Bundesgerichtshof Urteil, 25. Juli 2024 - VII ZR 84/21

bei uns veröffentlicht am07.09.2024

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Eingereicht durch

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Pamp

Halfmeier

Amtliche Leitsätze

Die durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20) veranlasste ergänzende Vertragsauslegung im Verhältnis des leistenden Bauunternehmers zum Leistungsempfänger (Bauträger) wird nicht dadurch beeinflusst, dass es - etwa wegen eingetretener Festsetzungsverjährung - nicht mehr zu einer Steuerfestsetzung kommen wird und der Bauunternehmer daher keine Umsatzsteuer mehr an den Fiskus abführen muss.

Bundesgerichtshof

Urteil vom 25. Juli 2024

Az.: VII ZR 84/21

 

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 23. Dezember 2020 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 31. Januar 2018 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Urteilstenor wie folgt lautet:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 104.443,42 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. August 2016 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter in dem am 17. Juni 2011 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der C.         S.        , handelnd unter der Firma S.                                                                                             e. K. (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin). Er verlangt von der Beklagten Restwerklohn in Höhe eines Umsatzsteueranteils von 104.443,42 € nebst Zinsen.

Die Beklagte, die als Bauträger tätig ist, beauftragte die Insolvenzschuldnerin in den Jahren 2008 und 2009 unter Einbeziehung der VOB/B mit der Erbringung von Tiefbauarbeiten und Arbeiten zur Freiflächengestaltung an einem Bauvorhaben in M.             . Ab der zweiten Abschlagsrechnung vom 14. November 2008 enthielt jede Rechnung der Insolvenzschuldnerin den Zusatz "Leistungsempfänger ist Schuldner der USt. gemäss § 13b Abs. 1 Nr. 4 UStG". Die Beklagte führte für die von der Insolvenzschuldnerin in den Jahren 2009 und 2010 erbrachten Bauleistungen insgesamt 109.276,04 € als Umsatzsteuer an das Finanzamt M.               ab.

Mit Urteil vom 22. August 2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20) entschied der Bundesfinanzhof, dass § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG 2005 entgegen der einschlägigen Umsatzsteuer-Richtlinie einschränkend dahin auszulegen sei, dass es für den Übergang der Steuerschuldnerschaft darauf ankomme, ob der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte bauwerksbezogene Werklieferung oder sonstige Leistung selbst zur Erbringung einer derartigen Leistung verwende. Dies treffe auf Bauträger nicht zu, die die erbrachten Leistungen für die Bebauung eigener, zur Veräußerung vorgesehener Grundstücke verwendeten (BFH, Urteil vom 22. August 2013 - V R 37/10, BFHE 243, 20, juris Rn. 39 ff., 50 ff.).

Daraufhin beantragte die Beklagte mit Schreiben vom 24. Februar 2014 beim Finanzamt die Erstattung der von ihr entrichteten Umsatzsteuer. Der Erstattungsanspruch ist durch Leistung an ein Schwesterunternehmen der Beklagten erfüllt worden. Mit Schreiben vom 30. November 2015 teilte das Finanzamt dem Kläger unter Hinweis auf die genannte Entscheidung des Bundesfinanzhofs und den Antrag der Beklagten vom 24. Februar 2014 mit, dass nunmehr er beziehungsweise die Insolvenzschuldnerin als leistende Unternehmerin Steuerschuldner sei. Den Schreiben waren Aufstellungen der Beklagten beigefügt, aus denen sich die Rechnungsnummern, die Daten der Rechnungen aus den Jahren 2009 und 2010, die Rechnungsbeträge sowie der 19 %-ige Umsatzsteueranteil ergaben. Dieser belief sich für das Jahr 2009 auf einen Betrag von 68.191,48 €, für das Jahr 2010 auf einen Betrag von 41.084,56 €, insgesamt daher auf 109.276,04 €. Das Finanzamt teilte unter anderem weiter mit, dass der Kläger verpflichtet sei, Rechnungen auszustellen, welche die in § 14 Abs. 4 Satz 1 UStG vorgeschriebenen Angaben enthielten.

