Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Aug. 2011 - 5 StR 259/11

bei uns veröffentlicht am02.08.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 259/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 2. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. August 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 28. Januar 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen erhobene Revision des Angeklagten greift mit der Sachrüge durch. Auf die Verfahrensrüge kommt es demnach nicht mehr an.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
a) Der in Berlin als drittes Kind libanesischer Eltern in einer zehnköpfigen Geschwisterreihe geborene Angeklagte entwickelte sich zu einem vergleichsweise guten Schüler. Er hielt Distanz zu den subkulturellen Milieus und pflegte Kontakte zu seiner deutschsprachigen Umgebung. Die Staatsanwaltschaft hat bisher lediglich im Juni 2009 gemäß § 45 Abs. 1 JGG von der Verfolgung einer dem Angeklagten angelasteten Körperverletzung (Schubsen einer Mitschülerin) abgesehen.
4
b) Der Vater des Angeklagten K. F. nahm die 1981 geborene litauische Staatsangehörige O. R. nach muslimischem Recht zu seiner Zweitfrau. Aus dieser Verbindung gingen zwei Halbbrüder des Angeklagten , der am 16. Januar 2007 geborene Ir. F. sowie der am 24. Oktober 2008 geborene N. F. hervor. Die Kinder hielten sich regelmäßig – auch für Übernachtungen – in der Familienwohnung auf, wohin sie häufig auch von dem Angeklagten aus der Wohnung ihrer Mutter verbracht worden waren.
5
O. R. war mit ihrem Leben unzufrieden und begann Ende des Jahres 2009 eine – freilich nur virtuelle – Liebesbeziehung zu einem jungen Mann in Aserbaidschan. K. F. versuchte, die Kontakte seiner Lebensgefährtin zu überwachen. Er nahm ihr schließlich das Notebook weg, griff sie am 21. und 22. Februar 2010 mit Schlägen an und würgte sie. O. R. sprach offen von ihrem Entschluss, sich von K. F. zu trennen und möglicherweise mit ihren Söhnen nach Litauen auszureisen.
6
c) Am 23. Februar 2010 fehlte der Angeklagte unentschuldigt bei dem um 8.50 Uhr beginnenden Schulausflug seiner Klasse. Auf Geheiß seines Vaters oder anderer Familienangehöriger suchte er gegen 9.00 Uhr die Wohnung der O. R. auf, um seine beiden Halbbrüder in die Familienwohnung zu verbringen. Nachdem sich die junge Frau der Wegnahme ihrer Kinder widersetzt hatte, ergriff der gerade 16 Jahre alte Angeklagte ein großes Kochmesser mit einer Klingenlänge von 20 cm und tötete die Zweitfrau seines Vaters mit 13 Stichen in den Oberkörper und den Rücken. O. R. verstarb binnen weniger Augenblicke.
7
d) Der Angeklagte meldete im Wege eines anonymen Notrufs um 11.08 Uhr einen Unfall in der Wohnung des Tatopfers.
8
Kurz nach 11.30 Uhr teilte K. F. dem von dem Wirt eines Weddinger Cafes herbeigerufenen Polizeibeamten Y. mit, sein Sohn ha- be ihm gesagt, er hätte „Mist gemacht“ (UA S. 22), und er glaube, dass sein Sohn seine Freundin mit dem Messer verletzt hätte. Die Polizei gelangte kurze Zeit später mit Hilfe eines von K. F. stammenden und vom Wirt vermittelten Schlüssels in die Wohnung und fand dort die Leiche vor. K. F. , der die Wohnung des Tatopfers selbst nicht aufsuchte, verbrachte die anschließende Zeit mit dem Bruder des Wirts, auf den er verstört wirkte und dem er von einem vorher stattgefundenen Arztbesuch berichtete.
9
Der Angeklagte bekundete anlässlich seiner Festnahme in der elterlichen Wohnung am frühen Nachmittag, er hätte seine Halbbrüder dorthin verbracht , und führte die Polizeibeamten zum Fundort des mit Opferblut behafteten Tatmessers in einen nahe gelegenen Park.
10
