BGH IV ZR 23/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:090518UIVZR23.17.0
bei uns veröffentlicht am09.05.2018
vorgehend
Amtsgericht Wolfach, 1 C 2/13, 02.02.2016
Landgericht Offenburg, 1 S 29/16, 03.01.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Offenburg - 1. Zivilkammer - vom 3. Januar 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung in Höhe von 3.780 € nebst Zinsen zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger, ein selbständiger Psychotherapeut, nimmt die Beklagte aus einer Krankentagegeldversicherung auf Leistung für zwischen den Parteien streitige Karenztage in Anspruch.

2

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts lagen dem Versicherungsvertragsverhältnis für den streitgegenständlichen Zeitraum die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankentagegeldversicherung der Beklagten bestehend aus den Musterbedingungen 2008 (im Folgenden: MB/KT 2008) in Verbindung mit den Tarifbedingungen (im Folgenden: TB) und dem Krankentagegeld-Tarif (im Folgenden: TH 3) zugrunde. Vereinbart waren ein Krankentagegeld in Höhe von 135 € pro Kalendertag und eine Karenzzeit von drei Tagen. In den Versicherungsbedingungen heißt es unter anderem:

"§ 1 MB/KT 2008: Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes

(1) Der Versicherer bietet Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, soweit dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird. Er zahlt im Versicherungsfall für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld in vertraglichem Umfang.

(2) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen. Eine während der Behandlung neu eingetretene und behandelte Krankheit oder Unfallfolge, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird, begründet nur dann einen neuen Versicherungsfall, wenn sie mit der ersten Krankheit oder Unfallfolge in keinem ursächlichen Zusammenhang steht. …

(3) Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht.

Nr. 3 TB: Leistungsvoraussetzungen, …

(1) Krankentagegeld wird für die nach Ablauf der Karenzzeit noch bestehende Dauer einer Arbeitsunfähigkeit gezahlt, in der die versicherte Person nach medizinischem Befund völlig arbeitsunfähig ist und keinerlei, auch nicht teilweiser Erwerbstätigkeit nachgeht.

§ 4 MB/KT 2008: Umfang der Leistungspflicht

(1) Höhe und Dauer der Versicherungsleistungen ergeben sich aus dem Tarif mit Tarifbedingungen.

Nr. 8 TB: Leistungsdauer

(1) Das versicherte Krankentagegeld wird von dem im Tarif festgelegten Zeitpunkt - Ablauf der Leistungsfreien Tage (Karenzzeit) - an gezahlt, soweit der Tarif nichts anderes vorsieht.

(2) Bei Arbeitnehmern werden Zeiten wiederholter Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung bzw. derselben Unfallfolgen, die der Arbeitgeber bei der Fortzahlung des Entgelts zusammenrechnen darf, auch hinsichtlich der Karenzzeit zusammengerechnet.

(3) Bei selbständig Tätigen werden Zeiten wiederholter Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung bzw. derselben Unfallfolgen hinsichtlich der Karenzzeit zusammengerechnet, wenn zwischen den jeweiligen Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht mehr als 28 Tage liegen. Eine Anrechnung erfolgt nur bei Tarifen mit mindestens 21 Karenztagen.

Tarif/Klasse TH 3

Leistungen des Versicherers: nach Ablauf von 3 leistungsfreien Tagen seit Beginn des Versicherungsfalles wird das versicherte Krankentagegeld ohne zeitliche Höchstgrenze bis zum Ende vorübergehender Arbeitsunfähigkeit gezahlt.

…"

3

Der Kläger litt seit November 2008 an einer depressiven Erkrankung. Er war zwischen dem 12. November 2008 und 10. August 2010 durchgehend in ambulanter Behandlung. Der behandelnde Arzt attestierte ihm unter dem 20. Juni 2011, dass er - mit kurzen Unterbrechungen - seit dem 11. November 2008 arbeitsunfähig sei, wobei an im Attest aufgeführten einzelnen Tagen "Belastungserprobungen" erfolgt seien, das zur Arbeitsunfähigkeit führende Grundleiden aber auch an diesen Tagen weiterhin bestanden habe. An den genannten Tagen ging der Kläger seiner Tätigkeit als Psychotherapeut nach und rechnete die durchgeführten Behandlungen gegenüber seinen Patienten ab.

4

Die Beklagte erbrachte im oben genannten Zeitraum Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung. Soweit der Kläger anlässlich der "Belastungserprobungen" als Psychotherapeut tätig gewesen war, leistete sie für diese Tage bzw. Zeiträume nicht. Außerdem erbrachte sie keine Leistungen für nach ihrer Ansicht im Anschluss jeweils erneut angefallene Karenztage. Für diese insgesamt 32 Karenztage hat der Kläger die Zahlung von Krankentagegeld in Höhe von 4.320 € begehrt.

