Bundesgerichtshof Urteil, 09. Nov. 2011 - 5 StR 328/11

bei uns veröffentlicht am09.11.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 328/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. November
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt R. ,
Rechtsanwalt B.
als Vertreter des Nebenklägers W. ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat vom 7. Juni 2009 freigesprochen worden ist, ferner, soweit der Angeklagte wegen Unterschlagung verurteilt worden ist, und im Gesamtstrafausspruch.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das genannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen der Tat vom 20. Juni 2009 verurteilt worden ist; davon ausgenommen bleiben die Feststellungen zu den objektiven Umständen des Tatkerngeschehens (vom Würgen des Angeklagten bis zur Rettung des Nebenklägers ); diese bleiben aufrecht erhalten.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Jugendlichen, mit (zweifacher) gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung (Tat vom 20. Juni 2009 zum Nachteil des Nebenklägers W. ; Einsatzstrafe : acht Jahre sechs Monate Freiheitsstrafe), ferner wegen Unterschlagung und wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und hat ihn im Übrigen freigesprochen ; dem Nebenkläger W. hat es im Adhäsionsverfahren einen Schmerzensgeld- und Feststellungsanspruch zugesprochen.
2
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision gegen den Teilfreispruch , der die Tötung des Ba. am 7. Juni 2009 betrifft. Ferner wendet sich die Staatsanwaltschaft – wie auch der Nebenkläger W. mit seiner Revision – gegen den Schuldspruch wegen des Tatgeschehens vom 20. Juni 2009. Die Beschwerdeführer beanstanden insbesondere , das Landgericht habe dem Angeklagten zu Unrecht einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Totschlags – nach Auffassung des Nebenklägers bei richtiger Bewertung der Konkurrenzen vom versuchten Verdeckungsmord – zugebilligt. Auch die Staatsanwaltschaft beanstandet – namentlich im Blick auf die von ihr weiter erstrebte Verhängung der Maßregel der Sicherungsverwahrung – die fehlerhafte Annahme von Tateinheit für diesen Tatkomplex. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Zur Person des Angeklagten:
5
Der in desolaten Familienverhältnissen aufgewachsene Angeklagte beging seit 1993 Straftaten, vornehmlich Gewaltdelikte (Raub- und Körperverletzungstaten ), und verbüßte bis 2004 mehrere Jugend- und Freiheitsstrafen. Später folgten eine kürzere gefahrenabwehrrechtliche Unterbringung in der Psychiatrie, Untersuchungshaft wegen des Verdachts der Brandstiftung und eine Drogenentzugstherapie. Im Jahr 2009 trank der Angeklagte jedoch wieder regelmäßig Alkohol; er nahm eine schon früher ausgeübte Prostitutionstätigkeit im homosexuellen Milieu wieder auf.
6
Der körperlich gesunde Angeklagte „ist sehr leicht kränkbar, fühlt sich schnell benachteiligt und von anderen Menschen zurückgestoßen. Dies führt häufig dazu, dass unverarbeitete Erfahrungen aus der Vergangenheit in ihm hochkommen und er sich durch unkontrollierte Handlungen Erleichterung verschafft. Er ist stark zuwendungsbedürftig und neigt dazu, in krisenhaften Situationen mit Selbstmord zu drohen, um Hilfe zu erzwingen“ (UA S.19). Diagnostisch besteht bei ihm eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, ferner eine neurotisch-depressive Störung, ein beginnendes Abhängigkeitssyndrom vom Alkohol sowie eine leichte Intelligenzminderung.
7
b) Zur Tat vom 7. Juni 2009 (Tötung von Ba. ):
8
aa) Der Angeklagte traf gegen 1.30 Uhr auf der Suche nach einem Freier in einem Lokal auf den 63-jährigen Beamten Ba. , der seit 2002 homosexuelle Kontakte pflegte. Dabei fiel dieser durch „extreme Anhänglichkeit“ auf, konnte unter Alkoholeinfluss verbal aggressiv werden und geriet gelegentlich auch in gewalttätige Auseinandersetzungen (UA S. 51, 24). Der bereits alkoholisierte Ba. spendierte dem Angeklagten ein Bier und einige Jägermeister und verpflichtete sich, dem Angeklagten für „Küssen und Oralsex“ 70 € zu zahlen (UA S. 24). Beide fuhren in die Wohnung des Angeklagten.
9
bb) Aufgrund der als unwiderlegbar bewerteten Angaben des Angeklagten hat das Landgericht folgendes Tatgeschehen angenommen und dieses als durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt angesehen:
10
In seiner Wohnung geriet der Angeklagte mit Ba. in Streit, da dieser sich entgegen üblichen Gepflogenheiten weigerte, vor den sofort verlangten sexuellen Handlungen das vereinbarte Geld zu bezahlen. Nach ver- balen Auseinandersetzungen wollte der bereits weitgehend entkleidete Ba. den Angeklagten anfassen. Als dieser zurückwich, begann Ba. , ihn zu schubsen. Der Angeklagte wehrte sich erfolgreich. Nach einigen wechselseitigen Schlägen packte Ba. den Angeklagten mit beiden Händen am Hals. Der Angeklagte griff seinerseits Ba. an den Hals, damit dieser ihn losließ. Ba. warf sodann zunächst mit einer Pflanze nach dem Angeklagten, packte ihn sodann erneut am Hals und drückte so kräftig zu, dass der Angeklagte keine Luft mehr bekam, großen Druck im Kopf verspürte und das Gefühl hatte, Ba. werde ihn umbringen. Als es ihm nicht gelang, dessen Griff zu lockern, griff er seinerseits Ba. mit beiden Händen an den Hals, wobei beide Daumen an dessen Kehlkopf lagen. Er wollte sein eigenes Leben retten, erkannte, dass er dadurch möglicherweise Ba. würde töten müssen, und drückte nun so lange kräftig zu, bis der Griff von Ba. an seinem Hals lockerer wurde. In diesem Moment beendete der Angeklagte das Würgen und stieß Ba. mit aller Kraft nach hinten, der daraufhin schräg auf das Bett fiel, wo er tot liegen blieb. Der Angeklagte verließ anschließend seine Wohnung.
11
cc) Am 8. Juni 2009 kehrte er alkoholisiert zurück. Er entnahm dem Portemonnaie des Ba. etwas Bargeld, ferner nahm er ein Armband und eine Halskette des Toten an sich. Aufgrund dieser vom Angeklagten im Wesentlichen eingestandenen Feststellungen ist er wegen Unterschlagung schuldig gesprochen worden.
12
Den Leichnam legte er in einen Bettbezug, schleppte ihn zum Kleiderschrank und verstaute ihn dort. Die Leiche wurde durch die wegen Verwesungsgeruchs alarmierte Polizei am Morgen des 20. Juni 2009 in der Wohnung des Angeklagten entdeckt.
13
c) Zur Tat vom 20. Juni 2009 (Tat zum Nachteil des Nebenklägers J. W. ):
14
aa) Der Angeklagte traf nach mehreren Gaststättenbesuchen gegen 4.30 Uhr auf die ihm bekannte C. W. , die Mutter des damals 14 Jahre alten J. W. . Nach weiterem Alkoholgenuss kam es zum Streit des Angeklagten mit seinem Zwillingsbruder, für dessen Schlichtung die Polizei herbeigerufen wurde. Bis 7 Uhr tätigte der Angeklagte vier Notrufe , in denen er von Suizid sprach. Er beschloss nunmehr, sich in der Wohnung der abwesenden C. W. schlafen zu legen. Er stieg über ein angelehntes Fenster in die Wohnung ein und traf auf den dort schlafenden J. Der Angeklagte, der den Schlafenden in dem abgedunkelten Raum zunächst für einen der zahlreichen afrikanischen Drogenhändler hielt, die bei der betäubungsmittelabhängigen C. W. ständig zu Besuch waren, empfand Wut auf C. W. , die er, gepaart mit Rachegedanken und Verzweiflung, an dem schlafenden J. ausließ.
15
Er legte dem Jungen die Hände um den Hals und drückte einige Sekunden kräftig zu. J. wurde wach und konnte den Griff des Angeklagten etwas lockern. Der Angeklagte ließ von dem Jungen zunächst ab und sagte, dass ihm die Sache leid tue. Er hegte aber weiter Rache- sowie Zerstörungsgefühle und nahm J. das Handy ab, um zu verhindern, dass dieser damit Hilfe hole. Der Junge kühlte die roten Stellen seines Halses im Bad mit Wasser. Der Angeklagte folgte ihm anschließend wieder zu seinem Schlafplatz und fasste ihm ans Gesäß. Er brachte J. durch eine Drohung dazu, sich wieder hinzulegen, und vollzog an ihm zweifach den – als lang und schmerzhaft empfundenen – Analverkehr, unterbrochen von gegenseitigem Oralverkehr. Schließlich führte der Angeklagte eine Getränkeflasche aus Plastik in den Anus von J. ein. Nach weiteren sexuellen Zudringlichkeiten , bei denen sich der Junge auf Geheiß des Angeklagten die Augen verbinden musste, stach ihm der Angeklagte unvermittelt mit einem aus der Wohnung stammenden Küchenmesser (20 cm Klingenlänge) in den Hals.
Die Stichwunde war 3 bis 4 cm lang, der Stichkanal hatte eine Tiefe von 7 cm, verlief in unmittelbarer Nähe zur Halsschlagader und verletzte den rechten Schilddrüsenlappen.
16
J. nahm die Augenbinde ab. Der Angeklagte untersagte dem Jungen , sich zu duschen, gab ihm ein Kissen und forderte ihn auf, sich auf den Bauch zu legen, liegen zu bleiben und das Kissen gegen die Wunde zu drücken. Er äußerte einerseits, er werde im Wohnungsflur auf J. s Mutter warten und diese dann umbringen, andererseits trug er J. auf, seiner Mutter nach deren Rückkehr auszurichten, dass „Ja. “ dagewesen sei. Schließlich verließ er die Wohnung. J. , der das nicht bemerkt hatte, wagte erst zehn Minuten nach dem Stich die Flucht, drückte mit einer Hand ein T-Shirt auf seine Wunde, sprang nackt aus dem Fenster und fand Schutz in einem nahegelegenen Kiosk. Die – ohne ärztliche Versorgung – potentiell lebensbedrohliche Stichverletzung wurde notoperiert (UA S. 39). Auch aufgrund des kräftigen Würgens, das Würgemale und Stauungsblutungen verursacht hatte, bestand potentielle Lebensgefahr.
17
bb) Diese Feststellungen zum Tatkerngeschehen hat das Landgericht auf die glaubhafte Aussage des Nebenklägers und ärztliche Gutachten gestützt. Dass der Angeklagte – vor dem ersten Würgen – geglaubt habe, angegriffen zu werden, und dass er J. nicht habe töten wollen, hat die Schwurgerichtskammer als widerlegt angesehen.
18
Hingegen hat das Landgericht einen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch für unwiderlegbar erachtet. Es hat dem Angeklagten abgenommen , er habe geglaubt, J. sei nicht schlimm verletzt gewesen, und sei zudem beim Verlassen der Wohnung davon ausgegangen, dass der Junge alsbald die Polizei rufen und so auch ärztliche Hilfe erhalten werde.
19
2. Die gegen den Freispruch wegen der Tötung des Ba. gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Das Re- visionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden oder die Annahme der Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes nicht auszuschließen vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteile vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928, insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt, und vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401). Solche Rechtsfehler liegen hier vor.
20
a) Insbesondere beruht die allein der Einlassung des Angeklagten folgende , angesichts der gesamten festgestellten Begleitumstände letztlich nahezu lebensfremd anmutende Annahme des Landgerichts, das Opfer habe den Angeklagten seinerseits durch heftiges Würgen zur Notwehr durch Erwürgen veranlasst, in mehrfacher Hinsicht auf lückenhaft gebliebenen Erwägungen.
21
aa) Die Schwurgerichtskammer hat es schon unterlassen, die sich aus den persönlichen Umständen des Getöteten ergebende Interessenlage in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 324/07, StV 2008, 182, 184, und vom 29. April 2010 – 5 StR 18/10, BGHSt 55, 121, 137). Das erheblich ältere Opfer erstrebte die Vornahme homosexueller Handlungen durch den Angeklagten. Sein Ziel wäre indes durch die vom Landgericht angenommenen, sogar mehrfachen körperlichen Angriffe auf den Angeklagten offensichtlich unerreichbar geworden. Die Annahme derartiger Gewalt stand zudem im Widerspruch zu der festgestellten – wenn auch übersteigerten, homosexuell geprägten – Anhänglichkeit des Opfers gegenüber jüngeren Männern.
22
bb) Das Landgericht hat ferner eine aus festgestellten Umständen sich aufdrängende Neigung des Angeklagten zur Vornahme willkürlicher Würgeangriffe aus Wut nicht konkret erwogen (vgl. BGH NStZ 2009 aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. September 2006 – 5 StR 140/06, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 16). Unter den zahlreichen Gewalthandlungen des Angeklagten, die Gegenstand seiner Vorverurteilungen waren, finden sich – neben einer Vielzahl wutbedingter Angriffe gegen Kopf und Gesicht der Opfer – Würgeangriffe vom 20. Juni 1994 (UA S. 9) und vom 14. Februar 2003 (UA S. 16). Daneben hat sich das Landgericht – unter Überwindung der Einlassung des Angeklagten – selbst davon überzeugt, dass der Angeklagte 13 Tage nach der Tötung von Ba. aus Wut, Rache und Verzweiflung den Nebenkläger J. W. lebensgefährlich gewürgt hat. Die Indizwirkung dieser drei bewiesenen Taten hätte, um die erhobenen Beweise erschöpfend zu würdigen, mit in die wertende Betrachtung einbezogen werden müssen (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 2002 – 5 StR 566/01, wistra 2002, 260, und vom 22. August 2002 – 5 StR 240/02, NStZ-RR 2002, 338). Hinzu kommt, dass das widerlegte Verteidigungsvorbringen des Angeklagten im Fall W. zu einer vermeintlichen Notwehrlage mit zu bedenken gewesen wäre.
23
cc) Soweit das Landgericht (UA S. 48 und 49) Angaben des Angeklagten hinsichtlich seines Nachtatverhaltens (Telefongespräche, Erbrechen, Verschenken der Schmuckstücke, übermäßiger Alkoholgenuss) durch Zeugenaussagen bestätigt sieht und dieses ersichtlich als Stütze der Einlassung zum Tatkerngeschehen heranzieht, ist dies durchgreifend bedenklich. Das durch Außenumstände erwiesene Verhalten des Angeklagten steht in keinem Wertungszusammenhang mit der zu prüfenden Frage, ob eine Notwehrlage bestanden hat. Dagegen steht – wenn auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Persönlichkeit des Angeklagten – das bewiesene, eher notwehruntypische Nachtatverhalten der Verwahrung der Leiche bis zur zwangsläufigen Entdeckung durch sich verbreitenden Verwesungsgeruch.
24
b) Abgesehen davon beruht auch die Wertung des Landgerichts,die – angenommene – Verteidigungshandlungdes Angeklagten sei erforderlich gewesen (§ 32 Abs. 2 StGB), auf lückenhaft gebliebenen Erwägungen.
25
aa) Die Schwurgerichtskammer hat die Fähigkeiten der Kontrahenten zur Vornahme von Angriffs- und Verteidigungshandlungen nicht – was geboten gewesen wäre (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 32 Rn. 30 mwN) – konkret bewertet und ist lediglich zu der eher vagen Annahme gelangt, dass der An- geklagte „kaum“ in der Lage gewesen wäre, den Angriff auf mildere Weise zu beenden (UA S. 67). Dabei hat es nicht bedacht, dass ihm das bei einem ersten gleichartigen Angriff nach seiner eigenen Einlassung ohne Weiteres gelungen war.
26
bb) Daneben hat das Landgericht mit der Tötungshandlung zusammenhängendes medizinisches Erfahrungswissen nicht in seine Bewertung einbezogen (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401). Solches wäre geeignet gewesen, die angenommene Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung – Würgen bis zur Beendigung des Angriffs , damit auch bis zum Todeseintritt (UA S. 26) – grundlegend in Frage zu stellen.
27
Bei Würgen oder Erdrosseln als Tötungshandlung verstreicht bis zum Erfolgseintritt in der Regel ein ganz erheblicher Zeitraum der Gewaltanwendung , wie auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Fällen problematischer Begründung des Tötungsvorsatzes zu entnehmen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juli 1996 – 4 StR 275/96, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 48; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2003 – 5 StR 458/03, BGHR aaO Vorsatz, bedingter 57; vgl. ferner Eisen, Handwörterbuch der Rechtsmedizin, Bd. 1, 1973, S. 213, 217). Vor Eintritt des Todes kommt es jedenfalls zu körperlichen Reaktionen des gewürgten Opfers, die eine Verminderung von dessen Handlungsfähigkeit bewirken (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juni 1992 – 4 StR 308/92, BGHR aaO Vorsatz bedingter 30; Eisen aaO S. 213) und hierdurch einen Angriff auf den in Notwehr Würgenden durch fortschreitende äußere Anzeichen der Ermattung des Angreifers als sicher beendet und ein noch längeres Würgen als zweckverfehlend erscheinen lassen. Hiernach hätte das Landgericht auch bei Prüfung der erforderlichen Verteidigung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB eine mit der angriffsbeendenden Würgehandlung des Angeklagten einhergehende, den Tod des Angreifers indes vermeidende Handlungsalternative erwägen müssen.
28
Ausgehend hiervon wäre die vom Landgericht fehlerfrei festgestellte Todesverursachung durch Erwürgen unter Beschädigung der Schildknorpel des Opfers, was jedenfalls zum Tod führen musste (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 1994 – 4 StR 267/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 40), als ein Überschreiten der gebotenen Notwehr zu qualifizieren und allenfalls unter die Voraussetzungen des § 33 StGB zu subsumieren gewesen.
29
c) Die Tat bedarf demnach umfassend neuer Aufklärung und Bewertung. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die Annahme von Notwehr auch bei völlig zurücktretendem Verteidigungswillen ausgeschlossen sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 1991 – 2 StR 360/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1). Ferner müsste auch der festgestellten Wahrnehmung mehrerer Zeugen, die allesamt Würgemale des Angeklagten nicht zur Kenntnis genommen haben, mehr Aufmerksamkeit als bisher (UA S. 46) gewidmet werden. Soweit – bisher im Einzelnen nicht dargelegte und erwogene – Mitteilungen des Angeklagten gegenüber Dritten über das Vorliegen einer Notwehrlage zu würdigen wären (vgl. UA S. 38), könnten diese im Grundsatz – ähnlich einem von einem Verdächtigen selbst bekundeten Alibi (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 5 StR 259/11) – kaum Bedeutung für eine Bestätigung der Notwehreinlassung haben.
30
Die Aufhebung auf Revision der Staatsanwaltschaft muss auch den Schuldspruch wegen Unterschlagung erfassen. Die tatnahe Ansichnahme von Wertgegenständen des Getöteten steht mit dem zu prüfenden Tötungsverbrechen in untrennbarem Zusammenhang. Die Prüfung eines daraus resultierenden – eventuell auch nur mitbestimmenden – Tötungsmotivs ist unerlässlich. Im Zweifel kommt bei Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung ohne nachgewiesenen Raubmord Tateinheit zwischen Totschlag und Unterschlagung in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 1987 – 4 StR 400/87, BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 4).
31
3. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers ist der Schuldspruch hinsichtlich der Tat vom 20. Juni 2009 zum Nachteil des Nebenklägers W. ebenfalls aufzuheben.
32
a) Das Landgericht hat dem Angeklagten mit durchgreifend bedenklichen Erwägungen einen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch zugebilligt. Es hat die – in der Hauptverhandlung vom Angeklagten vorgetragenen – Einschätzungen hinsichtlich der Schwere und der weiteren Entwicklung der Verletzungen des Nebenklägers seiner Entscheidung ohne weiteres zugrunde gelegt. Solches stößt hier schon im Ansatz auf mehrere Bedenken.
33
aa) Der Angeklagte hat wesentliche Einzelheiten des ihn stark belastenden Tatgeschehens nicht aus eigener Erinnerung bestätigt. Dieser Umstand hätte bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit der bekundeten günstigen, für den Rücktrittshorizont als maßgeblich betrachteten Vorstellungen kritischer Prüfung dergestalt bedurft, warum vom Angeklagten lediglich ihn Begünstigendes , aber nicht Belastendes erinnert wird.
34
Daneben lässt die Würdigung der Einlassung nicht erkennen, dass sich die Schwurgerichtskammer in jeder Beziehung des schuldmindernden Charakters der Angaben des Angeklagten bewusst war. Das Landgericht hat wesentliche Angaben des Angeklagten zutreffend als widerlegt angesehen, nämlich dass er sich angegriffen glaubte und dass er J. W. nicht töten wollte. Die so vollzogene Bewertung zentralen Verteidigungsvorbringens als Schutzbehauptung hätte es indes erfordert, auch bei der Würdigung weiterer vom Angeklagten vorgetragener Umstände deren Charakter als kritisch zu betrachtendes Verteidigungsvorbringen zu beachten. Erst danach hätte von dessen partieller Glaubhaftigkeit – wie es das Landgericht indes durchgehend wie selbstverständlich getan hat – ausgegangen werden dürfen (BGH, Urteil vom 8. April 2009 – 5 StR 65/09, NStZ-RR 2009, 290 mwN; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2009 – 5 StR 182/09).
35
bb) Daneben sind die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es auf der Grundlage der Einlassungen des Angeklagten den Rücktritt bejaht hat, zum Teil widersprüchlich und lückenhaft, und zwar selbst bei der hier wegen der Wahrnehmung der „starkblutenden Wunde“ am Hals durch den Angeklagten eher fernliegenden Anerkennung eines Rücktritts vom unbeendeten Versuch. Die Einlassungen sind auch nicht der gebotenen Gesamtwürdigung unterzogen worden (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 85).
36
Die von der Schwurgerichtskammer gebilligte Erwartung des Angeklagten , dass der Nebenkläger nach dem Verlassen der Wohnung durch den Angeklagten die Polizei rufen würde, setzt sich nicht mit der dem widersprechenden Feststellung auseinander, dass der Angeklagte das Mobiltelefon des J. W. an sich genommen hatte, um zu verhindern, dass dieser damit Hilfe hole (UA S. 33).
37
Nicht in die Erwägungen einbezogen worden ist der gegen die Möglichkeit der Selbstrettung und für die – freilich bisher nicht begründete (UA S. 70) – Annahme des Vorsatzes der Freiheitsberaubung sprechende Umstand , dass der Angeklagte durch wiederholte Kontrolle des auf der Matratze liegenden blutenden Nebenklägers und durch die Ankündigung, im Flur auf dessen Mutter zu warten und diese umzubringen, ein Fluchthindernis und hierdurch eine Erhöhung der Gefahr für das Leben des Nebenklägers geschaffen hat. Wer – wie der Angeklagte – die baldige Rettung des von ihm verletzten, stark blutenden Opfers durch Freiheitsberaubung zu verhindern sucht, gibt die weitere Tatausführung naheliegend gar nicht auf. Der von § 24 Abs. 1 Satz 1 (erste Alternative) StGB honorierte Verzicht auf ein mögliches Weiterhandeln (vgl. BGH [GS], Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 231) wird dem Angeklagten nicht zugute gebracht werden können, weil er einen Erfolgseintritt zusätzlich durch Einwirkung auf sein – quasi als Tatmittler eingesetztes – Opfer weiter gefördert hat.
38
b) Nicht unbedenklich ist zudem die Annahme von Tateinheit in Gestalt einer natürlichen Handlungseinheit hinsichtlich des Würgevorgangs und des Messerangriffs. Diese Handlungen sind nach den getroffenen Feststellungen nicht durch eine notwendige einheitliche fortwirkende Gewaltanwendung verbunden (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2007 – 4 StR 572/06, NStZ-RR 2007, 235). Soweit das Landgericht für den erforderlichen einheitlichen Tatwillen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 1962 – 1 StR 524/61, BGHSt 16, 397, 398) auf das Vorliegen einer einzigen Macht- und Rachedemonstration sowie Demütigung (UA S. 70) abstellt, bestehen Bedenken gegen eine durch Tatsachen gestützte Schlussfolgerung. Der Angeklagte hat eigene Erklärungen lediglich zu seinen Rücktrittsvorstellungen abgegeben. Die aus der Aussage des Nebenklägers und aus weiteren Beweismitteln gewonnenen Feststellungen zum Tatkerngeschehen belegen vielmehr eher mehrere willensgetragene Handlungsabschnitte nach separaten Entschließungen des Angeklagten. Hierdurch hat sich das Landgericht auch unzutreffenderweise gehindert gesehen, den festgestellten Sachverhalt in der letzten Geschehensphase, wie aus Sicht der Revision des Nebenklägersangezeigt und auch ursprünglich angeklagt, als versuchten Verdeckungsmord zu würdigen.
39
c) Im Hinblick auf die vom Landgericht angenommene Tateinheit nötigt schon die fehlerhafte Annahme eines Rücktritts vom Totschlagsversuch zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli2011 – 5 StR 561/10, NJW 2011, 2895, 2897 mwN).

40
Im Übrigen begegnet angesichts des Mangels in der Behandlung der Konkurrenzen auch die Verurteilung wegen der Qualifikation einer besonders schweren Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 4 Nr. 1, 2 lit. a und b StGB Bedenken (vgl. § 301 StPO). Die Feststellungen belegen nicht zweifelsfrei, dass das Messer bei der zur Vergewaltigung führenden Nötigung oder bei dem sexuellen Geschehen eingesetzt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000 – 4 StR 464/00, BGHSt 46, 225, 229). Das Messer wurde mit bedingtem Tötungsvorsatz zur Herbeiführung einer Verletzung verwendet. Dies geschah nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den früher vollzogenen sexuellen Handlungen.
41
d) Das Tatgeschehen vom 20. Juni 2009 bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Allerdings können die Feststellungen zum objektiven Tatkerngeschehen – vom Würgen des Angeklagten bis zur Rettung des Nebenklägers – aufrechterhalten bleiben. Diese sind von den Mängeln der Würdigung der Einlassung des Angeklagten und den weiteren Rechtsfehlern unbeeinflusst.
42
Demnach wird das neu berufene Tatgericht in erster Linie – ausgehend von den feststehenden objektiven Tatumständen und den Einlassungen des Angeklagten – sämtliche subjektiven Rücktrittsvoraussetzungen einschließlich der für die gebotene Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch notwendigen (vgl. BGH, Urteile vom 22. August 1985 – 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 300, und vom 2. November 1994 – 2StR 449/94, BGHSt 40, 304, 305 f. sowie BGH [GS], Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 231 f.) neu festzustellen und zu bewerten haben, aber auch zum Tötungsvorsatz, zu den Konkurrenzen und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten neu zu befinden haben.
43
4. Bestehen bleiben der nicht angefochtene Schuldspruch wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zum Nach- teil des Zeugen Sch. und der weitere nicht angefochtene Teilfreispruch. Die Aufhebung der verbleibenden Schuldsprüche zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich (vgl. zur Adhäsionsentscheidung BGH, Urteil vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96).
44
Sollten die neuen Schuldsprüche eine Prüfung der Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB a. F. veranlassen, verweist der Senat auf die wegen des anzuwendenden Übergangsrechts zu beachtenden Beschränkungen (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11; ferner Urteile vom 7. Juli 2011 – 2 StR 184/11 und – 5 StR 192/11 – sowie vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11).
Basdorf Brause Schaal Schneider Bellay

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Nov. 2011 - 5 StR 328/11

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Nov. 2011 - 5 StR 328/11

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Nov. 2011 - 5 StR 328/11 zitiert 9 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per

Strafgesetzbuch - StGB | § 52 Tateinheit


(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt. (2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie d

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 33 Überschreitung der Notwehr


Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Nov. 2011 - 5 StR 328/11 zitiert oder wird zitiert von 16 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Nov. 2011 - 5 StR 328/11 zitiert 13 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 07. Juli 2011 - 5 StR 561/10

bei uns veröffentlicht am 07.07.2011

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StGB § 227 Zur Strafbarkeit gemäß § 227 StGB und zum Tötungsvorsatz eines Schönheitschirurgen, der es vorübergehend unterlassen hat, seine wegen eines Aufklärungsmangels rechtswidrig operierte k

Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Aug. 2011 - 5 StR 259/11

bei uns veröffentlicht am 02.08.2011

5 StR 259/11 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 2. August 2011 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. August 2011 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts B

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Sept. 2011 - 5 StR 189/11

bei uns veröffentlicht am 13.09.2011

5 StR 189/11 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 13. September 2011 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2011 beschlossen: Auf die Revision de

Bundesgerichtshof Urteil, 04. Dez. 2007 - 5 StR 324/07

bei uns veröffentlicht am 04.12.2007

5 StR 324/07 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 4. Dezember 2007 in der Strafsache gegen wegen Mordes u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Dezember 2007, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Ri

Bundesgerichtshof Urteil, 21. März 2002 - 5 StR 566/01

bei uns veröffentlicht am 21.03.2002

5 StR 566/01 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 21. März 2002 in der Strafsache gegen wegen Strafvereitelung im Amt Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. März 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzend

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Apr. 2007 - 4 StR 572/06

bei uns veröffentlicht am 19.04.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 572/06 vom 19. April 2007 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. April 2007, an der teilgenommen haben: Vorsitzende

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Aug. 2002 - 5 StR 240/02

bei uns veröffentlicht am 22.08.2002

5 StR 240/02 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 22. August 2002 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Betruges u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. August 2002, an der teilgenommen haben: Richter

Bundesgerichtshof Urteil, 08. Apr. 2009 - 5 StR 65/09

bei uns veröffentlicht am 08.04.2009

5 StR 65/09 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 8. April 2009 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. April 2009, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter Bas

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Juni 2009 - 5 StR 182/09

bei uns veröffentlicht am 23.06.2009

5 StR 182/09 (alt: 5 StR 257/08) BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 23. Juni 2009 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juni 2009 beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil d

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Apr. 2010 - 5 StR 18/10

bei uns veröffentlicht am 29.04.2010

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StGB §§ 222, 227 Zur Verantwortlichkeit eines im Beweissicherungsdienst tätigen Arztes für tödlich verlaufenen Brechmitteleinsatz gegen Drogen -Kleindealer. BGH, Urteil vom 29. April 2010

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Sept. 2006 - 5 StR 140/06

bei uns veröffentlicht am 28.09.2006

5 StR 140/06 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 28. September 2006 in der Strafsache gegen wegen Betruges Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 26. und 28. September 2006, an der teilgenommen

Bundesgerichtshof Urteil, 02. Dez. 2005 - 5 StR 119/05

bei uns veröffentlicht am 02.12.2005

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c, § 73 Abs. 1 Satz 1, § 266; AO § 393 1. Privatrechtlich organisierte Unternehmen im Bereich der Daseinsvorsorge sind keine "sonstigen Stellen" im Sinne von §

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Dez. 2003 - 5 StR 458/03

bei uns veröffentlicht am 16.12.2003

5 StR 458/03 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 16. Dezember 2003 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Totschlags u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Dezember 2003, an der teilgenommen haben: V
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 09. Nov. 2011 - 5 StR 328/11.

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2013 - 4 StR 551/12

bei uns veröffentlicht am 25.04.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 551/12 vom 25. April 2013 in der Strafsache gegen wegen Verdachts des versuchten Totschlags u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. April 2013, an der teilgenomme

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2013 - 4 StR 213/13

bei uns veröffentlicht am 04.07.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 213/13 vom 4. Juli 2013 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. Juli 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Dez. 2019 - 5 StR 391/19

bei uns veröffentlicht am 11.12.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 391/19 vom 11. Dezember 2019 in der Strafsache gegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. ECLI:DE:BGH:2019:111219U5STR391.19.0 Der 5. Strafsenat des Bundesge

Referenzen

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c, § 73 Abs. 1 Satz 1, § 266;
1. Privatrechtlich organisierte Unternehmen im Bereich der Daseinsvorsorge
sind keine "sonstigen Stellen" im Sinne von § 11 Abs. 1
Nr. 2 Buchst. c StGB, wenn ein Privater daran in einem Umfang beteiligt
ist, dass er durch eine Sperrminorität wesentliche unternehmerische
Entscheidungen mitbestimmen kann.
2. Bei der Auftragserlangung durch Bestechung im geschäftlichen
Verkehr bildet der auf den Preis aufgeschlagene Betrag, der lediglich
der Finanzierung des Schmiergelds dient, regelmäßig die
Mindestsumme des beim Auftraggeber entstandenen Vermögensnachteils
im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB.
3. Durch Bestechung erlangt im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB
ist bei der korruptiven Manipulation einer Auftragsvergabe der gesamte
wirtschaftliche Wert des Auftrags im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses
, nicht der vereinbarte Werklohn.
4. Wer Bestechungsgelder erhält, muss diese versteuern. Dem steht
der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit auch in Fällen des
§ 393 Abs. 2 Satz 2 AO nicht entgegen, soweit sich die Erklärungspflicht
auf die betragsmäßige Angabe der Einnahmen beschränkt
und nicht deren deliktische Herkunft umfasst.
BGH, Urteil vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 119/05
LG Köln –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 2. Dezember 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
- Verfallsbeteiligte:
wegen Untreue u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 1. und 2. Dezember 2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum
alsbeisitzendeRichter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Sc
alsVerteidigerfürdenAngeklagten E ,
Rechtsanwalt W ,
Rechtsanwältin We
als Verteidiger für den Angeklagten M ,
Rechtsanwalt L ,
Rechtsanwältin H
alsVerteidigerfürdenA ngeklagten R ,
Rechtsanwalt M
alsVertreterderVerfallsbeteiligten,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,
in der Sitzung vom 2. Dezember 2005 für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie der Angeklagten E und M gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 13. Mai 2004 werden verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten und der Verfallsbeteiligten; die Angeklagten E und M tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten E wegen Untreue und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr sowie wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten M hat es wegen Beihilfe zur Untreue und wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und daneben eine Geldstrafe von 270 Tagessätzen zu je 165 Euro festgesetzt. Aus tatsächlichen Gründen freigesprochen hat das Landgericht den Angeklagten R insgesamt sowie den Angeklagten M , soweit diesem eine Steuerhinterziehung vorgeworfen wurde; zudem hat es die Anordnung des Verfalls von Wertersatz gegen die Angeklagten und die Verfallsbeteiligte abgelehnt.
Die zuungunsten der Angeklagten und der Verfallsbeteiligten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft richten sich mit der Sachrüge zum einen gegen die Freisprüche, die Strafzumessung und die Strafaussetzung zur Bewährung beim Angeklagten M sowie die Nichtanordnung des Verfalls von Wertersatz gegen die Verfallsbeteiligte; nur insoweit werden sie vom Generalbundesanwalt vertreten. Darüber hinaus beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass die Angeklagten nicht wegen Bestechung bzw. Bestechlichkeit verurteilt worden sind, ferner auch die Strafzumessung bei dem Angeklagten E . Die Angeklagten E und M wenden sich mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen umfassend gegen ihre Verurteilung.
Sämtliche Revisionen bleiben erfolglos.

I.


Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
Im Jahr 1990 beschloss der Rat der Stadt Köln die Gründung einer Abfallverwertungsgesellschaft in Form einer städtisch beherrschten Mischgesellschaft unter maßgeblicher Beteiligung der Privatwirtschaft. Die Einbeziehung eines privaten Unternehmers sollte dessen Fachwissen und wirtschaftliche Erfahrung nutzbar machen sowie zur Kostenersparnis beitragen. Als Mitgesellschafter wurde der gesondert Verfolgte T gewonnen, der über verschiedene Gesellschaften eine beherrschende Stellung – vom Zeugen A anschaulich als „Monopölchen“ bezeichnet – auf dem Abfallsektor im Rheinland besaß. Die Stadt Köln (Anteil am Stammkapital 50,1 %), die S K G (Anteil 24,8 %) und die T E G V (Anteil 25,1 %) gründeten 1992 die „AVG “ (nachfolgend: AVG). Gegenstand der Gesellschaft waren insbesondere die Errichtung und der Be-
trieb von Anlagen für die thermische Behandlung und die Kompostierung von Abfällen sowie das Baustellen- und Gewerbeabfallrecycling unter Beachtung der Leitlinien des Abfallwirtschaftskonzepts der Stadt Köln. Der Gesellschaftsvertrag sah bei wichtigen Entscheidungen die Notwendigkeit einer Dreiviertel-Mehrheit vor. Die Stadt Köln schloss mit der AVG einen langfristigen Entsorgungsvertrag, wonach sie die AVG als sog. „Dritte“ mit der Wahrnehmung der Abfallentsorgungsaufgaben in zentralen Bereichen des Recyclings , der Kompostierung und der thermischen Behandlung beauftragte. Alleiniger Geschäftsführer der AVG wurde der Angeklagte E . Die Stadt Köln regelte die Müllentsorgung weiterhin durch Abfallsatzungen, nach denen die Abfallwirtschaft als öffentliche Einrichtung im Sinne einer rechtlichen , wirtschaftlichen und organisatorischen Einheit betrieben wurde.
Eine der zentralen Aufgaben der AVG war in den folgenden Jahren der Bau einer Restmüllverbrennungsanlage (nachfolgend: RMVA) in Köln zum Zweck der thermischen Müllentsorgung. Nach der Ausschreibung der Aufträge zur Planung und zum Bau der RMVA gaben mehrere Firmen Angebote ab; sie stellten teilweise auch die Zahlung von Schmiergeldern zwischen 2 % und 3 % des Auftragsvolumens bei Auftragsvergabe in Aussicht. Einer der Mitwettbewerber war die Verfallsbeteiligte L & C (nachfolgend: LCS), deren Geschäftsführer der Angeklagte M war. Unter maßgeblicher Einflussnahme des gesondert Verfolgten Wi , der seit mehreren Jahren als Unternehmensberater für die LCS tätig war und durch seine politische Laufbahn zahlreiche Kontakte zu den Entscheidungsträgern der Stadt Köln hatte, wurde schließlich im Herbst 1993 – einige Zeit vor dem Submissionstermin – zwischen E , T und M vereinbart, dass im Falle der Auftragsvergabe an die LCS von dieser ein Schmiergeld in Höhe von insgesamt 3 % des Auftragswerts in gleichen Teilen an E , T und Wi gezahlt werde, und zwar ein Drittel nach Vertragsschluss, ein Drittel nach Baubeginn und das letzte Drittel nach Abschluss der Bauarbeiten. E und M manipulierten die Ausschreibung, so dass die LCS nach Kenntnis der
anderen Angebote als günstigster Bieter schließlich den Zuschlag erhielt. In dem durch Verhandlungsgeschick des Angeklagten E schließlich erzielten, für die AVG insgesamt günstigen Festpreis von 792 Mio. DM war durch verschiedene Aufschläge auf einzelne Bau-Lose eine schmiergeldbedingte Erhöhung des Werklohns um rund 24 Mio. DM enthalten. Da sich dieser Betrag aus Sicht der LCS lediglich als Durchlaufposten darstellte, wäre der Angeklagte M auch bereit gewesen, für die LCS zu einem um den Schmiergeldbetrag verminderten Preis abzuschließen.
Die AVG zahlte den vereinbarten Werklohn einschließlich des darin enthaltenen Schmiergeldanteils bis August 2000 fast vollständig an die LCS. Die Abwicklung der Schmiergeldzahlungen, die in Höhe von insgesamt 21,6 Mio. DM flossen, erfolgte über verschiedene Schweizer Firmen, die der gesondert Verfolgte T absprachegemäß zur Verschleierung der Zahlungsflüsse vermittelte. An diese Firmen zahlte LCS im Jahr 1994 insgesamt 9 Mio. DM, 1995 2,7 Mio. DM, 1996 insgesamt 5,5 Mio. DM, 1998 insgesamt 3,4 Mio. DM und 1999 einen Restbetrag von 1 Mio. DM. Hiervon erhielt der Angeklagte E insgesamt 14,29 Mio. DM, und zwar 1994 3,2 Mio. DM, 1995 2 Mio. DM, 1996 5,2 Mio. DM, 1998 2 Mio. DM und 1999 schließlich 1,89 Mio. DM. Einen weiteren Betrag von mindestens 1 Mio. DM gab E 1995 oder 1996 an den Angeklagten M weiter; T und Wi erhielten zumindest 1994 jeweils 2 Mio. DM, wobei T seinen Anteil an Wi weiterreichte. Dass E von seinem Anteil weitere Millionensummen an die Angeklagten R und M sowie den gesondert Verfolgten Wienand auskehrte, konnte das Landgericht nicht sicher feststellen; es hat indes zugunsten des Angeklagten E angenommen, dass diesem lediglich Schmiergeldbeträge von insgesamt 7,49 Mio. DM verblieben sind.
Die Verfallsbeteiligte LCS rechnete das Projekt RMVA – nach einem zwischenzeitlichen vorläufigen Gewinn in Höhe von ca. 8 bis 9 Mio. Euro – im Jahr 2001 wegen verschiedener Gewährleistungsarbeiten endgültig mit
einem Verlust in Höhe von 688.000 Euro ab. Über das Vermögen der Verfallsbeteiligten ist inzwischen das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

II.


Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben keinen Erfolg.
1. Dass die Angeklagten E und M nicht wegen Bestechlichkeit bzw. Bestechung, sondern nur wegen Bestechlichkeit bzw. Bestechung im geschäftlichen Verkehr gemäß §§ 299, 300 StGB verurteilt worden sind, ist nicht rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat eine Amtsträgerstellung des Angeklagten E als Geschäftsführer der AVG nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB zutreffend verneint, weil es sich bei der AVG nicht um eine „sonstige Stelle“ im Sinne dieser Vorschrift handelt.

a) Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB ist, wer sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. „Sonstige Stellen“ sind – ohne Rücksicht auf ihre Organisationsform – behördenähnliche Institutionen, die zwar keine Behörden im organisatorischen Sinne sind, aber rechtlich befugt sind, bei der Ausführung von Gesetzen und bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben mitzuwirken (vgl. BGHSt 43, 370, 375 ff.; 49, 214, 219). Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs , dass auch als juristische Personen des Privatrechts organisierte Einrichtungen und Unternehmen der öffentlichen Hand als „sonstige Stellen“ den Behörden gleichzustellen sind, wenn bei ihnen Merkmale vorliegen, die eine Gleichstellung rechtfertigen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie bei ihrer Tätigkeit öffentliche Aufgaben wahrnehmen und dabei derart staatlicher – gegebenenfalls auch kommunaler – Steuerung unterliegen, dass sie bei einer Gesamtbewertung der sie kennzeichnenden Merkmale als „verlängerter Arm“ des Staates erscheinen (vgl. BGHSt 49, 214, 219 m.w.N.).

b) Diese Voraussetzungen liegen bei der AVG nicht vor.
aa) Die AVG ist zwar nach dem Gesellschaftsvertrag auf dem Gebiet der Müllentsorgung und damit in einem Bereich der Daseinsvorsorge tätig (vgl. BGHZ 40, 355, 360; BGH MDR 1983, 824; KG-Report 2005, 145); solche Tätigkeit wird von der Rechtsprechung seit jeher als öffentliche Aufgabe angesehen (vgl. BGHSt 12, 89, 90; 31, 264, 268; 45, 16, 19; BGHR StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Amtsträger 7; vgl. auch den Gesetzentwurf zum Korruptionsbekämpfungsgesetz BT-Drucks. 13/5584, S. 12). Als „verlängerter Arm“ des Staates und damit als „sonstige Stellen“ im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB können aber privatrechtlich organisierte Unternehmen im Bereich der Daseinsvorsorge jedenfalls dann nicht mehr verstanden werden, wenn ein Privater an dem Unternehmen in einem Umfang beteiligt ist, dass er durch eine Sperrminorität wesentliche unternehmerische Entscheidungen mitbestimmen kann.
bb) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass eine Tätigkeit auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge für sich genommen nicht ausreicht, um eine der Behörde gleichgestellte „sonstige Stelle“ im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB anzunehmen (vgl. BGHSt 43, 370, 377; 45, 16, 19). Die Tatsache, dass vielfältige der Daseinsvorsorge zugerechnete Aufgaben wie etwa die Energie- und Wasserversorgung oder die Müllentsorgung nach einer Liberalisierung der entsprechenden Märkte auch von privaten Unternehmen erbracht werden und dass die öffentliche Hand daneben in unterschiedlicher Organisations- und Beteiligungsform weiterhin auf diesen Gebieten tätig ist, erfordert jedenfalls im Bereich der Daseinsvorsorge ein aussagekräftiges zusätzliches Unterscheidungskriterium, um privates Handeln von staatlichem Handeln hinreichend abgrenzen zu können.
cc) Mit der Ergänzung von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB durch die Worte „unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform“ durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. August 1997
(BGBl I S. 2038) hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Wahl der Organisationsform – privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich – für sich gesehen kein solches Abgrenzungskriterium sein kann. Der Bundesgerichtshof hat anstelle eines solchen formalen ein inhaltliches Abgrenzungskriterium entwickelt: Die „sonstige Stelle“ muss bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben derart staatlicher Steuerung unterliegen, dass sie als „verlängerter Arm“ des Staates erscheint ; erforderlich ist dabei eine Gesamtbewertung aller relevanten Umstände des Einzelfalls (BGHSt 43, 370, 377; 45, 16, 19; 46, 310, 312 f.; 49, 214, 219; BGHR StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Amtsträger 6; BGH NJW 2004, 693, 694 m. Anm. Krehl StV 2005, 325 und Dölling JR 2005, 30, insoweit in BGHR StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Amtsträger 7 nicht abgedruckt).
dd) Soweit ersichtlich noch nicht entschieden hat der Bundesgerichtshof dabei die Frage, ob auch ein solches Unternehmen im Bereich der Daseinsvorsorge eine „sonstige Stelle“ im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB sein kann, an dem ein Privater beteiligt ist.
(1) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind weder die alleinige Inhaberschaft einer Gesellschaft noch die damit verbundenen Aufsichtsbefugnisse für sich genommen geeignet, eine für die Annahme von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB ausreichende staatliche oder kommunale Steuerung zu bejahen (vgl. BGHSt 43, 370, 378; 45, 16, 20; BGH NJW 2001, 3062, 3064, insoweit in BGHR StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Amtsträger 6 nicht abgedruckt; BGH NJW 2004, 693, 694). Auch bei solchen Konstellationen ist vielmehr entscheidend, ob zusätzlich zu der alleinigen Inhaberschaft die Umstände des Einzelfalls bei einer Gesamtbewertung aller relevanten Umstände die Gleichstellung mit einer Behörde rechtfertigen können (vgl. BGH aaO). Daraus folgt, dass – anders als die Staatsanwaltschaft meint – auf eine Ähnlichkeit mit dem Begriff des „herrschenden Unternehmens“ i. S. von § 17 AktG allein nicht maßgeblich abzustellen ist.
(2) Ist schon die Alleininhaberschaft der öffentlichen Hand bei Unternehmen auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge kein hinreichendes Kriterium zur Annahme behördenähnlicher staatlicher Steuerung, gilt dies erst recht, wenn Private an einem Unternehmen beteiligt sind, das sich lediglich im Mehrheitsbesitz der öffentlichen Hand befindet. Unabhängig von der Frage, ob jede Beteiligung von Privaten an öffentlich beherrschten Unternehmen schon die Anwendung von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB hindert, liegt die Gleichstellung eines Unternehmens mit einer Behörde jedenfalls dann fern, wenn der Private durch seine Beteiligung über derart weitgehende Einflussmöglichkeiten verfügt, dass er wesentliche unternehmerische Entscheidungen mitbestimmen kann (vgl. auch EuGH NVwZ 2005, 187, 190 zum Vergaberecht). Räumt der Gesellschaftsvertrag dem Privaten aufgrund der Höhe seiner Beteiligung eine Sperrminorität für wesentliche unternehmerische Entscheidungen ein, kann das Unternehmen nicht mehr als „verlängerter Arm“ des Staates und sein Handeln damit nicht mehr als unmittelbar staatliches Handeln verstanden werden.
ee) Nach diesen Kriterien ist die AVG nicht als „sonstige Stelle“ im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB anzusehen:
Die Gesellschafterin T besaß aufgrund ihrer Beteiligung in Höhe von 25,1 % eine Sperrminorität für wesentliche unternehmerische Entscheidungen der AVG: Der Gesellschaftsvertrag der AVG sah vor, dass wesentliche Angelegenheiten der Gesellschaft nur mit DreiviertelMehrheit beschlossen werden können. Dazu zählten neben der Veräußerung eines Gesellschaftsanteils, der Änderung des Gesellschaftsvertrages und der Abberufung des Geschäftsführers insbesondere die Investitions- und Darlehensaufnahme , der Abschluss und die Kündigung von Unternehmensverträgen , die Bestellung eines Abschlussprüfers und die Feststellung des Wirtschaftsplans. Der Gesellschafterin T wurde zudem das Recht zur Stellung eines Prokuristen für den technischen Bereich eingeräumt und T selbst erhielt den stellvertretenden Vorsitz des – freilich von
den kommunalen Mitgesellschaftern dominierten – siebzehnköpfigen Aufsichtsrats , der die Geschäftsführung der AVG beraten, überwachen und überprüfen sollte.
Schon allein aufgrund dieser vom Gesellschaftsvertrag ausdrücklich vorgesehenen wesentlichen Einflussmöglichkeiten des privaten Gesellschafters auf Kernbereiche unternehmerischen Handelns wie etwa die Möglichkeit einer Darlehensaufnahme stellte die AVG nicht mehr den „verlängerten Arm“ des Staates dar. Die weiteren, von der Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründungsschrift zutreffend aufgeführten Möglichkeiten der Stadt Köln – insbesondere durch ihre Mehrheitsbeteiligung, den Aufsichtsrat, den Abschluss des langfristigen Entsorgungsvertrages und die im Gesellschaftsvertrag verankerte Bindung der AVG an die von der Stadt Köln beschlossenen Leitlinien des Abfallwirtschaftskonzepts –, Einfluss auf das Unternehmen AVG zu nehmen, hat das Landgericht bei seiner ausführlichen Gesamtbetrachtung hinreichend gesehen und im Ergebnis zutreffend gewürdigt. Diese Gesichtspunkte rechtfertigen es angesichts der dargestellten Sperrminorität der privaten Gesellschafterin auch in der Gesamtschau nicht, die AVG als behördenähnlich zu verstehen und wie eine Behörde zu behandeln.
ff) Ob die AVG bereits keine „sonstige Stelle“ im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB sein kann, weil sie für einen Bereich (Abfallentsorgung) gegründet wurde, auf dem auch Private – wie etwa der Unternehmer T – als Marktteilnehmer unternehmerisch tätig sind, bedarf hier deshalb keiner weiteren Vertiefung. Angesichts der zunehmenden Schaffung wettbewerblicher Strukturen und der Öffnung auch zentraler Bereiche der Daseinsvorsorge für private Marktteilnehmer wie etwa beim Bahnverkehr (hierzu BGHSt 49, 214), bei der Wärmeversorgung (hierzu BGHR StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Amtsträger 7) oder bei der Energie- und Wasserversorgung spricht allerdings einiges dafür, dass privatrechtlich organisierte Gesellschaften der öffentlichen Hand, die auf solchen Märkten tätig werden, – wie andere (rein private) Marktteilnehmer auch – allein erwerbswirtschaftlich tätig sind (vgl.
BGH wistra 2001, 267, 270, insoweit in BGHR StGB § 11 Abs. 1 Nr. 2 Amtsträger 5 nicht abgedruckt). Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, kann insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge von einer öffentlichen Aufgabe dann nicht (mehr) gesprochen werden, wenn der Hoheitsträger diesen Bereich aus der Hand gibt und ihre Erledigung einem privaten, marktwirtschaftlichen Unternehmen überlässt (Aufgabenprivatisierung im Gegensatz zur Organisationsprivatisierung), selbst wenn das private Unternehmen einer staatlichen Aufsicht unterstellt wird (BGHSt 49, 214, 221). In diesen Fällen fehlt der spezifisch öffentlich-rechtliche Bezug, der eine Gleichstellung mit behördlichem Handeln rechtfertigt. Auch eine Gesellschaft in alleiniger staatlicher Inhaberschaft würde letztlich nur einen weiteren Wettbewerber auf einem Markt darstellen, der vom Staat eröffnet wurde und sich um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildet hat.
2. Das mithin verbleibende Vergehen der Bestechung bzw. Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr ist nicht etwa verjährt.

a) Nach § 78a Satz 1 StGB beginnt die Verjährung, sobald die Tat beendet ist. Die Beendigung tritt erst in dem Zeitpunkt ein, in dem das Tatunrecht seinen tatsächlichen Abschluss findet. Die Verjährung setzt nur ein, wenn der Täter sein rechtsverneinendes Tun insgesamt abgeschlossen hat. Vorher besteht kein Anlass, durch den Beginn der Verjährungsfrist einen Verfolgungsverzicht in Aussicht zu stellen (BGHR StGB § 78a Satz 1 Bestechung 1). Die Bestechung im geschäftlichen Verkehr ist in diesem Sinne erst mit der letzten Annahme des von der Unrechtsvereinbarung umfassten Vorteils beendet (BGHR UWG § 12 Abs. 2 Angestelltenbestechlichkeit 1; Tröndle /Fischer, StGB 53. Aufl. § 299 Rdn. 21; Heine in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 299 Rdn. 31; vgl. auch BGHSt 10, 237, 243; 11, 345, 347; BGHR StGB § 334 Verjährung 1; jeweils zu §§ 331 ff. StGB).

b) Das Landgericht hat für die Frage der Beendigung zutreffend auf die letzte Zahlung von Schmiergeld an den Angeklagten E im Früh-
jahr 1999 abgestellt. Demgegenüber meinen die Angeklagten, die Unrechtsvereinbarung sei mit derjenigen Zahlung im Jahr 1996 an den Angeklagten E beendet worden, durch die – zumindest nicht ausschließbar – die Summe der ursprünglich allein für diesen Angeklagten vorgesehenen Zahlungen erreicht worden sei; sämtliche späteren Zahlungen an die Angeklagten E und M beruhten auf einer neuen, nicht von § 12 UWG a.F. oder § 299 StGB erfassten Vereinbarung.

c) Mit dieser Bewertung lösen sich die Revisionen von den Feststellungen des Landgerichts:
aa) Der von den Revisionen in Zweifel gezogene Ausgangspunkt des Landgerichts – sämtliche gemeinschaftlich vereinbarten und schließlich geleisteten Schmiergeldzahlungen seien vom Tatbestand der Bestechung bzw. Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr umfasst und daher für die Verjährungsfrage erheblich – trifft zu. Nicht nur die vereinbarten Zahlungen an E selbst, sondern auch diejenigen an T und Wi stellen sich als „Vorteile“ für E im Sinne von § 12 UWG a.F. und § 299 StGB dar.
(1) Zahlungen an Dritte wurden – wie in §§ 331 ff. StGB a.F. – schon vor den Änderungen des Tatbestands der Angestelltenbestechlichkeit durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz vom 13. August 1997 (BGBl I S. 2038) von § 12 UWG a.F. erfasst, wenn sie dem bestochenen Angestellten oder Beauftragten mittelbar zugute kamen (von Gamm, Wettbewerbsrecht 5. Aufl. Kap. 47 Rdn. 12; vgl. auch BGHSt 14, 123, 128; 33, 336, 339; 35, 128, 133; jeweils zu §§ 331 ff. StGB a.F.). Für die Frage, ob bei einer Drittzuwendung ein solcher Vorteil vorliegt, kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an, wobei dem persönlichen Interesse des Bestochenen entscheidende Bedeutung zukommt (vgl. BGHSt 33, 336, 339 f.). Mit Einfügung der Worte „für sich oder einen Dritten“ in § 299 Abs. 1 StGB bzw. „für diesen oder einen Dritten“ in § 299 Abs. 2 StGB (sowie entsprechend in §§ 331 ff.
StGB) wurde nach dem Willen des Gesetzgebers im Wesentlichen lediglich eine Klarstellung erstrebt, aber keine Änderung des bisherigen Rechtszustands (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drucks. 13/5584 S. 15 f.; Tiedemann in LK 11. Aufl. § 299 Rdn. 25).
(2) Nach diesen Kriterien waren auch sämtliche gemeinsam vereinbarten Zahlungen an T (und auch an Wi ) mittelbar für E von Vorteil: Nur durch die Einbeziehung des an maßgeblichen Stellen in entscheidender Position tätigen T (stellvertretender Vorsitzender des AVG-Aufsichtsrats und Geschäftsführer der Mitgesellschafterin) konnte sichergestellt werden, dass es zu dem von E gewünschten und für den Empfang seines Schmiergeldanteils notwendigen Vertragsschluss zwischen der AVG und der LCS kommt; nur seine Beteiligung ermöglichte zudem die notwendige verdeckte Zahlungsabwicklung über die Schweiz. Die verabredeten Zahlungen an T gereichten E also selbst zum Vorteil, weil sie notwendige Voraussetzung des Geldflusses an ihn selbst waren. Für die Beteiligung Wi s als in der SPD einflussreicher „Strippenzieher“ sowie Mitinitiator und -organisator der Schmiergeldabrede, dessen Einbindung aus Sicht E s Grundvoraussetzung für deren Durchführung war, gilt – zumal ein mittelbarer Vorteil ausreichte – nichts anderes. Im Übrigen käme es auf Wi s Beteiligung für die Frage der Verjährung angesichts der festgestellten höchstmöglichen Zuflüsse von Schmiergeldern bei E nicht einmal an.
Zudem hatte E – mit Ausnahme von 4 Mio. DM, die zu Anfang direkt an T und Wi überreicht wurden – zunächst jeweils persönlich die Verfügungsmöglichkeit über sämtliche aus der Schweiz weitergegebene Schmiergelder erhalten (vgl. hierzu BGHSt 35, 128, 134 f.). Da bei § 12 UWG a.F. und bei § 299 StGB jeweils auf die gesamte vereinbarte Schmiergeldsumme abzustellen ist, konnte die Verjährung erst mit der letzten in diesem Rahmen geflossenen Zahlung beginnen; dies war die Zahlung an E im Frühjahr 1999.
bb) Die ursprüngliche Schmiergeldvereinbarung – Zahlung von insgesamt 3 % der Auftragssumme in drei Zeitabschnitten – ist auch nicht durch eine spätere Zahlungsvereinbarung ersetzt worden. Ursprung des Zahlungsflusses blieb bis zum Frühjahr 1999 die Abrede vom Herbst 1993. Das zwischenzeitliche Ausscheiden von Wi und T aus dem Kreis der Zahlungsempfänger hatte lediglich eine Veränderung der Zahlungsströme zur Folge. Die bloße Änderung der Richtung des Zahlungsflusses ist jedoch nicht derart wesentlich, dass hierin eine gänzlich neue, die Ursprungsvereinbarung ersetzende Vereinbarung gesehen werden muss, weil damit nicht das „Ob“, sondern nur das „Wie“ der Zahlung modifiziert wurde. Ein solches bloßes Umleiten von Geldern führt auch nicht zu einem für den Verjährungsbeginn entscheidenden Abschluss des rechtsverneinenden Handelns.
cc) Zudem ist für den Verjährungsbeginn nicht allein auf die vereinbarten Beträge, sondern gleichermaßen auf den vereinbarten Zahlungszeitraum abzustellen. Nach dem gemeinsam verabredeten Zahlungsplan sollte die Zahlung des Schmiergelds an E , T und den gesondert verfolgten Wi zu gleichen Teilen in drei Zahlungsabschnitten entsprechend dem Baufortschritt erfolgen. Tatsächlich hat der Angeklagte E nach den Feststellungen des Landgerichts den vereinbarten Bestechungslohn im Wesentlichen entsprechend dieser Fälligkeitsabrede erhalten, nämlich einen ersten Teil 1994 nach Abschluss des Vertrages, weitere Beträge nach Beginn der Bauarbeiten sowie den Rest nach deren Ende. Damit wurde die Schmiergeldabrede in dem Zeitrahmen erfüllt, den die Beteiligten vereinbart hatten. Dass der Angeklagte E über seinen ursprünglich vereinbarten Anteil hinaus aufgrund des Ausscheidens von Wi und T als Zahlungsempfänger nicht ausschließbar bereits in den Jahren bis 1996 mehr Geld erhalten hatte, als ihm eigentlich zu diesem Zeitpunkt zufließen sollte, ist demgegenüber unbeachtlich, da jedenfalls die Zahlungen in den Jahren 1998 und 1999 dem ursprünglich vereinbarten Zahlungsplan entsprachen, wonach die letzte Zahlung nach Beendigung der Bauarbeiten erfolgen sollte.
3. Der Freispruch des Angeklagten R und der Teilfreispruch des Angeklagten M vom Vorwurf der Steuerhinterziehung haben Bestand.
In beiden Fällen war einziges Beweismittel für den Vorwurf, den Angeklagten seien in unverjährter Zeit erhebliche Geldbeträge zugeflossen, die sie nicht versteuert hätten, die belastende Aussage des Mitangeklagten E . Dass sich das Landgericht allein auf dieser Grundlage keine für eine Verurteilung hinreichende Überzeugung vom Geldzufluss hat bilden können, ist aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

a) Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.: vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; BGH NStZ 2000, 48; BGH wistra 2002, 260, 261). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben , dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11, 24). Weitergehende zum Schutz des Angeklagten aufgestellte besonders strikte Anforderungen an die Begründung der Beweiswürdigung in der Situation „Aussage gegen Aussage“ (BGHSt 44, 153, 158 f.; 44, 256, 257) gelten zwar – wie die Revision des Angeklagten M zutreffend hervorgehoben hat – grundsätzlich unmittelbar nur in Verurteilungsfällen. Gleichwohl kann das Bedürfnis nach vollständiger , nachprüfbarer Beweiswürdigung in Fällen gleich karger und widersprüchlicher Beweisgrundlage in ähnlicher Weise auch dann zum Tragen
kommen, wenn ein Angeklagter freigesprochen wird, weil sich das Gericht von der Richtigkeit der belastenden Aussage eines Zeugen nicht überzeugen kann (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 174, 175).

b) Den genannten Anforderungen genügt die Darstellung der Beweiswürdigung durch das Landgericht, soweit es sich keine hinreichende Überzeugung von der Richtigkeit der belastenden Angaben des Angeklagten E zu den von den Mitangeklagten bestrittenen Schmiergeldweitergaben gebildet hat, gerade noch.
Folgende Umstände waren aus Sicht des Landgerichts maßgebend: E hat die Mitangeklagten erstmals in Zusammenhang mit Gesprächen über einen Strafnachlass belastet; er hatte ein gewichtiges Motiv, den bei ihm verbliebenen Anteil des Schmiergeldes möglichst gering darzustellen , und hatte im Verlauf der Ermittlungen auch anderweitig versucht, sich durch unrichtige Angaben Teile der Tatbeute zu sichern; seine – zudem eher farblosen – Angaben zur zeitlichen Einordnung und zu Begleitumständen im Zusammenhang mit mehreren Geldübergaben waren uneinheitlich.
Den genannten Umständen hat das Landgericht sämtliche für die Glaubhaftigkeit der Angaben E s sprechenden Tatsachen gegenübergestellt , insbesondere dass andere Angaben E s in der Hauptverhandlung ihre Bestätigung gefunden haben, er maßgeblich und frühzeitig zur Aufklärung der Taten beigetragen hat und die Angaben von R und M zu diesem Vorwurf wenig überzeugend waren. Aufgrund einer Gesamtschau der für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben E sprechenden s Gesichtspunkte hat sich das Landgericht schließlich außer Stande gesehen, sich eine Überzeugung von der Richtigkeit dieser einzigen Belastungsangaben zu bilden; Anhaltspunkte für weitergehende Ermittlungsansätze waren nicht ersichtlich.
Diese tatrichterliche Wertung ist letztlich hinzunehmen. Der Revision der Staatsanwaltschaft ist allerdings zuzugeben, dass – wie der Generalbundesanwalt im Einzelnen ausgeführt hat – das Landgericht Umstände wie insbesondere die Aussagegenese und den Inhalt divergierender oder detailarmer Aussagen von E nicht in einer Weise dargestellt hat, wie dies in dem sonst überaus umfangreichen Urteil konsequent und wünschenswert gewesen wäre. Lediglich im Hinblick auf die umgekehrt strengen Anforderungen an eine Verurteilung in der vorliegenden besonderen Konstellation, bei der der einzige Belastungszeuge ein erhebliches Motiv für eine Falschbelastung hat und seine Aussage auch sonst Ungereimtheiten aufweist, lässt der Senat im vorliegenden Fall den Freispruch unbeanstandet.
4. Die Strafzumessung des Landgerichts weist im Ergebnis keine Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten E und M auf.

a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm obliegt es, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn der Tatrichter gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängten Strafen nach oben oder unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 34, 345, 349; st. Rspr.).

b) Solche Rechtsfehler zeigt die Beschwerdeführerin, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, bei dem Angeklagten E nicht auf. Insbesondere durfte das Landgericht den Umstand zu seinen Gunsten berücksichtigen, dass er von der ihm zustehenden Möglichkeit, die Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 4 StPO wegen erst spä-
ter bekannt gewordenen umfangreichen Aktenmaterials zu verlangen, keinen Gebrauch gemacht und damit eine zügige Erledigung der Hauptverhandlung ermöglicht hat. Anhaltspunkte dafür, dass diesem Umstand vom Landgericht unangebracht großes Gewicht zugemessen worden wäre, bestehen nicht. Die gegen den Angeklagten E verhängten Einzelstrafen sind ebenso wenig unvertretbar milde wie die Gesamtstrafe.

c) Gleichfalls weist die Strafzumessung keinen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten M auf; dies gilt auch für die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung.
aa) Hinreichende Anhaltspunkte, dass das Landgericht, etwa nur um zu einer Strafaussetzung zur Bewährung zu gelangen, die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe unangemessen niedrig bemessen hätte, liegen nicht vor, letztlich auch nicht im Blick auf die für sich rechtsfehlerfreie Anwendung des § 41 StGB.
bb) Das Landgericht durfte im Hinblick auf zahlreiche gewichtige Strafmilderungsgründe – insbesondere Unbestraftheit, erstmalige Verbüßung von Untersuchungshaft, lange Dauer der seit der Tat vergangenen Zeit, Handeln auch im Interesse des Unternehmens, Abgabe eines Schuldanerkenntnisses über 1 Mio. DM – besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB annehmen, die die Aussetzung der zweijährigen Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung gestatteten. Die Entscheidung des Landgerichts, dass auch § 56 Abs. 3 StGB einer Strafaussetzung zur Bewährung nicht entgegenstehe, ist ebenfalls rechtlich noch hinzunehmen. Allerdings erfordern die durch Bestechung im geschäftlichen Verkehr und durch damit einhergehende Untreue hervorgerufenen erheblichen wirtschaftlichen Schäden ein nachdrückliches und energisches Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden. Doch dürfen auch bei der Ahndung solcher Taten die besonderen Umstände des Einzelfalles nicht außer Acht gelassen werden. Sie sind insbesondere in der mangelnden Tatinitiative des Angeklagten M und in seiner Kon-
frontation als Unternehmer mit ersichtlich verbreiteten skrupellosen Geschäftspraktiken bei der Konzeption von Großanlagen und dabei – sogar ungeachtet gegebener „Staatsnähe“ – bedenkenlos angebrachten Schmiergeldforderungen des von ihm gewünschten Vertragspartners zu finden. Danach kann die Entscheidung des Landgerichts nach § 56 Abs. 3 StGB noch als vertretbar angesehen werden, wenngleich eine gegenteilige Würdigung des Landgerichts rechtlich möglich gewesen wäre und im Blick auf die spätere Eigenbereicherung des Angeklagten M sogar näher gelegen hätte.
cc) In diesem Zusammenhang sieht der Senat Anlass zu folgender Anmerkung: Nach der Erfahrung des Senats kommt es bei einer Vielzahl von großen Wirtschaftsstrafverfahren dazu, dass eine dem Unrechtsgehalt schwerwiegender Korruptions- und Steuerhinterziehungsdelikte adäquate Bestrafung allein deswegen nicht erfolgen kann, weil für die gebotene Aufklärung derart komplexer Sachverhalte keine ausreichenden justiziellen Ressourcen zur Verfügung stehen. Die seit der Tat vergangene Zeit und auch die Dauer des Ermittlungs- und Strafverfahrens (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) werden in vergleichbaren Verfahren häufig zu derart bestimmenden Strafzumessungsfaktoren , dass die Verhängung mehrjähriger Freiheitsstrafen oder – wie hier – die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 3 StGB namentlich wegen des Zeitfaktors ausscheidet. Dem in § 56 Abs. 3 StGB zum Ausdruck gekommenen Anliegen des Gesetzgebers, das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts vor einer Erschütterung durch unangemessen milde Sanktionen zu bewahren, kann im Bereich des überwiegend tatsächlich und rechtlich schwierigen Wirtschaftsund Steuerstrafrechts nach Eindruck des Senats nur durch eine spürbare Stärkung der Justiz in diesem Bereich Rechnung getragen werden. Nur auf diese Weise – nicht durch bloße Gesetzesverschärfungen – wird es möglich sein, dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren entgegenzutreten und dem berechtigten besonderen öffentlichen Inte-
resse an einer effektiven Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschaftskriminalität gerecht zu werden.
5. Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz gegen die Verfallsbeteiligte abgesehen; der Senat geht mit dem Generalbundesanwalt davon aus, dass die Staatsanwaltschaft insoweit ihre Revision auf das Fehlen einer entsprechenden Nebenentscheidung gegenüber der Verfallsbeteiligten beschränkt hat, zumal das Absehen von der Anordnung des Verfalls bei den Angeklagten E und M im Hinblick auf § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB keinen Bedenken begegnet.

a) Zutreffend hat der Generalbundesanwalt allerdings darauf hingewiesen , dass das Landgericht das „Erlangte“ im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a Satz 1 StGB nicht hinreichend genau bestimmt hat; entgegen der – insoweit vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen – Auffassung der Staatsanwaltschaft ist das Erlangte aber auch nicht der für den Bau der RMVA vereinbarte Werklohn in Höhe von 792 Mio. DM. Durch Bestechung (im geschäftlichen Verkehr) erlangt im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB ist bei der korruptiven Manipulation einer Auftragsvergabe nicht der vereinbarte Preis, sondern der gesamte wirtschaftliche Wert des Auftrags im Zeitpunkt des Vertragsschlusses; dieser umfasst den kalkulierten Gewinn und etwaige weitere, gegebenenfalls nach § 73b StGB zu schätzende wirtschaftliche Vorteile.
aa) „Aus der Tat erlangt“ im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB sind alle Vermögenswerte, die dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zufließen (BGH NStZ 2001, 155, 156); „für die Tat erlangt“ im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB sind dagegen Vermögenswerte, die dem Täter als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, aber – wie etwa ein Lohn für die Tatbegehung – nicht auf der Tatbestandsverwirklichung selbst beruhen
(vgl. BGHR StGB § 73 Erlangtes 4). Für die Bestimmung desjenigen, was der Täter in diesem Sinne aus einer Tat oder für sie erlangt hat, ist das Bruttoprinzip unerheblich. Erst wenn feststeht, worin der erlangte Vorteil des Täters besteht, besagt dieses Prinzip, dass bei der Bemessung der Höhe des Erlangten gewinnmindernde Abzüge unberücksichtigt bleiben müssen (vgl. BGHSt 47, 260, 269). Zudem muss die Abschöpfung spiegelbildlich dem Vermögensvorteil entsprechen, den der Täter gerade aus der Tat gezogen hat; dies setzt eine Unmittelbarkeitsbeziehung zwischen Tat und Vorteil voraus (vgl. BGHSt 45, 235, 247 f.; 47, 260, 269; Schmidt in LK 11. Aufl. § 73 Rdn. 17; Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 73 Rdn. 16; jeweils m.w.N.).
bb) Unmittelbar aus einer Bestechung (im geschäftlichen Verkehr) erlangt ein Werkunternehmer im Rahmen korruptiver Manipulation bei der Auftragsvergabe lediglich die Auftragserteilung – also den Vertragsschluss – selbst, nicht hingegen den vereinbarten Werklohn (vgl. Sedemund DB 2003, 323, 325 ff.; a. A. OLG Köln ZIP 2004, 2013; OLG Thüringen wistra 2005, 114). Bei der Auftragserlangung durch Bestechung (im geschäftlichen Verkehr ) führt die „Tat“ als solche unmittelbar nur zu dem Vorteil des schuldrechtlichen Vertragsschlusses; die Vorteile aus der Ausführung des Auftrags wären hingegen nicht mehr unmittelbar aus der „Tat“ erlangt (vgl. Joecks in MünchKomm-StGB § 73 Rdn. 30). Strafrechtlich bemakelt ist lediglich die Art und Weise, wie der Auftrag erlangt ist, nicht dass er ausgeführt wird. In diesem Punkt unterscheidet sich der Fall einer Auftragserlangung durch Bestechung von verbotenen Betäubungsmittelgeschäften oder Embargoverstößen. Nur in solchen Fällen ist es deshalb gerechtfertigt, als das „Erlangte“ i. S. von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB den gesamten vereinbarten Kaufpreis anzusehen (vgl. BGH NStZ 2000, 480; BGHSt 47, 369).
cc) Der wirtschaftliche Wert des Auftrags im Zeitpunkt der Auftragserlangung bemisst sich vorrangig nach dem zu erwartenden Gewinn. Aussagekräftiges Indiz hierfür wird regelmäßig die Gewinnspanne sein, die der Auftragnehmer in die Kalkulation des Werklohns hat einfließen lassen.
tragnehmer in die Kalkulation des Werklohns hat einfließen lassen. Fehlen hierfür Anhaltspunkte, kann u. U. auch ein branchenüblicher Gewinnaufschlag Grundlage einer Schätzung (§ 73b StGB) sein. Mit dem zu erwartenden Gewinn wird in aller Regel der wirtschaftliche Wert des durch Bestechung erlangten Auftrags und damit das „Erlangte“ im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB hinreichend erfasst.
Im Einzelfall können darüber hinaus konkrete Anhaltspunkte für weitergehende wirtschaftliche Vorteile bestehen, die durch den Vertragsschluss als solchen erlangt wurden (vgl. Sedemund DB 2003, 323, 328; vgl. zum Begriff des wirtschaftlichen Vorteils auch § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG). Hierzu zählen mittelbare Vorteile wie etwa die konkrete Chance auf Abschluss von Wartungsverträgen für eine errichtete Anlage oder von sonstigen Folgegeschäften durch Aufbau einer Geschäftsbeziehung, die Chance zur Erlangung weiterer Aufträge für vergleichbare Anlagen, die Steigerung des wirtschaftlich werthaltigen „Goodwill“ eines Unternehmens durch Errichtung eines Prestigeobjekts für einen renommierten Auftraggeber, die Vermeidung von Verlusten durch Auslastung bestehender Kapazitäten oder die Verbesserung der Marktposition durch Ausschalten von Mitwettbewerbern (vgl. BayObLG wistra 1998, 199, 200; König in Göhler, OWiG 13. Aufl. § 17 Rdn. 41; Lemke /Mosbacher, OWiG 2. Aufl. § 17 Rdn. 38). Solche Vorteile hat auch das Landgericht bei der LCS durch den Vertragsschluss festgestellt (UA S. 78).
Bestehen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für derartige weitere konkrete wirtschaftliche Vorteile, kann deren Wert, wenn der konkrete Sachverhalt eine tragfähige Grundlage dafür bietet (hierzu BGHR StGB § 73b Schätzung 1, 2), nach § 73b StGB geschätzt werden. Gegebenenfalls wird sich hierfür die Hinzuziehung von Sachverständigen anbieten (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 73b Rdn. 5).
Ein tragfähiger Anhaltspunkt im Rahmen der Bestimmung eines solchen über den kalkulierten Gewinn hinausgehenden Werts eines Auftrags
kann u. U. auch der Preis sein, den für die Auftragsvergabe zu zahlen der Auftragnehmer bereit ist. Wird ein Auftrag durch Bestechung (im geschäftlichen Verkehr) erlangt, wird die Bestechungssumme allerdings nur dann ein aussagekräftiges Indiz für eine Art „Marktpreis“ der Auftragsvergabe jenseits des kalkulierten Gewinns sein, wenn der Auftragnehmer selbst die Bestechungssumme aufbringt und nicht – wie hier – in korruptivem Zusammenwirken mit den Verantwortlichen des Auftraggebers der Auftragssumme aufschlägt , so dass sie aus seiner Sicht einen bloßen Durchlaufposten bildet.
dd) Ist der Wert des durch Bestechung erlangten Auftrags im Zeitpunkt der Auftragsvergabe auf diese Weise – ggf. mit sachverständiger Hilfe und mittels Schätzung nach § 73b StGB – ermittelt worden, folgt aus dem Bruttoprinzip , dass etwaige für den Vertragsschluss getätigte Aufwendungen (wie insbesondere eine vom Auftragnehmer gezahlte Bestechungssumme) nicht weiter in Abzug gebracht, sondern allenfalls im Rahmen von § 73c StGB berücksichtigt werden können.

b) Der Anordnung des Verfalls steht – entgegen der Auffassung der Verfallsbeteiligten – nicht bereits grundsätzlich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Verfallsbeteiligten unter dem Gesichtspunkt eines vorrangigen Schutzes der Geschädigten in der Insolvenz entgegen. Die Vorschrift des § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO betrifft lediglich die Frage, wie ein angeordneter Verfall rangmäßig im Insolvenzverfahren zu behandeln ist (vgl. OLG Schleswig wistra 2001, 312, 313). Anders als nach § 240 ZPO kommt auch eine Unterbrechung des Strafverfahrens insoweit nicht in Betracht , weil die Anordnung des Verfalls als strafrechtliche Nebenfolge dem strafrichterlichen Erkenntnis vorbehalten bleiben muss. Ansprüche der Geschädigten werden im Rahmen von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB hinreichend berücksichtigt.

c) Auch wenn das Landgericht den Umfang des Erlangten nicht in der vorbeschriebenen Weise ermittelt, sondern letztlich eher unbestimmt gelas-
sen hat, was es genau als das „Erlangte“ in diesem Sinne ansieht, hat es doch zumindest im Ergebnis zu Recht von einer Anordnung des Verfalls von Wertersatz bei der Verfallsbeteiligten nach § 73c Abs. 1 StGB abgesehen.
aa) Schadensersatzansprüche der AVG stehen nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB einer Verfallsentscheidung zu Lasten der Verfallsbeteiligten zumindest in der Höhe entgegen, in denen diese Ansprüche noch nicht durch Zahlungen der Angeklagten erfüllt worden sind. Ob der Wert des Auftrags im Zeitpunkt des Vertragsschlusses diese noch vorhandenen – gegebenenfalls nach § 254 BGB geminderten – Ansprüche übersteigt, kann letztlich offen bleiben.
bb) Die Voraussetzungen von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB hat das Landgericht zwar – auch in Abgrenzung zu Satz 2 – nicht hinreichend dargelegt (vgl. hierzu BGH wistra 2000, 379, 382; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 73c Rdn. 3 m.w.N.). Ergänzend hat es jedoch unter Hinweis auf § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB folgende Umstände genannt, die eine Verfallsanordnung jedenfalls unangemessen erscheinen lassen: Ein bleibender Gewinn , der Schadensersatzansprüche der AVG übersteigen würde, ist bei der LCS nicht vorhanden; letztlich ergab sich bei der endgültigen Abrechnung des Projekts im Jahr 2001 aufgrund von Gewährleistungsarbeiten ein Verlust von insgesamt 688.000 Euro (UA S. 159); zudem befindet sich die Verfallsbeteiligte in der Insolvenz.
cc) Ungeachtet der rechtlich nicht unbedenklichen Ausführungen des Landgerichts zu §§ 73 ff. StGB ist es aus Sicht des Senats im Hinblick auf § 73c Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StGB jedenfalls angemessen (vgl. § 354 Abs. 1a StPO), gegenüber der insolventen Verfallsbeteiligten, die letztlich keinen Gewinn erzielt hat und sich erheblichen Regressansprüchen gegenüber sieht, von einer Anordnung des Verfalls von Wertersatz abzusehen.

