Bundesgerichtshof Urteil, 07. März 2013 - IX ZR 216/12
published on 07/03/2013 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 07. März 2013 - IX ZR 216/12
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Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 216/12
Verkündet am:
7. März 2013
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
a) Eine die Inkongruenz begründende Drohung mit einem Insolvenzantrag kann auch
dann vorliegen, wenn die Möglichkeit eines solchen Vorgehens im Mahnschreiben
nur "zwischen den Zeilen" deutlich gemacht, aber dem Schuldner das damit verbundene
Risiko klar vor Augen geführt wird.
b) Der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen der Androhung des Insolvenzantrags
und der angefochtenen Deckungshandlung ist gegeben, wenn
zum Zeitpunkt der Zahlung aus objektivierter Sicht die Wirkungen der Drohung
noch angedauert haben.
BGH, Urteil vom 7. März 2013 - IX ZR 216/12 - OLG Brandenburg
LG Neuruppin
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. März 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 20. Juli 2012 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger begehrt als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der W. AG (nachfolgend: Schuldnerin) im Wege der Insolvenzanfechtung Rückgewähr von Zahlungen, welche die Schuldnerin zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten an den Beklagten geleistet hat.
- 2
- Die Schuldnerin gab seit 1999 Inhaberschuldverschreibungen aus, wovon der Beklagte zwei erwarb. Nachdem die Schuldnerin ihrer Rückzahlungsverpflichtung gegenüber dem Beklagten nicht nachgekommen war, mahnte dieser die Schuldnerin am 12. Februar und 5. März 2006 erfolglos. Am 4. April 2006 mahnte der vom Beklagten beauftragte Rechtsanwalt die Schuldnerin. In der Mahnung wird eine Zahlungsfrist bis 11. April 2006 gesetzt. Anschließend heißt es: "Sollten Sie diese Frist verstreichen lassen, bin ich beauftragt, alle erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, um die Forderung meines Mandanten durchzusetzen, d.h., wir werden ohne weitere Mahnung Klage erheben. Mein Mandant kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass … (die Schuldnerin) nicht in der Lage ist, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen (wofür in der Tat einiges spricht). Sollte sich dieser Verdacht erhärten und wir keinen Zahlungseingang innerhalb der vorgegebenen Frist verzeichnen können , so behalten wir uns ausdrücklich vor, Insolvenzantrag zu stellen."
- 3
- Die Schuldnerin überwies am 12. April 2006 den eingeforderten Betrag einschließlich Zinsen und Anwaltskosten, insgesamt 11.313,77 €.
- 4
- Auf Eigenantrag der Schuldnerin vom 19. Juni 2006 wurde am 1. September 2006 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Der Kläger hat behauptet, die Schuldnerin sei seit 11. Januar 2006 zahlungsunfähig gewesen. Die Zahlung sei inkongruent, weil der Vertreter des Beklagten die Schuldnerin mit der Drohung, Insolvenzantrag zu stellen, unter Druck gesetzt habe. Dem anwaltlichen Vertreter des Beklagten sei die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin aus einer Vielzahl von Mandaten bekannt gewesen.
- 5
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die zulässige Revision ist unbegründet.
I.
- 7
- Das Berufungsgericht hat gemeint, die in der kritischen Zeit erfolgte Zahlung sei nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar. Sie sei inkongruent gewesen, weil die Schuldnerin durch die Drohung mit einem Insolvenzantrag zur Zahlung bestimmt worden sei. Nach dem Schreiben des Beklagtenvertreters vom 4. April 2006 liege eine ernsthafte Drohung mit einem Insolvenzverfahren vor, ohne welche die Schuldnerin nicht geleistet hätte. Die Schuldnerin sei im April 2006 zahlungsunfähig gewesen, weil sie seit Januar 2006 fällige Ansprüche von mindestens 198.875,08 € bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr habe bedienen können. Der Anspruch des Klägers sei auch nicht verjährt.