5

Für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 bezog der Kläger von einem anderen Versicherer eine im November 2011 rückwirkend gewährte Berufsunfähigkeitsrente.

6

Er macht geltend, er sei an den Tagen der "Belastungserprobungen" tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Die Behandlungsbedürftigkeit seiner depressiven Erkrankung sei zu keinem Zeitpunkt abgeschlossen gewesen und daher nicht jeweils ein neuer Versicherungsfall mit der Folge des neuerlichen Abzugs der vereinbarten Karenzzeit eingetreten. Die von ihm rückwirkend bezogene Berufsunfähigkeitsrente habe nicht zur Beendigung des Versicherungsverhältnisses wegen Eintritts von Berufsunfähigkeit geführt, da er die Rentenzahlungen lediglich aufgrund der Annahme "fingierter" Berufsunfähigkeit erhalten habe.

7

Die Beklagte meint, sie sei nach den von den Parteien vereinbarten Tarifbedingungen bei jedem Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit erst nach neuerlichem Ablauf der Karenzzeit leistungspflichtig.

8

Das Amtsgericht hat der Klage lediglich wegen zweier Karenztage Anfang Dezember 2008 in Höhe von 270 € stattgegeben. Das Landgericht hat die auf Zahlung weiterer 4.050 € gerichtete Berufung zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Revision des Klägers noch in Höhe von 3.780 € hinsichtlich der ab dem 1. Dezember 2008 angerechneten Karenztage.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist im eingelegten Umfang begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

10

I. Das Berufungsgericht hat - soweit für die Revision von Bedeutung - ausgeführt, der Kläger habe für die Dauer von drei Tagen nach der erstmals am 1. Dezember 2008 durchgeführten sog. "Belastungserprobung" keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen aus dem Versicherungsvertrag. Er sei insoweit seiner beruflichen Tätigkeit als Psychotherapeut nachgegangen und habe Patienten behandelt. Die Ausübung dieser entgeltlichen Tätigkeit genüge, um die seit dem 11. November 2008 bestehende bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit zu unterbrechen. Hierfür sei nicht erforderlich, dass auch der Versicherungsfall geendet habe.

11

Die Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit habe ihrerseits zur Folge, dass die vertraglich vereinbarte Karenzzeit nach der neuerlich zum 2. Dezember 2008 attestierten Arbeitsunfähigkeit wieder zu laufen begonnen habe. Mit Nr. 8 Abs. 3 TB bestehe für Fälle wiederholter Arbeitsunfähigkeit aufgrund derselben Erkrankung eine spezielle Regelung, aus der im Umkehrschluss folge, bei Verträgen - wie dem des Klägers - mit Tarifen unter 21 Karenztagen finde keine Anrechnung der Karenzzeiten statt. Die Abrechnungsschreiben der Beklagten vom 8. Dezember und 22. Dezember 2008, in denen Karenztage für den Zeitraum vom 2. bis 16. Dezember 2008 in Ansatz gebracht worden seien, seien daher nicht zu beanstanden, und auch für die weiteren geltend gemachten Kalendertage habe der Kläger keinen Leistungsanspruch, da er auch im Vorfeld dieser Tage im Rahmen von Belastungserprobungen als Psychotherapeut praktiziert habe, so dass die Beklagte an den sich anschließenden drei Tagen leistungsfrei gewesen sei.

12

Auf die Frage, ob dem Kläger eine Rente auf Grund "fingierter Berufsunfähigkeit" gewährt worden sei, komme es nicht an.

13

II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

14

1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass das Vorliegen eines Versicherungsfalles Grundlage für die Zahlung des Krankentagegeldes gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 MB/KT 2008 ist, wobei sich Dauer und Umfang der Leistungspflicht nach Nr. 3 Abs. 1 und Nr. 8 Abs. 1 TB i.V.m. Tarif TH 3 richten, sowie ferner davon, dass eine Leistungspflicht der Beklagten während der "Belastungserprobungen" des Klägers nur bei Vorliegen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit besteht.

15

2. Keinen Bedenken begegnet ferner die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dass es sich bei diesen "Belastungserprobungen" um eine Ausübung beruflicher Tätigkeit gehandelt hat, die jeweils zu einer Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Sinne des § 1 Abs. 3 MB/TK 2008 i.V.m. Nr. 3 Abs. 1 TB geführt hat.

16

a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteile vom 13. September 2017 - IV ZR 302/16, r+s 2017, 586 Rn. 13; vom 6. Juli 2016 - IV ZR 44/15, BGHZ 211, 51 Rn. 17; vom 11. März 2015 - IV ZR 54/14, VersR 2015, 570 Rn. 12; vom 23. Juni 1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85 unter III 1 b jeweils m.w.N.; st. Rspr.).