III.


Die Revisionen der Angeklagten bleiben ebenfalls erfolglos.
1. Die Verurteilungen des Angeklagten E wegen Untreue nach § 266 StGB und des Angeklagten M wegen Beihilfe zu dieser Tat begegnen keinen Bedenken.

a) Zutreffend weist die Revision des Angeklagten E allerdings zunächst darauf hin, dass die Annahme des Landgerichts, dieser Angeklagte habe mit seinem Verhalten die Missbrauchalternative des § 266 Abs. 1 StGB erfüllt, unzutreffend ist. Voraussetzung dieser Alternative ist, dass der rechtsgeschäftliche Missbrauch der Verpflichtungsbefugnis zu einer wirksamen Verpflichtung des Treugebers führt (vgl. BGH bei Holtz, MDR 1983, 92; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 266 Rdn. 20, 22 m.w.N.; Seier in Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 2004, Abschnitt V 2 Rdn. 47). Dem steht hier bereits § 138 BGB entgegen. Die Sittenwidrigkeit der kollusiven Absprache zwischen den Angeklagten E und M zur Schädigung der AVG durch Vereinbarung eines um den Schmiergeldanteil überhöhten Preises wirkt sich auch auf den Hauptvertrag aus (vgl. BGH NJW 1989, 26, 27; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 21; Seier aaO Rdn. 48; vgl. auch BGHZ 141, 357, 362 f.; BGH BB 1990, 733, 734; BGH NJW 2000, 511, 512). Zudem hat E bei dem Abschluss des um den Schmiergeldanteil überhöhten Vertrages im kollusiven Zusammenwirken mit dem Angeklagten M ersichtlich seine Vertretungsmacht zum Nachteil der AVG missbraucht (vgl. hierzu Tröndle/Fischer aaO § 266 Rdn. 22 m.w.N.; BGHZ 50, 112, 114; Bernsmann StV 2005, 576, 577).
Hieraus folgt indes unmittelbar, dass der Angeklagte E durch Abschluss des dergestalt unerkannt nichtigen Vertrages mit einem kollusiv überhöhten Auftragspreis die Treubruchalternative des § 266 Abs. 1 StGB erfüllt und der Angeklagte M zu solcher Tat Beihilfe geleistet
hat. Hierauf kann der Senat von sich aus erkennen (vgl. BGHR StGB § 266 Abs. 1 Missbrauch 2). Es ist auszuschließen, dass sich die Angeklagten gegen den tatsächlich identisch fundierten Vorwurf des Treubruchs anders als geschehen hätten verteidigen können.

b) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte E durch den Abschluss des Vertrages mit der LCS zum Gesamtpreis von 792 Mio. DM seine als Geschäftsführer gegenüber der AVG bestehende Vermögensbetreuungspflicht verletzt und hierdurch der AVG einen Vermögensnachteil in Höhe des vereinbarten Schmiergeldaufschlags zugefügt hat.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt bei der Vereinbarung von Schmiergeldzahlungen in Form eines prozentualen Preisaufschlags regelmäßig ein Nachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB vor (vgl. BGHSt 47, 295, 298 f.; 49, 317, 332 f.; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 49, insoweit in BGHSt 46, 310 nicht abgedruckt). Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, dass jedenfalls mindestens der Betrag, den der Vertragspartner für Schmiergelder aufwendet, auch in Form eines Preisnachlasses dem Geschäftsherrn des Empfängers hätte gewährt werden können (vgl. Raum in Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts 2. Aufl. S. 304 m.w.N.). Bei der Auftragserlangung durch Bestechung im geschäftlichen Verkehr bildet deshalb der auf den Preis aufgeschlagene Betrag, der lediglich der Finanzierung des Schmiergelds dient, regelmäßig die Mindestsumme des beim Auftraggeber entstandenen Vermögensnachteils im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB.
bb) Die Vermögensbetreuungspflicht gebietet in diesen Fällen, dass der Treupflichtige die Möglichkeit des vorteilhaften Vertragsschlusses im Interesse des betreuten Vermögens nutzt und den Vertrag zu dem günstigeren Preis abschließt (BGH wistra 1984, 109, 110; 1989, 224, 225). Zumeist liegt auf der Hand, dass das Geschäft auch für einen um den aufgeschlagenen
Schmiergeldanteil verminderten Preis abgeschlossen worden wäre, wenn das Schmiergeld – wie hier – einen bloßen Durchlaufposten darstellt (vgl. BGH wistra 1983, 118, 119; 1986, 67; 2001, 295, 296). Inwieweit andere Anbieter noch teurere Angebote eingereicht haben, bleibt demgegenüber unerheblich (vgl. BGH wistra 2001, 295, 296).
Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt in diesem Fall im aktiven Tun, nämlich im Abschluss des um den Schmiergeldanteil überteuerten Vertrages und in der damit einhergehenden Verlagerung der Schmiergeldzahlungen zugunsten des Geschäftsführers auf die vertretene Gesellschaft durch Vereinbarung entsprechend überhöhter Zahlungsverpflichtungen mit Dritten (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 266 Rdn. 38a m.w.N.). Der Abschluss des überteuerten Vertrages hindert gleichzeitig den Abschluss eines um den Schmiergeldanteil verminderten günstigeren. Zudem steht der eingegangenen Zahlungsverpflichtung in Höhe des vereinbarten Schmiergelds keinerlei Gegenleistung gegenüber. Nach anderer, aber gleichgerichteter Betrachtungsweise ist der Unrechtsschwerpunkt in der bewussten Verhandlung mit einem sachlich nicht gerechtfertigten Verteuerungsfaktor zu finden, der dem Geschäftsführer zu Unrecht einen von der vertretenen Gesellschaft nicht genehmigten, über seine Vergütung hinausgehenden wirtschaftlichen Vorteil verschaffen soll (vgl. auch BGHSt 49, 317, 333 ff.).
cc) Nach den Feststellungen des Landgerichts war in der vereinbarten Auftragssumme von 792 Mio. DM ein Schmiergeldanteil in Höhe von rund 24 Mio. DM enthalten. Dieser Anteil sollte als bloßer Durchlaufposten nicht der LCS, sondern auf Kosten der AVG allein den an der Schmiergeldabrede Beteiligten zukommen. Der vom Landgericht gezogene Schluss, die LCS wäre bereit gewesen, den Vertrag auch zu einem um diesen Schmiergeldanteil verminderten Betrag abzuschließen, ist nicht nur nachvollziehbar, sondern vielmehr naheliegend.
dd) Demgegenüber verfängt der Einwand der Revision nicht, der Angeklagte E habe ein solches Geschäft zum verminderten Preis überhaupt nicht abschließen dürfen, weil dieses durch die vorangegangene Vergabemanipulation nach wie vor wettbewerbswidrig gewesen wäre; vom Treupflichtigen könne nicht der Abschluss verbotener oder wettbewerbswidriger Geschäfte verlangt werden (vgl. Bernsmann StV 2005, 576, 578).
Nachdem sich E für den Zuschlag an die LCS entschlossen hatte, bestand die Alternative lediglich in dem Abschluss des Vertrages zum Preis von 792 Mio. DM oder zu einem um mehr als 24 Mio. DM verminderten Preis. Seine Vermögensbetreuungspflicht gebot E in dieser Situation den Abschluss zum geringeren statt zum höheren Preis. Da es für den Vorwurf der Untreue entscheidend auf den Vertragsschluss zu einem um den Schmiergeldanteil überhöhten Preis ankommt, sind die von der Revision angeführten Alternativszenarien ohne Bedeutung.
ee) Das Landgericht geht auch zutreffend von einem Nachteilsumfang in Höhe von rund 24 Mio. DM aus.
Die Berechnung des im vereinbarten Preis enthaltenen Schmiergeldanteils (3 % Aufschlag bei einem Teil der Lose, zusätzliche Anhebung beim Los Abgasbehandlung um 20 Mio. DM) ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht ist zudem richtigerweise davon ausgegangen, dass Vorteile, die der Angeklagte E durch besonders nachdrückliche und geschickte Verhandlungen bei der Preisgestaltung erreicht hat oder die zur Ermöglichung einer Vergabe des Auftrags an die LCS notwendig waren, nicht gegengerechnet werden können (treffend UA S. 309, 317). Dies gilt insbesondere für die Absenkung des Preises beim Los Bauteil um 9 Mio. DM im Rahmen der Vergabemanipulation. Denn es kommt allein darauf an, ob – was das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat – der Angeklagte M letztendlich bereit war, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Vertrag auch ohne den Schmiergeldanteil abzuschließen oder nicht. Es kann deshalb da-
hinstehen, ob der abweichende Ansatz der Verteidigung auch im Blick auf die zur Schmiergeldfinanzierung überhöhte Kalkulation des Gesamtpreises im ersten Angebot der LCS verfehlt ist. Selbst wenn man vom festgestellten Nachteilsumfang einen für Wi ursprünglich vorgesehenen Provisionsanteil in Höhe von 0,5 % der Auftragssumme abziehen würde, wäre dies angesichts des verbleibenden Nachteilumfangs in Höhe von etwa 20 Mio. DM letztlich unerheblich; auch ein solcher Nachteil rechtfertigt ohne weiteres die für die Untreue bzw. die Beihilfe hierzu verhängten Einzelfreiheitsstrafen (vgl. § 354 Abs. 1a StPO).
2. Der Schuldspruch wegen – wie ausgeführt, nicht verjährter – Bestechlichkeit bzw. Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§§ 299, 300 Nr. 1 StGB) ist rechtsfehlerfrei. Auch die Bestimmung der Konkurrenzverhältnisse zur Untreue bzw. Beihilfe dazu hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.
Zutreffend ist das Landgericht bezüglich der Untreue und der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr bei dem Angeklagten E (a) sowie hinsichtlich der Beihilfe zur Untreue und der Bestechung im geschäftlichen Verkehr durch den Angeklagten M (b) jeweils von zwei Taten im Sinne von § 53 StGB ausgegangen.

a) Regelmäßig besteht zwischen Angestelltenbestechlichkeit und der in Aussicht gestellten „bevorzugenden Handlung“ Tatmehrheit (BGHR UWG § 12 Abs. 2 Angestelltenbestechlichkeit 1; vgl. auch BGHSt 47, 22, 25 f., zu § 332 StGB). Dies gilt auch dann, wenn die Taten auf eine einheitliche Unrechtsvereinbarung zurückgehen (vgl. BGHSt 47, 22, 26; BGH NStZ 1987, 326, 327; BGH wistra 1993, 189, 190). Denn die Vornahme der durch die Unrechtsvereinbarung verabredeten unlauteren Bevorzugung im Wettbewerb gehört nicht zum Tatbestand der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (BGH NStZ 1987, 326, 327; vgl. auch BGHSt 47, 22, 26; jeweils zu § 332 StGB).
Tateinheit ist lediglich in solchen Fällen möglich, in denen die Verwirklichung beider Tatbestände in einer Ausführungshandlung zusammentrifft (BGHSt 47, 22, 26, zu § 332 StGB). Solches hat das Landgericht nicht festgestellt. Verletzt hat der Angeklagte E seine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der AVG erst durch den Abschluss des um den Schmiergeldanteil überhöhten Vertrages; erst dadurch kam es auch zu einer schadensgleichen konkreten Vermögensgefährdung (UA S. 500). Die Unrechtsvereinbarung , mit der die Angestelltenbestechlichkeit vollendet war (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 299 Rdn. 21), gehört angesichts der Notwendigkeit zahlreicher weiterer Zwischenschritte im vorliegenden Fall nicht zum Ausführungsstadium der Untreue.
Soweit die Revision für ihre Ansicht auf die Entscheidung BGHSt 47, 22 verweist, war der dortige Fall im Tatsächlichen anders gelagert; dort ging es um die Schaffung eines eingespielten Preisabsprachesystems unter Einbindung weiterer Mitwettbewerber im Rahmen langfristiger Geschäftsbeziehungen (vgl. BGHSt 47, 22, 28), nicht – wie hier – um den Abschluss eines einzigen Vertrages. Zudem war es nach dem Inhalt der Unrechtsvereinbarung zwar naheliegend, aber nicht einmal zwingend notwendig, dass der Schmiergeldanteil durch eine Untreue zu Lasten der AVG erwirtschaftet wird. Nach den Feststellungen des Landgerichts machte sich der Angeklagte M erst nach der Unrechtsvereinbarung vom Herbst 1993 Gedanken darüber, wie dieser Betrag aufgebracht werden soll (UA S. 97). Erst als er erfuhr, dass LCS über keinen „Topf“ für solche Gelder verfügt, entschloss er sich, das verabredete Schmiergeld durch einen entsprechenden Aufschlag auf den Werklohn zu Lasten der AVG zu erwirtschaften.

b) Rechtlich vertretbar ist das Landgericht auch davon ausgegangen, dass die Bestechung im geschäftlichen Verkehr und die Beihilfe zur Untreue durch den Angeklagten M im vorliegenden Fall materiellrechtlich als zwei Taten im Sinne von § 53 StGB zu bewerten sind. Die Bestechung im geschäftlichen Verkehr war bereits mit dem Abschluss der Un-
rechtsvereinbarung im Herbst 1993 vollendet. Dagegen bestand die Beihilfe zu der vom Angeklagten E begangenen Untreue im Abschluss des um den Schmiergeldanteil überhöhten Vertrages für die von M vertretene LCS. Die Vertragsunterzeichnung durch den Angeklagten E – die eigentliche Untreuehandlung – konnte nur zu einem Vermögensnachteil bei der AVG führen, weil auch der Angeklagte M den Vertrag seinerseits für die LCS unterzeichnete. Gegenüber dieser notwendigen Mitwirkung an der eigentlichen Untreuehandlung konnten für die Beurteilung der Konkurrenzen die im Vorfeld begangenen Vorbereitungsbeiträge als nachrangig bewertet werden. Selbst wenn das Landgericht das Konkurrenzverhältnis bei dem Angeklagten M falsch beurteilt hätte, wäre im Übrigen die verhängte Gesamtstrafe angesichts des gleichbleibenden Schuldumfangs als Einzelfreiheitsstrafe angemessen (vgl. § 354 Abs. 1a StPO).
3. Die Verurteilung des Angeklagten E wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen ist rechtsfehlerfrei.

a) Bei den erhaltenen Bestechungsgeldern handelt es sich um erklärungspflichtige sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 3 EStG (vgl. BFH DStRE 2000, 1187; BFHE 191, 274; BGHR AO § 393 Abs. 1 Erklärungspflicht 4 m.w.N.). Die Kapitalerträge aus der Anlage der verschwiegenen Schmiergelder stellen erklärungspflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar. Für die Jahre 1995 bis 1998 hat der Angeklagte E solche Einkünfte in Höhe von rund 4 Mio. DM verschwiegen und hierdurch Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag in der Gesamthöhe von rund 2,2 Mio. DM hinterzogen.

b) Die Pflicht zur Abgabe einer wahrheitsgemäßen Steuererklärung war auch nicht unter dem Gesichtspunkt suspendiert, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuklagen oder sonst zur eigenen Überführung bei-
zutragen (nemo tenetur se ipsum accusare; hierzu näher Jäger NStZ 2005, 552, 556 ff. m.w.N.).
aa) Ein Steuerpflichtiger, der Einkünfte aus Bestechungsgeldern anzugeben hat, wird seiner durch § 370 AO strafbewehrten Erklärungspflicht regelmäßig bereits dadurch nachkommen können, dass er diese Einkünfte betragsmäßig offen legt und einer Einkunftsart zuordnet, ohne die genaue Einkunftsquelle zu benennen (vgl. auch BGHR AO § 393 Abs. 1 Erklärungspflicht 4). Denn diese Erklärung reicht regelmäßig zu einer Festsetzung von Einkommensteuer aus, durch die im Ergebnis eine Verkürzung von Steuern – also der von § 370 AO vorausgesetzte Taterfolg – vermieden wird. Derartige Angaben, durch die sich der Steuerpflichtige nicht selbst einer Straftat bezichtigt, sondern lediglich Einkünfte offenbart, sind ihm ohne weiteres zumutbar. Die strafrechtliche Erzwingbarkeit dieser Erklärungspflicht in dem genannten beschränkten Umfang gerät regelmäßig nicht in Konflikt mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit.
bb) Soweit nach der AO darüber hinaus Erläuterungspflichten (§§ 93 ff. AO) bestehen, die mit den in §§ 328 ff. AO genannten Zwangsmitteln durchsetzbar sind, ist der Steuerpflichtige zunächst durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) sowie das in § 393 Abs. 2 AO normierte begrenzte strafrechtliche Verwertungsverbot geschützt (vgl. BVerfGE 56, 37, 47; BGHR aaO). In dem Umfang, in dem dieser Schutz aufgrund überragender öffentlicher Interessen durch § 393 Abs. 2 Satz 2, § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO durchbrochen wird, gebietet der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit allenfalls, dass sich die erzwingbare Erklärungspflicht auf die betragsmäßige Angabe der Einkünfte als solche beschränkt und der Steuerpflichtige nicht mit Zwangsmitteln zur Abgabe weitergehender Erläuterungen zur – allein hierdurch nicht ermittelbaren – deliktischen Herkunft der Einkünfte angehalten werden kann (vgl. BGHR aaO). Nur soweit die steuerrechtliche Pflicht zur umfassenden Auskunft mit Zwangsmitteln durchsetzbar wäre, könnte ein Konflikt mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz bestehen, dass
niemand zur eigenen Überführung beitragen muss (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2005, 352, 353).
cc) Weder das allgemeine Persönlichkeitsrecht noch die Menschenwürde werden schon allein dadurch tangiert, dass ein Steuerpflichtiger zur Angabe von Einnahmen aus Straftaten verpflichtet ist (vgl. auch BVerfG – Vorprüfungsausschuss – wistra 1988, 302). Denn der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit schützt nicht vor einer Bestrafung strafbaren Verhaltens , sondern lediglich vor einer strafrechtlichen Verurteilung, die auf einem rechtlichen Zwang zur Selbstbelastung beruht (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2005, 352, 353). Die Grundrechte des Steuerpflichtigen sind jedenfalls dann gewahrt, wenn sich die Erzwingbarkeit der Erklärung nur auf die Angabe der Einnahme als solche und nicht auf deren – allein hierdurch nicht ermittelbare – deliktische Herkunft bezieht.
4. Die Strafzumessung lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erkennen. Insbesondere hat das Landgericht entgegen der Auffassung der Revision des Angeklagten E bei diesem den besonders engen Zusammenhang zwischen der Bestechlichkeit und der Steuerhinterziehung bei der Gesamtstrafbildung (vgl. hierzu BGHR AO § 393 Abs. 1 Erklärungspflicht
4) ersichtlich dadurch hinreichend berücksichtigt, dass es die verhängten Einzelfreiheitsstrafen von drei Jahren, einem Jahr und sechs Monaten, zweimal einem Jahr, neun und vier Monaten straff zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten zusammengezogen
hat; ausdrücklicher Erwähnung bedurfte dieser Gesichtspunkt im vorliegenden Fall nicht.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum
5 StR 324/07