Mit Schreiben vom 21. Juli 2016 forderte der Kläger die Beklagte erfolglos zur Zahlung von 109.276,04 € bis zum 15. August 2016 auf.

Die Umsatzsteuer wurde vom Finanzamt bislang weder gegenüber dem Kläger oder der Insolvenzschuldnerin festgesetzt noch wurde der Steueranspruch zur Insolvenztabelle angemeldet. Es ist unstreitig, dass es zu einer Steuerfestsetzung nicht mehr kommen wird.

Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung von Restwerklohn in Höhe des Umsatzsteueranteils von 109.276,04 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. August 2017 stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung die Klage abgewiesen. Mit Urteil vom 16. Juli 2020 (VII ZR 204/18, BauR 2020, 1771 = NZBau 2020, 637) hat der Senat - nach Zulassung der Revision - die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung dorthin zurückverwiesen.

In dem wiedereröffneten Berufungsverfahren hat der Kläger korrigierte Abschlagsrechnungen der Insolvenzschuldnerin vom 13. Dezember 2019 für die Steuerjahre 2009 und 2010 vorgelegt. Die Rechnungen weisen für das Jahr 2009 offenen Restwerklohn in Höhe eines Umsatzsteueranteils von 63.358,86 € und für das Jahr 2010 von 41.084,56 €, insgesamt 104.443,42 € aus.

Nachdem der Kläger mit Zustimmung der Beklagten die Klage teilweise in Höhe von 4.832,62 € zurückgenommen hat, hat das Berufungsgericht unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung die Beklagte verurteilt, "den Kläger von einer Inanspruchnahme der Umsatzsteuerpflicht seitens des Finanzamts M.                für die Jahre 2009 und 2010 (betreffend Bauleistungen der Schuldnerin gegenüber der Beklagten) freizustellen, Zug um Zug gegen Aushändigung korrigierter Abschlagsrechnungen, die gemäß §§ 14 Abs. 2 und Abs. 4, 18 UStG Angaben zum anzuwendenden Steuersatz und zum auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag enthalten." Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Auf die Beschwerde des Klägers hat der Senat die Revision zugelassen, soweit zu dessen Nachteil erkannt worden ist. Mit der Revision begehrt der Kläger insoweit die Wiederherstellung der Entscheidung des Landgerichts, als dieses den Beklagten zur Zahlung von 104.443,42 € nebst Zinsen verurteilt hat, jedoch mit der Maßgabe, dass Zinsen nur in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz verlangt werden.

 

Gründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils im tenorierten Umfang.

I.

Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

1. Dem Kläger stehe gegen die Beklagte statt eines Zahlungsanspruchs lediglich ein Anspruch auf Freistellung von einer Inanspruchnahme durch das Finanzamt für die in den Jahren 2009 und 2010 auf die Bauleistungen zu zahlende Umsatzsteuer zu, Zug um Zug gegen Aushändigung korrigierter Abschlagsrechnungen.

Allerdings seien nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich die Voraussetzungen für den geltend gemachten Zahlungsanspruch aufgrund einer ergänzenden Auslegung des Bauvertrags gegeben. Im Streitfall bestehe aber eine Besonderheit, die der Bundesgerichtshof in seinem im hiesigen Rechtsstreit ergangenen Urteil vom 16. Juli 2020 (VII ZR 204/18, BauR 2020, 1771 = NZBau 2020, 637) nicht hinreichend beachtet habe und die dazu führe, dass zur Vermeidung einer unerträglichen Schieflage nach den Grundsätzen der §§ 242, 249 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Ergänzung dahin geboten sei, dass dem Kläger nur ein Freistellungsanspruch gegen die Beklagte zustehe.

Die Besonderheit bestehe darin, dass das Finanzamt die Umsatzsteuer bislang weder gegenüber dem Kläger beziehungsweise der Insolvenzschuldnerin festgesetzt noch den Steueranspruch zur Insolvenztabelle angemeldet habe. Eine Festsetzung der Umsatzsteuer für die Jahre 2009 und 2010 sei nunmehr auch nicht mehr zulässig, da insoweit spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2018 Festsetzungsverjährung eingetreten sei.