- 8
- Demgegenüber meint die Revision, die vom Berufungsgericht herangezogene Rechtsprechung des Senats erfordere die Ausübung von Druck durch den Gläubiger; die Ankündigung des Insolvenzantrags müsse beim Schuldner den Entschluss zur Leistung bewirkt haben. Ein solcher Druck sei vorliegend nicht ausgeübt worden, weil das Mahnschreiben lediglich mehrere Handlungsalternativen aufgezeigt habe. Es fehle sowohl an einer Drohung als auch an einem Kausalzusammenhang zwischen der vermeintlichen Drohung und der Zahlung. Dementsprechend hätten zahlreiche Oberlandesgerichte und Landgerichte bei identischem Wortlaut der Mahnung des Beklagtenvertreters Inkongruenz verneint. Andere Oberlandesgerichte hätten auch zutreffend die Kausalität ver- neint, weil die Schuldnerin an alle anwaltlich vertretenen Gläubiger geleistet habe, auch wenn in der Mahnung von einem Insolvenzantrag nicht die Rede gewesen sei; auch habe sie an anwaltlich nicht vertretene Gläubiger bezahlt.
II.
- 9
- Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Prüfung stand. Die Zahlung, die der Beklagte von der Schuldnerin erhalten hat, ist nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.
- 10
- 1. Die Annahme des Berufungsgerichts, es liege eine Drohung mit einem Insolvenzantrag vor, ist nicht zu beanstanden.
- 11
- Wer den Insolvenzantrag zur Durchsetzung von Ansprüchen eines einzelnen Gläubigers missbraucht, erhält eine Leistung, die ihm nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung auf diesem Weg nicht zusteht. Die Leistung ist inkongruent, auch außerhalb des Dreimonatszeitraums der Deckungsanfechtung (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2003 - IX ZR 199/02, BGHZ 157, 242, 246 f; vom 18. Juni 2009 - IX ZR 7/07, ZIP 2009, 1434 Rn. 5; vom 25. Oktober 2012 - IX ZR 117/11, WM 2012, 2251 Rn. 10).
- 12
- Entsprechendes gilt, wenn ein Insolvenzantrag nicht gestellt, sondern nur angedroht ist (BGH, Urteil vom 29. April 1999 - IX ZR 163/98, ZIP 1999, 973, 974; vom 18. Dezember 2003, aaO S. 247). Eine die Inkongruenz begründende Drucksituation ist dann anzunehmen, wenn sich die mit der Mahnung verbundenen Hinweise auf ein mögliches Insolvenzverfahren nicht in Unverbindlichkeiten erschöpfen, sondern gezielt als Mittel der persönlichen Anspruchsdurchset- zung verwendet werden (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2003, aaO S. 247 f; vom 18. Juni 2009, aaO Rn. 5). Wo genau bei der mit einem angekündigten Insolvenzantrag zusammenhängenden Zahlungsaufforderung die Grenze zwischen einer unbedenklichen Mahnung und einer die Inkongruenz begründenden Drohung verläuft, hat der Senat bislang allerdings offengelassen (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2003, aaO S. 248).
- 13
- Diese Grenze ist hier überschritten. Eine zur Abwendung der Einzelzwangsvollstreckung erbrachte Leistung ist nach der Rechtsprechung des Senats inkongruent, wenn der Schuldner zur Zeit der Leistung aus seiner - objektivierten - Sicht damit rechnen muss, dass ohne sie der Gläubiger nach dem Ablauf der Zahlungsfrist mit der ohne weiteres zulässigen Zwangsvollstreckung beginnt (BGH, Urteil vom 15. Mai 2003 - IX ZR 194/02, ZIP 2003, 1304, 1305; vom 18. Dezember 2003, aaO S. 248). Für die Frage, ob eine die Inkongruenz begründende Drohung mit einem Insolvenzantrag vorliegt, ist es ausreichend, wenn der Schuldner zur Zeit der Leistung aus seiner - ebenfalls objektivierten - Sicht ernsthaft damit rechnen muss, der Gläubiger werde nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist Insolvenzantrag stellen. Hierfür genügt eine Formulierung, die dies zwar nicht ausdrücklich androht, ein derart geplantes Vorgehen aber "zwischen den Zeilen" deutlich werden lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2008 - 4 StR 495/08, NStZ 2009, 263).