Die am Abend des Tattages durchgeführte polizeiliche Vernehmung des K. F. als Zeuge wurde wegen geltend gemachter gesundheitlicher Probleme abgebrochen. Der Vater des Angeklagten war bis zu der am 2. November 2011 begonnenen Hauptverhandlung nicht erreichbar. Sein Rechtsanwalt trug dann vor, sein Mandant mache – wie es auch die übrigen Familienangehörigen taten – von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch. Die Staatsanwaltschaft hat ein gegen K. F. wegen Beteiligung an dem Tötungsverbrechen geführtes Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
11
2. Das Landgericht hat sich von der (alleinigen) Täterschaft des Angeklagten , der sich zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens in einer Vernehmung zur Sache eingelassen hat, aufgrund einer Gesamtschau folgender Umstände überzeugt:
12
Sehr geringe Spuren von Opferblut am linken Schuh des Angeklagten und am rechten Hosenbein seiner Jeanshose belegten einen unmittelbaren Kontakt des Angeklagten mit dem Tatgeschehen. Die Verteilung der Blutanhaftungen entlang einer Linie deute auf Abschleuderspuren hin, wie sie typi- scherweise unter anderem bei schnell ausgeführten Bewegungen mit als Tatwerkzeug eingesetzten Messern entstehen können. Der rechte Schuh des Angeklagten habe einen Abdruck am Tatort in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Tatbegehung hinterlassen. Der Angeklagte habe durch Offenbaren des Messerverstecks und die Äußerung gegenüber seinem Vater Täterwissen offenbart; den Notruf des Angeklagten hat das Landgericht lediglich ergänzend herangezogen.
13
3. Die Jugendkammer hat aufgrund der Beweislage denkbare alternative Geschehensabläufe verneint, namentlich ein Vorschieben des jugendlichen Angeklagten, um die Aufdeckung der Täterschaft eines anderen Familienmitglieds , insbesondere des verdächtigen Vaters, zu vermeiden, und eine Tatbegehung durch diesen im Beisein des Angeklagten, wobei es zu den Blutanhaftungen hätte kommen können (UA S. 30 f.).
14
Ein Vorschieben des Angeklagten nach der Tat sei ausgeschlossen, weil der Angeklagte bei dieser Annahme ab 8.50 Uhr am Schulausflug teilgenommen hätte. Hinweise auf eine Anwesenheit des K. F. am Tatort zur Tatzeit hätten sich nicht ergeben. Im Gegenteil sprächen die Bekundungen der Zeugen, mit denen der Vater des Angeklagten die Zeit nach der Tat verbracht hatte, für dessen Alibi, einen Arztbesuch (UA S. 31 f.).
15
4. Die Beweiswürdigung enthält – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs – sachlichrechtlich beachtliche Fehler. Sie geht zum Teil von einem unzutreffenden Beurteilungsmaßstab aus und ist lückenhaft. Hierdurch hat es das Landgericht unterlassen, ein sogar im Urteil angesprochenes Alternativgeschehen – eine Beihilfehandlung des Angeklagten – näherer Prüfung und Würdigung zu unterziehen, ferner eine denkbare Mittäterschaft des Angeklagten oder eine Tat des Angeklagten nach Anstiftung durch Familienangehörige (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06, NJW 2007, 384, 387, insoweit nicht in BGHSt 51, 144 abgedruckt).
16
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der (alleinigen) Täterschaft des Angeklagten auch auf Bekundungen von dessen Vater gegenüber Dritten gestützt, insbesondere dem eigens herbeigerufenen Polizeibeamten, dem Täterwissen des Angeklagten mitgeteilt worden sei. Dabei ist das Landgericht ersichtlich von dem Beweiswert der Bekundungen des Vaters des Angeklagten als einer – spontan erfolgten – neutralen Zeugenaussage ausgegangen , ohne darauf Bedacht zu nehmen, dass es sich um die Darstellung eines wegen des Vorhandenseins eines Tatmotivs selbst verdächtigen Zeugen handelt, der seine Angaben zur eigenen Entlastung und hier sogar zur Belastung eines anderen eingesetzt haben könnte (vgl. Brause NStZ 2007, 505, 510).
17