Bei Abwägung aller Umstände sei einerseits zu berücksichtigen, dass die Beklagte kein berechtigtes Interesse daran habe, von ihrer Verpflichtung, Umsatzsteuer zu entrichten, gänzlich entbunden zu werden. Andererseits sei hier offenkundig, dass der Kläger im Falle des Klageerfolgs Umsatzsteuer nachfordern dürfe, ohne sie auch nur anteilig an den Fiskus abführen zu müssen. Hätten die Parteien von Anfang an eine Abführung der Umsatzsteuer durch die Insolvenzschuldnerin vereinbart, wäre der Betrag noch vor Insolvenzeröffnung an das Finanzamt weitergeleitet worden. Der Betrag hätte der Insolvenzschuldnerin allein zum Zweck der Weiterleitung an das Finanzamt zugestanden. Es sei deshalb nicht gerechtfertigt, die Insolvenzgläubiger an der Forderung partizipieren zu lassen. Dass der Kläger "keinen Cent" an das Finanzamt werde abführen müssen, sei auch keine übliche Folge eines Insolvenzverfahrens. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 16. Juli 2020 (VII ZR 204/18 Rn. 19 f., BauR 2020, 1771 = NZBau 2020, 637) zu den gesetzlichen Folgen des Insolvenzverfahrens berücksichtigten nicht, dass im Streitfall die Nichtabführung der gesamten Umsatzsteuer darauf beruhe, dass es keinen Steuerbescheid gegeben habe und unstreitig auch nicht mehr geben werde. Das Berufungsgericht erkenne kein schutzwürdiges Interesse des Klägers an dem Erhalt der Umsatzsteuer. Beide Parteien seien bei der Vertragsgestaltung einem Irrtum bezüglich der Umsatzsteuerpflicht unterlegen. Sinn der gesetzlichen Regelung sei es, dafür zu sorgen, dass der Fiskus die Umsatzsteuer auf jeden Fall erhalte. Die Umsatzsteuer solle danach nicht dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin zugute kommen, sondern bestenfalls als Durchlaufposten für das Finanzamt verwaltet werden. Der Umstand, dass das Finanzamt vorliegend "leer ausgegangen" sei, sei nicht allein der Beklagten anzulasten, die berechtigterweise einen Erstattungsantrag gestellt habe, sondern auch dem Kläger. Dieser habe sich geweigert, seine Ansprüche gegen die Beklagte an den Fiskus abzutreten, berichtigte Jahressteuererklärungen abzugeben und die Rechnungen zu korrigieren. Auch habe das Finanzamt keine Maßnahmen ergriffen, um die Steuerzahlung zu veranlassen. Die Beklagte möge begünstigt werden, wenn sie die klägerische Forderung nicht erfüllen müsse, dies geschehe aber nicht auf Kosten der Insolvenzschuldnerin oder des Klägers beziehungsweise der Insolvenzgläubiger, sondern auf Kosten des Fiskus, der seine Interessen nicht durchgesetzt habe.

Der vorliegende Rechtsstreit sei nicht vergleichbar mit dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. Mai 2018 (VII ZR 157/17, BauR 2018, 1403 = NZBau 2018, 524) zugrunde liegenden Sachverhalt, denn dort habe das Finanzamt einen Steuerbescheid erlassen, so dass für den dortigen Kläger die Gefahr einer steuerlichen Inanspruchnahme bestanden habe. Gleiches gelte im Fall des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 2019 (VII ZR 6/18, NZBau 2019, 242).

Mit der Zuerkennung eines Freistellungsanspruchs werde die Gefahr einer eventuellen Inanspruchnahme des Klägers durch das Finanzamt gebannt und eine ungerechtfertigte Bereicherung der Insolvenzmasse vermieden. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 10. Januar 2019 (VII ZR 6/18 Rn. 27, NZBau 2019, 242) zum Freistellungsanspruch bezögen sich auf eine andere Konstellation und stünden dem nicht entgegen.