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 4. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Dezember
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Richterin
alsVertreterinderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
alsVerteidiger,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 4. Mai 2007 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zusätzlich wegen tateinheitlicher Beihilfe zur unerlaubten Einreise verurteilt ist.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen unerlaubter Einreise nach Ausweisung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach Ausweisung“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und unter Einbeziehung von vier anderweitig verhängter Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten – nach Auflösung der diese verbindenden Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren – auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erkannt. Die Revision der Staatsanwaltschaft erstrebt mit der Sachrüge eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Todes einer zur gleichen Zeit illegal eingereisten Ausländerin. Das Rechtsmittel erzielt in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts lediglich die aus dem Urteilstenor ersichtliche geringfügige Schuldspruchkorrektur.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte, ein 26 Jahre alter arbeitsloser Diplomingenieur aus Moldawien, reiste erstmals 2003 nach Deutschland ein. Die Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt am Main verfügte am 11. April 2003 die Ausweisung des Angeklagten und drohte ihm die Abschiebung in sein Heimatland an. Dorthin kehrte der Angeklagte zurück.
4
Er beabsichtigte Anfang 2005, zusammen mit seiner damals 18jährigen Verlobten D. von Moldawien über Polen nach Deutschland zu reisen. Er beschaffte sich gegen Zahlung von 200 Euro ein polnisches Visum bei einem moldawischen Landsmann, der vor der Abfahrt des Busses nach Polen am 27. Januar 2005 in Moldawien von dem Angeklagten verlangte, die 47 Jahre alte A. mit nach Krakau zu nehmen, wo der Angeklagte die Hotelkosten für die Frau verauslagen sollte; diese würden von ihr dann nach Ankunft in ihrem erstrebten Zielland Italien erstattet werden. Der Angeklagte, der über das Ansinnen seines Landsmannes sehr ungehalten reagierte, rief bei einer Agentur an und erkundigte sich, warum „man ihm die Frau angehängt“ habe, wo er doch selbst auch nur wenig Geld dabei habe. Der Angeklagte fuhr dennoch mit A. im Bus nach Krakau, wo die Verlobte des Angeklagten am 3. Februar 2005 ebenfalls eintraf. Am nächsten Tag reisten der Angeklagte und die zwei Frauen mit dem Bus weiter nach Zgorzelec. Von dort fuhren sie in einem Taxi nach Bokatynia, von wo aus sie auf Rat des Fahrers selbständig nach Deutschland gehen wollten. A. war mit in das Taxi eingestiegen und hatte sich mit zehn Euro zu einem Drittel an den Taxikosten beteiligt. Nach einigem Suchen fanden der Angeklagte und die beiden Frauen einen passierbaren Übergang des Grenzflusses Neiße, den sie gegen Mitternacht – das Wasser reichte bis zu den Oberschenkeln – gemeinsam ohne Einreiseerlaubnisse durchquerten. Sie zogen trockene Kleidung an und liefen in Richtung des Landesinneren.
5
Bei Tagesanbruch versteckten sie sich in der Nähe der Straße von Löbau nach Zittau in einem Wald. Der Angeklagte und seine Verlobte studierten eine Landkarte. Er rief einen in der Nähe von Frankfurt am Main wohnhaften Russen an, beschrieb ihm ihren Standort und bat um Abholung aller drei Personen. Der um Hilfe ersuchte Russe fand aber ihren Standort auf seiner Landkarte nicht und unternahm bis Mitternacht trotz zahlreicher Anrufe durch den Angeklagten nichts. Auf dem Weg in die nächste Ortschaft – dort sollte, weil die Mobiltelefone nicht mehr funktionierten, von einer Telefonzelle aus weitertelefoniert werden – stürzte A. gegen Mitternacht etwa 70 bis 80 m von der Bundesstraße 78 (Löbau/Zittau) entfernt auf freiem Feld. Sie sagte, sie könne nicht mehr weiter. Der Angeklagte und D. ermutigten sie weiterzulaufen. A. entgegnete jedoch, der Angeklagte und D. seien jünger und sollten allein weitergehen. Wenn sie den Russen erreicht hätten und dieser sie abholen komme, sollten sie zu ihr zurückkommen und sie abholen.
6
Der Angeklagte und seine Verlobte ließen die Frau schließlich in der auf minus 11 Grad Celsius abgekühlten Nacht in offenem Gelände zurück. Sie verstarb wahrscheinlich gegen 3.30 Uhr an Unterkühlung. Ein Eintritt des Todes bereits kurz nach dem Weggang des Angeklagten ist denkbar. A. hatte noch versucht, einen schneebedeckten Hang hoch zu kriechen.
7
Der Angeklagte und D. suchten in dem nur wenige 100 m entfernten Oberseiferdorf ohne Erfolg eine Telefonzelle. Erschöpft und desorientiert schliefen der Angeklagte und seine Verlobte gegen 2.00 Uhr am Straßenrand ein. Sie wurden von einem Zeugen geweckt und aufgefordert, wegen der Unfallgefahr diesen Ort zu verlassen. Später ließen sie ein Polizeiauto passieren und wollten nach einer Rast an einer Bushaltestelle zu A. zurückgehen; indes fanden sie den Weg dorthin nicht mehr. Sie ließen sich dann an einer anderen Bushaltestelle nieder. Gegenüber einem Autofahrer und einem Taxifahrer erklärten sie nichts über die im freien Gelände zurückgebliebene Frau. Mehrere Polizei- und Krankenwagen ließen sie passieren.
8
Der Angeklagte und D. fuhren mit dem Bus um 9.00 Uhr nach Löbau. Von dort reisten sie mit dem Zug nach Frankfurt am Main weiter , wo sie um 21.00 Uhr eintrafen. Am Morgen des 7. Februar 2005 rief der Angeklagte erneut bei seinem russischen Bekannten an, um gemeinsam mit ihm die Geschädigte abzuholen. Dies lehnte der Angesprochene aber ab.
9
Am Abend rief der moldawische Visabeschaffer bei dem Angeklagten an, teilte mit, dass A. verstorben sei, und verlangte die Zahlung von 5.000 Euro. Der Angeklagte lehnte jede Zahlung ab. Nach weiteren fordernden, zum Teil drohenden Anrufen überredete D. den Angeklagten zu zahlen, damit es endlich Ruhe gebe. Der Angeklagte lieh sich über einen Bekannten in Moskau 2.500 Euro. Dieser Betrag wurde dem Visabeschaffer übergeben.
10
2. Das Landgericht hat sich davon überzeugt, dass der Angeklagte für sein Tätigwerden bei der Einreise der A. keinen Vermögensvorteil erhalten oder sich hat versprechen lassen. Es hat – in Übereinstimmung mit der Einschätzung eines ermittelnden Polizeibeamten – die geleisteten und versprochenen Zahlungen dahingehend gewürdigt, dass vom Angeklagten kein Schleusungslohn zurückgezahlt worden ist, sondern dass es vielmehr näher liege, dass der Visabeschaffer durch den Tod der Frau A. einen Schaden (Nichterfüllung des Anspruchs auf Schleuserlohn) erlitten und einen Ausgleich durch Erpressung des Angeklagten beabsichtigt hat. Deshalb liege kein Einschleusen im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Der Angeklagte habe auch nicht zugunsten von mehreren Ausländern gehandelt (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Auf die Verlobte des Angeklagten dürfe nicht als zweite Ausländerin abgestellt werden.
11
Das Landgericht hat schließlich eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines Verdeckungsmordes durch Unterlassen verneint, weil sich eine Garantenstellung für das Leben der Verstorbenen weder aus dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Gefahrengemeinschaft noch aus Ingerenz ergebe. Im Übrigen habe die Geschädigte auf sofortige Hilfe wirksam verzichtet.
12
3. Die Revision ist zulässig. Zwar enthalten weder die Revisionseinlegungsschrift noch die Revisionsbegründung den nach § 344 Abs. 1 StPO erforderlichen Revisionsantrag, durch den der Umfang der Urteilsanfechtung bezeichnet wird. Das Fehlen eines solchen Antrags ist aber dann unschädlich , wenn sich der Umfang der Anfechtung aus dem Inhalt der Revisionsbegründung ergibt (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 5 m.w.N.). Dies ist hier noch der Fall.
13
Zwar legen die nach Obersätzen gegliederten Angriffe gegen die Subsumtion und der Vortrag, dass „auf dieser Tatsachengrundlage zumindest ein Urteilsspruch wegen Beihilfe zur vorsätzlich unerlaubten Einreise in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Aufenthalt in Bezug auf die Geschädigte … (hätte) erfolgen müssen“, nahe, dass die getroffenen Feststellungen vom Revisionsangriff ausgenommen sind. Indes wird dem widersprechend auch die Beweiswürdigung angegriffen, weshalb der Senat den Willen der Revisionsführerin erkennt, dass diese ihr Ziel, eine Verurteilung wegen eines Kapitalverbrechens zu erreichen, auch hilfsweise unter Aufhebung der Feststellungen des landgerichtlichen Urteils erheischt. Damit ergibt sich aus der Revisionsbegründung noch ein bestimmter, nämlich der maximal mögliche Anfechtungsumfang.
14
4. Das Rechtsmittel hat lediglich Erfolg, soweit es das Landgericht unterlassen hat, die gemeinsame illegale Einreise unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass der Angeklagte durch die bloße Mitnahme der später Verstorbenen und die Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Unterkunft und Verpflegung in Krakau deren illegale Einreise gefördert hat. Dem- nach ist eine weitergehende tateinheitliche Verurteilung auch wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, § 27 Abs. 1 StGB geboten.
15
Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst (vgl. BGH NJW 2006, 1822, 1824). Im Anschluss an die Auffassung des Generalbundesanwalts ist der Senat der Überzeugung, dass die geringfügige Schuldspruchänderung keine Auswirkung auf den Strafausspruch haben kann. Die vom Landgericht gefundene Strafe ist im Sinn des hier verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NJW 2007, 2977) analog zugunsten des Angeklagten anzuwendenden § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO (vgl. BGH aaO) angemessen.
16
5. Die weitergehende Revision ist unbegründet.
17
a) Die Angriffe auf die Beweiswürdigung versagen.
18
Die Revision macht geltend, das Landgericht habe die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt und sich nicht mit einem sich aufdrängenden Alternativgeschehen auseinandergesetzt (vgl. dazu BGH NJW 2007, 384, 387), weil es unerörtert gelassen habe, dass die Geschädigte für den Fall, dass der Angeklagte die Führung der Gruppe nicht übernommen hätte, eine Einreise von Polen durch den Grenzfluss Neiße nach Deutschland unterlassen hätte. Insoweit handelt es sich aber nicht um ein sich aus den Urteilsfeststellungen aufdrängendes Alternativgeschehen, sondern eine urteilsfremde Erwägung. Das Landgericht hat sich auf Grund der Gesamtumstände der Reise fehlerfrei davon überzeugt, dass der Angeklagte die ihm aufgedrängte Mitreisende nicht „geführt“ hat, sondern dass sich die Frau den jüngeren illegal Einreisenden lediglich auf eigenes Risiko angeschlossen hat.
19
Die Würdigung der Zahlungen des Angeklagten an den unbekannt gebliebenen Schleuser ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
20
Eine lückenhafte Beweiswürdigung hinsichtlich des von A. erklärten Verzichts auf Hilfe hat sich auf das Ergebnis der Subsumtion des Landgerichts nicht ausgewirkt (siehe dazu näher sub b) dd)).
21
b) Die vom Landgericht vorgenommene rechtliche Würdigung hält der sachlichrechtlichen Prüfung stand.
22
aa) Vergeblich wendet sich die Revision gegen die Annahme des Landgerichts, dem Angeklagten sei keine Garantenstellung für das Leben der Verstorbenen aus dem Umstand erwachsen, dass die in einer Gruppe illegal eingereisten Personen in eine enge Gemeinschaftsbeziehung eingetreten sind. Die bloße Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft begründet noch keine gegenseitigen Hilfspflichten. Dafür wäre vielmehr die Übernahme einer Schutzfunktion gegenüber einem Hilfsbedürftigen aus dieser Gruppe vonnöten gewesen (vgl. BGHSt 48, 77, 91; BGH NJW 1987, 850 f.; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil Bd. 2 S. 730 Rdn. 57). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte, dem A. gegen seinen Willen von dem moldawischen Schleuser aufgedrängt worden ist, bis zu seiner Zusage, sie in die für ihn und seine Verlobte vorgesehene Abholung einzubeziehen, weder ausdrücklich noch schlüssig erklärt, er werde für ihr Wohlergehen Sorge tragen.
23
bb) Eine Übernahme einer Schutzfunktion ergibt sich auch nicht daraus , dass der Angeklagte die später Verstorbene in sein weiteres Vorgehen einbezogen und ihr die Abholung und Weiterreise nach Frankfurt am Main versprochen hat. Diese Hilfszusage geht zwar an sich über die Erfüllung der allgemeinen Hilfspflicht gemäß § 323c StGB hinaus (vgl. Roxin aaO S. 731 Rdn. 61). Die Erfüllung dieser Pflicht stand indes unter der – vom Angeklagten nicht beeinflussbaren – aufschiebenden Bedingung des Eingreifens eines weiteren Hilfswilligen, des dem Angeklagten bekannten, in Frankfurt am Main wohnhaften russischen Staatsangehörigen. Nachdem indes dieser eine Reise an die ostdeutsche Grenze abgelehnt hatte, endete die vom Angeklagten gemachte Hilfszusage. Bei dieser Sachlage konnte sich aus der einmal zugesagten Hilfe auch keine fortwirkende Pflicht zur Vornahme einer weiteren Hilfsmaßnahme ergeben (vgl. Weigend in LK 12. Aufl. § 13 Rdn. 35; Roxin aaO S. 733 Rdn. 68). Der Angeklagte blieb demnach lediglich angehalten, seine allgemeine, sich aus § 323c StGB ergebende Hilfspflicht zu erfüllen.
24
cc) Eine Garantenstellung für das Leben der Verstorbenen ergab sich für den Angeklagten auch nicht aus einem gefahrerhöhenden Vorverhalten (vgl. BGHSt 37, 106, 115; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7).
25
Zwar hat der Angeklagte durch seine Beihilfe zur illegalen Einreise der Verstorbenen ein gegen die Rechtsordnung verstoßendes Vorverhalten verwirklicht (vgl. Weigend aaO Rdn. 43 m.w.N.). Dies genügt aber zur Annahme einer Garantenstellung allein noch nicht, weil es zu vermeiden gilt, durch eine zu weite Ausdehnung der an das vorangegangene Vorverhalten anknüpfenden Handlungspflicht die von der Rechtsordnung – gemäß Art. 2 Abs. 1 GG – geschützte Handlungsfreiheit in größerem Umfang aufzuheben (vgl. NK-StGB Wohlers 2. Aufl. § 13 Rdn. 41). Zur Annahme einer Garantenstellung ist es deshalb darüber hinausgehend im Sinne einer Eingrenzung erforderlich , dass der Täter durch sein Vorverhalten über die bloße Erfolgsursächlichkeit und Pflichtwidrigkeit hinaus die nahe Gefahr für den Schadenseintritt geschaffen hat (vgl. BGHSt 37, 106, 115 f.; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Unterlassen 3), was bei der Missachtung einer Vorschrift angenommen wird, die dem Schutz des betroffenen Rechtsguts dient (vgl. BGHSt aaO; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 13 Rdn. 35a; Roxin aaO S. 770 Rdn. 171). Dazu zählt der vom Angeklagten verwirklichte Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG i.V.m. § 27 Abs. 1 StGB nicht. Aus der in der Vorschrift des § 1 Abs. 1 AufenthG niedergelegten Zweckbestimmung des Aufenthaltsgesetzes folgt, dass dieses Gesetz keine Individualrechtsgüter schützt. Der vom Angeklagten insoweit verwirklichte Gesetzesverstoß kann demnach keine Garantenstellung für das Leben der illegal eingereisten Mitreisenden begründen.
26
dd) Auch eine Strafbarkeit nach § 323c StGB ist nicht gegeben.
27
Zwar beruhen die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es einen Verzicht auf die Erfüllung der allgemeinen Hilfspflicht angenommen hat, auf einer bedenklich unvollständigen Auswertung der getroffenen Feststellungen (vgl. BGH wistra 2002, 260, 262; 2007, 18, 19 f.; 108, 109; BGH, Urteil vom 31. Januar 2007 – 5 StR 404/06 Rdn. 23 ff.; Brause NStZ 2007, 505, 507 m.w.N.). Es spricht nichts dafür – was das Landgericht letztlich voraussetzt –, dass A. , die nach Italien zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit reisen wollte, bei offensichtlicher Unmöglichkeit einer zeitnahen Rettung wegen des Risikos der Entdeckung der Begehung des eher geringfügigen Vergehens der illegalen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ihrem Leben hätte ein Ende setzen wollen. Dagegen spricht auch, dass Arbeitsmigranten sich offensichtlich eher abschieben oder wegen eines geringen Vergehens verurteilen lassen, als ihr Leben zu opfern.
28
Dieser Mangel bleibt indes jedenfalls ohne Auswirkung auf das vom Landgericht gefundene Ergebnis. Der Angeklagte war nach den fehlerfrei getroffenen Feststellungen naheliegend zur Hilfeleistung schon nicht mehr in der Lage. Er schlief ersichtlich erschöpft am Straßenrand und wurde von einem Zeugen gegen 2.00 Uhr in desorientiertem Zustand angetroffen. Jedenfalls war die ihm obliegende Hilfspflicht dadurch erloschen, weil der Tod – zugunsten des Angeklagten nicht ausschließbar – bereits kurze Zeit, nachdem der Angeklagte die Geschädigte verlassen hatte, eingetreten ist (vgl. BGHSt 32, 367, 381 m.w.N.).
29
ee) Eine Strafbarkeit wegen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist ebenfalls nicht gegeben.
30
Bei der vom Angeklagten gemeinsam mit seiner Verlobten geplanten und ausgeführten illegalen Einreise handelte der Angeklagte als Mittäter, was eine Bestrafung wegen Beihilfe (vgl. Renner, Ausländerrecht 8. Aufl. AufenthG § 96 Rdn. 5) an der nämlichen Tat ausschließt (vgl. Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 27 Rdn. 2).
Basdorf Raum Brause Schaal Jäger
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Zur Verantwortlichkeit eines im Beweissicherungsdienst tätigen
Arztes für tödlich verlaufenen Brechmitteleinsatz gegen Drogen
-Kleindealer.
BGH, Urteil vom 29. April 2010 - 5 StR 18/10
LG Bremen -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 29. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 27. und 29. April 2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Bellay
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S.
alsVerteidiger,
Rechtsanwältin M.
alsNebenklägervertreterin,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,
am 29. April 2010 für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 4. Dezember 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem als fahrlässige Tötung angeklagten Vorwurf freigesprochen, am 27. Dezember 2004 im Rahmen einer polizeilich angeordneten Exkorporation von Drogenbehältnissen durch sogenannten Brechmitteleinsatz den Tod des 35 Jahre alten, des Drogenhandels verdächtigen C. verursacht zu haben. Die dagegen gerichteten Revisionen der Nebenkläger, der Mutter und des Bruders des Verstorbenen, haben Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Dem in Kasachstan bis 1991 als Arzt ausgebildeten Angeklagten wurde im Juni 1997 in Bremen die Approbation erteilt. Nach einer Tätigkeit am dortigen Institut für Rechtsmedizin stellte ihn dessen Direktor B. ab September 2000 bei dem von diesem auf eigene Rechnung selbständig betriebenen ärztlichen Beweissicherungsdienst an, für den er im März 2001 eine detaillierte Dienstanweisung erließ. Für einen zwölfstündigen Bereitschaftsdienst erhielt der Angeklagte 100 DM brutto als Grundvergütung, zusätzlich Honorare für einzelne ärztliche Handlungen.
4
Die ganz überwiegende Mehrheit aller in Bremen vorgenommenen Exkorporationen wurde von den Mitarbeitern des Beweissicherungsdienstes ohne Zwang und ohne Einsatz einer Magensonde durchgeführt. Das Landgericht hat zugunsten des in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten unterstellt, dass dieser am 27. Dezember 2004 erstmals einen solchen zwangsweisen Eingriff vorgenommen hat.
5
b) Die Polizeibeamten K. und F. nahmen den unbestraften, aus Sierra Leone stammenden C. um 0.10 Uhr wegen des Verdachts des illegalen Kokainhandels vorläufig fest. Bevor C. auf Aufforderung der Polizeibeamten den Mund öffnete, sahen sie dessen deutliche Schluckbewegungen und gingen aufgrund kriminalistischer Erfahrung mit „Kleindealern“ von einem Verschlucken von Kokainbehältnissen aus. POK K. ordnete die sofortige Exkorporation der Drogenbehältnisse gemäß § 81a StPO an. C. verstand kaum deutsch, und auch in englischer Sprache fand eine Verständigung nur in rudimentärer Form unter Zuhilfenahme von Zeichensprache statt. Deshalb wurde C. auch nicht strafprozessual belehrt.
6
Der Angeklagte begann gegen 1.10 Uhr im Behandlungszimmer des Polizeigewahrsams mit der Vorbereitung der Exkorporation. Er gab C. zu verstehen, dass ihm Brechsirup und Wasser verabreicht werden solle, um verschluckte Drogencontainer zu Tage zu fördern. C. brachte vehement zum Ausdruck, er habe keine Drogen genommen, was der Angeklagte in den Untersuchungsbogen eintrug. Die im Stehen durchgeführte körperliche Untersuchung unter Einsatz eines Stethoskops und eines Blutdruckmessgeräts dauerte fünf Minuten und erbrachte keine Auffälligkeiten der Atmung, des Kreislaufs und der Nervensysteme. C. erklärte sich zunächst bereit, Brechmittel und Wasser eigenständig einzunehmen, tat dies jedoch nicht, nachdem ihm ein Becher mit Brechmittel gereicht worden war.
7
c) Der Angeklagte ging nunmehr entsprechend Ziffer 4 der von B. am 1. März 2001 verfassten Dienstanweisung vor, in der vermerkt war: „Weigert sich der Beschuldigte, den Sirup zu trinken, ist ihm in sitzender Position eine nasogastrale Sonde zu legen. Die richtige Lage der Sonde im Magen wird durch die Aspiration von Mageninhalt sichergestellt. Die Applikation des Emetikums und des körperwarmen Wassers erfolgt mittels Spritze über die nasogastrale Sonde. Die Magensonde darf nur gelegt werden, wenn der Beschuldigte nicht durch heftige Gegenwehr ein sachgerechtes ärztliches Vorgehen unmöglich macht. Der Arzt selbst übt keinerlei Zwang aus. Die Flüssigkeitsapplikation darf erst nach sicherer Lage der Sonde im Magen erfolgen“ (UA S. 9). Ziel war die Herbeiführung eines Erbrechens im Schwall.
8
Die Polizeibeamten fesselten C. s Füße mit einem Kabelbinder und die Arme mit Handschellen auf den Rücken und setzten ihn auf den Untersuchungsstuhl , der in einem Winkel von 70 Grad hochgestellt war. Der Angeklagte brachte sein Messgerät zur Überwachung der Vitalwerte – Sauerstoffsättigung im Blut, Blutdruck und Puls – an, legte eine Venenverweilkanüle und führte einen 70 cm langen Schlauch mit der Magensonde durch ein Nasenloch ein. C. suchte dies durch Kopfbewegungen zunächst zu verhindern , was der Polizeibeamte F. durch Drücken des Kopfes gegen die Rückenlehne unterband.
9
Der Angeklagte applizierte Brechmittel (Ipecacuanha-Sirup) durch eine Spritze in den Schlauch und anschließend sieben bis acht Spritzenfüllungen Leitungswasser, um das Erbrechen im Schwall zu provozieren. Der Brechreiz setzte gegen 1.30 Uhr ein. C. bemühte sich „nach Kräften, diesen zu unterdrücken, Erbrochenes im Mund zu behalten, wieder zu schlucken und nur das hochgewürgte Wasser durch die zusammengepressten Zähne aus- treten zu lassen, was die Polizeibeamten als ‚Filtern’ bezeichneten. Auf diese Weise gelang es C. zunächst, ein Austreten geschluckter Kokainkügelchen zu verhindern, weil – was ausweislich der Dienstanweisung ungewöhnlich war und auch von dem Angeklagten so kommentiert wurde – das Erbrechen bei ihm nicht ‚im Schwall’ auftrat. Erst nachdem C. bereits drei- bis viermal unter ‚Filtern’ erbrochen hatte, wurde letztlich doch, vermutlich durch seine Zahnlücke im Schneidezahnbereich oben links, ein etwa haselnussgroßes Kokainkügelchen herausgespült und von K. gesichert. Auch nach Einsetzen des Brechreizes fuhr der Angeklagte damit fort, über die Sonde Wasser zuzuführen. Aus Gründen, die nicht haben festgestellt werden können , rutschte die etwa 70 cm lange Sonde dabei aus der Nase und musste mindestens einmal neu gelegt werden. … Nachdem C. sich bei kontinuierlicher Wasserzufuhr durch den Angeklagten drei- oder viermal erbrochen hatte, erlahmte mit der Zeit sein Widerstand zusehends, er wurde augenscheinlich apathischer, bis er schließlich ‚nicht ansprechbar’ wirkte und jedenfalls auf Ansprachen nicht mehr reagierte. Diese Zustandsveränderung allein löste allerdings zunächst bei dem Angeklagten noch keine erkennbare Beunruhigung aus und veranlasste ihn nicht dazu, die Wasserzufuhr zu beenden“ (UA S. 15 f.).
10
Infolge C. s kontinuierlicher Bemühungen, Erbrochenes nicht nach Außen dringen zu lassen, und begünstigt durch die im Zeitablauf abnehmende Vigilanz des Betroffenen trat im Zuge der sich bei Erbrechen und Wiederverschlucken kreuzenden Flüssigkeiten Wasser in C. s Atemwege, die zu einer Verminderung der Lungenfunktion und einer Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung des Organismus führte. Der Angeklagte und die Polizeibeamten waren der Meinung, dass C. – entsprechend früher beobachtetem Verhalten von anderen aus Afrika stammenden Betroffenen – einen körperlichen Zusammenbruch bzw. eine Bewusstlosigkeit nur simulieren würde, um einen Abbruch der Maßnahme zu erreichen.
11
Gegen 1.50 Uhr, 20 Minuten nach Einsetzen des Erbrechens, verschlechterte sich der angezeigte Sauerstoffsättigungswert; er wurde schließlich von dem Kontrollgerät nicht mehr angezeigt. Der Angeklagte nahm einen Gerätedefekt an und tauschte den Fingersensor aus. Das Gerät zeigte auch danach keinen Sättigungswert an. C. wirkte weiter nicht ansprechbar und atmete schwer. Aus seinem Mund und seiner Nase trat – bei Exkorporationen ungewöhnlich – weißer Schaum aus.
12
d) Der Angeklagte reagierte auf Grund seiner Unerfahrenheit kopflos: Anstatt einen der anwesenden, über ein Telefon verfügenden Polizeibeamten damit zu beauftragen und ohne selbst Erst-Hilfe-Maßnahmen zu ergreifen, verließ er den Behandlungsraum, um von der Pforte des Gewahrsamstrakts aus den Notarzt zu alarmieren. Dies übernahm der vom Angeklagten angetroffene Wachhabende, der um 1.54 Uhr die Feuerwehr benachrichtigte.
13
Kurz nach 2.00 Uhr trafen die Rettungssanitäter Ki. und E. ein. Sie fanden C. in unverändert sitzender Stellung an Händen und Füßen gefesselt mit nach vorn überhängendem Kopf vor. Der Angeklagte teilte ihnen mit, „er habe im polizeilichen Auftrag zur Sicherung verschluckter Drogenkugeln bei dem als Drogenhändler verdächtigen C. ‚eine Magenspülung ’ durchgeführt, die ‚nicht funktioniert’ habe. Dabei habe sich die Sauerstoffsättigung verschlechtert und werde jetzt nicht mehr angezeigt, die übrigen Vitalwerte seien normal. Auch nach dem Eindruck der Sanitäter wirkte C. ‚nicht ansprechbar’. Die Rettungssanitäter veranlassten, dass C. die Handfesseln abgenommen wurden, ließen die Rückenlehne in Liegeposition absenken und brachten C. sodann in Rückenlage mit nach hinten überstrecktem Kopf, um seinen Kreislauf zu unterstützen und die Atmung zu erleichtern. Parallel dazu schlossen sie die mitgebrachte eigene Messapparatur an, ein Gerät, das ebenfalls über einen Fingersensor und an der Brust anzubringende Elektroden die Vitalwerte (pulsoxymetrische Sauerstoffsättigung , Blutdruck, Herzfrequenz, EKG) misst und einschließlich des EKG auf dem Monitor abbildet. Dabei stellte E. fest, dass C. s Hände sehr kalt waren, womit sich für ihn auch in Kenntnis der Funktionsweise der Sättigungsmessung per Pulsoxymetrie zwanglos erklärte, warum der Sauerstoffsättigungswert von dem Gerät des Angeklagten nicht mehr hatte gemessen und angezeigt werden können“ (UA S. 18 f.): Bei Engstellung der Gefäße der Finger beispielsweise infolge von Kälte oder bei vegetativ unter Schock stehenden Patienten wird wegen der Zentralisierung des Blutkreislaufs kein Messwert angezeigt. Der Sanitäter E. führte die Zustandsveränderung auf Atemprobleme zurück. Das Messgerät des Rettungswagens zeigte bis 2.06 Uhr eine Stabilisierung der Vitalparameter an.
14
„Der Angeklagte erklärte auch dem Notarzt, dem Zeugen G. , dass er im polizeilichen Auftrage zum Auffinden von verschluckten Drogenkugeln bei einem mutmaßlichen Drogenhändler ‚eine Magenspülung’ gemacht habe und dass er den Notruf abgesetzt habe, weil die Sauerstoffsättigung bedenklich abgefallen und plötzlich keine Anzeige der Sauerstoffsättigung mehr vorhanden gewesen sei. Es habe sich mittlerweile aber gezeigt, dass wohl lediglich ein Gerätefehler vorgelegen habe“ (UA S. 21).
15
Die Sanitäter berichteten dem Notarzt von den festgestellten stecknadelkopfgroßen Pupillen des C. , die auf Lichtreize keine Veränderung zeigten. Sie bewerteten dies als Drogenintoxikation, was nach zutreffender Auffassung des Notarztes bei hier infrage stehendem Kokainkonsum nicht zutreffen konnte.
16
„Gegenstand der Erörterungen mit den Sanitätern und dem Angeklagten war außerdem die Bewertung der ‚Nichtansprechbarkeit’ C. s. Hierzu wurde von dem Angeklagten ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass ‚Schwarzafrikaner’ bei Exkorporationen häufig einen solchen Zustand simulierten , sie würden sich häufig ‚tot stellen’. Dass C. sich nur verstellt haben könnte, entsprach allerdings nicht dem Eindruck des Notarztes, denn C. reagierte weiterhin nicht nur nicht auf Ansprache, sondern zeigte auch auf Schmerzreize, z. B. beim Legen eines Venenzugangs durch die Sanitä- ter, nur geringfügige Reaktionen, er gab nur unverständliche Laute von sich, wirkte andererseits nach seinem Muskeltonus und dem Gesamteindruck weder bewusstlos noch komatös, aber doch ‚eingetrübt’“ (UA S. 22).
17
e) Der Notarzt beendete seinen Einsatz. Er verneinte die Frage des Angeklagten, ob C. ins Krankenhaus müsse, und wies die Sanitäter an einzupacken. Der Angeklagte bat „unter Hinweis auf die mögliche Unzuverlässigkeit seines Gerätes den Notarzt, noch dazubleiben, da er noch die ‚Magenspülung’ machen müsse und dies nicht ohne sicher funktionierendes Gerät machen wollte; die ‚Magenspülung’ werde etwa 20 Minuten dauern“. G. erklärte sich zum Bleiben bereit, „obwohl er keinen Hehl daraus machte, dass er der zwangsweisen Exkorporationsmaßnahme ablehnend gegenüber stand und hiermit grundsätzlich nichts zu tun haben wollte“ (UA S. 23). Nach seinem Verständnis war seine Mitwirkung auf die technische Amtshilfe beschränkt, dass der Angeklagte das Monitoringgerät des Rettungsdienstes für 20 Minuten weiter nutzen konnte. G. beabsichtigte nicht, eine irgendwie geartete ärztliche Mitverantwortung für die Durchführung bzw. Fortsetzung der Exkorporation zu übernehmen. „Ohne eigene medizinische Auseinandersetzung mit möglichen Kontraindikationen nach § 81a StPO und der Dienstanweisung, die ihm als Prüfungsmaßstab im Übrigen nicht bekannt waren, erhob der Notarzt deshalb auch keine Einwände bezüglich der erklärten Absicht des Angeklagten, bei C. eine weitere Magenspülung vorzunehmen. Er beschränkte sich darauf, dem Angeklagten zu erwidern , dass er dies selbst entscheiden müsse. Dass mit einer solchen ‚Magenspülung ’ wegen der von ihm selbst konstatierten Bewusstseinseintrübung ein besonderes Aspirationsrisiko verbunden war, erkannte der Zeuge G. trotz seiner besonderen Qualifikation als Anästhesist und Notfallmediziner auch deshalb nicht, weil der Angeklagte ihm nicht erklärte, wie er diese ‚Magenspülung’ zuvor durchgeführt hatte und weiter durchzuführen gedachte, so dass der Notarzt zunächst auch nicht erfuhr, dass das Prozedere von der normalen Vorgehensweise bei medizinisch indizierten ‚Magenspü- lungen’ im eigentlichen Sinne deutlich abwich und mit anders gearteten Risiken als eine normale Magenspülung verbunden war“ (UA S. 24).
18
Während der Notarzt, vom Geschehen abgewandt, seinen Einsatzbericht schrieb, nahm der Angeklagte zwischen 2.10 Uhr und 2.15 Uhr die Zwangsexkorporation ohne die erforderliche erneute körperliche Untersuchung wieder auf. C. war nicht bewusstlos und versuchte wiederum, ein Erbrechen durch „Filtern“ zu verhindern. Seine mentale Reaktionsfähigkeit war eingeschränkt und sein Bewusstsein eingetrübt. Er hatte anfangs auch wieder Bemühungen entfaltet, die Einführung der Sonde unter anderem durch Kopfbewegungen zu verhindern. Der Zeuge F. hatte erneut den Kopf des Verdächtigen fixiert. Der Angeklagte hatte die Sonde durch die Nase gelegt und begonnen, den Magen des C. nach und nach so mit Wasser zu überfüllen, dass ein weiterer Brechreiz ausgelöst würde. „Dabei wurde der Notarzt erstmals darauf aufmerksam, dass die vermeintliche ‚Magenspülung ’ von dem Angeklagten in für ihn ungewöhnlicher Weise erfolgte. Angesichts der Wassermengen, die der Angeklagte sukzessive in den Schlauch füllte, ohne dieses sogleich wieder abzulassen, fragte er den Angeklagten, ob er denn nicht das Wasser auch wieder ablassen wolle. Der Angeklagte erklärte ihm daraufhin, dass im Gegenteil bei dieser Form der Exkorporation der Magen routinemäßig bis zum Einsetzen des Erbrechens mit Wasser aufgefüllt werde. Dabei handele es sich für Exkorporationen um eine Standardmethode , die er schon häufig praktiziert habe“ (UA S. 27). „Nachdem der Angeklagte in dieser zweiten Phase der Exkorporation ein erstes Erbrechen erreicht hatte, bei dem ein [zweites] Kügelchen gesichert wurde, vergewisserte er sich noch mindestens einmal bei dem Notarzt, ob er weitermachen könne, was dieser mehr oder weniger achselzuckend, aber ohne Widerspruch zu erheben, bejahte, zumal die abgesprochene Wartezeit von rund 20 Minuten noch nicht erreicht war. Dementsprechend setzte der Angeklagte die Prozedur des Eingebens von Wasser durch die Sonde fort und es kam auch zunächst zu einem weiteren Erbrechen, bei dem ein drittes Kügelchen gesichert wurde. Mit der Zeit ermattete C. jedoch, er fiel erneut in Passi- vität und Lethargie und zeigte schließlich keine Reaktionen mehr auf das Geschehen. Parallel dazu nahm auch der Brechreiz merklich ab und verebbte schließlich. Dies veranlasste den Angeklagten dazu, den Brechreiz durch eine mechanische Einwirkung im Rachenraum auslösen zu wollen“ (UA S. 28). Hierzu bediente er sich zunächst der Kehrseite einer Pinzette, dann eines Holzspatels, den der Rettungssanitäter Ki. aus dem Rettungswagen geholt hatte. Bei einem hiermit ausgelösten weiteren Erbrechen wurde ein viertes Kügelchen nach Öffnen der zusammengepressten Kiefer sichergestellt. Der Sauerstoffsättigungswert war nicht durchgängig geprüft worden; zudem war dessen Anzeige wegen Zerbrechens des Fingersensors ausgefallen. Der akustische Alarm des Geräts war aus ungeklärten Gründen ausgeschaltet. Wenige Minuten später fiel C. ins Koma, aus dem er nicht mehr gerettet werden konnte.
19
f) Er verstarb an „cerebraler Hypoxie als Folge von Ertrinken nach Aspiration bei forciertem Erbrechen“ (UA S. 35) am 7. Januar 2005 in der Intensivstation des Krankenhauses. Eine nicht erkannte Herzvorschädigung trug allenfalls zu einer Aggravierung und Beschleunigung des hypoxischen Geschehens bei. C. hatte insgesamt fünf Kügelchen Kokain zu einem Handelswert von je 20 € verschluckt, ohne Kokain konsumiert zu haben. Die vier gesicherten Kügelchen wogen 402 mg und wiesen einen Wirkstoffanteil von 33 % aus. Das fünfte wurde während der Obduktion im Magen festgestellt.
20
g) Das Landgericht ist zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen , dass dieser hinsichtlich der Einbindung des Notarztes einem Missverständnis unterlag und er sich für den Fall der Fortsetzung der Maßnahme des ärztlichen Rückhalts des Notarztes versichert hatte.
21
h) Die Strafkammer ist von einem rechtmäßigen Eingriff gemäß § 81a Abs. 1 StPO ausgegangen und hat zahlreiche Verstöße des Angeklagten gegen ihm obliegende ärztliche Sorgfaltspflichten festgestellt: Unzureichende Anamnese und Untersuchung zu Beginn der Exkorporation, Eindringenlas- sen von Spülwasser in die Atemwege C. s, infolge vorurteilsgeleiteter und auf nicht ausreichender Gerätekunde beruhender Nichterkennung der Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung durch herabgesetzte Ventilationsfähigkeit der Lunge. Diese seien für den Tod aber genauso wenig ursächlich gewesen , wie die unangemessene Behandlung C. s infolge Missachtung einfachster Notfallmaßnahmen bis zum Eintreffen der Rettungssanitäter. Das Landgericht hat demgegenüber die Fortsetzung der Exkorporation wegen des damit einhergehenden erhöhten Aspirationsrisikos als den Tod verursachende Pflichtverletzung erachtet. Ein erfahrener Facharzt hätte dieses Risiko aufgrund des Geschehens in der ersten Phase der Exkorporation erkannt. Bei Zweifeln darüber, ob für die weitere Exkorporation mit Störungen, Bewusstseinstrübungen und unsicheren Schutzreflexen zu rechnen war, hätte ein Arzt schon nach der Dienstanweisung die Maßnahme nicht fortsetzen dürfen. Er wäre vielmehr gehalten gewesen, das Vorliegen einer Kontraindikation zu attestieren.
22
Das Landgericht hat die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des tödlichen Erfolges für den Angeklagten verneint. Es habe davon ausgehen müssen , dass der Angeklagte mangels klinischer Ausbildung und Erfahrung mit derartigen Einsätzen überfordert gewesen sei und dass er es als ausreichende Vorkehrung habe ansehen können, sich der Einsatzbereitschaft des Notarztes und der Assistenz der Rettungssanitäter bei der Fortsetzung der Exkorporation zu vergewissern. Zum anderen sei die individuelle Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Todesfolge auch dadurch wesentlich eingeschränkt gewesen, dass die kritische Situation sich schleichend entwickelt habe und dass der entscheidende Schritt zur tödlichen, nicht reversiblen cerebralen Hypoxie wegen der nicht bekannten Herzvorschädigung innerhalb kürzester Zeit dann eingetreten sei.
23
2. Der Freispruch des Angeklagten hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dass der vom Angeklagten verantwortete und vollzogene Brechmitteleinsatz nach objektiven Maßstäben aus derzeitiger – im An- schluss an EGMR NJW 2006, 3117 geläuterter – Sicht eindeutig als Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zu werten ist, stellt das Ergebnis noch nicht in Frage; insoweit ist ihm angesichts zur Tatzeit anerkannter Rechtsprechung (OLG Bremen NStZ-RR 2000, 270; KG JR 2001, 162) ein Erlaubnistatbestandsirrtum oder ein unvermeidbarer Verbotsirrtum zuzubilligen. Im Übrigen muss es das Revisionsgericht zwar grundsätzlich hinnehmen , wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf , ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind (BGH NStZ 2009, 401, 402). Dies ist auch der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist, weil sie es unterlässt, alle in die Bewertung einzubeziehenden rechtlichen Maßstäbe zu beachten (vgl. BGH NStZ 2006, 625, 627). Solches liegt hier vor.
24
Das Landgericht hat die getroffenen Feststellungen nicht im Blick auf weitere wesentliche berufliche Sorgfaltspflichten des Angeklagten gewürdigt und ist im Hinblick auf den in Anspruch genommenen Vertrauensgrundsatz von einem unzutreffenden Maßstab aufgrund einer teils widersprüchlichen und nicht erschöpfenden Würdigung der festgestellten Umstände ausgegangen.
25
a) Wie eingangs ausgeführt, liegt ein Verstoß gegen berufliche Sorgfaltspflichten noch nicht darin, dass es der Angeklagte unterlassen hat, die Zulässigkeit der von den Polizeibeamten unter Inanspruchnahme der Eilkompetenz gemäß § 81a Abs. 1 StPO angeordneten Exkorporation unter Anwendung von Zwang entsprechend zahlreichen Veröffentlichungen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum in Zweifel zu ziehen (vgl. Kühne, Strafprozessrecht 6. Aufl. [2003] Rdn. 475; Krause in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. [2003] § 81a Rdn. 52; Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. [2001] § 81a Rdn. 22; 46. Aufl. [2003] § 81a Rdn. 22; 47. Aufl. [2004] § 81a Rdn. 22; Hackethal JR 2001, 164, 165; Zaczyk StV 2002, 125 ff.; Binder/Seemann NStZ 2002, 234, 236).

26
Der Angeklagte war als die Zwangsmaßnahme ausführender Arzt zu einer verantwortlichen Prüfung der rechtlichen Eingriffsvoraussetzungen jenseits der Beurteilung der medizinischen Risiken allenfalls in dem Maße verpflichtet , als er an einer erkennbar willkürlich angeordneten Zwangsmaßnahme nicht teilnehmen durfte (vgl. Birkholz/Kropp/Bleich/Klatt/Ritter Kriminalistik 1997, 277, 278). Diese Grenze wurde auch noch nicht allein dadurch überschritten, dass der Angeklagte nach Bergung der ersten Kokainkugel weiter gehandelt hat, obwohl nunmehr die Straftat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG – zumal bei Kenntnis der Polizeibeamten von der Anzahl der Schluckbewegungen des Verdächtigen C. – aufgeklärt war; schon deshalb lagen die Voraussetzungen für eine weitere Inanspruchnahme der Eilkompetenz offensichtlich nicht mehr vor, und die Maßnahme war ab diesem Zeitpunkt wegen leicht erkennbarer Unverhältnismäßigkeit unzulässig. Insoweit gilt freilich im Zusammenhang mit den weiteren eingetretenen Komplikationen Abweichendes (vgl. unten d).
27
b) Anders liegt es schon, soweit das Landgericht – in Konsequenz seiner Auffassung hinsichtlich einer aus Sicht des Angeklagten rechtlich zulässigen und im Grundsatz medizinisch risikofreien Zwangsmaßnahme (vgl. auch OLG Bremen NStZ-RR 2000, 270) – den Angeklagten als nicht verpflichtet angesehen hat, den Betroffenen über medizinische Risiken der Zwangsexkorporation aufzuklären. Zwar sah solches die von dem Betreiber des ärztlichen Beweissicherungsdienstes erlassene und für den Angeklagten verbindliche Dienstanweisung nicht vor. Diese Anweisung regelte die Pflichten des Angeklagten aber nicht abschließend. Die für die ärztliche Berufsausübung wesentliche Aufklärungspflicht (§ 8 BO für Ärztinnen und Ärzte des Landes Bremen vom 30. Juni 1997, ABl. S. 479) ist auch von dem Arzt zu erfüllen, der eine Zwangsmaßnahme gemäß § 81a StPO vorzunehmen hat (Kohlhaas NJW 1968, 2277, 2278), falls der Betroffene hierdurch in die Lage versetzt wird, den hinzunehmenden Eingriff schonender zu gestalten. So lag es hier.
28
Der Angeklagte ist nach den Feststellungen des Landgerichts von einem Eingriff mit medizinischen Risiken ausgegangen. Nur mit einer solchen Wertung kann in Einklang gebracht werden, dass der Angeklagte dem Betroffenen eine Venenverweilkanüle zur Infusion von Medikamenten legte, was die Annahme drohender Gesundheitsgefahren voraussetzte. Hinzu tritt, dass der Angeklagte in Erfüllung der ihm obliegenden Fortbildungspflicht (§ 4 BO; vgl. auch BGHSt 43, 306, 311) gehalten war, nach Erlass der Dienstanweisung vom 1. März 2001 erschienene Expertisen zur Kenntnis zu nehmen, die eine Exkorporation unter Zwangsanwendung als medizinisch unbeherrschbar bewertet hatten (vgl. das vom Kammergericht eingeholte und in dessen Urteil vom 8. Mai 2001 in StV 2002, 122, 123 f. dargestellte und zustimmend bewertete Sachverständigengutachten; Stellungnahme des Präsidenten der Hamburger Ärztekammer, zitiert bei Binder/Seemann NStZ 2002, 234, 236, die in Fußnote 36 mit Nachweisen die gegenteilige Auffassung von Dr. Birkholz und anderer in Kriminalistik 1997, 277, 282 als medizinische Mindermeinung bezeichnen; vgl. auch EGMR NJW 2006, 3117, 3118 zur Bewertung des medizinischen Risikos in Deutschland ab 1996). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich C. nach Kenntnisnahme medizinischer Risiken einer Exkorporation unter Zwang durch Vornahme freiwillig herbeigeführten Erbrechens entzogen hätte. Weder Verständigungsprobleme mit C. noch eine angenommene Eilsituation durften den Angeklagten veranlassen den Eingriff ohne die gebotene Aufklärung vorzunehmen (vgl. Kohlhaas NJW 1968, 2277, 2278).
29
c) Das Landgericht hat es insbesondere unterlassen, die Umstände des Eingriffs des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt eines Übernahmeverschuldens zu würdigen. Fahrlässig schuldhaftes Handeln kommt unter diesem Aspekt bei demjenigen Arzt in Betracht, der eine Tätigkeit vornimmt, obwohl er weiß (bewusste Fahrlässigkeit) oder erkennen kann (unbewusste Fahrlässigkeit), dass ihm die dafür erforderlichen Kenntnisse fehlen (BGHSt 43, 306, 311; BGH JR 1986, 248, 250; NJW 1979, 1258, 1259).
30
Hierzu hat das Landgericht zahlreiche Umstände festgestellt: Unzureichende Anamnese und Untersuchung zu Beginn der Exkorporation, unzureichende Gerätekenntnis, fehlende Grundkenntnisse über die Behandlung ohnmächtiger Patienten, vorurteilsbedingtes Unterlassen der gebotenen Untersuchung vor Fortsetzung der Exkorporation (vgl. BGHSt 3, 91, 96) unter Vernachlässigung fast jeder Dokumentation. Hinzu treten die vom Landgericht nicht gewürdigte fehlende Aufklärung und der Umstand der Vornahme einer Körperverletzung gegen Ende des Tatgeschehens durch Herbeiführung des Brechreizes mit Aspiration von Wasser mittels einer Pinzette und eines Spatels; der Angeklagte hat hierbei die aus seiner und der Sichtweise der Dienstanweisung bestehende Grenze für eine zulässige Gewaltanwendung überschritten. Bei der hiernach für erlaubt gehaltenen Methode der Exkorporation war lediglich Gewalt durch Fixierung des Betroffenen bei Einführung der Nasensonde bis zum Erbrechen erlaubt, aber keine darüber hinausgehende Gewalteinwirkung zur Auslösung des Brechreizes auf andere Weise. Solches stellt eine – durch § 81a StPO nicht mehr gerechtfertigte – Körperverletzung dar (vgl. zum Vorliegen einer Körperverletzung OLG Köln NJW 1997, 2191, 2192 m.w.N.; vgl. auch EGMR NJW 2006, 3117, 3124). Diese war schon wegen fehlender Gewalt oder Drohung im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB von Seiten des C. auch nicht etwa durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt.
31
Die Anerkennung eines Übernahmeverschuldens beruht auf der besonderen Schutzpflicht des – durch die Approbation nachgewiesen – ausgebildeten Arztes für das ihm anvertraute Rechtsgut, die Unversehrtheit der Gesundheit seiner Patienten. Einer solchen Pflicht unterliegt, weil er gemäß § 81a Abs. 1 StPO die Regeln der ärztlichen Kunst einzuhalten hat, auch ein nach dieser Vorschrift handelnder Arzt. Hierdurch bestand auch für den Angeklagten eine normativ begründete Eigenverantwortlichkeit für die Gesund- heit des vom Eingriff des Angeklagten betroffenen C. , die durch auch von Dritten zu verantwortende Überforderung des Angeklagten nicht beseitigt werden konnte.
32
Das vom Generalbundesanwalt in den Vordergrund der Betrachtung gestellte Organisationsverschulden derjenigen, die den überforderten Angeklagten auch mit der riskanten Zwangsexkorporation beauftragt hatten (vgl. hierzu UA S. 68 zur grundlegend abweichenden Regelung in Hamburg), vermag dessen Verantwortlichkeit deshalb schon im Grundsatz nicht zu beseitigen. In dem für den Erfolg ebenfalls kausale pflichtwidrige Verhalten Dritter hat sich zudem gerade das Risiko der Pflichtwidrigkeit des Angeklagten als Täter verwirklicht, weshalb zwischen dem Angeklagten und den seinen Einsatz organisierenden Dritten Nebentäterschaft gegeben ist (vgl. OLG Bamberg NStZ-RR 2008, 10, 12; Fischer, StGB 57. Aufl. § 15 Rdn. 16c).
33
Nichts anderes gilt, soweit die Verteidigung aus der Pflichtenstellung des Notarztes und dessen – freilich zum Teil widersprüchlichen und deshalb kaum als Grundlage für den Angeklagten günstige Schlussfolgerungen geeigneten – Aussagen und Verhaltensweisen eine Pflicht des Notarztes abgeleitet hat, den Angeklagten anzuweisen, die weitere Exkorporation zu unterlassen. Ein solches Versagen des Notarztes beseitigte die Schutzpflicht des Angeklagten für das Leben des C. nicht. Der Angeklagte verfügte auch bei der Fortsetzung der Exkorporation als aktiv Handelnder weiter über die Gefährdungsherrschaft (vgl. BGH NJW 2003, 2326, 2327; BGHSt 53, 55, 61 Tz. 23). Eine den Angeklagten möglicherweise entlastende Risikoübernahme (vgl. Roxin, Strafrecht AT I 4. Aufl. S. 418 Tz. 138) hat nicht stattgefunden. Der Angeklagte war nach dem Inhalt seines Anstellungsvertrages ersichtlich nicht befugt, das medizinische Risiko des von ihm vorzunehmenden Eingriffs auf einen Arzt außerhalb des Beweissicherungsdienstes zu übertragen. Der Notarzt war angesichts seines beschränkten Auftrages ebenso wenig berechtigt , dieses Risiko zu übernehmen. Er hat sich dessen auch nicht angemaßt. Das auf grundsätzliches Desinteresse gegründete Untätigbleiben des Notarztes läge auch nicht so weit außerhalb jeder Lebenserfahrung, dass der für den Angeklagten bestehende Zurechnungszusammenhang entfiele (vgl. Fischer aaO).
34
d) Darüber hinaus hat es das Landgericht unterlassen, ein Verbot der Fortsetzung der Exkorporation nach erfolgreicher Bergung des ersten Kokainkügelchens wegen Verstoßes des Angeklagten gegen das Gebot der Wahrung der Menschenwürde in Betracht zu ziehen. Das sich aus § 7 Abs. 1 BO ergebende Gebot gilt für „jede medizinische Behandlung“ und umfasst demnach auch die von Ärzten ausgeführten Zwangsmaßnahmen gemäß § 81a Abs. 1 StPO. Soweit Ärzte als Ermittlungsgehilfen zu betrachten wären, würde im Blick auf die sich wegen eines Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 3 MRK ergebenden Unzulässigkeit des Eingriffs nichts anderes gelten (vgl. Rogall NStZ 1998, 66, 68 m.w.N.; EGMR NJW 2006, 3117, 3119 bis 3121; für Zwangsexkorporationen allgemein Amelung/Wirth StV 2002, 161, 167; Dallmeyer StV 1997, 606, 609 f.; Kühne, Strafprozessrecht 7. Aufl. Rdn. 475; Zaczyk StV 2002, 125, 126).
35
Ein solcher Verstoß lag hier aufgrund der vorzunehmenden Gesamtschau der den Betroffenen C. beeinträchtigenden Umstände auf der Hand (vgl. BVerfGE 30, 1, 25 f.; EGMR aaO; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1997, 1647, 1648 und Bachmann/Püschel/Sonnen Kriminalistik 2004, 678, 680). Das Bedürfnis nach Fortsetzung der Exkorporation war nach Bergen des ersten Kokainkügelchens zum Nachweis eines vom Betroffenen begangenen Vergehens stark herabgesetzt, das Fortfahren jedenfalls unverhältnismäßig. Bereits die erste Exkorporationsphase führte zur Ohnmacht des gefesselt gebliebenen Betroffenen und beinhaltete schon ein zweites Legen der Sonde, wodurch ein Scheitern der Maßnahme indiziert gewesen ist. Hinzu tritt, dass das Ziel des Eingriffs, ein schwallartiges Erbrechen, niemals erreicht worden ist. Die Fortsetzung erfolgte 50 Minuten nach Beginn der Maßnahme, ohne die Ursache der zuvor eingetretenen Ohnmacht aufzuklären , und dauerte weitere 30 Minuten. Sie war gegen einen in seiner men- talen Reaktionsfähigkeit eingeschränkten und im Bewusstsein eingetrübten Betroffenen gerichtet, der ersichtlich keine Chance mehr hatte, durch Kooperation ein Ende der Zwangsmaßnahme herbeizuführen, die dann zudem am Schluss eine rechtswidrige Körperverletzung durch den Angeklagten umfasste. Die Verantwortung dieser Umstände lag allein beim Angeklagten. Die nach den Feststellungen des Landgerichts erfolgte Versicherung des Beistands des Notarztes erstreckte sich hierauf gerade nicht.
36
e) Soweit das Landgericht unter Heranziehung von dem ärztlichen Vertrauensgrundsatz (vgl. BGHSt 43, 306, 310 m.w.N.) zugrunde liegenden Erwägungen trotz erkennbar eigener gravierender Kompetenzmängel die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Todes durch Fortsetzung der Exkorporation verneint hat, beruht diese Schlussfolgerung zudem schon auf einer widersprüchlichen Erwägung. Der Angeklagte hat dem Notarzt schon gar nicht vertraut, nachdem er nach dessen kritischer Intervention sogar die Zuführung von Wasser nach Proklamation besseren eigenen Wissens ohne Berücksichtigung der Auffassung des Notarztes fortgesetzt hatte.
37
Die Schlussfolgerung beruht ferner – nicht anders, als bei nicht durch den Zweifelssatz gebotener Unterstellung von Sachverhalten zugunsten des Angeklagten – auf einer lückenhaften Beweisgrundlage (vgl. BGH NStZ 2009, 401, 402 m.w.N.). Das Landgericht hat festgestellte Umstände außer Betracht gelassen, die ernsthafte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der – nicht einmal ausdrücklich geäußerten – Risikoeinschätzung des Notarztes begründen (vgl. BGHSt 43, 306, 310 f.). Dieser hatte – genauso wie der Angeklagte – ebenfalls keine eigene Untersuchung des Betroffenen durchgeführt (vgl. auch BGHSt 3, 91). Während der Endphase der Exkorporation hatte zudem niemand die Sauerstoffsättigung überprüft. Gerade eine Erforschung der Ursache der ersten Ohnmacht des Betroffenen wäre hier zur Erfüllung der ärztlichen Schutzpflicht für das Leben des zu Untersuchenden unerlässlich gewesen, bevor der gleiche Eingriff mit identischen naheliegend erhöhten Gefahren hätte wiederholt werden dürfen. Abgesehen von alldem erscheinen die – eher den Notarzt als etwa den Angeklagten entlastenden – Feststellungen des Landgerichts zu einem Missverständnis zwischen beiden über die Eingriffsmethode des Angeklagten angesichts der bei einer regulären Magenspülung verwendeten ersichtlich andersartigen Gerätschaft zweifelhaft , wie die Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung näher ausgeführt hat.
38
3. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung.
39
a) Der Senat weist darauf hin, dass für die Annahme des Eintritts eines neuen Kausalverlaufs durch eine bewusste Selbstgefährdung des C. kein Raum sein dürfte. Nicht anders als in dem Fall eines illegal eingereisten Ausländers, der nicht den Freitod wählt, um der Bestrafung wegen illegaler Einreise zu entgehen (BGH StV 2008, 182, 184), dürfte auch hier nicht angenommen werden, dass der nicht vorbestrafte C. seinem Leben hätte ein Ende setzen wollen, um nicht wegen eines Vergehens des unerlaubten Handeltreibens mit 0,5 g Kokaingemisch bestraft zu werden. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass sich ein von C. bewusst eingegangenes Risiko realisiert haben könnte (vgl. BGHSt 53, 55, 60).
40
b) Der Senat verweist das Verfahren entsprechend § 355 StPO an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurück. Dies hat auch bei einer Zurückverweisung gemäß § 354 Abs. 2 StPO zu erfolgen, weil das Revisionsgericht – selbstverständlich – verpflichtet sein muss, denjenigen Spezialspruchkörper des Landgerichts mit der neuen Verhandlung der Sache zu betrauen, der nach im Revisionsverfahren gewonnenen Erkenntnissen, nach den die sachliche Zuständigkeit begründenden Vorschriften hierzu berufen ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. April 2010 – 5 StR 428/09 Tz. 25 m.w.N.; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 355 Rdn. 4).
41
Die Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer kommt gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 8 GVG in Betracht, weil sich nicht ausschließen lässt, dass nach einer Würdigung der bisher festgestellten Umstände Ergebnis einer Beweiswürdigung auch sein kann, dass der Angeklagte eine Exkorporation um jeden Preis unter vollständiger Missachtung der Belange des Betroffenen durchgeführt haben könnte, wodurch sich der Verdacht einer (vorsätzlichen) Körperverletzung mit Todesfolge ergeben kann (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; 48, 34, 37).
42
c) Angesichts dessen, dass ein etwaiger Schuldspruch gegen den Angeklagten wegen fahrlässig verursachter Todesfolge (§ 222 oder § 227 StGB) primär aus dessen Überforderung in einer gewissen Druck- und Ausnahmesituation resultierte und sich auch für ihn eher als Unglücksfall darstellen würde, wird für den Fall der Verurteilung eine milde Sanktion angezeigt sein, bei einem Schuldspruch nach § 227 StGB naheliegend unter Annahme eines minder schweren Falles und zudem eines Verbotsirrtums. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit für das inzwischen nahezu sechs Jahre zurückliegende Tatgeschehen von Organisatoren und anderen Mitwirkenden mit deutlich höherem Schuldgehalt greifbar nahe liegt.
Basdorf Brause Schaal Schneider Bellay
5 StR 140/06

