Bundesgerichtshof Urteil, 14. Jan. 2016 - 4 StR 361/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Januar 2016, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Dr. Mutzbauer als beisitzende Richter, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter des Nebenklägers, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen den Freispruch vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung zu seinem Nachteil (Tatvorwurf unter Ziffer 6 der Anklageschrift) wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
- 2
- Zu dem den Nebenkläger betreffenden Tatvorwurf hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen: Am 16. August 2014 befand sich der Angeklagte auf dem A. Weinfest in G. . Gegen 02.30 Uhr schlug er dem Nebenkläger J. T. in Höhe eines Weinguts, wo sich zu dieser Zeit eine größere Ansammlung von Menschen aufhielt, mit voller Wucht mit der Faust gegen die rechte Schläfe, so dass der Nebenkläger zu Boden ging und mit dem Kopf auf den Asphalt aufschlug. Neben äußerlich erkennbaren Verletzungen erlitt der Nebenkläger ein Schädel-Hirntrauma mit Gehirnblutung und eine Schädelfraktur. Das Landgericht konnte nicht ausschließen, dass der Nebenkläger seinerseits die Hand zum Schlag gegen den Angeklagten erhoben hatte und der Angeklagte zur Abwehr dieses unmittelbar drohenden Schlages zuschlug.
II.
- 3
- Der Freispruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
- 4
- Die revisionsrechtliche Prüfung der Beweiswürdigung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14, NStZ-RR 2015, 83, 85; vom 11. September 2007 – 5 StR 213/07, wistra 2008, 22, 24 jeweils mwN). Rechtsfehlerhaft ist es regelmäßig auch, wenn sich der Tatrichter bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen.
- 5
- Allerdings können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt vielmehr von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es jedoch in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (BGH, Urteile vom 10. November 2015 – 1 StR 235/15, Rn. 39; vom 6. September 2006 – 5 StR 156/06, wistra 2007, 18, 19 und vom 22. August 2002 – 5 StR 240/02, wistra 2002, 430 jeweils mwN).
- 6
- Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die Beweiswürdigung zu der zu Gunsten des Angeklagten angenommenen Notwehrlage im Falle des angefochtenen Teilfreispruchs insgesamt als lückenhaft, weil sie sich mit den maßgeblichen Zeugenaussagen nicht zureichend auseinandersetzt und darüber hinaus eine zusammenfassende Würdigung aller beweisrelevanten Umstände vermissen lässt.
- 7
- 1. Bei der Würdigung der Zeugenaussagen verkennt die Strafkammer (UA 24), dass die Aussagen der für glaubwürdig befundenen Zeuginnen I. und D. M. im Grundsatz übereinstimmen, dass nämlich der Angeklagte angerannt gekommen sei und – nach der Aussage der Zeugin I. , was die Zeugin M. wegen einer Ablenkung nicht mehr sah – den Nebenkläger mit der Faust gegen die Schläfe geschlagen habe.
- 8
- 2. Ferner begegnet die Würdigung der Aussage des Zeugen S. durchgreifenden Bedenken. Bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen S. lässt die Strafkammer einen gewichtigen Gesichtspunkt außer Acht: Sowohl der Zeuge S. als auch der Zeuge K. – so ihre Angaben – befanden sich, als sie ihre Beobachtungen machten, außerhalb der Menschenansammlung, die den Angeklagten und den Nebenkläger umgab. Während der Zeuge K. angab, er habe wegen der Menschenmenge die Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger nicht mehr beobachten können, gab der Zeuge S. an, „von weitem“ bzw. „aus der Ferne“ gesehen zu haben, dass der später Geschädigte zuerst die Hand ge- hoben habe, der Angeklagte dann eine Ausweichbewegung gemacht und zurückgeschlagen habe. Wie sich diese Aussagen – beides Beobachtungen von außerhalb der Menschenmenge – miteinander vereinbaren lassen, erschließt sich aus dem Urteil nicht.
- 9
- 3. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung wäre auch das von der Zeugin I. bekundete auffällige Verhalten des Angeklagten auf dem Weinfest vor der Tat im Zusammenhang mit der bei ihm festgestellten paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie und den damit einhergehenden Affektstörungen und starker Erregung zu bedenken gewesen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist beim Angeklagten ein hoher Angstpegel, eine Gespanntheit sowie Feindseligkeit und Verworrenheit (UA 13) feststellbar. Aufgrund der Schilderung der ZeuginI. zu dem auffälligen Verhalten des Angeklagten, der das Landgericht gefolgt ist, lag nahe, dass die Affektstörung und mangelnde Impulskontrolle nicht nur am 6. August 2014 vorlag, sondern auch am 16. August 2014 unverändert fortbestand. Es hätte auch in Betracht gezogen werden müssen, dass sich aus der Art und Weise früherer Straftaten Hinweise für die Beurteilung des vorliegenden Tatgeschehens ergeben könnten. Der Angeklagte ist seit 2006 fünfmal strafrechtlich in Erscheinung getreten, in allen Fällen wegen vorsätzlicher oder gefährlicher Körperverletzung. Diese Straftaten zeugen davon, dass der Angeklagte auch ohne jeden Anlass gewalttätig werden kann. Schon der Verurteilung vom 16. Juni 2008 lag zugrunde, dass er dem einen Geschädigten ohne Grund eine Kopfnuss gab und ihn dann trat, den anderen Geschädigten schlug er ohne Grund mit der Faust ins Gesicht. Auch der Verurteilung vom 30. August 2011 lag eine Tat zugrunde, die aus einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren Situation entstanden ist. Daraus wird deutlich, dass dem Angeklagten ein Verhalten, wie es ihm hier zur Last gelegt wird, jedenfalls nicht fremd ist. Zu bedenken wäre in diesem Zusammenhang auch das Verhalten des Angeklagten nach der Tat: er stieß die Zeugin I. , die sich über den be- wusstlosen Nebenkläger kniete, leicht an und forderte sie auf, „sich zu verpissen und rauszuhalten“. Als die Zeugin entgegnete, dass er gerade versuche, sich mit der Richtigen anzulegen, entfernte sich der Angeklagte und tauchte unter. Auch dieses Verhalten könnte dafür sprechen, dass keine Notwehrlage vorgelegen hatte, sondern der Angeklagte Streit suchte.
- 10
- 4. Die Aufhebung des freisprechenden Teils des Urteils zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe und der Nichtanordnung der Maßregel nach sich. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der neue Tatrichter, falls er erneut eine rechtswidrige Tat zum Nachteil des Nebenklägers verneinen sollte, weder die Gesamtstrafe für den nicht angefochtenen Teil des Urteils erhöhen noch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen darf. Eine Unterbringungsanordnung nach § 63 StGB käme nur dann in Betracht, wenn deren Voraussetzungen auch in Bezug auf die Tat zum Nachteil des Nebenklägers vorlägen.
Franke Mutzbauer
moreResultsText
Annotations
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.