2. Dem Kläger stehe der Freistellungsanspruch nur Zug um Zug gegen Aushändigung korrigierter Abschlagsrechnungen zu. Diese müssten gemäß § 14 Abs. 2 und 4, § 18 UStG Angaben zum Steuersatz und zum auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag enthalten. Auch wenn die Beklagte den auf die Rechnungen anfallenden Umsatzsteueranteil kenne, wie ihre eigene Aufstellung gegenüber dem Finanzamt zeige, sei die Aufstellung einer prüfbaren Rechnung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 VOB/B Fälligkeitsvoraussetzung. Dazu gehöre, dass die Rechnungen bezüglich des jeweiligen Umsatzsteueranteils ordnungsgemäß gelegt seien, § 14 Abs. 4 Nr. 8 UStG. Die Abrechnung des Klägers vom 13. Dezember 2019, in der die Gesamtnettosumme der Abschlagsrechnungen der Insolvenzschuldnerin aufgelistet und hierauf 19 % Umsatzsteuer aufgeschlagen werde, genüge diesen Vorgaben nicht, da Angaben zu dem auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag fehlten.

II.

Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von Restwerklohn in Höhe des Umsatzsteuerbetrags von 104.443,42 € aufgrund ergänzender Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB verneint und ihm stattdessen lediglich einen Freistellungsanspruch zuerkannt.

a) Der Senat hat, wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend ausführt, bereits entschieden, dass einem Bauunternehmer bei einem vor dem Erlass des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20) abgeschlossenen Bauvertrag mit einem Bauträger aufgrund ergänzender Vertragsauslegung ein Anspruch auf Zahlung von Restwerklohn in Höhe des Umsatzsteuerbetrags gegen seinen Vertragspartner zusteht, wenn beide Vertragsparteien übereinstimmend von der Steuerschuldnerschaft des Bauträgers gemäß § 13b Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 UStG 2011 ausgegangen sind, der Bauträger die auf die erbrachten Leistungen des Bauunternehmers entfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt hat und wegen eines Erstattungsverlangens des Bauträgers für den Bauunternehmer die Gefahr entsteht, wegen der Heranziehung als Steuerschuldner gemäß § 27 Abs. 19 UStG die Umsatzsteuer abführen zu müssen (BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 - VII ZR 204/18 Rn. 14 m.w.N., BauR 2020, 1771 = NZBau 2020, 637; vgl. grundlegend hierzu BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 - VII ZR 157/17 Rn. 18-35, BauR 2018, 1403 = NZBau 2018, 524).

Gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG ist die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme errichtet hat, Steuerschuldner zu sein. Nach § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG steht § 176 AO der Änderung nicht entgegen. § 27 Abs. 19 UStG ist in der einschränkenden Auslegung durch den Bundesfinanzhof (vgl. dazu BFH, Urteil vom 23. Februar 2017 - V R 16, 24/16, BFHE 257, 177, juris Rn. 24 ff., 62) sowohl verfassungsgemäß als auch unionsrechtskonform (BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 - VII ZR 204/18 Rn. 15 m.w.N., BauR 2020, 1771 = NZBau 2020, 637).

b) Der Senat, der die ergänzende Vertragsauslegung des Berufungsgerichts uneingeschränkt überprüfen kann (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 - VII ZR 157/17 Rn. 19-21, BauR 2018, 1403 = NZBau 2018, 524), hat darüber hinaus bereits in seinem im hiesigen Rechtsstreit ergangenen ersten Revisionsurteil vom 16. Juli 2020 (VII ZR 204/18 Rn. 16 ff., BauR 2020, 1771 = NZBau 2020, 637) entschieden, dass diese Rechtsprechungsgrundsätze auch im Streitfall gelten.