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 28. September 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 26. und 28. September 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
alsbeisitzendeRichter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof S. ,
Staatsanwältin N.
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin Sa.
alsVerteidigerin,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,
am 28. September 2006 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 22. November 2005 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte von den Anklagevorwürfen eins bis zwölf freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen , vom 4. März 1999 bis 28. Dezember 2001 mit unzutreffenden Angaben in zehn Fällen – insgesamt 22 Dienstreisen betreffend – bei seiner Behörde und in zwei Fällen als Beiratsmitglied einer OHG von dieser die Erstattung von Reisekosten begehrt und dadurch einen rechtswidrigen Vermögensvorteil in Höhe von insgesamt über 5.000 DM erlangt zu haben. Die dagegen gerichtete, von der Bundesanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
2
Die Freisprechung des Angeklagten von dem Vorwurf, eine ihm sachlich nicht zustehende erhöhte Eigenheimzulage beantragt zu haben (Fall 13 der Anklage), hat die Beschwerdeführerin von ihrem Revisionsangriff ausgenommen.
3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Der Angeklagte trat 1976 als Jurist in die Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalens ein und beteiligte sich 1991 als abgeordnetes Mitglied des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen am Aufbau des Landesrechnungshofs Brandenburg in Potsdam. Am 1. März 1993 wurde er dessen Mitglied und am 1. Januar 1996 zum Vizepräsidenten ernannt. Er leitete bis zu seiner am 2. April 2003 verfügten vorläufigen Enthebung vom Dienst eine Prüfungsabteilung, der drei Prüfungsgebiete angehörten, die u. a. Grundsatzfragen der Verwaltungsorganisation, der Personalausgaben und des Steuerrechts sowie die Prüfung der Personalausgaben umfassten. Der Angeklagte nahm die Hilfe einer Mitarbeiterin in seinem Vorzimmer bei der Abrechnung seiner zahlreichen von ihm selbst angeordneten Dienstreisen nicht in Anspruch.
5
b) Der Angeklagte verband in vier Fällen Dienstreisen mit Privatreisen. Das Landgericht hat den Angeklagten nicht für verpflichtet gehalten , solches bei der Antragstellung zu offenbaren, weil nach § 2 Abs. 1 der Verordnung zu § 16 Abs. 6 BRKG der fiktive Reiseverlauf ausschlaggebend sei und eine Darlegung der konkreten Reise von dem in diesen Fällen verwendeten Formular nicht verlangt worden sei.
6
c) Das Landgericht hat zu fünf geltend gemachten Dienstreisen zum Landesrechnungshof in Düsseldorf Mitarbeiter jener Behörde als Zeugen vernommen, die bestätigten, dass der Angeklagte häufiger im Haus gewesen sei und in kollegialen Gesprächen – auch montags oder freitags – Rat und Unterstützung bei den nordrhein-westfälischen Kollegen gesucht habe.
7
Soweit Zeitangaben auf Tankbelegen die Durchführung von Dienstbesprechungen in Zweifel zögen, lasse sich eine Verlegung der Be- sprechungen auf den frühen Montagmorgen bzw. den späten Freitagnachmittag nicht ausschließen. Darüber hinaus könne nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte, der meistens erst nach mehreren Monaten die Dienstreisen abrechnete, vorsätzlich falsche Angaben gemacht habe.
8
Zu einer Reise stellt das Landgericht zwar fest, dass der Angeklagte nach dem Inhalt eines beschlagnahmten Tankbuchs die Fahrt zur angegebenen Zeit nicht mit seinem eigenen Pkw unternommen hat. Die Einlassung des Angeklagten, er habe die Reise mit einem von der Werkstatt gestellten Mietfahrzeug ausgeführt, sei jedoch nicht zu widerlegen, alternativ auch nicht die Möglichkeit, dass die Reise eine Woche vorverlegt worden sei und der Angeklagte es versäumt habe, dies in seinem privaten Kalender zu ändern.
9
d) In drei Fällen der Doppelabrechnung hat das Landgericht ein Versehen des Angeklagten nicht für ausgeschlossen gehalten.
10
e) Das Landgericht hat in acht Fällen, in denen es Indizien gegen die Richtigkeit der vom Angeklagten angegebenen Reisezeiten gefunden hat, ein betrügerisches Handeln, um den hier jeweils in Frage stehenden geringen finanziellen Vorteil eines nicht zustehenden Tagegeldes in Höhe von 10 DM zu erlangen, jedenfalls aus subjektiven Gründen ausgeschlossen.
11
f) Das Landgericht schließt in den Fällen 8 und 12, zwei Reisen zu Beiratssitzungen betreffend, einen Betrug des Angeklagten zu Lasten der A. OHG aus. Nach der Einlassung des Angeklagten ergebe sich aus der Vergütungsregelung der OHG, dass der entstandene Aufwand der Beiratsmitglieder nach steuerlichen Pauschsätzen abzugelten sei, ohne dass es auf den tatsächlichen Reiseverlauf oder etwaige Leistung Dritter ankomme. Dies folge „aus der Natur der beschlossenen Vergütungsregelung als reiner Rechtsfolgenverweisung“ (UA S. 33). Das Landgericht hält die für den Angeklagten günstigere Auslegungsvariante – pauschale Abrechnung der Reisen nach Entfernungskilometern – für denkbar und legt diese seiner Wertung zu Grunde.
12
2. Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrügen , gegen deren Zulässigkeit von der Verteidigung zu Recht Bedenken erhoben worden sind, kommt es demnach nicht mehr an.
13
a) Die Begründung des Freispruchs genügt jedenfalls in drei Fällen (3 a, 8 und 12) bereits nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung dartut, aus welchem Grund die Feststellungen nicht ausreichen. Dies hat nach der Aufgabe, welche die Urteilsgründe erfüllen sollen, so vollständig und genau zu geschehen, dass das Revisionsgericht in der Lage ist nachzuprüfen, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil teilweise nicht gerecht.
14
Im Fall 3 a hat es das Landgericht unterlassen, die objektiv falsche Angabe des Angeklagten in dessen Antrag auf Reisekostenerstattung vom 25. Mai 1999 festzustellen. Solches ist aber Voraussetzung für die weitere Prüfung, warum die Geltendmachung der unzutreffenden Tatsache keinen Betrug darstellt.
15
Bei der in den Fällen 8 und 12 vorzunehmenden Auslegung der Vergütungsregelung der A. OHG ist zwar anerkannt, dass dem Tatrichter ein Ermessensspielraum zusteht und die revisionsgerichtliche Kontrolle darauf beschränkt ist, ob ein Verstoß gegen Sprach- und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder allgemeine Auslegungsregeln vorliegt (vgl. BGH NJW 2004, 2248, 2250, insoweit in BGHSt 49, 147 nicht abgedruckt). Die danach mögliche und gebotene Kontrolle hätte aber eine aus sich heraus verständliche Darstellung der Vergütungsregelung der A. OHG erfordert. Dem- gegenüber hat sich das Landgericht auf die Wiedergabe des vom Angeklagten mitgeteilten rechtlichen Charakters der Regelung und deren rechtlicher Begründung beschränkt. Solches reicht weder als Grundlage für die vom Landgericht vorgenommene Auslegung noch für deren Prüfung durch das Revisionsgericht aus.
16
b) Auch im Übrigen hält die Beweiswürdigung des Landgerichts revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.
17
aa) Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen das Landgericht Einlassungen des Angeklagten zur Widerlegung von Belastungsindizien ohne kritische Prüfung und ohne jeden Anhaltspunkt aus dem erlangten, auch den Inhalt der Einlassungen betreffenden Beweisergebnis gefolgt ist (vgl. BGH NJW 2002, 2188, 2189; 2003, 2179 m.w.N.).
18
Die vom Angeklagten abgerechneten Dienstreisen zum Landesrechnungshof in Düsseldorf zu Beratungen mit ehemaligen Kollegen (Fälle 5 b, 7 a, 7 b, 10 b, 11 a) sind sämtlich dadurch gekennzeichnet, dass einem routinemäßigen Ablauf dieser Treffen, wie er sich aus den Reisekostenanträgen ergibt, objektive Indizien entgegenstanden. In den Fällen 5 b, 7 b, 10 b und 11 a sprechen Tankquittungen (bei 5 b und 7 b sogar aus Orten, die bei Nutzung der kürzesten Reiseroute nicht erreicht werden) gegen eine Anwesenheit des Angeklagten zu den üblichen Dienstzeiten in der Behörde. Das Landgericht hat zwar die Beweiskraft der Belastungsindizien letztlich nicht in Frage gestellt. Es hat aber, allein der Einlassung des Angeklagten folgend, diese Treffen als kurzfristig auf eher unübliche Dienstzeiten verlegt angesehen. Diese Häufung von Besonderheiten hätte mit der dazu durchgeführten Beweisaufnahme abgeglichen werden müssen. Die hierzu vernommenen Zeugen bestätigten aber lediglich, dass Besuche des Angeklagten meist nach telefonischer Kontaktaufnahme stattfanden. Ein Bezug zu den abgerechneten Reisen lässt sich aus diesen Aussagen nicht entnehmen.
19
Auch in den Fällen 6 sowie 7 a und d ist das Landgericht Einlassungen des Angeklagten ohne jede erforderliche nähere kritische Prüfung gefolgt.
20
bb) Soweit das Landgericht im Fall 9 entgegen der durch die Unterschrift des Angeklagten vom 19. April 2001 bestätigten Verantwortlichkeit (vgl. Meyer/Fricke, Reisekosten im öffentlichen Dienst 4. Aufl. [132. Lfg.] BRKG § 3 Rdn. 118) für die – in Wirklichkeit nicht durchgeführte – Rückreise von Speyer nach Potsdam am 16. März 2001 vorsätzliches Handeln des Angeklagten wegen eines Versehens im Blick auf die Gepflogenheit einer Abrechnung mit fiktiven Reisedaten verneint, kann es der Senat dahinstehen lassen, ob der Tatrichter nicht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 5 und 16). Jedenfalls hat die Beweiswürdigung wegen Lückenhaftigkeit keinen Bestand (vgl. BGH wistra 2002, 430 m.w.N.; BGH NJW 2006, 925, 928 m.w.N.). Das Landgericht hat bei der Würdigung, ob dem Angeklagten ein Versehen unterlaufen sein kann, nicht bedacht, dass nicht die objektiv wahrheitswidrigen Angaben eines – vielleicht nachlässigen – Durchschnittsbeamten zu beurteilen sind, sondern eines Spitzenbeamten , der jahrzehntelang damit befasst war, Einnahmen des Staates sicherzustellen und unnötige Ausgaben zu verhindern. Einem Beamten, der – wie der Angeklagte – im Aufspüren von Fällen der Verschwendung staatlicher Mittel geschult ist, werden aber folglich auf dem eigenen Prüfungsgebiet auch bei unrichtigen Angaben zu seinen Gunsten in weitaus geringerem Umfang Versehen unterlaufen als einem Durchschnittsbeamten.
21
Diese Erörterungslücke erfasst auch die Beweiswürdigung in sämtlichen Fällen, in denen das Landgericht dem Angeklagten Versehen zugebilligt oder letztlich vorsätzliches Handeln wegen des geringen finanziellen Vorteils ausgeschlossen hat.
22
cc) Insbesondere fehlt es bei der Prüfung der prozessentscheidenden Frage, ob der Angeklagte bewusst getäuscht oder versehentlich falsche Angaben gemacht hat, an der unerlässlichen Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände, namentlich unter Berücksichtigung der durchaus verschiedenartigen unrichtigen Angaben, aus denen Anhaltspunkte für bewusste Täuschungen herzuleiten sind (vgl. BGH NJW 2003, 2250 m.w.N.).
23
3. Die Sache bedarf demnach insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung. Der neue Tatrichter wird dabei insbesondere Folgendes zu bedenken haben:
24
a) In den Fällen 1, 2 a, b, c, 4, 5 b, 6, 7 a, 7 b, 7 d, 7 e, 7 g, 9, 10 a, 10 b, 11 a und 11 b bestehen Bedenken gegen den rechtlichen Ausgangspunkt des Landgerichts (vgl. BGH wistra 2006, 262, 263), auch wenn dies nicht betrugsrelevant sein muss. Das Landgericht hat dabei übersehen, dass in diesen Fällen ein Anspruch des Angeklagten auf Reisekostenvergütung schon deshalb zweifelhaft ist, weil der Angeklagte ohne schriftliche Genehmigung seines Dienstvorgesetzten die Vergütungsansprüche geltend gemacht hat.
25
Die nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BRKG a. F. erforderliche schriftliche Anordnung oder Genehmigung der zuständigen Behörde ist eine der Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs auf Reisekostenvergütung (Meyer/Fricke aaO [124. Lfg.] BRKG § 2 Rdn. 75). Diese Vorschrift ist auf Vergütungsanträge des Angeklagten anzuwenden. Nach § 5 Abs. 1 LRHG ist der Angeklagte Beamter auf Lebenszeit, für den gemäß § 130 LBG – mangels anderweitiger Regelungen im LRHG – die Vorschriften des Landesbeamtengesetzes anzuwenden sind. Beamte des Landes Brandenburg erhalten nach § 54 Abs. 1 Satz 1 LBG Reisekostenvergütungen in entsprechender Anwendung der für die Bundesbeamten jeweils geltenden Rechtsvorschriften. Somit ist das BRKG anzuwenden.
26
Die in § 2 Abs. 2 Satz 1 BRKG a. F. statuierten Ausnahmen greifen in den in Frage stehenden Fällen zugunsten des Angeklagten nicht ein. Das Amt des Angeklagten erfordert keine Ausnahme von dem Erfordernis einer Genehmigung. Solches kommt nur bei Behördenleitern in Betracht, die keinen Vorgesetzten haben (Meyer/Fricke aaO Rdn. 89). Dazu zählt der Angeklagte nicht. Er untersteht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 LRHG der Behördenleitung durch den Präsidenten des Landesrechnungshofs. Dieser hätte die Reisen genehmigen müssen.
27
In den hier einschlägigen Fällen, Fortbildungsreisen oder Dienstreisen, die nicht zur Erfüllung oder im Zusammenhang einer Prüfungstätigkeit nach §§ 88 ff. LHO vorgenommen worden sind, kommt eine Ausnahme nach dem Wesen der Dienstgeschäfte ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Meyer/Fricke aaO Rdn. 92). Die nach § 5 Abs. 1 Satz 2 LRHG dem Angeklagten zukommende richterliche Unabhängigkeit erfasst die hier in Frage stehenden Dienstreisen nicht. Die richterliche Unabhängigkeit bezieht sich nur auf eine Tätigkeit des Angeklagten im Rahmen der externen Finanzkontrolle (vgl. Engels in Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht [41. Lfg.] § 3 BRHG Rdn. 18). Diese Auslegung wird aus systematischer Sicht durch die Dienstreisen von Richtern betreffende Vorschrift des § 21 BRKG a. F. bestätigt. Danach sind Richter vom Erfordernis einer Genehmigung von Dienstreisen nur freigestellt in vom Gesetz näher bezeichneten Rechtsangelegenheiten (vgl. Meyer/Fricke aaO [106. Lfg.] BRKG § 21 Rdn. 8), mit denen allein Aufgaben der Rechtsprechung erfüllt werden.
28
Schließlich gehört der Angeklagte nicht zu dem Kreis von Amtsinhabern, denen – innerhalb ihres Amtsbezirks – eine allgemeine Reiseanordnung oder -genehmigung erteilt werden darf (vgl. Meyer/Fricke aaO [124. Lfg.] BRKG § 2 Rdn. 85). Der Angeklagte hat nach den Feststellungen des Landgerichts eine solche ebenfalls schriftlich zu erteilende Genehmigung nicht vorgelegt oder auch nur auf eine solche Bezug genommen.
29
Eine Abrechnung einer Dienstreise ohne Genehmigung hätte der Angeklagte im Rahmen der ihm obliegenden Prüfung von Personalausgaben bei Dritten in Ausübung seiner Berufspflichten gemäß § 90 Nr. 2 LHO als nicht ordnungsgemäß belegte Ausgaben beanstanden müssen (vgl. Nawrath in Heuer aaO [27. Lfg.] § 90 BHO Rdn. 7).
30
b) Zweifelhaft erscheint auch, ob die Verwendung eines Sammelformulars (Fälle 2 a bis c; 3 a und b; 5 a bis 7 g; 10 a bis 11 b), auf dem nur Raum für Reisebeginn, -ende und -ort vorhanden war, eine Beschränkung der dem Angeklagten obliegenden Darlegungspflichten bewirken kann (dagegen Meyer/Fricke aaO [132. Lfg.] § 3 BRKG Rdn. 116 und 118), wenn hierdurch eine hinreichende Überprüfung der Bewilligungsvoraussetzungen von vorneherein ausgeschlossen ist.
31
c) In mehreren Fällen hat das Landgericht nicht erwogen, dass der Angeklagte verpflichtet gewesen war, den Abbruch der Dienstreise vom Geschäftsort zum Dienstort durch Übergang in die Freizeit vor Erreichen des Dienstortes bei der Antragstellung mitzuteilen. Zwar waren die Reisen zum Staatlichen Rechnungsprüfungsamt Cottbus (vgl. § 15 Abs. 1 LRHG) ersichtlich der externen Finanzkontrolle zuzuordnen und demgemäß genehmigungsfrei. Im Blick darauf, dass der Angeklagte als Ausfluss seiner sachlichen Unabhängigkeit keine Dienststunden einzuhalten hatte (vgl. – wenn auch kritisch – Engels aaO Rdn. 21), bestand hier keine Verpflichtung, jeweils zur Dienststelle zurückzukehren (vgl. auch BVerwGE 82, 148). Indes hätte ein Abbruch der Dienstreise zu einer jeweils geringeren Fahrkostenerstattung und zu Wegfall oder Reduzierung der Tagegelder führen können. Ein Beamter, der sich – wie hier der Angeklagte – in die Freizeit begeben hat, nimmt nur noch eigene Interessen wahr. Es versteht sich dann aber von selbst, dass er dafür von seiner Behörde weder (fiktive) Fahrkosten noch Tagegelder in Anspruch nehmen kann.
32
d) Zur Würdigung der vom Angeklagten angezweifelten Richtigkeit der in den Tank- und Einkaufsbelegen ersichtlichen Uhrzeiten weist der Senat auf Folgendes hin: Den Beweiswert derartiger Quittungen hat der Tatrichter nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung zu beurteilen. Es erscheint indes wenig plausibel, dass – wie der Angeklagte dies vorbringt – bei einer Vielzahl von automatisiert erstellten Tank- und Einkaufsbelegen jeweils die automatisch aufgedruckte Uhrzeit falsch sein könnte. Eine derartige Häufung wäre jedenfalls in einem Maße außergewöhnlich, dass solches besonders kritischer Begründung bedürfte. Derartige automatisiert erstellte Quittungen sind immerhin regelmäßig von solcher Qualität, dass die mit Hilfe elektronischer Registrierkassen erfassten Umsätze bei für die Finanzverwaltung transparentem Einsatz der Arbeitsprogramme als Nachweis im Steuerrecht anerkannt werden (vgl. BMFSchreiben vom 9. Januar 1996 – IV A 8 - S 0310 - 5/95, BStBl I 1996, 34 f.; BMF-Schreiben vom 21. November 1994, IV B 2 - S 2145 - 165/94, BStBl I 1994, 855 f.).
33
e) Der neue Tatrichter wird insbesondere in den Fällen der Dienstreisen nach Düsseldorf auch deren Notwendigkeit in den Blick zu nehmen haben. Für die nach den bisherigen Feststellungen häufigen Reisen des Angeklagten mit dem Ziel, Sach- und Rechtsfragen mit ehemaligen Kollegen in Düsseldorf zu erörtern, ist angesichts der auch damals bestehenden guten Kommunikationsmöglichkeiten ein dienstliches Bedürfnis eher nicht zu erkennen (vgl. Meyer-Fricke aaO [121. Lfg.] BRKG § 3 Rdn. 35). Dies und die auffällige Anberaumung solcher Reisen im Zusammenhang mit privaten Aufenthalten an Wochenenden in der Nähe des Geschäftsortes wird vielmehr eine Prüfung der Frage angezeigt erscheinen lassen, ob solche Reisen nicht mit dem Ziel durchgeführt wurden, Wochenendheimreisen mit Hilfe von Dienstreisen anstatt Trennungsgeldern finanziert zu erhalten.
34
f) Die von der A. OHG gewährten Reisekostenvergütun- gen sind dem Angeklagten nicht des Amtes wegen im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 BRKG a. F. gewährt worden (vgl. Meyer-Fricke aaO [84. Lfg.] BRKG § 3 Rdn. 70 f.). Daher liegt es nahe, dass in diesem Bereich „Doppelabrechnungen“ nicht betrugsrelevant sind.
35
g) In den Fällen, in denen der Angeklagte es unterlassen hat, die Verbindung von Dienstreisen mit privaten Reisen mitzuteilen (vgl. Meyer /Fricke aaO [100. Lfg.] § 2 VO zu § 16 Abs. 6 BRKG Rdn. 53 f.), könnte eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Betrugs eher ausscheiden und zwar namentlich mangels Vermögensschadens im Blick auf die ständige Anerkennung triftiger Gründe für die Benutzung eines privaten Pkw.
36
h) Bei der erforderlichen neuen Gesamtwürdigung wird es sich für den neuen Tatrichter anbieten, gegebenenfalls auch Fälle aus rechtsverjährter Zeit heranzuziehen, aber auch den Blick auf das Gesamtbild der Antragspraxis des Angeklagten zu richten und dabei namentlich die Frage zu bedenken, ob und in welchem Umfang die Antragspraxis für ihn auch finanzielle Nachteile zur Folge hatte. Dabei kann im Hinblick auf die subjektive Tatseite auch dem Umstand Gewicht zukommen, dass der Angeklagte in einem Fall auf eine Überzahlung zu seinen Gunsten hingewiesen hat und in einem weiteren Fall auf die Erstattung von Reisekosten verzichtet haben soll. In diesem Zusammenhang wird auch zu bedenken sein, dass in einer größeren Zahl von Einzelfällen der Vermögensvorteil jeweils nur 10 DM betragen hat.
Schließlich wird auch der Frage nachzugehen sein, in welcher Weise andere Behördenmitglieder ihre Reisekosten abgerechnet haben, bzw. ob die festgestellten Unkorrektheiten beim Landesrechnungshof Brandenburg etwa üblichen Gepflogenheiten entsprochen haben.
Basdorf Gerhardt Raum Brause Schaal

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

5 StR 566/01

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 21. März 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Strafvereitelung im Amt
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
21. März 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K ,
Rechtsanwalt B
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 30. November 2000 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben, hinsichtlich der Freisprüche in den Fällen V b 1.3.8. und V c 1.5.6. der Urteilsgründe und des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Strafvereitelung im Amt in drei Fällen zu einer aus zwei Einzelfreiheitsstrafen von zehn Monaten und einer von einem Jahr und zwei Monaten gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Hinsichtlich weiterer acht gleicher Anklagevorwürfe und sechs angelasteter Vergehen der Bestechlichkeit ± in fünf Fällen in Tateinheit mit Einschleusungsdelikten ± wurde er freigesprochen. Der Angeklagte erstrebt die Aufhebung seiner Verurteilung, die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, die der Freisprüche und der Gesamtfreiheitsstrafe.

I.


Der Angeklagte, ein früherer Berufssoldat, der zunächst bei der Nationalen Volksarmee, dann bei der Bundesmarine diente, war seit Mai 1993 als Polizeibeamter in der Dienststelle des Bundesgrenzschutzes in Krippen überwiegend zur Aufklärung von Delikten nach dem Ausländergesetz eingesetzt. Ergaben Beschuldigtenvernehmungen vorläufig festgenommener Fußschleuser Anhaltspunkte für deren Auftraggeber, war der Angeklagte verpflichtet , weitere Ermittlungen zur Aufklärung der Identität dieser Hintermänner und zum Tatablauf durchzuführen und die Ergebnisse mit Strafanzeigen der Staatsanwaltschaft vorzulegen. Dies hat der Angeklagte hinsichtlich drei abschlußreifer Vorgänge in voller Kenntnis um die sich daraus ergebende Besserstellung von insgesamt sechs tatverdächtigen Hintermännern unterlassen und dadurch bewirkt, daß deren Strafverfolgung etwa knapp ein Jahr ± bis zur Verhaftung des Angeklagten am 2. März 1998 ± unterblieb.

II.


1. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos , soweit sie sich gegen die Schuldsprüche richtet. Die Feststellungen belegen die Zuständigkeit des Angeklagten zur Strafverfolgung der tatverdächtigen Hintermänner gemäû § 12 Abs. 1 Nr. 2 BGSG, §§ 161, 163 StPO und das wissentliche Liegenlassen der Vorgänge (vgl. BGHSt 15, 18, 22), was zu einer für den Tatbestand der Strafvereitelung genügenden erheblichen Verzögerung der Strafverfolgung führte (vgl. BGHSt aaO und 45, 97, 100; BGHR StGB § 258 Abs. 1 Vollendung 1).
2. Allerdings begegnen die Strafaussprüche durchgreifenden Bedenken.

a) Der Angeklagte hat sich jeweils der Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen schuldig gemacht (vgl. BGHSt 15, 18, 22; Stree in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. § 258a Rdn. 3 und 10). Dies eröffnet nach § 13 Abs. 2 StGB eine Milderungsmöglichkeit nach § 49 Abs. 1 StGB. Die Prüfung , ob eine solche Strafrahmenverschiebung in Betracht kommt (vgl. BGH NJW 2001, 3638, 3641 m.w.N.), hat das Landgericht nicht vorgenommen.

b) Der Tatrichter hat zudem den Gesichtspunkt der Generalprävention in einer den Angeklagten beschwerenden Weise berücksichtigt, indem er ausdrücklich darauf abstellt, daû wegen des besonderen Interesses der Öffentlichkeit Tat, Strafmaû und Begründung in hohem Umfang bekannt würden und “daher geeignet (seien), potentielle Täter zur Überlegung zu bringen und abzuschrecken.” Diese Erwägung beschreibt keinen zur Begründung der Generalprävention zulässigerweise verwertbaren Umstand, der auûerhalb der bei Aufstellung eines bestimmten Strafrahmens vom Gesetzgeber bereits berücksichtigten allgemeinen Abschreckung liegt. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn sich eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme
solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, oder ein besonderes Ausmaû, in dem eine Tat den Rechtsfrieden zu stören geeignet ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Generalprävention 2 bis 4, 6 und 7). Die Erwägung des Landgerichts läût dagegen besorgen, daû die Bemessung der Strafen wegen der ± durch die Öffentlichkeitswirksamkeit ± besonders günstigen Möglichkeit der Beeinflussung potentieller Täter mitbestimmt war und dadurch der Einbindung des Strafzwecks der Generalprävention in den Spielraum der schuldangemessenen Strafe nicht genügend Beachtung geschenkt wurde (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Generalprävention 8).
Die somit gebotene Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
3. Auf die Revision des Angeklagten muû auch die Strafaussetzung zur Bewährung entfallen. Das Landgericht hat von der Möglichkeit, gemäû § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB Untersuchungshaft nicht anzurechnen, keinen Gebrauch gemacht. Ist aber die Strafe ± wie hier ± infolge der Anrechnung bereits voll verbüût, scheidet eine Strafaussetzung begrifflich aus (BGHSt 31, 25, 27 ff.; BGH, Beschl. vom 8. Januar 2002 ± 3 StR 453/01). Die Strafaussetzung zur Bewährung beschwert den Angeklagten auch (BGH, Beschl. vom 25. November 1998 ± 2 StR 514/98).

III.


1. Der Revision der Staatsanwaltschaft bleibt mit ihren formellen Rügen der Erfolg versagt.

a) Die Verfahrensrügen sind nicht in zulässiger Weise erhoben, soweit die Ablehnung der Anträge auf Vernehmung von Zeugen beanstandet wird (Revisionsbegründung S. 9, 11 bis 23). Mit diesen Anträgen hatte die Staatsanwaltschaft die Vernehmung von Polizeibeamten erstrebt, die in der
Hauptverhandlung bereits zur Sache ausgesagt hatten (Polizeihauptmeister Br , UA S. 15; Polizeihauptmeister M , UA S. 47; Polizeiobermeisterin
L
, Protokollband 1, Bl. 177; Polizeihauptmeister H , Protokollband 1, Bl. 170; Polizeihauptmeister S , Protokollband 1, Bl. 158; Polizeihauptkommissar Mo , Protokollband 1, Bl. 61). Die Revision teilt entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht mit, daû und wozu diese Zeugen bereits ausgesagt hatten, so daû das Revisionsgericht nicht prüfen kann, ob das Beweisverlangen der Staatsanwaltschaft überhaupt einen Beweisantrag darstellt (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 16, 32; BGH, Urt. vom 13. Dezember 2001 ± 5 StR 322/01). Die Unzulässigkeit erfaût auch bei den Anträgen Nr. 2 (Revisionsbegründung S. 12), Nr. 3 (Revisionsbegründung S. 14), Nr. 6 (Revisionsbegründung S. 19) und Nr. 7 (Revisionsbegründung S. 20) die Beanstandung hinsichtlich des dort jeweils mitbenannten Zeugen aus der tschechischen Republik, weil alle Zeugen für jeweils ein Beweisthema eine Einheit bilden und die nicht mitgeteilten früheren Aussagen der Polizeibeamten, die jene Zeugen vernommen hatten, für die Beurteilung der Anträge erheblich sind.

b) Die erhobenen Aufklärungsrügen hinsichtlich der Zeugen Ma und T erfüllen ebenfalls nicht die Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil es die Revision unterläût, das erwartete Beweisergebnis mit der gebotenen Bestimmtheit mitzuteilen (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 1).

c) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht auch nicht gegen § 244 Abs. 3 StPO ± oder wie es zutreffenderweise hätte gerügt werden müssen die Vorschriften der §§ 245 Abs. 2 Satz 1, 250 Satz 2 StPO ± verstoûen. Die amtliche Auskunft des 8. Dezernats der Generaldirektion des Zolls der tschechischen Republik vom 22. September 1998 war nicht nach § 256 StPO verlesbar. Gegenstand waren Erkenntnisse aus Beobachtungen des Angeklagten, die die Grundlagen der Sachentscheidung
im anhängigen Verfahren betroffen hätten (vgl. BGHR StPO § 256 Abs. 1 Behördenauskunft 2). Die von der Staatsanwaltschaft mit der Anklageschrift vorgelegte Urkunde war im Verfahren zu Beweiszwecken bestimmt, weshalb sie gemäû § 250 Satz 2 StPO auch nicht nach § 249 Abs. 1 StPO verlesen werden durfte (vgl. BGH, Urt. vom 25. September 1962 ± 5 StR 306/62; BGHSt 20, 160, 161; BGHR StPO § 256 Abs. 1 Gutachten 1 m.w.N.). Letzteres gilt auch für die abgelehnte Verlesung einer amtlichen Niederschrift vom 16. September 1998 der Generaldirektion des Zolls der tschechischen Republik über Wahrnehmungen eines verdeckten Ermittlers.
2. Die Sachrüge führt zur Aufhebung der Freisprüche in den Fällen V b 1.3.8. und V c 1.5.6. der Urteilsgründe, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
Zwar muû das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter den Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters ; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstöût (st. Rspr.; BGH NStZ 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33 m.w.N.).
Hier erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als lückenhaft. Freilich können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maû der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so beschaffen sein, daû sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt,
obwohl ± wie hier ± nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muû es allerdings in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen (BGH NStZ-RR 2000, 171). Dem wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

a) Im Fall V b 1. erachtet das Landgericht den Angeklagten für zuständig , aufgrund der Erkenntnisse aus der Beschuldigtenvernehmung des K vom 25. September 1996 gegen dessen Hintermann F Ermittlungen zu führen. Es hält die Einlassung des Angeklagten, er hätte erst später das Protokoll gelesen und nur überflogen, wobei ihm der Name F nicht aufgefallen sei, für nicht widerlegbar (UA S. 26 f.), zumal er es nicht pflichtwidrig unterlassen hätte, K Lichtbilder vorzulegen. Diese Würdigung hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, weil sie die sich hier aufdrängende Einbeziehung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen im Fall I b 1 ± in dem das Landgericht zur Verurteilung des Angeklagten wegen Strafvereitelung im Amt zum Vorteil des F kommt ± unterläût. Nach den Feststellungen dazu (UA S. 8) war F der Dienststelle und auch dem Angeklagten bereits am 16. Oktober 1995 als zentrale Schlüsselfigur in der Schleuserszene bekannt.

b) In den Fällen V b 8. und 3. hat das Landgericht zunächst rechtsfehlerfrei die objektiven Umstände einer Strafvereitelung im Amt festgestellt. Der Angeklagte hatte am 17. März 1997 von dem Beschuldigten R den Mar ± wie bereits am 10. März 1997 vom Beschuldigten P , was im Fall I b 2 zur Verurteilung des Angeklagten führte ± als Auftraggeber einer Schleusung benannt bekommen. Der Angeklagte kündigte gegenüber der Staatsanwaltschaft Görlitz die Aufnahme der Ermittlungen gegen Mar an.

