Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2004 - KZR 39/02

published on 10/02/2004 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2004 - KZR 39/02
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
KZR 39/02 Verkündet am:
10. Februar 2004
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Februar 2004 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Hirsch und die Richter Ball, Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Raum und
Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 15. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin, ein regionales Stromversorgungsunternehmen, verlangt von der Beklagten Restkaufpreiszahlung in Höhe von 36.708,13 Monaten Juli bis Oktober 2001 gelieferte elektrische Energie. Grundlage der Stromlieferungen der Klägerin ist ein im Juni 1998 geschlossener, bis Dezember 2006 befristeter Stromlieferungsvertrag, in welchem die Beklagte sich verpflichtete , ihren gesamten Elektrizitätsbedarf für die hier in Rede stehende Betriebstätte bei der Klägerin zu decken. Im Anschluß an eine Kündigung des Vertrages seitens der Beklagten zum 31. Dezember 2000, die von der Klägerin
zurückgewiesen wurde, verständigten sich die Parteien auf ermäßigte Strompreise. Außerdem wurde der Beklagten das Recht eingeräumt, bei Vorlage eines günstigeren Konkurrenzangebots Nachverhandlungen zu verlangen und bei deren Scheitern den Vertrag zu kündigen.
Für die Monate Oktober 2000 bis Juni 2001 zahlte die Beklagte die ermäßigten Preise. Ein ihr im Juli 2001 unterbreitetes Angebot der Klägerin, einen neuen Strompreis vertraglich zu vereinbaren, lehnte die Beklagte ab. Unter Begleichung der nachfolgenden Stromrechnungen für die Monate Juli bis Oktober 2001 behielt sie jeweils Teilbeträge ein, deren Summe die Klageforderung ergibt.
Das Landgericht hat der auf Zahlung des einbehaltenen Betrages gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt sie ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat die Zurückweisung der Berufung gegen das klageabweisende Urteil erster Instanz im wesentlichen wie folgt begründet:
Sowohl der Stromlieferungsvertrag vom Juni 1998 als auch die Anpassungsvereinbarung vom 7. November 2000 seien formwirksam zustande gekommen. Der Liefervertrag sei auch nicht nach § 134 BGB nichtig, weil die von
der Beklagten behaupteten Wettbewerbsverstöße der Klägerin dem Vertragsabschluß zeitlich nachgefolgt seien und den Bestand des Vertrages deshalb nicht berühren könnten. Zumindest für den der Klage zugrundeliegenden Zeitraum bis Oktober 2001 sei der Vertrag auch nicht nach § 138 BGB nichtig, da er für diesen unbedenklichen Zeitraum von knapp 3 ½ Jahren auch dann aufrechtzuerhalten wäre, wenn seine Gesamtlaufzeit mit 8 ½ Jahren das zulässige Maß überschritte. Selbst bei Unwirksamkeit des Stromlieferungsvertrages schulde die Beklagte den eingeklagten Restkaufpreis, da sie in erster Instanz nicht substantiiert dargelegt habe, daß der von der Klägerin berechnete Preis den Marktpreis übersteige, und die Ergänzung dieses Vorbringens in der Berufungsinstanz nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigt werden könne. Den einbehaltenen Restkaufpreis schulde die Beklagte daher jedenfalls aufgrund der Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
1. Ohne Erfolg bleibt die Rüge der Revision, das Berufungsgericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil es objektiv willkürlich unter Verstoß gegen den Geschäftsverteilungsplan durch einen allgemeinen Zivilsenat entschieden habe, anstatt die Sache an den zuständigen Kartellsenat des Oberlandesgerichts abzugeben. Die unterbliebene Abgabe an das Kartellberufungsgericht kann in der Revisionsinstanz nicht mehr gerügt werden, wenn in der Berufungsinstanz rügelos verhandelt worden ist und das Unterbleiben einer entsprechenden Rüge auch nicht genügend entschuldigt wird (BGHZ 36, 105, 108 - Export ohne WBS; BGHZ 37, 194, 196 f. - SPAR; Bornkamm in Langen/ Bunte, KartR, 9. Aufl., § 91 GWB Rdn. 16; K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 91 Rdn. 19 m.w.N.). So verhält es sich hier.

2. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Klägerin auch nicht deswegen gehindert, den auf der Grundlage der Anpassungsvereinbarung vom 7. November 2000 berechneten, von der Revision der Höhe nach nicht angegriffenen Restkaufpreis für den der Beklagten in den Monaten Juli bis Oktober 2001 gelieferten Strom zu verlangen, weil sie gegen die Nachverhandlungspflicht aus der Anpassungsvereinbarung vom 7. November 2000 verstoßen hätte. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht dargetan, daß für den genannten Zeitraum die Voraussetzungen einer Nachverhandlungspflicht der Klägerin erfüllt waren. Ein günstigeres Angebot eines anderen Stromlieferanten hat die Beklagte der Klägerin nach eigenem Vorbringen nicht vorlegen können. Für ihre Behauptung, dies sei darauf zurückzuführen , daß die Klägerin von konkurrierenden Stromanbietern wie der G. AG überhöhte Durchleitungsentgelte verlangt habe, fehlt es an substantiiertem Sachvortrag der Beklagten. Diese hat dazu in erster Instanz lediglich vorgetragen , die Klägerin habe von der G. AG für die Durchleitung des Stroms durch ihr Netz "rd. 10 Pf/kWh berechnet, so daß sich der Preis pro kWh mehr als verdoppelt“ habe, während "angemessen und gerechtfertigt Durchleitungsgebühren von maximal 2 Pf/kWh“ seien, und hierzu die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Dem hat die Klägerin entgegengehalten, der Vortrag der Beklagten sei unsubstantiiert und damit nicht einlassungsfähig. Die Beklagte ist darauf in erster Instanz nicht mehr eingegangen. Damit fehlt es insoweit an nachvollziehbarem Tatsachenvortrag dazu, daß das Durchleitungsentgelt , das die Klägerin nach Behauptung der Beklagten von konkurrierenden Stromanbietern forderte, betriebswirtschaftlich oder im Vergleich mit den von vergleichbaren Netzbetreibern geforderten Durchleitungsentgelten unangemessen hoch gewesen sei.
Nähere Angaben dazu, welche Durchleitungsentgelte von anderen Netzbetreibern gefordert werden, hat die Beklagte erst in zweiter Instanz gemacht. Dies ist neues Verteidigungsvorbringen, das das Berufungsgericht mit Recht unberücksichtigt gelassen hat, weil es nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen ist. Nach dieser Bestimmung, die gemäß § 26 Nr. 5 EGZPO im Berufungsverfahren bereits anzuwenden war, sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in zweiter Instanz nur dann zuzulassen, wenn einer der in § 531 Abs. 2 ZPO abschließend aufgeführten Zulassungsgründe gegeben ist. Dazu hat die Beklagte in zweiter Instanz nichts vorgetragen. Auch die Revision vermag einen Zulassungsgrund nach § 531 ZPO nicht darzutun. Eines richterlichen Hinweises auf die mangelnde Substantiierung der Behauptung, die von der Klägerin verlangten Durchleitungsentgelte seien überhöht, dessen Unterbleiben zur Zulassung neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz führen kann, bedurfte es hier jedenfalls deswegen nicht, weil die Beklagte schon aufgrund des Einwands der Klägerin, das betreffende Vorbringen sei unsubstantiiert und nicht einlassungsfähig , Veranlassung hatte, hierzu in erster Instanz ergänzend vorzutragen.
3. Ohne Erfolg bleibt auch der weitere Einwand der Revision, der Stromlieferungsvertrag der Parteien sei nach § 138 BGB von Anfang an und nach § 134 BGB jedenfalls ab 1. Januar 1999 deswegen nichtig, weil die Klägerin schon bei Vertragsabschluß ihre Monopolstellung mißbräuchlich ausgenutzt habe, um die Beklagte an den langjährigen und exklusiven Liefervertrag zu einem festgeschriebenen Listenpreis zu binden. Denn auch hierzu fehlt es an substantiiertem Sachvortrag der Beklagten in den Tatsacheninstanzen. Die Beklagte hat hierzu lediglich behauptet, der von der Klägerin geforderte Strompreis habe "die am Strommarkt üblicherweise angebotenen Preise um 30 % (überstiegen)", und dazu in erster Instanz die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Zahlenangaben zu vergleichbaren Angeboten ande-
