Bundesgerichtshof Urteil, 16. März 2017 - 4 StR 545/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:160317U4STR545.16.0
bei uns veröffentlicht am16.03.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 545/16
vom
16. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Strafvereitelung im Amt u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:160317U4STR545.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. März 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
der Angeklagte in Person,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 15. März 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen vorsätzlicher Verletzung des Dienstgeheimnisses zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 150 Euro verurteilt. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der Senat dieses Urteil mit den Feststellungen auf, weil die Strafkammer die Annahme einer (tateinheitlich begangenen) versuchten Strafvereitelung im Amt mit rechtsfehlerhaften Erwägungen abgelehnt hatte. Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr freigesprochen. Die gegen dieses Urteil gerichtete und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.


2
1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage wirft dem Angeklagten vor, er habe als Leitender Polizeidirektor der Kreispolizeibehörde P. am 9. oder 10. Januar 2014 den zu dieser Zeit als Leiter des polizei- ärztlichen Dienstes des Polizeipräsidiums B. tätigen Dr. K. telefonisch über den Eingang eines ihm vorgelegten anonymen Schreibens unterrichtet. In diesem Schreiben sei Dr. K. vorgeworfen worden, im Rahmen der freien Heilfürsorge vorgehaltene Medikamente unrechtmäßig an den Zeugen W. abgegeben zu haben. Aufgrund dieser Mitteilung sei der ungestörte Ablauf des gegen Dr. K. aufgrund dieser anonymen Anzeige eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gefährdet gewesen. Der Angeklagte habe in der Absicht gehandelt, eine Bestrafung von Dr. K. ganz oder teilweise zu vereiteln.
3
2. Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
a) Der Angeklagte pflegte zu Dr. K. eine gute Arbeitsbeziehung. Im Dezember 2013 waren einzelne Untersuchungsmethoden von Dr. K. Gegenstand einer von ihm als verunglimpfend empfundenen Berichterstattung in der regionalen Presse. Der Angeklagte wertete diese Be- richterstattung als „Schmierenaktion“ und machte Dr. K. Mut.
5
Am 9. Januar 2014 wurde dem Angeklagten ein undatiertes anonymes Schreiben vorgelegt, das an die von ihm geleitete Kreispolizeibehörde P. gerichtet war. Darin wurde der Vorwurf erhoben, Dr. K. habe im Rahmen seiner Tätigkeit als Leiter des polizeiärztlichen Dienstes über Jahre vorgehaltene Medikamente kostenlos an den Zeugen W. abgegeben, der als Verwaltungsleiter der Polizei hierauf keinen Anspruch gehabt habe. Der Angeklagte erklärte, sich selbst um die Angelegenheit kümmern zu wollen. Nachdem er das Schreiben durchgelesen hatte, machte sich der Angeklagte Sorgen um Dr. K. , weil er eine erneute negative Berichterstattung in der Presse befürchtete.
6
Am 10. Januar 2014 kam es zwischen dem Angeklagten und Dr. K. zu einer E-Mail-Korrespondenz. Dabei informierte Dr. K. den Angeklagten zunächst über die Untersuchung eines seiner Mitarbeiter, für den sich der Angeklagte zuvor verwandt hatte, und bedankte sich danach bei ihm für dessen „sehr fürsorgliche Unterstützung“. Der Angeklagte bedankte sich im Gegenzug bei Dr. K. in einer als vertraulich gekennzeichneten E-Mail für diese Information und fügte hinzu, dass er sich sicher sei, „dass sich auch alles Andere zur Zufriedenheit aller Betroffenen regeln werde“. Dr. K. schrieb daraufhin an den Angeklagten: „Danke lieber Freund, ich habe mir nichts vorzuwerfen und sehe gelassen in die Zukunft, aber gesundheitlich durch die Schmierenaktion deutlich angeschlagen“. Ebenfalls noch am 10. Januar 2014 benachrichtigte der Angeklagte den Leitenden Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Paderborn, den Zeugen S. , über den wesentlichen Inhalt des anonymen Schreibens und händigte es ihm am 15. Januar 2014 persönlich aus. Dieser leitete das Schreiben am Folgetag zuständigkeitshalber an die Staatsanwaltschaft Detmold weiter.
7
Am 23. Januar 2014 sprach ein Redakteur der Zeitung den Zeugen S. bei einer Veranstaltung in P. in Anwesenheit des Angeklagten auf das anonyme Schreiben an, nachdem kurz zuvor eine leicht veränderte Abschrift bei der Zeitung eingegangen war. Auf die Bitte nach einer Bewertung des Schreibens verwies der Zeuge S. unter anderem darauf, dass er die Angelegenheit bereits an die Staatsanwaltschaft Detmold weitergeleitet habe und diese zudem prüfen müsse, ob die Straftaten, die den Zeugen Dr. K. und W. vorgeworfen worden seien, nicht bereits verjährt seien. Über dieses Gespräch informierte der Angeklagte den Zeugen Dr. K. zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem 23. Januar 2014 und dem 4. Februar 2014.
8
Am 24. Januar 2014 leitete die Staatsanwaltschaft Detmold ein Ermittlungsverfahren gegen Dr. K. und den Zeugen W. ein.
9
Am 28. Januar 2014 oder kurz danach fragte ein Journalist der Landeszeitung bei der Pressestelle der Kreispolizeibehörde P. nach, ob es richtig sei, dass dort ein anonymes Schreiben vom Januar 2014 vorliege.
10
Bei einem am 4. Februar 2014 wegen der negativen Presseberichterstattung im Dezember 2013 mit der Polizeipräsidentin in B. geführten Gespräch teilte Dr. K. mit, von dem Angeklagten darüber informiert worden zu sein, dass es bereits ein weiteres anonymes Schreiben gebe, in dem ihm die unrechtmäßige Abgabe von Medikamenten an den Zeugen W. vorgeworfen werde. Gegen den Angeklagten wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
11
Die Presse berichtete erstmals nach den Durchsuchungen bei dem Angeklagten sowie den Zeugen Dr. K. und W. , die jeweils am 18. März 2014 stattfanden, von den Vorwürfen aus dem anonymen Schreiben.
12
b) Die Strafkammer hat nicht mit der erforderlichen Gewissheit festzustellen vermocht, dass der Angeklagte den Zeugen Dr. K. – wie angeklagt – bereits am 9. oder 10. Januar 2014 von dem anonymen Schreiben in Kenntnis gesetzt hat. Dass die Existenz und der Inhalt des anonymen Schreibens nach dem 23. Januar 2014 noch ein Geheimnis im Sinne des § 353b Abs. 1 StGB gewesen sei, habe sich nicht feststellen lassen, da zu diesem Zeitpunkt auch schon Pressevertreter hiervon Kenntnis gehabt hätten. Jedenfalls sei davon auszugehen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Offenbarung gegenüber dem Zeugen Dr. K. nach dem von ihm angehörten Gespräch vom 23. Januar 2014 nicht mehr die Vorstellung gehabt habe, dass es sich bei der Existenz oder dem Inhalt des anonymen Schreibens von Anfang Januar 2014 noch um ein Geheimnis handele oder er dies zumindest billigend in Kauf genommen habe. Auch der für die Annahme einer versuchten Strafvereitelung (im Amt) erforderliche Tatentschluss sei nicht gegeben, weil es das vorrangige Ziel des Angeklagten gewesen sei, den Zeugen Dr. K. vor weiterer negativer Presseberichterstattung zu bewahren oder zumindest vor damit einhergehenden emotionalen Rückschlägen zu schützen. Zudem sei davon auszugehen, dass es sich bei der Weitergabe der Informationen nach dem 23. Januar 2014 und der angeklagten Unterrichtung von Dr. K. am 9. oder 10. Januar 2014 wegen der unterschiedlichen Tatzeiten und dem dazwischen liegenden Gespräch zwischen dem Zeugen S. und dem Redakteur der Zeitung um verschiedene prozessuale Taten handele und dieser Vorgang deshalb von der zugelassenen Anklage nicht erfasst sei.

II.


13
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
14
1. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen einer Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil es von einem zu engen Verständnis des Tatbestandsmerkmals Geheimnis ausgegangen ist.
15
a) Dienstgeheimnisse im Sinne des § 353b Abs. 1 StGB sind tatsächliche Gegebenheiten, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und die der Geheimhaltung bedürfen. Sie müssen dem betreffenden Amtsträger im inneren Zusammenhang mit seiner Diensttätigkeit bekannt geworden sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 2002 – 5 StR 276/02, BGHSt 48, 126, 129; Urteil vom 23. März 2001 – 2 StR 488/00, BGHSt 46, 339, 340 f. mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 15. November 2012 – 2 StR 388/12, NStZ-RR 2013, 110, 111). Werden Tatsachen, deren Kenntnis nur einem bestimmten geschlossenen Personenkreis vorbehalten ist, weiteren Personen bekannt, so geht deren Geheimnischarakter dadurch noch nicht verloren (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 1965 – 8 StE 1/65, BGHSt 20, 342, 383; RG, Urteil vom 4. März 1940 – 2 D 31/40, RGSt 74, 110, 111; Vormbaum in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 353b Rn. 7; Graf in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 353b Rn. 22 mwN). Auch kommt es nicht darauf an, ob die Zahl der Mitwisser bestimmbar ist (vgl. RG, Urteil vom 4. März 1940 – 2 D 31/40, RGSt 74, 110, 111). Selbst ein noch ungesichertes und daher der Bestätigung bedürfendes „Bekanntsein“ einer Tatsache hebt deren Geheimnischarakter noch nicht auf (vgl. RG, Urteil vom 4. März 1940 – 2 D 31/40, RGSt 74, 110, 111; Vormbaum, aaO, § 353b Rn. 7; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 353b Rn. 4; Graf, aaO, § 353b Rn. 23 mwN). Erst wenn eine geheimhaltungsbedürftige Tatsache einer ungewissen Vielzahl von Personen bekannt geworden ist und sich dadurch so verbreitet hat oder auf andere Weise so zugänglich geworden ist, dass ein verständiger und erfahrener Mensch ohne weiteres zuverlässig von ihr Kenntnis haben oder sich von ihr aus allgemein zugänglichen Quellen un- schwer überzeugen kann, hat sie ihren Geheimnischarakter verloren (vgl. BGH, Urteile vom 9. Dezember 2002 – 5 StR 276/02, BGHSt 48, 126, 129 f. zu § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG u.a.; und vom 8. Oktober 2002 – 1 StR 150/02, BGHSt 48, 28, 30 ff. zu § 203 StGB; Bosch in SSW-StGB, 3. Aufl., § 353b Rn. 4; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 353b Rn. 13 mwN).
16
b) Diesen Vorgaben werden die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es das Vorliegen eines Geheimnisses für den von ihm angenommenen Tatzeitraum verneint hat, nicht gerecht. Zwar hat der Zeuge S. als Leitender Oberstaatsanwalt am 23. Januar 2014 auf die Nachfrage eines Redakteurs der Zeitung die Existenz und – jedenfalls in groben Zügen – auch den Inhalt des anonymen Schreibens bestätigt und damit nicht nur den Kreis der Mitwisser erweitert, sondern auch die Grundlage für eine sich auf eine zuverlässige Quelle stützen könnende Presseveröffentlichung geschaffen. Dadurch hatte das anonyme Schreiben seinen Geheimnischarakter aber noch nicht verloren. Denn die Zeitung hat bis zum 4. Februar 2014 nicht über den Vorgang berichtet, sodass die Existenz und der Inhalt des anonymen Schreibens bis dahin weder einer ungewissen Vielzahl von Personen zuverlässig bekannt, noch in dem oben dargestellten Sinne zugänglich geworden sind. Auch die Anfrage des Journalisten der Landeszeitung bei der Pressestelle der Kreispolizeibehörde P. am 28. Januar 2014 stellt den Geheimnischarakter des anonymen Schreibens nicht in Frage. Sie deutet zwar darauf hin, dass auch dieser Journalist Kenntnis von dem Schreiben hatte und damit ein (weiterer) Mitwisser außerhalb der Ermittlungsbehörden war. Aber auch er hat im Tatzeitraum darüber nicht berichtet. Soweit das Landgericht nicht auszuschließen vermocht hat, dass es noch weitere Personen außerhalb der Ermittlungsorgane gab, die Kenntnis von dem anonymen Schreiben und seinem Inhalt hatten, handelt es sich um eine nicht auf Tatsachen gestützte Annahme. Es ist aber weder im Hinblick auf den Zweifelsgrundsatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Sachverhalte zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2016 – 4 StR 320/16, NStZ-RR 2016, 380, 381; Urteil vom 18. September 2009 – 5 StR 224/08, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 20).
17
2. Dieser Rechtsfehler entzieht auch den Erwägungen der Strafkammer zur inneren Tatseite die Grundlage.
18
Soweit dazu ausgeführt wird, der Angeklagte habe nach dem von ihm angehörten Gespräch vom 23. Januar 2014 jedenfalls nicht mehr die Vorstellung gehabt, dass es sich bei der Existenz oder dem Inhalt des anonymen Schreibens von Anfang Januar 2014 noch um ein Geheimnis handelte oder er dies zumindest billigend in Kauf nahm, bleibt offen, was sich der Angeklagte in Abweichung von den festgestellten Umständen tatsächlich vorgestellt hat. Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Offenbarung des anonymen Schreibens gegenüber dem Zeugen Dr. K. irrig angenommen haben könnte, die Existenz dieses Schreibens und sein Inhalt seien nach der von ihm mitgehörten Antwort des Zeugen S. auf die an ihn gerichtete Presseanfrage – obgleich es bis zum 4. Februar 2014 zu keiner Presseberichterstattung kam – nunmehr einer ungewissen Vielzahl von Personen bekannt oder so zugänglich geworden, dass ein verständiger und erfahrener Mensch ohne weiteres zuverlässig davon Kenntnis haben konnte, sind auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen. Nur in diesem Fall käme ein zum Vorsatzausschlussführender Irrtum über Tatumstände im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB in Betracht.
19
3. Eine erst in der Zeit zwischen dem 23. Januar und dem 4. Februar 2014 erfolgte Bekanntgabe des anonymen Schreibens und seines Inhalts an den Zeugen Dr. K. ist noch Bestandteil der angeklagten Tat (§ 264 StPO) und hätte daher von der Strafkammer abgeurteilt werden dürfen.
20
a) Gemäß § 264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Zur Tat im Sinne dieser Vorschrift gehört das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Lebensauffassung einen einheitlichen Vorgang bildet. In diesem Rahmen muss das Tatgericht seine Untersuchung auch auf Teile der Tat erstrecken (Kognitionspflicht), die erst in der Hauptverhandlung bekannt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2016 – 3 StR 186/16, StraFo 2017, 26; Urteil vom 3. November 1959 – 1 StR 425/59, BGHSt 13, 320, 321; weitere Nachweise bei Norouzi in Münchener Kommentar zur StPO, § 264 Rn. 10). Verändert sich im Laufe eines Verfahrens das Bild des Geschehens, auf das die Anklage hinweist, so ist entscheidend, ob die „Nämlichkeit der Tat“ trotz dieser Abweichung noch gewahrt ist. Dies ist der Fall, wenn – ungeachtet gewisser Differenzen – bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen kennzeichnen und keine wesentliche Änderung des Tatbildes eingetreten ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2013 – 2 StR 311/13, Rn. 4; Urteil vom 28. Mai 2002 – 5 StR 55/02, NStZ 2002, 659 [Ls]; Urteil vom 21. Dezember 1983 – 2 StR 578/83, BGHSt 32, 215, 216, 218 f.; weitere Nachweise bei Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 264 Rn. 95). Eine Veränderung oder Erweiterung des Tatzeitraums führt daher nicht zur Aufhebung der Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat, wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen hinreichend individualisiert ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2016 – 3 StR 454/15, NStZ-RR 2016, 223 [Ls]; Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 153/14, StraFo 2015, 68; Urteil vom 17. August 2000 – 4 StR 245/00, BGHSt 46, 130, 133 mwN).
21
b) Danach unterlag auch eine erst in der Zeit zwischen dem 23. Januar 2014 und dem 4. Februar 2014 erfolgte Unterrichtung des Zeugen Dr. K. von der Existenz und dem Inhalt des anonymen Schreibens der Kognitionspflicht der Strafkammer. Die dem Angeklagten in der unverändert zugelassenen Anklageschrift zur Last gelegte und die festgestellte Tat sind maßgeblich dadurch gekennzeichnet, dass der Angeklagte den Zeugen Dr. K. über die Existenz und den Inhalt eines bei der Kreispolizeibehörde in P. eingegangenen und ihm am 9. Januar 2014 vorgelegten anonymen Schreibens, in dem der Zeuge diverser Straftaten verdächtigt wurde, unterrichtete, bevor deswegen gegen den Zeugen offen ermittelt wurde. Diese beiden Sachverhalten gemeinsamen Aspekte reichen aus, um die den Verurteilungsgegenstand bildende Tat – auch unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung – so zu beschreiben, dass sie nach den allgemeinen Gesetzen der Logik und der Erfahrung eindeutig gekennzeichnet ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21. Dezember 1983 – 2 StR 578/83, BGHSt 32, 215, 216, 218 f.; Puppe, NStZ 1982, 230, 234 f.). Ob diese Mitteilung – wie angeklagt – am 9. oder 10. Januar 2014 oder erst in der Zeit zwischen dem 23. Januar 2014 und 4. Februar 2014 erfolgt ist, ist dafür nicht von wesentlicher Bedeutung. Das von der Strafkammer zur Begründung ihrer gegenteiligen Ansicht herangezogene Gespräch zwischen dem Zeugen S. und dem Redakteur der Zeitung vom 23. Januar 2014 rechtfertigt keine abweichende Bewertung, da es auf der Grundlage der im Übrigen getroffenen Feststellungen nicht zu einer gänzlich abweichenden Einordnung des Täterverhaltens führt.
22
4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Auf die von der Revision gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts erhobenen Einwände kommt es nicht mehr an. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache an eine Strafkammer des Landgerichts Münster zurück.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 264 Gegenstand des Urteils


(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. (2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde l

Strafgesetzbuch - StGB | § 203 Verletzung von Privatgeheimnissen


(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilbe

Strafgesetzbuch - StGB | § 16 Irrtum über Tatumstände


(1) Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt. (2) Wer bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, welche den

Bundesbeamtengesetz - BBG 2009 | § 61 Wahrnehmung der Aufgaben, Verhalten und Erscheinungsbild


(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben das ihnen übertragene Amt uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und d

Strafgesetzbuch - StGB | § 353b Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht


(1) Wer ein Geheimnis, das ihm als 1. Amtsträger,2. für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten,3. Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnimmt oder4. Europäischer Amtsträger,anvertraut worden oder sonst b

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(1) Wer ein Geheimnis, das ihm als

1.
Amtsträger,
2.
für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten,
3.
Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnimmt oder
4.
Europäischer Amtsträger,
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, unbefugt offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Hat der Täter durch die Tat fahrlässig wichtige öffentliche Interessen gefährdet, so wird er mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer, abgesehen von den Fällen des Absatzes 1, unbefugt einen Gegenstand oder eine Nachricht, zu deren Geheimhaltung er

1.
auf Grund des Beschlusses eines Gesetzgebungsorgans des Bundes oder eines Landes oder eines seiner Ausschüsse verpflichtet ist oder
2.
von einer anderen amtlichen Stelle unter Hinweis auf die Strafbarkeit der Verletzung der Geheimhaltungspflicht förmlich verpflichtet worden ist,
an einen anderen gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(3a) Beihilfehandlungen einer in § 53 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 der Strafprozessordnung genannten Person sind nicht rechtswidrig, wenn sie sich auf die Entgegennahme, Auswertung oder Veröffentlichung des Geheimnisses oder des Gegenstandes oder der Nachricht, zu deren Geheimhaltung eine besondere Verpflichtung besteht, beschränken.

(4) Die Tat wird nur mit Ermächtigung verfolgt. Die Ermächtigung wird erteilt

1.
von dem Präsidenten des Gesetzgebungsorgans
a)
in den Fällen des Absatzes 1, wenn dem Täter das Geheimnis während seiner Tätigkeit bei einem oder für ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes bekanntgeworden ist,
b)
in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1;
2.
von der obersten Bundesbehörde
a)
in den Fällen des Absatzes 1, wenn dem Täter das Geheimnis während seiner Tätigkeit sonst bei einer oder für eine Behörde oder bei einer anderen amtlichen Stelle des Bundes oder für eine solche Stelle bekanntgeworden ist,
b)
in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2, wenn der Täter von einer amtlichen Stelle des Bundes verpflichtet worden ist;
3.
von der Bundesregierung in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 4, wenn dem Täter das Geheimnis während seiner Tätigkeit bei einer Dienststelle der Europäischen Union bekannt geworden ist;
4.
von der obersten Landesbehörde in allen übrigen Fällen der Absätze 1 und 2 Nr. 2.
In den Fällen des Satzes 2 Nummer 3 wird die Tat nur verfolgt, wenn zudem ein Strafverlangen der Dienststelle vorliegt.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung: ja
Strafbarkeit nach § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB liegt mangels
Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen nicht vor,
wenn ein Datenschutzbeauftragter mit der Veröffentlichung
datenschutzrechtlicher Verstöße auch auf ein gesetzmäßiges
Verhalten hinwirkt.
BGH, Urt. v. 9. Dezember 2002 - 5 StR 276/02
LG Dresden –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. Dezember 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Dezember
2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt D ,
Rechtsanwalt H ,
Rechtsanwalt L
als Verteidiger,
Justizangestellte T ,
Justizangestellte R
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 7. November 2001 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigespro- chen, im August 2000 als Sächsischer Datenschutzbeauftragter in drei Fällen Dienstgeheimnisse verletzt zu haben. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Sachrüge die Beweiswürdigung und die rechtliche Würdigung angreift, bleibt ohne Erfolg.

I.


Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte ist seit 1992 Datenschutzbeauftragter des Freistaats Sachsen. In dieser Eigenschaft wurde er vom damaligen Oberbürgermeister der Stadt Görlitz, Le , zwischen 1998 und 2000 mehrfach von dem Verdacht unterrichtet, das Sächsische Staatsministerium der Justiz könne in einem Ermittlungsverfahren gegen den Beigeordneten für Finanzen der Stadt
Görlitz und stellvertretenden Kreisvorsitzenden der CDU, N , in unlauterer Weise auf die Staatsanwaltschaft eingewirkt haben. Das Verfahren gegen N war auf Grund einer Strafanzeige des ebenfalls der CDU angehörenden Oberbürgermeisters Le eingeleitet worden. Im Rahmen der datenschutzrechtlichen Anrufung überprüfte der Angeklagte im Juli 2000 die Akten des Ministeriums zum „Fall N “. Dabei stellte er fest, daß sich der Görlitzer Landtagsabgeordnete und dortige Kreisvorsitzende der CDU, B , am 19. August 1997 telefonisch an den Justizminister He gewandt und den Wunsch nach einer raschen Klärung der Vorwürfe – auch im Hinblick auf einen am 20. September 1997 stattfindenden Kreisparteitag der CDU – zum Ausdruck gebracht hatte. Der Justizminister hatte daraufhin die Strafrechtsabteilung seines Hauses mit der Vorlage eines Berichts über dieses Verfahren beauftragt, der ihm möglichst noch vor einer am 28. August 1997 in Görlitz stattfindenden Klausur der Landtagsfraktion der CDU zugeleitet werden sollte; zugleich hatte er darum gebeten, auf eine „beschleunigte Behandlung“ des Ermittlungsverfahrens hinzuwirken. Der für strafrechtliche Einzelsachen zuständige Referatsleiter hatte in der Folgezeit den Leitenden Oberstaatsanwalt in Görlitz telefonisch vom Anliegen des Justizministers unterrichtet. Nach Eingang des Berichtes der Staatsanwaltschaft Görlitz hatte er am 26. August 1997 über den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gegen N und den damaligen Sachstand einen umfangreichen Vermerk verfaßt, in dem darauf hingewiesen wurde, er hätte den Leitenden Oberstaatsanwalt gebeten, „für eine rasche und sensible Behandlung der Sache Sorge zu tragen“. Dieser Vermerk war auf dem Dienstweg dem Minister vorgelegt worden. Dieser hatte am 27. August 1997 die Vorlage zur Kenntnis genommen; er hatte den Landtagsabgeordneten B am folgenden Tag unterrichtet und am 30. August 1997 die Strafrechtsabteilung gebeten, ihn weiter „auf dem Laufenden zu halten“.
Diese aus den Akten ersichtlichen Vorgänge bewertete der Angeklagte als erhebliche Verstöße gegen die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes. Nachdem er die Führung des Justizministeriums unverzüglich vor-
ab informiert hatte, kündigte er mit Schreiben vom 18. Juli 2000 eine datenschutzrechtliche Beanstandung an und gab dem Ministerium Gelegenheit zur Stellungnahme bis 24. Juli 2000. Mit Schreiben vom 25. Juli 2000 wies der Leiter der Strafrechtsabteilung die Vorwürfe des Datenschutzbeauftragten zurück; die von diesem beanstandete Vorgehensweise sei rechtmäßig gewesen. Der Angeklagte wandte sich daraufhin an den Chef der Sächsischen Staatskanzlei mit der Bitte, den Justizminister zu bewegen, Berichtsanforderungen der beanstandeten Art sowie die Informierung Dritter zu unterlassen und die in Verwaltungsvorschriften festgelegten Berichtspflichten der Staatsanwaltschaft zu ändern.
Nachdem am 16. August 2000 ein Journalist der B -Zeitung einem Mitarbeiter des Angeklagten einen Entwurf eines Zeitungsartikels über das Verhalten des Justizministers im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren gegen N zur Kenntnis gebracht, vor einer beabsichtigten Veröffentlichung aber noch einige Tage Stillschweigen zugesagt hatte, wandte sich der Angeklagte am 21. August 2000 erneut an den Chef der Staatskanzlei und kündigte an, wegen des Drucks der Presse am Folgetag um 18.00 Uhr nach Eingang einer von ihm erwarteten Stellungnahme des Justizministers eine Pressekonferenz abzuhalten. Am Morgen des 22. August 2000 erschien indes bereits in großer Aufmachung der zuvor angekündigte bebilderte Bericht in der B -Zeitung, in dem unter anderem das Anliegen des Landtagsabgeordneten B und dessen Unterrichtung durch den Justizminister – letzteres ohne Einzelheiten, aber auf dem Hintergrund politischer Verbindungen – geschildert wurde; ferner wurden N als Beschuldigter sowie Le als Anzeigeerstatter benannt. In der auf 18.00 Uhr einberufenen Pressekonferenz verlas der Angeklagte daraufhin vor den anwesenden Pressevertretern die vom Justizminister stammenden Verfügungen (Fall 1 der Anklage). Am nächsten Tag übersandte er dem Justizministerium gegen 9.00 Uhr eine datenschutzrechtliche Beanstandung, in der er die Gesetzesverstöße nochmals im Einzelnen darstellte, die Verfügungen des Justizministers zitierte und eine abstrakte Darstellung des Berichts des Leiten-
den Oberstaatsanwalts in Görlitz vom 25. August 1997 beifügte. Gegen 10.00 Uhr übermittelte er das gesamte Beanstandungsschreiben an den Petenten Le (Fall 2 der Anklage), eine Stunde später berief er eine weitere Pressekonferenz ein. In diesem Rahmen verlas er die gesamte datenschutzrechtliche Beanstandung im Wortlaut und legte für die Journalisten Kopien zur Mitnahme aus (Fall 3 der Anklage).
Das Landgericht hat die im August 1997 aktenkundig gewordenen verwaltungsinternen Vorgänge im Sächsischen Staatsministerium der Justiz, die in diesem Zusammenhang erfolgte Unterrichtung Dritter über den Sachstand des damaligen Ermittlungsverfahrens sowie die datenschutzrechtliche Beanstandung des Datenschutzbeauftragten gegenüber dem Justizministerium vom 23. August 2000 jeweils als Dienstgeheimnisse gemäß § 353b Abs. 1 StGB angesehen. Der Angeklagte habe aber bei Offenbarung dieser Geheimnisse keine wichtigen öffentlichen Interessen im Sinne dieser Vorschrift gefährdet; zudem habe er nicht unbefugt gehandelt, sondern sei aus verfassungsrechtlichen Gründen wegen Notstands gerechtfertigt.

II.


Die gegen das freisprechende Urteil gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
1. Ohne Erfolg rügt die Beschwerdeführerin, die Beweiswürdigung sei unvollständig und genüge nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 5 StPO. Dem Urteil ist zu entnehmen, daß der Angeklagte den Sachverhalt so geschildert hat, wie er im Urteil festgestellt worden ist. Seine Angaben werden bestätigt durch die in der Hauptverhandlung verlesenen Schriftstücke und die Aussagen der vom Landgericht benannten Zeugen, die als Beteiligte die Darstellung des Angeklagten „objektiviert“ haben. Mehr ist bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen nicht geboten.
2. Der Freispruch hält auch im übrigen sachlichrechtlicher Nachprüfung stand.

a) Mit der Verlesung der vom Justizminister stammenden Verfügungen am 22. August 2000 (Fall 1 der Anklage) hat der Angeklagte nicht gegen § 353b StGB verstoßen.
Gemäß § 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich strafbar, wer ein Geheimnis , das ihm als Amtsträger anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist, unbefugt offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet.
aa) Geheimnisse im Sinne dieser Vorschrift sind Tatsachen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und zudem geheimhaltungsbedürftig sind. Darunter fallen auch personenbezogene Umstände, die vertraulich zu behandeln sind. Sie müssen dem betreffenden Amtsträger im inneren Zusammenhang mit seiner Diensttätigkeit bekanntgeworden sein (vgl. BGHSt 46, 339, 340 f.; 10, 108 f.; BGH NStZ 2000, 596, 598; Hoyer in SKStGB 41. Lfg. § 353b Rdn. 6). In diesem Sinne kann auch rechtswidriges Handeln Dritter im Einzelfall eine geheimhaltungsbedürftige Tatsache darstellen (vgl. BGHSt 20, 342, 354 ff.; Hoyer in SK aaO Rdn. 5).
Das als normatives Element des Geheimnisbegriffs erforderliche Geheimhaltungsbedürfnis (vgl. BGHSt 46, 339, 341) ergibt sich vorliegend aus § 23 Abs. 6 Satz 1 des hier maßgeblichen Sächsischen Datenschutzgesetzes (SächsDSG). Nach dieser Vorschrift unterfallen die dem Angeklagten als Sächsischem Datenschutzbeauftragten bei seiner Tätigkeit bekanntgewordenen personenbezogenen Daten der Pflicht zur Verschwiegenheit. Von ihr miterfaßt werden auch personenbezogene Daten der vom Datenschutzbeauftragten kontrollierten Amtswalter, weil insoweit das dienstliche Grundverhältnis betroffen ist, in dem der öffentliche Bedienstete seinem Dienstherrn als Grundrechtsträger gegenübertritt (vgl. Globig, DÖD 1991, 217, 218, 220).
Ausgenommen sind nach Satz 2 dieser Bestimmung Mitteilungen im dienstli- chen Verkehr oder allgemein zugängliche Daten. Solche sind – wie offenkundige Tatsachen im Sinne von § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG, § 39 Abs. 1 Satz 2 BRRG, § 23 Abs. 5 Satz 2 BDSG (vgl. BGH, Urt. vom 8. Oktober 2002 – 1 StR 150/02 S. 7; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) – insbesondere dann anzunehmen, wenn von ihnen verständige und erfahrene Menschen ohne weiteres Kenntnis haben und sie keiner weiteren Überprüfung oder Bestätigung bedürfen (vgl. BGH aaO S. 6, BGH NStZ 2000, 596, 597 m. w. N.; Träger in LK 10. Aufl. § 353b Rdn. 7; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 353b Rdn. 7, § 93 Rdn. 9).
Entsprechendes ergibt sich aus § 78 Abs. 1 Satz 2 SächsBG, wonach die Verschwiegenheitspflicht entfällt, wenn die fraglichen Tatsachen offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Diese für weisungsunterworfene Landesbeamte getroffene Regelung kann als allgemeiner Grundsatz auf den nach § 23 Abs. 4 Satz 1 SächsDSG unabhängigen , weisungsfreien und nur dem Gesetz unterworfenen Sächsischen Datenschutzbeauftragten, der Beamter auf Zeit ist, angewandt werden. Bedeutungslosigkeit kann allerdings nicht angenommen werden, wenn eine Angelegenheit unter irgendeinem Gesichtspunkt aus irgendeinem Grund jetzt oder auch später Bedeutung gewinnen (vgl. BGHSt 46, 339, 341 m. w. N.), insbesondere ihre Offenbarung auf ein laufendes oder zukünftiges Verfahren Einfluß haben kann (Zängl in GKÖD Bd. I BR Lfg. 5/99 § 61 Rdn. 45).
bb) Auf dieser rechtlichen Grundlage ergibt sich für die dem Angeklagten zur Last gelegten Handlungen, daß er durchaus Geheimnisse im Sinne von § 353b Abs. 1 StGB offenbarte, indem er als Sächsischer Datenschutzbeauftragter anläßlich der ersten Pressekonferenz am Abend des 22. August 2000 die innerdienstlichen Vermerke und Verfügungen des Sächsischen Justizministers vom 19. und 30. August 1997 zu den Vorgängen im Fall N verlas und damit einem größeren Personenkreis bekanntmach-
te, der von diesen Vorgängen bis zu diesem Zeitpunkt in dieser konkreten Form noch keine Kenntnis hatte.
Den Charakter als Geheimnis verloren diese Aktenbestandteile auch nicht ohne weiteres allein dadurch, daß der Angeklagte im Rahmen seiner datenschutzrechtlichen Überprüfung Verstöße des Justizministers gegen das Sächsische Datenschutzgesetz festgestellt hatte. Zwar hatte der Justizminister vor dem Hintergrund seiner parteipolitischen Motivation offensichtlich nicht in Ausübung des ihm nach § 146 GVG zustehenden externen Weisungsrechts gegenüber der Staatsanwaltschaft (vgl. Schoreit in KK 4. Aufl. § 146 GVG Rdn. 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. GVG § 146 Rdn. 1) gehandelt. Die Anforderung des Berichts über die Strafrechtsabteilung beim Leitenden Oberstaatsanwalt in Görlitz hinsichtlich der Einzelheiten des Verfahrens gegen N stellt das Erheben personenbezogener Daten im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 SächsDSG dar; eine zweckbestimmte Auswertung dieser Daten oder auch nur eine zielgerichtete Kenntnisnahme von ihnen ist eine Nutzung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 SächsDSG (OVG Bautzen NJW 1999, 2832, 2835) und die Unterrichtung Dritter ein Übermitteln im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 4 lit. a SächsDSG. Diese Datenverarbeitungen waren nach § 4 Abs. 1 SächsDSG unzulässig. Weder das Sächsische Datenschutzgesetz noch andere Rechtsvorschriften lassen ein solches Vorgehen zu. Auch eine Einwilligung der Betroffenen ist nicht ersichtlich. Die Verschwiegenheitspflicht schützt nicht nur die Betroffenen, sondern auch die zu kontrollierenden öffentlichen Stellen und deren Mitarbeiter (Gola/Schomerus, BDSG 7. Aufl. § 23 Rdn. 10; vgl. auch Dammann in Simitis /Dammann/Geiger/Mallmann/ Walz, BDSG 4. Aufl. § 23 Rdn. 25). Der vorliegende Fall nötigt den Senat nicht, näher zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Offenbarung rechtswidrigen Verhaltens die Verschwiegenheitspflicht verletzen kann.
cc) Gleichermaßen kann dahingestellt bleiben, ob der Angeklagte deshalb von der Verschwiegenheitspflicht entsprechend § 61 Abs. 4 BBG
befreit oder befugt war, die aktenkundigen verwaltungsinternen Vorgänge zu offenbaren, weil er zum Erhalt der freiheitlich-demokratischen Grundordnung handelte (vgl. BVerfGE 28, 191, 202 ff.; BGHSt 20, 342, 365, 367 f.; Träger in LK 10. Aufl. § 353b Rdn. 35; Plog/Wiedener/Lemhöfer, BBG/BeamtenVG § 61 Rdn. 7; Battis, BBG 2. Aufl. § 61 Rdn. 4 f.). Zugleich kann offenbleiben, ob damit – wie der Tatrichter meint – der Angeklagte im Sinne von § 34 StGB gerechtfertigt war. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen diesen Schluß nicht ohne weiteres.
dd) Das Landgericht hat aber im Ergebnis zutreffend eine Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen im Sinne von § 353b Abs. 1 StGB verneint (vgl. BGHSt 46, 339, 343).
Eine konkrete unmittelbare Gefährdung öffentlicher Interessen ist nicht ersichtlich. Auch die Revision stellt nicht in Abrede, daß die Offenbarung der fast drei Jahre zurückliegenden Verstöße des Justizministers gegen das Datenschutzrecht wichtige öffentliche Interessen nicht gefährden konnte. Eine Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen käme allenfalls mittelbar in Betracht, falls durch das Offenbaren der Verfügungen des Justizministers das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Datenschutzbeauftragten beeinträchtigt wäre. Eine solche mittelbare Gefährdung kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausnahmsweise genügen (vgl. BGH NStZ 2000, 596, 598; vgl. auch Träger in LK 10. Aufl. § 353b Rdn. 26 m. w. N.; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 353b Rdn. 13a; ablehnend Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 353b Rdn. 9; Hoyer in SK-StGB 41. Lfg. § 353b Rdn. 8; Kuhlen in NK-StGB § 353b Rdn. 22 ff.; Perron JZ 2002, 50, 51 f.; Behm StV 2002, 29, 32 f.). Dazu bedarf es einer Gesamtabwägung im Einzelfall, um dem Merkmal der Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen seinen eigenständigen Bedeutungsgehalt zu erhalten. Dabei müssen Inhalt und Umfang der geheimhaltungsbedürftigen Daten, deren in Aussicht genommene Verwendung und die Person des Amtsträgers Berücksichtigung finden (BGH aaO).
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung, an der der Senat festhält, hat das Landgericht im Ergebnis rechtsfehlerfrei eine Gefährdung öffentlicher Interessen durch den Angeklagten verneint. Ein Amtsträger, der wie der Angeklagte zur Kontrolle der Gesetzestreue eines anderen Amtsträgers berufen ist, kann wichtige öffentliche Interessen nicht durch die Offenbarung eines Gesetzesverstoßes gefährden, wenn er die Öffentlichkeit – wie ersichtlich hier – auch als Verbündeten gewinnen will, um auf ein gesetzmäßiges Verhalten hinzuwirken. Damit verfolgte der Angeklagte selbst ein wichtiges öffentliches Interesse, was einen Verlust des Vertrauens hinsichtlich der Integrität des Datenschutzbeauftragten in der Öffentlichkeit ausschließt. Entgegen der Auffassung der Revision kann ein Verlust des Vertrauens in die Integrität des Justizministeriums keine wichtigen öffentlichen Interessen begründen. Die offenbarten Verfügungen des Justizministers waren offensichtlich rechtmäßig in den Besitz des Angeklagten gelangt. Damit wurden sie Bestandteil eines Verwaltungsvorgangs der vom Angeklagten geleiteten Behörde (vgl. Dammann in Simitis/Dammann/Geiger/Mallmann/Walz, BDSG 4. Aufl. § 23 Rdn. 25) und bildeten ausschließlich deren Geheimnis. Dessen Offenbarung könnte dann auch nur einen Verlust des Vertrauens hinsichtlich der Integrität dieser Behörde bewirken. Die Anerkennung einer weiteren Mittelbarkeit – hier bezogen auf das Justizministerium als Ursprungsbehörde – würde auch die Grenzen dessen, was im Gesetzgebungsverfahren als von der Rechtsprechung ausreichend klar umrissen bezeichnet wurde (vgl. BayObLG NStZ–RR 1999, 299, 300; Träger in LK 10. Aufl. § 353b StGB Rdn. 26), überschreiten und dem Erfordernis der Tatbestandsbestimmtheit zuwiderlaufen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 353b Rdn. 13a).

b) Dieselben Grundsätze gelten auch hinsichtlich des Verlesens der datenschutzrechtlichen Beanstandung am 23. August 2000 (Fall 3 der Anklage ). Auch insoweit war die Verschwiegenheitspflicht des Angeklagten aus § 23 Abs. 6 Satz 1 SächsDSG nicht schon wegen Bedeutungslosigkeit entfallen. Jedenfalls war insoweit die Offenbarung dieser Geheimnisse aber aus
den oben dargelegten Gründen nicht geeignet, wichtige öffentliche Interessen zu gefährden.

c) Hinsichtlich der Übersendung der datenschutzrechtlichen Beanstandung an Le (Fall 2 der Anklage) bestand für den Angeklagten insoweit schon keine Verschwiegenheitspflicht mehr, weil die ihren spezifischen Zweck erfüllende Unterrichtung zu den Mitteilungen im dienstlichen Verkehr im Sinne von § 23 Abs. 6 Satz 2 SächsDSG zu rechnen ist (vgl. Dammann in Simitis/Dammann/Geiger/Mallmann/Walz, BDSG 4. Aufl. § 23 Rdn. 26). Nach Abschluß des Kontrollverfahrens mit der datenschutzrechtlichen Beanstandung erlangte Le , der den Angeklagten entsprechend § 22 SächsDSG angerufen hatte, – wie ein Petent – einen Anspruch auf Bescheidung seiner Eingabe (vgl. BayVGH NJW 1989, 2643; Dammann aaO § 21 Rdn. 18). Zwar ist eine ins einzelne gehende Begründung nicht vorgeschrieben (Dammann aaO). Stellt der Datenschutzbeauftragte aber eine Rechtsverletzung fest, muß er angeben, welches Recht er durch welchen Vorgang verletzt sieht (Dammann aaO). Erfolgt eine datenschutzrechtliche Beanstandung, ist der Anrufende auch davon zu unterrichten (Dammann aaO). Diese aus dem Wesen des Anrufungsrechts entwickelten – allgemein praktizierten – Maßstäbe haben durch die die Informationsrechte des Bürgers betonende Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Abl EG Nr. L 281/31 vom 23. November 1995) und deren Umsetzung im Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze vom 18. Mai 2001 (BGBl I 904) eine neue Qualität gefunden. Die in Art. 28 III. dritter Spiegelstrich der Richtlinie vorgesehene Anzeigebefugnis des Datenschutzbeauftragten wurde um die ausdrückliche Befugnis in § 23 Abs. 5 Satz 7 BDSG ergänzt, den Betroffenen über den Datenschutzverstoß zu informieren (vgl. BT Drucks. 14/4329, S. 1, 41). Der Angeklagte hat sich bei der Unterrichtung Le s an diese Erfordernisse gehalten und die Grenzen seiner Befugnis nicht überschritten. Zwar war die Wiedergabe der
Verfügungen des Justizministers im Wortlaut nicht geboten. Dies führte aber nicht zu einer Offenbarung weiterer Tatsachen, weil nichts mitgeteilt wurde, was nicht inhaltsgleich mit eigenen Worten hätte umschrieben werden können.
Harms Häger Raum Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 488/00
vom
23. März 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 353 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Die Auskunft, daß in einer polizeilichen Datensammlung keine Einträge
vorhanden sind, kann eine Verletzung des Dienstgeheimnisses sein.
BGH, Urteil vom 23. März 2001 - 2 StR 488/00 - LG Frankfurt am Main
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung vom
21. März 2001 in der Sitzung am 23. März 2001, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Detter,
Dr. Bode,
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. August 2000 wird verworfen. Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses in sieben Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

II.


