auch qualitativ schlechter als eine V-Form geeignet, eine Rotation um die Längsachse des Verschleißteils zu vermeiden.
16
Dass die Patentinhaberin eine bewusste Auswahlentscheidung zugunsten der V-Form getroffen habe, trete auch zu Tage, wenn bei der Auslegung der gegenüber der ursprünglichen Patentschrift aufgrund der Beschränkung des Patents im Einspruchsverfahren geänderten B2-Schrift zusätzlich die erteilte Fassung des Patents (B1-Schrift) herangezogen werde. Für deren Berücksichtigung bei der Auslegung des geänderten Patents sprächen das Gebot der Rechtssicherheit und der Umstand, dass sich erst aufgrund eines solchen Vergleichs der Gehalt der maßgeblichen geänderten Fassung feststellen lasse. Die erteilte Fassung des Patents rechne auch zu dem von Art. 69 EPÜ in den Blick genommenen Auslegungsmaterial, da sie anders als die Erteilungsakte der Öffentlichkeit zugänglich gewesen sei, die sich damit auf deren Inhalt habe einstellen können. Aus Absatz 19 der Beschreibung in der Fassung der B1-Schrift sei in Zusammenschau mit dem Anspruchswortlaut des Patentanspruchs 1 erkennbar gewesen, dass sich die Patentinhaberin im Sinne einer ausdrücklichen Auswahlentscheidung gegen andere Querschnittsformen der Führungsanordnung als die V-Form entschieden habe, da dort zusätzlich darauf hingewiesen worden sei, dass auch andere Querschnittsformen als die V-Form dazu verwendet werden könnten, Verdrehungen um die Längsachse des Verschleißteils entgegenzuwirken. Wenn danach in den Patentanspruch 1 ausdrücklich nur die V-Form aufgenommen sei, verstehe der Fachmann dies als Festlegung allein auf eine solche Formgebung.
17
III. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
18
1. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die angegriffene Ausführungsform mit der im Berufungsurteil als halbkreis- oder U-förmig bezeichneten Querschnittsform der Führungsanordnungen einer Drehung des Verschleißteils gegenüber der Vorderkante des Arbeitswerkzeugs um seine Längsachse entgegenwirkt und daher - jedenfalls grundsätzlich - diejenige Wirkung erzielt, die erfindungsgemäß mit der in Merkmal 3.4 vorgegebenen V-Form erreicht werden soll. Es hat ferner offengelassen, ob der Fachmann eine solche Ausgestaltung ohne erfinderisches Bemühen als in diesem Sinne gleichwirkend auffinden konnte. Für die revisionsrechtliche Prüfung ist hiervon mithin zugunsten der Klägerin auszugehen.
19
2. Eine Verletzung des Streitpatents kann hiernach nur dann verneint werden, wenn die Überlegungen des Fachmanns, mit welchen er diese Ausgestaltung als gleichwirkend zu erkennen vermöchte, nicht am Sinn (Sinngehalt) der im Patentanspruch bezeichneten technischen Lehre orientiert wären und diese Ausgestaltung folglich aus fachmännischer Sicht nicht als gleichwertig (äquivalent) angesehen werden könnte (BGH, Urteil vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 154 - Schneidmesser I; Urteil vom 14. Dezember 2010 - X ZR 193/03, GRUR 2011, 313 Rn. 35 - Crimpwerkzeug IV; Urteil vom 13. Januar 2015 - X ZR 81/13, GRUR 2015, 361 Rn. 18 - Kochgefäß).
Dies hat das Berufungsgericht angenommen; seine hierfür gegebene Begründung ist jedoch nicht frei von Rechtsfehlern.
20
a) Das Berufungsgericht hat zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen eine abstrakte Gegenüberstellung geometrischer Formen gewählt und der in Merkmal 3.4 genannten V-Form eine U-Form als "andere" geometrische Form gegenübergestellt. Dies ist jedenfalls nicht unbedenklich, da die Bildung eines Gegensatzpaares von V-Form und U-Form im Klagepatent nicht angelegt ist. Ein U-förmiger Querschnitt findet weder im Patentanspruch noch in der Beschreibung an irgendeiner Stelle Erwähnung. Entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob die Überlegung des Fachmanns, er könne die Wirkung der durch Merkmal 3.4 gelehrten Querschnittsform der zusammenwirkenden Führungsanordnungen auch mit der als U-förmig bezeichneten Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform erreichen, am Patentanspruch orientiert ist, darf nicht ein kategorialer Vergleich unterschiedlicher geometrischer Formen sein. Vielmehr kommt es darauf an, was der Fachmann Merkmal 3.4 für sich genommen und im Zusammenhang mit der erfindungsgemäßen Lehre über eine technisch mögliche Abwandlung der Querschnittsform der Führungsanordnungen , die nicht mehr als V-förmig begriffen werden kann, zu entnehmen vermag. Denn für die Beurteilung der Frage, ob die Überlegungen des Fachmanns, die ihm die Ersetzung eines wortsinngemäßen Merkmals durch ein abgewandeltes, aber im Zusammenhang der technischen Lehre des Patents gleichwirkendes Mittel erlauben, am Patentanspruch orientiert sind, kommt es im Zweifel weniger auf die räumlich-körperliche Ausgestaltung des Mittels als solche als vielmehr auf deren Funktion im Kontext der patentgemäßen Lehre an.
21
b) Dies führt zu dem zentralen Argument des Berufungsgerichts, die Patentinhaberin habe sich mit der Aufnahme der V-Form in den Patentanspruch (bewusst) gerade auf diese Form des Querschnitts der Führungsanordnungen festgelegt oder beschränkt. Damit kann der Ausschluss der von der angegriffe- nen Ausführungsform verwirklichten Ausgestaltung des Querschnitts der Führungsanordnungen aus dem Schutzbereich des Klagepatents nicht begründet werden.
22
aa) Die Revision rügt zu Recht, dass diese Begründung letztlich darauf hinausläuft, gleichwirkende Ausführungsformen (ähnlich den foreseeable equivalents des amerikanischen Patentrechts) immer dann aus dem Schutzbe- reich auszuschließen, wenn der Patentinhaber erkannt hat (oder hätte erkennen können), dass für ein im Anspruch benanntes Lösungselement Austauschmittel denkbar sind, und es versäumt hat, auf eine Fassung des Patents hinzuwirken, bei der die Austauschmittel vom Wortsinn des Patentanspruchs umfasst worden wären. Dies findet in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Grundlage und ist auch sachlich nicht zu rechtfertigen.
23
Indem er ein bestimmtes Element der erfindungsgemäßen Lehre in bestimmter Weise konkretisiert, wie dies im Streitfall mit der Charakterisierung des Querschnitts der Führungsanordnungen als V-förmig geschehen ist, "legt sich" der Patentinhaber stets auf eine technische Ausgestaltung "fest", die dem Wortsinn dieser Konkretisierung entspricht. Eine solche "Festlegung" determiniert weder positiv noch negativ die Frage, ob sich aus fachmännischer Sicht gleichwirkende Austauschmittel als gleichwertig (äquivalent) darstellen.
24
bb) Daran ändert auch die Erwägung des Berufungsgerichts nichts, weder Patentanspruch noch Beschreibung träfen eine Aussage darüber, welche Form die Führungsanordnungen im Verhältnis zueinander haben müssten, damit sie keilartig ineinander griffen (Merkmal 3.3), Aufnahme- und Montageabschnitt könnten zudem trapezförmig oder an ihren jeweiligen Enden abgerundet verlaufen, und im Unterschied hierzu gebe der Patentanspruch für den Querschnitt der Führungsanordnungen ausdrücklich die V-Form vor und lehre auf diese Weise, dass von den verschiedenen grundsätzlich denkbaren Querschnittsformen nur diese vorgesehen sei, um bei Einwirkung der zu erwarten- den erheblichen Kräfte eine Drehbewegung des Verschleißteils um seine eigene Längsachse zu verhindern. Denn hieraus ergibt sich allenfalls, dass die technische Lehre der Erfindung hinsichtlich der Querschnittsform der Führungsanordnungen stärker konkretisiert sein mag als hinsichtlich der Art und Weise ihres keilförmigen Ineinandergreifens. Diese stärkere Konkretisierung mag auch Auswirkungen auf die Bestimmung von Art und Umfang möglicher äquivalenter Mittel haben. Sie begründet für sich jedoch keinen Ausschluss sämtlicher oder bestimmter Austauschmittel aus dem Schutzbereich des Klagepatents.
25
cc) Nicht tragfähig ist schließlich auch die Erwägung des Berufungsgerichts , der Fachmann erkenne, dass die U-Form wegen ihres abgerundeten, bogenförmigen Verlaufs ohne Ecken und Kanten eher Drehbewegungen des Verschleißteils um seine eigene Längsachse zulasse als die V-Form, die durch einen spitzen oder eckigen Scheitelbereich eine größere Keilwirkung ausübe. Diese Ausführungen stehen zum einen in Widerspruch zu der Annahme des Berufungsgerichts, der Fachmann erkenne, dass den Drehkräften, die auf das Verschleißteil um dessen Längsachse wirken, alternativ zur V-Form ein Widerstand auch durch eine U-Form entgegengesetzt werden könne. Darüber hinaus handelt es sich bei dieser Überlegung - die die vom Berufungsgericht an anderer Stelle ausdrücklich offengelassene Frage betrifft, ob die im Querschnitt eine U-Form aufweisende Ausgestaltung der Führungsanordnungen bei der angegriffenen Ausführungsform objektiv gleichwirkend ist - wiederum um eine gleichsam abstrakte Betrachtung einer U-Form ohne konkreten Bezug zu deren Erscheinungsform und Wirkungsweise bei den Führungsanordnungen der angegriffenen Ausführungsform.
26
c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann eine Verletzung des Klagepatents mit äquivalenten Mitteln schließlich auch nicht unter Berufung auf die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Auswahlentscheidung verneint werden.
27
aa) Für Fallgestaltungen, in denen dem Patentanspruch eine Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten zugrunde liegt, hat der Senat das Erfordernis der Ausrichtung am Patentanspruch dahin konkretisiert , dass die fachmännischen Überlegungen zu möglichen Abwandlungen gerade auch mit dieser Auswahlentscheidung in Einklang stehen müssen. Deshalb ist eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln in der Regel zu verneinen , wenn die Beschreibung mehrere Möglichkeiten offenbart, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden ist (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 Rn. 36 - Okklusionsvorrichtung; Urteil vom 13. September 2011 - X ZR 69/10, GRUR 2012, 45 Rn. 44 - Diglycidverbindung

).

28
bb) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. In der Beschreibung des Klagepatents ist nicht offenbart, dass die Führungsanordnungen , die durch Wände oder Flächen definiert sind und einer relativen Drehung des Verschleißteils um seine Längsachse entgegenwirken sollen, im Querschnitt nicht nur V-förmig, sondern auch U-förmig ausgebildet sein können. Vielmehr wird in der Beschreibung ausschließlich eine V-förmige Ausgestaltung derselben erwähnt und gezeigt (Abs. 19, 41, 44; Figur 1). Von daher kann die in Merkmal 3.4 des Patentanspruchs 1 vorgeschriebene V-förmige Ausgestaltung der Führungsanordnungen nicht auf eine Auswahl aus mehreren in der Beschreibung offenbarten Möglichkeiten der Ausgestaltung zurückgeführt werden.
29
cc) Das Berufungsgericht hat dies nicht verkannt, jedoch gemeint, dass eine Auswahlentscheidung zugunsten einer (ausschließlich) V-förmigen Ausgestaltung der Führungsanordnungen deshalb anzunehmen sei, weil zwar nicht in der geltenden, wohl aber in der erteilten Fassung des Klagepatents in Absatz 19 der Beschreibung auch auf mögliche andere Querschnittsformen hingewiesen worden sei ("The walls or faces defining the guide formations may be of matching V-shape in cross section, though other cross sectional shapes may be provided …"). Auch dem kann nicht beigetreten werden.
30
Dabei kann offenbleiben, ob der Inhalt der Beschreibung in einer früheren Fassung des Patents überhaupt zur Auslegung des Patentanspruchs und zur Bestimmung seines Schutzbereichs herangezogen werden kann, insbesondere in der vorliegenden Konstellation, in der dies - wie das Berufungsgericht meint - nicht einer Beschränkung des Patents Rechnung tragen, sondern geboten sein soll, um einer unzulässigen Schutzbereichserweiterung durch Auslegung des Klagepatents im Lichte einer im Einspruchsverfahren geänderten Beschreibung zu begegnen.
31
Denn in der früheren Fassung der Beschreibung ist mit dem Hinweis auf andere mögliche Querschnittsformen eine U-förmige Ausgestaltung gleichfalls nicht offenbart. Vielmehr offenbart auch die ursprüngliche Fassung der Beschreibung des Klagepatents nur die V-Form als bevorzugte Ausgestaltung des Querschnitts der Führungsanordnungen. In einer solchen Konstellation ist die Einbeziehung von Äquivalenten zu der offenbarten Ausführungsform regelmäßig nicht ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2016 - X ZR 29/15, GRUR 2016, 921 Rn. 53-61 - Pemetrexed [für BGHZ vorgesehen]). Gesichtspunkte , aus denen sich ergeben könnte, dass die im Patentanspruch erfolgte Fokussierung auf die V-Form gleichwohl auf einer Auswahl beruht, die es ausschlösse , gleichwirkende Querschnittsformen der Führungsanordnungen in den Schutzbereich einzubeziehen (s. dazu BGH, juris Rn. 62-68 - Pemetrexed), sind weder festgestellt noch für den Senat erkennbar.
32
IV. Hiernach ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Meier-Beck Gröning Grabinski
Hoffmann Kober-Dehm
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 13.08.2013 - 4a O 23/12 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 08.07.2014 - I-15 U 29/14 -

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Bundesgerichtshof Urteil, 23. Aug. 2016 - X ZR 76/14 zitiert 2 §§.