Am 25. März 1997 hatte der Angeklagte einen Abschluûbericht über eine Einschleusung des Beschuldigten Pr der Staatsanwaltschaft Bautzen übersandt und ebenfalls die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den zuvor als Tatverdächtigen festgestellten Hintermann Bu angekündigt. In beiden Fällen unterlieû der Angeklagte bis zu seiner Verhaftung jede Förderung der Verfahren.
Die Würdigung des Landgerichts, mit der ein direkter Vorsatz des Angeklagten nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit als nachgewiesen angesehen wird, begegnet auch hier durchgreifenden Bedenken. Sie unterläût die gebotene Prüfung der Tatsachengrundlage der Einlassung des Angeklagten (vgl. BGHR StPO § 261 Einlassung 5; BGH NStZ 2002, 48) und betrachtet diese von einem unzutreffenden Ausgangspunkt aus (vgl. BGH NStZ 2001, 491, 492).
Das Landgericht ist in seiner Beweisführung ± der Aussage des Angeklagten folgend (UA S. 6, 29) ± zu Recht von einer dem Angeklagten bekannten Pflicht zur Vorlage der gegen die Hintermänner gewonnenen Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft ausgegangen. Es hat sich vom Vereitelungsvorsatz des Angeklagten aber nicht zweifelsfrei überzeugen können, weil der Angeklagte ± nach Ankündigung eigener Ermittlungen gegen Hintermänner ± hätte davon ausgehen können, daû die Staatsanwaltschaften Bautzen und Görlitz unabhängig von ihm Ermittlungen aufnehmen würden. Dieser Einlassung des Angeklagten folgte das Landgericht ohne ausreichende Prüfung einer Tatsachengrundlage. In der staatsanwaltschaftlichen und in der polizeilichen Praxis ist es allgemein verbreitet, daû die Polizei selbständig die erforderlichen Ermittlungen führt und ihre Ergebnisse erst nach Abschluû der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vorlegt (Wache in KK 4. Aufl. § 163 Rdn. 4 und 24). Das Landgericht hat zudem in allen elf verhandelten Fällen wegen Strafvereitelung im Amt keine hiervon abwei-
chenden Anhaltspunkte feststellen können. Die Dienststelle des Angeklagten wurde auch nicht ± als Ergebnis eigener Ermittlungen der Staatsanwaltschaften ± um weitere Nachforschungen ersucht.
Das dem Angeklagten auf Grund seiner Einlassung zugebilligte Vertrauen hinsichtlich einer Aufnahme von Ermittlungen durch die zuständigen Staatsanwaltschaften war zudem auch aus sachlichrechtlichen Gründen nicht geeignet, einen Vereitelungsvorsatz des Angeklagten zu verneinen. Ein Eingreifen der Staatsanwaltschaften hätte nämlich lediglich zur Beendigung des vom Angeklagten durch erhebliche Verzögerungen der Strafverfolgung bereits hervorgerufenen Vereitelungserfolges (vgl. BGHSt 45, 97, 100; BGHR StGB § 258 Abs. 1 Vollendung 1) geführt. Bei noch nicht eingetretenem Erfolg wegen zeitnaher Aufnahme der Ermittlungen der Staatsanwaltschaften wären jedenfalls versuchte Strafvereitelungen in Betracht gekommen (vgl. BGHR aaO).
Schlieûlich hätte in die Erwägungen der Umstand einbezogen werden müssen, daû der Angeklagte ± wie vom Landgericht zutreffend festgestellt ± hinsichtlich des Beschuldigten Mar bereits in einem früheren Fall Vereitelungsvorsatz verwirklicht hatte (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 4).

c) Im Fall V c 1 (UA S. 33 bis 45) hatte sich das Landgericht nicht davon zu überzeugen vermocht, daû der Angeklagte am 13. Mai 1997 um 1.57 Uhr und 1.59 Uhr vom Dienstanschluû des Grenzschutzbeamten N aus den mit Haftbefehl des Amtsgerichts Dresden gesondertverfolgten Ne angerufen hatte. Zwar sei der Angeklagte im Dienstgebäude anwesend gewesen und habe die persönliche Geheimnummer des N gekannt , mit der telefoniert wurde. Das Landgericht konnte aber nicht sicher ausschlieûen, daû eine andere Person angerufen hatte. Die dieses Ergebnis begründenden Erwägungen sind ebenfalls lückenhaft und lassen nicht er-
kennen, ob der Tatrichter alle gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen in die Beweiswürdigung einbezogen hat (BGH NStZ-RR 2000, 171 f. m.w.N.). Das Landgericht hat festgestellt, daû sich in dieser Nacht während einer Vernehmung eines Beschuldigten ± auûer dem Angeklagten, der ab 1.00 Uhr zugegen war ± vier namentlich benannte Personen und “weitere Grenzschutzbeamte” in der Dienststelle aufhielten (UA S. 37). Es unterläût aber Feststellungen darüber, welche Personen zum Zeitpunkt der Anrufe noch anwesend waren, welche dieser Personen ± auûer dem Angeklagten ± die Geheimnummer des Beamten N kannten und aus welchen Gründen diese als Anrufer in Betracht kommen oder ausscheiden.
Bei der Prüfung der Frage, ob der Angeklagte von der Schleuserorganisation des Ne 10.000 DM erhalten hatte, begegnet ferner die alleinige entlastende Bewertung der Aussage der Zeugin Ko , der Freundin des Angeklagten (UA S. 41), durchgreifenden Bedenken. Das Landgericht sah in der Aussage der Zeugin, sie habe einen Umschlag mit einer Telefonnummer , aber keinen Umschlag mit Geld erhalten, eine Stütze für die bestreitende Einlassung des Angeklagten. Damit wird eine naheliegende belastende Bewertung übersehen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung , unzureichende 1 und 4). Eine solche drängte sich hier aber auf, weil es für den Empfang einer Telefonnummer, die vom Geldboten I der Schleuserorganisation des Ne stammte und von dessen Schleuser La übergeben wurde, keine plausible auf einen gesetzestreuen Hintergrund hindeutende Erklärung ersichtlich ist.

d) Mit dieser Beanstandung der Beweiswürdigung verliert die damit eng zusammenhängende Beweiswürdigung in den Fällen V c 5. und 6. ihre Grundlage. Auch in diesen Fällen sind angelastete Zahlungen der Schleuserorganisation des Ne an den Angeklagten Gegenstand des Verfah-
rens, deren Würdigung bei Erweislichkeit einer Verbindung des Angeklagten zu dessen Organisation neu vorzunehmen ist.
Unabhängig davon zeigt die Revision einen durchgreifenden Fehler der Beweiswürdigung hinsichtlich der Bewertung der Aussage des Zeugen I auf, weil das Landgericht mit widersprüchlichen und weiteren ersichtlich unzutreffenden Erwägungen die Glaubhaftigkeit seiner Aussage in Zweifel zieht. Dadurch hat es zu erkennen gegeben, daû es überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Das Landgericht hat die Aussage des Zeugen, der in diesen Fällen den angelasteten Sachverhalt bestätigt hatte, als in sich widerspruchsfrei, sehr detailreich und konstant gewertet und ihn als sicher und selbstbewuût geschildert, der eigenes Erleben von Hörensagen klar hätte trennen können (UA S. 57). Der im Zeugenschutzprogramm befindliche Zeuge hätte keine klare Belastungstendenz erkennen lassen, mit seinen Aussagen für sich einen Schluûstrich gezogen und altruistische Ziele mitverfolgt. Gleichwohl gelangte das Landgericht zu erheblichen Zweifeln an der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen. So hätte er nicht alle seine Beteiligungen an den Schleusungshandlungen eingeräumt, in fünf Fällen sei er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden und ca. 100 Schleusungsfälle seien von der Staatsanwaltschaft “pauschal” vorläufig eingestellt worden. Es bestehe daher der Verdacht, daû der Zeuge zum Nachteil des Angeklagten und um zur Belohnung selbst ein mildes Urteil mit Bewährungsaussetzung zu erhalten, mehr ausgeführt hätte, als er wahrheitsgemäû aus eigener Kenntnis gewuût hätte.
Diese Begründung übersieht, daû der Zeuge zum Zeitpunkt seiner Aussage bereits zu einer milden Strafe rechtskräftig verurteilt war, und belegt keine Anhaltspunkte für eine bevorstehende Wiederaufnahme der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen (vgl. BGHSt 37, 10, 13). Auch drohende neue Ermittlungen konnten entgegen der Auffassung des Landge-
richts keine Belastungstendenz begründen, weil der Zeuge (nur) bei seiner ersten Vernehmung im Hinblick darauf keine weiteren Aussagen treffen wollte (UA S. 58). Die Weigerung des Zeugen, die Frage zu beantworten, ob eine vermutlich von seinen Brüdern in Berlin betriebene Pizzeria als Anlaufstelle für Schwarzgeld diene, kann wegen des nahen Bezugs zur Familie des Zeugen und des fehlenden Zusammenhangs mit den Beweisthemen nicht zur Begründung einer mangelnden Glaubwürdigkeit herangezogen werden. Schlieûlich entbehren die Erwägungen des Landgerichts, der Zeuge könnte im Wege der Projektion den Angeklagten falsch angeschuldigt (UA S. 59; vgl. Bender/Nack Tatsachenfeststellung vor Gericht I 2. Aufl. Rdn. 153 ff.) und wirklich handelnde Personen ± die Bestechungsgelder hätten annehmen müssen ± durch den Angeklagten ersetzt haben, jeder Grundlage.
3. Die übrigen Freisprüche halten sachlichrechtlicher Prüfung stand.

a) Zwar hatte der Angeklagte in den weiter angelasteten Fällen einer Strafvereitelung im Amt (V b 2.4. 5.6.7.) die sich aus § 163 Abs. 2 Satz 1 StPO ergebende Unterrichtungspflicht gegenüber den Staatsanwaltschaften (vgl. Wache in KK 4. Aufl. § 163 Rdn. 24) miûachtet und jeweils eine geraume Zeit die Ermittlungen nicht gefördert. Die Würdigung des Landgerichts, es liege kein Vorsatz vor, weil nach der von der Leitung der Dienststelle und den Staatsanwaltschaften offensichtlich hingenommenen Praxis eine Vorlagepflicht erst für ausermittelte Vorgänge angenommen wurde, ist nicht zu beanstanden.

b) In den Fällen V c 2.3.4. (UA S. 42 bis 55) ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, die zur Unglaubhaftigkeit der belastenden Aussagen des Zeugen D wegen dessen belegten Belastungseifers um eigener strafrechtlicher Vorteile willen führt, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Vertretbar hat das Landgericht auch die Unwahrscheinlichkeit der Tatabläufe unter Heranziehung der ± uneingeschränkt für glaubhaft gehaltenen ±
Aussagen des Zeugen I belegt (UA S. 46) und mögliche Verbindungen des D zur Schleuserorganisation des Ne ausgeschlossen.
4. Die Aufhebung der Freisprüche führt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.

IV.


Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daû die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern auch unter Einbeziehung ersichtlich wesentlicher gegen den Angeklagten sprechender Umstände in einer Gesamtwürdigung zu betrachten sein werden (vgl. BGH NStZ 2002, 48; 2001, 491, 492; NStZ-RR 2000, 171).
Harms Häger Raum Brause Schaal
5 StR 240/02

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 22. August 2002
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betruges u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
22. August 2002, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt G
als Verteidiger für die Angeklagte Z
Rechtsanwalt J
als Verteidiger für den Angeklagten H
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. November 2001 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Angeklagten freigesprochen worden sind,
b) in sämtlichen Strafaussprüchen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagte Z wegen Unterschla- gung (Einzelgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu 30 DM) und wegen – gemeinschaftlich mit dem Angeklagten H begangenen – Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung (Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten) unter Einbeziehung anderweit verhängter 13 Freiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten H hat es eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 80 DM festgesetzt. Von weiteren Tatvorwürfen hat das Landgericht die Angeklagten – bei H versehentlich ohne entsprechende Tenorierung – freigesprochen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft richten sich mit der Sachrüge gegen die Freisprüche und – inso- weit rechtswirksam beschränkt – gegen sämtliche Strafaussprüche. Die Rechtsmittel haben in vollem Umfang Erfolg.

I.


Nach den – infolge der Rechtsmittelbeschränkung bestandskräftigen – Feststellungen des Landgerichts nahm die Angeklagte Z im Frühjahr 1999 während eines Besuchs des Zeugen D dessen Dokumententasche mit und leugnete einige Tage später in der Absicht, sie zu behalten , deren Besitz. Im Zusammenwirken mit ihrem Lebenspartner H fingierte sie am 18. November 1998 zu Lasten eines Geschäftskontos der Firma M M G bei der Commerzbank Berlin eine Überweisung in Höhe von über 8.000 DM zugunsten des Kontos des Angeklagten H bei der Berliner Sparkasse, über das dieser allein verfügungsberechtigt war.
Vom Vorwurf, auf gleiche Art und Weise die Firma M am 10. November 1998 um ebenfalls über 8.000 DM geschädigt (Fall VI 4) und dies zum Nachteil der Firma B am gleichen Tag in Höhe von ca. 4.000 DM und des A O bereits am 3. September 1998 in Höhe von über 3.500 DM versucht zu haben (Fälle VI 3 und 2), sprach das Landgericht die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei.
Die Angeklagte Z wurde ferner von dem Vorwurf freigesprochen , zwischen April 1997 und Juni 1998 Personalausweis, Führerschein , Euroscheck- und Kontokarte des A O unterschlagen zu haben (Fall VI 1). Beide Angeklagte wurden auch von den weiteren Vorwürfen freigesprochen, diesen Personalausweis am 19. April 1999 zur Eröffnung eines Kontos unter dem Namen O bei der Postbank mißbraucht (Fall VI 6) und darauf am 3. Mai 1999 zwei Überweisungen über ca. 14.000 DM bewirkt und eine weitere in Höhe von 8.300 DM zu veranlassen versucht zu haben (Fälle VI 8, 9 und 7).

Schließlich wurden beide Angeklagte vom Vorwurf freigesprochen, am 27. November 1998 eine Straftat durch Benennung einer nicht existierenden Person als Verursacher der davor erfolgten Überweisungen zu Lasten der Firma M vorgetäuscht zu haben (Fall VI 5).

II.


1. Die Sachrüge führt zur Aufhebung der Freisprüche, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
Zwar muß das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; BGH NStZ 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33 m. w. N.).
Hier erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als lückenhaft. Freilich können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab; dieser kann so beschaffen sein, daß sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl – wie hier – nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muß es allerdings in seiner Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise
wesentlichen gegen die Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen (BGH wistra 2002, 260, 261; BGH NStZ-RR 2000, 171) und in einer Gesamtwürdigung betrachten (BGH NJW 2002, 2188, 2189; 2002, 1811, 1812; BGH NStZ 2002, 48). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

a) Im Verurteilungsfall II 2 hat sich das Landgericht mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung von einem mittäterschaftlichen Zusammenwirken der Angeklagten überzeugt. Dieser Fall hatte nicht anders als die Freispruchsfälle VI 2 bis 4 und 7 bis 9 fingierte Überweisungen zum Gegenstand. Das Landgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Parallelen zu dem Verurteilungsfall gesamtwürdigend hinreichend zu berücksichtigen. Es hat insoweit insbesondere in der Mehrzahl der Fälle festgestellt, daß die Überweisung mit der gleichen (freilich eher geringeren) Wahrscheinlichkeit der Urheberschaft der Angeklagten Z wie im Verurteilungsfall erfolgt ist. Dabei begegnet auch die Annahme des Landgerichts, eine gutachterliche Bestätigung der Urheberidentität zwischen den Fällen sei nicht geeignet, eine weitergehende indizielle Belastung zu begründen (UA S. 21, 26), vor dem Hintergrund der Erweislichkeit ihrer Urheberschaft in einem der Fälle durchgreifenden Bedenken. Die Fälle VI 2 bis 4 betrafen zudem in gleicher Weise wie der Verurteilungsfall eine beabsichtigte Begünstigung des eigenen Kontos des Angeklagten H , über das dieser allein verfügungsberechtigt war. Die Fälle VI 7 bis 9 betrafen ein fingiertes Konto, für welches die Wohnanschrift der Angeklagten angegeben worden war; diese waren im Besitz von dem Kontoinhaber abhanden gekommenen Papieren. Diese Umstände hätten eine Gesamtschau aller Beweisanzeichen erfordert, die wegen ihrer Häufigkeit und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit der Vorwürfe hätte begründen können (vgl. aus der st. Rspr. des BGH NJW 2002, 2188, 2189; 2002, 1811, 1812 m. w. N.).

b) Zudem widersprechen die für die Teilfreisprechung wesentlichen Erwägungen des Landgerichts über die mögliche Mitwirkung eines weiteren
unbekannten Täters den im Verurteilungsfall fehlerfrei getroffenen Feststellungen , wonach sich am 18. November 1998 und 22. Oktober 1999 weder ein Dritter in der Wohnung der Angeklagten aufhielt noch an der Überweisung mitwirkte (UA S. 14 f.; 12, 20). Verdächtigen Funden in jener Wohnung hätte daher die gleiche Indizwirkung wie im Verurteilungsfall zuerkannt werden müssen.

c) Allein wegen des jeweils engen Zusammenhangs mit den Kontenmißbrauchsfällen sind auch die Freisprüche in den Fällen VI 1, 5 und 6 aufgrund der in jenen Fällen nicht ausreichend, zudem widersprüchlich vorgenommenen Gesamtwürdigung ihrerseits als nicht tragfähig begründet anzusehen.
2. Die Revisionen dringen auch hinsichtlich der Strafaussprüche durch.

a) Die gegen die Angeklagte Z festgesetzte Geldstrafe ist allein schon deshalb aufzuheben, weil das Landgericht die Reihenfolge der Taten verwechselt und dadurch übersehen hat, daß die Unterschlagung im Frühjahr 1999 der anderen abgeurteilten Tat vom 18. November 1998 nachfolgte. Folglich hat das Landgericht, das in dem weiteren Verurteilungsfall im Blick auf parallele Straftaten eine kurzfristige Freiheitsstrafe verhängt hat, im Falle der Unterschlagung zu Unrecht ein Vorleben der Angeklagten ohne Straftaten angenommen.

b) Die für den gemeinschaftlichen Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung gegen beide Angeklagte festgesetzten Strafen sind aufzuheben, weil dem neuen Tatrichter – falls er zu Schuldsprüchen kommt – Gelegenheit gegeben werden muß, für Taten einer Serie angemessene Strafen, gegebenenfalls auch aufgrund gewerbsmäßiger Begehung von Betrug (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB) und Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB), festzusetzen. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der ge-
gen die Angeklagte Z festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

III.


Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Für die Beweiswürdigung zu den erneut zu prüfenden Anklagevorwürfen begründet die rechtskräftige Verurteilung der Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung nicht mehr als ein gravierendes Indiz für ihre Täterschaft in diesem von ihnen nicht angefochtenen Parallelfall (vgl. BGHSt 43, 106, 107 f.).
Im Fall von weiteren Schuldsprüchen ist für die von der Anklage noch angenommene bandenmäßige Begehung nach BGHSt 46, 321, 329 kein Raum. Bei der Strafzumessung werden die aus einer späten Aburteilung abzuleitenden Strafmilderungsgründe zu bedenken sein (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13).
Angesichts des sehr unterschiedlichen Gewichts der lange zurückliegenden Vorwürfe und des erheblichen Aufwands für deren rechtliche und tatsächliche Klärung wird sich eine Anwendung des § 154 Abs. 2 StPO hinsichtlich der angelasteten Vergehen nach §§ 145d, 246, 281 StGB anbieten. Hinsichtlich möglicher Gesamtstrafenbildung mit Geldstrafen einschließlich der Begründung von Zäsuren durch entsprechende Verurteilungen erfordert der zwingend anzuwendende § 55 StGB grundsätzlich die Überprüfung der Angaben der Angeklagten über die Bezahlung von Geldstrafen.
Basdorf Häger Raum Brause Schaal

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

5 StR 458/03

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 16. Dezember 2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Totschlags u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Dezember
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt B
als Verteidiger des Angeklagten Z ,
Rechtsanwältin S
als Verteidigerin des Angeklagten A ,
Rechtsanwalt H
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 7. Mai 2003 im Schuldspruch dahingehend abgeändert, daß die Angeklagten jeweils der gefährlichen Körperverletzung schuldig sind, der Angeklagte Z in Tateinheit mit Totschlag, der Angeklagte A in Tateinheit mit Beihilfe zum Totschlag. Die Rechtsfolgenaussprüche bleiben aufrechterhalten.
2. Die weitergehende Revision betreffend den Angeklagten A wird verworfen.
3. Die Angeklagten haben die Kosten der Rechtsmittel der Nebenkläger und deren notwendige Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten Z wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten und seinen Schwager , den Angeklagten A , wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge (durch Unterlassen) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Eltern des zu Tode gekommenen Bo haben sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen. Ihre Revisionen, mit denen sie die unterbliebene anklagegemäße Ver- urteilung wegen Totschlags rügen, haben weitgehend Erfolg. Sie bleiben nur insoweit erfolglos, als sie die Gehilfenstellung des Angeklagten A angreifen.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
a) Die jeweils 24 Jahre alten Angeklagten nahmen am Abend des 19. Juni 2002 in Hannoversch Münden in einer Musikgaststätte an einer Feier anläßlich der Beendigung des Schuljahres teil. Der Angeklagte Z traf dabei auf den bereits stark angetrunkenen 21jährigen Bo , der mit einer brennenden Zigarette das T-Shirt des Angeklagten berührte; dieses wurde kaum sichtbar beschädigt. Zu späterer Stunde kam es deswegen zu einem Streit zwischen dem Angeklagten und Bo . Nachdem weitere Gäste den Angeklagten vom Ort der Auseinandersetzung weggezogen hatten , entschloß sich Z , Bo eine Abreibung zu verpassen. Der Angeklagte forderte seinen Schwager A auf, sich zu beteiligen. Gegen 2.15 Uhr folgten die – nach dem Genuß von alkoholischen Getränken und Haschisch in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich verminderten – Angeklagten dem Bo über den Parkplatz des Anwesens bis zu einer sich anschließenden mit Bäumen und Büschen bewachsenen ehemaligen Pferdekoppel. Z griff den wegen seines übermäßigen Alkohol- und Haschischkonsums nicht mehr zu koordinierter, effektiver Abwehr fähigen Bo an und brachte ihn gemeinsam mit seinem Schwager zu Fall. Beide Angeklagte schlugen und traten – jeder mindestens dreimal – mit Verletzungsvorsatz auf ihr Opfer ein und fügten ihm erhebliche Verletzungen am Kopf und Rumpf bei. Der Angeklagte Z umschlang dann mit seinem Gürtel den Hals des bäuchlings liegenden Bo und strangulierte ihn mit erheblicher Kraftentfaltung – auf seinem Opfer sitzend oder mit einem Bein auf dessen Rücken oder Kopf stehend – mindestens drei, möglicherweise fünf Minuten lang (UA 36). In dieser Zeit bildete sich als Reaktion auf das Strangulieren eine massive Gehirnschwellung, die den Tod von Bo herbeiführte. Nachdem der Angeklagte A mit den Worten „jetzt reicht es" ein noch längeres Drosseln durch Z verhindert hatte, trugen beide Angeklagte den bewußtlosen, möglicherweise bereits verstorbenen Bo vom Parkplatz weg. Sie legten ihr Opfer in einem Gebüsch ab. Die Angeklagten richteten ihre Kleidung wieder her und gingen zur Gaststätte zurück. Der Angeklagte Z schilderte die Tat in seiner russischen Heimatsprache mehreren Zeugen (UA 22). Er führte aus, das Opfer sei gewürgt , getreten, geschlagen und – nachdem es fast totgeschlagen worden sei – in die Büsche geworfen worden.

b) Das Landgericht hat sich vor dem Hintergrund dieser Äußerung zwar davon überzeugt, daß der Angeklagte Z den Tod des Bo ernsthaft für möglich gehalten hat (UA 50 f.). Es hält aber die Einlassung der Angeklagten durch die Beweisaufnahme nicht für widerlegt, sie hätten damit gerechnet, das Opfer werde sich selbst „wieder aufrappeln" (UA 49), und damit nicht nur vage darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten.
2. Die dafür vom Landgericht herangezogenen Erwägungen halten sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Zwar geht das Schwurgericht zutreffend davon aus, daß bei einer objektiv äußerst gefährlichen Handlung, wie es das Strangulieren des Tatopfers unzweifelhaft darstelle, die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nahe liege (UA 50). Das Schwurgericht mißt der indiziellen Wirkung der Gefährlichkeit der Handlung aber nicht das sich aus den Tatumständen ergebende gesteigerte Gewicht bei. Es stellt nämlich nicht auf die außerordentlich lange Dauer des Strangulierens von drei bis fünf Minuten ab (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 33) und verstellt sich deshalb den Blick darauf, daß der Angeklagte Z nicht nur eine das Leben gefährdende Handlung vornahm, sondern sein Opfer in einer Weise verletzte, die ganz sicher – etwa einem Stich in das Herz vergleichbar – zum Tode führte (vgl. BGHR aaO 35 und 51). Damit hatte die Drosselung ihre Eignung als bloße Verletzungshandlung bereits vollständig verloren. Sie konnte nur noch zur Tötung des Opfers führen. In einer solchen Fallkonstellation liegt (zumindest ) bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand, ohne daß es dafür besonderer Anforderungen an die Darlegung der inneren Tatseite in den Urteilsgründen bedurft hätte (vgl. BGH NStE Nr. 27 zu § 212 StGB).

b) Das Landgericht hat ferner anhand von mehreren Indizien das voluntative Vorsatzelement in Zweifel gezogen, ohne dies mit tragfähigen Feststellungen zu belegen.
aa) Die Einlassung der Angeklagten, sie hätten geglaubt, das Opfer werde sich „wieder aufrappeln", ist zur Widerlegung eines aus dem Drosselvorgang zu ziehenden Schlusses nicht geeignet. Die Angeklagten hatten sich nämlich lediglich hinsichtlich einer Körperverletzung durch Tritte und Schläge geständig eingelassen (UA 30), die Drosselung dagegen vollständig in Abrede gestellt (UA 36). Ihre Äußerungen über die Schwere der „zugefügten Verletzungen" (UA 49) konnten deshalb nur die eingeräumten Verletzungshandlungen betreffen. Diese auch mit dem wiedergegebenen Wortlaut der Einlassungen übereinstimmende Wertung wird durch die vom Angeklagten Z vorgetragene Ergänzung (UA 49) bestätigt, wonach er in Rußland schon schlimmere Prügel miterlebt hätte. Auch mit dieser Äußerung sprach der Angeklagte nur Folgen von Schlägen, aber nicht Folgen einer Drosselung an.
bb) Auch soweit das Schwurgericht eine psychische Ausnahmesituation des Angeklagten Z annimmt (UA 51), begegnet dies durchgreifenden Bedenken. Der rechtsfehlerfrei festgestellte Sachverhalt offenbart gerade kein „allmähliches Hochschaukeln der Emotionen" (UA 51). Vielmehr hegte allein der Angeklagte Z aus nichtigem Anlaß Rachepläne gegen den weitaus stärker betrunkenen (UA 16, 17, 18, 32, 33) Bo , die er unter Zuhilfenahme seines Schwagers verwirklichte. Während des Tatgeschehens machte Bo keinerlei Äußerungen, die für die Tatausführung hätten mitursächlich werden können.
cc) Die Annahme des Landgerichts, die Alkoholisierung des Z sei ein Indiz dafür, daß er die Auswirkungen seines Handelns falsch dahingehend eingeschätzt habe, es werde „schon alles gut gehen“ (UA 52), findet in den Feststellungen ebenfalls keine ausreichende Stütze. Der psychiatrische Sachverständige hatte dem Angeklagten gute bis gut durchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten attestiert (UA 56). Das Schwurgericht befaßt sich zwar ausführlich mit der Frage einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Auf die in diesem Zusammenhang maßgebliche Beeinträchtigung der Erkenntnisfähigkeit und der Willenskräfte (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 54) geht das Landgericht aber nicht ein. Feststellungen für eine relevante Beeinträchtigung der intellektuellen Leistungsfähigkeit werden im einzelnen nicht getroffen. Vielmehr stellt das Landgericht wesentliche Elemente bestehender Kognitionsfähigkeit heraus, wie die Möglichkeit einer problemlosen Gesprächsführung mit den Angeklagten (UA 64), der im Kern zutreffende Bericht über die Tat bei zugleich situationsgerechter Verschleierung der Gewalthandlung (UA 64), schließlich die Entfernung des Geldbeutels des Opfers durch einen Wurf über ein Wohnhaus (UA 46).

c) Das Schwurgericht hat daneben auf weitere nach seiner Auffassung gegen den Tötungsvorsatz sprechende Indizien abgestellt; diese erweisen sich aber allesamt als nicht tragfähig.
aa) Die Äußerungen des Angeklagten Z über die Tat belegen kein Vertrauen, Bo werde überleben. Der Angeklagte hat sich nämlich einer konkreten Äußerung über die Folgen des Drosselns enthalten (UA 22, 23, 38, 40, 41, 42). Die Wertung des Landgerichts, die Äußerungen des Angeklagten gegenüber vier Zeugen „gingen in die Richtung, daß sie glaubten, zumindest aber hofften, das Opfer lebe noch" (UA 51), steht im Widerspruch zu der Feststellung, daß die Angeklagten diese Zeugen über die zurückliegende Auseinandersetzung eher verharmlosend informiert hatten in dem Sinne, daß das Opfer zwar erheblich verletzt, sein Tod aber keineswegs wahrscheinlich sei (UA 53). Auch die eineinhalb Stunden nach der Tat an einen weiteren Zeugen gerichtete Frage, ob die Polizei erschienen, bzw. ein Krankenwagen vorgefahren sei (UA 23, 51), bietet vor diesem Hintergrund keine tragfähige Grundlage für ein während der Tatzeit bestehendes Vertrauen der Angeklagten auf einen glimpflichen Ausgang.
bb) Auch die weitere vom Landgericht angestellte Erwägung, die Angeklagten seien nicht wegen eines Gewaltdelikts vorbestraft, was indiziell gegen einen Tötungsvorsatz spreche (UA 51), ist hier nicht tragfähig. Bei der Würdigung von Indizien ist eher auf die konkrete Sachlage abzustellen, als daß ein Fehlen einschlägiger Vorbelastungen entscheidend wäre.
cc) Schließlich spricht auch das Fehlen eines einsichtigen Beweggrundes für die Tötung eines Menschen (UA 52) hier nicht gegen eine Billigung des Todes. Der Angeklagte Z hatte nicht nur keinen einsichtigen Grund, sein Opfer zu töten, sondern auch nicht den geringsten Anlaß für die Drosselung (vgl. BGH NStE Nr. 27 zu § 212 StGB).
3. Die vom Schwurgericht fehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und aller weiterer Umstände belegen damit bezüglich des Angeklagten Z die Vornahme einer auf die Herbeiführung des Todes gerichteten Gewalthandlung in Kenntnis der äußerst gefährlichen Tatausführung. Da keine Umstände vorlagen, die ein Vertrauen der Angeklagten , daß der Tod nicht eintreten werde, hätten begründen können, ergibt sich aus den Feststellungen auch eindeutig die Billigung des Todes durch Z . Sie belegen ferner, daß der – in geringerem Umfang unter Alkoholeinwirkung stehende (UA 63 f.) – Mitangeklagte A die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kannte, an deren Begehung er seinen bisherigen Mittäter Z trotz Garantenpflicht gegenüber dem Opfer durch vorangegangenes Tun nicht hinderte, bei der er ihn vielmehr durch seine weitere Präsenz bestärkte. Für diesen Angeklagten kommt indes wegen dessen ersichtlich fehlenden eigenen Interesses am Taterfolg und mangels Tatherrschaft in dieser Phase des Geschehens die Annahme einer Täterschaft nicht in Betracht (vgl. BGHSt 37, 289, 291). Seine Äußerung nach drei- bis fünfminütigem Drosseln „jetzt reicht es" ist für den Gehilfenvorsatz völlig unbeachtlich , selbst wenn darin eine Mißbilligung der Haupttat zu sehen wäre (vgl. BGHSt 46, 107, 109 m. w. N.).
Bei dieser Sachlage kann der Senat die Schuldsprüche, die sonst auch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erkennen lassen (§ 301 StPO), selbst entsprechend den durch das Schwurgericht erteilten Hinweisen auf Totschlag und Beihilfe zum Totschlag umstellen (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 296, 297; BGHR StPO § 349 Abs. 4 Nebenklägerrevision 1). Eine weitergehende Strafbarkeit wegen eines Verdeckungsmordes oder die Annahme niedriger Beweggründe kommt nicht in Betracht (vgl. BGH NJW 2003, 1060, 1061; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 15).
4. Die Strafaussprüche bleiben hier ausnahmsweise von diesem Rechtsfehler unberührt. Der Senat kann letztlich mit hinreichender Sicherheit ausschließen, daß das Schwurgericht bei zutreffender Beurteilung des Schuldspruchs höhere Strafen gegen die Angeklagten verhängt hätte. Das Landgericht hat die Strafe für den Angeklagten Z dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 227 Abs. 1 StGB entnommen. Dieser Strafrahmen unterscheidet sich allein durch eine geringere Mindeststrafe (sechs Monate anstatt zwei Jahre Freiheitsstrafe) von dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB, aber nicht hinsichtlich der Höchststrafe von elf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe. Ähnliches gilt für die dem doppelt gemilderten (§§ 21, 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB) Strafrahmen des § 227 Abs. 1 StGB entnommene Strafe für den Angeklagten A. Die sich daraus ergebende Mindeststrafe liegt lediglich fünf Monate unter der sich aus einer Anwendung von § 212 Abs. 1 StGB ergebenden Strafe (ein Monat anstatt sechs Monate Freiheitsstrafe). Da sich das Schwurgericht eher an der Strafrahmenobergrenze orientiert und dar- über hinaus die Brutalität und Menschenverachtung der Angeklagten (UA 72, 74) strafschärfend berücksichtigt hat – bei Vorliegen erheblicher Strafmilderungsgründe –, kann ausgeschlossen werden, daß es bei zutreffender strengerer Beurteilung des Schuldspruchs höhere Strafen verhängt hätte.
Harms Basdorf Raum Brause Schaal

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

5 StR 259/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 2. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. August 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 28. Januar 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen erhobene Revision des Angeklagten greift mit der Sachrüge durch. Auf die Verfahrensrüge kommt es demnach nicht mehr an.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
a) Der in Berlin als drittes Kind libanesischer Eltern in einer zehnköpfigen Geschwisterreihe geborene Angeklagte entwickelte sich zu einem vergleichsweise guten Schüler. Er hielt Distanz zu den subkulturellen Milieus und pflegte Kontakte zu seiner deutschsprachigen Umgebung. Die Staatsanwaltschaft hat bisher lediglich im Juni 2009 gemäß § 45 Abs. 1 JGG von der Verfolgung einer dem Angeklagten angelasteten Körperverletzung (Schubsen einer Mitschülerin) abgesehen.
4
b) Der Vater des Angeklagten K. F. nahm die 1981 geborene litauische Staatsangehörige O. R. nach muslimischem Recht zu seiner Zweitfrau. Aus dieser Verbindung gingen zwei Halbbrüder des Angeklagten , der am 16. Januar 2007 geborene Ir. F. sowie der am 24. Oktober 2008 geborene N. F. hervor. Die Kinder hielten sich regelmäßig – auch für Übernachtungen – in der Familienwohnung auf, wohin sie häufig auch von dem Angeklagten aus der Wohnung ihrer Mutter verbracht worden waren.
5
O. R. war mit ihrem Leben unzufrieden und begann Ende des Jahres 2009 eine – freilich nur virtuelle – Liebesbeziehung zu einem jungen Mann in Aserbaidschan. K. F. versuchte, die Kontakte seiner Lebensgefährtin zu überwachen. Er nahm ihr schließlich das Notebook weg, griff sie am 21. und 22. Februar 2010 mit Schlägen an und würgte sie. O. R. sprach offen von ihrem Entschluss, sich von K. F. zu trennen und möglicherweise mit ihren Söhnen nach Litauen auszureisen.
6
c) Am 23. Februar 2010 fehlte der Angeklagte unentschuldigt bei dem um 8.50 Uhr beginnenden Schulausflug seiner Klasse. Auf Geheiß seines Vaters oder anderer Familienangehöriger suchte er gegen 9.00 Uhr die Wohnung der O. R. auf, um seine beiden Halbbrüder in die Familienwohnung zu verbringen. Nachdem sich die junge Frau der Wegnahme ihrer Kinder widersetzt hatte, ergriff der gerade 16 Jahre alte Angeklagte ein großes Kochmesser mit einer Klingenlänge von 20 cm und tötete die Zweitfrau seines Vaters mit 13 Stichen in den Oberkörper und den Rücken. O. R. verstarb binnen weniger Augenblicke.
7
d) Der Angeklagte meldete im Wege eines anonymen Notrufs um 11.08 Uhr einen Unfall in der Wohnung des Tatopfers.
8
Kurz nach 11.30 Uhr teilte K. F. dem von dem Wirt eines Weddinger Cafes herbeigerufenen Polizeibeamten Y. mit, sein Sohn ha- be ihm gesagt, er hätte „Mist gemacht“ (UA S. 22), und er glaube, dass sein Sohn seine Freundin mit dem Messer verletzt hätte. Die Polizei gelangte kurze Zeit später mit Hilfe eines von K. F. stammenden und vom Wirt vermittelten Schlüssels in die Wohnung und fand dort die Leiche vor. K. F. , der die Wohnung des Tatopfers selbst nicht aufsuchte, verbrachte die anschließende Zeit mit dem Bruder des Wirts, auf den er verstört wirkte und dem er von einem vorher stattgefundenen Arztbesuch berichtete.
9
Der Angeklagte bekundete anlässlich seiner Festnahme in der elterlichen Wohnung am frühen Nachmittag, er hätte seine Halbbrüder dorthin verbracht , und führte die Polizeibeamten zum Fundort des mit Opferblut behafteten Tatmessers in einen nahe gelegenen Park.
10
Die am Abend des Tattages durchgeführte polizeiliche Vernehmung des K. F. als Zeuge wurde wegen geltend gemachter gesundheitlicher Probleme abgebrochen. Der Vater des Angeklagten war bis zu der am 2. November 2011 begonnenen Hauptverhandlung nicht erreichbar. Sein Rechtsanwalt trug dann vor, sein Mandant mache – wie es auch die übrigen Familienangehörigen taten – von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch. Die Staatsanwaltschaft hat ein gegen K. F. wegen Beteiligung an dem Tötungsverbrechen geführtes Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
11
2. Das Landgericht hat sich von der (alleinigen) Täterschaft des Angeklagten , der sich zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens in einer Vernehmung zur Sache eingelassen hat, aufgrund einer Gesamtschau folgender Umstände überzeugt:
12
Sehr geringe Spuren von Opferblut am linken Schuh des Angeklagten und am rechten Hosenbein seiner Jeanshose belegten einen unmittelbaren Kontakt des Angeklagten mit dem Tatgeschehen. Die Verteilung der Blutanhaftungen entlang einer Linie deute auf Abschleuderspuren hin, wie sie typi- scherweise unter anderem bei schnell ausgeführten Bewegungen mit als Tatwerkzeug eingesetzten Messern entstehen können. Der rechte Schuh des Angeklagten habe einen Abdruck am Tatort in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Tatbegehung hinterlassen. Der Angeklagte habe durch Offenbaren des Messerverstecks und die Äußerung gegenüber seinem Vater Täterwissen offenbart; den Notruf des Angeklagten hat das Landgericht lediglich ergänzend herangezogen.
13
3. Die Jugendkammer hat aufgrund der Beweislage denkbare alternative Geschehensabläufe verneint, namentlich ein Vorschieben des jugendlichen Angeklagten, um die Aufdeckung der Täterschaft eines anderen Familienmitglieds , insbesondere des verdächtigen Vaters, zu vermeiden, und eine Tatbegehung durch diesen im Beisein des Angeklagten, wobei es zu den Blutanhaftungen hätte kommen können (UA S. 30 f.).
14
Ein Vorschieben des Angeklagten nach der Tat sei ausgeschlossen, weil der Angeklagte bei dieser Annahme ab 8.50 Uhr am Schulausflug teilgenommen hätte. Hinweise auf eine Anwesenheit des K. F. am Tatort zur Tatzeit hätten sich nicht ergeben. Im Gegenteil sprächen die Bekundungen der Zeugen, mit denen der Vater des Angeklagten die Zeit nach der Tat verbracht hatte, für dessen Alibi, einen Arztbesuch (UA S. 31 f.).
15
4. Die Beweiswürdigung enthält – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs – sachlichrechtlich beachtliche Fehler. Sie geht zum Teil von einem unzutreffenden Beurteilungsmaßstab aus und ist lückenhaft. Hierdurch hat es das Landgericht unterlassen, ein sogar im Urteil angesprochenes Alternativgeschehen – eine Beihilfehandlung des Angeklagten – näherer Prüfung und Würdigung zu unterziehen, ferner eine denkbare Mittäterschaft des Angeklagten oder eine Tat des Angeklagten nach Anstiftung durch Familienangehörige (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06, NJW 2007, 384, 387, insoweit nicht in BGHSt 51, 144 abgedruckt).
16
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der (alleinigen) Täterschaft des Angeklagten auch auf Bekundungen von dessen Vater gegenüber Dritten gestützt, insbesondere dem eigens herbeigerufenen Polizeibeamten, dem Täterwissen des Angeklagten mitgeteilt worden sei. Dabei ist das Landgericht ersichtlich von dem Beweiswert der Bekundungen des Vaters des Angeklagten als einer – spontan erfolgten – neutralen Zeugenaussage ausgegangen , ohne darauf Bedacht zu nehmen, dass es sich um die Darstellung eines wegen des Vorhandenseins eines Tatmotivs selbst verdächtigen Zeugen handelt, der seine Angaben zur eigenen Entlastung und hier sogar zur Belastung eines anderen eingesetzt haben könnte (vgl. Brause NStZ 2007, 505, 510).
17
Gleiches gilt, soweit das Landgericht ausschließlich aus Bekundungen des Vaters des Angeklagten dessen Betroffensein über die angeblich nicht von ihm begangene Tat und sogar ein Alibi für die Tatzeit für erwiesen erachtet hat. In der Sache hat das Landgericht hierdurch ein allein von einem Tatverdächtigen selbst bekundetes Alibi akzeptiert. Auch der Notruf hätte unter dem Aspekt eines denkbaren Vertuschungsplans betrachtet werden müssen.
18
b) Das Landgericht hat die von dem psychiatrischen Sachverständigen vorgetragenen Umstände, dass der jugendliche Angeklagte in tradierte familiäre Hierarchien eingefügt sei, die Existenz der Zweitfrau des Vaters als Angelegenheit der Erwachsenensphäre betrachte und dass der Angeklagte „offenbar grundsätzlich nicht zur Gewaltanwendung neigt“, als nicht entscheidend gegen die angenommene situativ entstandene Tatmotivation des Angeklagten sprechend bewertet (UA S. 29). Eine hierfür angesichts nicht fernliegender abweichender Geschehensabläufe zur Erfüllung des Gebots der erschöpfenden Beweiswürdigung notwendige Begründung hat das Landgericht indes nicht dargelegt.
19
Die Prüfung, ob der Angeklagte zur Verbergung der Täterschaft eines anderen vorgeschoben sein könnte, bleibt ebenfalls lückenhaft. Das Landge- richt behandelt lediglich den Fall, dass die Familie des Angeklagten diesen nach der Tat als Täter präsentiert haben könnte (UA S. 30), nicht aber einen hier eher näher liegenden früher ansetzenden Vertuschungsplan, der mit dem fehlenden Schulbesuch des Angeklagten in Einklang stünde.
20
c) Soweit das Landgericht angenommen hat (UA S. 26), dass der Angeklagte anstelle seines Vaters die Kinder aus der Wohnung der Getöteten geholt haben könnte, weil dieser zu befürchten hatte, die Mutter werde ihn nach den Übergriffen vom Vortage nicht einlassen, hätte dies als Ansatz genommen werden müssen, ein sich angesichts der Beweislage aufdrängendes Alternativgeschehen, eine dolose Mitwirkung des Angeklagten als Türöffner für den Haupttäter, in Betracht zu ziehen (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 2005 – 5 StR 490/04 – und vom 18. Januar 2009 – 5 StR 578/08, StV 2009, 176, 177).
21
5. Die Sache bedarf demnach insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung. Der Senat, dem eine eigene Würdigung der Beweise versagt ist, darf keinesfalls – erst recht nicht entgegen der Wertung des Landgerichts – die Blutspur an der Hose des Angeklagten zur Begründung von dessen Alleintäterschaft heranziehen. Es ist deshalb nicht möglich, das Beruhen des Urteils auf den Mängeln der Beweiswürdigung auszuschließen.
22
Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die bisherige Würdigung von DNA-Spuren, ohne dass diese für sich als durchgreifend fehlerhaft betrachtet werden müsste, in weiteren Zusammenhängen Bedenken ausgesetzt ist.
23
Das Landgericht hat erwogen, es mache für einen anderen innerfamiliären Täter wenig Sinn, den Angeklagten anzuweisen, er solle der Polizei den Fundort des Messers zeigen, um so möglicherweise den Verdacht auf ihn zu lenken. Dafür sei auch aus laienhafter Sicht das Risiko zu groß, dass Spuren des wahren Täters an dem Messer entdeckt werden würden (UA S. 21). Diese Annahme steht in einem Spannungsverhältnis zu dem festgestellten Umstand, dass DNA-Spuren des Täters auf dem Messer gar nicht zu erwarten gewesen wären (UA S. 21). Soweit hierfür als ausschlaggebend auch die nur kurze Zeit des Hautkontakts des Täters mit dem Messer angenommen worden ist, muss erörterungsbedürftig bleiben, warum 13 heftige Messerstiche DNA-Anhaftungen von der – ersichtlich als unbedeckt bewerteten – Täterhand nicht begründen müssen, demgegenüber aber DNA-Spuren beim Anpacken der Schuhe des Angeklagten beim Aufräumen ohne Weiteres gelegt werden (UA S. 12).
Basdorf Brause Schaal König Bellay

