Bundesgerichtshof Urteil, 13. Mai 2015 - IV ZR 260/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Der Streitwert wird auf 9.068,10 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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- Der klagende Versicherer (im Folgenden: Versicherer) nimmt die Beklagtenseite (Versicherungsnehmerin, im Folgenden: d. VN) auf Zahlung von Versicherungsprämien für eine Rentenversicherung in An- spruch. D. VN begehrt im Wege der Widerklage von dem Versicherer Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge.
- 2
- Die Rentenversicherung wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Vertragsbeginn zum 1. März 2002 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der bei Antragstellung gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Mit Schreiben vom 31. Mai 2010 erklärte d. VN den "Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG, bzw. den Widerruf nach § 355 BGB, höchstvorsorglich die Anfechtung nach § 119 I BGB, hilfsweise die Kündigung". Der Versicherer behandelte das Schreiben als Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus.
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- Mit der Klage verlangt der Versicherer Zahlung der Versicherungsbeiträge für die Monate Mai und Juni 2010 in Höhe von insgesamt 390 €. D. VN begehrt widerklagend Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts , insgesamt 8.678,10 €.
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- Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.
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- Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN den Klageabweisungsantrag und das Widerklagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
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- Die Revision führt zur Klageabweisung und im Übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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- I. Dieses hat einen Anspruch des Versicherers auf Zahlung weiterer Prämien bejaht und einen Prämienrückerstattungsanspruch d. VN aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Vertrag sei nicht schon wegen Ablaufs der Widerspruchsfrist gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. wirksam geworden. Die nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. vorgeschriebene Belehrung über das Widerspruchsrecht bei Aushändigung des Versicherungsscheins sei nicht in drucktechnisch deutlicher Form erfolgt und inhaltlich fehlerhaft, da auf ein Recht zum schriftlichen Widerspruch hingewiesen worden sei, obwohl nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. in der ab dem 1. August 2001 gültigen Fassung ein Widerspruch in Textform genüge. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.
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- II. Die Revision ist begründet.
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- 1. Der Versicherer hat keinen Anspruch auf Zahlung weiterer Prämien. Der - mit der Widerklage allein weiterverfolgte - Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
- 10
- a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.
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- aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt.
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- Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.
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- bb) Die hilfsweise erklärte Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).
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- b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).
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- 2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).
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- Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Kempten, Entscheidung vom 21.11.2012- 21 O 868/12 -
OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 20.06.2013- 14 U 103/13 -
Annotations
(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
(2) Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage. Sie beginnt mit Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(3) Im Falle des Widerrufs sind die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren. Bestimmt das Gesetz eine Höchstfrist für die Rückgewähr, so beginnt diese für den Unternehmer mit dem Zugang und für den Verbraucher mit der Abgabe der Widerrufserklärung. Ein Verbraucher wahrt diese Frist durch die rechtzeitige Absendung der Waren. Der Unternehmer trägt bei Widerruf die Gefahr der Rücksendung der Waren.