Danach sind die Voraussetzungen der ergänzenden Vertragsauslegung, die Vorrang vor den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 - VII ZR 157/17 Rn. 36, BauR 2018, 1403 = NZBau 2018, 524), erfüllt. Die Interessenlage der Parteien im vorliegenden Fall ist mit derjenigen vergleichbar, die der Entscheidung von 17. Mai 2018 (VII ZR 157/17, BauR 2018, 1403 = NZBau 2018, 524) zugrunde lag. Beide Vertragsparteien haben übereinstimmend angenommen, dass Schuldner der Umsatzsteuer entsprechend der früheren Praxis der Finanzverwaltung die Beklagte sei. Ihr übereinstimmendes Verständnis war damit, dass die auf die Werkleistung entfallende Umsatzsteuer von der Beklagten getragen werden sollte und sie also als Leistungsempfängerin insgesamt den Bruttobetrag zu zahlen hat. Die Vertragsparteien haben keine Regelung für den Fall getroffen, dass für die Insolvenzschuldnerin die Gefahr besteht, wegen der Heranziehung als Steuerschuldner die Umsatzsteuer selbst entrichten zu müssen. Diese Gefahr besteht im vorliegenden Fall aufgrund des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20), der in der Folge geänderten Verwaltungspraxis und des Umstands, dass die Beklagte einen Erstattungsantrag gestellt hat (BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 - VII ZR 204/18 Rn. 18, BauR 2020, 1771 = NZBau 2020, 637).

Diesem Auslegungsergebnis stehen, wie der Senat weiter ausgeführt hat, schutzwürdige Interessen der Beklagten nicht entgegen, weil sie durch ihren Erstattungsantrag erst das Umsatzsteuerverfahren gegen die Insolvenzschuldnerin ausgelöst hat. Damit hat sie zugleich die Gefahr einer doppelten Belastung mit dem Umsatzsteuerbetrag begründet. Die Beklagte hat kein berechtigtes Interesse, dass der Kläger von der Abtretungsmöglichkeit nach § 27 Abs. 19 Satz 3 UStG Gebrauch macht. Für sie ist es unerheblich, ob ihr als Anspruchsteller der Kläger oder das Finanzamt gegenübertritt (BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 - VII ZR 204/18 Rn. 19 m.w.N., BauR 2020, 1771 = NZBau 2020, 637).

Ferner hat der Senat bereits entschieden, dass es für die ergänzende Auslegung der werkvertraglichen Vereinbarungen der Parteien keine Rolle spielt, ob der Kläger die geschuldete Umsatzsteuer aufgrund insolvenzrechtlicher Vorschriften gegebenenfalls nicht in voller Höhe an das Finanzamt wird abführen müssen. Das ist die gesetzliche Folge eines jeden Insolvenzverfahrens und zugleich der Grund dafür, dass den übrigen Gläubigern der zur Masse fließende Betrag unter Umständen zugute kommen kann (BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 - VII ZR 204/18 Rn. 20, BauR 2020, 1771 = NZBau 2020, 637). Die weitere und nunmehr erneut angestellte Erwägung des Berufungsgerichts, wonach die Umsatzsteuer vor Insolvenzeröffnung an das Finanzamt weitergeleitet worden wäre, wenn die Parteien von Anfang an eine um den Umsatzsteueranteil erhöhte Vergütung vereinbart hätten, hat der Senat ebenfalls bereits im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung für unbeachtlich erklärt (BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 - VII ZR 204/18 Rn. 20, BauR 2020, 1771 = NZBau 2020, 637).

c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wird die durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20) veranlasste ergänzende Vertragsauslegung im Verhältnis des leistenden Bauunternehmers zum Leistungsempfänger (Bauträger) auch nicht dadurch beeinflusst, dass es - etwa wegen eingetretener Festsetzungsverjährung - nicht mehr zu einer Steuerfestsetzung kommen wird und der Bauunternehmer daher keine Umsatzsteuer mehr an den Fiskus abführen muss.