Patentgesetz - PatG | § 14


Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

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Bundesgerichtshof Urteil, 12. März 2002 - X ZR 168/00

bei uns veröffentlicht am 12.03.2002

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 168/00 Verkündet am: 12. März 2002 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja Schneidmesser

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Mai 2011 - X ZR 16/09

bei uns veröffentlicht am 10.05.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 16/09 Verkündet am: 10. Mai 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Dez. 2010 - X ZR 193/03

bei uns veröffentlicht am 14.12.2010

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 193/03 Verkündet am: 14. Dezember 2010 Beširović Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Juni 2016 - X ZR 29/15

bei uns veröffentlicht am 14.06.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 29/15 Verkündet am: 14. Juni 2016 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 13. Jan. 2015 - X ZR 81/13

bei uns veröffentlicht am 13.01.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X Z R 8 1 / 1 3 Verkündet am: 13. Januar 2015 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ:

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Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 168/00 Verkündet am:
12. März 2002
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
Schneidmesser I
PatG 1981 § 14; EPÜ Art. 69

a) Durch in den Patentanspruch aufgenommene Zahlen- und Maßangaben
wird der Schutzgegenstand des Patents mitbestimmt und damit auch begrenzt.
Wie jeder Bestandteil eines Patentanspruchs sind Zahlen- und
Maßangaben jedoch grundsätzlich der Auslegung fähig.

b) Erschließt sich dem Fachmann kein abweichender Zahlenwert als im Sinne
des anspruchsgemäßen Wertes gleichwirkend, erstreckt sich der Schutzbereich
insoweit nicht über den Sinngehalt des Anspruchs hinaus.
BGH, Urt. v. 12. März 2002 - X ZR 168/00 - OLG Karlsruhe
LG Mannheim
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. MeierBeck
und Asendorf

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 23. August 2000 verkündete Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin ist Inhaberin einer ausschlieûlichen Lizenz an dem am 12. Juni 1987 angemeldeten deutschen Patent 37 19 721 (Klagepatent), wegen dessen Verletzung sie die Beklagte in Anspruch nimmt.
Das Klagepatent ist im Einspruchsverfahren vom Bundespatentgericht beschränkt aufrechterhalten worden. Patentanspruch 1 lautet danach:
"Mit einem Gegenmesser zusammenwirkendes Schneidmesser (1) für Rotationsschneidanlagen für Papier, insbesondere mehrlagige vereinzelte Papierprodukte in Schuppenformation, mit einem runden, im wesentlichen kegelstumpfförmigen Grundkörper (4), dessen zur senkrecht zur Drehachse verlaufenden Schneidebene (6) konische Tragfläche Klingen (8) o. dgl. trägt, dadurch gekennzeichnet , daû die Klingen (8)

a) auf der kegelstumpfförmigen Rückfläche (3) des Grundkörpers (4) angeordnet sind und mit der Schneidebene (6) einen Winkel (5) von 10°- 22°, vorzugsweise 16° einschlieûen,

b) in unterschiedlichen Schneidstellungen in Richtung auf die Schneidebene (6) in länglichen Aussparungen (18) des Grundkörpers (4) verschiebbar gelagert und in diesem arretierbar sind,

c) mit ihren Längsachsen einen spitzen Winkel zum jeweiligen Radius des Grundkörpers (4), der 9° - 12° beträgt, einschlieûen ,
- in Draufsicht rechteckig ausgebildet sind, und
- in Zahnform die Schneidfläche (13) bilden."
Die Beklagte ist als übernehmende Gesellschaft Rechtsnachfolgerin der mit ihr verschmolzenen E. GmbH (im folgenden: E.). E. belieferte ein französi-
sches Unternehmen, das eine Rotationsschneidemaschine von der Klägerin bezogen hatte, mit passenden Schneidmessern, in denen die Klägerin eine Verletzung des Klagepatents sieht.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäû zur Unterlassung und zur Rechnungslegung verurteilt und ihre Verpflichtung zum Schadensersatz und zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung festgestellt. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.
Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage erstrebt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daû die angegriffenen Schneidmesser in den Schutzbereich des Klagepatents fallen und die Beklagte wegen deren Herstellung und Vertriebs zur Unterlassung, zum Schadensersatz und zur Entschädigung sowie zur Rechnungslegung verpflichtet ist (§§ 14, 139 Abs. 1 und 2, 33 Abs. 1 PatG, 242 BGB).
I. Das Klagepatent betrifft ein Schneidmesser für Rotationsschneidanlagen für Papier. Derartige Schneidmesser dienen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dazu, im Zusammenwirken mit einem Gegenmesser eine Schuppe aus vereinzelten, überlappend aufeinanderliegenden Druckerzeug-
nissen zu beschneiden. Sie bestehen aus einem runden Grundkörper, dessen zur - senkrecht zur Drehachse verlaufenden - Schneidebene konische Tragfläche mit einer Vielzahl von Klingen bestückt ist.
Bei einem aus der deutschen Offenlegungsschrift 35 36 989 bekannten Schneidmesser dieser Art ist die konische Tragfläche als Vorderfläche des Grundkörpers der Schneidebene zugekehrt. Sind die Schneidflächen der (unverschiebbar ) in Ausnehmungen der Tragfläche untergebrachten Klingen abgenutzt , können sie zwar nachgeschliffen werden, jedoch verringert sich der Durchmesser des Schneidmessers entsprechend.
Das Berufungsgericht hat das technische Problem in Übereinstimmung mit den Angaben in der Klagepatentschrift dahin formuliert, die Lebensdauer derartiger Schneidmesser zu erhöhen und gleichzeitig zu gewährleisten, daû der jeweils wirksame Radius der Schneidflächen auch nach einem etwaigen Nachschleifen unverändert bleiben kann, und die erfindungsgemäûe Lösung nach dem aufrechterhaltenen Patentanspruch 1 wie folgt in Merkmale gegliedert :
1. Es handelt sich um ein mit einem Gegenmesser zusammenwirkendes Schneidmesser für Rotationsschneidanlagen für Papier, insbesondere mehrlagige vereinzelte Papierprodukte in Schuppenformation.
2. Das Schneidmesser besitzt einen runden, im wesentlichen kegelstumpfförmigen Grundkörper.
3. Der Grundkörper weist eine Tragfläche auf, die zur - senkrecht zur Drehachse verlaufenden - Schneidebene konisch ist und Klingen oder dergleichen trägt.
4. Die Klingen

a) sind auf der kegelstumpfförmigen Rückfläche des Grundkörpers angeordnet und schlieûen mit der Schneidebene einen Winkel von 10° bis 22°, vorzugsweise von 16°, ein,

b) sind in unterschiedlichen Schneidstellungen in Richtung auf die Schneidebene in länglichen Aussparungen des Grundkörpers verschiebbar gelagert und in diesen arretierbar,

c) schlieûen mit ihren Längsachsen einen spitzen Winkel zum jeweiligen Radius des Grundkörpers ein, wobei der Winkel 9° bis 12° beträgt ,

d) sind in Draufsicht rechteckig ausgebildet und

e) bilden in Zahnform die Schneidfläche.
Nach den weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts, bei denen es sich auf den Beschluû des Bundespatentgerichts im Einspruchsverfahren bezogen hat, unterscheidet sich das so umschriebene Schneidmesser von dem im Einspruchsverfahren gewürdigten Stand der Technik insbesondere dadurch, daû die Klingenlängsachsen nur einen kleinen Winkel von 9° bis 12° zum
Radius des Grundkörpers aufweisen und die Schneidkanten entsprechend flach in das Schneidgut eintauchen, wodurch sich eine besonders vorteilhafte Schnittführung ergibt. Das wird weder von der Revisionsklägerin noch von der Revisionsbeklagten angegriffen und läût keinen Rechtsfehler erkennen.
II. Auch insoweit unbeanstandet und rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht weiterhin festgestellt, daû das von E. hergestellte und vertriebene Schneidmesser bis auf Merkmal 4 c) wortsinngemäû Patentanspruch 1 des Klagepatents entspreche. Hinsichtlich des streitigen Merkmals 4 c) hat das Landgericht gemeint, daû auch dieses verwirklicht sei, weil der Winkel bei der angegriffenen Ausführungsform selbst mit dem von der Beklagten behaupteten Maû von 8° 40' noch im Wortsinn des Anspruchs liege, zu dem der Fachmann den in der DIN ISO 2768 T2 für die Toleranzklassen "fein" und "mittel" vorgesehenen Toleranzbereich von ± 20' rechne. Das Berufungsgericht hat offengelassen , ob dem zu folgen sei, und angenommen, daû ein Winkel von 8° 40' jedenfalls eine Verletzung des Klagepatents mit äquivalenten Mitteln begründe.
1. Die Auffassung der Beklagten, der Schutzbereich eines Patents, in dessen Anspruch Maûangaben als Höchst- und Mindestwerte angegeben seien , beschränke sich unter Ausschluû von Äquivalenten auf den im Anspruch genannten Bereich, hat das Berufungsgericht für unzutreffend erachtet. Zwar möge die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Rechtslage vor 1978 (Sen.Urt. v. 31.1.1984 - X ZR 7/82, GRUR 1984, 425 - Bierklärmittel) im Hinblick auf die durch § 14 PatG betonte Bedeutung der Patentansprüche für die Bemessung des Schutzbereichs sowie unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts der Rechtssicherheit einer Einschränkung bedürfen. Sie könne jedoch nicht so weit gehen, daû jeder über den Anspruchswortlaut hinausgehende
Schutzbereich ausgeschlossen sei. Vielmehr erfasse, soweit nicht der Stand der Technik oder sonstige Umstände wie etwa Beschränkungen oder Verzichtserklärungen im Erteilungsverfahren eine einschränkende Auslegung geböten , der Schutzbereich eines Patents, dessen Anspruch Zahl- und Maûangaben enthalte, jedenfalls solche Ausführungsformen, bei denen von dem im Patent beanspruchten Bereich nur in derart geringfügigem Maû abgewichen werden, daû sich dem Fachmann die Gleichwirkung geradezu aufdränge.
2. Die Revision ist demgegenüber der Meinung, das entscheidende Gewicht , das der Rechtssicherheit für auûenstehende Dritte nach dem Auslegungsprotokoll zu Art. 69 EPÜ zukomme, hindere, den Schutzbereich von Patentansprüchen , die Zahlenangaben als Höchst- und Mindestwerte enthalten, durch Äquivalenzbetrachtungen über die im Patentanspruch genannten Grenzen hinaus zu erweitern. Solche Höchst- und Mindestwerte müûten vielmehr wörtlich genommen und als absolute Grenzen des Schutzbereichs behandelt werden. Die Rechtsprechung des Senats zur Erstreckung des Schutzbereichs auf äquivalente Ausführungsformen sei nicht auf Anspruchsmerkmale übertragbar , die mit der Formulierung "von ... bis" mit Zahlen- und Maûangaben Höchst- und Mindestwerte festlegten. Die Lehre von der Äquivalenz sei für normale Anspruchsmerkmale entwickelt worden, die den unter Schutz gestellten Gegenstand mit Worten und Begriffen definierten. Zahlen- und Maûangaben seien schon begrifflich durch die Angabe der Maûeinheit und des Zahlenwertes um ein Vielfaches schärfer und exakter definiert als ein normales, in Worten und Begriffen formuliertes Anspruchsmerkmal; sie würden daher vom angesprochenen Verkehr von vornherein als exakte scharf definierte Grenze des Schutzbereichs verstanden. Zudem habe es der Anmelder in der Hand, die
im Patentanspruch angegebenen Höchst- und Mindestwerte zu variieren und exakt an den Anwendungsbereich der Erfindung anzupassen.
3. Dem kann nur zum Teil gefolgt werden.