17

Ein solcher Versicherungsnehmer kann dem Wortlaut der Regelung in § 1 Abs. 3 MB/KT 2008 entnehmen, dass es für die Frage seiner Arbeitsunfähigkeit allein darauf ankommt, ob er zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit auch nur teilweise in der Lage ist oder diese jedenfalls in Teilbereichen ausübt. Dafür genügt es, wenn die versicherte Person an ihrem Arbeitsplatz in zeitlich begrenztem Umfang inhaltlich derselben Tätigkeit nachgeht, die sie dort bereits vor ihrer Erkrankung ausgeübt hat (Senatsurteil vom 11. März 2015 - IV ZR 54/14, VersR 2015, 570 Rn. 13 ff.). Die Annahme einer tatsächlichen Berufsausübung ist dabei auch dann gerechtfertigt, wenn der Versicherte nur geringfügig beruflich tätig geworden ist; von der Regelung des § 1 Abs. 3 MB/KT 2008 wird jede berufliche Tätigkeit erfasst (Senatsurteile vom 20. Mai 2009 - IV ZR 274/06, VersR 2009, 1063 Rn. 18; vom 18. Juli 2007 - IV ZR 129/06, r+s 2007, 460 Rn. 24).

18

b) Ob hiervon eine Ausnahme zu machen ist, wenn ein bloßer Arbeitsversuch vorliegt, der sich in einer Erprobung der Belastbarkeit des Versicherten erschöpft (vgl. dazu Senatsurteil vom 3. Oktober 1984 - IVa ZR 76/83, VersR 1985, 54 unter II 3 [juris Rn. 18]), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.

19

Hierzu hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger an den im ärztlichen Attest vom 20. Juni 2011 genannten Tagen seiner Tätigkeit als Psychotherapeut nachgegangen ist und diese Tätigkeit gegenüber seinen Patienten auch abrechnete. Dabei handelte es sich nach dem Inhalt des Attestes um 18 einzelne Tage, zwei Zeiträume von je zwei Tagen und jeweils einen Zeitraum von acht bzw. neun Tagen.

20

Auf dieser Grundlage ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht im Streitfall im Rahmen der ihm obliegenden tatrichterlichen Beurteilung eine Ausübung beruflicher Tätigkeit bejaht hat. Dem steht es nicht entgegen, dass die "Belastungserprobungen" im Rahmen einer therapeutischen Behandlung erfolgt sein sollen, und es ist auch unerheblich, ob der Kläger tatsächlich an diesen Tagen arbeitsunfähig erkrankt war, weil das Tatbestandsmerkmal "sie auch nicht ausübt" in § 1 Abs. 3 MB/KT 2008 an die tatsächliche Ausübung der Berufstätigkeit in Teilbereichen trotz insgesamt weiter vorliegender Arbeitsunfähigkeit anknüpft und eine solche Tätigkeit mit dem Verlust des Tagegeldanspruchs sanktioniert (vgl. Senatsurteil vom 3. April 2013 - IV ZR 239/11, VersR 2013, 615, Rn. 15).

21

3. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht dagegen der Auffassung, dass die Unterbrechung der bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit des Klägers die Leistungspflicht der Beklagten nicht nur für die fraglichen Tage der Belastungserprobungen ausschließt, sondern darüber hinaus auch jeweils den neuerlichen Ansatz von Karenzzeiten nach Wiedereintritt bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit zu rechtfertigen vermag.

22

a) Richtig gesehen hat das Berufungsgericht allerdings, dass die Leistungspflicht des Versicherers, was ihren Beginn wie ihr Ende betrifft, nicht zwangsläufig an Beginn und Ende des Versicherungsfalles geknüpft ist. Ein derartiges Zusammenfallen kann sich nur in Einzelfällen ergeben. Ist der Versicherungsfall mit der Behandlungsbedürftigkeit eingetreten, so hat der Versicherer gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 MB/KT 2008 "für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit", deren Merkmale in § 1 Abs. 3 MB/KT 2008 festgelegt sind, ein Krankentagegeld im vertraglichen Umfang zu gewähren. Der Leistungszeitraum umfasst (wenn nicht eine Karenzzeit vereinbart ist) die Dauer bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit. Behandlungsbedürftigkeit allein lässt zwar den Versicherungsfall bereits eintreten und erst mit ihrem Entfallen wieder enden, vermag aber nicht schon die Leistungspflicht der Versicherer auszulösen oder das Bestehenbleiben der Leistungspflicht über die Dauer bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit hinaus zu bewirken (vgl. Senatsurteil vom 25. November 1992 - IV ZR 187/91, VersR 1993, 297 unter II 2 [juris Rn. 13, 16] zu den MB/KT 78).