Nach den Feststellungen war der Angeklagte als Polizeioberkommissar in der Funktion eines Truppführers bei einer Zugriffseinheit der Polizei in F. tätig. Zu den Aufgaben dieser Polizeieinheit gehörte unter anderem die Bekämpfung der Straßenkriminalität im F. Bahnhofsviertel.
Im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit hatte der Angeklagte mittels seiner Personalnummer und eines ihm bekannten Codes Zugriff auf den Datenbestand des polizeilichen Informationssystems Hepolis. In dieser von der h. Polizei landesweit betriebenen, mit dem bundespolizeilichen Inpol-Datennetz und dem Zentralen Verkehrsinformationssystem Zevis verbundenen automatisierten kriminalpolizeilichen Sammlung waren personenbezogene Daten von bereits polizeilich in Erscheinung getretenen Personen gespeichert. Hierzu zählten insbesondere Ausschreibungen zur Festnahme, Festnahmedaten sowie Angaben zum ausländerrechtlichen Status. Darüber hinaus enthielt das System fallbezogene Informationen über Straftaten und Angaben zu sonstigen im Rahmen polizeilicher Ermittlungen bekannt gewordenen Umständen. Im Zeitraum von Februar bis Juli 1998 führte der Angeklagte im Auftrag seines in einem Bordell im F. Bahnhofsviertel als Wirtschafter tätigen Freundes N. - in einem Fall für eine mit dem Angeklagten befreundete Prostituierte - in insgesamt sechs Fällen Anfragen zu verschiedenen Personalien in dem Informationssystem Hepolis durch. In vier Fällen (Anklagepunkte 7, 9, 13 und 14) waren zu den abgefragten Personalien keine Einträge in der Datensammlung vorhanden , was der Angeklagte jeweils N. mitteilte. Von den beiden weiteren Abfragen ergab die eine, daß der Inhaber des Bordells, in dem N. tätig war, als Bordellbetreiber registriert war (Anklagepunkt 6), und die andere, daß gegen die abgefragte Person wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt werde (Anklagepunkt 11/12). Auch diese Informationen gab der Angeklagte an die Veranlasser der Abfragen weiter.
Am 28. Mai 1999 hatte der Angeklagte Kenntnis von einer für denselben Tag geplanten Durchsuchung des von N. bewirtschafteten Bordells. In einem Telefongespräch mit N. sprach der Angeklagte die Polizeimaßnahme an und
bejahte die von N. konspirativ in verschlüsselter Weise gestellte Frage, ob es nicht besser sei, das Bordell kurzfristig zu schließen. Aufgrund einer Warnung durch N. im Anschluß an dieses Gespräch verließen ca. 15 Prostituierte fluchtartig das Bordell, so daß die anschließende polizeiliche Durchsuchung ergebnislos verlief (Anklagepunkt 16).

III.


1. Der Schuldspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat – entgegen der Auffassung der Revision – zu Recht die Weitergabe der in Hepolis gespeicherten Informationen sowie die Mitteilungen, daß zu den abgefragten Personalien im polizeilichen Datensystem keine Einträge vorhanden waren, jeweils als Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB gewertet.

a) Sowohl bei den vom Angeklagten weitergegebenen Daten aus der Datensammlung Hepolis, als auch bei dem mitgeteilten Umstand, daß zu bestimmten Personalien keine Erkenntnisse vorliegen, handelt es sich um Geheimnisse im Sinne des § 353 b Abs. 1 StGB. Beides sind tatsächliche Gegebenheiten , deren Kenntnis wegen der beschränkten Zugriffsmöglichkeit auf das Informationssystem nicht über einen begrenzten Personenkreis hinausgeht (BGH NStZ 2000, 596, 598; BGHSt 10, 108). Das als normatives Element des Geheimnisbegriffes erforderliche Geheimhaltungsbedürfnis ergibt sich aus § 75 Abs. 1 des für den Angeklagten maßgeblichen H. Beamtengesetzes. Nach dieser Vorschrift unterfallen die einem Beamten bei seiner amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Angelegenheiten grundsätzlich der beamtenrechtlichen Verschwiegenheitspflicht , sofern sie nicht ausnahmsweise offenkundige oder sol-
che Tatsachen betreffen, die ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Letzteres ist dann nicht der Fall, wenn eine Angelegenheit unter irgendeinem Gesichtspunkt aus irgendeinem Grund jetzt oder auch später Bedeutung gewinnen kann, d. h. nicht ganz unbedeutend ist (OVG Münster OVGE 16, 56, 57 f.; Schütz Beamtenrecht des Bundes und der Länder 5. Aufl. Teil C § 64 Rdn. 9; OLG Köln NJW 1988, 2489, 2490). Daß die in den Fällen Anklagepunkt 6 und 11/12 vom Angeklagten in der Datensammlung Hepolis abgerufenen und weitergegebenen Informationen demnach der beamtenrechtlichen Verschwiegenheitspflicht unterfallen, liegt auf der Hand. Dies gilt aber in gleicher Weise auch für die Tatsache, daß in dem polizeilichen Informationssystem keine oder - wie im Anklagepunkt 6 - keine weiteren Daten gespeichert sind. Die Datensammlung Hepolis dient unmittelbar der Wahrnehmung präventiver und repressiver Aufgaben der Polizei. Das Wissen darüber, daß in dem System keine polizeilichen Erkenntnisse gespeichert sind, kann im Einzelfall beispielsweise für Personen, die Straftaten planen oder bereits begangen haben oder die für eine polizeipflichtwidrige Gefahrenlage verantwortlich sind, im Hinblick auf ihr weiteres Verhalten von erheblicher Bedeutung sein. Insbesondere der Auf- und Ausbau organisierter krimineller Strukturen wie hier im “Rotlicht-Milieu” kann durch Informationen über bislang fehlende polizeiliche Erkenntnisse wesentlich gefördert werden, weil es den Beteiligten die Möglichkeit eröffnet, das Kontrollund Aufdeckungsrisiko zu minimieren. Schon diese abstrakte Möglichkeit begründet ein hinreichendes Geheimhaltungsbedürfnis. Hinzu kommt, daß das Fehlen gespeicherter Daten hinsichtlich der Amtsverschwiegenheit nicht anders beurteilt werden kann als die Tatsache einer vorhandenen Datenspeicherung. Wäre einem Beamten die Mitteilung über eine nicht existierende Speicherung im Sinne einer Negativauskunft möglich, während er sich bei vorhan-
denen Erkenntnissen auf seine Verschwiegenheitspflicht berufen müßte, könnte hieraus, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, wegen der durch ein entweder/oder-Verhältnis gekennzeichneten logischen Verknüpfung beider Gegebenheiten Rückschlüsse auf die Existenz gespeicherter Daten gezogen werden mit der Konsequenz, daß die insoweit gebotene Geheimhaltung nicht mehr gewährleistet wäre. Die hierin liegende Ausforschungsgefahr spricht ebenfalls dafür, auch das Fehlen gespeicherter Daten als geheimhaltungsbedürftige Tatsache anzusehen (zur Ausforschungsgefahr bei Negativauskünften vgl. BVerwG NJW 1990, 2765, 2768; OVG Bremen NJW 1987, 2393, 2395; Mallmann in Simitis/Dammann/Mallmann/Walz, Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz 4. Aufl. § 19 Rdn. 85). Daß der Angeklagte seine Kenntnisse aus dem Informationssystem Hepolis dienstpflichtwidrig erlangte, stellt die sich aus § 75 Abs. 1 HBG ergebene Verschwiegenheitspflicht ebensowenig in Frage (Schütz aaO § 64 Rdn. 5) wie die tatbestandliche Voraussetzung des Bekanntwerdens des Geheimnisses als Amtsträger in § 353 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB (OLG Düsseldorf NJW 1982, 2883 f.; Träger LK 10. Aufl. § 353 b Rdn. 16).
Hinsichtlich der in der Datensammlung Hepolis gespeicherten personenbezogenen Daten (Anklagepunkte 6 und 11/12) folgt das Geheimhaltungsbedürfnis schließlich auch aus dem in § 9 Satz 1 des H. Datenschutzgesetzes geregelten Datengeheimnis, das den bei datenverarbeitenden Stellen Beschäftigten , welche Zugang zu personenbezogenen Daten haben, jegliche Verwendung dieser Daten zu anderen als den zur jeweiligen rechtmäßigen Aufgabenerfüllung gehörenden Zwecken untersagt.
Weitere Anforderungen sind an ein Geheimnis im Sinne des § 353 b Abs. 1 StGB nicht zu stellen. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 353 b Rdn. 6) erfährt der Geheimnisbegriff insbesondere durch das Erfordernis der Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen in § 353 b Abs. 1 StGB keine inhaltliche Einschränkung (BayObLG NStZ 1999, 568 f.; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 353 b Rdn. 7; Träger in LK 10. Aufl. § 353 b Rdn. 9; Kuhlen in NK-StGB 4. Lfg. § 353 b Rdn. 14). Bei dem Erfordernis der Interessengefährdung handelt es sich nach dem Wortlaut der Norm um ein selbständiges Tatbestandsmerkmal , welches die Strafbarkeit des unbefugten Offenbarens von Geheimnissen auf Fälle beschränkt, in denen ein hierdurch verursachter tatbestandlich näher umschriebener Gefährdungserfolg eintritt. Für eine Vermengung der Merkmale "Geheimnis" und "Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen" besteht kein sachliches Bedürfnis (Träger aaO). Im Hinblick auf die Vorschrift des § 353 b Abs. 1 Satz 2 StGB, die im subjektiven Tatbestand Vorsatz hinsichtlich des Vorliegens eines Geheimnisses verlangt, während für die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen Fahrlässigkeit ausreicht, ist es vielmehr geboten, beide Tatbestandsmerkmale eigenständig auszulegen.

b) Durch das unbefugte Offenbaren der Ergebnisse der im Informationssystem Hepolis durchgeführten Abfragen wurden jeweils wichtige öffentliche Interessen konkret gefährdet.
Nach den Feststellungen des Landgerichts werden im Bahnhofsviertel von F. in erheblicher Anzahl Bordelle betrieben, in denen zum großen Teil ausländische Frauen der Prostitution nachgehen, die keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland besitzen. Im Umfeld der
Prostitutionsausübung ist eine kriminelle Subkultur entstanden, welche die verschiedenartigsten Erscheinungsformen der Kriminalität umfaßt. Zur Bekämpfung dieser Subkultur verfolgt die Polizei unter anderem die Strategie, durch häufige Kontrollen und wenn möglich polizeiliche Zugriffe für eine ständige Verunsicherung bei den illegal der Prostitution nachgehenden Frauen, den hiervon profitierenden Bordellbetreibern und -wirtschaftern sowie sonstigen Straftätern zu sorgen. Die durch die Mitteilungen des Angeklagten verursachte Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen hat die Strafkammer darin gesehen , daß die polizeiliche Strategie, das Milieu durch häufige Kontrollen zu verunsichern , leerläuft und der Polizei damit die Aufgabe der Kriminalitätsbekämpfung wesentlich erschwert wird, wenn Personen aus diesem Umfeld über den sich aus der Datensammlung Hepolis ergebenen Stand der polizeilichen Erkenntnisse informiert sind. Diese Bewertung des Landgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Polizei hat nach § 163 Abs. 1 StPO Straftaten zu erforschen und die zu ihrer Aufklärung erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Nach Maßgabe des H. Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung obliegt den Polizeibehörden ferner die Aufgabe der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Im Rahmen der Gefahrenabwehr haben sie gemäß § 1 Abs. 4 HSOG auch zu erwartende Straftaten zu verhüten sowie für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen. Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten besitzt vor allem in Lebensbereichen, in welchen sich kriminogene Strukturen herausbilden und verfestigen, eine erhebliche Bedeutung. Zu dem Instrumentarium, das der Polizei zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zur Verfügung steht, gehört die in den §§ 13 ff. HSOG vorgesehene Erhebung personenbezogener Daten sowie deren in den §§ 20 ff. HSOG gesetzlich geregelte
Speicherung und Verwendung. Werden Informationen über die in der polizeilichen Datensammlung gespeicherten Erkenntnisse unbefugt offenbart, ist dies geeignet, die Erfüllung der der Polizei obliegenden repressiven und präventiven Aufgaben erheblich zu beeinträchtigen. So eröffnet die Mitteilung, ausweislich einer Hepolis-Abfrage werde gegen eine Person wegen bestimmter Delikte ermittelt (Anklagepunkt 11/12), die Möglichkeit einer störenden Einflußnahme Unbefugter auf den Gang des Verfahrens (BGHSt 10, 276, 277). Aber auch die Information, daß im Datensystem der Polizei keine oder keine weiteren Einträge vorhanden sind, gefährdet die polizeiliche Aufgabenerfüllung. Haben Personen, die Straftaten begangen haben oder begehen werden oder die für eine polizeipflichtwidrige Gefahrenlage verantwortlich sind, Kenntnis darüber , daß der Polizei keine Erkenntnisse über sie vorliegen, brauchen sie nicht mit einem polizeilichen Einschreiten zu rechnen. Dieses Wissen beseitigt den durch die verstärkte Kontrolltätigkeit der Polizei zur Bekämpfung des kriminellen Milieus gezielt erzeugten Kontrolldruck mit der Folge, daß die entsprechenden polizeilichen Maßnahmen insoweit wirkungslos bleiben. Hierin liegt eine Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen.
Diese Interessenbewertung steht entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers im Einklang mit dem als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung (grundlegend BVerfGE 65, 1). Bei auf verfassungsgemäßer gesetzlicher Grundlage erfolgender Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten ist die für die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben grundsätzlich erforderliche Geheimhaltung gespeicherter Informationen ohne weiteres mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar (vgl. BVerwGE 89, 14, 19; BayVerfGH NVwZ 1996, 166, 170). Die Geheimhal-
tung wird lediglich durch den in den Datenschutzgesetzen des Bundes und der Länder oder in bereichsspezifischen Sondervorschriften näher geregelten Auskunftsanspruch des Betroffenen beschränkt.
Die Tatsache, daß der Angeklagte die Ergebnisse der in der Datensammlung Hepolis durchgeführten Abfragen jeweils an Personen aus dem Prostitutionsmilieu des F. Bahnhofsviertels weitergab, die ihn zuvor unmittelbar zu diesen Abfragen veranlaßt hatten und demnach ein Interesse an den entsprechenden Informationen besaßen, rechtfertigt die Annahme einer konkreten Gefahr (BGHSt 20, 342, 348; BayObLG NStZ 1999, 568, 569). Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe läßt sich schließlich entnehmen, daß die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen in Gestalt der effektiven Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben jedenfalls vom bedingten Vorsatz des Angeklagten umfaßt war.
2. Der Strafausspruch weist ebenfalls keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Soweit die Revision geltend macht, im Fall Anklagepunkt 16 sei eine Selbstbegünstigungsabsicht des Angeklagten nicht strafmildernd
berücksichtigt worden, beruft sie sich auf einen vom Landgericht nicht festgestellten urteilsfremden Umstand, der bei der revisionsrechtlichen Prüfung auf die allein erhobene Sachrüge hin keine Berücksichtigung finden kann.
Jähnke Detter Bode Rothfuß Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 388/12
vom
15. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 10. Oktober 2012 in der Sitzung am 15. November 2012, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 8. Februar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Fall II.18 der Urteilsgründe wird der Angeklagte freigesprochen ; die ausscheidbaren Verfahrenskosten und die dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen. 3. Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Verletzung von Dienstgeheimnissen" in 18 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Verletzung des Privatgeheimnisses zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt. Mit ihrer auf die Rüge einer Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision bemängelt die Staatsanwaltschaft die Beweiswürdigung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen im Sinne des § 353b Abs. 1 StGB. Sie beanstandet als rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht in allen Fällen lediglich eine fahrlässige Verwirklichung dieses Merkmals angenommen hat.
2
Das - vom Generalbundesanwalt vertretene - Rechtsmittel hat in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang Erfolg und wirkt teilweise auch zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).

I.

3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte aufgrund seiner Funktion als Polizeibeamter des Landes Rheinland-Pfalz mittels ihm individuell zugeordneter Zugangsdaten Zugriff auf die Datenbeständeu.a. des polizeilichen Informationssystems POLIS und des zentralen Verkehrsinformationssystems des deutschen Kraftfahrtbundesamtes ZEVIS. Während POLIS eine kriminalpolizeiliche Sammlung personenbezogener Daten von bereits polizeilich in Erscheinung getretenen Personen darstellt, sind in dem Informationssystem ZEVIS u.a. personenbezogene Daten zu den Haltern der in Deutschland registrierten Kraftfahrzeuge gespeichert.
4
Im Zeitraum von Mai 2008 bis August 2009 führte der Angeklagte im Auftrag seines Bekannten D. , der Bordelle betrieb, in 18 Fällen verschiedene Abfragen in beiden Datenbanken durch. Die jeweiligen Rechercheergebnisse aus insgesamt 15 Personenüberprüfungen im Informationssystem POLIS und die Halterdaten aus insgesamt vier Kennzeichenüberprüfungen im Informationssystem ZEVIS übermittelte er anschließend an seinen Auftraggeber D. . Bei sieben der Personenüberprüfungen waren zu den abgefragten Personalien keine Einträge in der POLIS-Datenbank vorhanden, was der Angeklagte dem gesondert Verfolgten D. in Form einer Negativauskunft mitteilte. In den acht übrigen Fällen der POLIS-Abfragen offenbarte der Angeklagte seinehierdurch gewonnenen Erkenntnisse über Strafverfahren und Vorstrafen; dabei gab der Angeklagte in einem Fall zu einer von ihm abgefragten Person neben der Information über eine Vorstrafe auch einen Ausdruck von Lichtbildaufnahmen aus einer erkennungsdienstlichen Behandlung an D. weiter.
5
Dieser setzte die ihm übermittelten Informationen zielgerichtet ein, um Dritte unter Druck zu setzen und gefügig zu machen. So beteuerte er seine guten Kontakte zur Polizei und untermauerte dies glaubhaft durch die Lancierung der von dem Angeklagten erhaltenen Informationen. Auf diese Weise entstand bei zahlreichen Dritten insbesondere im Umfeld seines Bordellbetriebs der Ein- druck, dass D. jederzeit alles über sie bei der Polizei in Erfahrung bringen könne. Zahlreiche Prostituierte ließen sich wegen des Umstands, dass sie um die "guten Verbindungen" des gesondert verfolgten D. zur Polizei wussten , in ihrem (Aussage-)Verhalten beeindrucken, und ihr Vertrauen in die öffentliche Verwaltung wurde so sehr erschüttert, dass sie eine Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden, teilweise auch aus Angst und Ungewissheit bezüglich der staatlichen Informationsverarbeitung, ablehnten.
6
Der Angeklagte hingegen, der eine Gegenleistung für seine Bemühungen nicht erhielt, ging davon aus, dass D. an den Informationen deshalb interessiert sei, "um im Zusammenhang mit dem Betrieb und der Vermietung seiner Bordelle mit der Polizei keinen Ärger zu bekommen, damit der Betrieb nicht geschäftsschädigend gestört würde". Er meinte, mit seinen Auskünften dadurch zur Prävention von Straftaten beizutragen, dass er D. durch die Informationsweitergabe in die Lage versetzte, die Beschäftigung von einschlägig in Erscheinung getretenen Personen zu unterlassen. Weiterhin glaubte der Angeklagte in der Folgezeit, durch seine Informationsweitergabe den gesondert Verfolgten D. als Zuträger von Informationen aus dem Rotlichtmilieu für die Polizei gewinnen zu können.
7
2. Das Landgericht ist in subjektiver Hinsicht bezüglich des Tatbestandsmerkmals der Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen davon ausgegangen , dem Angeklagten sei bei den jeweiligen Tathandlungen bewusst gewesen, dass er das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität und Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung sowie eine effektive Bewältigung polizeilicher Aufgaben gefährden könnte. Es hat aus dem Umstand, dass der Angeklagte selbst es für erforderlich gehalten hatte, D. mehrfach ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer vertraulichen Behandlung der übermittelten Informationen hinzuweisen, zwar den Schluss gezogen, dass der Angeklagte es für möglich gehalten habe, D. könne die weitergegebenen Daten Dritten offenbaren. Das Landgericht ist jedoch zu der Überzeugung gelangt, der Ange- klagte habe diese Möglichkeit und eine hierdurch mögliche Gefährdung öffentlicher Interessen nicht billigend in Kauf genommen, sondern darauf vertraut, dass D. die vertraulichen Informationen für sich behalten werde. Zur Begründung hat das Landgericht angeführt, der Angeklagte sei "(jedenfalls zunächst ) auch" davon ausgegangen, dass "D. die Auskünfte aus dem System POLIS zur Überprüfung seiner Mitarbeiter haben wollte"; außerdem habe ihm D. "mehrfach versichert, die Informationen nicht an Dritte weiterzugeben".

II.