a) Nach § 14 PatG und der wortgleichen Vorschrift des Art. 69 Abs. 1 EPÜ wird der Schutzbereich des Patents durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt, zu deren Auslegung die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen sind. Nach den Grundsätzen, die der erkennende Senat hierzu entwickelt hat, dient die Auslegung der Patentansprüche nicht nur der Behebung etwaiger Unklarheiten, sondern auch zur Erläuterung der darin verwendeten technischen Begriffe sowie zur Klärung der Bedeutung und der Tragweite der dort beschriebenen Erfindung (BGHZ 98, 12, 18 f. - Formstein; 105, 1, 10 - Ionenanalyse; 125, 303, 309 f. - Zerlegvorrichtung für Baumstämme; Sen.Urt. v. 5.5.1992 - X ZR 9/91, GRUR 1992, 594, 596 - mechanische Betätigungsvorrichtung ). Abzustellen ist dabei auf die Sicht des Fachmanns, von dessen Verständnis bereits die Bestimmung des Inhalts der Patentansprüche einschlieûlich der dort verwendeten Begriffe abhängt und das auch bei der Feststellung des über den Wortlaut hinausgehenden Umfangs des von den Patentansprüchen ausgehenden Schutzes maûgebend ist. Bei der Prüfung der Frage, ob die im Patent unter Schutz gestellte Erfindung benutzt wird, ist daher zunächst unter Zugrundelegung dieses Verständnisses der Inhalt der Patentansprüche festzustellen, d.h. der dem Anspruchswortlaut vom Fachmann beigelegte Sinn zu ermitteln. Macht die angegriffene Ausführungsform von dem so ermittelten Sinngehalt eines Patentanspruchs Gebrauch, dann wird die unter Schutz stehende Erfindung benutzt. Bei einer vom Sinngehalt der Patentansprüche abweichenden Ausführung kann eine Benutzung dann vorliegen, wenn der Fach-
mann auf Grund von Überlegungen, die an den Sinngehalt der in den Ansprüchen unter Schutz gestellten Erfindung anknüpfen, die bei der angegriffenen Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe seiner Fachkenntnisse als für die Lösung des der Erfindung zugrundeliegenden Problems gleichwirkend auffinden konnte (BGHZ 105, 1, 10 f. - Ionenanalyse; Sen.Urt. v. 3.10.1989 - X ZR 33/88, GRUR 1989, 903, 904 - Batteriekastenschnur; v. 28.6.2000 - X ZR 128/98, GRUR 2000, 1005, 1006 - Bratgeschirr). Dabei fordert es das gleichgewichtig neben dem Gesichtspunkt eines angemessenen Schutzes der erfinderischen Leistung stehende Gebot der Rechtssicherheit, daû der durch Auslegung zu ermittelnde Sinngehalt der Patentansprüche nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maûgebliche Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs bildet; diese hat sich an den Patentansprüchen auszurichten (BGHZ 106, 84, 90 f. - Schwermetalloxidationskatalysator; Sen.Urt. v. 3.10.1989 - X ZR 33/88, GRUR 1989, 903, 904 - Batteriekastenschnur; v. 20.4.1993 - X ZR 6/91, GRUR 1993, 886, 889 - Weichvorrichtung I). Für die Zugehörigkeit einer vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichenden Ausführung zum Schutzbereich genügt es hiernach nicht, daû sie (1.) das der Erfindung zu Grunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln löst und (2.) seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen , die abgewandelten Mittel als gleichwirkend aufzufinden. Ebenso wie die Gleichwirkung nicht ohne Orientierung am Patentanspruch festgestellt werden kann (Einzelheiten hierzu Sen.Urt. v. 28.6.2000 - X ZR 128/98, GRUR 2000, 1005, 1006 - Bratgeschirr), müssen (3.) darüber hinaus die Überlegungen , die der Fachmann anstellen muû, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert sein, daû der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der gegenständlichen gleichwertige Lösung in Betracht zieht.

Von diesen Grundsätzen abzuweichen, besteht kein Anlaû. Sie stehen in Einklang mit dem Protokoll über die Auslegung von Art. 69 Abs. 1 EPÜ (BGBl. 1976 II 1000), das nach ständiger Rechtsprechung des Senats (BGHZ 106, 84, 93 f. - Schwermetalloxidationskatalysator; Sen.Urt. v. 5.5.1992 - X ZR 9/91, GRUR 1992, 594, 596 - mechanische Betätigungsvorrichtung) auch zur Auslegung von § 14 PatG heranzuziehen ist. Nach Art. 2 Nr. 1 der Münchener Revisionsakte zum Europäischen Patentübereinkommen vom 29.11.2000 soll zukünftig das revidierte Auslegungsprotokoll in Art. 2 ausdrücklich vorsehen, daû bei der Bestimmung des Schutzbereichs des europäischen Patents solchen Elementen gebührend Rechnung zu tragen ist, die Äquivalente der in den Patentansprüchen genannten Elemente sind.

b) Die Grundsätze der Schutzbereichsbestimmung sind auch dann anzuwenden , wenn der Patentanspruch Zahlen- oder Maûangaben enthält. Solche Angaben nehmen an der Verbindlichkeit des Patentanspruchs als maûgeblicher Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs teil. Die Aufnahme von Zahlen- oder Maûangaben in den Anspruch verdeutlicht, daû sie den Schutzgegenstand des Patents mitbestimmen und damit auch begrenzen sollen (Sen., BGHZ 118, 210, 218 f. - Chrom-Nickel-Legierung). Es verbietet sich daher, solche Angaben als minder verbindliche, lediglich beispielhafte Festlegungen der geschützten technischen Lehre anzusehen, wie dies in der Rechtsprechung zur Rechtslage im Inland vor Inkrafttreten des Art. 69 EPÜ und der entsprechenden Neuregelung des nationalen Rechts für möglich erachtet worden ist (vgl. RGZ 86, 412, 416 f. - pyrophore Metallegierungen; RG, Urt. v. 10.3.1928 - I 238/27, GRUR 1928, 481 - Preûhefe I; OGH BrZ 3, 63, 71 f. - künstliche Wursthüllen).


c) Wie jeder Bestandteil eines Patentanspruchs sind Zahlen- und Maûangaben grundsätzlich der Auslegung fähig. Wie auch sonst kommt es darauf an, wie der Fachmann solche Angaben im Gesamtzusammenhang des Patentanspruchs versteht, wobei auch hier zur Erläuterung dieses Zusammenhangs Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen sind. Dabei ist zu berücksichtigen , daû Zahlen- und Maûangaben schon nach ihrem objektiven Gehalt, der auch das Verständnis des Fachmanns prägen wird, nicht einheitlich sind, sondern in unterschiedlichen Formen Sachverhalte mit durchaus verschiedenen Inhalten bezeichnen können.

d) Schon diese Umstände schlieûen es aus, daû der Fachmann Zahlen-, Maû- oder Bereichsangaben eine immer gleiche feste Bedeutung zuweisen wird. Jedoch wird er solchen Angaben in aller Regel einen höheren Grad an Eindeutigkeit und Klarheit zubilligen, als dies bei verbal umschriebenen Elementen der erfindungsgemäûen Lehre der Fall wäre (v. Rospatt, GRUR 2001, 991, 993). Denn Zahlen sind als solche eindeutig, während sprachlich formulierte allgemeine Begriffe eine gewisse Abstraktion von dem durch sie bezeichneten Gegenstand bedeuten. Zudem müssen solche Begriffe, wenn sie in einer Patentschrift verwendet werden, nicht notwendig in dem Sinn gebraucht werden , den der allgemeine technische Sprachgebrauch ihnen beimiût; die Patentschrift kann insoweit ihr "eigenes Wörterbuch" bilden (vgl. Sen.Urt. v. 2.3.1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube; v. 13.4.1999 - X ZR 23/97, Mitt. 2000, 105, 106 - Extrusionskopf). Aus der Sicht des fachmännischen Lesers kann durch Zahlen- und Maûangaben konkretisierten Merkmalen deshalb die Bedeutung zukommen, daû der objektive, erfindungsgemäû zu erreichende Erfolg genauer und gegebenenfalls enger eingegrenzt
wird, als dies bei bloû verbaler Umschreibung der Fall wäre. Da es Sache des Anmelders ist, dafür zu sorgen, daû in den Patentansprüchen alles niedergelegt ist, wofür er Schutz begehrt (Sen.Urt. v. 3.10.1989 - X ZR 33/88, GRUR 1989, 903, 905 - Batteriekastenschnur; v. 5.5.1992 - X ZR 9/91, GRUR 1992, 594, 596 - Mechanische Betätigungsvorrichtung), darf der Leser der Patentschrift annehmen, daû diesem Erfordernis auch bei der Aufnahme von Zahlenangaben in die Formulierung der Patentansprüche genügt worden ist. Dies gilt um so mehr, als der Anmelder bei Zahlenangaben besonderen Anlaû hat, sich über die Konsequenzen der Anspruchsformulierung für die Grenzen des nachgesuchten Patentschutzes klar zu werden.
Daher ist eine deutlich strengere Beurteilung angebracht, als es der Praxis zur Rechtslage in Deutschland vor 1978 entsprach (Bruchhausen, GRUR 1982, 1, 4). Eine eindeutige Zahlenangabe bestimmt und begrenzt den geschützten Gegenstand grundsätzlich insoweit abschlieûend; ihre Über- oder Unterschreitung ist daher in aller Regel nicht mehr zum Gegenstand des Patentanspruchs zu rechnen (v. Falck, Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, S. 543, 577).
Andererseits schlieût dies nicht aus, daû der Fachmann eine gewisse, beispielsweise übliche Toleranzen umfassende, Unschärfe als mit dem technischen Sinngehalt einer Zahlenangabe vereinbar ansieht. So hat das House of Lords in der Catnic-Entscheidung (R.P.C. 1982, 163; deutsch GRUR Int. 1982, 136), die allerdings die Rechtslage im Vereinigten Königreich vor der europäischen Harmonisierung betraf, bei einem auf einen rechten Winkel gerichteten Anspruchsmerkmal Abweichungen von 6° bzw. 8° vom rechten Winkel als mit
der Annahme einer Benutzung der geschützten Lehre vereinbar angesehen. In einem solchen Fall kann es grundsätzlich nicht darauf ankommen, ob im Anspruch von einem rechten Winkel oder von 90° die Rede ist. Maûgeblich ist vielmehr der unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen zu ermittelnde Sinngehalt des Patentanspruchs. In einem anderem Zusammenhang kann der gleiche Winkel sich daher dem Fachmann auch als exakt einzuhaltende Gröûe darstellen. Dies gilt grundsätzlich auch für Zahlenbereiche mit Grenzwerten (vgl. Sen., BGHZ 118, 210, 218 f. - Chrom-Nickel-Legierung; vgl. auch White, The C.I.P.A. Guide to the Patents Act, 5. Aufl., Part III, Section 125 Rdn. 22 mit Hinweis auf die soweit ersichtlich - insoweit - unveröffentlichten Entscheidungen Lubrizol v. Esso und Goldschmidt v. EOC Belgium). Ein Verständnis , daû ein Wert genau einzuhalten ist, wird vor allem dann der Vorstellung des Fachmanns entsprechen, wenn er erkennt, daû es sich um einen "kritischen" Wert handelt. Wie eine bestimmte Zahlen- oder Maûangabe im Patentanspruch demnach zu verstehen ist, ist eine Frage des der tatrichterlichen Beurteilung unterliegenden fachmännischen Verständnisses im Einzelfall.