23

b) Endet somit die Leistungspflicht mit jeder Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit, auch wenn die Behandlungsbedürftigkeit der Erkrankung andauert und der Versicherungsfall deshalb - wie hier - noch nicht beendet ist, so hängt ihr erneuter Beginn innerhalb desselben Versicherungsfalles von der vertraglichen Regelung zur Karenzzeit ab.

24

aa) Knüpft der Lauf der Karenzzeit nach dem vereinbarten Bedingungswerk an den Versicherungsfall an und endet die Arbeitsunfähigkeit, während weiter Behandlungsbedürftigkeit besteht, so ist das Krankentagegeld im Falle einer erneuten Arbeitsunfähigkeit ohne erneute Anrechnung einer Karenzzeit zu zahlen, weil es sich um ein und denselben Versicherungsfall handelt; die Karenzzeit kann vom Versicherer bei einer solchen Vereinbarung für jeden Versicherungsfall insgesamt nur einmal in Ansatz gebracht werden (vgl. OLG Frankfurt OLGR 2000, 66; OLG Stuttgart VersR 1995, 524; LG Köln VersR 1990, 1142; Wilmes/Müller-Frank, VersR 1990, 345, 346; Wilmes in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 5. Aufl. § 1 MB/KT Rn. 38 und § 4 MB/KT Rn. 3; Voit in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 1 MB/KT Rn. 11; Rogler in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG 3. Aufl. § 1 MB/KT Rn. 7; MünchKomm-VVG/Hütt, 2. Aufl. § 192 Rn. 161; Tschersich in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 45 Rn. 88; BeckOK-VVG/Gramse, § 192 Rn. 267 (Stand: 30. Juni 2016); Schubach in Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 4. Aufl. § 23 Rn. 405; Wehmeyer/Schubach in Terbille/Clausen/Schroeder-Printzen, Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht 2. Aufl. § 5 Rn. 291). Knüpfen die Tarifbedingungen den Lauf der Karenzzeit dagegen nicht an den Versicherungsfall, sondern an den Leistungszeitraum bzw. an den Eintritt bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit, so kann die vereinbarte Karenzzeit innerhalb eines Versicherungsfalles mehrfach zum Tragen kommen (vgl. MünchKomm-VVG/Hütt, aaO; Voit in Prölss/Martin, aaO).

25

bb) Im Streitfall lässt sich den vereinbarten Versicherungs- und Tarifbedingungen eine Regelung im letztgenannten Sinne entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht entnehmen. Vielmehr stellen diese hinsichtlich der Karenztage auf den Beginn des Versicherungsfalles ab, so dass die Karenzzeit ab dem 12. November 2008 insgesamt nur einmal in Ansatz zu bringen war.

26

(1) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird sich wegen des Umfangs der Leistungspflicht des Versicherers zunächst am Wortlaut des § 4 Abs. 1 MB/KT 2008 orientieren, der ihn wegen der Höhe und Dauer der Versicherungsleistungen auf den Tarif mit Tarifbedingungen verweist. Er wird sodann feststellen, dass die Tarifbedingungen in Nr. 8 Abs. 1 TB ihrerseits für den Leistungsbeginn auf den im Tarif TH 3 festgelegten Zeitpunkt Bezug nehmen.

27

Dem Wortlaut des Tarifs TH 3 wiederum wird er entnehmen, dass dieser für den Beginn der Leistungspflicht des Versicherers auf den "Ablauf von 3 leistungsfreien Tagen seit Beginn des Versicherungsfalles" abstellt, Bezugspunkt der Anrechnung der Karenzzeit also allein der Beginn des Versicherungsfalles ist. Er wird ferner erkennen, dass sich der zweite Satzabschnitt "wird das versicherte Krankentagegeld ohne zeitliche Höchstgrenze bis zum Ende vorübergehender Arbeitsunfähigkeit gezahlt" nicht zum Beginn der Leistungspflicht des Versicherers verhält, sondern zu deren Dauer. Rückschlüsse auf einen (erneuten) Ansatz der Karenzzeit bei Wiedereintritt von Arbeitsunfähigkeit innerhalb eines Versicherungsfalles wird er daher - anders als die Revisionserwiderung meint - aus dem zweiten Halbsatz nicht ziehen, sondern die Regelung in Nr. 8 Abs. 1 TB in Verbindung mit dem Tarif TH 3 insgesamt dahingehend verstehen, dass die tariflich vereinbarte Karenzzeit bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit für einen einheitlichen Versicherungsfall auch nur einmal in Ansatz gebracht wird.