8
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Ihr Rechtsmittel hat teilweise aber auch zugunsten des Angeklagten Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auch einen Rechtsfehler zu seinem Nachteil erbracht hat (§ 301 StPO; dazu unten II.3.).
9
1. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht zunächst in den 15 Fällen (Fälle II.1, II.4 – II.14, II.16 und II.19 – II.20), in denen der Angeklagte auf Aufforderung des gesondert verfolgten D. jeweils (auch) Zugriff auf das Informationssystem POLIS nahm und ihn über seine diesbezüglichen Rechercheergebnisse unterrichtete, den objektiven Tatbestand des § 353b Abs. 1 StGB bejaht. Sowohl bei den vom Angeklagten weitergegebenen Daten aus dieser polizeilichen Datensammlung, als auch bei dem mitgeteilten Umstand, dass zu bestimmten Personalien keine Erkenntnisse vorliegen, handelt es sich um Geheimnisse im Sinne des § 353b Abs. 1 StGB. Beides sind tatsächliche Gegebenheiten , deren Kenntnis wegen der beschränkten Zugriffsmöglichkeit auf das Informationssystem nicht über einen begrenzten Personenkreis hinausgeht. Dabei sind auch Negativauskünfte über fehlende Einträge in der polizeilichen Datensammlung geheimhaltungsbedürftig, da auch sie nachteilige Auswirkungen auf die polizeiliche Aufgabenerfüllung haben können etwa durch Minimierung des Kontrolldrucks, wie er im Rotlicht-Milieu durch verstärkte Kontrolltätigkeit der Polizei zur Bekämpfung des Auf- und Ausbaus organisierter krimineller Strukturen gezielt erzeugt wird (vgl. Senat, Urteil vom 23. März 2001 – 2 StR 488/00, BGHSt 46, 339, 340f., 344).
10
Ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden ist in den vorgenannten Fällen die Bewertung des Landgerichts, dass durch die unbefugte Informationsweitergabe wichtige öffentliche Interessen konkret gefährdet wurden. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob durch die Offenbarung der Daten, die nach den Feststellungen keine konkreten polizeilichen Maßnahmen berührten, schon eine unmittelbare Gefahr für wichtige öffentliche Interessen eingetreten ist; hierfür ließe sich die Wesensart der verletzten Dienstgeheimnisse anführen, deren Offenbarung kriminelle Aktivitäten begünstigt, indem sie es interessierten Personen ermöglicht, das eigene Verhalten dem Erkenntnisstand der Behörde anzupassen , oder - im Falle fehlender Erkenntnisse der Polizei - größere Freiräume für polizeilich relevante Aktivitäten zu eröffnen (vgl. Senat, aaO, BGHSt 46, 343f.; OLG Köln, Urteil vom 20. Dezember 2011 – III-1 RVs 218/11 u.a., BeckRS 2012, 06355). Jedenfalls hat das Landgericht tragfähig eine mittelbare Gefährdung, die zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals genügen kann (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 1958 – 4 StR 151/58, BGHSt 11, 401, 404; BGH, Urteil vom 22. Juni 2000 – 5 StR 268/99, NStZ 2000, 596, 598), damit begründet, dass der gesondert verfolgte D. durch die Kundgabe der vom Angeklagten erlangten Informationen und die zielgerichtete Offenlegung seiner Verbindung zur Polizei das Vertrauen zahlreicher Bürger in die Integrität der Polizei erschüttert hat. Für eine effektive Wahrnehmung der ihr obliegenden präventiven und repressiven Aufgaben kommt der Integrität der Polizei und ihrer Beamten gerade auch in dem häufig durch zwangsweise Ausbeutung gekennzeichneten Prostitutionsmilieu besondere Bedeutung zu. Daher hat das Landgericht in der Erschütterung des Vertrauens in die Polizeiarbeit zu Recht eine konkrete Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen gesehen.
11
2. Die der Verurteilung in den vorgenannten Fällen zugrunde liegende Überzeugungsbildung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite, der Angeklag- te habe darauf vertraut, dass D. die erlangten Informationen für sich behalten werde, beruht demgegenüber auf einem durchgreifenden Rechtsfehler. Die Beweiswürdigung, bei der sich das Landgericht insoweit maßgeblich auf die als glaubhaft erachtete Einlassung des Angeklagten gestützt hat, wonach er davon ausgegangen sei, dass D. die Daten allein zur Überprüfung seiner Mitarbeiter benötige, ist lückenhaft. Die Strafkammer hat sich dabei nicht mit der Einlassung des Angeklagten in seiner polizeilichen Vernehmung durch den Zeugen W. befasst. Diesem gegenüber hatte er eingeräumt, in den Anklagefällen 15 bis 20 (entsprechend Fälle II.15 bis II.20 der Urteilsgründe) Recherchen zu Kfz-Haltern und weiteren Personen in Kenntnis dessen vorgenommen zu haben, dass D. diese Daten habe bekommen wollen, um ein Konkurrenzproblem mit einem anderen Zuhälter wegen der Prostitutionsausübung auf einer Landstraße zu lösen. Das Landgericht hat nicht bedacht, dass bei Zugrundelegung der früheren polizeilichen Angaben des Angeklagten auch aus seiner Sicht der gesondert Verfolgte D. jedenfalls diese Daten nicht zur Überprüfung seiner Mitarbeiter benötigt haben konnte und es sich - worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat - für den Angeklagten als einem nach den Feststellungen sehr erfahrenen Polizeibeamten naheliegend aufdrängte, dass D. die erlangten Informationen durch deren Präsentation zur Einschüchterung und Machtausübung nutzen würde.
12
Wegen des Zusammenhangs der Taten, für die das Landgericht zusammenfassend Feststellungen zur Vorsatzfrage getroffen und hierzu ebenso zusammenfassend Beweisüberlegungen angestellt hat, beschränkt sich der Erörterungsmangel nicht nur auf die drei Fälle II.16 und II.19 bis II.20 der Urteilsgründe , in denen der Angeklagte Daten aus dem Informationssystem POLIS seiner Einlassung im Ermittlungsverfahren zufolge an D. in Kenntnis von dessen "Konkurrenzproblem" weitergegeben hat, sondern er wirkt sich gleichermaßen auf die übrigen vorgenannten Fälle aus. Insoweit ist auch zu berücksichtigen , dass mit der lückenhaften Beweiswürdigung sich widersprechende Urteilsfeststellungen zur subjektiven Tatseite einhergehen: Während das Land- gericht zum diesbezüglichen Sachverhalt zunächst festgestellt hat, der Angeklagte sei davon ausgegangen, dass "D. an den Informationen nur deshalb interessiert sei, um mit dem Betrieb und der Vermietung seiner Bordelle keinen Ärger zu bekommen" (UA S. 11), ist den Ausführungen zur rechtlichen Würdigung die nicht weiter erläuterte Einschränkung zu entnehmen, dass der Angeklagte "(jedenfalls zunächst) auch davon aus(ging), dass der gesondert Verfolgte D. die Auskünfte aus dem System POLIS zur Überprüfung seiner Mitarbeiter haben wollte" (UA S. 22).
13
Dies führt zur Aufhebung des Urteils in sämtlichen 15 Fällen des Schuldspruchs wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses, in denen der Angeklagte unbefugt Daten aus dem Informationssystem POLIS weitergab (Fälle II.1, II.4 - II.14, II.16 und II.19 - II.20 der Urteilsgründe), einschließlich der beiden - für sich rechtsfehlerfreien - tateinheitlichen Verurteilungen des Angeklagten wegen Verletzung des Privatgeheimnisses (Fälle II.19 und II.20 der Urteilsgründe).
14
3. Das Landgericht hat auch in den drei Fällen, in denen der Angeklagte allein die ihm über das zentrale Verkehrsinformationssystem ZEVIS zugänglichen Halterdaten aus dem Zentralen Fahrzeugregister des Kraftfahrt-Bundesamtes zu den ihm von D. jeweils mitgeteilten Kennzeichen abfragte und an diesen weitergab (Fälle II.15 und II.17 – II.18 der Urteilsgründe), den Tatbestand der Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353b Abs. 1 StGB als erfüllt angesehen. Insoweit führt die sachlichrechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils nach § 301 StPO zu dessen Aufhebung zu Gunsten des Angeklagten.
15
a) Bei den von dem Angeklagten in ZEVIS recherchierten Halterdaten handelte es sich nicht um Geheimnisse im Sinne des § 353b Abs. 1 StGB. Unter Geheimnissen sind Tatsachen zu verstehen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und zudem geheimhaltungsbedürftig sind (vgl. mwN, Senat, aaO, BGHSt 46, 340f.; BGH, Urteil vom 9. Dezember 2002 – 5 StR 276/02, BGHSt 48, 126, 129; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 353b Rn. 6). Dies trifft auf die nach § 33 Abs. 1 StVG im Zentralen Fahrzeugregister gespeicherten Halterdaten , die im Rahmen einer einfachen Registerauskunft nach § 39 Abs. 1 StVG jedermann zu den gesetzlich genannten Zwecken übermittelt werden dürfen, nicht zu.
16
Dabei kann offen bleiben, ob im Hinblick auf die gesetzlich geregelten Voraussetzungen der einfachen Registerauskunft schon faktisch keine nur einem begrenzten Personenkreis bekannten Daten vorliegen, wie dies für den Anwendungsbereich des § 203 Abs. 2 Satz 1 StGB in der Rechtsprechung angenommen worden ist, (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 2002 – 1 StR 150/02, BGHSt 48, 28, 29f.; OLG Hamburg, Beschluss vom 22. Januar 1998 – 2 Ss 105/97, NStZ 1998, 358; BayObLG, Beschluss vom 18. Januar 1999 – 5 St RR 173/98, NJW 1999, 1727; zust. Cierniak/Pohlit in MüKoStGB, 2. Aufl., § 203 Rn. 93; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 203 Rn. 10); dagegen könnte sprechen, dass diese Voraussetzungen für die meisten Halterdaten nie und ansonsten nur in seltenen Fällen und für einen beschränkten Kreis von Auskunftsberechtigten erfüllt sein werden. Es handelt sich bei den in § 39 Abs. 1 StVG genannten Daten eines Kfz-Halters wie dessen Name und Anschrift jedenfalls um keine Tatsachen , die ihrer Bedeutung nach der Geheimhaltung bedürfen und daher auch nicht der Amtsverschwiegenheit unterliegen (vgl. § 37 Abs. 2 Ziff. 2 BeamtStG). Dies folgt schon daraus, dass Zugangsvoraussetzung für den eine Halterauskunft nach § 39 Abs. 1 StVG Verlangenden lediglich die Darlegung eines berechtigten Interesses ist, das nicht einmal glaubhaft gemacht werden muss.
17
b) Soweit daher insoweit ausschließlich eine Strafbarkeit nach § 203 Abs. 2 Satz 2 StGB in Betracht kommt, fehlt es, wie der Senat aufgrund der von Amts wegen gebotenen Prüfung den Strafakten entnommen hat, in den Fällen II.17 und II.18 der Urteilsgründe an den gemäß § 205 Abs. 1 StGB erforderlichen Strafanträgen; im Fall II.15 der Urteilsgründe lässt sich die Frage, ob von dem Antragsberechtigten ein Strafantrag gestellt worden ist, anhand der Strafakten nicht sicher klären.
18
Die Antragsberechtigung als Verletzter im Sinne des § 77 Abs. 1 StGB richtet sich nach dem Träger des verletzten Rechtsguts. Danach ist bei § 203 StGB Verletzter nur diejenige Person, über deren personenbezogene Daten der Täter Auskunft gegeben hat. Antragsberechtigt sind daher nur die einzelnen Kraftfahrzeughalter, deren Daten der Angeklagte unbefugt weitergab (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 2002 – 1 StR 150/02, BGHSt 48, 28, 33). Zu den von seinen Registerabfragen betroffenen Kraftfahrzeughaltern hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen. Während sich den Akten im Fall II.15 der Urteilsgründe nicht sicher entnehmen lässt, wer der betroffene Kraftfahrzeughalter des von dem Angeklagten abgefragten Kennzeichens war, kann der Senat im Fall II.17 der Urteilsgründe aus den Akten nicht ersehen, ob und gegebenenfalls wann der hier ermittelte Halter von einer gegen ihn gerichteten Straftat Kenntnis erlangt hat (vgl. § 77b Abs. 2 StGB). Da das insoweit derzeit bestehende Verfahrenshindernis nach Klärung der tatsächlichen Voraussetzungen noch entfallen kann, führt dies in beiden Fällen nicht zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO, sondern zur Zurückverweisung der Sache.
19
Im Fall II.18 der Urteilsgründe hatte der von der Kennzeichen-Abfrage betroffene Kraftfahrzeughalter im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung von der Weitergabe seiner Daten durch den Angeklagten Kenntnis erhalten, ohne innerhalb der ihm mitgeteilten Antragsfrist Strafantrag zu stellen. Da insoweit ergänzende tatrichterliche Feststellungen in einer neuerlichen Hauptverhandlung , die noch zu einer anderen rechtlichen Bewertung führen könnten, auszuschließen sind, war der Angeklagte nach § 354 Abs. 1 StPO freizusprechen (vgl. zum Vorrang des Freispruchs gegenüber einer Verfahrenseinstellung nach § 260 Abs. 3 StPO in Fällen tateinheitlichen Zusammentreffens unterschiedlich schwerer Tatvorwürfe BGH, Urteil vom 16. Februar 2005 - 5 StR 14/04, BGHSt 50, 16, 30 mwN).
20
4. Weitere durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten liegen nicht vor. Zwar hielte es sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, wenn das Landgericht - was der angefochtenen Entscheidung nicht eindeutig zu entnehmen ist - die Verurteilung in den Fällen II.6, 10-13, 19 und 20 der Urteilsgründe auch auf die hier festgestellte Weitergabe von Daten aus dem Einwohnerinformationssystem EWOIS durch den Angeklagten gestützt hätte. Denn diese Daten, die im Rahmen einer einfachen Melderegisterauskunft nach § 21 Abs. 1 MRRG auf Antrag ohne weiteres jedermann erhalten kann, sind offenkundig und damit keine Geheimnisse (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2000 – 5 StR 268/99, NStZ 2000, 596, 597; Fischer, aaO, § 353b Rn. 7c). Dieser etwaige Rechtsfehler hätte sich jedoch weder auf den Schuld- noch auf den Strafausspruch ausgewirkt. Letzteres ergibt sich schon daraus, dass das Landgericht bei der Bemessung der Einzelstrafen für die Fälle der Verurteilung (allein) wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen gemäß § 353b StGB eine Differenzierung bei der Tagessatzhöhe nur danach vorgenommen hat, ob der Angeklagte aus dem polizeilichen Datenbestand von POLIS eine Negativauskunft weitergegeben oder daraus konkrete Erkenntnisse über die betroffene Person offenbart hatte.
Becker Appl Berger Eschelbach Ott
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung: ja
Strafbarkeit nach § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB liegt mangels
Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen nicht vor,
wenn ein Datenschutzbeauftragter mit der Veröffentlichung
datenschutzrechtlicher Verstöße auch auf ein gesetzmäßiges
Verhalten hinwirkt.
BGH, Urt. v. 9. Dezember 2002 - 5 StR 276/02
LG Dresden –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 9. Dezember 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Dezember
2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt D ,
Rechtsanwalt H ,
Rechtsanwalt L
als Verteidiger,
Justizangestellte T ,
Justizangestellte R
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 7. November 2001 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigespro- chen, im August 2000 als Sächsischer Datenschutzbeauftragter in drei Fällen Dienstgeheimnisse verletzt zu haben. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Sachrüge die Beweiswürdigung und die rechtliche Würdigung angreift, bleibt ohne Erfolg.

I.


Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte ist seit 1992 Datenschutzbeauftragter des Freistaats Sachsen. In dieser Eigenschaft wurde er vom damaligen Oberbürgermeister der Stadt Görlitz, Le , zwischen 1998 und 2000 mehrfach von dem Verdacht unterrichtet, das Sächsische Staatsministerium der Justiz könne in einem Ermittlungsverfahren gegen den Beigeordneten für Finanzen der Stadt
Görlitz und stellvertretenden Kreisvorsitzenden der CDU, N , in unlauterer Weise auf die Staatsanwaltschaft eingewirkt haben. Das Verfahren gegen N war auf Grund einer Strafanzeige des ebenfalls der CDU angehörenden Oberbürgermeisters Le eingeleitet worden. Im Rahmen der datenschutzrechtlichen Anrufung überprüfte der Angeklagte im Juli 2000 die Akten des Ministeriums zum „Fall N “. Dabei stellte er fest, daß sich der Görlitzer Landtagsabgeordnete und dortige Kreisvorsitzende der CDU, B , am 19. August 1997 telefonisch an den Justizminister He gewandt und den Wunsch nach einer raschen Klärung der Vorwürfe – auch im Hinblick auf einen am 20. September 1997 stattfindenden Kreisparteitag der CDU – zum Ausdruck gebracht hatte. Der Justizminister hatte daraufhin die Strafrechtsabteilung seines Hauses mit der Vorlage eines Berichts über dieses Verfahren beauftragt, der ihm möglichst noch vor einer am 28. August 1997 in Görlitz stattfindenden Klausur der Landtagsfraktion der CDU zugeleitet werden sollte; zugleich hatte er darum gebeten, auf eine „beschleunigte Behandlung“ des Ermittlungsverfahrens hinzuwirken. Der für strafrechtliche Einzelsachen zuständige Referatsleiter hatte in der Folgezeit den Leitenden Oberstaatsanwalt in Görlitz telefonisch vom Anliegen des Justizministers unterrichtet. Nach Eingang des Berichtes der Staatsanwaltschaft Görlitz hatte er am 26. August 1997 über den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gegen N und den damaligen Sachstand einen umfangreichen Vermerk verfaßt, in dem darauf hingewiesen wurde, er hätte den Leitenden Oberstaatsanwalt gebeten, „für eine rasche und sensible Behandlung der Sache Sorge zu tragen“. Dieser Vermerk war auf dem Dienstweg dem Minister vorgelegt worden. Dieser hatte am 27. August 1997 die Vorlage zur Kenntnis genommen; er hatte den Landtagsabgeordneten B am folgenden Tag unterrichtet und am 30. August 1997 die Strafrechtsabteilung gebeten, ihn weiter „auf dem Laufenden zu halten“.
Diese aus den Akten ersichtlichen Vorgänge bewertete der Angeklagte als erhebliche Verstöße gegen die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes. Nachdem er die Führung des Justizministeriums unverzüglich vor-
ab informiert hatte, kündigte er mit Schreiben vom 18. Juli 2000 eine datenschutzrechtliche Beanstandung an und gab dem Ministerium Gelegenheit zur Stellungnahme bis 24. Juli 2000. Mit Schreiben vom 25. Juli 2000 wies der Leiter der Strafrechtsabteilung die Vorwürfe des Datenschutzbeauftragten zurück; die von diesem beanstandete Vorgehensweise sei rechtmäßig gewesen. Der Angeklagte wandte sich daraufhin an den Chef der Sächsischen Staatskanzlei mit der Bitte, den Justizminister zu bewegen, Berichtsanforderungen der beanstandeten Art sowie die Informierung Dritter zu unterlassen und die in Verwaltungsvorschriften festgelegten Berichtspflichten der Staatsanwaltschaft zu ändern.
Nachdem am 16. August 2000 ein Journalist der B -Zeitung einem Mitarbeiter des Angeklagten einen Entwurf eines Zeitungsartikels über das Verhalten des Justizministers im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren gegen N zur Kenntnis gebracht, vor einer beabsichtigten Veröffentlichung aber noch einige Tage Stillschweigen zugesagt hatte, wandte sich der Angeklagte am 21. August 2000 erneut an den Chef der Staatskanzlei und kündigte an, wegen des Drucks der Presse am Folgetag um 18.00 Uhr nach Eingang einer von ihm erwarteten Stellungnahme des Justizministers eine Pressekonferenz abzuhalten. Am Morgen des 22. August 2000 erschien indes bereits in großer Aufmachung der zuvor angekündigte bebilderte Bericht in der B -Zeitung, in dem unter anderem das Anliegen des Landtagsabgeordneten B und dessen Unterrichtung durch den Justizminister – letzteres ohne Einzelheiten, aber auf dem Hintergrund politischer Verbindungen – geschildert wurde; ferner wurden N als Beschuldigter sowie Le als Anzeigeerstatter benannt. In der auf 18.00 Uhr einberufenen Pressekonferenz verlas der Angeklagte daraufhin vor den anwesenden Pressevertretern die vom Justizminister stammenden Verfügungen (Fall 1 der Anklage). Am nächsten Tag übersandte er dem Justizministerium gegen 9.00 Uhr eine datenschutzrechtliche Beanstandung, in der er die Gesetzesverstöße nochmals im Einzelnen darstellte, die Verfügungen des Justizministers zitierte und eine abstrakte Darstellung des Berichts des Leiten-
den Oberstaatsanwalts in Görlitz vom 25. August 1997 beifügte. Gegen 10.00 Uhr übermittelte er das gesamte Beanstandungsschreiben an den Petenten Le (Fall 2 der Anklage), eine Stunde später berief er eine weitere Pressekonferenz ein. In diesem Rahmen verlas er die gesamte datenschutzrechtliche Beanstandung im Wortlaut und legte für die Journalisten Kopien zur Mitnahme aus (Fall 3 der Anklage).
Das Landgericht hat die im August 1997 aktenkundig gewordenen verwaltungsinternen Vorgänge im Sächsischen Staatsministerium der Justiz, die in diesem Zusammenhang erfolgte Unterrichtung Dritter über den Sachstand des damaligen Ermittlungsverfahrens sowie die datenschutzrechtliche Beanstandung des Datenschutzbeauftragten gegenüber dem Justizministerium vom 23. August 2000 jeweils als Dienstgeheimnisse gemäß § 353b Abs. 1 StGB angesehen. Der Angeklagte habe aber bei Offenbarung dieser Geheimnisse keine wichtigen öffentlichen Interessen im Sinne dieser Vorschrift gefährdet; zudem habe er nicht unbefugt gehandelt, sondern sei aus verfassungsrechtlichen Gründen wegen Notstands gerechtfertigt.

II.