d) Wie für die Erfassung des technischen Sinngehalts des Patentanspruchs gilt auch für die Bestimmung eines über diesen hinausreichenden Schutzbereichs, daû im Anspruch enthaltene Zahlen- oder Maûangaben mit den angegebenen Werten den geschützten Gegenstand begrenzen. Im Rahmen der Schutzbereichsbestimmung darf vom Sinngehalt der Zahlen- und Maûangaben nicht abstrahiert werden. Bei der Prüfung der Frage, ob der Fachmann eine Ausführungsform mit einem vom Anspruch abweichenden Zahlenwert aufgrund von Überlegungen, die sich am Sinngehalt der im Anspruch umschriebenen Erfindung orientieren, als gleichwirkende Lösung auffinden kann, muû vielmehr die sich aus der Zahlenangabe ergebende Eingren-
zung des objektiven, erfindungsgemäû zu erreichenden Erfolgs berücksichtigt werden. Als im Sinne des Patentanspruchs gleichwirkend kann nur eine Ausführungsform angesehen werden, die der Fachmann als eine solche auffinden kann, die nicht nur überhaupt die Wirkung eines - im Anspruch zahlenmäûig eingegrenzten - Merkmals der Erfindung erzielt, sondern auch gerade diejenige , die nach seinem Verständnis anspruchsgemäû der zahlenmäûigen Eingrenzung dieses Merkmals zukommen soll. Fehlt es daran, ist auch eine objektiv und für den Fachmann erkennbar technisch ansonsten gleichwirkende Ausführungsform vom Schutzbereich des Patents grundsätzlich nicht umfaût.
Damit im Kern übereinstimmend hat auch die Rechtsprechung im Vereinigten Königreich zur Feststellung einer Verletzung geprüft, ob die fachkundige Öffentlichkeit erwarten und sich darauf einstellen darf, daû es nach dem Patent auf die genaue Einhaltung des Wortlauts des Patentanspruchs ankommen soll (vgl. die sog. dritte Catnic-Frage; für das harmonisierte Recht u.a. Patents Court, F.S.R. 1989, 181 = GRUR Int. 1993, 245 - Improver Corporation v. Remington Consumer Products Ltd. ("Epilady"-Fall); Court of Appeal R.P.C. 1995, 585 = GRUR Int. 1997, 374 - Kastner v. Rizla Ltd.). Bezogen auf ein einzelnes Merkmal des Patentanspruchs geht es darum, ob das betreffende Merkmal dem Fachmann als ein solches erscheint, das ausschlieûlich wortsinngemäû benutzt werden kann, wenn die beanspruchte Lehre zum technischen Handeln eingehalten werden soll (vgl. Court of Appeal R.P.C. 1995, 585 = GRUR Int. 1997, 374 - Kastner v. Rizla Ltd.). Ein solches Verständnis kann insbesondere bei Zahlen- und Maûangaben in Betracht zu ziehen sein (vgl. Patents Court, R.P.C. 1997, 649 - Auchincloss v. Agricultural & Veterinary Supplies Ltd.).
Wie bei anderen Elementen des Patentanspruchs auch darf deshalb die anspruchsgemäûe Wirkung nicht unter Auûerachtlassung von im Anspruch enthaltenen Zahlen- und Maûangaben bestimmt werden. Es reicht daher für die Einbeziehung abweichender Ausführungsformen in den Schutzbereich grundsätzlich nicht aus, daû nach der Erkenntnis des Fachmanns die erfindungsgemäûe Wirkung im übrigen unabhängig von der Einhaltung des Zahlenwertes eintritt. Erschlieût sich dem Fachmann kein abweichender Zahlenwert als im Sinne des anspruchsgemäûen Wertes gleichwirkend, erstreckt sich der Schutzbereich insoweit nicht über den Sinngehalt des Patentanspruchs hinaus. Die anspruchsgemäûe Wirkung des zahlenmäûig bestimmten Merkmals wird in diesem Fall nach dem Verständnis des Fachmanns durch die (genaue ) Einhaltung eines Zahlenwertes bestimmt und kann daher notwendigerweise durch einen abweichenden Zahlenwert nicht erzielt werden. In einem solchen Fall genügt es nicht, daû der Fachmann auch eine von der Zahlenangabe abstrahierende Lehre als technisch sinnvoll erkennt.
Der Anmelder wird nicht immer den vollen technischen Gehalt der Erfindung erkennen und ausschöpfen; er ist auch - unbeschadet der Frage, ob ihm das rechtlich möglich ist - von Rechts wegen nicht gehalten, dies zu tun. Beschränkt sich das Patent bei objektiver Betrachtung auf eine engere Anspruchsfassung , als dies vom technischen Gehalt der Erfindung und gegenüber dem Stand der Technik geboten wäre, darf die Fachwelt darauf vertrauen, daû der Schutz entsprechend beschränkt ist. Dem Patentinhaber ist es dann verwehrt, nachträglich Schutz für etwas zu beanspruchen, was er nicht unter Schutz hat stellen lassen. Das gilt selbst dann, wenn der Fachmann erkennt, daû die erfindungsgemäûe Wirkung als solche (in dem vorstehend ausgeführ-
ten engeren Sinn) über den im Patentanspruch unter Schutz gestellten Bereich hinaus erreicht werden könnte.
4. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze läût die Bestimmung des Schutzbereichs des Klagepatents durch das Berufungsgericht keinen Rechtsfehler erkennen.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die angegriffenen Schneidmesser erzielten mindestens im wesentlichen die gleiche Wirkung wie Vorrichtungen, bei denen der Winkel zwischen den Längsachsen der Klingen und dem jeweiligen Radius des Grundkörpers zwischen 9° und 12° liege. Die im Klagepatent unter Schutz gestellte geringfügige Abwinklung der Klingen zum jeweiligen Radius führe im Vergleich mit dem Stand der Technik zu einer anderen Schneidgeometrie. Sie bewirke, wie das Bundespatentgericht in seinem Beschluû vom 15. Februar 1996 überzeugend ausgeführt habe, im Zusammenwirken mit der Grundform der Klingen, daû bei einem entsprechend dem Klagepatent ausgestalteten Schneidmesser stets das radial innere Ende der Schneidkante zuerst in das Papier eintauche. Das flache Eintauchen der Schneidkanten in das Schneidgut gewährleiste einen "sanften Einschnitt", wobei gleichzeitig die gegenüber einem Rundmesser bessere Schneidwirkung einer zahnförmigen Schneidfläche erhalten bleibe. Diese Wirkungen träten, wie auch die Beklagte nicht in Abrede stelle, bei der Wahl eines geringfügig spitzeren Winkels (8° 40© statt 9°) in gleicher Weise ein.
Der Fachmann, dem die Wirkungsweise eines gemäû dem Hauptanspruch des Patents ausgestalteten Schneidmesser auch ohne nähere Darstellung in der Beschreibung aufgrund seines Fachwissens klar sei, könne auf-
grund von Überlegungen, die sich an der im Anspruch 1 umschriebenen Erfindung orientierten, ohne weiteres erkennen, daû die Wahl eines geringfügig spitzeren Winkels die erzielten Ergebnisse nicht wesentlich ändere. Allerdings werde der Fachmann dann, wenn in einem Patentanspruch ein bestimmter Bereich vorgegeben sei und sich der Patentschrift kein Anhaltspunkt dafür entnehmen lasse, daû die beanspruchten Werte nur beispielhaft gemeint sein könnten, in der Regel keinen Anlaû haben, sich darüber Gedanken zu machen, ob die Erfindung auch bei der Wahl anderer Werte ausführbar sein könnte. Etwas anderes müsse aber für solche Werte gelten, die nur in so geringem Maû auûerhalb des im Patent genannten Bereichs lägen, daû eine ins Gewicht fallende Änderung der Wirkung von vornherein ausgeschlossen erscheine. So liege es im Streitfall, da der Winkel von 8° 40© um weniger als 4 % von dem im Patent genannten unteren Wert abweiche. Dem angesprochenen Fachmann - einem mit einschlägigen Schneidanordnungen vertrauten Maschinenbauingenieur - sei zudem bekannt, daû eine Abweichung von ± 20© sich im Rahmen der von der einschlägigen DIN-Norm vorgegebenen Allgemeintoleranz für Winkelmaûe halte.
Dem Inhalt der Patentschrift und dem dort mitgeteilten Stand der Technik könne nicht entnommen werden, daû die Vermeidung einer noch so geringfügigen Überschreitung des im Merkmal 4 c) der Merkmalsgliederung genannten Bereichs für die unter Schutz gestellte Lehre wesentlich und bestimmend sei. Bei der in der Patentschrift gewürdigten DE-OS 35 36 989 seien die Längsachsen der Klingen parallel zum jeweiligen Radius angeordnet, ihre Schneidkanten seien schräg zu den Längsachsen in der Weise orientiert, daû stets das radial äuûere Ende zuerst in das Papier eintauche. Aber auch der übrige, im Einspruchsverfahren herangezogene und auf dem Deckblatt der
Klagepatentschrift genannte Stand der Technik gebe keine Veranlassung zu einer einschränkenden und eine äquivalente Verletzung ausschlieûenden Auslegung des Patents.
Damit hat das Berufungsgericht alle maûgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt , daû der Fachmann den unteren Wert des Winkelbereichs von 9° bis 12° im Prioritätszeitpunkt nicht als starren Grenzwert ansah und eine Ausführungsform , bei der das Winkelmaû von 9° geringfügig unterschritten wird, als gleichwirkend auffinden konnte. Aus den Ausführungen des Berufungsgerichts zur Wirkung der im Klagepatent unter Schutz gestellten geringfügigen Abwinklung der Klingen zum jeweiligen Radius, die im Vergleich mit dem Stand der Technik zu einer anderen Schneidgeometrie führe, ergibt sich, daû der für den Fachmann erkennbare technische Sinngehalt des durch die Bereichsangabe 9 bis 12° näher definierten spitzen Winkels zum jeweiligen Radius des Grundkörpers in dieser durch den Winkel bestimmten und im Anspruch durch die Winkelangabe ausgedrückten Schneidgeometrie zu finden ist. Dann konnte das Berufungsgericht aber auch ohne Rechtsfehler zu der Feststellung gelangen , daû der Fachmann den objektiv unstreitig gleichwirkenden geringfügig kleineren Winkel der angegriffenen Ausführungsform aufgrund von Überlegungen als gleichwirkend auffinden konnte, die sich derart am Sinngehalt des Patentanspruchs einschlieûlich der in Merkmal 4 c) enthaltenen Winkelangabe orientierten, daû er die angegriffene Ausführungsform als der gegenständlichen gleichwertige Lösung des dem Klagepatent zugrundeliegenden Problems in Betracht zog.
5. Die Rüge der Revision, mit der Berufung auf die Allgemeintoleranz setze sich das Berufungsgericht in Widerspruch zu seiner Unterstellung, nach dem Verständnis des Fachmanns seien bei der Angabe des Bereichs 9° bis 12° Herstellungstoleranzen bereits berücksichtigt, ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat mit dieser Unterstellung ersichtlich nur sagen wollen, der technische Sinngehalt (Wortsinn) des Winkelbereichs 9° bis 12° dürfe nach dem Verständnis des Fachmanns nicht noch um einen Toleranzbereich auf 8° 40© bis 12° 20© erweitert werden. Das schloû es nicht aus, bei der Prüfung der Frage, ob die angegriffene Ausführungsform vom Fachmann als gleichwirkend aufgefunden werden konnte, das geringe, sich im Rahmen der üblichen Toleranz haltende Maû der Abweichung vom Wortlaut des Anspruchs zu berücksichtigen.
6. Keinen Erfolg hat auch die weitere Rüge, das Klagepatent sei im Einspruchsbeschwerdeverfahren durch Aufnahme des Winkelbereichs 9° bis 12° eingeschränkt worden, was es ausschlieûe, den Schutzbereich über diese Grenzen hinaus wieder auszudehnen.
Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, die Beschränkung nehme dem Klagepatent nicht den Schutzbereich, den es gehabt hätte, wenn es schon in der nunmehr geltenden Fassung angemeldet (und erteilt) worden wäre. Das ist richtig, und dabei hat das Berufungsgericht auch nicht, wie die Revision meint, übersehen, daû das Klagepatent "doppelt" beschränkt worden ist, nämlich zunächst durch die Aufnahme des Merkmals des spitzen Winkels aus dem erteilten Anspruch 6 und sodann durch den konkreten Winkelbereich aus dem erteilten Anspruch 7. Denn das schlieût es zwar aus, jeden spitzen Winkel als äquivalent anzusehen, verbietet jedoch nicht die Annahme, der Fachmann er-
kenne eine geringfügige Unterschreitung des 9°-Winkels als für die erfindungsgemäûe Wirkung unschädlich.
III. Ebenfalls keinen Rechtsfehler erkennen lassen die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den Rechtsfolgen, die es aus der festgestellten Patentverletzung abgeleitet hat; die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen. Sie ist daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Meier-Beck Asendorf
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1. Damit eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Ausführung in dessen Schutzbereich fällt, muss regelmäßig dreierlei erfüllt sein. Die Ausführung muss erstens das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit (zwar abgewandelten , aber) objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein. Sind diese Voraussetzungen der Gleichwirkung, der Auffindbarkeit und der Orientierung am Patentanspruch erfüllt, ist die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln aus fachmännischer Sicht als der wortsinngemäßen Lösung gleichwertige (äquivalente) Lösung in Betracht zu ziehen und damit nach dem Gebot des Artikels 2 des Protokolls über die Auslegung des Art. 69 EPÜ bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Patents zu berücksichtigen (vgl. u.a. Senat, Urteile vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 154 - Schneidmesser I, und vom 17. April 2007 - X ZR 1/05, GRUR 2007, 58 Rn. 24 - Pumpeinrichtung). Der Schutzbereich des Patents wird auf diese Weise nach Maßgabe dessen bestimmt, was der Fachmann auf der Grundlage der erfindungsgemäßen Lehre als äquiva- lent zu erkennen vermag, und damit an dem Gebot des Art. 1 des Auslegungsprotokolls ausgerichtet, bei der Bestimmung des Schutzbereichs einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte zu verbinden (näher zu diesem Gebot Laddie, IIC 2009, 3).
18
dessen Schutzbereich fällt, muss regelmäßig dreierlei erfüllt sein. Die Ausführung muss erstens das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit zwar abgewandelten , aber objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln aus fachmännischer Sicht als der wortsinngemäßen Lösung gleichwertige (äquivalente) Lösung in Betracht zu ziehen und damit nach dem Gebot des Artikels 2 des Protokolls über die Auslegung des Art. 69 EPÜ bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Patents zu berücksichtigen (vgl. u.a. Senat, Urteil vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 154 - Schneidmesser I; Urteil vom 17. April 2007 - X ZR 1/05, GRUR 2007, 959, 961 - Pumpeinrichtung). Der Schutzbereich des Patents wird auf diese Weise nach Maßgabe dessen bestimmt, was der Fachmann auf der Grundlage der erfindungsgemäßen Lehre als äquivalent zu erkennen vermag, und damit an dem Gebot des Art. 1 des Auslegungsprotokolls ausgerichtet, bei der Bestimmung des Schutzbereichs einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte zu verbinden (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2010, GRUR 2011, 313 Rn. 35 - Crimpwerkzeug IV).
b) Für die Frage der Gleichwirkung ist entscheidend, welche einzelnen Wir19 kungen die patentgemäßen Merkmale - für sich und insgesamt - zur Lösung der dem Patentanspruch zugrundeliegenden Aufgabe bereitstellen und ob diese Wirkungen bei der angegriffenen Ausführungsform durch andere Mittel erzielt werden. Danach ist es erforderlich, den Patentanspruch darauf zu untersuchen, welche der Wirkungen , die mit seinen Merkmalen erzielt werden können, zur Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe patentgemäß zusammenkommen müssen. Diese Gesamtheit repräsentiert die patentierte Lösung und stellt deshalb die für den anzustellenden Vergleich maßgebliche Wirkung dar (BGH, Urteil vom 28. Juni 2000 - X ZR 128/98, GRUR 2000, 1005, 1006 - Bratgeschirr; Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 113/11, GRUR 2012, 1122 Rn. 19 - Palettenbehälter III). Nur so ist gewährleistet, dass trotz Abwandlung bei einem oder mehreren Merkmalen lediglich solche Ausgestaltungen vom Schutzbereich des Patentanspruchs umfasst werden, bei denen der mit der geschützten Erfindung verfolgte Sinn beibehalten ist. Als gleichwirkend kann eine Ausführungsform nur dann angesehen werden, wenn sie nicht nur im Wesentlichen die Gesamtwirkung der Erfindung erreicht, sondern gerade auch diejenige Wirkung erzielt , die das nicht wortsinngemäß verwirklichte Merkmal erzielen soll (BGH, GRUR 2012, 1122 Rn. 26 - Palettenbehälter III).
36
Entgegen der Auffassung des englischen Berufungsgerichts, das gemeint hat, die "Schneidmesser-Fragen" enthielten nichts, was der dritten der in Improver v. Remington ([1990] FSR 181) von J. Hoffmann als Teil seiner Wiedergabe von Lord Diplocks Auslegungsansatz in Catnic gestellten Fragen entspreche (aaO Rn. 28 f.), führt somit die Prüfung der Orientierung am Patentanspruch zum Ausschluss einer Ausführungsform aus dem Schutzbereich des Patents, die zwar offenbart oder für den Fachmann jedenfalls auffindbar sein mag, von der der Leser der Patentschrift aber annehmen muss, dass sie - aus welchen Gründen auch immer - nicht unter Schutz gestellt werden sollte (vgl. BGH, aaO, 159 - Schneidmesser I).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 29/15 Verkündet am:
14. Juni 2016
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Pemetrexed
EPÜ Art. 69 Abs. 1; EuPatAuslProt Art. 1, 2; PatG § 14

a) Eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln ist in der Regel zu verneinen,
wenn die Beschreibung mehrere Möglichkeiten offenbart, wie eine bestimmte
technische Wirkung erzielt werden kann, jedoch nur eine dieser Möglichkeiten
in den Patentanspruch aufgenommen worden ist (Bestätigung von BGH,
Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 = GRUR 2011, 701
Rn. 35 - Okklusionsvorrichtung; Urteil vom 13. September 2011
- X ZR 69/10, GRUR 2012, 45 Rn. 44 - Diglycidverbindung).

b) Für die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes reicht es nicht aus, dass sich eine
vom Patent beanspruchte Ausführungsform aufgrund von Angaben in der
Beschreibung oder aus sonstigen Gründen als spezieller Anwendungsfall eines
allgemeineren Lösungsprinzips darstellt und der Fachmann aufgrund
dieser Erkenntnis in der Lage war, weitere diesem Lösungsprinzip entsprechende
Ausführungsformen aufzufinden.
BGH, Urteil vom 14. Juni 2016 - X ZR 29/15 - OLG Düsseldorf
ECLI:DE:BGH:2016:140616UXZR29.15.0

LG Düsseldorf
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Bacher und Hoffmann sowie die Richterin Schuster
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 5. März 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 313 508 (Klagepatents), das am 15. Juni 2001 angemeldet wurde und die Verwendung von Pemetrexeddinatrium in Kombination mit Vitamin B12 zur Hemmung des Wachstums von Tumoren betrifft. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache: Use of pemetrexed disodium in the manufacture of a medicament for use in combination therapy for inhibiting tumor growth in mammals wherein said medicament is to be administered in combination with vitamin B12 or a pharmaceutical derivative thereof, said pharmaceutical derivative of vitamin B12 being hydroxocobalamin, cyano-10-chlorocobalamin, aquocobalamin perchlorate, aquo-10-chlorocobalamin perchlorate, azidocobalamin, chlorocobalamin or cobalamin.
2
Die Klägerin ist ferner Mitinhaberin des europäischen Patents 432 677 und des auf dessen Grundlage in Deutschland für den Zeitraum bis 10. Dezember 2015 erteilten ergänzenden Schutzzertifikats 12 2005 000 012, das Pemetrexed und pharmazeutisch verträgliche Salze davon betrifft.
3
Die Beklagte zu 1 (nachfolgend: Beklagte) ließ der Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 12. Juli 2012 mitteilen, sie wolle nach Ablauf des Schutzzertifikats ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Pemetrexeddikalium auf den Markt bringen, und zwar als Generikum mit dem von der Klägerin vertriebenen, den Wirkstoff Pemetrexeddinatrium enthaltenden Produkt Alimta als Referenzarzneimittel.
4
Die Klägerin hat die Beklagte, deren deutsche Vertriebsgesellschaft und deren Geschäftsführer auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagte entsprechend dem auf eine Verletzung des Klagepatents mit äquivalenten Mitteln gestützten Hilfsantrag verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom Senat zugelassenen Revision, der die Beklagte entgegentritt.

Entscheidungsgründe:


5
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6
I. Das Klagepatent betrifft die Verwendung von Pemetrexeddinatrium in Kombination mit Vitamin B12 zur Hemmung des Wachstums von Tumoren bei Säugern.
7
1. In der Klagepatentschrift wird erläutert, Antifolate gehörten zu den am besten untersuchten Klassen von antineoplastischen Mitteln. Sie führten zu einer Hemmung eines oder mehrerer Schlüsselenzyme für die Biosynthese von Thymidin und Purin, indem sie mit reduziertem Folat um die Bindung dieser Enzyme konkurrierten. Als Beispiele für solche Antifolate werden 5-Fluoruracil, Tomudex®, Methotrexat®, Lometrexol und Pemetrexeddinatrium (Alimta®) genannt.
8
Als begrenzender Faktor für die Entwicklung solcher Arzneimittel wird in der Klagepatentschrift die erhebliche Toxizität angeführt, die mitunter sogar ein hohes Mortalitätsrisiko zur Folge habe. Als Mittel zur Verringerung der Toxizität seien Folsäure und Retinoidverbindungen wie Vitamin A eingesetzt worden. Dennoch gebe die zytotoxische Aktivität von Antifolaten weiterhin Anlass zu ernsthafter Besorgnis bei der Entwicklung solcher Arzneimittel.
9
2. In der Klagepatentschrift wird nicht ausdrücklich dargelegt, welches technische Problem das Klagepatent betrifft.
10
a) Das Berufungsgericht hat die Aufgabe des Klagepatents dahin formuliert , die für den Patienten nachteiligen toxischen Effekte, die durch die Verabreichung von Pemetrexeddinatrium als Antifolat verursacht würden, zu reduzieren , ohne die therapeutische Wirksamkeit nachteilig zu beeinflussen.
11
b) Die Revision rügt dies als fehlerhaft. Sie meint, das Berufungsgericht hätte das dem Klagepatent zugrunde liegende Problem nicht definieren dürfen, ohne zuvor den Patentanspruch auszulegen.
12
Diese Rüge ist unbegründet.
13
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats dient die Bestimmung des technischen Problems (der Aufgabe) in einem Nichtigkeits- oder Einspruchsverfahren dazu, den Ausgangspunkt der fachmännischen Bemühungen um eine Bereicherung des Stands der Technik ohne Kenntnis der Erfindung zu lokalisieren , um bei der anschließenden und davon zu trennenden Prüfung auf Patentfähigkeit zu bewerten, ob die dafür vorgeschlagene Lösung durch den Stand der Technik nahegelegt war oder nicht (BGH, Urteil vom 11. November 2014 - X ZR 128/09, GRUR 2015, 356 Rn. 9 - Repaglinid). Sie hat hingegen nicht die Funktion, über die Frage der Patentfähigkeit bereits eine Vorentscheidung zu treffen (BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 - X ZR 41/13, GRUR 2015, 352 Rn. 16 - Quetiapin).
14
Für einen Verletzungsrechtsstreit gilt im Ausgangspunkt nichts anderes. Zur Beurteilung der Frage, ob die jeweils angegriffene Ausführungsform von der patentierten Lehre Gebrauch macht, ist durch Auslegung des Patentanspruchs zu ermitteln, welchen Niederschlag die fachmännischen Bemühungen um eine Bereicherung des Stands der Technik konkret darin gefunden haben (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2012 - X ZR 126/09, GRUR 2012, 1130 Rn. 9 - Leflunomid). Zur Herausarbeitung dessen, was die Erfindung in diesem Sinne tatsächlich leistet, trägt die Bestimmung des technischen Problems bei (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 - Gelenkanordnung ). Hieraus ergibt sich, dass sich ein Gericht in den Gründen einer Ent- scheidung mit dem technischen Problem nicht erst dann befassen darf, wenn es den Patentanspruch ausgelegt hat. Bestimmung der Aufgabe und Auslegung des Patentanspruchs stehen vielmehr in einer gewissen Wechselwirkung. In der Regel ist es dementsprechend zweckmäßig und geboten, vorab Überlegungen zum technischen Problem anzustellen. Im Rahmen der Auslegung sind nämlich sowohl der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit als auch der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern , zu bestimmen (vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 = GRUR 2012, 1124 Rn. 27 - Polymerschaum I). Dies erfordert in der Regel eine vorläufige Orientierung darüber, welches technische Problem betroffen ist.
15
Rechtsfehlerhaft wäre es lediglich, das technische Problem im Rahmen dieser ersten Betrachtung bereits so festzulegen, dass damit eine Vorentscheidung über die Auslegung getroffen ist. In der Patentschrift enthaltene Angaben zur Aufgabe der Erfindung dürfen - ebenso wie der übrige Inhalt der Patentschrift - nicht zu einer sachlichen Einengung des durch den Wortsinn des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 Rn. 27 - Gelenkanordnung; Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 113/11, GRUR 2012, 1122 Rn. 22 - Palettenbehälter III). Sie müssen zudem auch dann unberücksichtigt bleiben, wenn im Patentanspruch keine Mittel angegeben sind, mit denen das betreffende Ziel erreicht werden könnte (BGH, Urteil vom 25. Februar 2014 - X ZR 84/12, Rn. 13). Diese Grundsätze gelten auch für eine Aufgabenbeschreibung, die in der Patentschrift nicht ausdrücklich enthalten ist. Jede Aufgabenbeschreibung ist deshalb in einem nachfolgenden Schritt darauf zu überprüfen, ob sie mit den durch Auslegung ermittelten Festlegungen des Patentanspruchs in Einklang steht.
16
bb) Die angefochtene Entscheidung lässt vor diesem Hintergrund keinen Rechtsfehler erkennen.
17
Angesichts der aufgezeigten Wechselwirkungen zwischen der Bestimmung der Aufgabe und der Auslegung des Patents könnte die Aufgabe in einem ersten Schritt möglicherweise auch dahin definiert werden, dass die nachteiligen toxischen Effekte des verwendeten Antifolats verringert werden sollen, ohne die angestrebten Wirkungen nachteilig zu verändern. Rechtsfehlerhaft wäre die angefochtene Entscheidung unter diesem Aspekt aber nur dann, wenn das Berufungsgericht aus der von ihm gewählten engeren Definition Schlussfolgerungen für die Auslegung des Klagepatents gezogen hätte.
18
Anzeichen für einen solchen Zirkelschluss lassen sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung vielmehr durchweg berücksichtigt, dass eine Verringerung der Toxizität auch bei anderen Antifolaten in Frage kommt.
19
3. Zur Lösung des Problems schlägt das Klagepatent eine Verwendung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen: 1. Pemetrexeddinatrium wird verwendet zur Herstellung eines Arzneimittels.
2. Das Arzneimittel dient der Verwendung in einer Kombinationstherapie zur Hemmung eines Tumorwachstums bei Säugern.
3. Das Arzneimittel soll in Kombination mit Vitamin B12 oder einem pharmazeutischen Derivat hiervon verabreicht werden.
4. Das pharmazeutische Derivat von Vitamin B12 ist Hydroxocobalamin , Cyano-10-chlorcobalamin, Aquocobalamin-
perchlorat, Aquo-10-chlorcobalaminperchlorat, Azidocobalamin , Chlorcobalamin oder Cobalamin.
20
Nach der Beschreibung des Klagepatents führt die Verabreichung von Vitamin B12 zu einer Verringerung der im Körper vorhandenen Methylmalonsäure. Weshalb diese Wirkung für die Verringerung der Toxizität von Bedeutung ist, wird nicht aufgezeigt.
21
II. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
22
Nach dem Wortsinn von Merkmal 1 sei die Verwendung von Pemetrexeddinatrium erforderlich. Mit diesem Begriff werde eine spezifische chemische Verbindung bezeichnet, nämlich das Dinatriumsalz des Antifolats Pemetrexed. Für den Fachmann, ein Team aus einem Onkologen und einem Pharmakologen, ergebe sich aus der Klagepatentschrift kein Anhaltspunkt dafür , dass dem Patentanspruch ein hiervon abweichender Sprachgebrauch zugrunde liege. In der Beschreibung werde vielmehr ausgeführt, das Antifolat zur Verwendung in der Erfindung sei Pemetrexeddinatrium (Alimta). Auch im Übrigen sei in der Beschreibung mit einer Ausnahme durchweg von Pemetrexeddinatrium - häufig mit dem in Klammern gesetzten Hinweis auf das von der Klägerin vertriebene Produkt Alimta - und nicht von Pemetrexed die Rede. Pemetrexed werde lediglich im Zusammenhang mit einer im Stand der Technik bekannten Untersuchung zu den Wirkungen von Folsäure erwähnt. Dass mit Pemetrexeddinatrium ausschließlich die betreffende Verbindung und nicht allgemein Derivate von Pemetrexed gemeint seien, werde ferner dadurch bestätigt , dass das Klagepatent für den in Kombination zu verwendenden Wirkstoff Vitamin B12 und für das in Patentanspruch 2 vorgesehene Bindemittel nicht nur Schutz für die konkrete Verbindung, sondern auch für Derivate beanspruche. Eine funktionsorientierte Auslegung könne vor diesem Hintergrund nicht zu einem abweichenden Ergebnis führen. Die Erkenntnis, dass es entscheidend auf die Antifolat-Wirkung von Pemetrexed ankomme, rechtfertige es nicht, Patentanspruch 1 über seinen eindeutigen Wortlaut hinaus zu erweitern. Entspre- chendes gelte für den Umstand, dass sich die Gewichtsangaben in der Beschreibung der Ausführungsbeispiele auf Pemetrexed bezögen. Die in der Beschreibung enthaltene Definition des Begriffs "Antifolat" sei ebenfalls klar und eindeutig. Dass der Begriff "Pemetrexeddinatrium" wörtlich zu verstehen sei, werde zudem bestätigt durch die Stellungnahme des Prüfers im Erteilungsverfahren , der frühere Anspruchsfassungen, die in Merkmal 1 die Verwendung eines Antifolats bzw. von Pemetrexed vorgesehen hätten, mit der Begründung beanstandet habe, in den ursprünglich eingereichten Unterlagen sei nur die Verwendung von Pemetrexeddinatrium als zur Erfindung gehörend offenbart.
23
Pemetrexeddikalium könne nicht als äquivalentes Mittel angesehen werden. Dabei könne dahinstehen, ob es gleichwirkend sei und ob sein Einsatz als Austauschmittel für den Fachmann nahegelegen habe. Es fehle jedenfalls an der Gleichwertigkeit, weil sich der Patentanspruch auf eine einzige chemische Verbindung festgelegt habe, obwohl der Fachmann der Klagepatentschrift als Ganzes nur die Botschaft entnehmen könne, dass sich die Erfindung mit jedem Antifolat erfolgreich durchführen lasse. Eine Ausführungsform sei aus dem Schutzbereich des Patents ausgeschlossen, wenn sie zwar offenbart oder für den Fachmann jedenfalls auffindbar sei, der Leser der Patentschrift aber annehmen müsse, dass sie - aus welchen Gründen auch immer - nicht unter Schutz gestellt werden sollte. Hierbei könne es keinen Unterschied machen, ob alternative Lösungsvarianten in einer detaillierten Liste notiert oder aber unter Verwendung von übergeordneten Gattungsbegriffen gleichsam gesammelt benannt würden. In der zuletzt genannten Konstellation seien allerdings grundsätzlich nur diejenigen Austauschmittel vom Äquivalenzschutz ausgenommen, die am Prioritätstag bereits bekannt gewesen seien. Auf Pemetrexeddikalium treffe dies zu, weil in der europäischen Patentschrift 432 677 offenbart werde, dass Pemetrexed auch in Form eines Kaliumsalzes einsetzbar sei. Die Diskrepanz zwischen dem Beschreibungstext und Patentanspruch 1 spiegle zudem den Gang des Erteilungsverfahrens wieder. Es gehe nicht an, Schutzgegenstände , die der Anmelder im Prüfungsverfahren bewusst habe fallen lassen, nachträglich im Verletzungsprozess wieder in den Patentschutz einzubeziehen. Jede andere Handhabung lasse den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit in unverantwortlicher Weise zurücktreten. Der Patentinhaber dürfe die Aufgabe und das Risiko, den Schutzbereich des Patents zutreffend zu umreißen, nicht den Wettbewerbern aufbürden.
24
Mit dem von ihr erwogenen Vertrieb verletze die Beklagte das Klagepatent auch nicht mittelbar. Zwar werde die angegriffene Ausführungsform durch Infusion verabreicht und die Infusionslösung enthalte Natriumionen. Daraus ergebe sich aber nicht, dass zu irgendeinem Zeitpunkt Pemetrexeddinatrium zur Herstellung eines Arzneimittels verwendet werde.
25
III. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in zwei entscheidenden Punkten nicht stand.
26
1. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt , dass der Begriff "Pemetrexeddinatrium" nicht im Sinne von "Pemetrexed" auszulegen ist.
27
a) Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe die Voraussetzungen für eine funktionsorientierte Auslegung zu eng definiert.
28
Diese Rüge ist unbegründet.
29
Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil ausgeführt, eine funktionsorientierte Auslegung sei zwar grundsätzlich geboten , dürfe aber nicht dazu führen, dass ein räumlich-körperlich definiertes Merkmal auf seine bloße Funktion reduziert werde, weil anderenfalls die Grenze zwischen wortsinngemäßer und äquivalenter Benutzung aufgelöst würde.
30
Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats. Das Streitpatent hat zwar keine Vorrichtung zum Gegenstand, sondern - worauf zurückzukommen sein wird (III 3 a) - in einen Verwendungsanspruch gekleideten zweckgebundenen Stoffschutz; dementsprechend kann es nicht auf räumlichkörperlich definierte Merkmale und deren Funktion ankommen, sondern auf die stofflichen Eigenschaften. Insoweit gelten aber die gleichen Grundsätze. Auch im Rahmen eines solchen Verwendungsanspruchs können im Rahmen der Anspruchsauslegung einem rein funktionalen Verständnis der betreffenden stofflichen Verbindung Grenzen gesetzt sein.
31
In der von der Revision angeführten Entscheidung "Spannschraube" hat der Senat ausgeführt, die Auslegung eines Merkmals habe sich entscheidend an dessen in der Patentschrift zum Ausdruck gekommenen Zweck zu orientieren (BGH, Urteil vom 2. März 1999 - X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 911 - Spannschraube). Hieraus kann nicht entnommen werden, dass im Patentanspruch enthaltene Festlegungen zur räumlich-körperlichen oder - wie hier - stofflichen Ausgestaltung eines Merkmals stets in den Hintergrund zu treten haben. Im damals entschiedenen Fall ging es vielmehr darum, dass ein bestimmter Gesichtspunkt - nämlich die Frage, in welcher Weise eine Unterlegscheibe zwischen einen Flansch und einen Schraubenkopf "eingeführt" sein muss - im Patentanspruch keine ausdrückliche Festlegung erfahren hatte. Bei dieser Ausgangslage sah es der Senat nicht als rechtsfehlerhaft an, dass das Berufungsgericht in funktionsorientierter Auslegung zu dem Ergebnis gelangt war, das Einführen müsse durch eine Linearbewegung erfolgen.
32