28

(2) Zu einer anderen Auslegung wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer auch nicht in Anbetracht der Regelung in Nr. 8 Abs. 3 TB gelangen. Dieser Klausel lässt sich nicht entnehmen, dass im Rahmen desselben Versicherungsfalles ein mehrfacher Anfall der im Tarif festgelegten Anzahl von Karenztagen möglich sein soll.

29

Ausgehend vom Wortlaut deutet der Begriff der Zusammenrechnung in Nr. 8 Abs. 3 Satz 1 TB zunächst nur darauf hin, dass eine Addition von tatsächlich getrennt anfallenden Tagen stattfinden soll, was ein verständiger Versicherungsnehmer dahingehend verstehen wird, dass bei mehrfacher Arbeitsunfähigkeit innerhalb desselben Versicherungsfalles die Zählung der Karenztage nicht jeweils von neuem beginnt, wenn er zwischendurch arbeitsfähig war. Hierin wird er deshalb eine Abweichung von der Festlegung über die Anzahl der Karenztage in seinem Tarif - hier TH 3 - nicht erblicken.

30

Soweit dann nachfolgend in Nr. 8 Abs. 3 Satz 2 TB davon die Rede ist, dass eine "Anrechnung" nur bei Tarifen mit mindestens 21 Karenztagen erfolgt, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dies schon wegen der anderen Begrifflichkeit ("Anrechnung" im Unterschied zu "Zusammenrechnung") nicht auf den vorhergehenden Satz beziehen, sondern als eigenständige Regelung ausschließlich für solche Tarife - d.h. mit mindestens 21 Karenztagen - verstehen.

31

Anderes kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer auch dem für ihn erkennbaren Zweck und Sinnzusammenhang der Klausel nicht entnehmen. Der vom Berufungsgericht gezogene Umkehrschluss erschließt sich ihm schon deshalb nicht, weil eine solche Auslegung dazu führen würde, dass er bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit innerhalb desselben Versicherungsfalles insgesamt ein geringeres Krankentagegeld beziehen würde als ein Versicherungsnehmer mit einem Tarif von 21 oder mehr Karenztagen, obwohl er mit Blick auf die im Krankheitsfall durch den Verdienstausfall entstehenden Kosten gerade eine möglichst kurze Deckungslücke angestrebt und daher eine kurze Karenzzeit vereinbart hat (vgl. auch OLG Stuttgart VersR 1995, 524). Dagegen bliebe ihm nach der Auslegung des Berufungsgerichts eine Deckelung der Karenzzeit innerhalb eines Versicherungsfalles versagt.

32

III. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, da das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - offen gelassen hat, ob einem Anspruch des Klägers eine Beendigung des Versicherungsverhältnisses wegen eingetretener Berufsunfähigkeit entgegensteht. Es wird nach Zurückverweisung der Sache Gelegenheit haben, die insoweit erforderlichen Feststellungen zu treffen.

Mayen     

      

Prof. Dr. Karczewski     

      

Lehmann

      

Dr. Brockmöller     

      

Dr. Bußmann     

      

ra.de-Urteilsbesprechung zu BGH IV ZR 23/17

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu BGH IV ZR 23/17

Referenzen - Gesetze

BGH IV ZR 23/17 zitiert 1 §§.

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

BGH IV ZR 23/17 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

BGH IV ZR 23/17 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Apr. 2013 - IV ZR 239/11

bei uns veröffentlicht am 03.04.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 239/11 Verkündet am: 3. April 2013 Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja AVB Krank

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2007 - IV ZR 129/06

bei uns veröffentlicht am 18.07.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 129/06 Verkündetam: 18.Juli2007 Fritz Justizangestellte alsUrkundsbeamtin derGeschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja MB/KT § 1

Bundesgerichtshof Urteil, 13. Sept. 2017 - IV ZR 302/16

bei uns veröffentlicht am 13.09.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 302/16 Verkündet am: 13. September 2017 Heinekamp Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Juli 2016 - IV ZR 44/15

bei uns veröffentlicht am 06.07.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 44/15 Verkündet am: 6. Juli 2016 Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja BGB § 307 Abs.

BGH IV ZR 54/14

bei uns veröffentlicht am 11.03.2015

Tenor Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 10. Januar 2014 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren BGH IV ZR 23/17.