Die gegen das freisprechende Urteil gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
1. Ohne Erfolg rügt die Beschwerdeführerin, die Beweiswürdigung sei unvollständig und genüge nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 5 StPO. Dem Urteil ist zu entnehmen, daß der Angeklagte den Sachverhalt so geschildert hat, wie er im Urteil festgestellt worden ist. Seine Angaben werden bestätigt durch die in der Hauptverhandlung verlesenen Schriftstücke und die Aussagen der vom Landgericht benannten Zeugen, die als Beteiligte die Darstellung des Angeklagten „objektiviert“ haben. Mehr ist bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen nicht geboten.
2. Der Freispruch hält auch im übrigen sachlichrechtlicher Nachprüfung stand.

a) Mit der Verlesung der vom Justizminister stammenden Verfügungen am 22. August 2000 (Fall 1 der Anklage) hat der Angeklagte nicht gegen § 353b StGB verstoßen.
Gemäß § 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich strafbar, wer ein Geheimnis , das ihm als Amtsträger anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist, unbefugt offenbart und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet.
aa) Geheimnisse im Sinne dieser Vorschrift sind Tatsachen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und zudem geheimhaltungsbedürftig sind. Darunter fallen auch personenbezogene Umstände, die vertraulich zu behandeln sind. Sie müssen dem betreffenden Amtsträger im inneren Zusammenhang mit seiner Diensttätigkeit bekanntgeworden sein (vgl. BGHSt 46, 339, 340 f.; 10, 108 f.; BGH NStZ 2000, 596, 598; Hoyer in SKStGB 41. Lfg. § 353b Rdn. 6). In diesem Sinne kann auch rechtswidriges Handeln Dritter im Einzelfall eine geheimhaltungsbedürftige Tatsache darstellen (vgl. BGHSt 20, 342, 354 ff.; Hoyer in SK aaO Rdn. 5).
Das als normatives Element des Geheimnisbegriffs erforderliche Geheimhaltungsbedürfnis (vgl. BGHSt 46, 339, 341) ergibt sich vorliegend aus § 23 Abs. 6 Satz 1 des hier maßgeblichen Sächsischen Datenschutzgesetzes (SächsDSG). Nach dieser Vorschrift unterfallen die dem Angeklagten als Sächsischem Datenschutzbeauftragten bei seiner Tätigkeit bekanntgewordenen personenbezogenen Daten der Pflicht zur Verschwiegenheit. Von ihr miterfaßt werden auch personenbezogene Daten der vom Datenschutzbeauftragten kontrollierten Amtswalter, weil insoweit das dienstliche Grundverhältnis betroffen ist, in dem der öffentliche Bedienstete seinem Dienstherrn als Grundrechtsträger gegenübertritt (vgl. Globig, DÖD 1991, 217, 218, 220).
Ausgenommen sind nach Satz 2 dieser Bestimmung Mitteilungen im dienstli- chen Verkehr oder allgemein zugängliche Daten. Solche sind – wie offenkundige Tatsachen im Sinne von § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG, § 39 Abs. 1 Satz 2 BRRG, § 23 Abs. 5 Satz 2 BDSG (vgl. BGH, Urt. vom 8. Oktober 2002 – 1 StR 150/02 S. 7; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) – insbesondere dann anzunehmen, wenn von ihnen verständige und erfahrene Menschen ohne weiteres Kenntnis haben und sie keiner weiteren Überprüfung oder Bestätigung bedürfen (vgl. BGH aaO S. 6, BGH NStZ 2000, 596, 597 m. w. N.; Träger in LK 10. Aufl. § 353b Rdn. 7; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 353b Rdn. 7, § 93 Rdn. 9).
Entsprechendes ergibt sich aus § 78 Abs. 1 Satz 2 SächsBG, wonach die Verschwiegenheitspflicht entfällt, wenn die fraglichen Tatsachen offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Diese für weisungsunterworfene Landesbeamte getroffene Regelung kann als allgemeiner Grundsatz auf den nach § 23 Abs. 4 Satz 1 SächsDSG unabhängigen , weisungsfreien und nur dem Gesetz unterworfenen Sächsischen Datenschutzbeauftragten, der Beamter auf Zeit ist, angewandt werden. Bedeutungslosigkeit kann allerdings nicht angenommen werden, wenn eine Angelegenheit unter irgendeinem Gesichtspunkt aus irgendeinem Grund jetzt oder auch später Bedeutung gewinnen (vgl. BGHSt 46, 339, 341 m. w. N.), insbesondere ihre Offenbarung auf ein laufendes oder zukünftiges Verfahren Einfluß haben kann (Zängl in GKÖD Bd. I BR Lfg. 5/99 § 61 Rdn. 45).
bb) Auf dieser rechtlichen Grundlage ergibt sich für die dem Angeklagten zur Last gelegten Handlungen, daß er durchaus Geheimnisse im Sinne von § 353b Abs. 1 StGB offenbarte, indem er als Sächsischer Datenschutzbeauftragter anläßlich der ersten Pressekonferenz am Abend des 22. August 2000 die innerdienstlichen Vermerke und Verfügungen des Sächsischen Justizministers vom 19. und 30. August 1997 zu den Vorgängen im Fall N verlas und damit einem größeren Personenkreis bekanntmach-
te, der von diesen Vorgängen bis zu diesem Zeitpunkt in dieser konkreten Form noch keine Kenntnis hatte.
Den Charakter als Geheimnis verloren diese Aktenbestandteile auch nicht ohne weiteres allein dadurch, daß der Angeklagte im Rahmen seiner datenschutzrechtlichen Überprüfung Verstöße des Justizministers gegen das Sächsische Datenschutzgesetz festgestellt hatte. Zwar hatte der Justizminister vor dem Hintergrund seiner parteipolitischen Motivation offensichtlich nicht in Ausübung des ihm nach § 146 GVG zustehenden externen Weisungsrechts gegenüber der Staatsanwaltschaft (vgl. Schoreit in KK 4. Aufl. § 146 GVG Rdn. 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. GVG § 146 Rdn. 1) gehandelt. Die Anforderung des Berichts über die Strafrechtsabteilung beim Leitenden Oberstaatsanwalt in Görlitz hinsichtlich der Einzelheiten des Verfahrens gegen N stellt das Erheben personenbezogener Daten im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 SächsDSG dar; eine zweckbestimmte Auswertung dieser Daten oder auch nur eine zielgerichtete Kenntnisnahme von ihnen ist eine Nutzung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 SächsDSG (OVG Bautzen NJW 1999, 2832, 2835) und die Unterrichtung Dritter ein Übermitteln im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 4 lit. a SächsDSG. Diese Datenverarbeitungen waren nach § 4 Abs. 1 SächsDSG unzulässig. Weder das Sächsische Datenschutzgesetz noch andere Rechtsvorschriften lassen ein solches Vorgehen zu. Auch eine Einwilligung der Betroffenen ist nicht ersichtlich. Die Verschwiegenheitspflicht schützt nicht nur die Betroffenen, sondern auch die zu kontrollierenden öffentlichen Stellen und deren Mitarbeiter (Gola/Schomerus, BDSG 7. Aufl. § 23 Rdn. 10; vgl. auch Dammann in Simitis /Dammann/Geiger/Mallmann/ Walz, BDSG 4. Aufl. § 23 Rdn. 25). Der vorliegende Fall nötigt den Senat nicht, näher zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Offenbarung rechtswidrigen Verhaltens die Verschwiegenheitspflicht verletzen kann.
cc) Gleichermaßen kann dahingestellt bleiben, ob der Angeklagte deshalb von der Verschwiegenheitspflicht entsprechend § 61 Abs. 4 BBG
befreit oder befugt war, die aktenkundigen verwaltungsinternen Vorgänge zu offenbaren, weil er zum Erhalt der freiheitlich-demokratischen Grundordnung handelte (vgl. BVerfGE 28, 191, 202 ff.; BGHSt 20, 342, 365, 367 f.; Träger in LK 10. Aufl. § 353b Rdn. 35; Plog/Wiedener/Lemhöfer, BBG/BeamtenVG § 61 Rdn. 7; Battis, BBG 2. Aufl. § 61 Rdn. 4 f.). Zugleich kann offenbleiben, ob damit – wie der Tatrichter meint – der Angeklagte im Sinne von § 34 StGB gerechtfertigt war. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen diesen Schluß nicht ohne weiteres.
dd) Das Landgericht hat aber im Ergebnis zutreffend eine Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen im Sinne von § 353b Abs. 1 StGB verneint (vgl. BGHSt 46, 339, 343).
Eine konkrete unmittelbare Gefährdung öffentlicher Interessen ist nicht ersichtlich. Auch die Revision stellt nicht in Abrede, daß die Offenbarung der fast drei Jahre zurückliegenden Verstöße des Justizministers gegen das Datenschutzrecht wichtige öffentliche Interessen nicht gefährden konnte. Eine Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen käme allenfalls mittelbar in Betracht, falls durch das Offenbaren der Verfügungen des Justizministers das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Datenschutzbeauftragten beeinträchtigt wäre. Eine solche mittelbare Gefährdung kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausnahmsweise genügen (vgl. BGH NStZ 2000, 596, 598; vgl. auch Träger in LK 10. Aufl. § 353b Rdn. 26 m. w. N.; Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 353b Rdn. 13a; ablehnend Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 353b Rdn. 9; Hoyer in SK-StGB 41. Lfg. § 353b Rdn. 8; Kuhlen in NK-StGB § 353b Rdn. 22 ff.; Perron JZ 2002, 50, 51 f.; Behm StV 2002, 29, 32 f.). Dazu bedarf es einer Gesamtabwägung im Einzelfall, um dem Merkmal der Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen seinen eigenständigen Bedeutungsgehalt zu erhalten. Dabei müssen Inhalt und Umfang der geheimhaltungsbedürftigen Daten, deren in Aussicht genommene Verwendung und die Person des Amtsträgers Berücksichtigung finden (BGH aaO).
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung, an der der Senat festhält, hat das Landgericht im Ergebnis rechtsfehlerfrei eine Gefährdung öffentlicher Interessen durch den Angeklagten verneint. Ein Amtsträger, der wie der Angeklagte zur Kontrolle der Gesetzestreue eines anderen Amtsträgers berufen ist, kann wichtige öffentliche Interessen nicht durch die Offenbarung eines Gesetzesverstoßes gefährden, wenn er die Öffentlichkeit – wie ersichtlich hier – auch als Verbündeten gewinnen will, um auf ein gesetzmäßiges Verhalten hinzuwirken. Damit verfolgte der Angeklagte selbst ein wichtiges öffentliches Interesse, was einen Verlust des Vertrauens hinsichtlich der Integrität des Datenschutzbeauftragten in der Öffentlichkeit ausschließt. Entgegen der Auffassung der Revision kann ein Verlust des Vertrauens in die Integrität des Justizministeriums keine wichtigen öffentlichen Interessen begründen. Die offenbarten Verfügungen des Justizministers waren offensichtlich rechtmäßig in den Besitz des Angeklagten gelangt. Damit wurden sie Bestandteil eines Verwaltungsvorgangs der vom Angeklagten geleiteten Behörde (vgl. Dammann in Simitis/Dammann/Geiger/Mallmann/Walz, BDSG 4. Aufl. § 23 Rdn. 25) und bildeten ausschließlich deren Geheimnis. Dessen Offenbarung könnte dann auch nur einen Verlust des Vertrauens hinsichtlich der Integrität dieser Behörde bewirken. Die Anerkennung einer weiteren Mittelbarkeit – hier bezogen auf das Justizministerium als Ursprungsbehörde – würde auch die Grenzen dessen, was im Gesetzgebungsverfahren als von der Rechtsprechung ausreichend klar umrissen bezeichnet wurde (vgl. BayObLG NStZ–RR 1999, 299, 300; Träger in LK 10. Aufl. § 353b StGB Rdn. 26), überschreiten und dem Erfordernis der Tatbestandsbestimmtheit zuwiderlaufen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 353b Rdn. 13a).

b) Dieselben Grundsätze gelten auch hinsichtlich des Verlesens der datenschutzrechtlichen Beanstandung am 23. August 2000 (Fall 3 der Anklage ). Auch insoweit war die Verschwiegenheitspflicht des Angeklagten aus § 23 Abs. 6 Satz 1 SächsDSG nicht schon wegen Bedeutungslosigkeit entfallen. Jedenfalls war insoweit die Offenbarung dieser Geheimnisse aber aus
den oben dargelegten Gründen nicht geeignet, wichtige öffentliche Interessen zu gefährden.

c) Hinsichtlich der Übersendung der datenschutzrechtlichen Beanstandung an Le (Fall 2 der Anklage) bestand für den Angeklagten insoweit schon keine Verschwiegenheitspflicht mehr, weil die ihren spezifischen Zweck erfüllende Unterrichtung zu den Mitteilungen im dienstlichen Verkehr im Sinne von § 23 Abs. 6 Satz 2 SächsDSG zu rechnen ist (vgl. Dammann in Simitis/Dammann/Geiger/Mallmann/Walz, BDSG 4. Aufl. § 23 Rdn. 26). Nach Abschluß des Kontrollverfahrens mit der datenschutzrechtlichen Beanstandung erlangte Le , der den Angeklagten entsprechend § 22 SächsDSG angerufen hatte, – wie ein Petent – einen Anspruch auf Bescheidung seiner Eingabe (vgl. BayVGH NJW 1989, 2643; Dammann aaO § 21 Rdn. 18). Zwar ist eine ins einzelne gehende Begründung nicht vorgeschrieben (Dammann aaO). Stellt der Datenschutzbeauftragte aber eine Rechtsverletzung fest, muß er angeben, welches Recht er durch welchen Vorgang verletzt sieht (Dammann aaO). Erfolgt eine datenschutzrechtliche Beanstandung, ist der Anrufende auch davon zu unterrichten (Dammann aaO). Diese aus dem Wesen des Anrufungsrechts entwickelten – allgemein praktizierten – Maßstäbe haben durch die die Informationsrechte des Bürgers betonende Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Abl EG Nr. L 281/31 vom 23. November 1995) und deren Umsetzung im Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze vom 18. Mai 2001 (BGBl I 904) eine neue Qualität gefunden. Die in Art. 28 III. dritter Spiegelstrich der Richtlinie vorgesehene Anzeigebefugnis des Datenschutzbeauftragten wurde um die ausdrückliche Befugnis in § 23 Abs. 5 Satz 7 BDSG ergänzt, den Betroffenen über den Datenschutzverstoß zu informieren (vgl. BT Drucks. 14/4329, S. 1, 41). Der Angeklagte hat sich bei der Unterrichtung Le s an diese Erfordernisse gehalten und die Grenzen seiner Befugnis nicht überschritten. Zwar war die Wiedergabe der
Verfügungen des Justizministers im Wortlaut nicht geboten. Dies führte aber nicht zu einer Offenbarung weiterer Tatsachen, weil nichts mitgeteilt wurde, was nicht inhaltsgleich mit eigenen Worten hätte umschrieben werden können.
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(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben das ihnen übertragene Amt uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert.

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können von der obersten Dienstbehörde eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesministerium der Finanzen sowie das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz werden ermächtigt, jeweils für ihren Geschäftsbereich die Einzelheiten zu den Sätzen 2 bis 4 durch Rechtsverordnung zu regeln. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.

(3) Beamtinnen und Beamte sind verpflichtet, an Maßnahmen der dienstlichen Qualifizierung zur Erhaltung oder Fortentwicklung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten teilzunehmen.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________
Fahrzeug- und Halterdaten, die im Rahmen einer einfachen Registerauskunft nach §
39 Abs. 1 StVG übermittelt werden, sind nicht offenkundig und fallen damit unter den
BGH, Urteil vom 8. Oktober 2002 - 1 StR 150/02 - LG Augsburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 150/02
vom
8. Oktober 2002
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Erpressung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8. Oktober 2002, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Nack
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 29. November 2001, soweit es den Angeklagten P. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


Das Landgericht hat den Angeklagten, einen Beamten der sächsischen Polizei, von den Vorwürfen der gemeinsam mit dem früheren Mitangeklagten G. begangenen versuchten Erpressung in 23 Fällen und der Bestechlichkeit aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
G. , ein guter Bekannter des Angeklagten, hatte den Entschluß gefaßt , potentielle Anleger von Schwarzgeldern im Ausland ausfindig zu machen und zu erpressen. Im Juni/Juli 2000 fuhr er deshalb nach J. und notierte sich die Fahrzeugkennzeichen von deutschen Staatsangehörigen, die die dortigen Banken aufsuchten. Nach seiner Rückkehr übergab G. dem
Angeklagten zum Zwecke der Halterfeststellung eine Liste mit mindestens 40 Kennzeichen. Dieser ließ von seiner Kollegin, der Zeugin T. , unter Benutzung der ihnen „im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit als Polizeibeamte zugänglichen Datensysteme“ insgesamt 37 Fahrzeughalter ermitteln und gab die Daten an G. weiter. An 23 dieser Halter richtete G. Erpresserbriefe, in denen er androhte, die deutschen Finanzbehörden von der Existenz des Auslandskontos zu unterrichten, sofern nicht eine „Sicherheitsgebühr“ in Höhe von DM 10.000,-- gezahlt werde. Die Kammer konnte sich nicht davon überzeugen, daß der Angeklagte in den Tatplan G. s eingeweiht war.
Im Hinblick auf die Kfz-Halteranfragen war dem Angeklagten nach den Feststellungen der Kammer von G. vorgespiegelt worden, es handele sich um die Kennzeichen von Pkw-Fahrern, gegen die er, G. , wegen Verkehrsverstößen Anzeige erstatten wolle. Wegen der Weitergabe der Kfz-Halterdaten durch den Angeklagten hat die Kammer einen Verstoß gegen § 202a StGB, § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB, § 44 Abs. 1 in Verbindung mit § 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG aF und § 32 Abs. 1 Nr. 1c SächsDSG verneint. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Das Rechtmittel hat Erfolg.

II.


1. Zu Unrecht hat die Strafkammer den Tatbestand des § 203 Abs. 2 Satz 2 StGB als nicht erfüllt angesehen.

a) Bei den Anschriften von Fahrzeughaltern handelt es sich um nach §§ 31 ff. StVG erfaßte Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse , die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung gespeichert sind. Solche
ihm als Amtsträger bekannt gewordene Daten hatte der Angeklagte unbefugt an G. weitergegeben (§ 203 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StGB). Über die fehlende Befugnis, als Polizeibeamter Privatpersonen Kfz-Halterauskünfte zu erteilen, war er sich auch bewußt. Das ergibt sich schon daraus, daß er G. zunächst an das dafür gemäß § 39 Abs. 1 StVG zuständige KraftfahrtBundesamt verwiesen hatte (UA S. 7-8).
Für die Strafbarkeit nach § 203 Abs. 2 Satz 2 StGB kommt es entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht darauf an, daß diese Daten unter den Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 StVG im Rahmen einer einfachen Halterauskunft (potentiell) einem unbeschränkten Personenkreis zugänglich und daher nicht geheim sind. Schon aus der Gesetzessystematik und dem Wortlaut („Einem Geheimnis stehen gleich ...“) ergibt sich, daß § 203 Abs. 2 Satz 2 StGB gerade solche Angaben erfaßt, die keine Geheimnisse darstellen, da ansonsten schon Satz 1 erfüllt und Satz 2 überflüssig wäre (vgl. Jähnke in LK, 10. Aufl., § 203 Rdn. 45; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 203 Rdn. 48; Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl., § 203 Rdn. 45; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 203 Rdn. 9). Allerdings fallen offenkundige Tatsachen nach allgemeiner Ansicht nicht in den Schutzbereich des § 203 Abs. 2 Satz 2 StGB (so schon die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) BTDrucks. 7/550 S. 243; vgl. auch Schünemann in LK, 11. Aufl., § 203 Rdn. 48).