In der ebenfalls von der Revision angeführten Entscheidung "Staubsaugersaugrohr" hat der Senat ausgeführt, eine funktionsorientierte Auslegung sei jedenfalls dann sachgerecht, wenn die Wortwahl des Patentanspruchs im Wesentlichen für sich kein fest umrissenes Verständnis erlaube (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2004 - X ZR 176/02, GRUR 2005, 41, 42 - Staubsaugersaugrohr ). Dies steht nicht in Widerspruch zu dem vom Berufungsgericht vertretenen Ansatz und deckt sich mit der kurz zuvor in der Literatur geäußerten und vom Landgericht zitierten Auffassung, dass räumlich-körperliche Festlegungen nicht völlig außer Acht gelassen werden dürfen (Meier-Beck, GRUR 2003, 905, 907).
33
Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält sich innerhalb dieses Rahmens. Das Berufungsgericht hat eine ausschließlich an der Funktion orientierte Auslegung im Streitfall nicht allein aufgrund des nach seiner Auffassung eindeutigen Anspruchswortlauts abgelehnt, sondern deshalb, weil es die von ihm zuvor behandelten Gesichtspunkte, die nach seiner Auffassung für eine enge Orientierung am Wortlaut sprechen, als ausschlaggebend angesehen hat. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
34
Das Berufungsgericht hat insbesondere die von der Revision aufgezeigten Gesichtspunkte berücksichtigt, dass die tumorhemmende Wirkung allein von dem Pemetrexedion ausgeht und dass das Dinatriumsalz vor der Verabreichung an einen Patienten in Lösung gebracht wird, so dass sich der Ionenverbund auflöst. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus diesen Gesichtspunkten nicht zwingend, dass die im Patentanspruch enthaltene Angabe "Pemetrexeddinatrium" über ihren Wortlaut hinaus auszulegen ist. Die vom Berufungsgericht als ausschlaggebend erachteten Umstände, insbesondere der einheitliche Sprachgebrauch innerhalb der Patentschrift, dessen Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Patentanspruchs und der Umstand, dass für Vitamin B12 und andere Stoffe ausdrücklich auch pharmazeutische Derivate beansprucht werden, sprechen vielmehr entscheidend dafür, den Patentanspruch insoweit beim Wort zu nehmen.
35
b) Die Revision beanstandet, dass das Berufungsgericht sich bei der Auslegung des Klagepatents auf Unterlagen aus dem Erteilungsverfahren gestützt hat.
36
Damit zeigt sie ebenfalls keinen entscheidungserheblichen Rechtsfehler auf.
37
aa) Die Revision macht geltend, die selektive Berücksichtigung von Vorgängen aus dem Erteilungsverfahren stehe in Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats.
38
Dies ist unzutreffend.
39
Wie das Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt hat, ist es nach der Rechtsprechung des Senats zulässig, Äußerungen des Anmelders im Erteilungsverfahren als Indiz dafür heranzuziehen, wie der Fachmann den Gegenstand des Patents versteht (BGH, Urteil vom 5. Juni 1997 - X ZR 73/95, NJW 1997, 3377, 3380 - Weichvorrichtung II). Für Äußerungen des Prüfers gilt nichts anderes.
40
Solche Indizien können allerdings nicht ohne weiteres als alleinige Grundlage für die Auslegung herangezogen werden. Diesbezügliche Rechtsfehler lassen sich dem angefochtenen Urteil indes nicht entnehmen. Das Berufungsgericht hat die Äußerung des Prüfers, wonach mit der Nennung von Pemetrexeddinatrium nicht der allgemeinere Begriff "Pemetrexed" offenbart sei, vielmehr nur als zusätzliche Bestätigung für seine auf andere Gesichtspunkte gestützte Auslegung herangezogen.
41
bb) Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe Vorbringen der Klägerin übergangen, wonach die Äußerung des Prüfers keine Rückschlüsse auf das Verständnis des Fachmanns erlaube, weil sie auf dem strengen Offenbarungsbegriff des Europäischen Patentamts beruhe, das sich schlicht am Wortlaut der Unterlagen orientiere.
42
Diese Rüge ist ebenfalls unbegründet.
43
Zwar hat sich das Berufungsgericht mit dem genannten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich näher befasst. Angesichts der umfassenden Begründung, auf die das Berufungsgericht die Auslegung des Klagepatents gestützt hat, erscheint es aber jedenfalls ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts zu einem abweichenden Ergebnis gelangt wäre.
44
Wie bereits erwähnt hat das Berufungsgericht die Äußerung des Prüfers nur als zusätzliches bestätigendes Indiz herangezogen. Hätte es diese Äußerung nicht als Hinweis auf des Verständnis des Fachmanns, sondern lediglich als Äußerung einer Rechtsauffassung angesehen, so hätte es ihr im vorliegenden Zusammenhang eine Indizwirkung weder in die eine noch in die andere Richtung beimessen dürfen. Alle verbleibenden Gesichtspunkte sprechen aber nach der rechtsfehlerfreien Beurteilung des Berufungsgerichts ebenfalls für das von ihm als zutreffend erachtete Auslegungsergebnis.
45
c) Die Revision macht geltend, das Berufungsgericht hätte auch die Äußerungen der Anmelderin im Erteilungsverfahren in seine Beurteilung einbeziehen müssen.
46
Damit zeigt sie keinen Verfahrensfehler auf.
47
Die Klägerin hat dieses Argument zwar im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemacht. Aus dem Umstand, dass das Berufungsgericht sich nicht ausdrücklich mit ihm befasst hat, kann aber nicht darauf geschlossen werden, dass das Berufungsgericht einen wesentlichen Aspekt ihrer Argumentation übergangen hätte. Die in Rede stehende Äußerung der Klägerin im Erteilungsverfahren deckt sich der Sache nach mit ihrer rechtlichen Argumentation im Verletzungsverfahren. Mit dieser hat sich das Berufungsgericht eingehend auseinandergesetzt.
48
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine Verletzung des Klagepatents mit äquivalenten Mitteln nicht unter Rückgriff auf die vom Senat entwickelten Grundsätze zur Auswahlentscheidung verneint werden.
49
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Verletzung eines Patents mit äquivalenten Mitteln nur dann zu bejahen, wenn die Überlegungen , die der Fachmann anstellen muss, um ein abgewandeltes Mittel als objektiv gleichwirkend aufzufinden, am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert sind (BGH, Urteil vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 154 = GRUR 2002, 515, 517 - Schneidmesser I; Urteil vom 14. Dezember 2010 - X ZR 193/03, GRUR 2011, 313 Rn. 35 - Crimpwerkzeug IV).
50
aa) Orientierung am Patentanspruch setzt voraus, dass der Patentanspruch in allen seinen Merkmalen nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Überlegungen des Fachmanns bildet (BGH, Urteil vom 29. November 1988 - X ZR 63/87, BGHZ 106, 84, 90 f. = GRUR 1989, 205, 208 - Schwermetalloxidationskatalysator; Urteil vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 154 = GRUR 2002, 515, 517 - Schneidmesser I). Beschränkt sich das Patent bei objektiver Betrachtung auf eine engere Anspruchsfassung , als dies vom technischen Gehalt der Erfindung und gegenüber dem Stand der Technik geboten wäre, darf die Fachwelt darauf vertrauen, dass der Schutz entsprechend beschränkt ist. Dem Patentinhaber ist es dann verwehrt , nachträglich Schutz für etwas zu beanspruchen, was er nicht unter Schutz hat stellen lassen. Dies gilt selbst dann, wenn der Fachmann erkennt, dass die erfindungsgemäße Wirkung als solche (in dem vorstehend ausgeführten engeren Sinn) über den im Patentanspruch unter Schutz gestellten Bereich hinaus erreicht werden könnte (BGH, Urteil vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 159 = GRUR 2002, 515, 518 - Schneidmesser I). Deshalb ist eine Ausführungsform aus dem Schutzbereich des Patents ausgeschlossen, die zwar offenbart oder für den Fachmann jedenfalls auffindbar sein mag, von der der Leser der Patentschrift aber annehmen muss, dass sie - aus welchen Gründen auch immer - nicht unter Schutz gestellt werden sollte (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 = GRUR 2011, 701 Rn. 36 - Okklusionsvorrichtung; Urteil vom 13. September 2011 - X ZR 69/10, GRUR 2012, 45 Rn. 44 - Diglycidverbindung).
51
Dieses Kriterium entspricht nach dem Verständnis des Senats der dritten der drei so genannten Improver- oder Protokoll-Fragen, die die britischen Gerichte in ständiger Rechtsprechung zur Beurteilung der Frage heranziehen, ob eine Ausführungsform, die vom primären, buchstäblichen oder vom Kontext losgelösten Wortlaut des Patentanspruchs nicht erfasst wird, dennoch in den Schutzbereich des Patents fällt. Nach dieser Rechtsprechung fällt eine solche Ausführungsform, auch wenn die Abwandlung keinen wesentlichen Einfluss auf die erfindungsgemäße Wirkung hat und dieser Umstand dem Fachmann nahegelegt war, nicht in den Schutzbereich des Patents, wenn dem Patentanspruch aus fachmännischer Sicht zu entnehmen ist, dass die Übereinstimmung mit dem primären Wortlaut zu den wesentlichen Erfordernissen der Erfindung gehört (ähnlich bereits für nationale Patente: Catnic Components Ltd v Hill & Smith Ltd [1982] RPC 183 Rn. 242 f.; grundlegend zu Art. 69 EPÜ: Improver Corporation v Remington Consumer Products Ltd (Hoffman J), [1990] FSR 181 Rn. 289, zitiert in den beiden das hiesige Klagepatent betreffenden Entscheidungen Actavis UK Ltd & Ors v Eli Lilly & Company, [2014] EWHC 1511 (Arnold J), Rn. 92 [insoweit nicht in GRUR Int. 2015, 52]; [2015] EWCA Civ 555 (Floyd LJ), Rn. 46).
52
bb) Für Fallgestaltungen, in denen dem Patentanspruch eine Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten zugrunde liegt, hat der Senat das Erfordernis der Orientierung am Patentanspruch dahin konkretisiert, dass die fachmännischen Überlegungen zu möglichen Abwandlungen gerade auch mit dieser Auswahlentscheidung in Einklang stehen müssen (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 = GRUR 2011, 701 Rn. 35 - Okklusionsvorrichtung). Deshalb ist eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln in der Regel zu verneinen, wenn die Beschreibung mehrere Möglichkeiten offenbart, wie eine bestimmte technische Wirkung erzielt werden kann, jedoch nur eine dieser Möglichkeiten in den Patentanspruch aufgenommen worden ist (BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 - X ZR 16/09, BGHZ 189, 330 = GRUR 2011, 701 Rn. 35 - Okklusionsvorrichtung; Urteil vom 13. September 2011 - X ZR 69/10, GRUR 2012, 45 Rn. 44 - Diglycidverbindung).
53
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die zuletzt genannten Voraussetzungen im Streitfall nicht erfüllt.
54
aa) Wie die Revision zu Recht geltend macht und wie auch das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkannt hat, ist der Streitfall im Ausgangspunkt anders gelagert als die Fälle, die den Entscheidungen "Okklusionsvorrichtung" und "Diglycidverbindung" zugrunde lagen.
55
In diesen Fällen wurden in der Beschreibung des Patents jeweils (mindestens ) zwei konkrete Ausführungsformen aufgezeigt, mit denen die erfindungsgemäße Wirkung erzielt werden konnte, und jeweils nur eine dieser Ausführungsformen hatte im Patentanspruch Niederschlag gefunden. Im Streitfall wird in der Patentschrift nur eine Ausführungsform offenbart. In der Beschreibung wird zwar ausgeführt, die Erfindung betreffe allgemein die Verwendung von Antifolatarzneimitteln durch Verabreichung eines Methylmalonsäure verringernden Mittels wie Vitamin B12. Als konkrete Ausführungsform dieser Erfindung wird aber nur die Verwendung von Pemetrexeddinatrium aufgezeigt.
56
bb) Das Berufungsgericht geht davon aus, die Offenbarung einer Gattung von chemischen Verbindungen habe dieselben rechtlichen Wirkungen wie die Auflistung aller zu der Gattung gehörenden und am Prioritätstag als solche bereits bekannten Verbindungen.
57
Dies steht in Widerspruch zur neueren Rechtsprechung des Senats.
58
Nach dieser Rechtsprechung darf die Fähigkeit des Fachmanns, mit Hilfe bekannter Verfahren und seines sonstigen Fachwissens eine mehr oder weniger große Anzahl von Einzelverbindungen herzustellen, die unter eine offenbarte Strukturformel fallen, nicht mit der Offenbarung dieser Einzelverbindungen gleichgesetzt werden. Vielmehr stellen die Einzelverbindungen, jedenfalls regelmäßig , Nutzanwendungen der technischen Information dar, die dem Fachmann durch die Offenbarung der Strukturformel oder sonst einer allgemeineren Formel gegeben wird. Durch deren Mitteilung sind die darunter fallenden einzelnen Verbindungen als solche nicht offenbart. Um sie dem Fachmann im Sinne der Neuheitsprüfung "in die Hand zu geben", bedarf es in der Regel weitergehender Informationen insbesondere zu ihrer Individualisierung (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 = GRUR 2009, 382 Rn. 28 - Olanzapin; Urteil vom 10. September 2009 - Xa ZR 130/07, GRUR 2010, 123 Rn. 31 - Escitalopram).
59
Im Streitfall ist Pemetrexeddikalium in der Klagepatentschrift nicht ausdrücklich benannt. Der Umstand, dass es ein Antifolat ist und zu derselben Gruppe gehört wie Pemetrexeddinatrium, reicht nach der aufgezeigten Rechtsprechung nicht aus, um es als durch die Klagepatentschrift offenbart anzusehen. Besondere Umstände, die darauf hindeuten könnten, dass der Fachmann diese Verbindung dennoch gleichsam mitliest, sind nicht festgestellt.
60
cc) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der in der Entscheidung "Okklusionsvorrichtung" entwickelte Grundsatz nicht schon dann auf die Konstellation des Streitfalls übertragen werden, wenn die Verwendung von Pemetrexeddikalium anstelle von Pemetrexeddinatrium durch die Klagepatentschrift nahegelegt ist.
61
Wie oben bereits dargelegt wurde, beruht der genannte Grundsatz zwar auf der allgemeineren Erwägung, dass eine Ausführungsform vom Schutzbereich des Patents ausgeschlossen ist, wenn sie offenbart oder für den Fachmann jedenfalls auffindbar ist, der Leser der Patentschrift aber annehmen muss, dass sie - aus welchen Gründen auch immer - nicht unter Schutz gestellt werden sollte. Den Grundsatz selbst hat der Senat aber, wie die Revision zutreffend aufzeigt, nur für die Konstellation aufgestellt, dass die Patentschrift selbst mehrere mögliche Ausführungsformen offenbart. Eine Erweiterung auf Ausführungsformen, die aufgrund der Angaben in der Patentschrift auffindbar waren, führte hingegen schon deshalb zu weit, weil die Auffindbarkeit eine Grundvoraussetzung für die Bejahung von Äquivalenz ist und der Einsatz abgewandelter Mittel folglich niemals zu einer Patentverletzung führen könnte.
62
dd) Hieraus ergibt sich andererseits nicht zwingend, dass die Bejahung einer Auswahlentscheidung in der hier zu beurteilenden Fallkonstellation schlechterdings ausgeschlossen ist.