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Apr. 2019 - IV ZR 59/18

bei uns veröffentlicht am 10.04.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VERSÄUMNISURTEIL IV ZR 59/18 Verkündet am: 10. April 2019 Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Referenzen

13
a) Das Transparenzgebot verlangt vom Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Eine Klausel muss nicht nur in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Vertragspartner verständlich sein, sondern darüber hinaus die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Das Transparenzgebot verlangt ferner, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen dem Versicherungsnehmer bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen führen, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden (Senatsurteil vom 15. Februar 2017 - IV ZR 91/16, r+s 2017, 259 Rn. 15). Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht (Senatsurteil vom 6. Juli 2016 - IV ZR 44/15, BGHZ 211, 51 Rn. 30 m.w.N.). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen , ohne dass eine Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht (Senatsurteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 269/14, VersR 2016, 41 Rn. 38 m.w.N.). Allgemeine Versicherungsbedingungen sind hierbei so auszulegen , wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom 6. Juli 2016 aaO Rn. 17 m.w.N.).
17
(1) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung , aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteile vom 22. April 2015 - IV ZR 419/13, VersR 2015, 706 Rn. 12; vom 11. März 2015 - IV ZR 54/14, VersR 2015, 570 Rn. 12; vom 10. Dezember 2014 - IV ZR 281/14, VersR 2015, 182 Rn. 12 f.; vom 23. Juni 1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83 unter III 1 c; st. Rspr.).

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 10. Januar 2014 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Versicherungsleistungen aus einer bei der Beklagten unterhaltenen Krankentagegeldversicherung, mit der ein Krankentagegeld in Höhe von 120 € täglich versichert ist und der die Musterbedingungen 2008 des Verbandes der privaten Krankenversicherung (MB/KT 2008, im Folgenden nur MB/KT) zugrunde liegen.

2

In § 1 Teil I dieser Bedingungen heißt es unter anderem:

"(1) Der Versicherer bietet Versicherungsschutz gegen Verdienstausfall als Folge von Krankheiten oder Unfällen, soweit dadurch Arbeitsunfähigkeit verursacht wird. Er zahlt im Versicherungsfall für die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld in vertraglichem Umfang.

(2) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen. …

(3) Arbeitsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht.

…"

3

Der Kläger war in der Zeit vom 16. September 2009 bis zum 30. April 2010 wegen eines Burn-Out-Syndroms arbeitsunfähig krankgeschrieben. Bereits ab dem 1. April 2010 wurde er jedoch nach dem "Hamburger Modell" stufenweise wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert. Dabei arbeitete er in den ersten beiden Wochen drei Stunden, in der dritten und vierten Woche sechs Stunden am Tag. Auch in dieser Zeit bezog er keinen Lohn, sondern ausschließlich Krankengeld.

4

Mit der Klage hat der Kläger Krankentagegeld für die gesamte Zeit seiner Krankschreibung in Höhe von 24.840 € beansprucht. Das Landgericht hat der Klage unter Berücksichtigung einer vereinbarten Karenzzeit von 42 Tagen für die Zeit bis zum 31. März 2010 in Höhe von 18.600 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Berufung, mit der der Kläger die Zahlung weiterer 3.600 € für April 2010 begehrt hat, ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision hat keinen Erfolg.

6

I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in VersR 2014, 576 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, dass im Monat April 2010 keine bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit des Klägers vorgelegen habe, weil er seine bisherige berufliche Tätigkeit im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme jedenfalls tatsächlich ausgeübt habe.

7

Es habe sich nicht um einen bloßen Arbeitsversuch des Klägers gehandelt. Dagegen sprächen Umfang und Regelmäßigkeit der ausgeübten Tätigkeit. Ferner setze die stufenweise Wiedereingliederung nach § 74 SGB V voraus, dass der Versicherte nach ärztlicher Feststellung seine bisherige Tätigkeit teilweise verrichten könne und eine entsprechende Belastbarkeit vorhanden sei. Unerheblich sei demgegenüber, dass der Kläger kein Arbeitsentgelt erhalten, sondern weiterhin Krankengeld bezogen habe; nach den Versicherungsbedingungen komme es nicht auf den Verlust des Arbeitseinkommens an, sondern vielmehr darauf, dass der Versicherungsnehmer seine berufliche Tätigkeit nicht ausübe. Ebenso stünden der Charakter der Krankentagegeldversicherung und ihr sozialer Schutzzweck einer Einordnung der beruflichen Wiedereingliederung als Berufsausübung nicht entgegen.

8

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

9

Zu Recht hat das Berufungsgericht eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers i.S. von § 1 (3) MB/KT für den Monat April 2010 verneint, weil er in dieser Zeit seine berufliche Tätigkeit, wenn auch in eingeschränktem Umfang, ausgeübt hat. Damit fehlt es für diesen Zeitraum an bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Leistungsanspruch nach § 1 (1) Satz 2 MB/KT.