Der im wiedereröffneten Berufungsverfahren festgestellte Umstand, dass der Kläger nicht mehr zur Zahlung der Umsatzsteuer herangezogen werden wird, auf den sich das Berufungsgericht nunmehr - zumindest auch - stützt, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung der Interessenlage der Parteien des Bauvertrags. Die ergänzende Vertragsauslegung des Berufungsgerichts, wonach dem Kläger (jedenfalls) aus diesem Grund statt eines Zahlungsanspruchs in Höhe des Umsatzsteuerbetrags lediglich ein Freistellungsanspruch zustehe, ist daher unzutreffend.

aa) Wie der Senat bereits entschieden hat, weist der Vertrag aus den unter II. 1. b) genannten Gründen eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke auf, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist. Es ist deshalb zu ermitteln, was die Parteien vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Dabei ist der hypothetische Parteiwille Grundlage für die Ergänzung des Vertragsinhalts, so dass darauf abzustellen ist, was die Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 - VII ZR 157/17 Rn. 29 f. m.w.N., BauR 2018, 1403 = NZBau 2018, 524).

bb) (1) Nach diesen Maßstäben hätten die Insolvenzschuldnerin und die Beklagte eine um den Umsatzsteuerbetrag erhöhte Vergütung auch dann vereinbart, wenn sie im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses bedacht hätten, dass eine Heranziehung der Insolvenzschuldnerin als Steuerschuldnerin - etwa wegen eingetretener Festsetzungsverjährung - unterbleiben könnte. Die Interessenlage der Vertragsparteien wird nicht maßgeblich dadurch beeinflusst, dass sich die durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20), die in der Folge geänderte Verwaltungspraxis und den Erstattungsantrag der Beklagten begründete Gefahr für die Insolvenzschuldnerin letztlich nicht realisiert. Denn die Nichtheranziehung zur Umsatzsteuer ist allein im Verhältnis der Insolvenzschuldnerin beziehungsweise des Klägers zum Fiskus begründet. Dies mag im Ergebnis der Insolvenzmasse zugute kommen. Die Gründe der Nichtheranziehung betreffen jedoch nicht die Beklagte. Auch sonst ist es für die Vergütungsvereinbarung der Parteien eines Bauvertrags ohne Belang, ob der Fiskus seine Steuerforderung gegenüber der Partei, die die Umsatzsteuer abzuführen hat, durchsetzt. Dieser Gesichtspunkt beeinflusst daher die hier veranlasste ergänzende Vertragsauslegung nicht.

(2) Schutzwürdige Interessen der Beklagten stehen diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Die Beklagte hat mit dem Erstattungsantrag vom 24. Februar 2014 die Gefahr der Heranziehung der Insolvenzschuldnerin als Steuerschuldnerin begründet. Hieran ändert eine Nichtdurchsetzung der Steuerforderung im Verhältnis des Fiskus zur Insolvenzschuldnerin nichts. Aus den Vereinbarungen der Vertragsparteien im Bauvertrag ergibt sich, dass die Umsatzsteuer wirtschaftlich von der Beklagten getragen werden sollte. Für die Beklagte hätte bei ordnungsgemäßer steuerrechtlicher Abwicklung des Bauvertrags keine Möglichkeit bestanden, die Leistungen der Insolvenzschuldnerin ohne umsatzsteuerrechtliche Belastung entgegenzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 2021 - VII ZR 242/20 Rn. 34, BauR 2022, 235 = NZBau 2022, 82; BFH, Urteil vom 23. Februar 2017 - V R 16, 24/16, BFHE 257, 177, juris Rn. 57). Ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten an einem umsatzsteuerrechtlich unbelasteten Leistungsbezug ist nach alledem unter Berücksichtigung der Gesamtinteressenlage der Vertragsparteien nicht erkennbar.

(3) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts rechtfertigt auch der Rechtsgedanke des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB kein anderes Auslegungsergebnis. Diese schadensrechtliche Regelung soll für eine bestimmte Konstellation eine Überkompensation des Geschädigten vermeiden. Darum geht es im Streitfall nicht. Der Kläger verlangt keinen Schadensersatz in Höhe des Umsatzsteueranteils von der Beklagten, obwohl ein Schaden in dieser Höhe nicht eingetreten ist. Es geht vielmehr allein um die Frage, ob in der im Streitfall zugrunde liegenden Konstellation die Vergütung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung um den Umsatzsteuerbetrag zu erhöhen ist, um auf diese Weise den dem Vertrag zugrunde liegenden Regelungsplan zu verwirklichen.

2. Das Berufungsgericht hat weiter rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Beklagten bis zur Aushändigung korrigierter Abschlagsrechnungen ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB zustehe.