b) Die Strafkammer hat Kfz-Halterdaten im Hinblick auf die Möglichkeit einer Halterauskunft nach § 39 Abs. 1 StVG als offenkundig angesehen und sich dabei auf Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts
(NJW 1999, 1727) und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (NStZ 1998, 358) gestützt.
Dem kann nicht gefolgt werden.
aa) Die oben zitierte Rechtsprechung ist auf Kritik gestoßen (vgl. die ablehnenden Besprechungen von Pätzel NJW 1999, 3246; Weichert NStZ 1999, 490 und Behm JR 2000, 274). Der Einordnung von Kfz-Halterdaten als „offenkundig“ stehe entgegen, daß - im Gegensatz zu anderen öffentlichen Registern-, die Erteilung von Auskünften gemäß § 39 Abs.1 StVG der Darlegung eines berechtigten Interesses bedürfe. Die Auslegung durch das Bayerische Oberste Landesgericht und das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg führe daher zu einer Aufweichung von gesetzlich geregelten und gegenüber anderen öffentlichen Registern gesteigerten Zugangserfordernissen.
Der Bundesgerichtshof hatte sich bisher nicht mit der Frage zu befassen , ob die in den Fahrzeugregistern gespeicherten Daten - soweit sie im Rahmen einer einfachen Halteranfrage übermittelt werden - offenkundig sind. Der 5. Strafsenat hat allerdings im Zusammenhang mit Auskünften aus dem Melderegister die Entscheidungen des BayObLG und des HansOLG Hamburg als „sehr weitgehend“ bezeichnet (BGH NStZ 2000, 596 = StV 2002, 26 m. Anm. Behm).
bb) Offenkundig im Sinne von § 203 StGB sind solche Tatsachen, von denen verständige und erfahrene Menschen ohne weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich jederzeit durch Benutzung allgemein zugänglicher, zuverlässiger Quellen unschwer überzeugen können (Regierungsentwurf
EGStGB BTDrucks. 7/550 S. 242). Für die hier vorliegende Fallgestaltung kommt es entscheidend darauf an, ob die Fahrzeugregister als „allgemein zugängliche Quellen“ einzustufen sind. Das ist zu verneinen. Allgemein zugänglich sind Zeitschriften, Bibliotheken, Adreß- und Telefonbücher etc.. Öffentliche Register gehören dann nicht zu den allgemein zugänglichen Quellen, wenn die Einsichtnahme von einem berechtigten Interesse abhängig ist (vgl. Gola /Schomerus, BDSG, 7. Aufl., 2002, § 28 Rdn. 45; Auernhammer, BDSG, 3. Aufl., 1993, § 28 Rdn. 24 m.Nachw. dort Fn. 51; Däubler/Klebe/Wedde, BDSG, 1996, § 29 Rdn. 22). Das belegt auch § 10 Abs. 5 Satz 2 BDSG in der Fassung aufgrund der Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes vom 18. Mai 2001 (BGBl. I 2001, S. 904). Danach sind solche Daten allgemein zugänglich, die jedermann, sei es ohne oder nach vorheriger Anmeldung, Zulassung oder Entrichtung eines Entgelts nutzen kann. Dabei ging der Gesetzgeber davon aus, daß Bedeutungsunterschiede zwischen den Begriffen „Offenkundigkeit“, „allgemein zugänglichen Daten“ und „Daten aus allgemein zugänglichen Quellen“ nicht bestehen. Insoweit sollte eine Vereinheitlichung des Sprachgebrauches erreicht werden (vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung BTDrucks. 14/5793 S.64). Voraussetzung für allgemeine Zugänglichkeit eines öffentlichen Registers ist das Fehlen von Einschränkungen der Benutzbarkeit desselben (vgl. Ambs in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: Dezember 2001, BDSG, § 10 Rdn. 5). Mit dem Sprachgebrauch wäre es nicht vereinbar, solche öffentlichen Register als „allgemein zugänglich“ einzuordnen, auf die der Informationsbedürftige - von Öffnungszeiten, Gebühren, Anmeldung usw. abgesehen - nicht uneingeschränkt zugreifen kann. Eine solche Einschränkung liegt aber vor, wenn - wie im Falle der Fahrzeugregister - die Benutzung von der Darlegung eines besonderen Interesses abhängt. Bei den Fahrzeugregistern kommt
hinzu, daß es - die Darlegung der Anforderungen des § 39 Abs.1 StVG durch den Informationsbedürftigen vorausgesetzt - diesem nicht in seiner Gesamtheit zur Verfügung steht, sondern nur einzelne Informationen hieraus mitgeteilt werden. Im übrigen unterliegt die Übermittlung von Daten aus dem Fahrzeugregister weitergehenden Beschränkungen bis hin zur Übermittlungssperre. Die darin zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers spricht ebenfalls dagegen, die Fahrzeugregister als allgemein zugängliche Quellen anzusehen.
Dem steht auch die Erwägung nicht entgegen, daß unter den Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 StVG im Rahmen einer einfachen Registeranfrage praktisch jedermann Auskunft über die dort gespeicherten Daten erhält und die Gefahr des Mißbrauches besteht, wenn ein berechtigtes Interesse, das im Gegensatz zu § 39 Abs. 2 StVG nicht glaubhaft gemacht werden muß, nur vorgetäuscht wird. Der Fahrzeughalter, der die Speicherung seiner Daten nach § 33 Abs. 1 StVG hinzunehmen hat, darf erwarten, daß die zuständigen Behörden Halteranfragen gemäß § 39 Abs. 1 StVG dahin überprüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Auskunft dargetan sind. Soweit faktisch die Möglichkeit des Mißbrauches besteht, kann dies nicht zu einer Einordnung der Fahrzeugregister als „allgemein zugänglich“ führen. Insofern ist nämlich von der Rechtstreue desjenigen, der die Halteranfrage stellt, auszugehen.
Abgesehen davon, daß hier die Anzahl der Halteranfragen durch den Mitangeklagten G. den Verdacht eines Mißbrauches nahelegte, hätte dieser nach den von der Kammer getroffenen Feststellungen eine Auskunft nach § 39 Abs. 1 StVG von den zuständigen Behörden nicht erhalten. Die von ihm
gegenüber dem Angeklagten vorgegebene Absicht der Erstattung von Strafanzeigen ist kein Grund, der die Übermittlung von Halterdaten nach dieser Vorschrift rechtfertigte. Für eine Strafanzeige reichte die Angabe des Kennzeichens aus, um von Amts wegen Ermittlungsverfahren einzuleiten.
Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, daß durch Einführung des § 8a PflVG aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 10. Juli 2002 (BGBl. I 2002, S. 2586) der „Zentralruf der Autoversicherer“ im Falle eines Verkehrsunfalles dem Geschädigten über die bisherige, langjährige Praxis hinaus nicht nur Auskunft über den Versicherer des schädigenden Fahrzeuges erteilt, sondern als Auskunftsstelle im Sinne der Neufassung bei Vorliegen eines berechtigten Interesses (so die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung BTDrucks. 14/8770 S.11 unter Ziffer 3) auch Namen und Anschrift des Halters des schädigenden Fahrzeuges übermittelt. Denn auch insoweit darf eine Auskunft nur unter den Voraussetzungen des § 39 Abs.1 StVG erteilt werden (§ 8a Abs. 1 Nr. 5 letzter Halbs. PflVG). Für die Auskünfte soll unter Beachtung des Datenschutzes der bestehende Rechtsrahmen des Straßenverkehrsgesetzes zugrunde gelegt werden. Insofern nimmt der „Zentralruf der Autoversicherer“ als Auskunftsstelle im Sinne von § 8a Abs.1 PflVG Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr und unterliegt im übrigen der Aufsicht durch das Bundesministerium der Justiz (§ 8a Abs. 3 PflVG). Bei dieser - zur Tatzeit noch nicht geltenden - Sachlage hätte G. auch seitens des Zentralrufs der Autoversicherer die erstrebte Auskunft nicht erhalten , nachdem er nicht behauptet hatte, bei den Kennzeichen handele es sich um Fahrzeuge von Unfallgegnern.

c) Soweit der Angeklagte gegen § 203 Abs. 2 Satz 2 StGB verstoßen haben kann, liegt - soweit aus den Akten ersichtlich - bis auf einen Fall der nach § 205 StGB erforderliche Strafantrag bislang nicht vor. Da das insoweit derzeit bestehende Verfahrenshindernis nach Klärung der tatsächlichen Voraussetzungen noch entfallen kann, führt dies hier nicht zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 260 Abs. 3 StPO, sondern zur Zurückverweisung der Sache.
aa) Als Verletzte im Sinne von § 77 Abs. 1 StGB strafantragsberechtigt sind hier die einzelnen Kfz-Halter, da der Angeklagte über deren Daten verfügte. Bei § 203 StGB ist Verletzter nur diejenige Person, über deren personenbezogene Daten der Täter Auskunft gegeben hat, nicht aber die speichernde Behörde als „Herrin der Daten“ (vgl. BGHR StGB § 77 Abs. 1 Verletzter 1).
bb) Wie der Senat aufgrund der von Amts wegen gebotenen Überprüfung den Strafakten entnimmt, hat lediglich der Geschädigte Z. Strafantrag („wegen aller in Betracht kommender Delikte“) gestellt. Ferner liegt ein Strafantrag des Geschädigten W. , allerdings nur wegen versuchter Erpressung vor. Im übrigen haben noch die Geschädigten P. und H. Strafanzeige erstattet. Bei keinem der allein im Ermittlungsverfahren und im wesentlichen schriftlich mittels Fragebogen vernommenen Geschädigten ist jedoch ersichtlich , daß ihnen bewußt gewesen wäre, daß hier neben der jeweils im Vordergrund stehenden versuchten Erpressung auch eine Verletzung von nach § 203 StGB geschützten Rechtsgütern in Betracht kam. Bei dieser Sachlage hätte die Antragsfrist nach § 77b Abs. 2 StGB noch nicht zu laufen begonnen. Die nach § 77b Abs. 2 Satz 1 StGB erforderliche Kenntnis setzt nämlich das Wissen um diejenigen Umstände voraus, die die Tat zum Antragsdelikt machen
(vgl. Stree in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 77b Rdn. 7, s. auch BGHSt 44, 209 [212]). Da der Senat nicht ausschließt, daß weitere Strafanträge seitens der Verletzten noch gestellt werden, ist zur Klärung der Verfahrensvoraussetzungen durch den Tatrichter die Zurückverweisung veranlaßt (vgl. BGHSt 46, 307, 309).
Das ist auch im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c SächsDSG nicht entbehrlich. Dieser Ordnungswidrigkeitentatbestand setzt zwar keinen Antrag voraus, ist im Hinblick auf § 1 Abs. 4 SächsDSG gegenüber § 203 StGB jedoch subsidiär (vgl. auch Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl., § 203 Rdn. 29), da diese Vorschrift sich für die vorliegende Fallgestaltung in ihrem Anwendungsbereich mit § 32 Abs. 1 Nr. 1c SächsDSG überschneidet.
2. Der Senat kann offenlassen, ob die Strafkammer die Anforderungen an die Überzeugungsbildung hinsichtlich der ursprünglichen Tatvorwürfe (versuchte Erpressung; Bestechlichkeit) überspannt hat. Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte dem früheren Mitangeklagten G. für einen vergleichsweise geringen Betrag von DM 500,-- im Monat einen Mercedes Benz 600 zur Verfügung gestellt und ihm überdies ein Darlehen in Höhe von DM 350.000,-- gewährt hatte, hätten die den Angeklagten entlastenden Angaben G. s einer besonders kritischen Bewertung unterzogen werden müssen. Dies gilt auch für die Einlassung des Angeklagten selbst, der trotz der erheblichen Anzahl der von G. erfragten Fahrzeughalter geglaubt haben will, daß den Anfragen ausnahmslos angebliche Verkehrsverstöße zugrunde lagen.
Der neue Tatrichter wird aufgrund der Aufhebung Gelegenheit haben, den ursprünglichen Tatvorwurf erneut zu erörtern. Dabei wird es möglicherweise auch Feststellungen dazu bedürfen, über welche „polizeilich zugänglichen Datensysteme“ der Angeklagte die Halterdaten ermitteln ließ, da die z.B. im sogenannten automatisierten Verfahren durch die Polizei erhältlichen Daten über diejenigen, die im Rahmen einer einfachen Registerauskunft mitgeteilt werden, hinausgehen.
Soweit Verstöße gegen § 203 Abs. 2 Satz 2 StGB oder § 32 Abs. 1 SächsDSG in Rede stehen, wird auch zu prüfen sein, ob der Angeklagte hier in (Dritt-)Bereicherungsabsicht handelte und deshalb die Qualifikationstatbestände gemäß § 203 Abs. 5 StGB oder § 33 SächsDSG erfüllt sind. Denn nach den Feststellungen hatte G. gegenüber dem Angeklagten angegeben, beim Kraftfahrt-Bundesamt falle für jede Anfrage eine Gebühr von DM 10,-- an. Es liegt daher nicht fern, daß der Angeklagte G. diese Gebühr ersparen wollte.
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit

(1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als

1.
Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert,
2.
Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlußprüfung,
3.
Rechtsanwalt, Kammerrechtsbeistand, Patentanwalt, Notar, Verteidiger in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Wirtschaftsprüfer, vereidigtem Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten,
3a.
Organ oder Mitglied eines Organs einer Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder einer Berufsausübungsgesellschaft von Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten, einer Berufsausübungsgesellschaft von Rechtsanwälten oder europäischen niedergelassenen Rechtsanwälten oder einer Berufsausübungsgesellschaft von Patentanwälten oder niedergelassenen europäischen Patentanwälten im Zusammenhang mit der Beratung und Vertretung der Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder Berufsausübungsgesellschaft im Bereich der Wirtschaftsprüfung, Buchprüfung oder Hilfeleistung in Steuersachen oder ihrer rechtsanwaltlichen oder patentanwaltlichen Tätigkeit,
4.
Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist,
5.
Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes,
6.
staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädagogen oder
7.
Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen, steuerberaterlichen oder anwaltlichen Verrechnungsstelle
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als

1.
Amtsträger oder Europäischer Amtsträger,
2.
für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten,
3.
Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnimmt,
4.
Mitglied eines für ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes tätigen Untersuchungsausschusses, sonstigen Ausschusses oder Rates, das nicht selbst Mitglied des Gesetzgebungsorgans ist, oder als Hilfskraft eines solchen Ausschusses oder Rates,
5.
öffentlich bestelltem Sachverständigen, der auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist, oder
6.
Person, die auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Geheimhaltungspflicht bei der Durchführung wissenschaftlicher Forschungsvorhaben auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist,
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist. Einem Geheimnis im Sinne des Satzes 1 stehen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen gleich, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßt worden sind; Satz 1 ist jedoch nicht anzuwenden, soweit solche Einzelangaben anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bekanntgegeben werden und das Gesetz dies nicht untersagt.

(2a) (weggefallen)

(3) Kein Offenbaren im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn die in den Absätzen 1 und 2 genannten Personen Geheimnisse den bei ihnen berufsmäßig tätigen Gehilfen oder den bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätigen Personen zugänglich machen. Die in den Absätzen 1 und 2 Genannten dürfen fremde Geheimnisse gegenüber sonstigen Personen offenbaren, die an ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit mitwirken, soweit dies für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der sonstigen mitwirkenden Personen erforderlich ist; das Gleiche gilt für sonstige mitwirkende Personen, wenn diese sich weiterer Personen bedienen, die an der beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit der in den Absätzen 1 und 2 Genannten mitwirken.

(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm bei der Ausübung oder bei Gelegenheit seiner Tätigkeit als mitwirkende Person oder als bei den in den Absätzen 1 und 2 genannten Personen tätiger Datenschutzbeauftragter bekannt geworden ist. Ebenso wird bestraft, wer

1.
als in den Absätzen 1 und 2 genannte Person nicht dafür Sorge getragen hat, dass eine sonstige mitwirkende Person, die unbefugt ein fremdes, ihr bei der Ausübung oder bei Gelegenheit ihrer Tätigkeit bekannt gewordenes Geheimnis offenbart, zur Geheimhaltung verpflichtet wurde; dies gilt nicht für sonstige mitwirkende Personen, die selbst eine in den Absätzen 1 oder 2 genannte Person sind,
2.
als im Absatz 3 genannte mitwirkende Person sich einer weiteren mitwirkenden Person, die unbefugt ein fremdes, ihr bei der Ausübung oder bei Gelegenheit ihrer Tätigkeit bekannt gewordenes Geheimnis offenbart, bedient und nicht dafür Sorge getragen hat, dass diese zur Geheimhaltung verpflichtet wurde; dies gilt nicht für sonstige mitwirkende Personen, die selbst eine in den Absätzen 1 oder 2 genannte Person sind, oder
3.
nach dem Tod der nach Satz 1 oder nach den Absätzen 1 oder 2 verpflichteten Person ein fremdes Geheimnis unbefugt offenbart, das er von dem Verstorbenen erfahren oder aus dessen Nachlass erlangt hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 sind auch anzuwenden, wenn der Täter das fremde Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen unbefugt offenbart.

(6) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 320/16
vom
29. September 2016
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:290916U4STR320.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. September 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwältin als Vertreterin des Nebenklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 5. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts Freiburg zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Nach der zugelassenen Anklage liegt dem Angeklagten sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in fünf Fällen, sexueller Missbrauch von Kindern und schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zur Last. Der zur Tatzeit an einer Schule für Körperbehinderte als Lehrer tätige Angeklagte soll an dem am 6. August 1998 geborenen Nebenkläger, einem seiner Schüler, im Sommer 2009 während einer Unterrichtspause in seinem in Schulnähe geparkten Reisemobil den Oralverkehr ausgeübt (Fall 1) und vor ihm in der Dusche des Schulschwimmbads onaniert haben (Fall 2). Außerdem soll es bei Besuchen des Nebenklägers in der Wohnung des Angeklagten in der Zeit vom 1. Januar 2009 bis zum Ende des Schuljahrs 2010/2011 zu sexuellen Handlungen des Angeklagten vor und an dem Nebenkläger und zu sexuellen Handlungen des Nebenklägers an dem Angeklagten gekommen sein. Dabei soll der Angeklagte nach der Vorführung von mehreren kurzen Pornofilmen sein erigiertes Geschlechtsteil an dem Nebenklä- ger gerieben und diesen an seinem Geschlechtsteil berührt (Fall 3) sowie bei einer anderen Gelegenheit sein erigiertes Geschlechtsteil zwischen dessen Beine geschoben haben (Fall 4). Außerdem soll der Nebenkläger von dem Angeklagten dazu veranlasst worden sein, ihm bei der Selbstbefriedigung zuzusehen und das zu diesem Zweck gezuckerte Sperma von seinem Penis abzulecken (Fall 5), in den Mund des Angeklagten zu urinieren (Fall 6) sowie an dem Angeklagten den Oralverkehr auszuüben (Fall 7). Schließlich soll der Angeklagte zur eigenen sexuellen Stimulation vor dem Nebenkläger einen Löffelstiel in die Harnröhre seines erigierten Penis eingeführt und ihn dazu veranlasst haben, an dem Penis zu fühlen, wie weit der Löffelstiel bereits eingeführt sei (Fall 8). Das Landgericht hat den Angeklagten von allen Vorwürfen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der nicht vorbestrafte Angeklagte war in den Schuljahren 2005/2006 bis 2010/2011 Lehrer des Nebenklägers an einer Schule für Körperbehinderte. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis war gut. Der Angeklagte war der Lieblingslehrer des Nebenklägers. Zu im Einzelnen nicht näher feststellbaren Zeitpunkten zwischen dem 1. Januar 2009 und dem Ende des Schuljahrs 2010/2011 kam es zu mindestens zwei Übernachtungen des Nebenklägers im Haus des Angeklagten, die jeweils mit dessen Mutter abgesprochen waren. Zum Schuljahr 2011/2012 wechselte der Nebenkläger – auch auf Empfehlung des Angeklagten – auf eine andere Schule.
4
Der Angeklagte ist Eigentümer eines selbst ausgebauten geländegängigen Reisemobils, mit dem er regelmäßig auch zur Schule fuhr. Das auffällige Fahrzeug stieß bei dem Nebenkläger und seinen Mitschülern auf großes Interesse und wurde ihnen seitens des Angeklagten auch von innen gezeigt.
5
Die Schule verfügt über ein eigenes Schwimmbad. Der Angeklagte duschte nach dem von ihm betreuten Schwimmen nackt mit den Jungen in der Gemeinschaftsdusche. Kurz vor Weihnachten des Jahres 2009 oder 2010 fasste der Angeklagte beim gemeinsamen Duschen nach dem Schwimmunterricht einem seiner Schüler an den Penis und schob die Vorhaut zurück. Danach begab er sich sogleich zum Schulleiter, berichtete von dem Vorfall und gab zur Erklärung an, er habe dem Schüler aus hygienischen Gründen zeigen wollen, wie man die Vorhaut zurückschiebt.
6
Jedenfalls seit dem Jahr 2013 konsumierte der Angeklagte zumindest gelegentlich pornografische Bild- und Videodateien, die er sich in großem Umfang aus dem Internet herunterlud und auf verschiedenen Datenträgern vorrätig hielt. Dabei interessierten ihn insbesondere transsexuelle Inhalte, daneben aber auch weniger verbreitete bis ausgesprochen selten vorkommende Sexualpraktiken wie Urinspiele oder das – selbst im Internet nur schwierig aufzufindende – Einführen von schmalen Gegenständen in die Harnröhre des Penis. Auf einem USB-Stick des Angeklagten waren unter anderem vier Bilder abgespeichert, bei denen sich Männer schmale längliche Gegenstände in die Harnröhre einführen. Weiterhin finden sich auf dem USB-Stick drei Bilder, die „Urinspiele“ zum Gegenstand haben. Auf einem Bild uriniert eine Frau unmittelbar in den Mund eines Mannes. Bilder oder Videos mit pädophilem Inhalt waren auf den Datenträgern des Angeklagten nicht gespeichert.
7
2. Der Angeklagte hat alle Vorwürfe von sich gewiesen. Die Strafkammer hat sich – in Abweichung von der Einschätzung der aussagepsychologischen Sachverständigen – von der Glaubhaftigkeit der den Angeklagten belastenden Angaben des Nebenklägers „nicht vollständig“ zu überzeugen vermocht. Zwar habe die Beweisaufnahme eine Reihe von Indizien erbracht, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprächen. Dies betreffe insbesondere die Angaben des Nebenklägers zu zum Teil nur sehr selten vorkommenden Sexualpraktiken, die sich mit Bilddateien gedeckt hätten, die der Angeklagte aus dem Internet heruntergeladen habe. Doch seien insoweit auch andere Erklärungsmöglichkeiten aufgezeigt worden, die zu erwägen gewesen seien. Auch habe die Aussage des Nebenklägers in den Bereichen Aussageentstehung, Aussageentwicklung und Aussageinhalt zahlreiche Schwächen aufgewiesen, die jeweils für sich ge- nommen „zwar keinen überragenden Erkenntniswert“ gehabt hätten. Diese hät- ten es aber doch in der Summe unmöglich gemacht, sich von der uneingeschränkten Glaubwürdigkeit des Nebenklägers und der Richtigkeit seiner Angaben zu überzeugen.

II.