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

5 StR 65/09

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8. April 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. April
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt P.
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt V.
alsVertreterderNebenkläger,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2008 – mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung – mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und den Schmerzensgeldanspruch der Eltern des Getöteten, die sich als Nebenkläger dem Verfahren angeschlossen haben, als dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Nebenkläger erstrebt eine Verurteilung wegen Mordes. Das Rechtsmittel hat – in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts – Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
a) Der 1975 geborene Angeklagte stammt von den Kiribati-Inseln und übte im Jahr 2007 seinen Beruf als Vollmatrose auf dem unter deutscher Flagge fahrenden Motorschiff „H. I. “ aus.
4
Mit der als Stewardess an Bord beschäftigten A. vereinbarte er entsprechend den Gebräuchen ihrer gemeinsamen Heimat ein formelles Verwandtschaftsverhältnis als seine Schwester. Dies umfasste seine Berechtigung, der Frau Anweisungen zu erteilen und sie zu züchtigen.
5
Der als Auszubildender zum Schiffsmechaniker an Bord beschäftigte Sohn der Nebenkläger K. ging mit A. ein intimes Verhältnis ein. Damit war der Angeklagte einverstanden. Es entwickelte sich sogar eine Freundschaft zwischen dem Angeklagten und K. , der in seiner Freizeit den Kampfsport Taek Wan Do betrieb. Während eines gemeinsamen Landgangs am 2. November 2007 kam es zum Streit zwischen dem Angeklagten und A. , in den sich K. auf Seiten seiner Freundin einmischte. Der Angeklagte untersagte A. den Umgang mit dem K. und lehnte dessen mehrfach geäußerten Wunsch nach einem klärenden Gespräch ab. K. traf sich fortan heimlich mit seiner Freundin, was der Angeklagte vermutete. Er drohte A. unter Vorhalt eines Taschenmessers (des späteren Tatmessers) und sagte ihr, wenn sie so weitermache, würde ihr oder ihrem Freund etwas passieren. Dies verstand die Zeugin als Todesdrohung.
6
b) A. erzählte hiervon ihrem Freund. K. nahm die Drohung ernst und bekam Angst. Er berichtete darüber seinem Vorgesetzten, einem deutschen Chefingenieur, der seinerseits den deutschen Kapitän informierte. Auf dessen Weisung forderte der erste Offizier am 6. November 2007 gegen 10.00 Uhr vom Angeklagten die Herausgabe von dessen Pass. Der Angeklagte befragte mehrere Besatzungsmitglieder, deren Pässe indes nicht herausverlangt worden waren. Hieraus schloss der Angeklagte auf die Absicht des Kapitäns, das Seemannsverhältnis zu kündigen, weil der Angeklagte den K. bedroht hatte.
7
c) Der Angeklagte suchte anschließend nach K. . Er wollte mit ihm reden und erhoffte sich, dass dieser bei dem Kapitän die Dinge aus seiner Sicht richtig stellen würde. Er sah K. im Maschinenkontrollraum. „Er klopfte. K. ging seiner Arbeit nach, las die Instrumente ab und zeichnete Daten auf. Er hatte deshalb einen Kugelschreiber in der Hand. (…) (Der Angeklagte) fragte K. , ob er dem Kapitän Bericht erstattet habe. K. antwortete ihm, es treffe zu; er habe mit dem Chefingenieur gesprochen und dieser mit dem Kapitän. T. war schlagartig klar, dass er keine Chance mehr hatte und es keinen Sinn mehr machte, mit K. über die Kündigung zu reden. Er drehte sich deshalb um, um zu gehen. In diesem Moment hörte er K. kurz lachen und sinngemäß sagen: ‚T. , Du bist fertig, Du bist fertig. Siehst Du T. , von Deutsch zu Deutsch ist alles einfach.’ T. fühlte sich von dieser Äußerung tief getroffen, so dass sich seine unterdrückte Wut schlagartig entlud. Innerhalb kürzester Zeit geschah Folgendes: T. drehte sich um, trat an K. heran und drückte wutentbrannt sein Gesicht an das Gesicht von K. . Er wollte K. als entlarvten Urheber der Kündigung, der ihn dazu noch herabwürdigte , jetzt töten. K. schubste T. von sich weg und rief ,Raus’. Es kam zu einer kurzen Rangelei. (…) Der Angeklagte zog das Taschenmesser (…) und öffnete es per Druckknopf. T. stach sofort mehrfach zu. Dabei hielt er K. fest, der infolge der Stiche zu Boden ging. Insgesamt fügte T. dem Opfer in kürzester Zeit 19 Stiche und Schnittverletzungen zu. Zweimal stach er in den Brustkorb, fünfmal in den linken Arm des Opfers, dreimal in dessen Gesäß und sechsmal in seinen Rücken. Die genaue Reihenfolge der Stiche steht nicht fest, jedoch führte T. die Stiche in Brustkorb und Gesäß unwiderlegt zuerst aus. Bei allen Stichen stand T. vor dem Opfer und hielt es fest. Dabei ist unwiderlegt, dass T. die Stiche in den Rücken des Opfers ebenfalls ausführte, als er vor ihm stand. Die beiden Stiche in den Brustkorb eröffneten die linke Brustkorbhöhle; einer der Stiche verletzte auch den Herzbeutel. (…) Bei den Stichen in den Rücken bewegte er zum Teil mehrfach das Messer in einer Wunde. Drei der Stiche in den Rücken waren oberflächlich, drei Stiche tiefergehend. Einer dieser Stiche war ca. 12 cm tief, eröffnete den Brustkorb, verletzte die Lunge, die Brustschlagader (…) und endete im Brustwirbel. Diese Stichverletzung führte zum Verbluten des Opfers und nach kurzer Zeit zu dessen Tod.“ (UA S. 10 bis 12)
8
2. Das Schwurgericht stützt die Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen in allen wesentlichen Punkten auf die als unwiderlegt erachteten Angaben des Angeklagten. Es hat indes das weitergehende Verteidigungsvorbringen des Angeklagten, dass er in stark alkoholisiertem Zustand einen Angriff des K. abgewehrt hätte, als unzutreffend beweiswürdigend widerlegt. Die Bekundungen des Angeklagten, A. habe ihm von der Kündigung und deren Grund berichtet, hat das Landgericht ebenfalls nicht geglaubt. Die Schwurgerichtskammer nimmt an, dass die vom Angeklagten angegebene Reihenfolge der Stiche mit dem Verletzungsbild übereinstimme. Zwar habe der rechtsmedizinische Sachverständige hierzu nichts sagen können; er habe es aber für möglich gehalten, dass die vom Angeklagten geschilderte Version – Einstechen auf das durch Umklammern fixierte Opfer im Stehen von vorne – möglich sei.
9
Soweit der Angeklagte unmittelbar nach der Tat der Zeugin Ke. einen anderen Tatablauf – drei bis vier Stiche in den Rücken, Drehen des Opfers und Stiche in den Bauch und das Bein – geschildert hatte, könne auf die insoweit verlesene richterliche Aussage dieser Zeugin nichts gestützt werden. Es handele sich um eine Zeugin vom Hörensagen. Die vom Angeklagten in der Hauptverhandlung angegebene Version stimme mit dem Verletzungsbild überein. Daher hat es das Landgericht für möglich gehalten, dass die Zeugin eine falsche Erinnerung gehabt haben könnte.
10
Das Landgericht hat es als naheliegend bewertet, dass der neben dem von K. normalerweise benutzten Stuhl des Maschinenkontrollraums aufgefundene „kaputte Gehörschutz“ (UA S. 26) derjenige des Getöteten gewesen war. Davon, dass K. diesen Gehörschutz auch getragen hatte und deshalb nicht bemerkt haben könnte, wie sich der Angeklagte ihm genähert hatte, hat sich das Landgericht beweiswürdigend nicht überzeugt.
11
3. Auf der Grundlage der auf diese Weise getroffenen Feststellungen hat das Landgericht eine heimtückische Tötung verneint. Der Angeklagte habe nach einem Streitgespräch und nach einem kurzen Gerangel auf das um die zuvor erfolgte Drohung wissende, ängstliche Opfer von vorne eingestochen. Das Landgericht hat unter Anwendung des Zweifelssatzes ohne Anhörung eines Sachverständigen eine affektbedingte tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Umfang des § 21 StGB nicht ausgeschlossen.
12
4. Die mit der Sachrüge geführte Revision der Nebenkläger dringt durch. Die Beweiswürdigung des Schwurgerichts zum Tatablauf, der ganz wesentlich für die Beurteilung der Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke ist, hält der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand.
13
a) Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht oder – wie hier – sich beweiswürdigend nicht vom Vorliegen eines Mordmerkmals zu überzeugen vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Fehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH NJW 2006, 925, 928 m.w.N., insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt).
14
Ein Rechtsfehler kann auch darin liegen, dass der Tatrichter einer Einlassung kritiklos gefolgt ist (vgl. BGHSt 50, 80, 85) oder dass entlastende Angaben eines Angeklagten, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, mit anderen Beweismitteln in Bezug gesetzt worden sind, deren Beweiswert indes nach unzutreffenden Maßstäben (vgl. BGH NStZ 2001, 491, 492) oder lückenhafter oder wer- tungsfehlerhafter Würdigung bestimmt worden ist (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08 Rdn. 12 ff., teilweise abgedruckt in BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung , unzureichende 20). So liegt es hier.
15
b) Die Würdigung der Einlassung des Angeklagten durch das Landgericht lässt nicht erkennen, dass sich das Schwurgericht in jeder Beziehung des schuldmindernden Charakters der Angaben des Angeklagten bewusst war. Das Landgericht hat wesentliche Angaben des Angeklagten zutreffend als widerlegt angesehen, nämlich dass er erheblich alkoholisiert gewesen sei und sich nur verteidigt habe. Die so vollzogene Bewertung zentralen Verteidigungsvorbringens als Schutzbehauptung hätte es indes erfordert, auch bei der Würdigung weiterer vom Angeklagten vorgetragener Umstände deren Charakter als kritisch zu betrachtendes Verteidigungsvorbringen zu beachten. Erst danach hätte von dessen partieller Glaubhaftigkeit – wie es das Landgericht indes durchgehend wie selbstverständlich getan hat – ausgegangen werden dürfen (vgl. BGH NStZ 2001, 491, 492).
16
c) Dabei offenbaren Beweiserwägungen des Landgerichts, mit denen es Angaben des Angeklagten als mit fehlerfrei festgestellten Umständen in Einklang stehend angesehen hat, Lücken und Wertungsfehler.
17
aa) Das Landgericht hat aus der vom rechtsmedizinischen Sachverständigen übernommenen Wertung, die vom Angeklagten in der Hauptverhandlung geschilderte Tatversion – ein Angriff von vorn – sei möglich, eine Wahrscheinlichkeit eines solchen Tatablaufs entnommen und diese Version seinen Feststellungen zugrunde gelegt. Diese Würdigung wäre indes nur fehlerfrei, wenn die gegenteilige Tatversion – Angriff von hinten – auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts als nicht genauso wahrscheinlich zu erachten gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08 Rdn. 13 m.w.N.). Letzteres ist indes vorliegend der Fall. Dass ein Beginn des Angriffs von hinten medizinisch nicht weniger plau- sibel erscheint als ein solcher von vorn, versteht sich angesichts des festgestellten Verletzungsbildes von selbst.
18
Die Vereinbarkeit der jetzigen Tatversion des Angeklagten mit dem Verletzungsbild konnte daher die von der Zeugin Ke. wiedergegebene Bekundung des Angeklagten nach der Tat, er habe K. drei- oder viermal in den Rücken gestochen, dann gedreht und noch oft in den Bauch sowie ins Bein gestochen, nicht in Zweifel ziehen. Soweit das Landgericht der Zeugin, deren richterliche Vernehmung insofern verlesen worden ist, wegen möglicher falscher Erinnerung nicht gefolgt ist, offenbart auch dies durchgreifende Wertungsfehler. Das Landgericht hat die verlesene Aussage der Zeugin Ke. in anderen Zusammenhängen als uneingeschränkt glaubhaft angesehen. Danach fehlt es für die Annahme einer möglichen unzutreffenden Erinnerung an einer genügenden Tatsachengrundlage (vgl. BGHSt 51, 324, 325 m.w.N.). Allein der Hinweis, es habe sich um eine Zeugin vom Hörensagen gehandelt, macht die Möglichkeit einer falschen Erinnerung an eine von ihr gehörte, zumal durchaus markante Tatschilderung nicht wahrscheinlich.
19
Bei Bewertung der Glaubhaftigkeit von Bekundungen des Angeklagten , zum einen seiner in der Hauptverhandlung behaupteten Version – Angriff von vorn –, zum anderen der nach Angabe der Zeugin ihr gegenüber vom Angeklagten unmittelbar nach der Tat bekundete Tatablauf – Beginn des Angriffs von hinten – wäre bei abweichender Würdigung der Zeugenaussage zu bedenken gewesen, dass Äußerungen eines Täters unmittelbar nach der Tat – zumal wie hier in aufgewühltem Gemütszustand – weniger von Verteidigungsinteressen geprägt gewesen sein mögen und ihnen deshalb eine höhere Wahrscheinlichkeit innewohnt, mit der Wirklichkeit übereinzustimmen , als dies für eine viele Monate später erfolgte Einlassung in der Hauptverhandlung anzunehmen ist (vgl. auch BGH NJW 2003, 2692, 2694). Diesem Ansatz ist das Landgericht selbst gefolgt, soweit es aufgrund von Bekundungen des Angeklagten nach der Tat gegenüber dem Bordpersonal ausgeschlossen hat, dass der Angeklagte in (Putativ-)Notwehr gehandelt haben könnte.
20
bb) Die Wertung des Landgerichts, der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung geschilderte Tatablauf – Angriff von vorn – sei nicht zu widerlegen, beruht hinsichtlich weiterer Umstände auf einer lückenhaften Beweiswürdigung.
21
Das Landgericht hat bei dem angenommenen offenen Kampf für die Bewertung der Kampfeslage nicht alle festgestellten Umstände in die Betrachtung einbezogen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 18 und 20). Für die der Tatausführung als vorausgegangen angenommene Rangelei und die Fähigkeit des Angeklagten, K. festzuhalten, fehlt eine Betrachtung des Umstandes, dass das Opfer Kampfsportler war und sich naheliegend gegen einen offenen Angriff durch Einsatz von durch Kampftechniken geleiteten Körperkräften hätte verteidigen können. Ferner bleibt unerörtert, in welchem Zusammenhang des Kampfgeschehens der Gehörschutz des Opfers zerstört worden sein konnte.
22
cc) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei durch die Provokation des Opfers zur Tat gedrängt worden, stößt auf Bedenken, weil sie ausschließlich auf der ersichtlich nicht kritisch hinterfragten Einlassung des Angeklagten beruht (vgl. BGHSt 50, 80, 85). Darüber hinaus fußt sie ebenfalls auf einer lückenhaften Würdigung festgestellter Umstände.
23
Das Landgericht ist der in der Hauptverhandlung abgegebenen Einlassung des Angeklagten gefolgt, die Äußerung des Opfers habe ihn maßlos geärgert und er habe sich tief getroffen gefühlt. Dieser Umstand wäre aus Sicht des Angeklagten naheliegend als genauso wichtig zu bewerten gewesen wie ein vorhergegangener Angriff des Opfers. Der Angeklagte hat ihn indes bei seinen Äußerungen zum Tatgeschehen gegenüber den Besatzungsmitgliedern ausweislich des Urteils genauso wenig erwähnt wie den in der Hauptverhandlung behaupteten Angriff. Das Landgericht hätte deshalb zur Prüfung der Glaubhaftigkeit der Provokation – aus den gleichen zutreffenden Erwägungen, wie es dies bei dem Angriff getan hat – kritisch erwägen müssen, dass der Angeklagte unmittelbar nach der Tatbegehung sich hierüber ebenfalls nicht geäußert hatte. Hinzu tritt, dass – auch wenn sich ein Angriff durch das Opfer und eine Provokation durch dieses nicht zwingend gegenseitig ausschließen müssen – die Grundlagen dieser Verteidigungsvarianten eher selten zusammentreffen werden und wenigstens nach Widerlegung einer Variante die Plausibilität der Einlassung insgesamt zu prüfen gewesen wäre (vgl. BGHR StPO § 261 Einlassung 6).
24
dd) Soweit das Landgericht aus vom Angeklagten geschilderten Erwägungen zum Zweck der von ihm gesuchten Aussprache mit K. in der Sache auch eine Plausibilität des vom Angeklagten geschilderten Tatablaufs unmittelbar vor der Provokation angenommen hat, beruht dies ebenfalls auf einer lückenhaften Würdigung festgestellter Umstände.
25
Der Angeklagte will das Gespräch mit K. gesucht haben , damit dieser ihm durch eine spätere Vorsprache beim Kapitän helfen könne. Zu diesem Zeitpunkt war dem Angeklagten aber der Kündigungsgrund , die Bedrohung K. s, bereits bekannt; er wusste auch, dass A. den Kapitän hierüber nicht informiert hatte. Damit kam für den Angeklagten das Opfer als nächstliegender, wenn nicht einziger Informant der Schiffsleitung in Frage. Die vom Landgericht dem Angeklagten auf die Mitteilung K. s, er habe über den Chefingenieur den Kapitän informiert, zugebilligte überraschende Erkenntnis, K. könne ihm nicht mehr helfen, und das daraus abgeleitete Motiv des Angeklagten , den Maschinenkontrollraum nun wieder zu verlassen, beruhen demnach insoweit auf einer unvollständigen Auswertung der die Kenntnis des Angeklagten begründenden Umstände.
26
ee) Schließlich wäre zu problematisieren gewesen, ob die angenommene Provokation des Angeklagten durch K. nicht auch deshalb eher unwahrscheinlich war, weil K. gewisse Angst vor dem Angeklagten empfand (UA S. 8, 9, 26, 39).
27
5. Die Sache bedarf insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung. Die für die Annahme des Mordmerkmals Heimtücke maßgeblichen Umstände werden ganz wesentlich von der Art der Tatausführung bestimmt. Deshalb war der Senat genötigt, die Feststellungen insgesamt aufzuheben. Nach den auch hier geltenden Grundsätzen von BGHSt 52, 96 ist die Adhäsionsentscheidung von der Aufhebung auszunehmen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 406a Rdn. 8).
28
6. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
29
Das aufgrund der bisherigen Feststellungen belegte Motiv des Angeklagten , Rache für die als unberechtigt empfundene, von K. durch Information eines Vorgesetzten geförderte Kündigung zu üben, wäre nicht geeignet, das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe zu begründen. Unter Berücksichtigung der Heimlichkeit der zudem als ungerecht empfundenen Kündigungsvorbereitungen und seiner tief empfundenen Kränkung über das Verhalten der A. entbehrte das Rachemotiv noch nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 147, 149 m.w.N.).
30
Der Versuch einer liquiden psychiatrischen Begutachtung des Angeklagten sollte bei der Schwere des Tatvorwurfs trotz der vom Schwurgericht benannten Schwierigkeiten in Vorbereitung der erneuten Hauptverhandlung beschritten werden. In jedem Fall sollte das neue Tatgericht seine Sachkunde zumindest durch einen Sachverständigen verbreitern, der die in der Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen bewertet.
Basdorf Brause Schaal Dölp König
5 StR 182/09
(alt: 5 StR 257/08)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 23. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juni 2009

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Dezember 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Nach Aufhebung einer ersten Verurteilung durch den Senat (NStZ-RR 2008, 341) hat das Landgericht den Angeklagten erneut wegen Heimtückemordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision greift mit der Sachrüge durch, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrügen nicht bedarf.
2
1. Die zunächst berufene Schwurgerichtskammer hatte ihre Feststellungen überwiegend auf eine von dem Verteidiger schriftlich fixierte, als eigene Einlassung übernommene Erklärung gestützt. Der Angeklagte hatte darin die Verursachung des Todes des ihn bedrohenden, von seinen tschetschenischen Landsleuten „General“ genannten B. durch Erdrosseln von hinten im fahrenden Pkw als nicht gewollte Folge bei der Durchführung einer geplanten Fesselung eingeräumt. Ersichtlich im Blick auf die damaligen Gutachten medizinischer Sachverständiger, die den Eintritt der Bewusstlosigkeit des B. nach wenigen, höchstens zehn Sekunden und den Todeseintritt spätestens nach zwei Minuten belegten, hatte das Landgericht aus dem Drosselvorgang kein maßgebliches Indiz für einen Tötungsvorsatz hergeleitet, vielmehr auf eine Tötungsabsicht aus einer vorherigen Alibibeschaffung geschlossen. Dies hielt der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand (Senat in NStZ-RR 2008, 341).
3
2. Das nunmehr berufene Schwurgericht hat sich der damaligen Einlassung des – jetzt schweigenden – Angeklagten versichert und folgendes Geschehen nach einer Todesdrohung des Opfers gegenüber der Mutter des Angeklagten festgestellt:
4
„Der hinter der Rückbank sich verborgen haltende Angeklagte hörte dies und geriet in Wut. Er beschloss nun, B. im Pkw zu töten. Daher nahm er das zum Fesseln vorgesehene Seil, erhob sich etwas hinter der Bank, warf es von hinten schnell um den sich keines Angriffs versehenden B. und zog ihn kraftvoll nach hinten. Es kann sein, dass das Seil zunächst um den Oberkörper des B. geworfen wurde und dann – durch das Zuziehen – um den Hals des B. gelangte. Sichere Feststellungen hierzu ließen sich nicht treffen, da B. – der Witterung angepasst – mehrere dicke Bekleidungsstücke trug, so dass etwaige Spuren des Seils am Oberkörper nach der Tat nicht mehr feststellbar waren. Jedenfalls aber zog der Angeklagte das Seil, als es um den Hals des B. lag, schnell und äußerst kraftvoll zu, um B. zu töten. Durch die dabei erfolgte vollständige Kompression sowohl des arteriellen Zustroms als auch des venösen Abstroms wurde B. sofort bewusstlos und konnte sich dem Angriff nicht mehr entgegensetzen. Der Angeklagte erkannte dies. Den Überraschungseffekt hatte er bewusst für die spontan geplante Tötung ausgenutzt. Dessen ungeachtet ließ er das Seil nicht locker, sondern hielt es weiterhin fest um den Hals des B. gespannt, so dass dieser innerhalb kürzester Zeit verstarb. Mitursächlich für den Tod des B. war auch dessen weit fortgeschrittene TBC-Erkrankung. (…) Der Körper des B. wurde bis zum Eintreten des Todes mehrfach im Innern des Fahrzeugs bewegt, etwa durch die fahrzeugeigenen Bewegungen beim Fahren oder durch nicht näher aufklärbare Fremdeinwirkung. Dadurch wurden einzelne oberflächliche Hautabschürfungen an der linken Brust- und Kopfseite, insbesondere im linksseitigen Stirn- und Jochbein und Wangenbereich verursacht, die jedoch für den Todeseintritt nicht ursächlich und jedenfalls nicht postmortal, allenfalls: agonal , entstanden waren“ (UA S. 9 f.).
5
3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält erneut der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand. Sie erweist sich hinsichtlich des Tathergangs als lückenhaft (vgl. BGHSt 14, 162, 164 f.; 29, 18, 20; BGH NJW 2007, 384, 387, insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt) und trägt die Annahme eines Tötungsvorsatzes nicht (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 370, 371).
6
a) Das Landgericht hat es unterlassen, die bei dem Opfer erstmals festgestellten Schürfwunden daraufhin zu prüfen, ob sie mit dem angenommenen Tatablauf vereinbar sind oder diesem gar widersprechen. Dazu hätte umso mehr Anlass bestanden, als die angenommenen Tatumstände ausschließlich auf einer früheren, nicht zum Zweck der Sachaufklärung, sondern zur Verteidigung ausgearbeiteten Sachverhaltsschilderung des Angeklagten beruhen, deren Beweiswert besonders kritisch zu hinterfragen ist (vgl. BGH NJW 2003, 2692, 2694; BGH, Urteil vom 8. April 2009 – 5 StR 65/09).
7
aa) Soweit das Landgericht die Entstehung der Verletzungen als durch fahrzeugeigene Bewegungen – also Anstoßen des Körpers an harten Fahrzeugteilen – für möglich hält, sind solche für die Zeit vor dem Angriff des Angeklagten ersichtlich ausgeschlossen. Ein bei Bewusstsein und im Besitz seiner Körperkräfte befindlicher Mitfahrer in einem Pkw verletzt sich während normaler Fahrt nicht selbst.
8
Einer Annahme der Entstehung der Verletzungen in der Zeit zwischen dem Eintritt der Bewusstlosigkeit und des Todes widerstreiten indes die festgestellten Tatumstände. Der Angeklagte zog das um den Hals des Opfers liegende Seil schnell und äußerst kraftvoll zu. Das auf dem Fahrzeugsitz in normaler Haltung befindliche Opfer wurde sofort bewusstlos und verstarb unter fortdauerndem Spannen des Seils „innerhalb kürzester Zeit“ (UA S. 9). Während dieser Tatausführung ist ein Entstehen der Verletzungen durch fahrzeugeigene Bewegungen wegen der mit der Drosselung verbundenen Fixierung des Opfers und des äußerst geringen Zeitraums, in der die Verletzungen entstanden sein konnten, außerordentlich unwahrscheinlich.
9
Hinsichtlich der Verletzungen des Opfers an der Brust tritt hinzu, dass diese im Blick auf einen weiteren festgestellten Umstand durch ein Anstoßen an harten Fahrzeugteilen schwerlich verursacht werden konnten. B. trug nämlich mehrere dicke Bekleidungsstücke, die es sogar verhinderten, dass ein kraftvolles Zuziehen des Seils über dem Oberkörper Spuren hinterlassen konnte. Solches widerspricht aber genauso auch einer Verursachung der Verletzungen durch ein Anstoßen.
10
bb) Soweit das Landgericht eine nicht näher aufklärbare Fremdeinwirkung für ursächlich hält, könnte es sich für die Zeit der Tatausführung, die den Angeklagten infolge des kräftigen Ziehens an dem Seil voll in Anspruch genommen hatte, nur um ein mögliches Eingreifen eines Dritten handeln. Ein solcher stand indes nach den Feststellungen des Landgerichts für die angenommene Tatzeit nicht zur Verfügung. Der Tatgehilfe S. war noch nicht in das Fahrzeug eingestiegen. Bu. lenkte den Pkw und war dieserhalb an Einwirkungen auf den hinter ihm sitzenden B. gehindert. Für die Zeit vor der Tat im Pkw kommt nach den Feststellungen des Landgerichts nur der Angeklagte als Verursacher in Betracht. Ein Zusteigen des B. in das Fahrzeug in bereits verletztem Zustand ist nach dem Zusammenhang der Feststellungen ersichtlich ausgeschlossen. Eine vom Landgericht somit zu betrachtende Verursachung der nicht tödlichen Verletzungen durch den Angeklagten vor der Tatausführung hätte indes eine völlig Neubestimmung des allein auf die Einlassung des Angeklagten beruhenden Tatablaufs – etwa durch Annahme körperlicher Übergriffe vor der Fesselung oder möglicher- weise gar durch Annahme einer Tatausführung außerhalb des Pkw – eröffnet. Dies entzieht der Verurteilung wegen heimtückisch begangenen Mordes die Grundlage.
11
b) Soweit das Landgericht in seinen Feststellungen (UA S. 9) die Fassung einer Tötungsabsicht für den Zeitpunkt unmittelbar nach der gegen die Mutter des Angeklagten gerichteten Todesdrohung des B. annimmt, beruht dies auf einer unklaren Beweisgrundlage (vgl. BGH NJW 2007 aaO; BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – 5 StR 392/07).
12
Das Landgericht stellt zur Begründung des Tötungsvorsatzes und zur Widerlegung der Einlassung des Angeklagten, er habe nur die Widerstandslosigkeit des Opfers erreichen wollen, fest, dass der Angeklagte trotz sofort eingetretener und von ihm erkannter Bewusstlosigkeit den Drosselungsvorgang fortgesetzt hat. Indes beruht die Annahme solcher Kenntnis des Angeklagten nicht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 370, 371; BGH, Urteil vom 16. Oktober 2008 – 5 StR 348/08). Bei der festgestellten Tatausführung – schnelles und äußerst kraftvolles Zuziehen des um den Hals liegenden Seils aus etwas erhobener Position von hinter der Sitzbank des Opfers aus während der Fahrt in städtischer Nacht – bleibt offen, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände der Angeklagte die „sofort“ eingetretene Bewusstlosigkeit erkannt haben soll. In diesem Zusammenhang lassen sich auch aus der Dauer des Drosselungsvorgangs keine den Tötungsvorsatz begründenden Umstände entnehmen (vgl. BGHR StGB § 212 Vorsatz, bedingter 57). Diese hat das Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt; sie betrug jedenfalls nur „kürzeste Zeit“.
13
4. Die Sache bedarf demnach insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung. Dabei wird sich die neu berufene Schwurgerichtskammer des in der Regel von Verteidigungsinteressen geprägten Charakters der Einlassung des Angeklagten bewusst zu machen haben (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2009 – 5 StR 65/09), die Aufklärung nahe liegend auf die von der Revision zum Todeszeitpunkt in einer Verfahrensrüge vorgetragenen Umstände zu erstrecken und auch die im ersten tatrichterlichen Urteil noch problematisierte Todesursache des Erhängens zu prüfen haben.
Basdorf Brause Schaal Schneider König