10

1. Bereits eine nur zum Teil gegebene Arbeitsfähigkeit genügt, um den Anspruch auf Krankentagegeld auszuschließen, sofern der Versicherte seinem Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung teilweise nachgehen kann oder tatsächlich nachgeht (Senatsurteile vom 3. April 2013 - IV ZR 239/11, VersR 2013, 615 Rn. 13; vom 25. November 1992 - IV ZR 187/91, VersR 1993, 297 unter II 1). Soweit es dabei um die Bewertung einer vom Versicherten tatsächlich ausgeübten Tätigkeit geht, ist nur entscheidend, ob die fragliche Tätigkeit nach ihrer Art der zuletzt konkret ausgeübten beruflichen Tätigkeit zuzuordnen ist (Senatsurteil vom 18. Juli 2007 - IV ZR 129/06, VersR 2007, 1260 Rn. 19).

11

2. Zu Recht ist das Berufungsgericht danach zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme eine berufliche Tätigkeit im Sinne von § 1 (3) MB/KT ausgeübt hat, weil es auf den Umfang der Tätigkeit nicht ankommt, wie eine Auslegung der Klausel ergibt (Senatsurteil vom 18. Juli 2007 aaO Rn. 24 ff.).

12

a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen (Senatsurteile vom 10. Dezember 2014 - IV ZR 281/14, VersR 2015, 182 Rn. 12 f.; vom 23. Juni 1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; st. Rspr.). Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteile vom 8. Oktober 2014 - IV ZR 16/13, VersR 2014, 1367 Rn. 16; vom 25. Juli 2012 - IV ZR 201/10, VersR 2012, 1149 Rn. 21 m.w.N.; st. Rspr.).

13

b) Dem Wortlaut der Regelung in § 1 (3) MB/KT wird der Versicherungsnehmer zunächst entnehmen, dass es für die Frage seiner Arbeitsunfähigkeit allein darauf ankommt, ob er zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit auch nur teilweise in der Lage ist oder diese jedenfalls in Teilbereichen ausübt.

14

Ob hiervon eine Ausnahme bei bloßen Arbeitsversuchen - insbesondere solchen zu therapeutischen Zwecken - zu machen ist (so LG Hannover, VersR 1991, 1281; offen gelassen im Senatsurteil vom 3. Oktober 1984 - IVa ZR 76/83, VersR 1985, 54 unter II 3; vgl. auch Senatsurteil vom 18. Juli 2007 - IV ZR 129/06, VersR 2007, 1260 Rn. 31 ff.), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Anders als die Revision meint, erbrachte der Kläger seine Tätigkeit im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht im Rahmen eines solchen Arbeitsversuchs.

15

Unstreitig ist der Kläger in diesem Monat an seinem Arbeitsplatz bei seinem Arbeitgeber in zeitlich begrenztem Umfang inhaltlich derselben Tätigkeit nachgegangen, die er dort bereits vor seiner Erkrankung ausgeübt hatte.

16

Bei der Wiedereingliederung i.S. von § 74 SGB V handelt es sich um eine stufenweise Wiederaufnahme der vorherigen Berufstätigkeit, die die Fähigkeit, diese Tätigkeit teilweise verrichten zu können, voraussetzt und bei der es allein darum geht, den Arbeitnehmer schonend, aber kontinuierlich wieder an die Belastungen seines Arbeitsplatzes heranzuführen (Hess in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 74 SGB V Rn. 2 Stand Dezember 2014). Eine solche Tätigkeit des Arbeitnehmers stellt deshalb keinen bloßen Arbeitsversuch dar; sie ist ungeachtet ihrer zeitlichen Reduzierung und unbeschadet einer im Einzelfall fehlenden Lohnzahlung als Ausübung beruflicher Tätigkeit zu qualifizieren. Dafür spricht, dass sie auch im Falle zunächst fehlender Lohnzahlung durch das stufenweise Heranführen der Vorbereitung der vollständigen Arbeitsaufnahme im Beruf gegen Entgeltzahlungen des Arbeitgebers dient.

Soweit § 1 (3) MB/KT auch auf eine anderweitige Erwerbstätigkeit des Versicherten abstellt, betrifft dies ersichtlich nur Tätigkeiten außerhalb des zuletzt ausgeübten Berufs. Daraus kann der Versicherungsnehmer nicht darauf schließen, dass es selbst bei der Ausübung von Tätigkeiten, die zu seinem Berufsfeld gehören, auf ein hierfür gezahltes Entgelt oder dessen Höhe ankommen soll. Vielmehr entfällt der Anspruch nach dem Wortlaut der Regelung, wenn er seinem Beruf in der konkreten Ausgestaltung auch nur teilweise nachgeht.

17

c) Eine davon abweichende Beurteilung ist nicht aufgrund des Sinn und Zwecks der Regelung geboten.