63
Aus dem Inhalt der Patentschrift oder aus sonstigen für die Auslegung maßgeblichen Umständen kann sich im Einzelfall ergeben, dass die Fokussierung auf eine einzelne Verbindung aus einer Gruppe von Stoffen, die in der Beschreibung ohne nähere Differenzierung als geeignet eingestuft werden, auf einer Auswahl beruht, die es ausschließt, weitere zu der Gruppe gehörende Verbindungen in den Schutzbereich des Patents einzubeziehen. Dies kann etwa dann in Betracht kommen, wenn die in den Patentanspruch aufgenommene Verbindung im Vergleich zu anderen Verbindungen der offenbarten Gruppe eine besondere Eigenschaft aufweist, die für die Verwirklichung der erfindungsgemäßen Funktion von Bedeutung ist. Dies ist aber eine Frage des Einzelfalls, für die keine allgemeinen Regeln aufgestellt werden können.
64
ee) Aus einem Vergleich zwischen der geltenden Fassung des Patents und der (veröffentlichten) Anmeldung oder etwaigen früheren Fassungen des Schutzrechts können ebenfalls keine allgemeingültigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Deshalb bedarf es für die Beurteilung des Streitfalls keiner Entscheidung, ob solche Unterlagen bei der Auslegung der geltenden Fassung eines Patents berücksichtigt werden dürfen.
65
(1) Wenn der Patentinhaber in einem bestimmten Stadium des Verfahrens Schutz für eine Gruppe von Verbindungen beansprucht, die Patentansprüche später aber so gefasst hat, dass ihr Wortsinn nur noch eine einzelne Verbindung erfasst, mag dies im Einzelfall darauf hindeuten, dass er die übrigen Verbindungen aus dem Schutzbegehren ausgenommen hat. Dann ist Raum für die Anwendung des bereits erwähnten Grundsatzes, dass der Patentinhaber über die Rechtsfigur der Äquivalenz nicht nachträglich Schutz für etwas beanspruchen darf, was er nicht unter Schutz hat stellen lassen.
66
(2) Die Annahme, dass mit der Konkretisierung der Anspruchsfassung alle übrigen zur offenbarten Gruppe gehörenden Verbindungen vom Schutz ausgenommen werden, kommt aber nur unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht.
67
Sie mag im Einzelfall gerechtfertigt sein, wenn ein Vergleich der unterschiedlichen Anspruchsfassungen unter Berücksichtigung des übrigen Inhalts der zugehörigen Anmeldung bzw. Patentschrift hinreichend deutlich ergibt, dass die Konkretisierung vorgenommen wurde, um den Gegenstand des Patents vom Stand der Technik abzugrenzen und so Zweifel hinsichtlich der Patentfähigkeit zu vermeiden. Wenn dies der Fall ist, ist die Bejahung einer Auswahlentscheidung in der Regel auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Konkretisierung bei objektiver Betrachtung nicht notwendig gewesen wäre, denn die Gründe, aus denen von einer Einbeziehung bestimmter Ausführungsformen abgesehen wird, sind nach der oben aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich ohne Bedeutung.
68
Wenn die Konkretisierung im Hinblick auf formelle Anforderungen vorgenommen wurde - wiederum unabhängig davon, ob diese Anforderungen objektiv bestanden haben - oder wenn nicht hinreichend deutlich wird, aus welchem Grund sie erfolgt ist, kann hingegen in der Regel nicht von einer Auswahlentscheidung im oben genannten Sinne ausgegangen werden. Sofern der Patentanspruch etwa aus Gründen der Anspruchsklarheit oder zur Vermeidung einer unzulässigen Erweiterung eine verhältnismäßig enge Fassung erhält, können daraus für die Frage einer Verletzung mit äquivalenten Mitteln schon deshalb keine zwingenden Schlussfolgerungen gezogen werden, weil diese beiden Gesichtspunkte für die Äquivalenz nicht von unmittelbarer Bedeutung sind. Die Frage der Anspruchsklarheit kann sich in der Regel nicht stellen, weil es nur darum geht, ob der Einsatz eines bestimmten Austauschmittels als gleichwertig (äquivalent) anzusehen ist, und hierfür grundsätzlich nicht von Bedeutung ist, ob noch weitere gleichwertige Austauschmittel in Betracht kommen. Der Frage, ob eine Ausführungsform in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, kommt in der Regel ebenfalls keine Bedeutung zu, weil ein Austauschmittel auch dann gleichwertig (äquivalent) sein kann, wenn es weder in der Anmeldung noch im Patent offenbart, aber dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war.
69
c) Im Streitfall kann die Orientierung am Patentanspruch auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht verneint werden.
70
aa) Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist Pemetrexeddikalium in der Klagepatentschrift nicht als mögliches Austauschmittel aufgeführt. Der Umstand, dass in der Klagepatentschrift grundsätzlich alle Antifolate als zur erfindungsgemäßen Verwendung geeignet eingestuft werden, und die sich daraus zumindest mittelbar ergebende Schlussfolgerung, dass dies grundsätzlich auch für alle Pemetrexedverbindungen gilt, vermögen die Annahme einer Auswahlentscheidung aus den oben aufgeführten Gründen für sich allein nicht zu stützen.
71
bb) Für den Umstand, dass die Klägerin in der Anmeldung Schutz für die Verwendung eines beliebigen Antifolats in Kombination mit einem beliebigen Methylmalonsäure verringernden Mittel beansprucht hat, gilt nichts anderes.
72
Der Vergleich der beiden Fassungen gibt keinen hinreichenden Aufschluss darüber, aus welchem Grund die Konkretisierung auf Pemetrexeddinatrium sowie Vitamin B12 und dessen Derivat erfolgt ist. Der vom Berufungsgericht ergänzend herangezogene Inhalt der Erteilungsakte deutet darauf hin, dass sie auf formellen Erwägungen beruht. Damit ist die Annahme einer Auswahlentscheidung aus den oben aufgezeigten Gründen nicht gerechtfertigt.
73
cc) Der Schutz der Rechtssicherheit für Dritte erfordert es nicht zwingend , Pemetrexeddikalium vom Schutzbereich des Klagepatents auszunehmen.
74
Der Rechtssicherheit für Dritte kommt nach Art. 1 Satz 3 des Protokolls über die Auslegung des Artikels 69 EPÜ zwar erhebliche Bedeutung zu. Nach dieser Bestimmung sind aber auch die Belange des Patentinhabers zu berücksichtigen. Die widerstreitenden Interessen sind nach Art. 1 Satz 3 des Protokolls einem angemessenen Ausgleich zuzuführen, der einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte verbindet. Nach Art. 2 des Protokolls ist hierbei auch solchen Elementen gebührend Rechnung zu tragen, die Äquivalente der in den Patentansprüchen genannten Elemente sind.
75
Angesichts dessen kann die Einbeziehung einer Ausführungsform in den Schutzbereich eines Patents nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil der Patentinhaber es versäumt hat, seinem Patent eine Fassung zu geben, bei der die Ausführungsform vom Wortsinn des Patentanspruchs erfasst wäre. Die mit der Einbeziehung von Äquivalenten verbundene Konsequenz, dass der Rechtsverkehr den Schutzbereich des Patents nicht allein anhand der Anspruchsfassung in jeder Hinsicht exakt und abschließend abschätzen kann, kann schon deshalb nicht zu einer anderen Beurteilung führen, weil nach Art. 69 EPÜ Be- schreibung und Zeichnungen zur Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind.
76
dd) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Orientierung am Patentanspruch nicht allein deshalb verneint werden, weil der Begriff "Pemetrexeddinatrium" eine exakte Umschreibung für eine bestimmte chemische Verbindung darstellt, deren Detaillierungsgrad mit demjenigen einer Zahlenangabe vergleichbar ist.
77
(1) Nach der Rechtsprechung des Senats bestimmt und begrenzt eine eindeutige Zahlenangabe den geschützten Gegenstand grundsätzlich insoweit abschließend. Dies schließt aber nicht aus, dass der Fachmann eine gewisse Unschärfe als mit dem technischen Sinngehalt einer Zahlenangabe vereinbar ansieht. Ob und in welchem Umfang dies zu bejahen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (BGH, Urteil vom 12. März 2002 - X ZR 168/00, BGHZ 150, 149, 156 f. = GRUR 2002, 515, 518 - Schneidmesser I).
78
(2) Für die Angabe einer Stoffbezeichnung oder einer chemischen Formel gilt im Grundsatz nichts anderes.
79
Eine solche Bezeichnung mag im Einzelfall denselben Konkretisierungsgrad aufweisen wie eine Zahlenangabe. Dies kann dazu führen, dass Stoffe, die nicht unter diese Definition fallen, vom Wortsinn des Patentanspruchs nicht erfasst werden. Ebenso wie bei Zahlenangaben rechtfertigt all dies aber nicht ohne weiteres den Schluss, dass der Einsatz einer gleichwirkenden und für den Fachmann auffindbaren Verbindung nicht am Sinngehalt des Patentanspruchs orientiert ist.
80
(3) Entgegen der Auffassung der Beklagten führt der Umstand, dass in der Beschreibung des Klagepatents (Abs. 22) ausdrücklich ausgeführt wird, das Antifolat zur Verwendung in der Erfindung sei Pemetrexeddinatrium, nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
81
Diese Ausführungen in der Beschreibung stützen und bestätigen zwar die Einschätzung, dass der im Patentanspruch verwendete Ausdruck "Pemetrexeddinatrium" im allgemeinen technischen Sinne zu verstehen ist, also als exakte wissenschaftliche Definition einer bestimmten chemischen Verbindung. Die Verwendung einer solchen Definition reicht aber aus den genannten Gründen nicht aus, um eine Orientierung am Patentanspruch verneinen zu können. Eine darüber hinausgehende Festlegung kann der in der Beschreibung des Streitpatents enthaltenen Definition ebenso wenig entnommen werden wie dem mit der Definition näher charakterisierten Begriff im Patentanspruch selbst.
82
3. Ebenfalls rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht eine mittelbare Patentverletzung verneint.
83
a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist Gegenstand eines auf die Verwendung eines Stoffs zur Behandlung einer Krankheit gerichteten Patentanspruchs die Eignung des Stoffes für einen bestimmten medizinischen Einsatzzweck und damit letztlich eine dem Stoff innewohnende Eigenschaft (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2005 - X ZB 7/03, BGHZ 164, 220 = GRUR 2006, 135 - Arzneimittelgebrauchsmuster). Dies entspricht in der Sache einem zweckgebundenen Stoffschutz, wie ihn § 3 Abs. 4 PatG und Art. 54 Abs. 5 EPÜ in der seit 13. Dezember 2007 geltenden Fassung ausdrücklich vorsehen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Patentanspruch seinem Wortlaut nach auf zweckgebundenen Stoffschutz, auf die Verwendung des Medikaments oder auf dessen Herrichtung zu einem bestimmten Verwendungszweck gerichtet ist (BGH, Beschluss vom 25. Februar 2014 - X ZB 5/13, BGHZ 200, 229 = GRUR 2014, 461 Rn. 17 - Kollagenase I).
84
Für Ansprüche, die entsprechend der früheren Rechtspraxis des Europäischen Patentamts auf Verwendung des Stoffs zur Herstellung eines Medikaments gerichtet sind, gilt nichts anderes. Diese besondere, als Swiss type claim bezeichnete Anspruchsfassung trug dem Umstand Rechnung, dass die Verwendung eines Stoffs zur Behandlung einer Krankheit nach Auffassung des Europäischen Patentamts der Patentierung nicht zugänglich war. Die stattdes- sen gewählte Lösung, den Schutz auf die Verwendung zur Herstellung eines Medikaments zu richten, ändert nichts daran, dass der Sache nach eine besondere Eigenschaft des Stoffs geschützt ist, die auch dem hergestellten Medikament innewohnt.
85
Eine abweichende Beurteilung ergäbe sich selbst dann nicht, wenn Swiss type claims entsprechend ihrem Wortlaut als Ansprüche verstanden würden , die auf den Schutz eines Herstellungsverfahrens gerichtet sind. Ausgehend von einem solchen Verständnis wäre ein nach dem geschützten Verfahren hergestelltes Medikament als unmittelbares Verfahrenserzeugnis anzusehen , das für den geschützten Verwendungszweck gemäß § 9 Nr. 3 PatG ebenfalls nur durch den Patentinhaber angeboten, in den Verkehr gebracht und gebraucht werden darf. Dies führte im Ergebnis ebenfalls zu einem auf den Verwendungszweck beschränkten Stoffschutz.
86
b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht in Widerspruch zu diesen Grundsätzen.
87
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob das Arzneimittel, das die Beklagte vertreiben will, vor der Verabreichung in einer Kochsalzlösung aufgelöst werden soll und ob dabei ein Gemisch aus Pemetrexedionen und mindestens doppelt so vielen Natriumionen erzeugt wird. Es hat das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin schon deshalb als unerheblich angesehen, weil der Patentanspruch auf die Verwendung des Dinatriumsalzes zur Herstellung eines Arzneimittels gerichtet sei.
88
Hierbei hat das Berufungsgericht unberücksichtigt gelassen, dass auch eine solche Anspruchsfassung beschränkten Stoffschutz gewährt. Eine Verletzung des Klagepatents kann nicht allein wegen dieser Anspruchsfassung abgelehnt werden. Sofern ein Gemisch aus Pemetrexedionen und mindestens doppelt so vielen Natriumionen als Pemetrexeddinatrium im Sinne von Patentanspruch 1 anzusehen ist und ein solches Gemisch vor der bestimmungsgemäßen Verabreichung des Arzneimittels, das die Beklagte vertreiben will, hergestellt wird, ist vielmehr - in Übereinstimmung mit der nach dem Berufungsurteil ergangenen Entscheidung des Court of Appeal for England and Wales (Floyd LJ, [2015] EWCA Civ 555, Rn. 74-92) - eine mittelbare Patentverletzung zu bejahen.
89
IV. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif.
90
Das Berufungsgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob die Verwendung von Pemetrexeddikalium als gleichwirkendes Mittel anzusehen ist und ob es für den Fachmann als solches auffindbar war. Die Beurteilung dieser beiden Fragen - deren zweite die britischen Gerichte verneint haben (Arnold J, [2014] EWHC 1511, Rn. 120-128 [insoweit nicht in GRUR Int. 2015, 52]; Floyd LJ, [2015] EWCA Civ 555, Rn. 62-71) - erfordert zusätzliche tatsächliche Feststellungen.
91
Das Berufungsgericht wird zudem die von ihm offen gelassenen Fragen zur mittelbaren Patentverletzung zu klären haben, sofern es auf diesem Gesichtspunkt im weiteren Verfahrensverlauf trotz der mittlerweile vor den britischen Gerichten abgegebenen Erklärung der Beklagten, sie wolle das Arzneimittel zur Verabreichung in einer Dextroselösung vertreiben (dazu Arnold J [2016] EWHC 234), noch ankommen sollte.
Meier-Beck Gröning Bacher
Hoffmann Schuster
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 03.04.2014 - 4b O 114/12 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 05.03.2015 - I-2 U 16/14 -