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 572/06
vom
19. April 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. April
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim BGH in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin W. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin E. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 7. Juli 2006 im Schuldspruch dahin geändert, dass er der Vergewaltigung in drei Fällen , davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen , davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt; außerdem hat es Entscheidungen in Adhäsionsverfahren getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
2
1. Das Rechtsmittel führt zu der aus dem Urteilstenor ersichtlichen Schuldspruchänderung, da der Senat im Fall 2 der Urteilsgründe gemäß § 154 a Abs. 2 StPO die Strafverfolgung mit Zustimmung des Generalbundes- anwalts und der Nebenklägerin E. auf den Vorwurf der Vergewaltigung beschränkt hat; im Übrigen ist es unbegründet.
3
2. Soweit die Revision die Verletzung formellen Rechts rügt, bleibt ihr aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen der Erfolg versagt.
4
3. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere begegnet die Annahme von Tatmehrheit hinsichtlich der Taten 2 und 3 der Urteilsgründe durch den Tatrichter keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen zwang der Angeklagte die Nebenklägerin E. unter Anwendung von Gewalt zum Oral- und Vaginalverkehr. Danach ließ er von ihr ab und legte sich zur Seite, derweil die Geschädigte das Badezimmer aufsuchte und sich wusch. Als sie aus dem Bad kam, hatte sich der Angeklagte wieder vollständig bekleidet und sprach sie auf das soeben Geschehene an. Auf ihre Aufforderung, sofort die Wohnung zu verlassen , begab er sich in den Flur, wo seine Schuhe standen. Dann erst fasste er den Entschluss, die Nebenklägerin nochmals zu vergewaltigen. Unter erneuter Gewaltanwendung vollzog er mit ihr den Vaginalverkehr, nachdem er erst vergeblich versucht hatte, sie erneut zum Oralverkehr zu zwingen.
6
b) Die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses bei mehrfach nacheinander mittels Gewaltanwendung begangenen Vergewaltigungstaten hängt entscheidend davon ab, ob diesen Taten eine einheitliche Gewalteinwirkung zu Grunde liegt (vgl. BGH NStZ 2000, 419, 420; Urteil vom 13. Februar 2007 - 1 StR 574/06). Die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte die zweite Tat unter Ausnutzung einheitlicher, während des gesamten Tatgeschehens fortwirkender Gewaltanwendung erzwang. Der Angeklagte handelte vielmehr auf Grund eines neuen Tatentschlusses und unter Einsatz erneuter Gewalt.
7
Auch unter Berücksichtigung der Grundsätze der natürlichen Handlungseinheit war die Annahme nur einer Tat im Rechtssinne nicht geboten. Nach der ersten Tat war zunächst eine gewisse Beruhigung der Situation eingetreten, sodass sich das gesamte Tätigwerden des Angeklagten auch für einen objektiven Dritten bei natürlicher Betrachtungsweise nicht zwingend als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt.
8
Nach alledem ist die Bewertung des Konkurrenzverhältnisses durch das Landgericht vertretbar. Sie hält sich im Rahmen des insoweit dem Tatrichter eröffneten Beurteilungsspielraums und ist - unbeschadet der Frage, ob auch eine andere Beurteilung möglich wäre - daher vom Revisionsgericht hinzunehmen (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 68, 69). Der Tatsache, dass zwischen den beiden Taten zum Nachteil der Nebenklägerin E. ein enger zeitlicher, personeller und situativer Zusammenhang bestand, hat das Landgericht bei der Gesamtstrafenbildung Rechnung getragen.
9
4. Der Strafausspruch im Fall 2 der Urteilsgründe kann ungeachtet der Änderung des Schuldspruchs bestehen bleiben. Allerdings hat das Landgericht bei der Bemessung der insoweit verhängten Einzelstrafe von vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe die Verwirklichung einer tateinheitlich begangenen vorsätzlichen Körperverletzung strafschärfend berücksichtigt. Angesichts dessen kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs auf eine geringere Strafe erkannt hätte. Einer Aufhebung des Einzelstrafausspruchs bedarf es gleichwohl nicht, weil der Senat die Strafe im Hinblick darauf, dass die Tat ihr Gewicht allein durch die mehrfachen, mit einem Eindringen in den Körper der Geschädigten verbundenen sexuellen Übergriffe erhält, als schuldangemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO erachtet (vgl. hierzu BGHSt 49, 371 ff.).
Tepperwien Kuckein Solin-Stojanović
Ernemann Sost-Scheible
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Zur Strafbarkeit gemäß § 227 StGB und zum Tötungsvorsatz
eines Schönheitschirurgen, der es vorübergehend unterlassen
hat, seine wegen eines Aufklärungsmangels rechtswidrig operierte
komatöse Patientin zur cerebralen Reanimation in ein
Krankenhaus einzuweisen.
BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 561/10
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 7. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Juli
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt L.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt B.
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizhauptsekretärin ,
Amtsrätin
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 1. März 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Davon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tathergang, die zur Begründung des Verbrechens der Körperverletzung mit Todesfolge getroffen worden sind, sowie die Feststellungen zu den objektiven Tatumständen im Übrigen und diejenigen zur Person des Angeklagten. All diese Feststellungen bleiben aufrechterhalten. Insoweit werden die Rechtsmittel verworfen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das genannte Urteil im Strafausspruch und in der zur konventionswidrigen Verfahrensverzögerung ergangenen Kompensationsentscheidung aufgehoben.
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und auf ein vierjähriges Berufsverbot als niedergelassener Chirurg, Sportmediziner und Arzt im Rettungsdienst erkannt. Die Schwurgerichtskammer hat ferner ein Jahr der verhängten Strafe wegen überlanger Verfahrensdauer für vollstreckt erklärt.
2
Die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers erzielen die aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolge. Die auf Teile des Rechtsfolgenausspruchs beschränkte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist umfassend begründet.
3
1. Das Landgericht hat zur Person des Angeklagten und zum objektiven Tatgeschehen im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
a) Der seit 1988 im Fach Unfallchirurgie habilitierte Angeklagte war nach früheren Tätigkeiten als Assistenzarzt in der plastischen Chirurgie und als Stationsarzt in der Unfallchirurgie von 1985 bis 1995 als Oberarzt in der Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Marburg tätig. Zu seinen Aufgaben gehörten die Erstversorgung von Schwerverletzten und ihre weitere Betreuung bis hin zur Rehabilitation. Zudem führte er selbständig viele Lokal- und Regionalanästhesien durch. Ab 1994 betrieb der Angeklagte als ambulant praktizierender Chirurg eine Tagesklinik in Berlin. Er nahm zahlreiche plastische chirurgische Eingriffe vor, darunter auch viele Schönheitsoperationen.
5
b) Am 30. März 2006 unterzog sich die 49 Jahre alte gesunde Sch. bei dem Angeklagten von 9.00 Uhr bis 12.30 Uhr einer Bauchdeckenstraffung , verbunden mit einer Fettabsaugung, Entfernung einer Blinddarmoperationsnarbe und Versetzung des Bauchnabels. Für die Operation und das schmerzausschaltende Verfahren hatte sie am 22. März 2006 schriftlich ihr Einverständnis erklärt. Der Angeklagte sicherte Frau Sch. der Wahrheit zuwider zu, dass am Tag der Operation ein Anästhesist zugegen sein werde. Auf ihre in Anwesenheit ihres Ehemanns vor Beginn des Eingriffs gestellte Frage, wo der Anästhesist sei, antwortete eine der Arzthelferinnen, „dass dies der Doktor gleich mache“ (UA S. 7, 23). Gegen 8.00 Uhr erhielt die Patientin Beruhigungsmittel und wurde im Operationssaal an Überwachungsgeräte angeschlossen, mittels derer die Frequenz des Herzschlages, der Erregungsablauf des Herzens, der Blutdruck und die Sättigung des Blutes mit Sauerstoff gemessen wurden. Eine Blutgasmessung, mit der die Sauerstoffversorgung des Gehirns zu bestimmen ist, erfolgte dabei nicht. 20 Minuten vor Beginn der Operation wurde die Narkose eingeleitet und kurz darauf vom Angeklagten eine Periduralanästhesie gesetzt. Gegen 9.00 Uhr füllte der Angeklagte die Bauchareale der Patientin, aus denen Fett abgesaugt werden sollte, mit einer Tumeszenzlösung. Gegen Ende des Eingriffs (11.00 Uhr und 12.15 Uhr) wurden weitere Narkosemittel zugeführt.
6
Beim Schließen der Wunde gegen 12.30 Uhr kam es bei der Patientin zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Der Angeklagte reanimierte mittels einer Herzdruckmassage. Währenddessen erbrach die Patientin. Nach Säuberung des Mund- und Rachenraums fuhr der Angeklagte mit der Massage fort. Zum Offenhalten der Atemwege setzte er einen Guedel-Tubus ein, der nicht vor Aspiration schützt. Er verabreichte Sauerstoff mittels einer Maske und führte Adrenalin und andere Medikamente zu. Gegen 13.00 Uhr befand sich die Herzfrequenz wieder im Normbereich bei zwischen 12.20 Uhr bis noch 13.20 Uhr stark abgesenktem Blutdruck. Die Patientin atmete spontan und erhielt Infusionen und blutdrucksteigernde Medikamente in nicht dokumentierter Menge und zu nicht dokumentierten Zeitpunkten. Bei Dienstende der Arzthelferin R. gegen 14.30 Uhr waren die „Vitalwerte“ wieder im Normbereich, der äußere Zustand der Patientin war indes unverändert. Die Helferin fragte sich, ob nicht besser ein Notarzt zu alarmieren sei; sie traute sich aber nicht, dies anzusprechen, weil sich der cholerische Angeklagte nichts hätte sagen lassen. Die Patientin erlangte auch nach Abklingen der Wirkung der Narkosemittel ihr Bewusstsein nicht wieder.
7
c) Der Angeklagte führte seine Sprechstunde weiter und sah in regelmäßigen Abständen nach der Patientin. Er ließ deren Ehemann gegen 15.00 Uhr der Wahrheit zuwider ausrichten, dass seine Frau aufgewacht und alles in Ordnung sei. Sie schlafe jedoch immer wieder ein, weshalb er nicht mit ihr sprechen könne. Gegen 18.00 Uhr erklärte der Angeklagte dem Nebenkläger erneut, mit seiner Frau sei alles in Ordnung, er wolle sie aber über Nacht in ein Krankenhaus bringen, da sie immer wieder einschlafe. Gleiches bekundete er gegen 18.30 Uhr gegenüber einer Ärztin des Sankt Gertrauden Krankenhauses, als er anfragte, ob ein Bett auf der Intensivstation zur Verfügung stehe. Der Angeklagte bestellte gegen 19.10 Uhr einen Krankentransportwagen ohne intensivmedizinische Ausrüstung, der um 19.45 Uhr eintraf. Die Transportsanitäter erkannten sofort den Ernst der Lage der bewusstlosen Patientin und bemerkten anhand ihrer lockeren Extremitäten, ihrer Hautfärbung und der Schweißbildung, dass sie Sauerstoff benötige. Der Angeklagte widersetzte sich zunächst der Absicht eines Rettungssanitäters, mit Blaulicht und Martinshorn zum Krankenhaus zu fahren. Letzterer bestand nach lautstark und erregt geführter Diskussion darauf und machte den Angeklagten verantwortlich für den Einsatz der Sonderrechte.
8
Der Angeklagte verschwieg bei der Einlieferung der komatösen Patientin auf der Intensivstation gegen 20.00 Uhr den eingetretenen Herzstillstand mit nachfolgender Reanimation und die Aspiration der Patientin. Er übergab keine Krankenunterlagen und teilte die verabreichten Medikamente nicht mit. Er war später über die hinterlassene Mobilfunktelefonnummer für die Ärzte des Krankenhauses nicht erreichbar. Die Zusage, die Patientenunterlagen alsbald zu übergeben, erfüllte er nicht. Erst am 3. April 2006 händigte er dem Nebenkläger, der mit der Einschaltung der Polizei gedroht hatte, eine Kopie des Operationsberichtes und des Narkoseprotokolls aus. Sch. verstarb am 12. April 2006 im Krankenhaus an den Folgen einer glo- balen Hirnsubstanzerweichung, ohne das Bewusstsein zuvor wiedererlangt zu haben.
9
2. Zu den medizinisch relevanten Zusammenhängen hat das Landgericht mit Hilfe von mehreren medizinischen Sachverständigen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
10
a) Die Vornahme der komplexen mehrstündigen Operation ohne Hinzuziehung eines Anästhesisten entsprach nicht dem ärztlichen Standard: Die Betäubung durch eine Periduralanästhesie in Verbindung mit der Verabreichung einer Tumeszenzlösung sowie zentral wirkender Opiate stelle sowohl in ihren Einzelkomponenten aber besonders in ihrer Kombination ein mit bekannten Risiken behaftetes Verfahren dar, das zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Vitalfunktionen des Patienten führe. Eine gebotene Überwachung durch einen Anästhesisten hätte die Chancen einer früheren Diagnose des lebensbedrohlichen Zustands und einer folgenden adäquaten Therapie deutlich verbessert, wodurch sich die Überlebenschancen erhöht hätten.
11
b) Der Angeklagte behandelte Sch. nach der Reanimation unter groben Verstößen gegen die ärztliche Kunst, indem er der spontan atmenden Patientin lediglich Infusionen und blutdrucksteigernde Medikamente verabreichte: Nachdem der Angeklagte mangels Blutgasanalyse nicht feststellen konnte, ob dem Gehirn der Patientin genügend Sauerstoff zugeführt würde, wäre eine endotrachiale Intubation mit zusätzlicher Sauerstoffbeatmung und – bei der unklar gebliebenen Ursache des Herz-KreislaufStillstands – eine sofortige Verlegung der Patientin zur cerebralen Reanimation in eine Intensivstation vorzunehmen gewesen.
12
c) Wann genau die irreversible, zum Tode führende Hirnschädigung durch Sauerstoffunterversorgung nach der Wiederbelebung in der Praxis des Angeklagten eingetreten war, konnte nicht sicher geklärt werden. Jedenfalls litt die Patientin zum Zeitpunkt ihrer Ankunft im Krankenhaus bereits an einer schweren posthypoxischen Hirnschädigung, die, wie eine Auswertung computertomographischer Aufnahmen vom 30. und 31. März 2006 in Zusammenschau mit den bekannten Tatsachen zur Entwicklung des Zustands der Patientin ergab, in den Nachmittagsstunden des 30. März 2006 entstanden war. Bei einer sofortigen Verlegung in ein Krankenhaus nach der Reanimation hätte die Patientin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt , zumindest eine nicht unerhebliche Zeit länger gelebt.
13
d) Das Landgericht hat unterschiedliche Einwände des Angeklagten, mit denen er sein Verhalten als medizinisch begründet dargelegt hat, mit Hilfe von Sachverständigengutachten und Zeugenbekundungen widerlegt. Danach war seine Patientin nach der Reanimation wie nahezu jeder schwer erkrankte Mensch transportfähig. Eine den Transport erschwerende Rechtsherzinsuffizienz lag nicht vor. Die vom Angeklagten nicht für möglich gehaltene weitergehende Intubation der Patientin ist im Krankenhaus als erste Maßnahme komplikationslos erfolgt. Der Zustand der Patientin in der Tagesklinik des Angeklagten hatte sich nicht gebessert. Eine fehlerhafte Behandlung durch Ärzte im Sankt Gertrauden Krankenhaus hat das Landgericht beweiswürdigend ausgeschlossen.
14
3. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde gelegt:
15
a) Das sich aus den Umständen der komplexen Operation ergebende Erfordernis, einen Anästhesisten zumindest in Rufbereitschaft in der Praxis zur Verfügung zu haben, sei dem Angeklagten aufgrund seiner Ausbildung und Berufserfahrung bekannt gewesen.
16
b) Die Kenntnis des Gebots, eine nach Wiedereintritt des Herzschlages noch bewusstlose Patientin in der Postreanimationsphase in Begleitung eines Notarztes in die nächstgelegene Intensivstation zu verbringen, erachtete die Schwurgerichtskammer als für das Wissen eines jeden Arztes derart grundlegend, dass der in der Rettungs- und Intensivmedizin langjährig erfahrene Angeklagte hierüber jedenfalls verfügte. Auf dieser Grundlage und nach dem Hinweis des Angeklagten auf einen möglichen tödlichen Verlauf der Operation im Rahmen der Aufklärung hat das Landgericht angenommen, dass für den Angeklagten die Gefahr des Todeseintritts vorhersehbar war.
17
c) Nachdem ab 15.00 Uhr der übliche Zeitraum für das Abklingen der Narkosemittel längst verstrichen war und sich der Zustand der Patientin nicht verbessert hatte, erkannte der Angeklagte sogar die Gefahr eines tödlichen Ausgangs als möglich und nicht ganz fernliegend.
18
Aus dem Geschehensablauf und der Interessenlage hat das Landge- richt gefolgert, „dass der Angeklagte zumindest unter anderem deswegen Sch. erst am Abend des 30. März 2006 in ein Krankenhaus verbringen ließ, weil er bei Bekanntwerden des Zwischenfalles einen drohenden Ansehensverlust sowie um seine wirtschaftliche und berufliche Existenz fürchtete. Darüber hinaus wusste er, dass die vorgenommene Operation ohne Anästhesist nicht dem ärztlichen Standard entsprach und er seine Patien- tin nach dem Herzstillstand nur unzureichend weiterbehandelt hatte“ (UA S. 49). Er habe das Geschehen fortan heruntergespielt und versucht, den Sachverhalt zu verschleiern. „Dabei ging er so weit, dass er selbst seinen Kollegen im Sankt Gertrauden Krankenhaus völlig unzureichende Informatio- nen gab und keine aussagekräftigen Patientenunterlagen übergab“ (UA S. 49). Die Schwurgerichtskammer nahm dabei systematische Vertuschungs - und Verharmlosungshandlungen an, die belegen, dass der Angeklagte aus sachfremden Motiven keinen Rettungswagen angefordert hatte. Solches führe zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes ab 15.00 Uhr, als der Angeklagte die für seine Patientin eingetretene Lebensgefahr erkannt hatte. Im Hinblick auf die zeitliche Unsicherheit des Eintritts der irreversiblen Gehirnschädigung begründet dies im Zweifel eine Strafbarkeit als untauglicher Totschlagsversuch.
19
4. Die Revision des Angeklagten führt mit Sachrüge zur Aufhebung des Schuldspruchs. Hierdurch entfallen auch der Straf- und der Maßregelausspruch. Die Feststellungen zu den objektiven Tatumständen und zu deren Verwirklichung durch den Angeklagten als Körperverletzung mit Todesfolge (zusammengefasst sub 1 bis 3 b dieses Urteils) bleiben – wie auch die fehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Person des Angeklagten – aufrecht erhalten. Sie sind von dem durchgreifenden Rechtsfehler nicht erfasst. Das neue Tatgericht kann zu diesem Bereich allenfalls weitergehende Feststellungen treffen, die zu den getroffenen nicht in Widerspruch stehen.
20
a) Die Verfahrensrügen sind unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Sie greifen jedenfalls in der Sache aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 9. Februar 2011 nicht durch. Verfahrensfehlerhafte Ermittlungsdefizite zu einer etwa todesursächlichen fehlerhaften Behandlung der Patientin im Sankt Gertrauden Krankenhaus und hinsichtlich der Notwendigkeit, einen Anästhesisten hinzuzuziehen, liegen nicht vor.
21
b) Die sachlichrechtlichen Revisionsangriffe gegen die beweiswürdigenden Erwägungen des Landgerichts hinsichtlich des Umfangs der Aufklärung durch den Angeklagten bedürfen keiner vertiefenden Betrachtung. Schon nach dessen Einlassung durfte die Schwurgerichtskammer davon ausgehen, dass eine Aufklärung der Patientin darüber, dass die Hinzuziehung eines Anästhesisten medizinisch geboten war, nicht erfolgt ist. Dies berechtigte zur Annahme eines durchgreifenden Aufklärungsmangels (BGH, Urteil vom 19. November 1997 – 3 StR 271/97, BGHSt 43, 306, 309). Fehlerfrei hat das Landgericht festgestellt, dass die Patientin unter dieser Prämisse die Vornahme der Operation abgelehnt hätte, deren Durchführung ohne Anästhesisten sie ersichtlich auch nicht etwa kurzfristig bei Kenntnis von der Situation zu Beginn des Eingriffs schlüssig gebilligt hat. Dies führt zu der Bewertung des Eingriffs als Körperverletzung (vgl. BGHSt aaO S. 309; BGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 – 3 StR 239/10, NJW 2011, 1088, 1089, zur Aufnahme in BGHSt bestimmt; BGH, Urteile vom 25. September 1990 – 5 StR 342/90 – und 5. Juli 2007 – 4 StR 549/06, BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 2 und 8).
22
c) Indes hält die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes nur mit lückenhaften, die Feststellungen zum Handlungsablauf und zur Interessenlage nicht erschöpfenden Erwägungen belegt.
23
aa) Das Willenselement des bedingten Vorsatzes ist bei Tötungsdelikten nur gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn er mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nichtnur vage – darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 mwN; BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10). Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.; vgl. BGH aaO). Diese hat das Landgericht nicht in dem gebotenen Umfang vorgenommen.
24
bb) Zwar hat es – im Einklang mit einen ähnlichen Ausgangssachverhalt würdigenden Urteilen des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, und vom 7. Dezember 2005 – 1 StR 391/05) – zutreffend angenommen, dass eine ausdrückliche Erörte- rung der Frage, ob ein Arzt einen Patienten vorsätzlich am Leben oder an der Gesundheit geschädigt hat, geboten ist, falls nach Eintritt von Komplikationen der Arzt aus sachfremden Motiven keinen Rettungswagen angefordert hat. Das Vorliegen solcher Motive beschreibt indes keinen Erfahrungssatz, aus dem auf das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes zu schlie- ßen wäre, sondern diese bedürfen ihrerseits wertender Betrachtung im Rahmen der gebotenen Gesamtschau.
25
Die Schwurgerichtskammer hat – im Gegensatz zu den argumentativ herangezogenen Umständen aus dem vom 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs gewürdigten Fall – nicht auf Äußerungen des Angeklagten selbst und offensichtliche, absehbar dramatisch verlaufende lebensbedrohende Verletzungen abstellen können, aus denen weitergehend auf sachfremde Beweggründe seines Handelns zu schließen war. Sie hat allein den Vertuschungshandlungen des Angeklagten das Motiv entnommen, zum Schutz seiner eigenen Interessen eine Aufdeckung seines ärztlichen Fehlverhaltens zu verhindern; dieserhalb habe er sich mit dem Tod der Patientin abgefunden. Diese Schlussfolgerung entbehrt indes der argumentativen Auseinandersetzung mit gegenläufigen, im Urteil festgestellten Umständen, die vielmehr die Annahme bewusster Fahrlässigkeit rechtfertigen könnten.
26
Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass ein rational verankerter Zusammenhang zwischen dem angenommenen Handlungsmotiv – Vertuschung von Fehlern zur Schonung eigener Interessen – und dem Tod der Patientin wenigstens bei zu erwartendem Todeseintritt in der Tagesklinik des Angeklagten schwerlich bestehen kann: Dass die Operation ohne Anästhesist , aber mit Komplikationen vorgenommen worden war, konnte keinesfalls – schongar nicht gegenüber dem ständig auf Aufklärung dringenden Ehemann der Patientin – längere Zeit verborgen werden. Ein Todeseintritt in der Tagesklinik hätte bei der zur Wahrung zivilrechtlicher Ansprüche des Nebenklägers sicher zu erwartenden Obduktion die Erkenntnis der wahren Todesursache , der ärztlichen Fehler des Angeklagten, ergeben. Zudem erwägt das Landgericht im Rahmen von Überlegungen zu einem Rücktritt vom Totschlagsversuch , dass der Angeklagte „es für möglich hielt, dass Sch. ohne Verlegung auf eine Intensivstation sterben würde“ (UA S. 58); hiernach hielt er sogar zu einem relativ späten Zeitpunkt noch eine Rettung der Patientin im Krankenhaus für möglich. Einer starken Skepsis am Überleben der Patientin und einer damit einhergehenden Billigung ihres Todes wenigstens bis zum Transport ins Krankenhaus widerstreiten namentlich die – erst im Rahmen der Erörterung des Mordmerkmals der anderen niedrigen Beweggründe erörterten – festgestellten Antriebe für das pflichtwidrige Handeln des Angeklagten, nämlich „Eigenüberschätzung und Verbohrtheit“ (UA S. 59).
27
Die Annahme des Willenselements des Tötungsvorsatzes vor dem Entschluss des Angeklagten, die Patientin in ein Krankenhaus zu verlegen, hat demnach keinen Bestand.
28
d) Der Angeklagte ist auch dadurch rechtsfehlerhaft beschwert, dass das Landgericht einen Versuch durch aktives Tun anstatt einen für den Angeklagten günstigeren (untauglichen) Versuch durch Unterlassen (vgl. § 13 Abs. 2 StGB) angenommen hat.
29
Die von der Schwurgerichtskammer als Beleg seiner Auffassung zur Begründung aktiven Tuns herangezogenen Entscheidungen des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 21. März 2002 – 1 StR 53/02; Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35) rechtfertigen solches nicht. Ihnen lagen mehrere Behandlungsfehler – und damit aktives Tun – zugrunde. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt zur Lösung der Abgrenzungsproblematik wertend auf den Schwerpunkt des Vorwurfs ab (vgl. BGH [GS], Beschluss vom 17. Februar 1954 – GSSt 3/53, BGHSt 6, 46, 59; BGH, Urteil vom 13. September 1994 – 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 265 f.; BGH, Urteil vom 12. Juli 2005 – 1 StR 65/05, NStZRR 2006, 174; vgl. auch BGH, Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, NJW 2010, 2963, 2966, zur Aufnahme in BGHSt bestimmt). Dieser liegt nach den fehlerfrei getroffenen Feststellungen hier im Unterlassen der Veranlassung der medizinisch gebotenen cerebralen Reanimation in einer Intensivstation eines Krankenhauses und nicht im bloßen Zuführen – zudem eher nutzloser – kreislaufstabilisierender Medikamente. Den Unterlassungsvorwurf hat das Landgericht selbst in seiner wertenden Betrachtung (UA S. 55) als zentral angesehen.
30
e) Wegen der vom Landgericht angenommenen Tateinheit (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2008 – 4 StR 438/08, StV 2009, 472; BGH, Urteil vom 7. Dezember 2005 – 1 StR 391/05) hat auch der Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu entfallen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1), der indes auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen bedenkenfrei ist. Insbesondere wird das verwirklichte Risiko vom Schutzzweck der verletzten Aufklärungspflicht erfasst (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1995 – 4 StR 760/94, NStZ 1996, 34, 35; BGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 StR 238/07, StV 2008, 464, 465; Eser/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 223 Rn. 40 f.; Widmaier in Festschrift für Roxin, 2011, S. 439, 447). In der vom Angeklagten vorgenommenen – zur einwilligungslosen Operation gehörenden – todesursächlichen fehlerhaften Reanimationsanschlussbehandlung hat sich dessen Übernahmeverschulden realisiert (vgl. C Nr. 2 Berufsordnung der Ärztekammer Berlin vom 30. Mai 2005, Amtsblatt Nr. 26 vom 3. Juni 2005, S. 1883, 1889; BGH, Urteil vom 29. April 2010 – 5 StR 18/10, BGHSt 55, 121, 133 ff. mwN). Solches durch den Einsatz ei- nes weiteren Facharztes, des Anästhesisten, zu vermeiden und durch diesen alsbald eine Behandlung zur Lebensrettung erfolgreich durchführen zu lassen , war gerade der Grund für die Notwendigkeit von dessen Mitwirkung, über deren Einhaltung der Angeklagte im Rahmen der Aufklärung getäuscht hatte. Bei dieser Sachlage haftet der Körperverletzung des Angeklagten ohne Weiteres die spezifische Gefahr an, zum Tode des Opfers zu führen (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1985 – 2 StR 378/85, BGHSt 33, 322, 323 mwN).
31
f) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen einschließlich derjenigen , mit denen das Landgericht die Tat als Körperverletzung mit Todesfolge bewertet hat (hier zusammengefasst sub 1 bis 3 b), sind von dem Feh- ler in der Beweiswürdigung nicht betroffen; diese – wie auch die das weitere objektive Tatgeschehen und die persönlichen Verhältnisse betreffenden – Feststellungen können bestehen bleiben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 353 Rn. 12 und 15). Insoweit ist die Revision des Angeklagten unbegründet.
32
5. Im selben begrenzten Umfang greift die Revision des Nebenklägers durch, der mit der Sachrüge namentlich eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes erstrebt. Das Landgericht hat fehlerfrei festgestellte Umstände, die zu dem von der Anklage erfassten Lebenssachverhalt gehören , nicht in seine Kognition einbezogen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 – 2 StR 85/09, NStZ-RR 2009, 289). Diese hätten nicht sicher ausschließbar eine tatmehrheitliche Verurteilung wegen eines untauglichen Versuchs eines Mordes durch Unterlassen zur Verdeckung einer anderen Straftat oder auch einen tateinheitlichen untauglichen Mordversuch durch Unterlassen aus niedrigen Beweggründen rechtfertigen können.
33
a) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte den lebensbedrohlichen Zustand seiner Patientin erkannte, und hat angenommen , dass – freilich ohne Begründung im Einzelnen – er an eine noch mögliche Rettung im Krankenhaus geglaubt hat. Unter diesen Prämissen hat es das Landgericht unterlassen zu erwägen, ob ein untauglicher Unterlassungsversuch der Tötung zur Verdeckung der zuvor erfolgten Körperverletzung vorliegen kann (vgl. BGH, Urteile vom 1. Februar 2005 – 1 StR 327/04, BGHSt 50, 11, 14, und vom 17. Mai 2011 – 1 StR 50/11). Die Sach- und Rechtslage ähnelt den Fällen einer (unerkannt gebliebenen) Tötung im Straßenverkehr mit nachfolgender unterlassener Hilfeleistung und Flucht durch den Täter (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 451/91, NJW 1992, 583, 584 mwN).
34
Solches anzunehmen kommt nunmehr für das neu berufene Tatgericht in Betracht, falls sich feststellen lassen sollte, dass der Angeklagte nach Erkennen der Todesgefahr geplant hat, mit der Einlieferung so lange zu warten , bis die Patientin im Krankenhaus sicher versterben würde. Hierdurch hätte möglicherweise ein Nachweis seiner eigenen Verursachung erschwert oder gar unmöglich gemacht werden können.
35
Ein weiterer Anknüpfungspunkt der neu vorzunehmenden Beweiswürdigung und Bewertung unter diesem Aspekt könnte sein, dass der Angeklagte in Kenntnis der Gefahr eines tödlichen Verlaufs der Erkrankung seiner Patientin bei angenommener Rettungsmöglichkeit gegen 18.30 Uhr – gerade in der Intensivstation – ein Bett bestellt hat und dabei die nachfolgende sachwidrige Verzögerung dieser Rettungschance auf den Willen des Angeklagten zurückzuführen sein könnte um das Versterben der Patientin im Krankenhaus zur Schonung eigener Interessen zu fördern.
36
Solches gilt insbesondere für den vom Angeklagten begleiteten Transport der Patientin in das Krankenhaus und die Umstände ihrer Übergabe durch den Angeklagten in die intensivmedizinische Abteilung. Hierbei hatten erstmalig Dritte, die Rettungssanitäter, den Angeklagten auf den lebensbedrohlichen Zustand der Patientin aufmerksam gemacht. Ausgangspunkt der heftig geführten Diskussion mit dem Angeklagten waren die sich aus § 35 Abs. 5a StVO ergebenden Erfordernisse der Rettung eines Menschenlebens oder der Abwendung schwerer gesundheitlicher Schäden, für welche die Sanitäter den Angeklagten verantwortlich machten. Dieser Vorgang wäre daraufhin zu bewerten gewesen, ob dem Angeklagten durch die Einschätzung Dritter der lebensgefährliche Zustand seiner Patientin zu Bewusstsein gebracht wurde und er anschließend in Kenntnis dieses Umstands die ihm gemäß C Nr. 2 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin (aaO) und des Behandlungsvertrages gegenüber den Krankenhausärzten obliegenden Informationspflichten über den bisherigen Behandlungsverlauf nicht erfüllt hat.
37
b) Bei alledem würde freilich allein die – dann sogar nach dem Zweifelsgrundsatz zugunsten des Angeklagten anzunehmende – Möglichkeit ei- nes schon im Laufe der Reanimationsanschlussbehandlung alsbald gefassten bedingten Tötungsvorsatzes dem Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht die Grundlage entziehen (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 211 Rn. 72 f.). Bei gleichwohl sicherer Feststellung entsprechender Unterlassungsmotive müssten diese einer erneuten eigenständigen tatgerichtlichen Bewertung unter dem Gesichtspunkt tateinheitlich verwirklichter niedriger Beweggründe zugeführt werden. Sollten solche nicht angenommen werden können, käme wiederum eine tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen in Betracht.
38
6. Sollte die neue Beweisaufnahme – was nicht fernliegt, aber vom Revisionsgericht nicht sicher zu prognostizieren ist – keinen Nachweis des Tötungsvorsatzes ergeben, wird zum Schuldspruch gemäß § 227 StGB allein auf Grund der aufrechterhaltenen Feststellungen entschieden werden können. Der nur vom Angeklagten mitangefochtene Maßregelausspruch, der ohne bestehenden Schuldspruch nicht aufrechtzuerhalten ist, wird jedenfalls ohne Einschränkung wieder zu verhängen sein.
39
7. Die zulässigerweise auf den Strafausspruch und das Ausmaß der Kompensation für die vom Landgericht angenommene konventionswidrige Verfahrensverzögerung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
40
Die Schwurgerichtskammer hat es unterlassen, die Anwendung von § 227 Abs. 2 StGB zu begründen. Es versteht sich nicht von selbst, dass die zur Begründung eines (sonstigen) minderschweren Falles gemäß § 213 StGB unter Verbrauch der Versuchsmilderung herangezogenen schuldmindernden , vor allem die Persönlichkeit des Angeklagten betreffenden Umstände (UA S. 60) auch die Annahme eines minderschweren Falles einer (vollendeten) Körperverletzung mit Todesfolge, bei der es an einem vertypten Strafmilderungsgrund fehlte, gerechtfertigt hätten.
41
Auch die Kompensationsentscheidung hat keinen Bestand. Zwar stellt die Schwurgerichtskammer Zeitabläufe dar, in denen die Staatsanwaltschaft das Verfahren „nicht nennenswert gefördert“ hat (UA S. 61). Indes unterlässt sie die gebotene Bewertung der – angesichts der überaus komplexen Materie eher großzügig zu bemessenden – Zeiten näherer Erwägung der Fakten und Prüfung der jeweils nächsten Ermittlungsschritte. Zudem liegt nahe, dass auch das mitgeteilte Einlassungsverhalten des Angeklagten verzögerlichen Einfluss auf den Verfahrensgang genommen hat. Jedenfalls erscheint das festgesetzte Maß der Kompensation deutlich überhöht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2011 – 1 StR 19/11 mwN); es muss gegebenenfalls neu bestimmt werden.
Basdorf Raum Brause Schneider Bellay

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

5 StR 189/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 13. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 3. Januar 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. In der Zeit von Ende 2000 bis Anfang 2010 nahm der Angeklagte an vier Kindern – zwei Jungen und zwei Mädchen – im Alter zwischen sechs und 13 Jahren, die in seinem Haushalt lebten und ihm zur Betreuung anvertraut waren, unterschiedlich intensive Sexualhandlungen vor.
3
Das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF angenommen. Die formellen Voraussetzungen der Vorschrift seien erfüllt, darüber hinaus weise der Angeklagte auch den notwendigen Hang zu erheblichen Straftaten auf, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, weshalb er für die Allgemeinheit gefährlich sei.
4
2. Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuld- und Strafausspruch ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
a) Das gilt auch für die Verfahrensrüge, die erkennende Jugendschutzkammer sei mit nur zwei Berufsrichtern nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 338 Nr. 1 StPO).
6
aa) Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Beschwerdeführer zwei Anklagen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in insgesamt mehr als 100 Fällen zum Nachteil der vier Kinder erhoben. Beide Anklagen wurden durch die Jugendschutzkammer verbunden und unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen; es wurden die reduzierte Gerichtsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG angeordnet und zunächst sieben Hauptverhandlungstermine anberaumt. Ein Besetzungseinwand nach § 222b StPO wurde nicht erhoben.
7
Weder Anklageschriften noch Eröffnungsbeschluss setzten sich mit einer möglichen Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung auseinander. Ein entsprechender rechtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO erging erst am siebten Hauptverhandlungstag, nachdem am vorherigen Verhandlungstag die Schlussvorträge gehalten worden waren, ohne jeweils auf eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung einzugehen, und dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden war. Die Strafkammer beraumte weitere fünf Hauptverhandlungstage an und bestellte einen Sachverständigen zur Exploration des Angeklagten.
8
bb) Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG hat die große Strafkammer die Entscheidung, dass sie die Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung durchführt, bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen. Eine Besetzungsentscheidung kann grundsätzlich nicht mehr geändert werden, wenn sie im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzesgemäß war; eine nachträglich eingetretene Änderung des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache ist deshalb regelmäßig nicht geeignet, eine der geänderten Verfahrenslage angepasste neue Besetzungsentscheidung zu veranlassen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, BGHSt 44, 328, 333, und Beschlüsse vom 14. August 2003 – 3 StR 199/03, NJW 2003, 3644, 3645, und vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169). Hierdurch wird – de lege lata auch im Einklang mit § 6a StPO – sichergestellt, dass Verfahrensbeteiligte nicht durch entsprechende Antragstellungen nach einer einmal gefassten Besetzungsentscheidung Einfluss auf die Schwierigkeit und den Umfang der Sache und damit auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters nehmen können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 aaO).
9
Nur ausnahmsweise kann der Grundsatz der Unabänderlichkeit der Besetzungsentscheidung durchbrochen werden. Solches regelt § 222b StPO bei einem begründeten Besetzungseinwand (vgl. dazu insbesondere BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169) oder § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG für Fälle der Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht. Die Besetzungsentscheidung kann schließlich vom Gericht – vor Eintritt in die Hauptverhandlung – korrigiert werden, wenn sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar und damit objektiv willkürlich getroffen worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 31.
August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss

8).


10
cc) Das Revisionsvorbringen muss danach erfolglos bleiben. Zwar wird der mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung verbundene besonders tiefe Eingriff in die Grundrechte eines Angeklagten es in der Regel – im Gleichklang mit der gesetzlich zwingenden Besetzung der Schwurgerichtskammer mit drei Berufsrichtern und mit § 74f Abs. 3 GVG – angezeigt erscheinen lassen, bei Entscheidungen nach § 66 StGB von der Möglichkeit der Besetzungsreduktion abzusehen und wegen ihrer strukturellen Überlegenheit in einer Dreierbesetzung zu verhandeln (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 4; Rieß in Festschrift Schöch [2010], S. 895, 912; Heß/Wenske, DRiZ 2010, 262, 268 und ferner Begründung zu Artikel 1 Ziffer 4 des Entwurfs eines Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung vom 5. September 2011, BT-Drucks. 17/6905). Die Rüge bleibt hier aber wegen des fehlenden Besetzungseinwands nach § 222b StPO präkludiert. Die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung war angesichts der Vielzahl und Schwere der angeklagten Taten und ihrer Begehung zum Nachteil mehrerer Kinder für alle Verfahrensbeteiligten ungeachtet fehlender Ausführungen in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss ersichtlich auch nicht etwa fernliegend; neue Vorwürfe, etwa im Wege einer weiteren Verfahrensverbindung, sind nicht Verfahrensgegenstand geworden. Der Senat kann es deshalb dahinstehen lassen, ob – mit dem Revisionsvorbringen – eine derart veränderte Verfahrenslage während laufender Hauptverhandlung überhaupt eine nachträgliche Korrektur der ursprünglichen Besetzungsentscheidung ermöglichen, etwa über eine unerlässliche Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 3 StPO erzwingen kann.
11
b) Einer Entscheidung über die von der Revision ebenfalls beanstandete Verletzung des § 265 StPO bedarf es bei der hier gegebenen Verfahrenskonstellation nicht.
12
Die Voraussetzungen des § 265 Abs. 3 StPO lagen mangels veränderter Tatsachengrundlage (oben a) nicht vor. Zu prüfen bleibt, ob für das Landgericht etwa ein zwingender Anlass für eine Verfahrensaussetzung in mindestens entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 4 StPO bestanden hätte – was anschließend einen Neubeginn der Hauptverhandlung nach Änderung der Besetzungsentscheidung nach § 76 Abs. 2 GVG nahegelegt hätte (nach den Grundsätzen von BGH, Beschluss vom 31. August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss 8; vgl. ferner § 76 Abs. 5 Alternative 2 GVG-E in der Fassung des Entwurfs eines Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung vom 5. September 2011, BT-Drucks. 17/6905). Dafür mögen das Gewicht und der späte Zeitpunkt des Hinweises nach § 265 Abs. 2 StPO sprechen, dagegen freilich der Umstand, dass auch die Revision keinen konkreten Aufklärungsmangel – etwa im Wege einer Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) – durch die späte Erstreckung der Hauptverhandlung auf die Zuziehung eines Sachverständigen nach § 246a StPO oder ein konkretes Verteidigungsdefizit durch unzureichende Vorbereitung vorbringt. Die Frage kann letztlich offen bleiben.
13
Gegenstand der nach Ablehnung des Aussetzungsantrags der Verteidigung fortgesetzten Beweisaufnahme war hier allein noch die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass Schuld- und Strafausspruch durch das Ergebnis der fortgeführten Hauptverhandlung zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst worden wären. Deshalb und mit Blick auf den Schutzzweck des § 265 StPO ist ein über die Aufhebung des Maßregelausspruchs hinausreichender Erfolg der Verfahrensrüge auszuschließen; dieser wird hier indes schon durch die Sachrüge erreicht (vgl. nachfolgend 3).
14
Nichts anderes gilt im Blick auf den Umstand, dass die Verfahrensrüge naheliegend jedenfalls mit der Stoßrichtung hätte Erfolg haben müssen, die Strafkammer habe in rechtsfehlerhafter Weise den Aussetzungsantrag des Beschwerdeführers in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung beschieden. Auch insoweit bleiben die Belange des Angeklagten durch den Erfolg der Sachrüge umfassend gewahrt.
15
3. Die Begründung des Maßregelausspruchs hält – insbesondere unter Berücksichtigung der Maßgaben der durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931 ff.) erlassenen Weitergeltungsanordnung zu § 66 Abs. 2 StGB aF – sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
16
a) Das sachverständig beratene Landgericht nimmt – insoweit nachvollziehbar – an, dass sich beim Angeklagten über einen langen Zeitraum hinweg eine pädophile Störung verfestigt habe und an verschiedenen Kindern beiderlei Geschlechts ausgelebt worden sei. Der Angeklagte gehe mit seiner pädophilen Störung „unehrlich“ um, was prognostisch ungünstig einzuschätzen sei. Angesichts des breiten Spektrums der Geschädigten bestehe im Hinblick auf eine ohnehin anzunehmende verhältnismäßig hohe Rückfallrate bei wegen Kindesmissbrauchs verurteilten unbehandelten Tätern bei dem Angeklagten ein noch ungleich höheres Risikopotential und damit eine „nicht unerhebliche Gefahr für weitere Straftaten vergleichbarer Art“ (UA S. 32). Mit Blick auf das Streben des Angeklagten, „sich mit Kindern zu umgeben und diese zu missbrauchen“, hat die Strafkammer „nach Abwägung aller Umstände die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für notwendig und unumgänglich erachtet“ (UA S.

32).


17
b) Die Ausführungen zur Gefährlichkeit lassen besorgen, dass die Strafkammer, dem Sachverständigen folgend, den unehrlichen Umgang des Angeklagten mit seiner pädophilen Störung aus seinem Bestreiten der Taten geschlossen, damit aber die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. September 1992 – 2 StR 277/92, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4). Zulässiges Verteidigungsverhalten darf nicht hang- oder gefahrbegründend verwertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, StV 2011, 482 mwN). Wenn der Angeklagte die Taten leugnet („unehrlicher Umgang“), ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1990 – 3 StR 85/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8). Zudem begegnet schon die Formulierung einer – lediglich – „nicht unerheblichen“ Gefahr für weitere Straftaten vergleichbarer Art Bedenken.
18
c) Die Urteilsgründe lassen überdies nicht hinreichend deutlich erkennen, dass und aus welchen Gründen von der Ermessensbefugnis nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF Gebrauch gemacht wurde.
19
aa) Das Tatgericht muss im Rahmen der Ermessensausübung erkennbar auch diejenigen Umstände erwägen, die gegen die Anordnung der Maßregel sprechen können. Das gilt vor allem für den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift, dem Tatgericht die Möglichkeit zu geben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit soll dem Ausnahmecharakter der Vorschriften des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF Rechnung getragen werden, der sich daraus ergibt, dass eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung nicht vorausgesetzt werden. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensentscheidung regelmäßig zu berücksichtigen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 271 f. mwN; ferner BGH, Beschlüsse vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, aaO, und vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11).
20
bb) Einer Überprüfung an diesem Maßstab hält die Begründung des angefochtenen Urteils bislang nicht stand. Die möglichen Auswirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf den 49 Jahre alten Angeklagten hat die Strafkammer bei ihrer Ermessensausübung unerörtert gelassen. Das Tatgericht hat sich damit nicht nur den Blick auf mögliche, mit dem fortschreitenden Lebensalter einhergehende Verhaltensänderungen beim Angeklagten verstellt, sondern auch darauf, dass sich nunmehr durch den erstmaligen Vollzug einer längeren Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer langfristigen Therapie bietet. Auch aus der Tatsache, dass sich der Angeklagte bereits im Jahre 2003 einem – mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellten – Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ausgesetzt sah und ihn dies nicht von dem „weiteren Vollzug“ gleich gelagerterHandlungen abgehalten hat, kann nicht zwingend auf die Wirkungslosigkeit des Strafvollzugs geschlossen werden.
21
d) Das neue Tatgericht wird – naheliegend nunmehr in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (§ 76 Abs. 2 Satz 2 GVG) – bei seiner Entscheidung über den Maßregelausspruch die Maßgaben des vorstehend genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (aaO) zu beachten haben. Danach gelten die hier anzuwendenden und als verfassungswidrig erklärten Vorschriften über die Sicherungsverwahrung zeitlich bis zum 31. Mai 2013 begrenzt fort. Der Senat entnimmt der hierfür verfassungsrechtlich notwendigen „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ (BVerfG aaO, S. 1946 Rn. 172) in Übereinstimmung mit dem 3. Strafsenat (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11) das Erfordernis eines strengen Maßstabs sowohl bei der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten als auch bei der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung. Ein solcher erfordert jedenfalls, dass die Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (vgl. BGH aaO; ferner Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 192/11 – und Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11).
Basdorf Brause Schaal Schneider Bellay