- 14
- Der Revision ist zuzugeben, dass die zahlungsauslösende Mahnung des Anwalts des Beklagten für den Fall der Nichtzahlung in erster Linie Klageerhebung androhte, was unbedenklich ist. Nachfolgend wird jedoch dargestellt, dass der Mandant den Eindruck habe, die Schuldnerin sei zahlungsunfähig. Nach Auffassung des Beklagtenvertreters spreche hierfür einiges. Zahlungsunfähigkeit ist, was bekannt ist, allgemeiner Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfah- ren (vgl. § 17 Abs. 1 InsO). Ein Insolvenzantrag wird für den Fall "vorbehalten", dass sich der Verdacht erhärten sollte und kein Zahlungseingang festzustellen sei. Dem Wortlaut nach wird damit zwar noch kein Insolvenzantrag angekündigt. Zudem müsste sich der Verdacht der Zahlungsunfähigkeit erhärten, wobei unklar bleibt, ob hierfür aus Gläubigersicht die Nichtzahlung ausreicht. Für den Schuldner wird durch eine solche Formulierung allerdings klar erkennbar die Möglichkeit des Insolvenzantrags in den Raum gestellt; er soll sich gerade des damit verbundenen Risikos bewusst werden. Dies ist jedoch ausreichend, um die Wirkung einer Drohung mit einem Insolvenzantrag zu entfalten.
- 15
- Der Beklagte verlangte von der Schuldnerin ein Verhalten, welches auf seine Bevorzugung auf Kosten der übrigen Gläubiger hinauslief und damit den im Insolvenzverfahren geltenden Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger zuwiderlief (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2003, aaO S. 248).
- 16
- 2. Das Berufungsgericht hat auch den erforderlichen zeitlichen Zurechnungszusammenhang zwischen Drohung und Zahlung zutreffend bejaht.
- 17
- Nach der Rechtsprechung des Senats bedarf es auch im Falle der Drohung mit einem Insolvenzantrag eines Zurechnungszusammenhangs zwischen der Drohung und der Zahlung. Entscheidend ist hierbei, ob die aus objektivierter Sicht zu beurteilende Wirkung der Androhung bis zur Zahlung fortgewirkt hat, gegebenenfalls über die gesetzte Zahlungsfrist hinaus (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2003, aaO S. 248). Hier erfolgte die Zahlung einen Tag nach Ablauf der gesetzten Frist. Die Wirkungen der Drohung gegen die Schuldnerin dauerten offenkundig noch an.
- 18
- Ob der von dem Beklagtenvertreter durch die "zwischen den Zeilen" angekündigte Insolvenzantragstellung ausgeübte Druck bei der Schuldnerin im Einzelfall konkret den Entschluss hervorrief, die Leistung zu bewirken, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Es genügt, dass die Androhung objektiv hierzu geeignet war. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang bezieht sich lediglich auf das Zeitmoment. Ist dieses gegeben, hat der Gläubiger eine Leistung erhalten, die er in der Art - nach Androhung eines Insolvenzantrags - nicht zu beanspruchen hatte, weil es den Zwecken eines Insolvenzantrags zuwider läuft, mit diesem Mittel die Durchsetzung von Ansprüchen einzelner Gläubiger zu verfolgen (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2003, aaO S. 246).
Fischer Grupp
Vorinstanzen:
LG Neuruppin, Entscheidung vom 14.06.2011 - 1 O 579/10 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 20.07.2012 - 7 U 123/11 -
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4 Referenzen - Gesetze
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Wohnungseigentumsgesetz - WEG
InsO
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, 1. wenn die Handlung im letzten Monat
(1) Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit.
(2) Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner sei
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Annotations
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte,
- 1.
wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist, - 2.
wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war oder - 3.
wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt war, daß sie die Insolvenzgläubiger benachteiligte.
(2) Für die Anwendung des Absatzes 1 Nr. 3 steht der Kenntnis der Benachteiligung der Insolvenzgläubiger die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Benachteiligung schließen lassen. Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), wird vermutet, daß sie die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger kannte.