Gleiches gilt, soweit das Landgericht ausschließlich aus Bekundungen des Vaters des Angeklagten dessen Betroffensein über die angeblich nicht von ihm begangene Tat und sogar ein Alibi für die Tatzeit für erwiesen erachtet hat. In der Sache hat das Landgericht hierdurch ein allein von einem Tatverdächtigen selbst bekundetes Alibi akzeptiert. Auch der Notruf hätte unter dem Aspekt eines denkbaren Vertuschungsplans betrachtet werden müssen.
18
b) Das Landgericht hat die von dem psychiatrischen Sachverständigen vorgetragenen Umstände, dass der jugendliche Angeklagte in tradierte familiäre Hierarchien eingefügt sei, die Existenz der Zweitfrau des Vaters als Angelegenheit der Erwachsenensphäre betrachte und dass der Angeklagte „offenbar grundsätzlich nicht zur Gewaltanwendung neigt“, als nicht entscheidend gegen die angenommene situativ entstandene Tatmotivation des Angeklagten sprechend bewertet (UA S. 29). Eine hierfür angesichts nicht fernliegender abweichender Geschehensabläufe zur Erfüllung des Gebots der erschöpfenden Beweiswürdigung notwendige Begründung hat das Landgericht indes nicht dargelegt.
19
Die Prüfung, ob der Angeklagte zur Verbergung der Täterschaft eines anderen vorgeschoben sein könnte, bleibt ebenfalls lückenhaft. Das Landge- richt behandelt lediglich den Fall, dass die Familie des Angeklagten diesen nach der Tat als Täter präsentiert haben könnte (UA S. 30), nicht aber einen hier eher näher liegenden früher ansetzenden Vertuschungsplan, der mit dem fehlenden Schulbesuch des Angeklagten in Einklang stünde.
20
c) Soweit das Landgericht angenommen hat (UA S. 26), dass der Angeklagte anstelle seines Vaters die Kinder aus der Wohnung der Getöteten geholt haben könnte, weil dieser zu befürchten hatte, die Mutter werde ihn nach den Übergriffen vom Vortage nicht einlassen, hätte dies als Ansatz genommen werden müssen, ein sich angesichts der Beweislage aufdrängendes Alternativgeschehen, eine dolose Mitwirkung des Angeklagten als Türöffner für den Haupttäter, in Betracht zu ziehen (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 2005 – 5 StR 490/04 – und vom 18. Januar 2009 – 5 StR 578/08, StV 2009, 176, 177).
21
5. Die Sache bedarf demnach insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung. Der Senat, dem eine eigene Würdigung der Beweise versagt ist, darf keinesfalls – erst recht nicht entgegen der Wertung des Landgerichts – die Blutspur an der Hose des Angeklagten zur Begründung von dessen Alleintäterschaft heranziehen. Es ist deshalb nicht möglich, das Beruhen des Urteils auf den Mängeln der Beweiswürdigung auszuschließen.
22
Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die bisherige Würdigung von DNA-Spuren, ohne dass diese für sich als durchgreifend fehlerhaft betrachtet werden müsste, in weiteren Zusammenhängen Bedenken ausgesetzt ist.
23
Das Landgericht hat erwogen, es mache für einen anderen innerfamiliären Täter wenig Sinn, den Angeklagten anzuweisen, er solle der Polizei den Fundort des Messers zeigen, um so möglicherweise den Verdacht auf ihn zu lenken. Dafür sei auch aus laienhafter Sicht das Risiko zu groß, dass Spuren des wahren Täters an dem Messer entdeckt werden würden (UA S. 21). Diese Annahme steht in einem Spannungsverhältnis zu dem festgestellten Umstand, dass DNA-Spuren des Täters auf dem Messer gar nicht zu erwarten gewesen wären (UA S. 21). Soweit hierfür als ausschlaggebend auch die nur kurze Zeit des Hautkontakts des Täters mit dem Messer angenommen worden ist, muss erörterungsbedürftig bleiben, warum 13 heftige Messerstiche DNA-Anhaftungen von der – ersichtlich als unbedeckt bewerteten – Täterhand nicht begründen müssen, demgegenüber aber DNA-Spuren beim Anpacken der Schuhe des Angeklagten beim Aufräumen ohne Weiteres gelegt werden (UA S. 12).
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Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Aug. 2011 - 5 StR 259/11 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 170 Entscheidung über eine Anklageerhebung


(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht. (2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren

Strafprozeßordnung - StPO | § 52 Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten


(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt 1. der Verlobte des Beschuldigten;2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;2a. der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteh

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 45 Absehen von der Verfolgung


(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen. (2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits dur

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Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Feb. 2005 - 5 StR 490/04

bei uns veröffentlicht am 16.02.2005

5 StR 490/04 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 16. Februar 2005 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Mordes u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Februar 2005 beschlossen: 1. Die Revision des Angeklagten H gegen das Urteil
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Aug. 2011 - 5 StR 259/11.

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Nov. 2011 - 5 StR 328/11

bei uns veröffentlicht am 09.11.2011

5 StR 328/11 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 9. November 2011 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. November 2011, an der teilgenomm

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen.

(2) Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und er weder eine Beteiligung des Richters nach Absatz 3 noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Einer erzieherischen Maßnahme steht das Bemühen des Jugendlichen gleich, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Der Staatsanwalt regt die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen nach § 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 7 und 9 oder von Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn der Beschuldigte geständig ist und der Staatsanwalt die Anordnung einer solchen richterlichen Maßnahme für erforderlich, die Erhebung der Anklage aber nicht für geboten hält. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, bei Erteilung von Weisungen oder Auflagen jedoch nur, nachdem der Jugendliche ihnen nachgekommen ist. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden. § 47 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung.

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt

1.
der Verlobte des Beschuldigten;
2.
der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.
der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.
wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.

(2) Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.

(3) Die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, in den Fällen des Absatzes 2 auch deren zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts befugte Vertreter, sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zu belehren. Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen.

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

5 StR 490/04

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 16. Februar 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Februar 2005

beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten H gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 23. März 2004 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision des Angeklagten S wird das vorbezeichnete Urteil nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Mordes verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den AngeklagtenH wegen Mordes in zwei Fällen unter Einbeziehung einer vom Landgericht Rostock wegen Totschlags in einem besonders schweren Fall verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und festgestellt , daß die Schuld des Angeklagten besonders schwer ist. Das Schwurgericht hat ferner den Angeklagten S wegen erpresserischen Menschenraubes und (gemeinschaftlichen) Mordes unter Einbeziehung einer wegen Beihilfe zum Totschlag des H verhängten Freiheitsstrafe von sieben Jahren zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und festgestellt, daß die Schuld auch dieses Angeklagten besonders schwer ist.
Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten H ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Das Landgericht hat fehlerfrei dargelegt, daß H den Asylbewerber Sh eigenhändig getötet hat, um vorangegangene Straftaten zu dessen Nachteil zu verdecken, und daß er die Tötung des W organisierte, um als Begünstigter dessen Lebensversicherung in Anspruch nehmen zu können. Die Revision des Angeklagten S hat dagegen mit der Sachrüge Erfolg, soweit dieser Angeklagte wegen Mordes verurteilt worden ist. Dies zieht auch die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich. Das weitergehende Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht ist überzeugt, daß der ein Alibi behauptende Angeklagte S am 6. März 1996 zwischen 22.00 Uhr und 22.30 Uhr unter der Regie von H den W in dessen Pkw auf dem Universitätsparkplatz in Bremen durch zwei Kopfschüsse getötet hat. Dies stützt das Landgericht nach umfangreicher Beweiswürdigung insbesondere auf die vom Angeklagten durchgeführte, zur Tatzeit passende Fahrt vom Alibiort Köln zum Tatort und zurück und ferner darauf, daß der sich in der Hauptverhandlung auf § 55 StPO berufende Zeuge B als Schütze aus- scheide. Das Schwurgericht folgt hier einer früheren Zeugenaussage B s, S habe ihm in der Tatnacht den Geldbeutel des Opfers und die Tatwaffe auf einem Parkplatz in der Nähe von Delmenhorst zur Entsorgung übergeben.
Diese Würdigung der Verstrickung des Zeugen B enthält einen sachlichrechtlichen Fehler, weil das Landgericht nicht alle Fragwürdigkeiten der Bekundungen dieses Zeugen in seine Gesamtschau aufgenommen hat (vgl. BGH StV 1997, 513, 514; Sander StV 2000, 45, 47 m.w.N.). Zwar kann deren umfassende Würdigung zur Mittäterschaft des Angeklagten S – bei Anwesenheit am Tatort ohne gesicherte eigenhändige Tatausführung – führen. Es kann aber – auch eingedenk der Feststellungen zur Rolle S bei s den beiden anderen Kapitalverbrechen – nicht sicher ausgeschlossen werden, daß eine fehlerfreie Beweiswürdigung lediglich zu einer Mitwirkung des Angeklagten S als Gehilfe an dem Tötungsverbrechen hätte führen können.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts bestanden zwischen dem Zeugen B und den Angeklagten H und S jahrelange persönliche Bindungen bis hin zur gemeinsamen Begehung auch schwerster Straftaten und zu nachfolgend falschen Tatbezichtigungen.
(1) So hatten sie am 18. Dezember 1995 unter Mitwirkung und nach Weisungen des H den jungen Asylbewerber Sh entführt, der sich in eine Freundin des H verliebt hatte. S glaubte der von H entwickelten Legende, Sh habe für H bestimmte Drogen unterschlagen und müsse nun den Schaden ersetzen. Nach Mißhandlungen, deren Entdeckung H fürchtete und zu deren Begehung B und S Hilfe geleistet hatten , tötete H den Sh , um die bisherigen Straftaten zu verdecken. B verwahrte die Leiche mehrere Tage in seinem Transporter, mit dem er regelmäßig zu seiner Arbeitsstätte fuhr, und versenkte den Leichnam kurz vor Weihnachten 1995 mit großem Aufwand gemeinsam mit H in einem Baggersee bei Delmenhorst.
(2) In der Tatnacht des 6. März 1996 telefonierte B zwischen 19.02 Uhr und 23.18 Uhr achtmal mit dem Organisator dieser Tat, dem Angeklagten H . Dazu machte B in zwei polizeilichen Vernehmungen im März 1996 und Mai 1996 widersprüchliche, H entlastende Angaben. Nach dem Tod von W war H als Tatverdächtiger über seinen Verteidiger in den Besitz der kompletten Ermittlungsakte gelangt. H zeigte B Kopien von Obduktionsfotos und machte Witze über den Getöteten. Gegenüber der Zeugin P räumte er ein, für die Tötung des W „seine Leute“ gehabt zu haben.
(3) Nach dem hier in Frage stehenden Tatgeschehen transportierte der Angeklagte H dann am 6. September 2001 einen von ihm konstruierten Verbrennungsofen von Bremen in eine in der Nähe von Rostock gelegene Ferienwohnungsanlage. Er hatte vor, die in ihn verliebte Prostituierte Po zu töten und ihren Leichnam in dem Ofen zu verbrennen. Der von H aus Düsseldorf herbeigerufene S half bei der Inbetriebnahme des Ofens und der Verbrennung der von H getöteten Frau.
Am 13. September 2001 traf H während seiner Flucht vor der Polizei mit B zusammen. H äußerte gegenüber B , er werde S massiv belasten, und stimmte mit B dessen Falschaussage im Fall Sh ab, mit der B den Angeklagten S zu Unrecht als Alleintäter bezichtigte. Auch für den Fall W verlangte H eine entlastende Aussage von B . Bei seiner Festnahme am 14. September 2001 bezichtigte H den Angeklagten S als Alleintäter hinsichtlich der Tötung des W . B bekundete während seiner polizeilichen Zeugenvernehmung am 2. Oktober 2001 erst- und letztmalig, daß er am 6. März 1996 auf dem Autobahnparkplatz von S eine Plastiktüte mit dem Portemonnaie des Getöteten und eine Pistole zur Entsorgung erhalten hätte. Anschlie- ßend zeigte B der Polizei von ihm verborgene Waffenreste, darunter ein Griffstück der Tatwaffe.

b) Das Landgericht hält die polizeiliche Aussage B s, S habe ihm die Waffe zur Entsorgung übergeben, für glaubhaft, weil B für den Fall der Nichterweislichkeit einer Tatbegehung durch S mit seiner Offenbarung ein hohes Selbstbelastungsrisiko eingegangen wäre. Die Alibilücke des S , daß am 6. März 1996 eine Fahrt von Köln nach Bremen und zurück doch möglich war, sei ihm nämlich nicht bekannt gewesen. Diese Erwägung hätte bei der Besonderheit der vorliegenden Beweislage angesichts der Verstrickung des B in das kriminelle Umfeld des H und in die von H konzipierten Falschaussagen zum Nachteil des Angeklagten S aber nur nach besonders kritischer Prüfung zur Grundlage der Beweiswürdigung gemacht werden dürfen. Solches hat das Landgericht aber unterlassen, weshalb es das hier naheliegende Motiv für eine Falschaussage , ein von H konzipiertes Komplott zum Nachteil S s, nicht in den Blick genommen hat (vgl. BGHR StGB § 176 Abs. 1 Beweiswürdigung 3; BGH, Urt. vom 26. November 1996 – 1 StR 405/96). Damit entfällt auch die Tragfähigkeit der Waffenübergabe für einen Schluß auf die unmittelbare Tatausführung des S .
Nach den Feststellungen des Landgerichts ist B ein Gefolgsmann des die jeweiligen Tatausführungen beherrschenden Angeklagten H , der, ausgestattet mit überlegener Intelligenz und Durchsetzungsvermögen, wiederholt die polizeilichen Aussagen ihm nahestehender Personen erfolgreich steuerte. Vor dem Hintergrund vollständiger Aktenkenntnis des H und der den Ermittlungsbehörden und H bekannten möglichen Alibilücke des S ist angesichts des Inhalts und der Entwicklung dieser Aussagen eine Einbindung des die Anweisungen H s stets befolgenden Zeugen B in ein Komplott zum Nachteil des Angeklagten S hinsichtlich der Übergabe der Waffe zur Entsorgung so naheliegend, daß dieser Gesichtspunkt der Erörterung bedurft hätte.
Daran vermag die Feststellung, daß sich B zur Tatzeit im Besitz der Tatwaffe befand und diese entsorgte, nichts zu ändern. Denn das Landgericht hat seiner Bekundung zur Waffenübergabe durch S zu eine große indizielle Bedeutung – jedenfalls für eine alleinige unmittelbare Tatausführung durch S – beigemessen (vgl. für den umgekehrten Fall zur Annahme eines zu starken Gewichts eines Indizes zur Entlastung BGH wistra 2002, 260, 262; BGH, Urt. vom 16. März 2004 – 5 StR 490/03). Zwar stellt das Landgericht zutreffend darauf ab, daß eine Fahrt des Angeklagten S von Köln nach Bremen überflüssig gewesen wäre, falls B die Tat unmittelbar allein ausgeführt hätte. Das Landgericht hat aber bei seinem hieraus und aus B s Bekundung zur Waffenübergabe gezogenen Schluß, S habe W allein erschossen, dem entgegenstehende erhebliche Bedenken außer acht gelassen. In diesem Fall wäre nämlich die Übergabe der Tatwaffe an einen unbeteiligten Dritten zur bloßen Entsorgung ein für die erstrebte Tatverschleierung unsinniger, das Entdeckungsrisiko für den Angeklagten S erheblich steigernder Vorgang gewesen. Angesichts der Verstrickung des B in das kriminelle Umfeld des Angeklagten H , seiner Einbindung in von H gesteuerte unrichtige Belastungen des S und der vom Landgericht festgestellten, auf die Telefongespräche am Tattag gestützten konspirativen Verbindung zwischen beiden und schließlich der Berufung B s auf § 55 StPO, die schon allein zu besonders vorsichtiger Beweiswürdigung nötigt (vgl. BGHSt 47, 220, 223 f.), kann die vom Landgericht ohne kritische Wertung dieser Umstände in ihrer Gesamtheit hingenommene Aussage des Zeugen B keine tragende Grundlage für den Schuldspruch wegen Mordes sein.
2. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung, soweit der Angeklagte S wegen gemeinschaftlichen Mordes verurteilt worden ist. Der Senat kann die für sich fehlerfrei getroffenen Feststellungen, mit denen das Landgericht das Alibi S s widerlegt hat, nicht aufrechterhalten.
3. Zur Anwendung des § 55 Abs. 1 StGB weist der Senat auf folgendes hin: Für den Fall, daß die gegen den Angeklagten durch Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 24. November 1999 verhängte und zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von sechs Monaten am Tag der Verkündung des angefochtenen Urteils (23. März 2004) noch nicht erlassen war, begründet die Verurteilung durch das Amtsgericht eine Zäsur. Es ist dann eine Gesamtfreiheitsstrafe aus der rechtskräftigen Einzelfreiheitsstrafe von zehn Jahren (erpresserischer Menschenraub im Fall Sh ), der sechsmonatigen Freiheitsstrafe und einer (möglichen) Strafe wegen des Verbrechens zum Nachteil des W zu bilden. Die vom Landgericht Rostock am 25. März 2003 verhängte Freiheitsstrafe von sieben Jahren würde bestehen bleiben. Allerdings würde § 358 Abs. 2 StPO einen Nachteil in Gestalt einer härteren Bestrafung verbieten (BGHSt 45, 308, 310 m.w.N.). Ein solcher würde nicht vorliegen, falls der Angeklagte S in dem aufgehobenen Fall zu zeitiger Freiheitsstrafe verurteilt und folglich auf eine Gesamtfreiheitsstrafe bis zu 15 Jahren erkannt würde; dann stünde er angesichts insgesamt zeitiger Strafen und niedrigerer Mindestverbüßungszeiten nach § 57 StGB jedenfalls günstiger als durch die bisher verhängte lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe. Wird jedoch in dem aufgehobenen Fall wiederum auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt, gebietet § 358 Abs. 2 StPO allerdings die erneute Einbeziehung der siebenjährigen Freiheitsstrafe in eine dann wieder zu verhängende lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe, damit der Angeklagte durch seine Revision nicht schlechter als bislang gestellt wird.
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