rer Stromanbieter, anhand deren die Angabe der Beklagten, die Strompreise der Klägerin lägen 30 % über dem Marktpreis, hätten nachvollzogen werden können, fehlen vollständig.
Sonstige Umstände, die dazu führen könnten, die Klage wegen eines Mißbrauchs der Monopolstellung der Klägerin abzuweisen, sind nicht ersichtlich. Die Verpflichtung der Beklagten, ihren gesamten Strombedarf für die hier in Rede stehende Betriebstätte von der Klägerin zu beziehen, ist als solche nicht zu beanstanden. Ob das auch für die Laufzeit des Vertrages von insgesamt 8 ½ Jahren gilt, hat das Berufungsgericht mit Recht für unerheblich gehalten. Eine Bezugsbindung, die allein ihrer übermäßig langen Dauer wegen Bedenken begegnet, ist nicht insgesamt unwirksam, sondern in entsprechender Anwendung des § 139 BGB mit einer dem tatsächlichen oder vermuteten Parteiwillen entsprechenden geringeren Laufzeit aufrechtzuerhalten. In der Vergangenheit hat der Senat zeitliche Beschränkungen, die unter das Kartellverbot fielen, wiederholt auf das zulässige Maß zurückgeführt (BGH, Urt. v. 29.5.1984 - KZR 28/83, WuW/E 2090, 2095 - Stadler-Kessel; Urt. v. 3.11.1981 - KZR 33/80, WuW/E 1898, 1900 - Holzpaneele; Urt. v. 14.1.1997 - KZR 41/95, WuW/E 3115, 3120 - Druckgußteile), während andere übermäßige Beschränkungen - wie etwa Wettbewerbsverbote, die räumlich oder sachlich zu weit gingen - nicht auf ihren kartellrechtlich zulässigen Kern reduziert wurden, sondern zur Nichtigkeit der jeweiligen Klausel führten. Das entspricht der Rechtsprechung zu § 138 BGB (vgl. nur BGH, Urt. v. 8.5.2000 - II ZR 308/98, NJW 2000, 2584, 2585). Im Streitfall kann offenbleiben, ob hieran für das Kartellverbot festzuhalten ist. Denn das Argument für eine strengere Handhabung läge darin, daß die Parteien, die eine als Kartell zu beurteilende Vereinbarung geschlossen haben, nicht dadurch belohnt werden sollen, daß der Vertrag in dem gerade noch zulässigen Maße aufrechterhalten bleibt. Bei Altverträgen, die nachträglich
in den Anwendungsbereich des Kartellverbots geraten, besteht keine Veranlas- sung für derartige Erwägungen. Vielmehr ist hier eine möglichst schonende Anpassung am Platz. Eine Notwendigkeit, dem Mißbrauch vorzubeugen, besteht hier nicht. Daß der Stromlieferungsvertrag bei einer Laufzeit bis einschließlich Oktober 2001 - das sind drei Jahre und vier Monate - wegen der Dauer der Bezugsbindung zu beanstanden wäre, macht auch die Revision nicht geltend.
Hirsch Ball Bornkamm
Raum Meier-Beck
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(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen. (2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie1.einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen W

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.
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published on 08/05/2000 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL II ZR 308/98 Verkündet am: 8. Mai 2000 Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGB §
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published on 12/06/2018 00:00

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Januar 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Widerklage stattgegeben
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Annotations

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.