8
Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, weil der Freispruch des Angeklagten auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruht.
9
1. Spricht der Tatrichter den Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, Rn. 9; weitere Nachweise bei Brause, NStZ-RR 2010, 329, 330 f.). Der Tatrichter ist gehalten , die Gründe für den Freispruch so vollständig und genau zu erörtern, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, anhand der Urteilsgründe zu prüfen, ob der Freispruch auf rechtsfehlerfreien Erwägungen beruht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, Rn. 10; Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15, Rn. 2; Urteil vom 20. November 2013 – 2 StR 460/13, NStZ-RR 2014, 56).
10
2. Daran gemessen hält die Beweiswürdigung des Landgerichts revisionsrechtlicher Überprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
11
a) Die Ausführungen zum Beweiswert der Angaben des Nebenklägers in Bezug auf Fall 8 der Anklage (Befühlen des erigierten Penis des Angeklagten beim Einführen eines Gegenstands in die Harnröhre) lassen besorgen, dass die Strafkammer überhöhte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat.
12
aa) Der Tatrichter darf bei der Überzeugungsbildung Zweifeln keinen Raum geben, die lediglich auf einer abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1998 – 2 StR 65/98, NStZ-RR 1998, 275 mwN).
Auch ist es rechtsfehlerhaft, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen , für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402; Urteil vom 17. März 2005 – 4 StR 581/04, StV 2005, 421; Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35; Urteil vom 6. Februar 2002 – 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189 [insoweit in BGHSt 47, 243 nicht abgedruckt]; weitere Nachweise bei Miebach in MüKoStPO § 261 Rn. 88 und 129).
13
bb) Gegen diese Grundsätze hat das Landgericht verstoßen.
14
Nach den Urteilsgründen hat der Nebenkläger in der Hauptverhandlung, bei seiner polizeilichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren und im Rahmen des Explorationsgespräches mit der aussagepsychologischen Sachverständigen konstant geschildert, dass der Angeklagte einen Gegenstand in die Harnröhre seines erigierten Penis eingeführt und er auf seine Aufforderung hin immer wieder gefühlt habe, wie tief dieser eingedrungen sei. Lediglich zu der Beschaffenheit des Gegenstandes machte er unterschiedliche Angaben. Die Strafkammer hat in dem Umstand, dass sich auf einem USB-Stick des Angeklagten Bilddateien befanden, die das Einführen von Gegenständen in die Harnröhre und damit eine sehr seltene Sexualpraktik zeigen, ein Indiz für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Nebenklägers gesehen. Dessen Gewicht hat sie dann aber mit der Erwägung relativiert, dass kaum zuverlässig ausgeschlossen werden könne, dass der Nebenkläger im Internet auf solche Inhalte gestoßen sei. Denn die Beweisaufnahme habe auch ergeben, dass die betreffenden Inhalte im Internet frei zugänglich gewesen seien und der Nebenkläger sowohl im Elternhaus als auch in seiner Wohngruppe Zugang zum Internet gehabt habe. Schließlich sei es auch „keinesfalls fernliegend“, dass der Nebenkläger dievon ihm beschriebenen Sexualpraktiken gekannt habe, weil er sich zusammen mit dem Angeklagten entsprechende Bilder angesehen habe. Weder für die erste noch für die zweite als mögliche Erklärung für die Kenntnis des Nebenklägers von derartigen Sexualpraktiken herangezogene Variante hat das mitgeteilte Beweisergebnis konkrete Anhaltspunkte erbracht. Sowohl die Mutter des Nebenklägers als auch sein Betreuer in der Wohngruppe haben angegeben, dass der Nebenkläger nie über längere Zeit im Internet unbeaufsichtigt habe „surfen“ können. Zudem seien jeweils Jugendschutzfilter installiert gewesen. Dass der Nebenkläger von selbst im Internet auf – wie die Strafkammer an anderer Stelle festgestellt hat – dort nur schwierig aufzufindende Bilder über das Einführen von schmalen Gegenständen in die Harnröhre des Penis gestoßen sein könnte, ist unter diesen Umständen eine lediglich abstrakt-theoretische Möglichkeit. Gleiches gilt für die Annahme, der Nebenkläger könnte sich derartige Bilddateien zusammen mit dem Angeklagten angesehen haben. In diese Richtung weisende Angaben des Nebenklägers sind in den Urteilsgründen nicht aufgeführt. Der Angeklagte hat behauptet, die einschlägigen Bilddateien nicht gekannt zu haben und damit auch ein Betrachten dieser Dateien zusammen mit dem Nebenkläger in Abrede gestellt.
15
Das Urteil beruht auch auf diesem Beweiswürdigungsmangel. Denn der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Bewertung dieses Gesichtspunktes die Glaubhaftigkeit der Angaben des Nebenklägers insgesamt anders beurteilt hätte.
16
b) Soweit die Strafkammer bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Nebenklägers von der Einschätzung der aussagepsychologischen Sachverständigen abgewichen ist, lassen die schriftlichen Urteilsgründe eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht zu.
17
aa) Weicht der Tatrichter von der Einschätzung eines Sachverständigen ab, nachdem er zuvor glaubte, einer Beratung durch diesen Sachverständigen zu bedürfen, muss er sich erschöpfend mit dessen Ausführungen auseinandersetzen und diese im Einzelnen darlegen. Dazu gehört auch eine Wiedergabe der Stellungnahme des Sachverständigen zu den Gesichtspunkten, auf die der Tatrichter seine abweichende Auffassung stützt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 – 5 StR 181/12, NStZ 2013, 55, 56; Urteil vom 20. Juni 2000 – 5 StR 173/00, NStZ 2000, 550). Andernfalls ist dem Revisionsgericht eine Prüfung nicht möglich, ob das Tatgericht das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat sowie woher sich sein besseres Fachwissen oder seine fortbestehenden Zweifel ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 – 4 StR 435/09, NStZ-RR 2010, 105, 106; Urteil vom 12. Juni 2001 – 1 StR 190/01; Beschluss vom 25. April 2006 – 1 StR 579/05, NStZ-RR 2006, 242, 243).
18
bb) Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
19
Die Strafkammer hat zwar mitgeteilt, dass sie sich eingehend mit dem zu einem anderen Ergebnis gelangenden aussagepsychologischen Sachverständigengutachten auseinandergesetzt habe. Sie hat es aber verabsäumt, den wesentlichen Inhalt des Gutachtens mitzuteilen und im Zusammenhang darzulegen , warum sie der Einschätzung der Sachverständigen im Ergebnis nicht zu folgen vermocht hat. Auch wird nicht nachvollziehbar dargestellt, wie sich die Sachverständige zu den Gesichtspunkten verhalten hat, auf die das Landgericht seine abweichende Auffassung stützt. Das Revisionsgericht kann daher nicht prüfen, ob die in den Urteilsgründen an verschiedenen Stellen angeführten Defizite des Gutachtens (unzureichende Auseinandersetzung mit den „recht dürftigen Angaben“ des Nebenklägers zu dem jeweiligen Randgeschehen und seinen ausweichenden Reaktionen auf Vorhalte, keine erschöpfende Thematisierung möglicher suggestiver Beeinflussung durch betreuende Personen, mangelnde Erörterung von Abweichungen und Widersprüchen, Beschränkung der Konstanzanalyse auf die Angaben vor der Polizei, gegenüber der Sachverständigen und in der Hauptverhandlung) und die Zurückweisung von einzelnen Bewertungen der Sachverständigen (etwa zum fehlenden Interesse des Nebenklägers an sexualbezogenen Handlungen und der Beurteilung seiner Persönlichkeitsstruktur ) auf einer zutreffenden Würdigung des Gutachtens beruhen.
20
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Fall StPO Gebrauch und verweist die Sache an ein anderes Gericht gleicher Ordnung zurück.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Quentin

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt.

(2) Wer bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, welche den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würden, kann wegen vorsätzlicher Begehung nur nach dem milderen Gesetz bestraft werden.

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 186/16
vom
18. Oktober 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:181016B3STR186.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 18. Oktober 2016 gemäß § 206a Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 11. Januar 2016 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit die Angeklagten in den Fällen 178-180 der Urteilsgründe verurteilt worden sind; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) der Tenor des vorbezeichneten Urteils, soweit es den Angeklagten M. S. betrifft, im Schuld- und Strafausspruch dahin geändert, dass der Angeklagte aa) wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 72 Fällen, davon in 36 Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern und in weiteren 36 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Beschluss des Amtsgerichts Trier vom 19. Juli 2011 - 8053 Js 17350/10 - 34 Ds - und unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Trier vom 22. September 2010 - 8053 Js 17350/10 - 34 Ds - und des Amtsgerichts St. Wendel vom 11. März 2011 - 11 Ds 66 Js 2261/10 (455/10) - zu einer Gesamtfrei- heitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt ist, und bb) wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 105 Fällen, davon in 54 Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern und in weiteren 51 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, sowie wegen sexueller Nötigung in drei Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt ist;
c) das vorbezeichnete Urteil, soweit es die Angeklagte Ma. S. betrifft, aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagte der unterlassenen Hilfeleistung in drei Fällen schuldig ist; bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
3. Der Angeklagte M. S. hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten M. S. wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 180 Fällen, davon in 93 Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern und in weiteren 87 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, sowie wegen sexueller Nötigung in drei Fällen unter "Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Trier vom 19. Juli 2011 - 8053 Js 17350/10.34 Ds -, dessen Gesamtfreiheitsstrafe aufgelöst wird und in Wegfall kommt", zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen die Angeklagte Ma. S. hat es wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern in drei Fällen und wegen unterlassener Hilfeleistung in drei weiteren Fällen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten erkannt. Dagegen wenden sich die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts sowie auf Verfahrensbeanstandungen gestützten Revisionen der Beschwerdeführer. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Soweit das Landgericht die Angeklagten in den Fällen 178-180 der Urteilsgründe jeweils wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern verurteilt hat, fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung einer Anklageerhebung und demzufolge auch an der eines Eröffnungsbeschlusses, so dass das Verfahren gemäß § 354 Abs. 1, § 206a Abs. 1 StPO einzustellen ist.
3
a) Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage war dem Angeklagten M. S. , soweit hier von Bedeutung, zur Last gelegt worden, in der Zeit von September 2009 bis zum 20. Oktober 2011 wöchentlich bei mindestens zwei Gelegenheiten mit der Nebenklägerin sexuelle Kontakte initiiert zu haben, die grundsätzlich gleichförmig verlaufen seien: Er habe zunächst unter der Kleidung des Kindes an den Brüsten und im Schambereich manipuliert, es dann ganz oder teilweise ausgezogen und an ihm ungeschützten Vaginal- und Oralverkehr praktiziert, wobei er beim Oralverkehr den Kopf des Mädchens jeweils fest an seinen Intimbereich gedrückt habe; damit habe er sich in 218 Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und Vergewaltigung schuldig gemacht. Der Angeklagten Ma. S. war vorgeworfen worden, in mindestens der Hälfte der Fälle "räumlich und zeitlich anwesend" gewesen zu sein und die Handlungen des Angeklagten wahrgenommen zu haben; gleichwohl habe sie als Mutter des Kindes jedes Mal nicht eingegriffen und dadurch die jeweiligen Tatbestandsverwirklichungen durch den Angeklagten M. S. gefördert und ermöglicht.
4
b) Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es im Zeitraum vom 17. Januar 2010 bis zum 20. Oktober 2011 zu 177 Taten der in der Anklage beschriebenen Art, wobei die Strafkammer angenommen hat, dass nur bei wöchentlich einer Gelegenheit der Angeklagte den Oral- oder Vaginalverkehr mit der Nebenklägerin vornahm und sie bei einer zweiten Gelegenheit nur an der Brust und im Schambereich berührte und sich von ihr manuell befriedigen ließ oder dies vor ihr selbst tat. In den Fällen des Oralverkehrs habe er keine Gewalt angewandt. Betreffend die Angeklagte Ma. S. hat das Landgericht festgestellt, dass sie jedenfalls bei drei Gelegenheiten hinzukam, wenn der Angeklagte M. S. an der Nebenklägerin sexuelle Handlungen vornahm, und das Zimmer wieder verließ, ohne die Taten zu unterbinden oder der Nebenklägerin anderweitig zu Hilfe zu kommen.
5
Darüber hinaus hat das Landgericht zu den Fällen 178-180 der Urteilsgründe Folgendes festgestellt: An zwei nicht genau feststellbaren Tagen in der Zeit zwischen Fastnacht und dem 20. Oktober 2011 kam es dazu, dass die beiden Angeklagten die Nebenklägerin gemeinsam sexuell missbrauchten. Die Initiative dazu ging von dem Angeklagten M. S. aus, die Angeklagte Ma. S. beteiligte sich ihm zuliebe. In beiden Fällen begaben sich die Angeklagten gemeinsam mit der Nebenklägerin ins Elternschlafzimmer, entkleideten jedenfalls deren Oberkörper und die Angeklagte Ma. S. streichelte sie an der Brust und am gesamten Oberkörper. Der Angeklagte M. S. schaute zunächst nur zu, streichelte die Nebenklägerin dann aber auch selbst an der Brust und an der Scheide (Fälle 178-179 der Urteilsgründe). Bei einer weiteren Gelegenheit begaben sich die Angeklagten aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses gemeinsam mit der Nebenklägerin ins Schlafzimmer und entkleideten sie vollständig. Auf Aufforderung des Angeklagten M. S. führte die Angeklagte Ma. S. einen Dildo in die Vagina der Nebenklägerin ein; der Angeklagte M. S. beobachtete dies zunächst und begann später - sexuell erregt - die Nebenklägerin an Brust und im Schambereich zu streicheln (Fall 180 der Urteilsgründe).
6
Eine Nachtragsanklage, die diese Begehungsweisen zum Gegenstand hatte, ist nicht erhoben worden.
7
c) Die auf diese Feststellungen gestützte Verurteilung der Angeklagten wegen mittäterschaftlich begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern in drei Fällen hat keinen Bestand; das Verfahren ist insoweit einzustellen. Das von der Strafkammer festgestellte Geschehen weicht so deutlich von den in der Anklageschrift geschilderten geschichtlichen Vorgängen ab, dass es sich nicht mehr als eine von der Anklage bezeichnete Tat im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO darstellt. Hierzu gilt:
8
Gegenstand der Urteilsfindung ist nur die in der Anklage bezeichnete Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO. Allerdings hat das Gericht die angeklagte Tat im verfahrensrechtlichen Sinne erschöpfend abzuurteilen; zur Tat in diesem Sinne gehört das gesamte Verhalten der Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Lebensauffassung einen einheitlichen Vorgang darstellt. In diesem Rahmen muss das Tatgericht seine Untersuchung auch auf Teile der Tat erstrecken, die erst in der Hauptverhandlung bekannt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2014 - 4 StR 153/14, juris Rn. 5; Beschlüsse vom 27. November 2011 - 3 StR 255/11, NStZ 2012, 168, 169; vom 10. November 2008 - 3 StR 433/08, NStZ-RR 2009, 146, 147). Diese Umgestaltung der Strafklage darf aber nicht dazu führen, dass die Identität der von der Anklage umfassten Tat nicht mehr gewahrt ist, weil das ihr zugrunde liegende Geschehen durch ein anderes ersetzt wird (BGH, Urteil vom 30. Oktober 2008 - 3 StR 375/08, juris Rn. 8).
9
So verhält es sich indes hier: In den Fällen 178-180 der Urteilsgründe weichen die Feststellungen der Strafkammer hinsichtlich der Modalitäten der Tatbegehung so erheblich vom Anklagevorwurf ab, dass mit ihnen andere als die angeklagten Taten beschrieben sind. Nach dem dargelegten, der Anklageerhebung zugrunde liegenden Ermittlungsergebnis war die Nebenklägerin über Jahre hinweg Opfer einer Vielzahl von gleichartigen sexuellen Übergriffen des Angeklagten M. S. , die hinsichtlich der jeweiligen Tatzeit nicht näher bestimmt werden konnten. Hinsichtlich der Tatorte nannte die Anklageschrift jeweils drei Zimmer in den beiden von den Angeklagten und der Nebenklägerin bewohnten Wohnungen, ohne die einzelnen Taten bestimmten Räumen zuordnen zu können. Lediglich die Art und Weise der Tatverwirklichung war - wenn auch in allen 218 Fällen gleichartig - konkret beschrieben. Der gegen die Angeklagte Ma. S. erhobene Vorwurf knüpfte an diese Tatschilderung an, indem die Anklageschrift ihr zur Last legte, jeweils nicht eingegriffen zu haben, um die Taten zu verhindern.
10
Diese Fassung des Anklagesatzes begegnet zwar entgegen der Auffassung der Angeklagten Ma. S. keinen durchgreifenden Bedenken, denn bei einer Vielzahl sexueller Übergriffe gegenüber Kindern, die - wie hier - erst nach Jahren angezeigt werden, ist eine Individualisierung nach Tatzeit und exaktem Geschehensablauf nicht durchgehend möglich. Dies steht einer Anklageerhebung gleichwohl nicht entgegen; die Anklageschrift erfüllt in diesen Fällen ihre Umgrenzungsfunktion, wenn sie den Verfahrensgegenstand durch den zeitlichen Rahmen der Tathandlungen, die Nennung der Höchstzahl der innerhalb dieses Rahmens begangenen Taten, das Tatopfer und die wesentlichen Grundzüge des jeweiligen Tatgeschehens bezeichnet (vgl. BGH, Urteile vom 11. Januar 1994- 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 46 f.; vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 154 f.; vom 22. Oktober 2013 - 5 StR 297/13, NStZ 2014, 49 mwN). Ist in diesen Fällen im Wesentlichen die Art und Weise der Tatbegehung konkret geschildert, kommt dieser Beschreibung indes maßgebliche Bedeutung für die Individualisierung der zum Gegenstand der Anklage und später des Eröffnungsbeschlusses gemachten Taten zu (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2011 - 3 StR 255/11, NStZ 2012, 168, 169). Weichen die in der Hauptverhandlung festgestellten Verhaltensweisen davon in wesentlichen Punkten ab, handelt es sich bei diesen nicht mehr um von der Anklage umfasste Vorwürfe.
11
Vorliegend zeichneten sich die Anklagevorwürfe dadurch aus, dass allein der Angeklagte M. S. die Nebenklägerin sexuell missbraucht und die Angeklagte Ma. S. dies teilweise bemerkt und nichts dagegen unternommen habe. Davon weicht die in den Fällen 178-180 der Urteilsgründe festgestellte gemeinsame Vorgehensweise - noch dazu im Fall 180 unter Verwendung eines in der Anklageschrift nicht erwähnten Dildos - so erheblich ab, dass sich diese Übergriffe auf die Nebenklägerin als andere prozessuale Taten darstellen , die das Landgericht nicht ohne die - hier fehlende - Erhebung einer Nachtragsanklage zum Gegenstand einer Verurteilung machen konnte.
12
2. Die Verfahrensrügen der Angeklagten bleiben - soweit es auf sie nach der teilweisen Einstellung des Verfahrens noch ankommt - aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
13
3. Die auf die erhobene Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat keine Rechtsfehler zu Ungunsten der Angeklagten ergeben. Mit Blick auf die vorgenommene Teileinstellung des Verfahrens gilt Folgendes:
14
a) Der dadurch bedingte Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen 178-180 der Urteilsgründe lässt den Strafausspruch gegen den Angeklagten M. S. im Übrigen unberührt. Die erste verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wird davon ohnehin nicht betroffen, weil diese ohne Einbeziehung dieser Einzelstrafen gebildet worden ist. Angesichts der nach der Teileinstellung verbleibenden Einzelstrafen von 51 mal zwei Jahren und 54 mal drei Jahren und neun Monaten schließt der Senat aber auch aus, dass das Landgericht ohne die drei weggefallenen Strafen auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe als fünf Jahre erkannt hätte; dies gilt auch eingedenk des Umstands , dass die Einsatzstrafe von vier Jahren und zwei Monaten im Fall 180 der Urteilsgründe verhängt worden ist.
15
Allerdings war der Tenor des Urteils entsprechend der Anregung des Generalbundesanwalts so neu zu fassen, dass sich schon aus ihm und nicht erst aus den Gründen ergibt, wegen welcher Taten der Angeklagte zu welcher Gesamtstrafe verurteilt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 2015 - 1 StR 305/15, NStZ-RR 2015, 305).
16
b) Bei der Angeklagten Ma. S. bedingt der Wegfall der in den Fällen 178-180 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen von zweimal zwei Jahren und zwei Monaten und einmal zwei Jahren und neun Monaten mit Blick auf die verbleibenden Einzelstrafen von dreimal sechs Monaten hingegen den Wegfall der Gesamtfreiheitsstrafe; diese muss neu zugemessen werden. Die dazu getroffenen Feststellungen werden von dem Rechtsfehler jedoch nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (s. § 353 Abs. 2 StPO).
Becker Gericke Tiemann Berg Hoch
4
a) Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die 23 abgeurteilten Fälle des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Nebenklägers S. waren von der zugelassenen Anklage nicht umfasst. Gemäß § 264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung "die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt." Gegenstand der zugelassenen Anklage sind u.a. 192 Taten in der oben (Ziffer 1.) näher beschriebenen Ausführung in der Zeit vom 5. Dezember 1995 bis zum 4. Dezember 1999. Auf diese Taten erstreckte sich die Kognitionspflicht des Gerichts. Die abgeurteilten Straftaten betreffen mit dem 3. November 1998 bis zum 4. Dezember 2000 einen – zumindest teilweise (dazu anschließend b) – anderen Zeitraum. Zwar braucht eine Veränderung oder Erweiterung des Tatzeitraums die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht aufzuheben (vgl. BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 8), wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist (vgl. BGHSt 46, 130; BGH, Urteil vom 28. Mai 2002 – 5 StR 55/02; BGHR StPO, § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 19). Bei gleichartigen, nicht durch andere individuelle Tatmerkmale als die Tatzeit unterscheidbaren Serientaten heben dagegen Veränderungen und Erweiterungen des Tatzeitraumes die Identität zwischen angeklagten und abgeurteilten Taten auf.
5 StR 55/02