18

aa) Allerdings verfolgt die Krankentagegeldversicherung grundsätzlich den Zweck, den Versicherungsnehmer vor Verdienstausfall durch Arbeitsunfähigkeit als Folge von Krankheiten oder Unfällen zu schützen. Dieser Zweck ist in § 1 (1) Satz 1 MB/KT ausdrücklich niedergelegt. Insoweit dient die Versicherung auch der sozialen Absicherung erwerbstätiger Personen (Senatsurteil vom 22. Januar 1992 - IV ZR 59/91, BGHZ 117, 92, 95).

19

bb) Auch der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann jedoch erkennen, dass mit ihr kein umfassender Schutz gegen jegliche Einkommenseinbußen bezweckt wird. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Versicherungsschutz erst bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit eingreift, während bereits eine nur zum Teil bestehende Arbeitsfähigkeit typischerweise ebenfalls Einkommenseinbußen mit sich bringt. Die Reichweite des vom Versicherer gebotenen Schutzes ist damit erkennbar nicht unmittelbar am Verdienstausfall ausgerichtet. Der Versicherungsanspruch orientiert sich nicht am tatsächlich erzielten Arbeitseinkommen, sondern ist rein tätigkeitsbezogen.

20

Hat der Versicherungsnehmer seine Arbeitsfähigkeit im Anschluss an eine Erkrankung nach medizinischem Befund auch nur teilweise wiedererlangt, so entfällt aufgrund des ersten Merkmals des § 1 (3) MB/KT bereits damit der weitere Anspruch. Versicherungsschutz scheidet in diesen Fällen auch dann aus, wenn der Versicherungsnehmer tatsächlich nicht arbeitet und deshalb kein Geld verdient. Deshalb erfordern Sinn und Zweck der Versicherung nichts anderes, wenn der Versicherungsnehmer im Rahmen einer Maßnahme nach § 74 SGB V bereits teilweise wieder in seinem Beruf arbeitet, dabei aber noch kein Arbeitseinkommen erzielt. Der grundsätzlich verfolgte Zweck, dem Versicherungsnehmer, der infolge Erkrankung vorübergehend vollständig arbeitsunfähig gewesen ist, einen finanziellen Ausgleich für hierdurch entstandene Einkommensverluste zu gewähren, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Leistungspflicht des Versicherers zu einem früheren Zeitpunkt endet als die Gehaltszahlungen des Arbeitgebers wieder einsetzen, weil der Arbeitnehmer an einer stufenweise Wiedereingliederung ins Arbeitsleben teilnimmt.

21

d) Die gegenteilige Auffassung des Amtsgerichts Wiesbaden (VersR 1999, 1270), der auch ein Teil der Kommentarliteratur folgt (Wilmes in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 4. Aufl. § 1 MB/KT Rn. 22; Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 192 Rn. 192; Versicherungsrechts-Handbuch/Tschersich 2. Aufl. § 45 Rn. 95), erweist sich damit als unzutreffend.

Mayen                        Harsdorf-Gebhardt                                   Dr. Karczewski

               Lehmann                                    Dr. Brockmöller

24
cc) Die Annahme einer tatsächlichen Berufsausübung ist ungeachtet dessen gerechtfertigt, dass der Kläger nur geringfügig beruflich tätig geworden ist. Von der Regelung des § 1 Abs. 3 RB/KT 94 bzw. des § 1 Abs. 3 MB/KT 94 wird jede berufliche Tätigkeit erfasst. Dies ergibt eine Auslegung der Klausel.
15
Nichts anderes ergibt sich aus dem vom Berufungsgericht für seine Auffassung herangezogenen Senatsurteil vom 18. Juli 2007 (IV ZR 129/06, VersR 2007, 1260). Zwar hat der Senat dort bei einem Architekten , der nachweislich an drei Tagen Akquisetätigkeit ausgeübt hatte, diese Tätigkeit für den Verlust des Tagegeldanspruchs ausreichen lassen, allerdings nur für jene drei Tage. Diese Rechtsfolge ergab sich allein aus dem Tatbestandsmerkmal "sie auch nicht ausübt" in § 1 Abs. 3 MB/KT. Dieses selbständige Tatbestandsmerkmal knüpft an die tatsächliche Ausübung der Berufstätigkeit in Teilbereichen trotz insgesamt weiter vorliegender Arbeitsunfähigkeit an und sanktioniert eine solche Tätigkeit mit dem Verlust des Tagegeldanspruchs. Der Senat hat indes aus der Fä- higkeit zur Akquise - obwohl er hierin eine teilweise Berufsausübung gesehen hat - gerade nicht generell auf eine teilweise Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit geschlossen. Er hat das dortige Berufungsurteil vielmehr hinsichtlich des weiteren Tagegeldanspruchs (für die anderen als die drei betroffenen Tage) aufgehoben und die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen (aaO Rn. 44).