Allerdings hat ein Bauunternehmer dem Besteller grundsätzlich eine Rechnung für die erbrachte Bauleistung auszustellen, die unter anderem gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 8 UStG Angaben zu dem anzuwendenden Steuersatz sowie dem auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag enthält.

Hier hat der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Abschlagsrechnungen aus den Jahren 2009 und 2010 vorgelegt und in den Anlagen BK 3 und 4 nach Jahren aufgeteilt aufgelistet. Aus den Auflistungen ergeben sich die jeweiligen Nettobeträge der einzelnen Rechnungen einschließlich der jeweils gewährten Skontoabzüge oder sonstiger Kürzungen sowie der - gleichbleibende - Steuersatz von 19 %. Ausgewiesen ist ferner jeweils der Gesamtbetrag der Umsatzsteuer für die Rechnungen der Jahre 2009 und 2010. Es fehlt allerdings der Ausweis des auf jede einzelne Abschlagsrechnung entfallenden Umsatzsteuerbetrags. Eine dies berücksichtigende Korrektur der Abschlagsrechnungen kann die Beklagte aber jedenfalls deshalb nicht verlangen, weil ein berechtigtes Interesse hieran nicht erkennbar ist. Denn nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts kennt die Beklagte den auf die Rechnungen entfallenden - leicht bestimmbaren - Umsatzsteueranteil, hat ihrerseits die Umsatzsteuerschuld für die Jahre 2009 und 2010 nach der gleichen Methode wie nunmehr der Kläger errechnet und auf dieser Grundlage mit Erfolg vom Fiskus die Erstattung der Umsatzsteuer für die betreffenden Bauleistungen der Insolvenzschuldnerin begehrt. Die Forderung nach einer Korrektur der einzelnen Abschlagsrechnungen, die auch den jeweils auf sie gesondert entfallenden Umsatzsteueranteil ausweisen, stellt sich daher als bloße Förmelei dar.

III.

Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da nach den festgestellten Tatsachen die Sache zur Endentscheidung reif ist und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, § 563 Abs. 3 ZPO.

Der Kläger hat, wie sich aus den Ausführungen unter II. ergibt, auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Restwerklohn in Höhe des Umsatzsteuerbetrags von 104.443,42 € aufgrund ergänzender Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB. Der Umstand, dass der Kläger eine Schlussrechnung nicht mehr gestellt hat, steht nach den nicht angegriffenen Ausführungen des Berufungsgerichts, die Rechtsfehler nicht erkennen lassen, seinem Anspruch auf Zahlung von Restwerklohn nicht entgegen. Gleiches gilt für die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach der Anspruch des Klägers nicht verjährt ist. Schließlich steht nach dem insoweit nicht angegriffenen Berufungsurteil fest, dass der Anspruch des Klägers auch nicht durch Aufrechnung mit einer Gegenforderung wegen Mängelbeseitigungskosten teilweise erloschen ist.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus Verzug, §§ 286, 288 Abs. 2 BGB. Die Zinshöhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz folgt aus § 288 Abs. 2 BGB in der Fassung vom 2. Januar 2002, da das Schuldverhältnis vor dem 28. Juli 2014 entstanden ist, Art. 229 § 34 EGBGB.

Soweit im erstinstanzlichen Urteil der Zinsanspruch seit dem 16. August 2017 und nicht seit dem 16. August 2016 tenoriert worden ist, handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit. Dies ergibt sich daraus, dass das Landgericht dem Antrag des Klägers auf Zahlung von Verzugszinsen seit dem 16. August 2016 erkennbar in vollem Umfang entsprechen wollte und nach den Feststellungen Verzug ab diesem Zeitpunkt eingetreten ist. Die offenbare Unrichtigkeit kann gemäß § 319 Abs. 1 ZPO jederzeit - auch vom Revisionsgericht - berichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 1996 - VIII ZR 54/95, NJW 1996, 2100, juris Rn. 7 m.w.N.), was mit der insoweit klarstellenden Neufassung des landgerichtlichen Tenors erfolgt ist.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

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