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 28. Mai 2002
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
28. Mai 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt ,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin M
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin L
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 7. August 2001 wird verworfen. Er trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das genannte Urteil aufgehoben, soweit das Verfahren hinsichtlich der Fälle 52, 53 der Anklage eingestellt worden ist.
3. Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat die Strafkammer das Verfahren hinsichtlich der Anklagepunkte 52 und 53 durch Prozeßurteil eingestellt und den Angeklagten im übrigen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung hat der Angeklagte im vollen Umfang Revision eingelegt. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin wenden sich mit ihren Revisionen gegen die Mehrzahl der Freisprüche und die vom Tatgericht vorgenommene Teileinstellung.
Die Revision des Angeklagten zeigt keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler auf. Demgegenüber haben die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin zum Teil Erfolg.
1. Zu Unrecht ist das Landgericht davon ausgegangen, daß einer Sachentscheidung hinsichtlich der Fälle 52, 53 der Anklage ein Verfahrenshindernis entgegenstehe.
Mit der ± unverändert zugelassenen ± Anklage ist dem Angeklagten vorgeworfen worden, in der Zeit von 1993/1994 bis zum 14. September 1997 die am 15. September 1984 geborene Nebenklägerin im Genitalbereich gestreichelt und mit ihr vaginal verkehrt zu haben (Fälle 1 ± 51). Darüber hinaus ist ihm zur Last gelegt worden, die Nebenklägerin im genannten Zeitraum gezwungen zu haben, den ± in der Anklageschrift näher beschriebenen ± Oralverkehr an ihm durchzuführen (Fälle 52, 53). Wegen weiterer sexueller Handlungen zum Nachteil der Nebenklägerin in den Jahren 1992 ± 1999 hatte die Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1 StPO von der Verfolgung abgesehen.
Hinsichtlich der durch das Prozeûurteil eingestellten Fälle ist das Landgericht der Ansicht, daû es insoweit an einer wirksamen Anklage fehle. Als Tatzeitraum sei in der Anklageschrift 1993/94 bis 14. September 1997 angegeben. Hierzu in der Hauptverhandlung befragt, habe die Geschädigte letztlich nicht sicher ausschlieûen können, daû diese Taten möglicherweise erst später stattgefunden hätten. Hinzu komme, daû die Staatsanwaltschaft wegen weiterer Taten nach § 154 Abs. 1 StPO von der Verfolgung abgesehen habe.
Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach § 264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung „die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt”. Tat im Sinne dieser Vorschrift ist das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt (Kleinknecht/MeyerGoûner , StPO 45. Aufl. § 264 Rdn. 2 m. w. N.). Verändert sich im Laufe eines Verfahrens das Bild eines Geschehens, auf das die Anklage hinweist, so ist entscheidend, ob die „Nämlichkeit der Tat” trotz dieser Abweichung noch gewahrt ist. Dies ist der Fall, wenn ± ungeachtet gewisser Differenzen ± bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen kennzeichnen (vgl. BGH NJW 1999, 802, insoweit in BGHSt 44, 256 nicht abgedruckt; BGH NStZ-RR 1998, 304).
So verhält es sich hier. Zwar mag bei dem sexuellen Miûbrauch von Kindern im häuslich-familiären Bereich nicht selten die zeitliche Einordnung des Geschehens für die Feststellung einzelner Taten von besonderer Bedeutung sein, da die Mehrzahl der Übergriffe einem bestimmten, gleichförmigen Handlungsmuster folgen (vgl. BGHSt 46, 130, 133; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 19, 22). Im vorliegenden Fall besteht indes kein Zweifel, daû trotz der nicht näher bestimmbaren Tatzeit die in der Anklage unter Nr. 52 sowie Nr. 53 wiedergegebenen Vorgänge den im Urteil festgestellten entsprechen. Denn nach den ± rechtsfehlerfrei als glaubhaft erachteten ± Schilderungen der Nebenklägerin ist es vom Beginn der Tathandlungen an insgesamt ¹lediglichº zweimal zum Oralverkehr gekommen (UA S. 19). Vor allem aber hat die Strafkammer weitere die beiden Taten eindeutig kennzeichnende und der Anklage entsprechende Details festgestellt (vgl. im einzelnen UA S. 19 f.).
Nach alledem ist der Umstand, daû die beiden Handlungen möglicherweise erst nach dem Ende des in der Anklage bezeichneten Zeitraums begangen worden sein könnten (UA S. 74; anders allerdings UA S. 20), für die ¹Nämlichkeit der Tatenº ohne Belang. Da die festgestellten Handlungen den ¹in der Anklage bezeichneten Tatenº entsprechen (vgl. § 264 StPO), konnte auch die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Verfahrensbeschränkung gemäû § 154 Abs. 1 StPO insoweit keine Wirkung entfalten, da sie sich nur auf weitere (nicht angeklagte) Taten bezog.
2. Die weitergehenden Revisionen haben dagegen keinen Erfolg.

a) Die von der Nebenklägerin erhobene Verfahrensrüge, die Einholung eines weiteren aussagepsychologischen Gutachtens sei zu Unrecht abgelehnt worden, entspricht schon nicht den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, da der Inhalt des schriftlichen Gutachtens der gehörten Sachverständigen nicht mitgeteilt wird (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 362; Kleinknecht /Meyer-Goûner aaO § 244 Rdn. 85). Im übrigen ist die Rüge auch unbegründet, da die Strafkammer den Antrag rechtsfehlerfrei unter Hinweis auf ihre eigene Sachkunde abgelehnt hat (vgl. § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO).

b) Auch die sachlichrechtliche Überprüfung gibt keinen Anlaû zu durchgreifenden Bedenken. Dies gilt letztlich auch soweit die Staatsanwaltschaft beanstandet, daû das Landgericht trotz der auf eine gröûere Anzahl sexueller Übergriffe hinweisenden Angaben der Nebenklägerin nur in sechs Fällen zu einer Verurteilung gelangt ist.
Zwar ist die Ermittlung des Mindestschuldumfangs unter bestimmten Voraussetzungen im Wege der Schätzung auf tragfähiger Grundlage möglich (vgl. zusammenfassend BGH NJW 2002, 1508, 1510 m. w. N.). Dies hat der Bundesgerichtshof auch für Taten, die sich ± wie hier ± gegen höchstpersönliche Rechtsgüter richten, bereits entschieden (vgl. BGHR StGB § 176 Serienstraftaten 8). Vor diesem Hintergrund wäre im vorliegenden Fall eine andere Bewertung nicht undenkbar gewesen. Gleichwohl ist die vom Landgericht vorgenommene Würdigung vom Revisionsgericht noch hinzunehmen. Die Strafkammer hat umfassend begründet, warum sie sich hinsichtlich weiterer Tatvorwürfe die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung im Sinne des § 261 StPO nicht hat verschaffen können (UA S. 57, 71 f.). Soweit das Tatgericht in Übereinstimmung mit der Sachverständigen auf den lang zurückliegenden Tatzeitraum hinweist, ferner auf die in diesem Zusammenhang beschränkte Erinnerungsfähigkeit der Nebenklägerin ± dies gerade auch vor dem Hintergrund, daû diese gegenüber Dritten zur Anzahl der Taten unterschiedliche Angaben gemacht hat ± läût die Beweiswürdigung keinen Rechtsfehler erkennen.
3. Für den Fall einer Verurteilung in den Anklagepunkten 52 und 53 wird der neue Tatrichter eine neue Gesamtstrafe mit den rechtskräftigen Einzelstrafen gemäû §§ 54, 55 StGB zu bilden haben.
Harms Basdorf Gerhardt Raum Brause

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 454/15
vom
11. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:110216U3STR454.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Februar 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Mayer, Gericke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 3. Juli 2015 wird mit den Feststellungen aufgehoben,
a) auf die Revision der Nebenklägerin, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist;
b) auf die Revision der Staatsanwaltschaft, soweit der Angeklagte hinsichtlich der Taten 4. und 5. der Anklageschrift freigesprochen worden ist sowie im Rechtsfolgenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin , an eine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Mit Urteil vom 21. Februar 2014 hatte das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und des sexuellen Missbrauchs von Kindern freigesprochen. Auf die Revision der Nebenklägerin hat der Bundesgerichtshof dieses Urteil am 27. November 2014 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und sexuellen Missbrauchs von Kindern zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Vom Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei weiteren Fällen hat es den Angeklagten erneut freigesprochen.
2
1. Die Revision des Angeklagten
3
Der Angeklagte wendet sich mit der auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die verfahrensrechtliche Beanstandung ist nicht näher ausgeführt und schon deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der Sachrüge bleibt das Rechtsmittel aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgeführten Gründen ebenfalls erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
4
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft
5
Dagegen hat die wirksam auf den Freispruch in den Fällen 4. und 5. der Anklage und den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg.
6
a) Die Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft erweist sich allerdings ebenfalls, da unausgeführt, als unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Zulässig ist das Rechtsmittel hingegen, soweit es sich mit materiell-rechtlichen Beanstandungen gegen den Teilfreispruch in den Fällen 4. und 5. der Anklage sowie die Strafzumessung wendet.
7
b) Die Revision der Staatsanwaltschaft dringt mit der Sachrüge durch.
8
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte die Nebenklägerin nach den beiden Taten, wegen derer es ihn verurteilt hat, in weiteren Fällen sexuell missbrauchte, wobei es auch zu Oral-, Anal- und Vaginalverkehr kam. Dennoch hat es den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs in drei weiteren Fällen - u.a. den Fällen 4. und 5. der Anklage - freigesprochen, weil die von der Zeugin in der Hauptverhandlung geschilderten Missbrauchshandlungen den angeklagten Taten nicht zugeordnet werden könnten.
9
Die Voraussetzungen für einen Teilfreispruch waren indes nicht gegeben. Denn die Nebenklägerin, deren Angaben das Landgericht insgesamt für glaubhaft befunden hat, hat ausweislich der Urteilsgründe über Missbrauchstaten berichtet, die von den Anklagevorwürfen 4. und 5. umfasst sind.
10
aa) Als Tat 4. legt die Anklage dem Angeklagten zur Last, er habe drei bis vier Wochen nach dem ersten angeklagten Vorfall die Nebenklägerin, die in seiner Wohnung übernachtet habe, am ganzen Körper berührt, dann einen Finger in ihre Scheide eingeführt und schließlich mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr ausgeübt.
11
Die Nebenklägerin hat in der Hauptverhandlung ausgesagt, dass es mehrfach zu vaginalem Geschlechtsverkehr gekommen sei. Der erste vaginale Geschlechtsverkehr habe in der Wohnung des Angeklagten stattgefunden. Es habe weh getan und sie habe danach geblutet.
12
Nach Auffassung des Landgerichts ist die Tatschilderung der Zeugin von der Anklage nicht umfasst. Bei der angeklagten Tat solle es sich um den ersten vaginalen Geschlechtsverkehr gehandelt haben. Da die Zeugin diesen aber zeitlich vor dem als Tat 3. vorgeworfenen Vorfall eingeordnet habe, passe ihre Darstellung nicht mit der angeklagten Tat zusammen. Auch habe sie ein zentrales Geschehen wie das Eindringen mit dem Finger dieser Tat nicht mehr zuordnen können.
13
Indes ergibt sich aus der Anklageschrift nicht, dass die dort geschilderte Tat 4. der erste vaginale Geschlechtsverkehr gewesen sei, weshalb sich die an diesen Umstand anknüpfende Beweiswürdigung des Landgerichts nicht als tragfähig erweist. Auch hat das Landgericht verkannt, dass eine Veränderung des Tatzeitpunkts die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht ohne Weiteres aufhebt. Eine solche Identität kann vielmehr trotz veränderter zeitlicher Einordnung bestehen bleiben, wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 17. August 2000 - 4 StR 245/00, BGHSt 46, 130, 133; vom 20. November 2014 - 4 StR 153/14, StraFo 2015, 68; Beschluss vom 13. März 1996 - 3 StR 43/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 19).
14
bb) Als Fall 5. wirft die Anklage dem Angeklagten einen letzten sexuellen Übergriff auf die Nebenklägerin im Oktober 2010 vor. Diesmal habe er die Zeugin , die ihn besucht habe, in seiner Wohnung entkleidet und mit ihr auf dem Bett "Geschlechts- und Analverkehr" ausgeübt, wobei er auf das Bettlaken ejakuliert habe.
15
Auch insoweit hat sich das Landgericht nicht in der Lage gesehen festzustellen , dass es zu diesen Taten in den "angeklagten Situationen und zu den angeklagten Zeiten" gekommen sei, so dass eine Zuordnung der Schilderungen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung zum angeklagten Sachverhalt nicht möglich gewesen sei. Zwar habe die Zeugin hinsichtlich dieser Tat durchaus noch Einzelheiten in Erinnerung, doch könne sie diese nicht konkret dem letzten Vorfall zuordnen. Insbesondere werde anders als in der Anklage ein Analverkehr bei dieser letzten Tat nicht behauptet.
16
Auch insoweit ist der Auffassung der Strafkammer, die Schilderung der Zeugin weiche so massiv vom Anklagevorwurf ab, dass dieser nicht bestätigt werde, nicht zu folgen. Die Zeugin hat ausweislich der Urteilsgründe in der Hauptverhandlung von einem "letzten" Vorfall berichtet, den sie zeitlich einordnen konnte und der hinsichtlich des Tatorts und des behaupteten Vaginalverkehrs mit dem ihm unter Ziff. 5. der Anklage angelasteten Geschehen übereinstimmt. Dass die Nebenklägerin, die eine Vielzahl von sexuellen Übergriffen behauptet hat, bestimmte Einzelheiten nicht konkret diesem letzten Vorfall zuordnen und sich auch an den offensichtlich in früheren Vernehmungen erwähnten Analverkehr nicht mehr erinnern konnte, verändert die individualisierenden Tatmodalitäten des angeklagten Geschehens nicht in einem Maße, dass die von der Nebenklägerin geschilderte Tat, die sie eindeutig als letzten Vorfall bezeichnet hat, mit der angeklagten Tat nicht mehr identisch sein kann.
17
cc) Die hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft führt im Ergebnis bereits deshalb zur Aufhebung des Strafausspruchs, weil dem zur neuen Ent- scheidung berufenen Tatrichter eine insgesamt stimmige Strafzumessung zu ermöglichen ist. Denn die Gesamtzahl der zum Nachteil der Nebenklägerin begangenen Straftaten kann für den Unrechtsgehalt der Einzeltaten von Bedeutung und deshalb im Fall einer Verurteilung wegen weiterer Missbrauchstaten ein bestimmender Strafzumessungsgrund sein. Auf die mit der zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision erhobenen Einzelbeanstandungen kommt es deshalb nicht an.
18
3. Die Revision der Nebenklägerin
19
a) Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Nebenklägerin, mit der diese sich gegen den gesamten Teilfreispruch wendet, ist hinsichtlich der Fälle 4. und 5. der Anklage aus den dargelegten Gründen (oben 2. b)) begründet.
20
b) Darüber hinaus hat sie auch hinsichtlich des Freispruchs im Fall 3. der Anklage Erfolg.
21
In diesem Fall wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor, bei einer "weiteren Gelegenheit" die auf der orangefarbenen Ausziehcouch in ihrem Zimmer liegende Nebenklägerin an Brust und Bauch gestreichelt zu haben. Anschließend habe diese bei ihm den Oralverkehr ausgeübt.
22
Hierzu hat die Zeugin in der Hauptverhandlung ausgesagt, sich zu erinnern , dass der Angeklagte mit ihr auf ihrer Bettcouch vaginalen Geschlechtsverkehr gehabt habe. Zu Oralverkehr sei es auf der orangefarbenen Couch ihrer Erinnerung nach nicht gekommen.
23
Ob, wie die Strafkammer meint, das von der Zeugin in der Hauptverhandlung berichtete Tatgeschehen nicht angeklagt war, kann dahinstehen, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts ist - eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs - rechtsfehlerhaft. Den diesbe- züglichen Ausführungen ist zu entnehmen, dass die Geschädigte "die Tat wie angeklagt" anderen Zeugen gegenüber geschildert hat. Die Annahme der Strafkammer, dass dennoch keine Beweismittel für die angeklagte Tat zur Verfügung stünden, weil entscheidend allein die Erinnerung der Zeugin in der Hauptverhandlung sei, ist rechtsfehlerhaft. Der Tatrichter ist nach § 261 StPO verpflichtet, die erhobenen Beweise zu würdigen und zu prüfen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht. Eine Bindung an Beweisregeln besteht nicht (BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20; vom 13. Februar 1998 - 3 StR 448/97, NStZ-RR 1998, 267; vom 4. September 2014 - 1 StR 341/14, NStZ 2015, 98-101; Urteil vom 9. April 2015 - 4 StR 401/14, NStZ 2015, 464, 465). Das hat die Strafkammer vorliegend verkannt und damit die Prüfung versäumt, ob sie sich - auch ohne dass die Zeugin in der Hauptverhandlung die Tat wie angeklagt geschildert hat - aufgrund der erwähnten Zeugenaussagen die Überzeugung verschaffen konnte, dass der Angeklagte die ihm angelastete Tat begangen hat.
Schäfer Mayer Gericke Spaniol Tiemann

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 153/14
vom
20. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. November
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt aus Waldshut-Tiengen
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 28. November 2013 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 1. wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert , dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Es hat bestimmt, dass von der Gesamtfreiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung fünf Monate als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten mit näheren Ausführungen zum materiellen Recht. Das Rechtsmittel führt zur Einstellung des Verfahrens, soweit der Angeklagte im Fall II. 1. wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist und zu einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Hinsichtlich der unter II. 1. der Urteilsgründe abgeurteilten Straftat fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung der Anklageerhebung. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 17. November 2010 wurde dem Angeklagten vorgeworfen, in der Zeit vom 1. Juli 2009 bis zum 30. April 2010 seine am 15. Januar 2003 geborene Stieftochter H. in der Familienwohnung mindestens einmal pro Monat, insgesamt also mindestens zehn Mal, über der Kleidung am Geschlechtsteil angefasst zu haben (Ziffern 2 bis 11 der Anklage).
3
Gegenstand der Verurteilung durch das Landgericht ist eine diesem Tatbild entsprechende Tat im Mai oder Juni 2010. Das Landgericht hat in der Hauptverhandlung „9 der 10 FälleZiffern 2 bis 11 der Anklage gemäß § 154 StPO eingestellt" und den rechtlichen Hinweis erteilt, „dassbei einer Tat der Anklagepunkte 2 bis 11 eine Tatzeit im Mai 2010 in Betracht kommt“.
4
a) Der abgeurteilte Fall des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der Nebenklägerin war von der zugelassenen Anklage nicht umfasst.
5
Gemäß § 264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Gegenstand der zugelassenen Anklage sind u.a. zehn Taten in der oben näher beschriebenen Ausführung in der Zeit vom 1. Juli 2009 bis zum 30. April 2010. Auf diese Taten erstreckte sich die Kognitionspflicht des Gerichts. Die abgeurteilte Straftat betrifft einen anderen Zeitraum. Zwar braucht eine Veränderung oder Erweiterung des Tatzeitraums die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht aufzuheben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 1994 – 3 StR 457/93, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 8), wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2013 – 2 StR 311/13 Rn. 4; Urteil vom 17. August 2000 – 4 StR 245/00, BGHSt 46, 130, 133; Beschluss vom 13. März 1996 – 3 StR 43/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 19). Bei gleichartigen, nicht durch andere individuelle Tatmerkmale als die Tatzeit unterscheidbaren Serientaten heben dagegen Veränderungen und Erweiterungen des Tatzeitraumes die Identität zwischen angeklagten und abgeurteilten Taten auf.
6
So verhält es sich im abgeurteilten Fall II. 1. der Urteilsgründe. Die angeklagten Taten sind durch eine jeweils gleichförmige Tatausführung an einem jeweils identischen Tatort gekennzeichnet und nicht auf andere Weise unabhängig von der Tatzeit nach individuellen Merkmalen unverwechselbar charakterisiert. Insofern kommt dem in der Anklageschrift genannten Tatzeitraum eine wesentliche, die Kognitionspflicht des Gerichts im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO bestimmende und vor allem begrenzende Funktion zu.
7
b) Da eine Nachtragsanklage nicht erhoben ist, muss das Verfahren im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen des von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernisses fehlender Anklage eingestellt werden. Die Einstellung des Verfahrens bedingt eine entsprechende Änderung des Schuldspruchs.
8
2. Die Verurteilung wegen tateinheitlicher fahrlässiger Körperverletzung im Fall II. 3. der Urteilsgründe ist zu Recht erfolgt. Eine Verfahrensrüge ist nicht erhoben. Jedenfalls ist die fahrlässige Körperverletzung zum Nachteil von G. wieder in das Verfahren einbezogen worden, wie sich aus dem Vermerk des Vorsitzenden vom 27. Mai 2014 ergibt.
9
3. Hinsichtlich einer fahrlässigen Körperverletzung zum Nachteil von H. ist das Landgericht entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts seiner Kognitionspflicht nachgekommen. Es hat ausdrücklich festgestellt , dass der Angeklagte bei H. keine Verletzungen verursacht hat (UA 9).

II.


10
1. Eine etwa erhobene Aufklärungsrüge entspricht nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO:
11
Nach Ansicht des Revisionsführers hätte „dringender Anlass“ bestanden, durch einen Sachverständigen feststellen zu lassen, inwieweit der Angeklagte für die vorgeworfenen Taten strafrechtlich verantwortlich im Sinne der §§ 20 und 21 StGB sei. Das Gericht habe die evidenten Persönlichkeitsdefizite des Angeklagten nicht zum Anlass genommen, genauer zu hinterfragen, inwieweit er noch in der Lage gewesen sei, das Unrecht seines Handelns zu verstehen und dagegen anzusteuern.
12
Selbst wenn dem das zu erwartende Beweisergebnis einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit noch entnommen werden kann (vgl. Sander/ Cirener, NStZ-RR 2008, 4 f.; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 51 jeweils mwN), ist dieses jedenfalls nicht bestimmt behauptet (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2003 – 4 StR 264/02, NStZ 2004, 112).
13
2. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufgezeigt.
14
Das Landgericht hat eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit mit tragfähigen Erwägungen zum Ausmaß der alkoholischen Beeinflussung bei den Taten verneint. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt musste es nicht erörtern, weil aufgrund der Feststellungen zur Persönlichkeit des Angeklagten sicher ausgeschlossen werden kann, dass beim Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolgs besteht (vgl. hierzu BVerfG, StV 1994, 594).
15
Die Beanstandungen, mit denen sich die Revision gegen die Strafzumessung wendet, sind offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Revisionsrechtlich unbedenklich ist auch, dass das Landgericht dem Angeklagten die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung versagt hat. Die gemäß § 56 Abs. 1 StGB getroffene negative Prognoseentscheidung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand. Dass es hierbei den Zeitablauf seit den Taten aus dem Blick verloren haben könnte, ist angesichts der ausdrücklichen Berücksichtigung dieses Umstands bei der Strafzumessung und der Erörterung der Alkoholtherapie im Jahre 2011 bei der Prognoseentscheidung auszuschließen.

III.


16
Die Gesamtfreiheitsstrafe bleibt trotz Einstellung des Tatvorwurfs zu II. 1. der Urteilsgründe bestehen. Angesichts der Einsatzstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie der verbleibenden Einzelstrafen kann der Senat ausschließen , dass der Tatrichter ohne die wegen der Verfahrenseinstellung im Fall II. 1. der Urteilsgründe entfallende Einzelstrafe von zehn Monaten eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.
17
Im Hinblick auf den nur geringen Teilerfolg der Revision ist es nicht unbillig , den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender