Bundesgerichtshof Urteil, 11. Sept. 2019 - 2 StR 563/18

bei uns veröffentlicht am11.09.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 563/18
vom
11. September 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen unterlassener Hilfeleistung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:110919U2STR563.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 22. Mai 2019 in der Sitzung am 11. September 2019, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Meyberg, Dr. Grube, Schmidt,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung und bei der Verkündung - als Verteidiger für den Angeklagten A. , Rechtsanwältin - in der Verhandlung und bei der Verkündung - als Verteidigerin für den Angeklagten S. H. , Rechtsanwältin - in der Verhandlung und bei der Verkündung - als Verteidigerin für den Angeklagten K. H. ,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger für den Angeklagten As. , Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger für den Angeklagten Z. ,
Amtsinspektorin in der Verhandlung, Amtsinspektorin bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hanau vom 9. Mai 2018 werden verworfen. 2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Revisionsverfahrens und die hierdurch den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat alle Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt, den Angeklagten K. H. zusätzlich wegen eines tateinheitlich begangenen Diebstahls. Die Angeklagten K. und S. H. wurden (jeweils unter Einbeziehung von Vorverurteilungen) zu Einheitsjugendstrafen von zwei Jahren und neun Monaten bzw. einem Jahr und zehn Monaten, letztere zur Bewährung ausgesetzt, verurteilt. Gegen den Angeklagten A. hat es einen Dauerarrest verhängt, die Angeklagten Z. und As. hat es verwarnt und ihnen Auflagen erteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft bleiben ohne Erfolg.

I.

2
1. Am 27. April 2016 begaben sich die Angeklagten K. H. und A. spontan in die Wohnung des Onkels des Angeklagten H. . Dort saß dieser, der Zeuge B. , zusammen mit dem Zeugen D. zusammen und trank Bier. Die Angeklagten begaben sich direkt in das Schlafzimmer und riefen von dort den erheblich angetrunkenen Zeugen B. herbei. Sie boten ihm an, einen von dem Angeklagten A. hergestellten Joint mit Spice zu rauchen. Dieser enthielt den Wirkstoff 5F-ADB, ein synthetisches Cannabinoid, der um Vieles wirksamer ist als normales THC. In Verbindung mit Alkohol verstärken sich dessen Wirkungen, was zum Tatzeitpunkt weder in der Wissenschaft und erst recht nicht in der Öffentlichkeit bekannt war. Innerhalb von ca. zwei Minuten nahm der Zeuge drei bis vier Züge, wobei er bereits nach der ersten Inhalation stark husten musste. Nach dem letzten Zug nahmen die Angeklagten den Joint wieder an sich und verließen rasch die Wohnung. Der Zeuge B. fühlte sich zunehmend schlechter, schaffte es aber noch, ins Wohnzimmer zum Zeugen D. zurückzugehen. Dort brach er auf dem Sofa zusammen. Er litt an Hustenanfällen, starker Luftnot und Schwindel, zudem wurde ihm nach kurzer Zeit schwarz vor Augen. Der Zeuge D. sah, dassB. verdrehte Augen und Schaum vor dem Mund sowie eine nach hinten gerollte Zunge hatte. D. zog instinktiv die Zunge aus dem Rachen, woraufhin sich B. stark erbrach. D. holte die Schwester des Zeugen B. , eine Krankenschwester, aus der Nebenwohnung herbei, die den schlechten Zustand ihres Bruders erkannte und ihm einen Finger in den Hals steckte, woraufhin er erneut erbrach. Nach Versorgung mit nassen Tüchern war B. nach ca. 15 bis 20 Minuten wieder ansprechbar, aber eine halbe Stunde noch wie „benebelt“. Von diesen Vorgängen hatten die Angeklagten keine Kenntnis. Ihnen war nicht bewusst, welche negativen gesundheitlichen Folgen der Kon- sum des von dem Angeklagten A. hergestellten Joints mit demWirkstoff 5F-ADB haben kann.
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2. Am Abend des gleichen Tages trafen sich alle Angeklagten in der Wohnung von A. , um dort zu „chillen“. Alkohol wurde nicht getrunken. Als ihnen langweilig wurde, verließen sie die Wohnung und liefen, jeweils mit Mobiltelefonen ausgerüstet, in G. umher. Zwischen 0.00 und 0.30 Uhr befanden sie sich auf dem Gelände der Kreisrealschule und trafen dort zufällig auf den Geschädigten M. , der allen Beteiligten, bis auf den Angeklagten As. , bekannt war. Alle Angeklagten erkannten, dass M. , der eine Blutalkoholkonzentration von 2,26 Promille hatte, erheblich alkoholisiert war. Er lief taumelnd , seine Aussprache war beeinträchtigt, er lispelte und lallte. S. H. fragte ihn noch, ob „alles gut“ sei, was dieser bejahte. In der Folge stand M. mit den Angeklagten K. und S. H. und A. zusammen, während die Angeklagten Z. und As. sich ein bis zwei Meter davon entfernt aufhielten. S. H. und M. rauchten zunächst eine Zigarette. Der Angeklagte K. H. holte nun einen Joint mit Spice hervor, der wieder vom Angeklagten A. hergestellt war und den Wirkstoff 5F-ADB enthielt, und rauchte nach dem Anzünden einige Züge hiervon. Auch S. H. nahm zwei bis drei Züge und reichte den Joint seinem Bruder zurück, der nochmals mehrfach daran zog. Der Geschädigte M. fragte, ob er den Joint auch einmalhaben könne. Die Angeklagten K. und S. H. folgten dieser Bitte nicht. Sie hatten zwar keine Kenntnis von gesundheitlich negativen Folgen des Joints, wussten aber, dass es – wie ihnen A. gesagt hatte – „starkes Zeug“ war. M. rief „Kindergarten“ in Richtung der Angeklagten, nahm dem Angeklagten K. H. eigenmächtig den Joint aus der Hand und rauchte einen Zug. Danach ging er einen Schritt zurück und nahm einen zweiten Zug. Sodann machte er einen Schritt nach vorne und ging unter dem vernehmbaren Ausspruch „Ups“ zunächst auf die Knie, bevor er nach vorne auf die Wiese fiel und regungslos liegen blieb.
4
Die Angeklagten waren schockiert und rannten einige Meter davon. S. H. beschloss aber sodann, nach dem Geschädigten zu schauen, und lief zu ihm zurück. M. begann zu würgen und erbrach sich ein erstes Mal. S. H. brachte ihn in eine „Art stabile Seitenlage“ und rief seinen Bruder K. herbei, der ihm dabei helfen sollte. Dieser kam der Aufforderung seines Bruders nach und hob M. nach oben, worauf dieser ein zweites Mal stark erbrach. Ein drittes Mal erbrach sich der Geschädigte, nachdem ihn K. und S. H. umgedreht hatten. M. war nicht ansprechbar. K. H. nutzte diesen Umstand aus und nahm M. dessen Geldbörse und eine Metalldose mit Zigaretten weg. Die Angeklagten beschlossen, dem Geschädigten M. keine weitere Hilfe, etwa durch einen Notruf, zukommen zu lassen, da sie im Hinblick auf den von dem Geschädigten konsumierten Joint und das von dem Angeklagten Z. mitgeführte Gras strafrechtliche Konsequenzen fürchteten. K. H. fertigte um 0.30 Uhr ein kurzes Video von dem Geschädigten M. und äußerte dazu: „Ich hab dem sein Leben gerettet, Alter“. Die Angeklagten begaben sich anschließend in eine Spielothek, die die Angeklagten Z. und As. bereits nach circa zehn Minuten wieder verließen, um nach Hause zu fahren. Die anderen Angeklagten gingen 30 Minuten nach ihrem Eintreffen wieder. Auf dem Nachhauseweg kamen sie nochmals an der Kreisrealschule vorbei, wo der Geschädigte M. unverändert an der gleichen Stelle lag. S. H. schaute nach ihm und stellte fest, dass er noch immer gleichmäßig atmete. Die Angeklagten erkannten weder den tödlichen Ausgang des Geschehens noch nahmen sie seinen Tod billigend in Kauf. Eine Kenntnis von einer tödlichen Wirkung des Joints hat das Landgericht ausgeschlossen, da die Angeklagten S. und K. H. mehrfach selbst an dem Joint gezogen hatten, was sie ansonsten definitiv unterlassen hätten.
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Zwischen 2.00 und 6.10 Uhr, vermutlich aber spätestens um 4.00 Uhr, am 28. April 2016 verstarb der Geschädigte M. an einem zentralenRegulationsversagen , verursacht durch eine Mischintoxikation von Alkohol und dem synthetischen Cannabinoid 5F-ADB sowie einer bestehenden Vorerkrankung, einer angeborenen Koronaranomalie. Der Geschädigte wurde gegen 6.10 Uhr tot aufgefunden. Bei unverzüglichem Absetzen eines Notrufs unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Geschädigten wäre eine Rettung zwar möglich, aber nicht überwiegend wahrscheinlich gewesen.

II.

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Die Revisionen der Staatsanwaltschaft bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.
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1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist hinsichtlich der Angeklagten A. sowie K. und S. H. unbeschränkt eingelegt. Bezüglich der Angeklagten As. und Z. ist sie – wie sich aus der Auslegung derRevisionsbegründung der Staatsanwaltschaft ergibt – unbeschadet des umfassenden Aufhebungsantrags und der allgemein erhobenen Sachrüge auf den Strafausspruch beschränkt.
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Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist wirksam. Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung von Schuld- und Straffrage ergibt.
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2. Die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung hat Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten nicht ergeben. Es ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht sämtliche Angeklagte lediglich wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB verurteilt hat. Nach den getroffenen Feststellungen kommt weder eine Strafbarkeit wegen (vollendeten oder versuchten) Totschlags oder fahrlässiger Tötung durch Unterlassen noch wegen Aussetzung mit Todesfolge in Betracht. Auf der Grundlage dieser rechtlichen Würdigung ist auch der Strafausspruch nicht zu beanstanden.
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a) Der Senat lässt dahinstehen, ob die von der Revision angegriffene Beweiswürdigung des Landgerichts zur Ablehnung des Tötungsvorsatzes Rechtsfehler aufweist und ob es in den Urteilsgründen an einer hinreichenden Darlegung der Angaben der Sachverständigen zu deren Schlussfolgerung fehlt, dass auch bei einem sofortigen Absetzen des Notrufs eine Rettung des Geschädigten nicht hinreichend wahrscheinlich gewesen wäre. Denn eine weitergehende Strafbarkeit der Angeklagten wegen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen und wegen Aussetzung mit Todesfolge gemäß § 221 Abs. 3 StGB i.V.m. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB kommt mangels einer Garantenstellung nicht in Betracht. Die Angeklagten A. sowie K. und S. H. sind auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt Garanten für das Leben des Geschädigten M. gewesen.
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b) Eine Garantenstellung ergibt sich weder aus der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft (dazu unter II. 2.b. aa) und bb)) noch aus einem pflichtwidrigen gefährdenden Vorverhalten (dazu II.2.b. cc) und dd)) und auch nicht aus der Schaffung oder Unterhaltung einer Gefahrenquelle (dazu II.2.b. ee) und ff)).
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aa) Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft kann gegenseitige Hilfspflichten und damit eine Garantenstellung begründen, wenn darüber hinaus erkennbar eine Schutzfunktion gegenüber Hilfsbedürftigen aus der Gruppe übernommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2007 ‒ 5 StR 324/07, NStZ 2008, 276, 277 mwN zur Rspr.). Davon abzugrenzen sind lose Zusammenschlüsse etwa von Zechkumpanen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1954 ‒ 1 StR 612/53, NJW 1954, 1047, 1048) oder auch von Rauschgiftkonsumenten (vgl. OLG Stuttgart NJW 1981, 182), bei denen es regelmäßig an der Übernahme einer Beistandspflicht fehlen wird. Auch dass sich mehrere Personen zufällig in derselben Gefahrensituation befinden, begründet noch nicht die Annahme einer gegenseitigen rechtlichen Pflicht zur Unterstützung (vgl. Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 13, Rn. 24). Erforderlich ist auch hier die tatsächliche Übernahme einer Schutzfunktion, wobei diese noch nicht darin liegt, dass jemand in Erfüllung seiner Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB einem Hilfsbedürftigen beisteht (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1974 ‒ 4 StR 529/74, BGHSt 26, 35, 39).
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bb) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung kommt die Annahme einer Garantenstellung nicht in Betracht. Dies betrifft sämtliche Zeitpunkte, an denen mögliche Unterlassungsvorwürfe anknüpfen könnten.
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(1) Das bloße Zusammenstehen in nächtlicher Runde und auch das gemeinsame Rauchen einer Zigarette lässt – vergleichbar der Rechtsprechung zu Zech- oder Konsumgemeinschaften – noch keine Gefahrengemeinschaft entstehen, die die Gewähr für gegenseitige Hilfe und Fürsorge in bestimmten Gefahrenlagen einschließt. Dies gilt ungeachtet des erkennbaren Zustands des Geschädigten, dessen Wahrnehmung allenfalls eine Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB, aber keine strafrechtliche Haftung im Sinne von § 13 StGB auslöst.
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(2) Dass in dieser Runde schließlich der den Wirkstoff 5F-ADB enthaltende Joint geraucht wurde, ändert an dieser Einschätzung nichts. Dies gilt vor allem deshalb, weil sich die Angeklagten K. und S. H. darauf beschränkten , selbst einige Züge zu nehmen, und es ablehnten, den Geschädigten selbst rauchen zu lassen. Es handelt sich bei der zusammenstehenden Gruppe allenfalls um eine bloße Konsumgemeinschaft, die Garantenpflichten nicht begründen kann.
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(3) Der Umstand, dass die Angeklagten es ablehnten, dem Geschädigten den Joint zum Rauchen zu überlassen, stellt sich nicht als Übernahme von Verantwortung dar, die weitergehende Schutzpflichten auslösen könnte. Es handelt sich bei der Zurückweisung dieses Ansinnens lediglich um ein von der Rechtsordnung anderweit gefordertes Verhalten, das in diesem Augenblick der Vermeidung einer strafrechtlichen Haftung aus Ingerenz bzw. einer Verantwortlichkeit für eine Gefahrenquelle dient. Hätten die Angeklagten dem Geschädigten den Joint überlassen, hätten sie sich mit Blick auf dieses Verhalten nach diesen Grundsätzen zu verantworten gehabt. Aus ihm lassen sich aber keine Rückschlüsse ziehen, dass die Angeklagten damit weitergehende Verantwortung für den Geschädigten übernehmen wollten.
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(4) Soweit der Geschädigte im Folgenden dem Angeklagten K. H. den Joint abnahm und anschließend einige Züge rauchte, begründet auch dies unter dem Gesichtspunkt einer Verantwortlichkeit für den Geschädigten keine Garantenstellung der Angeklagten. Drittverhalten ist insoweit nicht geeignet, eine Einstandspflicht der Angeklagte mit Gewähr für gegenseitige Hilfe und Fürsorge entstehen zu lassen. An dieser Bewertung ändert auch nichts der Umstand, dass der Geschädigte anschließend als Folge des Rauchens zusammengebrochen ist, das Bewusstsein verloren und sich erbrochen hat. Grund für eine Garantenstellung ist das Einstehenmüssen aufgrund einer tatsächlichen Übernahme von Verantwortung, an der es fehlt. Diese Voraussetzungen werden nicht ersetzt durch die bloße Kenntnis von Hilfsbedürftigkeit, die lediglich Pflichten nach § 323c StGB begründet. Soweit eine besondere Kenntnis über den Grad und das Ausmaß der Gefahr besteht, hat dies lediglich Ein- fluss auf das Maß dessen, was der nach § 323c StGB Hilfeleistungspflichtige zu unternehmen hat.
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(5) Schließlich ist der Umstand, dass die Angeklagten, insbesondere S. H. , Maßnahmen zur Rettung des Geschädigten unternommen haben und noch einmal nach Verlassen der Spielothek zu ihm zurückgekehrt sind, um nach ihm zu schauen, nicht geeignet, Garantenpflichten auszulösen. In der ersten Hilfeleistung liegt keine konkludente Zusage, sich weiter um den Geschädigten zu kümmern, wenn sich sein Zustand nicht bessert. Bei dem Tun der Angeklagten handelt es sich vielmehr allein um die (ungenügende) Erfüllung der ihnen aus § 323c StGB obliegenden Pflicht, nicht um die Übernahme der Obhut. Allein daraus, dass jemand einem Hilfsbedürftigen beisteht, ergibt sich – jedenfalls dann, wenn damit wie hier keine wesentliche Veränderung der Situation des Hilfsbedürftigen eingetreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 1993 ‒ 1 StR 264/93, NJW 1993, 2628) – noch keine Garantenpflicht zur Vollendung einer begonnenen Hilfeleistung (so ausdrücklich schon BGH, Urteil vom 5. Dezember 1974 ‒ 4 StR 529/74, BGHSt 26, 35, 39). Wollte man dies anders beurteilen, bedeutete dies eine nicht nachvollziehbare Schlechterstellung desjenigen, der immerhin Maßnahmen zur Rettung ergreift, mögen sie auch letztlich ungenügend sein, gegenüber demjenigen, der gar nicht erst tätig wird.
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cc) Eine Garantenstellung kann sich auch aus einem pflichtwidrigen gefährdenden Vorverhalten ergeben. Voraussetzung für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ist allgemein nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass ein pflichtwidriges Vorverhalten die nahe Gefahr des Eintritts des konkreten tatbestandsmäßigen Erfolgs verursacht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 23. September 1997 ‒ 1 StR 430/97, NStZ 1998, 83, 84; Senat, Urteil vom 16. Februar 2000 ‒ 2 StR 582/99, StV 2001, 616). Im Zusammenhang mit der Abgabe von Betäubungsmitteln bzw. der Unterstützung des Konsums von Rauschgift durch einen Dritten hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass dies jedenfalls dann pflichtwidrig ist, soweit dies strafbar ist (vgl. Senat, Urteil vom 9. November 1984 ‒ 2 StR 257/84, BGHSt 33, 66; BGH, Urteil vom 27. Juni 1984 ‒ 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452; siehe auch BGH, Urteil vom 29. April 2009 ‒ 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 291). Die strafrechtliche Verantwortlichkeit (auch im Sinne einer Ingerenzhaftung) entfällt bei eigenverantwortlich gewollter und verwirklichter Selbstgefährdung. Dies wird grundsätzlich nicht von den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts erfasst , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (grundlegend BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 ‒ 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 ‒ 3 StR 120/03, NJW 2004, 1055).
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Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. -verletzung und einer – grundsätzlich tatbestandsmäßigen – Fremdgefährdung oder -verletzung eines anderen ist damit die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Liegt die Tatherrschaft über die Gefährdungshandlung nicht allein bei dem Gefährdeten , sondern zumindest auch bei dem sich hieran Beteiligenden, begeht dieser eine eigene Tat und kann nicht aus Gründen der Akzessorietät wegen fehlender Haupttat des Geschädigten straffrei sein (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 ‒ 3 StR 120/03, NJW 2004, 1055 zur Übergabe von Heroin; siehe auch BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 ‒ 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262 zur Besorgung einer für den Konsum von Heroin benötigten Spritze; ferner zur Überlassung von Heroin statt Kokain BGH, Urteil vom 29. April 2009 ‒ 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288). Eine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft kann einem Täter gleichwohl dann zuwachsen, wenn und soweit die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses beeinträchtigt ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Täter kraft überlegenen (Fach-)Wissens das Risiko besser erfasst als der Selbstgefährdende, insbesondere dann, wenn das Opfer einem Irrtum unterliegt, der seine Selbstverantwortlichkeit ausschließt oder es infolge einer Intoxikation zu einer Risikoabwägung nicht mehr hinreichend in der Lage ist (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 ‒ 5 StR 491/10, BGH NStZ 2011, 341; siehe ferner BGH, Urteil vom 29. April 2009 ‒ 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; Urteil vom 27. November 1985 ‒ 3 StR 426/85, NStZ 1986, 266). Trotz eigenverantwortlicher Selbstgefährdung kann sich eine Garantenpflicht ergeben, wenn das an sich pflichtwidrige Vorverhalten, etwa das strafbare Überlassen eines Heroingemischs, die dann z.B. mit einer Bewusstlosigkeit eintretende Gefahrenlage herbeiführt. Die Straflosigkeit eines Tuns/Unterlassens bei eigenverantwortlicher Selbstgefährdung schließt es nicht aus, Garantenpflichten für den Zeitpunkt zu begründen, in dem sich das Risiko erkennbar verwirklicht (BGH, Urteil vom 27. Juni 1984 ‒ 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452; Senat, Urteil vom 9. November 1984 ‒ 2 Str 257/84, NJW 1985, 690, 691).
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dd) An dieser Rechtsprechung gemessen liegt eine Garantenstellung aus Ingerenz nicht vor. Es ist – vor dem Konsum durch den Geschädigten als maßgeblichem Zeitpunkt für eine Unterlassensstrafbarkeit – kein pflichtwidriges Vorverhalten gegeben, das mit der naheliegenden Gefahr des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs des Todes verbunden gewesen wäre.
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(1) Die Herstellung und Weitergabe des Joints durch A. an K. H. stellt schon kein pflichtwidriges Verhalten dar. Er gab dabei den Hinweis, dass es sich um „starkes Zeug“ handele; der Konsum von Spice mit dem Wirk- stoff 5F-ADB war zu diesem Zeitpunkt auch nicht mit Strafe belegt, so dass sich hieraus jedenfalls die Pflichtwidrigkeit nicht ergeben kann. Dass mit dem Konsum von Rauschmitteln grundsätzlich Gefahren verbunden sind, vermag allein die Pflichtwidrigkeit des Handelns nicht zu begründen. Ungeachtet dessen war mit der weit im Vorfeld des späteren Tatgeschehens erfolgten Übergabe an K. H. auch keine nahe Gefahr des Eintritts eines tatbestandsmäßigen Erfolgs verbunden.
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(2) Soweit K. H. auf dem Gelände der Kreisrealschule den Joint herausholte, von diesem einige Züge nahm und den Joint auch seinem Bruder zum Konsum überreichte, stellt auch dies – insbesondere auch vor dem Hintergrund , dass die Angeklagten als Konsumenten frei verantwortlich und ohne Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit handelten – noch kein pflichtwidriges Handeln dar. Auch insoweit lag keine nahe Gefahr des Eintritts eines tatbestandsmäßigen Erfolgs (des Todes) vor. Die in diesem Zusammenhang erfolgende Wegnahme des Joints durch den Geschädigten stellt sich (trotz seiner vorangegangenen Frage nach dem Joint) als ein überraschendes und nicht vorhersehbares Tun dar, das den Angeklagten nicht zuzurechnen ist (vgl. zur Ablehnung einer nahen Gefahr durch nicht vorhersehbares Verhalten eines Mittäters bei pflichtwidrigem Vorverhalten BGH, Urteil vom 23. September 1997 ‒ 1 StR 430/97, NStZ 1998, 83, 84; Beschluss vom 23. Mai 2000 ‒ 4 StR 157/00, NStZ 2000, 583; Urteil vom 24. September 1998 ‒ 4 StR 272/98, NJW 1999, 69, 72). Überdies kann ein nicht pflichtwidriges Verhalten, das zwar kausal eine Gefahr herbeiführt, die unmittelbar aber erst durch das verantwortungsvolle Handeln eines Dritten begründet wird, nicht zu einer Garantenstellung führen (BGH, Urteil vom 23. September 1997 ‒ 1 StR 430/97, NStZ 1998, 83, 84). Die Strafrechtsordnung verlangt grundsätz- lich nur, dass jeder sein Verhalten so einrichtet, dass er selbst Rechtsgüter nicht gefährdet, nicht aber auch darauf, dass andere dies nicht tun.
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(3) Weiteres (positives) Tun vor der Wegnahme bzw. dem Konsum des Joints durch den Geschädigten liegt nicht vor. Selbst wenn man die Ablehnung der Übergabe des Joints als positives Tun verstehen würde, ist insoweit jedenfalls kein pflichtwidriges Verhalten anzunehmen. Diese Verweigerung dient insoweit gerade der Vermeidung einer Ingerenzhaftung, die anzunehmen wäre, hätten die Angeklagten dem alkoholisierten Geschädigten von sich aus oder auf Aufforderung hin den Joint überlassen bzw. übergeben.
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(4) Das nachfolgende Verhalten, etwa die Nichtverhinderung der Wegnahme oder ein mögliches Herausgabeverlangen, stellt sich nicht als positives Tun dar, sondern lediglich als ein Unterlassen. Es könnte insoweit nur von strafrechtlicher Relevanz sein, wenn schon zu diesem Zeitpunkt eine Garantenstellung (aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt) bestünde. Dies ist aber nicht der Fall.
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(5) Weiteres Verhalten der bis zu diesem Zeitpunkt nicht pflichtwidrig handelnden Angeklagten nach dem Konsum bzw. dem Zusammenbruch des Geschädigten führt zu keiner Garantenstellung aus Ingerenz. Soweit dieses zwar pflichtwidrig ist, weil die Angeklagten ihrer Hilfeleistungspflicht nach § 323c StGB nicht genügen, vermag dies eine Ingerenzhaftung nicht (mehr) zu begründen (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juni 1952 ‒ 2 StR 180/52, BGHSt 3, 65, 67; BGH, Urteil vom 26. Oktober 1982 ‒ 1 StR 413/82, NJW 1983, 350, 351).
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ee) In Abgrenzung zu einer Unterlassensstrafbarkeit aus Ingerenz, die ein pflichtwidriges Vorverhalten voraussetzt, ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f; siehe auch Senat, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319 m. Anm. Murmann NStZ 2012, 387; BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 23 m. krit. Anm. Jäger, JA 2016, 392; Schiemann, NJW 2016, 178; Puppe, ZIS 2013, 46; BGH, Urteil vom 22. November 2016 − 1 StR 354/16; NStZ 2017, 223, 225). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können. In welchem Umfang die Erfolgsabwendungspflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 23 mwN).
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ff) An diesen Grundsätzen gemessen fehlt es auch insoweit an einer Garantenstellung der drei Angeklagten. Keiner der Angeklagten hat – insoweit unterscheidet sich der zu entscheidende Fall grundlegend von jüngerer Recht- sprechung des Bundesgerichtshofs in den sog. „Gamma-Butyrolacton“ – (GBL-) Fällen (vgl. Senat, Urteil vom 21. Dezember 2011 ‒ 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319; BGH, Beschluss vom 5. August 2015 ‒ 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 24), in denen die Angeklagten jeweils eine ihnen bekannte Gefahrenquelle geschaffen hatten – zum maßgeblichen Tatzeitpunkt eine Gefahrenquelle geschaffen bzw. unterhalten.
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(1) Der Angeklagte S. H. hat weder eine Gefahrenquelle geschaffen noch hat er sie unterhalten. Sein Verhalten erschöpfte sich in seiner bloßen Anwesenheit auf dem Gelände der Kreisrealschule und in der kurzfristigen Übernahme des Joints, von dem er einige Züge nahm. Er hatte diesen längst an seinen Bruder K. H. zurückgegeben, der selbst noch mal daran zog, bevor ihm der Geschädigte M. diesen wegnahm und selbst zwei Züge davon nahm. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit über § 323c StGB für den durch eine eigene Handlung des Geschädigten verursachten Tod hinaus lässt sich daraus nicht ableiten.
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(2) Der Angeklagte A. hat zwar ursprünglich eine Gefahrenquelle geschaffen, indem er den Joint mit dem Wirkstoff 5F-ADB hergestellt und diesen durch Weitergabe an den Mitangeklagten K. H. in den Verkehrgebracht hat. Dabei hatte er allerdings – wie den Urteilsgründen zu entnehmen ist – den Mitangeklagten K. und S. H. mitgeteilt, dass es sich um „Spice“ und „starkes Zeug“ handele, ohne zu diesem Zeitpunkt zu wissen, wel- che tatsächlichen Gefahren mit dem Genuss des Joints verbunden sein können. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es sich zum Tatzeitpunkt um einen Stoff gehandelt hat, der weder vom Betäubungsmittel- noch vom Arzneimittelgesetz erfasst war, und dass deshalb der Umgang mit ihm nicht unter Strafe stand. Eine generelle Verpflichtung des Eigentümers eines solchen Mittels, besondere Vorkehrungen gegen selbstschädigenden Missbrauch zu treffen, führte zur Auferlegung von Verpflichtungen, die die freie Verfügbarkeit konterkarieren (vgl. dazu auch Murmann, NStZ 2012, 387, 388). Insoweit hat der Angeklagte A. im Augenblick der Übergabe an K. H. die einerseits notwendigen , aber auch ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um andere vor Schaden zu bewahren. Eine nahe liegende Gefahr, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden könnten, wurde deshalb mit der Übergabe des Joints an K. H. nicht begründet.
31
Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass beide am Tatabend den Onkel des Angeklagten K. H. , den Zeugen B. , aufgesucht hatten und diesen an einem Joint mit dem Wirkstoff Spice rauchen ließen. Die Mitteilung von K. H. an seinen Onkel, er habe „bombiges Zeug, echt gutes Gras, keine synthetische Scheiße“ dabei, beschreibt mit anderen Worten, dass es sich insoweit um ein hochwirksames Rauschmittel handelt, und stellt grundsätzlich – auch vor dem Hintergrund, dass es hier um eine aktive Weitergabe des Joints an eine dritte Person geht – einen hinreichenden Hinweis auf die Gefährlichkeit des Rauschmittels dar (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 ‒ 1 StR 328/15,BGHSt 61, 21, 25). Jedenfalls ergab sich für den Angeklagten A. aus dem Besuch des Zeugen B. keine Pflicht zu weiterreichenden Vorkehrungen zum Schutz anderer dritter Personen, zumal beide Angeklagten von den tatsächlich eingetretenen Wirkungen des Stoffes bei diesem nichts mitbekommen hatten.
32
An dieser Ausgangslage änderte sich für den Angeklagten A. auch nichts, als sie auf dem Gelände der Kreisrealschule auf den Geschädigten M. trafen. Er bemerkte zwar wie die anderen Angeklagten auch dessen Alkoholisierung. Es gab für ihn allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass die Mitangeklagten den Joint an eine dritte Person außerhalb des unmittelbaren Familien- oder Freundeskreises weiterreichen könnten. Vielmehr konnte der Angeklagte A. , der den Joint ja selbst nicht mehr im Besitz und insoweit keinen unmittelbaren Zugriff auf diesen hatte, feststellen, dass die Mitangeklagten dem Ansinnen des Geschädigten M. , an dem Joint rauchen zu wollen, entgegentraten und der Angeklagte K. H. ihm diesen angesichts seines erkennbar alkoholisierten Zustands nicht übergab. Dass der Geschädigte den Joint nunmehr eigenmächtig an sich nehmen würde, war angesichts des bisherigen Geschehensablaufs und trotz der Bemerkung von M. „Kindergarten“ nicht vorhersehbar. In diesem Augenblick realisierte sich damit nicht die Gefähr- lichkeit einer Gefahrenquelle oder eines gefährlichen Vorverhaltens, sondern das eigenmächtige Handeln des Tatopfers (vgl. dazu auch im Zusammenhang mit dem sog. „Gamma-Butyrolacton“-Fall des Senats Brüning ZJS 2012, 691, 693). Der Angeklagte A. hatte somit mit seinen Hinweisen auf die Wirksamkeit des in dem Joint erforderlichen Stoffs alle diejenigen Maßnahmen ergriffen, die ein verständiger und umsichtiger Mensch in dieser Situation für ausreichend und notwendig halten durfte, um andere vor Schaden zu bewahren. Es war insoweit nicht mit Blick auf den Schutz des Lebens eines Dritten von der Rechtsordnung geboten, weitere, über die später getroffenen hinausreichenden Maßnahmen zur Rettung des Geschädigten zu ergreifen, nachdem dieser in Eigenmacht den Joint ergriffen und zwei Züge von ihm genommen hatte. Insoweit liegt lediglich ein Unglücksfall vor, der nach § 323c StGB zur Hilfe verpflichtet.
33
Diese Würdigung gilt namentlich vor dem Hintergrund, dass die im Vergleich zu THC stärkeren Nebenwirkungen des Wirkstoffs 5F-ADB, insbesondere auch der Umstand, dass sich diese in Verbindung mit Alkohol nochmals drastisch verschärfen, nach den Urteilsfeststellungen jedenfalls den Angeklagten nicht bekannt waren. Wäre dies der Fall gewesen, hätten sich daraus in Ansehung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Anforderungen an den für eine Gefahrenquelle Zuständigen um so höher sind, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind, schon im Vorfeld des eigentlichen Tatgeschehens eine grundsätzlich erhöhte Erfolgsabwendungspflicht ergeben. Ob angesichts einer solchen, im Zeitpunkt des Geschehens auf dem Gelände der Kreisrealschule fortbestehenden Pflicht weiterreichende Maßnahmen des Angeklagten A. auch nach der Ansichnahme und dem Genuss des Joints durch den Geschädigten M. hätten ergriffen werden müssen, braucht der Senataber hier nicht zu entscheiden. Denn angesichts des Umstands, dass der Geschädigte den Joint nach der Ablehnung, ihm diesen zur Verfügung zu stellen, eigen- mächtig und unangekündigt zum Zwecke des Rauchens an sich nahm, waren hier weitere Sicherungsmaßnahmen des Angeklagten A. (im Vorfeld) nicht geboten. Der Zugriff des Geschädigten auf den Joint bei K. H. stellt keine Realisierung einer durch die ursprüngliche Herstellung des Joints begründe- ten „nahe liegenden Gefahr“ dar.
34
(3) Der Angeklagte K. H. befand sich auf dem Gelände der Kreisrealschule im Besitz des Joints mit dem Wirkstoff 5F-ADB. Er unterhielt damit keine Gefahrenquelle im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dass er einen objektiv gefährlichen Gegenstand im öffentlichen zugänglichen Bereich einer Schule in der Nacht in den Händen hielt, macht den Joint, den er lediglich seinem Bruder zum Rauchen überließ, noch nicht zu einer „Ge- fahrenquelle“ für weitere Personen, auch wenn der Geschädigte daneben stand. Die Eröffnung der Gefahrenquelle muss die „nahe liegende Gefahr“ hervorrufen , dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden. Daran fehlt es, wenn – anders als in den Fällen Senat, Urteil vom 21. Dezember 2011 ‒ 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319 bzw. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 ‒ 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 – eine eingeräumte unmittelbare Zugriffsmög- lichkeit auf den an sich gefährlichen Gegenstand nicht besteht, der Zugriff im Gegenteil sogar verweigert wird und im Übrigen nicht voraussehbar ist, dass ein anderer den Gegenstand gleichwohl an sich nehmen wird. Mit der Eigenmächtigkeit eines Dritten, hier des Geschädigten, brauchten die Angeklagten nicht zu rechnen. Bei dieser Sachlage bestand auch keine Rechtspflicht im Sinne von § 13 StGB, den Geschädigten unmittelbar nach dessen Eigenmacht vor dem Joint zu warnen. Es ist schon fraglich, ob diese Warnung den Genuss des Joints durch den Geschädigten noch hätte verhindern können. Jedenfalls bestand keine Verantwortlichkeit des K. H. für eine Gefahrenquelle mit dem für Rechtsgüter Dritter erforderlichen Gefahrenpotential. Auch das Wissen um die Hochwirksamkeit des in dem Joint enthaltenen Stoffs kann dies nicht ersetzen. Die erkennbare Gefährlichkeit einer Handlung lässt nach der Rechtsprechung des BGH bei entsprechender Steigerung von Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität die Anforderungen an den für eine Gefahrenquelle Verantwortlichen steigen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2015 ‒ 1 StR 328/15,BGHSt 61, 21, 23), setzt damit aber die Verantwortlichkeit für eine Gefahrenquelle voraus und kann sie nicht erst begründen.
35
3. Auch der Strafausspruch hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
36
a) Die Verhängung von Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten weist Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil des Angeklagten K. H. nicht auf. Den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass die einbezogene Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten zurzeit vollstreckt wird, also nicht erledigt ist und deshalb einbeziehungsfähig war. Dass die Strafkammer den anzuwendenden Strafrahmen nicht ausdrücklich erwähnt hat, lässt nicht besorgen , sie habe ihrer Entscheidung einen unzutreffenden Strafrahmen zugrunde gelegt. Mit der verhängten Jugendstrafe bewegt sie sich im normalen, auch diesen Fall einschlägigen Strafrahmen des § 18 Abs. 1 Satz 1 JGG; dafür, dass sie den erhöhten Strafrahmen des § 18 Abs. 1 Satz 2 JGG angewendet haben könnte, fehlen Anhaltspunkte in den Urteilsgründen.
37
b) Auch die gegen S. H. verhängte Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Dass die einbezogene Verurteilung des Amtsgerichts Gelnhausen vom 26. Februar 2018 zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten im Urteilszeitpunkt am 9. Mai 2018 noch nicht erledigt war, ergibt sich bereits aus den zeitlichen Abläufen. Soweit die Revision im Übrigen beanstandet, die Strafkammer habe die Bewährungsaussetzung nicht näher begründet, zeigt sie damit einen Rechts- fehler nicht auf. Das Landgericht hat knapp, aber nachvollziehbar, seine Entscheidung begründet.
38
c) Auch der Rechtsfolgenausspruch im Hinblick auf die Angeklagten A. , As. und Z. erweist sich als rechtsfehlerfrei. Ein Vergehen mit vergleichsweise geringem Gewicht wie hier die unterlassene Hilfeleistung kann, selbst wenn es eine folgenschwere Tat darstellt, die „Schwere der Schuld“ im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG regelmäßig nicht begründen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2004 ‒ 3 StR 136/04, StV 2005, 66 f.).
Franke Krehl Meyberg Grube Schmidt

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(1) Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so is

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(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird

Strafgesetzbuch - StGB | § 221 Aussetzung


(1) Wer einen Menschen 1. in eine hilflose Lage versetzt oder2. in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist,und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitss

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(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

(1) Wer einen Menschen

1.
in eine hilflose Lage versetzt oder
2.
in einer hilflosen Lage im Stich läßt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist,
und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
die Tat gegen sein Kind oder eine Person begeht, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, oder
2.
durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 2 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

5 StR 324/07

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 4. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Dezember
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Richterin
alsVertreterinderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
alsVerteidiger,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 4. Mai 2007 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zusätzlich wegen tateinheitlicher Beihilfe zur unerlaubten Einreise verurteilt ist.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen unerlaubter Einreise nach Ausweisung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach Ausweisung“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und unter Einbeziehung von vier anderweitig verhängter Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten – nach Auflösung der diese verbindenden Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren – auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erkannt. Die Revision der Staatsanwaltschaft erstrebt mit der Sachrüge eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Todes einer zur gleichen Zeit illegal eingereisten Ausländerin. Das Rechtsmittel erzielt in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts lediglich die aus dem Urteilstenor ersichtliche geringfügige Schuldspruchkorrektur.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte, ein 26 Jahre alter arbeitsloser Diplomingenieur aus Moldawien, reiste erstmals 2003 nach Deutschland ein. Die Ausländerbehörde der Stadt Frankfurt am Main verfügte am 11. April 2003 die Ausweisung des Angeklagten und drohte ihm die Abschiebung in sein Heimatland an. Dorthin kehrte der Angeklagte zurück.
4
Er beabsichtigte Anfang 2005, zusammen mit seiner damals 18jährigen Verlobten D. von Moldawien über Polen nach Deutschland zu reisen. Er beschaffte sich gegen Zahlung von 200 Euro ein polnisches Visum bei einem moldawischen Landsmann, der vor der Abfahrt des Busses nach Polen am 27. Januar 2005 in Moldawien von dem Angeklagten verlangte, die 47 Jahre alte A. mit nach Krakau zu nehmen, wo der Angeklagte die Hotelkosten für die Frau verauslagen sollte; diese würden von ihr dann nach Ankunft in ihrem erstrebten Zielland Italien erstattet werden. Der Angeklagte, der über das Ansinnen seines Landsmannes sehr ungehalten reagierte, rief bei einer Agentur an und erkundigte sich, warum „man ihm die Frau angehängt“ habe, wo er doch selbst auch nur wenig Geld dabei habe. Der Angeklagte fuhr dennoch mit A. im Bus nach Krakau, wo die Verlobte des Angeklagten am 3. Februar 2005 ebenfalls eintraf. Am nächsten Tag reisten der Angeklagte und die zwei Frauen mit dem Bus weiter nach Zgorzelec. Von dort fuhren sie in einem Taxi nach Bokatynia, von wo aus sie auf Rat des Fahrers selbständig nach Deutschland gehen wollten. A. war mit in das Taxi eingestiegen und hatte sich mit zehn Euro zu einem Drittel an den Taxikosten beteiligt. Nach einigem Suchen fanden der Angeklagte und die beiden Frauen einen passierbaren Übergang des Grenzflusses Neiße, den sie gegen Mitternacht – das Wasser reichte bis zu den Oberschenkeln – gemeinsam ohne Einreiseerlaubnisse durchquerten. Sie zogen trockene Kleidung an und liefen in Richtung des Landesinneren.
5
Bei Tagesanbruch versteckten sie sich in der Nähe der Straße von Löbau nach Zittau in einem Wald. Der Angeklagte und seine Verlobte studierten eine Landkarte. Er rief einen in der Nähe von Frankfurt am Main wohnhaften Russen an, beschrieb ihm ihren Standort und bat um Abholung aller drei Personen. Der um Hilfe ersuchte Russe fand aber ihren Standort auf seiner Landkarte nicht und unternahm bis Mitternacht trotz zahlreicher Anrufe durch den Angeklagten nichts. Auf dem Weg in die nächste Ortschaft – dort sollte, weil die Mobiltelefone nicht mehr funktionierten, von einer Telefonzelle aus weitertelefoniert werden – stürzte A. gegen Mitternacht etwa 70 bis 80 m von der Bundesstraße 78 (Löbau/Zittau) entfernt auf freiem Feld. Sie sagte, sie könne nicht mehr weiter. Der Angeklagte und D. ermutigten sie weiterzulaufen. A. entgegnete jedoch, der Angeklagte und D. seien jünger und sollten allein weitergehen. Wenn sie den Russen erreicht hätten und dieser sie abholen komme, sollten sie zu ihr zurückkommen und sie abholen.
6
Der Angeklagte und seine Verlobte ließen die Frau schließlich in der auf minus 11 Grad Celsius abgekühlten Nacht in offenem Gelände zurück. Sie verstarb wahrscheinlich gegen 3.30 Uhr an Unterkühlung. Ein Eintritt des Todes bereits kurz nach dem Weggang des Angeklagten ist denkbar. A. hatte noch versucht, einen schneebedeckten Hang hoch zu kriechen.
7
Der Angeklagte und D. suchten in dem nur wenige 100 m entfernten Oberseiferdorf ohne Erfolg eine Telefonzelle. Erschöpft und desorientiert schliefen der Angeklagte und seine Verlobte gegen 2.00 Uhr am Straßenrand ein. Sie wurden von einem Zeugen geweckt und aufgefordert, wegen der Unfallgefahr diesen Ort zu verlassen. Später ließen sie ein Polizeiauto passieren und wollten nach einer Rast an einer Bushaltestelle zu A. zurückgehen; indes fanden sie den Weg dorthin nicht mehr. Sie ließen sich dann an einer anderen Bushaltestelle nieder. Gegenüber einem Autofahrer und einem Taxifahrer erklärten sie nichts über die im freien Gelände zurückgebliebene Frau. Mehrere Polizei- und Krankenwagen ließen sie passieren.
8
Der Angeklagte und D. fuhren mit dem Bus um 9.00 Uhr nach Löbau. Von dort reisten sie mit dem Zug nach Frankfurt am Main weiter , wo sie um 21.00 Uhr eintrafen. Am Morgen des 7. Februar 2005 rief der Angeklagte erneut bei seinem russischen Bekannten an, um gemeinsam mit ihm die Geschädigte abzuholen. Dies lehnte der Angesprochene aber ab.
9
Am Abend rief der moldawische Visabeschaffer bei dem Angeklagten an, teilte mit, dass A. verstorben sei, und verlangte die Zahlung von 5.000 Euro. Der Angeklagte lehnte jede Zahlung ab. Nach weiteren fordernden, zum Teil drohenden Anrufen überredete D. den Angeklagten zu zahlen, damit es endlich Ruhe gebe. Der Angeklagte lieh sich über einen Bekannten in Moskau 2.500 Euro. Dieser Betrag wurde dem Visabeschaffer übergeben.
10
2. Das Landgericht hat sich davon überzeugt, dass der Angeklagte für sein Tätigwerden bei der Einreise der A. keinen Vermögensvorteil erhalten oder sich hat versprechen lassen. Es hat – in Übereinstimmung mit der Einschätzung eines ermittelnden Polizeibeamten – die geleisteten und versprochenen Zahlungen dahingehend gewürdigt, dass vom Angeklagten kein Schleusungslohn zurückgezahlt worden ist, sondern dass es vielmehr näher liege, dass der Visabeschaffer durch den Tod der Frau A. einen Schaden (Nichterfüllung des Anspruchs auf Schleuserlohn) erlitten und einen Ausgleich durch Erpressung des Angeklagten beabsichtigt hat. Deshalb liege kein Einschleusen im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor. Der Angeklagte habe auch nicht zugunsten von mehreren Ausländern gehandelt (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Auf die Verlobte des Angeklagten dürfe nicht als zweite Ausländerin abgestellt werden.
11
Das Landgericht hat schließlich eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines Verdeckungsmordes durch Unterlassen verneint, weil sich eine Garantenstellung für das Leben der Verstorbenen weder aus dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Gefahrengemeinschaft noch aus Ingerenz ergebe. Im Übrigen habe die Geschädigte auf sofortige Hilfe wirksam verzichtet.
12
3. Die Revision ist zulässig. Zwar enthalten weder die Revisionseinlegungsschrift noch die Revisionsbegründung den nach § 344 Abs. 1 StPO erforderlichen Revisionsantrag, durch den der Umfang der Urteilsanfechtung bezeichnet wird. Das Fehlen eines solchen Antrags ist aber dann unschädlich , wenn sich der Umfang der Anfechtung aus dem Inhalt der Revisionsbegründung ergibt (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 5 m.w.N.). Dies ist hier noch der Fall.
13
Zwar legen die nach Obersätzen gegliederten Angriffe gegen die Subsumtion und der Vortrag, dass „auf dieser Tatsachengrundlage zumindest ein Urteilsspruch wegen Beihilfe zur vorsätzlich unerlaubten Einreise in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Aufenthalt in Bezug auf die Geschädigte … (hätte) erfolgen müssen“, nahe, dass die getroffenen Feststellungen vom Revisionsangriff ausgenommen sind. Indes wird dem widersprechend auch die Beweiswürdigung angegriffen, weshalb der Senat den Willen der Revisionsführerin erkennt, dass diese ihr Ziel, eine Verurteilung wegen eines Kapitalverbrechens zu erreichen, auch hilfsweise unter Aufhebung der Feststellungen des landgerichtlichen Urteils erheischt. Damit ergibt sich aus der Revisionsbegründung noch ein bestimmter, nämlich der maximal mögliche Anfechtungsumfang.
14
4. Das Rechtsmittel hat lediglich Erfolg, soweit es das Landgericht unterlassen hat, die gemeinsame illegale Einreise unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass der Angeklagte durch die bloße Mitnahme der später Verstorbenen und die Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Unterkunft und Verpflegung in Krakau deren illegale Einreise gefördert hat. Dem- nach ist eine weitergehende tateinheitliche Verurteilung auch wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, § 27 Abs. 1 StGB geboten.
15
Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst (vgl. BGH NJW 2006, 1822, 1824). Im Anschluss an die Auffassung des Generalbundesanwalts ist der Senat der Überzeugung, dass die geringfügige Schuldspruchänderung keine Auswirkung auf den Strafausspruch haben kann. Die vom Landgericht gefundene Strafe ist im Sinn des hier verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NJW 2007, 2977) analog zugunsten des Angeklagten anzuwendenden § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO (vgl. BGH aaO) angemessen.
16
5. Die weitergehende Revision ist unbegründet.
17
a) Die Angriffe auf die Beweiswürdigung versagen.
18
Die Revision macht geltend, das Landgericht habe die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt und sich nicht mit einem sich aufdrängenden Alternativgeschehen auseinandergesetzt (vgl. dazu BGH NJW 2007, 384, 387), weil es unerörtert gelassen habe, dass die Geschädigte für den Fall, dass der Angeklagte die Führung der Gruppe nicht übernommen hätte, eine Einreise von Polen durch den Grenzfluss Neiße nach Deutschland unterlassen hätte. Insoweit handelt es sich aber nicht um ein sich aus den Urteilsfeststellungen aufdrängendes Alternativgeschehen, sondern eine urteilsfremde Erwägung. Das Landgericht hat sich auf Grund der Gesamtumstände der Reise fehlerfrei davon überzeugt, dass der Angeklagte die ihm aufgedrängte Mitreisende nicht „geführt“ hat, sondern dass sich die Frau den jüngeren illegal Einreisenden lediglich auf eigenes Risiko angeschlossen hat.
19
Die Würdigung der Zahlungen des Angeklagten an den unbekannt gebliebenen Schleuser ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
20
Eine lückenhafte Beweiswürdigung hinsichtlich des von A. erklärten Verzichts auf Hilfe hat sich auf das Ergebnis der Subsumtion des Landgerichts nicht ausgewirkt (siehe dazu näher sub b) dd)).
21
b) Die vom Landgericht vorgenommene rechtliche Würdigung hält der sachlichrechtlichen Prüfung stand.
22
aa) Vergeblich wendet sich die Revision gegen die Annahme des Landgerichts, dem Angeklagten sei keine Garantenstellung für das Leben der Verstorbenen aus dem Umstand erwachsen, dass die in einer Gruppe illegal eingereisten Personen in eine enge Gemeinschaftsbeziehung eingetreten sind. Die bloße Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft begründet noch keine gegenseitigen Hilfspflichten. Dafür wäre vielmehr die Übernahme einer Schutzfunktion gegenüber einem Hilfsbedürftigen aus dieser Gruppe vonnöten gewesen (vgl. BGHSt 48, 77, 91; BGH NJW 1987, 850 f.; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil Bd. 2 S. 730 Rdn. 57). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte, dem A. gegen seinen Willen von dem moldawischen Schleuser aufgedrängt worden ist, bis zu seiner Zusage, sie in die für ihn und seine Verlobte vorgesehene Abholung einzubeziehen, weder ausdrücklich noch schlüssig erklärt, er werde für ihr Wohlergehen Sorge tragen.
23
bb) Eine Übernahme einer Schutzfunktion ergibt sich auch nicht daraus , dass der Angeklagte die später Verstorbene in sein weiteres Vorgehen einbezogen und ihr die Abholung und Weiterreise nach Frankfurt am Main versprochen hat. Diese Hilfszusage geht zwar an sich über die Erfüllung der allgemeinen Hilfspflicht gemäß § 323c StGB hinaus (vgl. Roxin aaO S. 731 Rdn. 61). Die Erfüllung dieser Pflicht stand indes unter der – vom Angeklagten nicht beeinflussbaren – aufschiebenden Bedingung des Eingreifens eines weiteren Hilfswilligen, des dem Angeklagten bekannten, in Frankfurt am Main wohnhaften russischen Staatsangehörigen. Nachdem indes dieser eine Reise an die ostdeutsche Grenze abgelehnt hatte, endete die vom Angeklagten gemachte Hilfszusage. Bei dieser Sachlage konnte sich aus der einmal zugesagten Hilfe auch keine fortwirkende Pflicht zur Vornahme einer weiteren Hilfsmaßnahme ergeben (vgl. Weigend in LK 12. Aufl. § 13 Rdn. 35; Roxin aaO S. 733 Rdn. 68). Der Angeklagte blieb demnach lediglich angehalten, seine allgemeine, sich aus § 323c StGB ergebende Hilfspflicht zu erfüllen.
24
cc) Eine Garantenstellung für das Leben der Verstorbenen ergab sich für den Angeklagten auch nicht aus einem gefahrerhöhenden Vorverhalten (vgl. BGHSt 37, 106, 115; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7).
25
Zwar hat der Angeklagte durch seine Beihilfe zur illegalen Einreise der Verstorbenen ein gegen die Rechtsordnung verstoßendes Vorverhalten verwirklicht (vgl. Weigend aaO Rdn. 43 m.w.N.). Dies genügt aber zur Annahme einer Garantenstellung allein noch nicht, weil es zu vermeiden gilt, durch eine zu weite Ausdehnung der an das vorangegangene Vorverhalten anknüpfenden Handlungspflicht die von der Rechtsordnung – gemäß Art. 2 Abs. 1 GG – geschützte Handlungsfreiheit in größerem Umfang aufzuheben (vgl. NK-StGB Wohlers 2. Aufl. § 13 Rdn. 41). Zur Annahme einer Garantenstellung ist es deshalb darüber hinausgehend im Sinne einer Eingrenzung erforderlich , dass der Täter durch sein Vorverhalten über die bloße Erfolgsursächlichkeit und Pflichtwidrigkeit hinaus die nahe Gefahr für den Schadenseintritt geschaffen hat (vgl. BGHSt 37, 106, 115 f.; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Unterlassen 3), was bei der Missachtung einer Vorschrift angenommen wird, die dem Schutz des betroffenen Rechtsguts dient (vgl. BGHSt aaO; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 13 Rdn. 35a; Roxin aaO S. 770 Rdn. 171). Dazu zählt der vom Angeklagten verwirklichte Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG i.V.m. § 27 Abs. 1 StGB nicht. Aus der in der Vorschrift des § 1 Abs. 1 AufenthG niedergelegten Zweckbestimmung des Aufenthaltsgesetzes folgt, dass dieses Gesetz keine Individualrechtsgüter schützt. Der vom Angeklagten insoweit verwirklichte Gesetzesverstoß kann demnach keine Garantenstellung für das Leben der illegal eingereisten Mitreisenden begründen.
26
dd) Auch eine Strafbarkeit nach § 323c StGB ist nicht gegeben.
27
Zwar beruhen die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es einen Verzicht auf die Erfüllung der allgemeinen Hilfspflicht angenommen hat, auf einer bedenklich unvollständigen Auswertung der getroffenen Feststellungen (vgl. BGH wistra 2002, 260, 262; 2007, 18, 19 f.; 108, 109; BGH, Urteil vom 31. Januar 2007 – 5 StR 404/06 Rdn. 23 ff.; Brause NStZ 2007, 505, 507 m.w.N.). Es spricht nichts dafür – was das Landgericht letztlich voraussetzt –, dass A. , die nach Italien zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit reisen wollte, bei offensichtlicher Unmöglichkeit einer zeitnahen Rettung wegen des Risikos der Entdeckung der Begehung des eher geringfügigen Vergehens der illegalen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ihrem Leben hätte ein Ende setzen wollen. Dagegen spricht auch, dass Arbeitsmigranten sich offensichtlich eher abschieben oder wegen eines geringen Vergehens verurteilen lassen, als ihr Leben zu opfern.
28
Dieser Mangel bleibt indes jedenfalls ohne Auswirkung auf das vom Landgericht gefundene Ergebnis. Der Angeklagte war nach den fehlerfrei getroffenen Feststellungen naheliegend zur Hilfeleistung schon nicht mehr in der Lage. Er schlief ersichtlich erschöpft am Straßenrand und wurde von einem Zeugen gegen 2.00 Uhr in desorientiertem Zustand angetroffen. Jedenfalls war die ihm obliegende Hilfspflicht dadurch erloschen, weil der Tod – zugunsten des Angeklagten nicht ausschließbar – bereits kurze Zeit, nachdem der Angeklagte die Geschädigte verlassen hatte, eingetreten ist (vgl. BGHSt 32, 367, 381 m.w.N.).
29
ee) Eine Strafbarkeit wegen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist ebenfalls nicht gegeben.
30
Bei der vom Angeklagten gemeinsam mit seiner Verlobten geplanten und ausgeführten illegalen Einreise handelte der Angeklagte als Mittäter, was eine Bestrafung wegen Beihilfe (vgl. Renner, Ausländerrecht 8. Aufl. AufenthG § 96 Rdn. 5) an der nämlichen Tat ausschließt (vgl. Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 27 Rdn. 2).
Basdorf Raum Brause Schaal Jäger

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 582/99
vom
16. Februar 2000
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Februar
2000, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Niemöller,
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 22. Juni 1999 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchten Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen Rechtes gerügt wird. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

II.

1. Am 30. September 1998 befanden sich der Angeklagte, sein Freund M. und das spätere Tatopfer E. in einer Gaststätte. M. und E. hatten eine Auseinandersetzung. Der erboste E. verließ das Lokal, drohte aber wiederzukommen. Er holte ein großes Brotmesser und lauerte M. auf. Als der Angeklagte
und M. das Lokal verließen und sich gerade getrennt hatten, sprang E. hervor und brachte dem überraschten M. mit dem Messer am Kopf eine lange Schnittverletzung bei. M. schrie um Hilfe und rannte in Todesangst davon; E. verfolgte ihn. Der Angeklagte folgte den beiden, um seinem Freund zu helfen. E. unterbrach die Verfolgung M.‘s und wandte sich, das Messer in der Hand haltend, nunmehr angriffsbereit dem Angeklagten zu. Dieser prallte in vollem Lauf auf E. und riß ihn zu Boden, wobei diesem das Messer aus der Hand fiel. Es kam zu einem Kampf am Boden, wobei es dem Angeklagten gelang, in den Besitz des Messers zu kommen, mit dem er nun auf seinen Gegner einstach. Die Reihenfolge der Stich- und Schnittverletzungen ließ sich nicht sicher feststellen. Die Kammer ging deshalb zugunsten des Angeklagten davon aus, daß er E. neben Abwehrverletzungen an Arm und Hand als erstes die drei tiefen Stichverletzungen an der Rückseite des rechten Oberschenkels zufügte, unter denen sich die später zum Tode führende Schlagaderverletzung befand. Während dieser Phase des Kampfes mußte der Angeklagte sich noch gegen den Angriff seines Gegners wehren und damit rechnen, daß dieser die Absicht hatte, ihm das Messer wieder zu entwinden und es dann gegen ihn (den Angeklagten) zu richten. Das änderte sich, nachdem der Angeklagte die ersten Stiche gesetzt hatte. Infolge der ihm zugefügten schweren Verletzung schwand die Angriffskraft E.‘s und es gelang dem Angeklagten, seinen Gegner mit dem Rücken auf den Boden zu fixieren und sich - das Gesicht in Richtung von dessen Füßen, den Rücken zu E.‘s Kopf - auf seinen Brustkorb zu setzen oder zu knien. Obwohl der Angeklagte erkannte, daß er seinen Angreifer überwältigt hatte und von diesem, seit er schwerverletzt auf dem Rücken lag, keine Gefahr mehr befürchten mußte, stach er wuchtig mindestens viermal weiter mit dem Messer auf E. ein, gezielt in den Bereich der Beine, wobei er E. nicht töten, sondern nur verletzen wollte. Er nahm bewußt davon Abstand, E. in den Oberkörper-
Bauchbereich zu stechen, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. M., der zunächst weitergelaufen war, kam zurück und sah E. reglos und blutend am Boden liegen. Dem Angeklagten wurde bewußt, daß er ”etwas Schlimmes getan” hatte. Er sprang auf, rief zu M. ”Laß uns abhauen!”, und beide rannten zum Pkw des Angeklagten. Der Angeklagte glaubte in diesem Augenblick nicht, daß E. bereits im Sterben lag, aber es war ihm klar, daß er ihn durch die heftigen Stiche so schwer verletzt hatte, daß dieser ohne ärztliche Behandlung verbluten würde. Obwohl er nicht damit rechnete - was in Anbetracht der tiefen Nachtzeit, der menschenleeren Örtlichkeit und des Regenwetters auch nicht anzunehmen war -, daß dem Verletzten rechtzeitig Hilfe zuteil werden würde, fuhr er mit M. davon. Er tat dies, weil er wegen seiner Vorstrafen befürchtete, daß die Polizei ihm nicht glauben würde, und nahm den Tod des E. durch Verbluten dabei billigend in Kauf. E. wurde ins Krankenhaus eingeliefert und verstarb infolge der erhaltenen Verletzungen. ”Der Tod trat ein infolge der Durchtrennung der rechten Oberschenkelschlagader und vielfältiger Verletzungen kleinerer Gefäße im Bereich der übrigen Wunden, die zu einem massiven Blutverlust führten, der auch durch intensivärztliche Maßnahmen mit Massenbluttransfusionen nicht mehr abzuwenden war, so daß schließlich unter den Zeichen der allgemeinen Blutgerinnungsstörung und Ausprägung von Schockorganen der Tod eintrat” (UA S. 14/15). Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß die tödlichen Stiche durch Notwehr gerechtfertigt waren. In den anschließenden weiteren vier Stichen hat es eine gefährliche Körperverletzung gesehen. In Tatmehrheit hierzu hat es versuchten Totschlag durch Unterlassen angenommen. Der Angeklagte habe durch sein vorangegangenes Tun eine Garantenpflicht gegenüber dem Opfer
gehabt. Da die unterlassene Hilfeleistung aber - was der Angeklagte nicht habe wissen können - nicht kausal für den Tod des E. gewesen sei, sei ”nur” wegen eines versuchten Totschlags zu verurteilen.

III.

Das Urteil war aufzuheben. Die Feststellungen zur Todesursache sind widersprüchlich. Die Kammer ist an mehreren Stellen des Urteils zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, daß dieser ”als erstes die drei tiefen Stichverletzungen , unter anderem die später zum Tode führende Schlagaderverletzung”, zufügte. Andererseits hat das Tatgericht festgestellt, daß der Tod infolge der Durchtrennung der rechten Oberschenkelschlagader und vielfältiger Verletzungen kleinerer Gefäße im Bereich der übrigen Wunden ... eingetreten ist. Er sei infolge der ”erhaltenen Verletzungen” verstorben. Nach letzterer Feststellung waren die weiteren Stiche mitursächlich für den Tod des Opfers. Dies läßt sich nicht damit vereinbaren, daß nur die ersten (durch Notwehr gerechtfertigten) Stiche todesursächlich waren. Eine eindeutige Feststellung der Todesursache ist für den Schuldspruch aber von entscheidender Bedeutung: 1. Waren nur die ersten (durch Notwehr gerechtfertigten) Stiche todesursächlich , wäre der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung - im Hinblick auf die vier weiteren Stiche - zutreffend. Körperverletzung mit Todesfolge läge nicht vor, da durch diese Stiche der Tod nicht verursacht wurde. Durch die ersten Stiche hatte der Angeklagte bei E. rechtmäßig den Tod herbeigeführt. Eine Verurteilung gleichwohl wegen (versuchten) Totschlags
(durch Unterlassen) käme danach nicht ohne weiteres in Betracht. Wäre das Opfer sofort gestorben, läge dies auf der Hand. Die Rechtslage ändert sich aber insoweit nicht dadurch, daß der Tod mit einiger Verzögerung eintrat; denn er konnte nicht abgewendet werden. Da die ersten Stiche in Notwehr erfolgten, haben sie hier zu keiner Garantenstellung des Angeklagten geführt (vgl. BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 2 = NJW 1987, 850). Denn das Bestehen einer Garantenstellung aus vorangegangenem Verhalten setzt jedenfalls eine Pflichtwidrigkeit voraus (vgl. u.a. BGH NStZ 1998, 83; vgl. auch BGHSt 37, 106, 115). Die Verletzung eines Angreifers in Notwehr macht daher in der Regel den Angegriffenen nicht zum Garanten für das Leben des Angreifers (vgl. BGH, Urt. v. 29. Juli 1970 - 2 StR 221/70, auszugsweise wiedergegeben in BGHSt 23, 327 und BGH MDR 1971, 59; vgl. auch Bringewat MDR 1971, 716, 717; insoweit auch zustimmend Maiwald JuS 1981, 473, 483). Ein Ausnahmefall , daß der Angreifer ”zurechnungsunfähig oder sonst schuldlos ist” (vgl. BGHSt 23, 327, 328), liegt hier nicht vor. Die weiteren - pflichtwidrigen und zur Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung führenden - Stiche haben hier ebenfalls keine Garantenstellung begründet. Pflichtwidriges Vorverhalten begründet nur dann eine Garantenstellung , wenn es die nahe Gefahr des Eintritts des konkret untersuchten tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht (vgl. u.a. BGH NStZ 1998, 83; BGH StV 1998, 127, 128; BGH NJW 1992, 1246, 1247; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Unterlassen 3). Die gefährliche Körperverletzung hat hier nicht die nahe Gefahr des Todes verursacht. Eine Körperverletzung löst nur dann eine Garantenstellung aus, wenn sie einen gefahrerhöhenden Zustand bewirkt hat. Das ist hier nicht der Fall. Bei einem - unrettbar - tödlich Verletzten kann ein die Todesgefahr
erhöhendes Tun nur darin gesehen werden, daß hierdurch der Tod beschleunigt werden konnte. Diese Gefahr ist im vorliegenden Fall durch die Unterstellung , daß die weiteren Stiche für den Tod nicht einmal mitursächlich waren, das heißt diesen auch nicht beschleunigt haben, ausgeräumt. Denn sie waren nicht nur nicht todesursächlich, was allein den Rückschluß nahelegt, daß auch eine diesbezügliche Gefahr nicht bestand, sondern sie konnten in der konkreten Situation auch keinen gefahrerhöhenden Zustand verursachen. Eine solche Gefahr ist vom Tatrichter auch nicht festgestellt worden. Er hat vielmehr die Verwirklichung des Tatbestandes der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) verneint, weil hier der Körperverletzung nicht die tatbestandsspezifische Gefahr des tödlichen Ausganges anhaftete. Er hat sogar - gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen Professor B. - noch nicht einmal eine abstrakte Gefahr für das Leben des bereits tödlich Verletzten angenommen und deshalb auch die Alternative "mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung" (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) ausdrücklich abgelehnt (UA S. 23). Eine (gefährliche) Körperverletzung, die - hier fiktiv - keinerlei Gefahr für das Leben des Opfers bewirkt, löst keine Garantenstellung aus. Es liegt daher zum einen kein pflichtwidriges, zum anderen kein gefahrerhöhendes vorausgehendes Tun vor; eine Garantenstellung bestand danach nicht. In Betracht kommen kann insoweit aber unterlassene Hilfeleistung (§ 323 c StGB). Dem steht nicht entgegen, daß der Tod des Opfers letztlich nicht abgewendet werden konnte. Denn auf die Erfolgsaussichten der Hilfeleistung kommt es grundsätzlich nicht an (vgl. u.a. BGH NStZ 1985, 409, 410; BGH, Urt. v. 29. Juli 1970 - 2 StR 221/70, insoweit nicht in BGHSt 23, 327 abgedruckt ). Regelmäßig schließt nur der sofortige Tod des Opfers die Erforder-
lichkeit der Hilfeleistung aus (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 19. Januar 1984 - 4 StR 742/83, insoweit in NStZ 1984, 328 nicht abgedruckt; BGHSt 14, 213, 216; 16, 200, 203). Der Tod des Opfers ist hier nicht sofort eingetreten. 2. Waren die weiteren vier Stiche jedoch für den Tod des Opfers mitursächlich , ist die Rechtslage anders zu beurteilen. Zutreffend weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, daß dann statt gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) anzunehmen wäre, da der Verwirklichung der Körperverletzung die tatbestandsspezifische Gefahr anhaftete, die sich im tödlichen Ausgang unmittelbar niedergeschlagen hat. Gerade die zahlreichen Verletzungen haben dann zum Tod durch Verbluten geführt. Bei dieser Fallkonstellation käme weiter auch versuchter Totschlag durch Unterlassen in Betracht. Die Garantenstellung wurde dann durch die weiteren - pflichtwidrigen - Stiche, die mitursächlich für den Tod und damit gefahrerhöhend waren, begründet. Daß der Tod unvermeidbar war, legt, da der Angeklagte seine Garantenpflicht erkannte, eine Rettung für möglich hielt und den Tod des Opfers gleichwohl billigend in Kauf nahm, die Annahme eines versuchten Tötungsdeliktes nahe. Zwar verpflichtet das Recht auch denjenigen nicht zu sinnlosem Tun, der aufgrund einer Garantenstellung gehalten ist, einen bestimmten Erfolg abzuwenden ; aber nur die sicher voraussehbare Erfolglosigkeit eines Rettungsbemühens läßt die Handlungspflicht entfallen (vgl. u.a. BGHR StGB § 13 Abs. 1 - Zumutbarkeit 1 = NStZ 1994, 29 = NJW 1994, 1357 = JR 1994, 510 mit Anm. Loos). Hier war die Erfolglosigkeit zumutbarer Hilfsmaßnahmen des Ange-
klagten (z.B. telefonische Benachrichtigung von Polizei/Notarzt) nicht sicher vorauszusehen; er selbst hielt demgemäß eine Rettung auch für möglich. Das vorsätzliche Unterlassen von Hilfsmaßnahmen ist aber nur dann als vollendete Tat strafbar, wenn festgestellt wird, daß der Angeklagte durch das Ergreifen solcher Maßnahmen den Erfolg hätte verhindern können; denn nur dann kann das Unterlassen für den Erfolgseintritt ursächlich geworden sein (vgl. u.a. BGHR StGB § 13 Abs. 1 Brandstiftung 1; BGH StV 1984, 247 m.w.N.). Deshalb kommt hier nur der Versuch eines Tötungsdeliktes (durch Unterlassen ) in Betracht. Der Versuch eines unechten Unterlassungsdeliktes ist strafbar (vgl. BGHSt 38, 356, 358 m.w.N.). Ob in Fällen des Unterlassens der ”untaugliche Versuch” strafbar ist, ist jedenfalls im Schrifttum für Einzelfälle umstritten (vgl. die Hinweise in BGHSt 38, 356, 359). Der Senat hat in seinem Beschluß vom 16. Juli 1993 - 2 StR 294/93 (= NStZ 1994, 29) bereits entschieden , daß in vergleichbaren Fällen ein strafbarer untauglicher Versuch gegeben sein kann. Hieran ist festzuhalten. 3. Da demgemäß der Schuldspruch auf den widersprüchlichen Feststellungen beruht, hat der Senat das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufgehoben. Nach Sachlage ist nicht auszuschließen, daß in einer neuen Hauptverhandlung rechtsfehlerfrei festgestellt wird, daß auch die weiteren Stiche mitursächlich für den Tod des Opfers waren, zumal da es nahe liegt, daß die vier wuchtigen Stiche, die zu blutenden Verletzungen des Opfers führten, für einen Tod aufgrund massiven Blutverlustes mitursächlich waren. Der Senat vermag weiter nicht auszuschließen, daß ein neuer Tatrichter andere Feststellungen über die Reihenfolge der Stiche treffen kann. Dies wäre
für die Beurteilung der Notwehrlage von Bedeutung. Deshalb hat der Senat die Feststellungen insgesamt aufgehoben. Jähnke Niemöller Bode Otten Rothfuß

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 518/08
vom
29. April 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
Zu der die Art und Zusammensetzung eines Betäubungsmittels betreffenden Sorgfaltspflicht
desjenigen, der dieses einem anderen unerlaubt zum unmittelbaren
Verbrauch überlässt.
BGH, Urt. vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08 - LG Ellwangen
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
29. April 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwälte
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 30. Mai 2008 wird verworfen. Er hat die Kosten der Revision sowie die den Nebenklägern durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten (wahlweise) wegen Diebstahls oder Hehlerei (Tat II. 1. der Urteilsgründe) sowie wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlichem Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in zwei tateinheitlichen Fällen (Tat II. 2. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Den von der Revision geltend gemachten Widerspruch zwischen den Erkenntnissen der beiden Sachverständigen zum Todeszeitpunkt hat das Landgericht plausibel ausgeräumt. Der näheren Erörterung bedarf daher allein der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Insofern hat auch der Generalbundesanwalt beantragt, die Strafbarkeit entfallen zu lassen.
3
Das Landgericht hat aufgrund einer rechtlich nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung zur Tat II. 2. der Urteilsgründe festgestellt: In der Nacht zum 21. Januar 2006 kamen B. K. und Ü. Y. überein, „gemeinsam Kokain zu konsumieren“. B. K. wandte sich deshalb an den u.a. wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln vorbestraften Angeklagten, „von dem er wusste, dass man bei ihm Kokain erhalten“ konnte. Dieser erklärte sich bereit , B. K. und Ü. Y. „Kokain zu überlassen“, holte aus seinem Vorrat Rauschgift und portionierte dieses in zwei zusammengerollten Zehn-EuroScheinen , die er B. K. und Ü. Y. zum Konsum übergab. „In diesem Moment wusste er jedoch nicht, dass es sich bei dem von ihm mitgeführten Rauschgift nicht um Kokain handelte, sondern um reines Heroin. Tatsächlich hielt er das mitgebrachte Rauschgift für eine Mischung aus Kokain, Amphetamin und gekochtem Marihuana. Entweder hatte er das Heroin von seinem Lieferanten als das entsprechende Kokaingemisch erhalten oder er hatte sowohl reines Heroin als auch die entsprechende Mischung vorrätig und sorgfaltswidrig die Mengen bei Herausnahme aus seinem Vorrat verwechselt.“ B. K. konsumierte das Heroin und verstarb wenige Stunden später infolge eines ausschließlich hierdurch verursachten zentralen Regulationsversagens. Diese Folge hätte der Angeklagte bei pflichtgemäßem und sorgfältigem Handeln erkennen und vermeiden können.
4
2. Der Generalbundesanwalt meint, diese Feststellungen würden die Verurteilung wegen - tateinheitlich zum Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Nr. 6b 2. Alt. BtMG begangener - fahrlässiger Tötung nicht tragen. Der Angeklagte habe sich lediglich an einer vorsätzlichen Selbstgefährdung B. K. s beteiligt und daher nicht gemäß § 222 StGB strafbar gemacht. Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zu folgen.
5
a) Allerdings trifft es zu, dass eigenverantwortlich gewollte, mithin zumindest in Kauf genommene Selbsttötungen, -verletzungen und -gefährdungen nicht dem Tatbestand eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts unterfallen. Wer sich daran beteiligt, nimmt an einem Vorgang teil, der - soweit es um die Strafbarkeit wegen eines solchen Delikts geht - keine Tat im Sinne der §§ 25, 26, 27 Abs. 1 StGB darstellt. Der sich vorsätzlich Beteiligende kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs infolgedessen nicht als Anstifter oder Gehilfe bestraft werden. Wer das zumindest selbst gefährdende, eigenverantwortliche Verhalten eines anderen fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs nicht strafbar sein, wenn er sich im Falle vorsätzlichen Handelns nicht strafbar machen würde (grundlegend BGHSt 32, 262, 263 ff.; s. auch BGH NStZ 2001, 205).
6
b) Hieran gemessen hat sich der Angeklagte auch wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht.
7
aa) Denn die Straflosigkeit eines Beteiligten setzt voraus, dass der andere sich „frei und eigenverantwortlich gewollt“ selbst gefährdet (vgl. BGH NStZ 1985, 25, 26; NStZ 1985, 319). Die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses begrenzt die Strafbarkeit (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 21). An dieser fehlt es aber nicht nur, wenn ein autonomes Handeln beispielsweise infolge einer Intoxikationspsychose ausgeschlossen ist (BGH NStZ 1983, 72), sondern auch bei einem die Selbstverantwortlichkeit betreffenden Irrtum (vgl. BGH NStZ 1986, 266, 267).

8
Einem derartig rechtserheblichen Irrtum war B. K. unterlegen. Zwar hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend darauf hingewiesen, dass den sich am illegalen Umgang mit Betäubungsmitteln beteiligenden Personen die Wirkstoffkonzentration und der Gehalt eventuell beigemengter Stoffe regelmäßig nicht bekannt sind und Konsumenten daher riskieren, nicht nur eine zu hohe Dosierung des von ihnen gewünschten Rauschgifts, sondern zusätzlich unbekannte, möglicherweise ebenfalls gesundheitsgefährdende Stoffe zu sich zu nehmen. Das vom Landgericht festgestellte Geschehen lag aber außerhalb eines solchen üblichen Gefahrenbereichs, so dass B. K. das von ihm eingegangene Risiko grundlegend verkannte. Denn er erhielt vom Angeklagten nicht - wie gewünscht und ihm zugesagt - Kokain, das lediglich einen höheren Wirkstoffgehalt hatte, als von ihm angenommen, und dem weitere Substanzen beigegeben waren, sondern Heroin. Dieses ist nicht nur generell gefährlicher als Kokain, wie die deutlich divergierenden Grenzwerte für die jeweils nicht geringe Menge erkennen lassen (vgl. BGHSt 32, 162: 1,5 g Heroinhydrochlorid; BGHSt 33, 133: 5 g Kokainhydrochlorid), sondern war vorliegend „rein“ und damit von weit überdurchschnittlicher Gefährlichkeit (vgl. den Deutschland betreffenden Bericht 2007 des nationalen Knotenpunkts des Europäischen Informationsnetzwerks zu Drogen und Sucht [REITOX] an die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, S. 122, 125, wonach im Jahr 2006 der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Heroin im Straßenhandel 15,6 % und im Großhandel 38,1 % betrug).
9
bb) Das Landgericht hat angesichts dessen im Ergebnis zutreffend angenommen , dass B. K. s Tod auf einem sorgfaltswidrigen Verhalten des Angeklagten beruht und diesem zuzurechnen ist. Die im Rahmen der rechtlichen Würdigung für die Bejahung des § 222 StGB gegebene Begründung, der Angeklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, B. K. „über die Tatsache aufzuklären, dass er ihm statt reines Kokain eine Mischung überließ“, erweist sich jedoch als nicht tragfähig. Diese Fehlvorstellung des Angeklagten war für die Erhöhung des für B. K. bestehenden Risikos ohne Bedeutung; eine entsprechende Mitteilung hätte diesem keine realistischere Beurteilung des Risikos ermöglicht.
10
Als der Angeklagte das Rauschgift zum Konsumieren zur Verfügung stellte, verhielt er sich aber insofern sorgfaltswidrig, als er dabei unter Berücksichtigung des Vorverhaltens der Beteiligten (konkludent) zum Ausdruck brachte , dem Wunsch B. K. s und seiner Zusage entsprechend handele es sich um Kokain. Denn eine solche Erklärung durfte der Angeklagte nur abgeben, wenn er sich zuvor vergewissert hätte, dass er tatsächlich dieses Rauschmittel aushändigt. In diesem Fall hätte er das tatsächliche Risiko und die daraus erwachsenden Folgen ebenso erkennen können (vgl. Hardtung in MüKo-StGB § 222 Rdn. 22) wie den Umstand, dass B. K. sein sich selbst gefährdendes Verhalten falsch einschätzen würde (s. auch Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 21).
11
Einer solchen Prüfungspflicht steht nicht entgegen, dass der unerlaubte Umgang mit Betäubungsmitteln generell und hier konkret das Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch (§ 29 Abs. 1 Nr. 6b 2. Alt. BtMG) unter Strafe gestellt ist. Denn anderenfalls würde derjenige, der sich in ohnehin strafbarer Weise verhält, gegenüber demjenigen besser gestellt, der grundsätzlich erlaubt potentiell risikobehaftete Stoffe an andere weitergibt. Beispielsweise haben Ärzte und Apotheker zuvor zu prüfen, ob sie dem Kunden das richtige Medikament aushändigen. Eine solche Auslegung würde darüber hinaus dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel zuwiderlaufen, gerade die durch unerlaubte Betäubungsmittel verursachten Gefahren einzudämmen. Ob sich eine solche Prüfungspflicht auch auf den jeweiligen Wirkstoffgehalt des von den Beteiligten (qualitativ und quantitativ ) zutreffend eingestuften Rauschmittels erstreckt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Bei solchen Konstellationen wird jedenfalls zumeist - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat - keine relevante Abweichung von der Vorstellung des Rauschmittelkonsumenten hinsichtlich des von ihm eingegangenen Risikos und damit ein eigenverantwortliches Verhalten vorliegen.
12
3. a) Gegen die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung spricht ferner nicht die Kontrollüberlegung, ob der Angeklagte bei vorsätzlichem Verhalten straflos geblieben wäre. Dies wäre nicht der Fall. Denn hätte der Angeklagte dem lediglich Kokain erwartenden B. K. vorsätzlich reines Heroin zum Konsumieren ausgehändigt, ohne ihn darüber aufzuklären, wäre er wegen eines in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 2. Alt. StGB) begangenen vorsätzlichen Tötungsdelikts zu verurteilen gewesen, wobei die Annahme eines Heimtückemordes nahe gelegen hätte. Das sog. Teilnahmeargument geht somit fehl, weil B. K. irrtumsbedingt das tatsächliche Risiko verkannte.
13
b) Einer Bestrafung nach § 222 StGB steht schließlich auch nicht eine privilegierende Spezialität des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG mit daraus ggf. folgender Sperrwirkung entgegen. Privilegierende Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren (spezielleren) Gesichtspunkt erfasst, und der Täter durch die Spezialvorschrift privilegiert werden soll. In diesem Fall ist ein Rückgriff auf das allgemeinere Delikt ausgeschlossen, da hierdurch die Pri- vilegierung beseitigt würde. Ob die speziellere Vorschrift den Täter begünstigen soll, ist anhand des Zwecks dieser Vorschrift, des inneren Zusammenhangs der miteinander konkurrierenden Bestimmungen und des Willens des Gesetzgebers zu prüfen (BGHSt 49, 34, 37).
14
Die anhand dieser Kriterien vorgenommene Prüfung ergibt zwar, dass § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG hinsichtlich des herbeigeführten Todes leichtfertiges Verhalten verlangt und dieses zudem gegenüber der offenen Tathandlung beim § 222 StGB konkretisiert, diesem gegenüber also lex specialis ist (ebenso Rahlf in MüKo-StGB § 30 BtMG Rdn. 173). Da aber im Hinblick darauf sein Strafrahmen deutlich erhöht ist, sperrt er die Anwendung des § 222 StGB nicht, wenn dieser, jedoch § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht erfüllt ist (s. auch BGHSt 19, 188, 190; 30, 235, 236; 49, 34, 38).
15
Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der neuen Betäubungsmittelvorschriften , die durch das Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl. I S. 681) geändert worden sind, bestätigt. Wie sich aus den Materialien ergibt (BTDrucks. 8/3551 S. 37; auch 7/4141, S. 5 f.), sollte wegen der steigenden Zahl der Drogentoten durch die Einfügung des Merkmals der (nicht mehr vorsätzlichen, sondern nur noch) leichtfertigen Herbeiführung des Todes eines Menschen das diesbezügliche Strafrecht verschärft werden. Nack Wahl Graf Jäger Sander
5 StR 491/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 11. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Mai 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer tateinheitlichen Tat der Körperverletzung mit Todesfolge und der Überlassung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge (zwei tateinheitliche Fälle) sowie der gefährlichen Körperverletzung und der vorsätzlichen Überlassung von Betäubungsmitteln (fünf tateinheitliche Fälle) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn mit einem dauerhaften Berufsverbot für eine Tätigkeit als niedergelassener Arzt und als Psychotherapeut belegt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte, ein auf psychotherapeutische Behandlungen spezialisierter Arzt, sogenannte psycholytische Sitzungen durch. Bei diesen Gruppensitzungen werden die Patienten – so der Ansatz der Psycholyse – durch Drogen in ein Wachtraumerleben der Objektumgebung versetzt. Ziel dieser in Deutschland wissen- schaftlich nicht anerkannten Methode soll es sein, an unbewusste Inhalte der Psyche zu gelangen.
3
Am 19. September 2009 führte der Angeklagte mit einer Gruppe von zwölf Personen eine Intensivsitzung durch. Nach einer „Einstimmungs- und Befindlichkeitsrunde“ stellte er die zur Einnahme bereitgehaltenen Substanzen Neocor und MDMA vor. Nachdem der Angeklagte an neun der Gruppenmitglieder zunächst eine Tablette des nicht als Arzneimittel zugelassenen Neocor verabreicht hatte, fragte er, wer von den Anwesenden MDMA einnehmen wolle. Daraufhin meldeten sich sieben Mitglieder der Gruppe, darunter die später verstorbenen K. und Kn. . Von dem MDMA, das von dem Nebenkläger N. beschafft worden war, sollten sechs Mitglieder der Gruppe, die sich zur Einnahme entschlossen hatten, 120 mg, der Nebenkläger N. 140 mg erhalten. Der Angeklagte übernahm das Abwiegen des Rauschgifts. Dabei wunderte er sich zwar über das Volumen der abgewogenen Menge, verließ sich aber auf die Anzeige seiner Waage. Tatsächlich übergab er an die zum Drogenkonsum bereiten Gruppenmitglieder jedoch mindestens die zehnfache Menge. Etwa zehn bis 15 Minuten nach der Einnahme kam es bei diesen zu heftigen körperlichen Reaktionen. Einige erlitten Spasmen und waren unfähig, sich zu bewegen, mussten sich übergeben oder fingen an, um sich zu schlagen. Die körperlichen Ausfälle aufgrund der Vergiftung verstärkten sich zunehmend. Trotz der vom Angeklagten und der herbeigerufenen Notärztin veranlassten Hilfsmaßnahmen verstarben Kn. und K. an Multiorganversagen aufgrund der Überdosis MDMA. Der Nebenkläger N. war lebensgefährlich erkrankt, konnte jedoch nach Intensivbehandlung gerettet werden; die übrigen vier Gruppenmitglieder wurden nach einigen Tagen stationärer Behandlung wegen Vergiftungserscheinungen wieder entlassen.
4
2. Das Landgericht hat in der Verabreichung des MDMA eine vorsätzliche Körperverletzung gesehen. Der Angeklagte habe die Tatherrschaft über den Vorgang innegehabt, indem er das MDMA abgewogen und den Grup- penmitgliedern zur Verfügung gestellt habe. Eine Einwilligung fehle, weil er die Gruppenmitglieder nicht ausreichend aufgeklärt habe. Der durch diese Körperverletzungshandlung herbeigeführte Todeseintritt sei für ihn voraussehbar gewesen. Dies führe zugleich zu einer Strafbarkeit wegen des Überlassens von Betäubungsmitteln mit Todesfolge, weil der Angeklagte den Tod von K. und Kn. auch leichtfertig verursacht habe.

II.


5
Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts, das der Einlassung des Angeklagten im Hinblick auf eine versehentliche Überdosierung gefolgt ist, erweist sich die Revision des Angeklagten als begründet. Die Annahme einer vorsätzlichen Körperverletzung zu Lasten der MDMA konsumierenden Gruppenmitglieder begegnet durchgreifenden Bedenken.
6
1. Das Landgericht grenzt allerdings im Ansatz zutreffend die strafbare Körperverletzung von der straflosen Beteiligung an einer Selbstgefährdung ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterfällt die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Urteile vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262; vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290).
7
Da sämtliche Mitglieder der Gruppe das Betäubungsmittel MDMA eigenhändig und wissentlich zu sich nahmen, liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor. Dies schließt eine Strafbarkeit wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung aus.
8
2. Eine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft wäre dem Angeklagten nur dann zugewachsen, wenn und soweit die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses der Gruppenteilnehmer beeinträchtigt gewesen wäre. Dies ist der Fall, wenn der Täter kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der Selbstgefährdende, namentlich wenn das Opfer einem Irrtum unterliegt, der seine Selbstverantwortlichkeit ausschließt (vgl. BGH, Urteile vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320), oder es infolge einer Intoxikation zu einer Risikoabwägung nicht mehr hinreichend in der Lage ist (BGH, Urteil vom 27. November 1985 – 3 StR 426/85, NStZ 1986, 266). Eine solche besondere Situation belegen die Urteilsgründe nicht.
9
a) Sämtliche Mitglieder der Gruppe nahmen das Betäubungsmittel MDMA willentlich zu sich. Ungeachtet der Tatsache, dass der Angeklagte die Dosierung bestimmte und die Betäubungsmittelportionen auch selbst abwog, verblieb ihnen ohne jede Einschränkung die letzte Entscheidung über die Einnahme.
10
b) Auch der von der Strafkammer angeführte Gesichtspunkt, der Angeklagte als Arzt und ehemaliger Suchtberater habe das Risiko besser erfasst als seine Gruppenmitglieder, die ihm vertraut hätten, begründet noch keine strafrechtlich relevante Handlungsherrschaft (vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. 1, 4. Aufl., § 11 Rdn. 111; vgl. sehr weitgehend BGH, Urteil vom 18. Juli 1978 – 1 StR 209/78, JR 1979, 429). Alle Gruppenmitglieder kannten die Illegalität der Droge. Bei der Psycholyse handelt es sich um eine in Deutschland wissenschaftlich nicht anerkannte Therapiemethode. Folglich mussten sie mit besonderen medizinischen Risiken rechnen. Darüber hinaus verfügten alle bereits über Erfahrungen mit der Droge; der später Verstorbene Kn.
hatte nach der Einnahme von MDMA überdies bereits früher Spasmen und Halluzinationen erlitten. Die Droge wurde vom Nebenkläger N. aus nicht näher geklärten – notwendigerweise jedoch illegalen – Quellen beschafft.
11
c) Angesichts dieser Umstände liegt eine eigenverantwortliche Selbstschädigung vor, selbst wenn der Angeklagte die einzelnen Gruppenmitglieder nicht über sämtliche – auch die eher seltenen – Risiken der MDMAEinnahme bei gängiger Verbrauchsdosierung, insbesondere nicht über ein bestehendes Todesrisiko, aufgeklärt hat, zumal sich diese Risiken im vorliegenden Fall nicht realisierten. Es bestehen zudem grundlegende Bedenken dagegen, die Grundsätze der Aufklärungspflicht bei ärztlicher Heilbehandlung uneingeschränkt in Fällen anzuwenden, in denen sich selbstverantwortliche Personen auf eine Behandlung einlassen, die offensichtlich die Grenzen auch nur ansatzweise anerkennenswerter ärztlicher Heilkunst überschreitet (vgl. auch § 13 BtMG).
12
3. Ein die Tatherrschaft des Angeklagten begründender Umstand wäre allerdings die Überdosierung mit der mindestens zehnfachen Menge des MDMA, weil hierdurch die Konsumenten der Drogen über einen ganz wesentlichen Gesichtspunkt im Unklaren gelassen wurden. Die wesentlich höhere Dosis hatte nämlich eine erhebliche Vergrößerung des Risikos zur Folge , das die Konsumenten nicht einschätzen konnten und auch tatsächlich verkannten.
13
Diese Fehldosierung durfte dem Angeklagten jedoch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht als vorsätzliche Körperverletzung zugerechnet werden. Das Landgericht folgt nämlich der Einlassung des Angeklagten , aufgrund einer Fehlfunktion seiner Waage sei es zur Überdosierung gekommen. Demnach fehlt es an einer Vermittlung der Tatherrschaft durch Irrtumsherrschaft, die bei der vorsätzlichen Körperverletzung nur durch ein vorsätzliches Handeln bewirkt werden kann. Wenn der Angeklagte die maßgebliche Risikoerhöhung durch die Falschdosierung nicht erkannt hat, liegt lediglich ein durch fahrlässiges Tun herbeigeführter Irrtum der Gruppenmitglieder vor. Der Angeklagte hätte deshalb auf der Basis der nach seiner Einlassung getroffenen Feststellungen – abhängig von den Folgen der Überdosierung bei den einzelnen Gruppenmitgliedern – lediglich wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) und fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) verurteilt werden können.

III.


14
Der Rechtsfehler nötigt angesichts der tateinheitlichen Verknüpfung sämtlicher verwirklichter Straftatbestände zu einer umfassenden Aufhebung des Schuldspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 45).
15
Abgesehen davon begegnet auch die Annahme einer Strafbarkeit wegen Überlassens der Betäubungsmittel mit Todesfolge (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG) auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen Bedenken. Die Tatbestandsverwirklichung setzt im Hinblick auf die Todesfolge Leichtfertigkeit voraus (§ 18 StGB). Hierfür ist das Maß der Pflichtwidrigkeit im Moment des Wiegevorgangs entscheidend, weil der vom Landgericht angenommene Wiegefehler die den Todeserfolg auslösende Bedingung gesetzt hat. Das Landgericht hätte sich deshalb mit der Frage der Erkennbarkeit des Wiegefehlers vor dem Erfahrungshintergrund des Angeklagten als Arzt näher auseinandersetzen müssen.
16
Von einer Aufrechterhaltung von Teilen der Feststellungen sieht der Senat ab, um dem neuen Tatgericht eine umfassende Aufklärung zu ermöglichen. Das neue Tatgericht wird sich dabei kritisch mit der Einlassung des Angeklagten auseinandersetzen müssen, dass er infolge eines Fehlers der Waage die zehnfache Überdosierung des MDMA nicht erkannt habe (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2010 – 5 StR 75/10, NStZ 2010, 503).
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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 518/08
vom
29. April 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
Zu der die Art und Zusammensetzung eines Betäubungsmittels betreffenden Sorgfaltspflicht
desjenigen, der dieses einem anderen unerlaubt zum unmittelbaren
Verbrauch überlässt.
BGH, Urt. vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08 - LG Ellwangen
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
29. April 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwälte
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 30. Mai 2008 wird verworfen. Er hat die Kosten der Revision sowie die den Nebenklägern durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten (wahlweise) wegen Diebstahls oder Hehlerei (Tat II. 1. der Urteilsgründe) sowie wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlichem Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in zwei tateinheitlichen Fällen (Tat II. 2. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Den von der Revision geltend gemachten Widerspruch zwischen den Erkenntnissen der beiden Sachverständigen zum Todeszeitpunkt hat das Landgericht plausibel ausgeräumt. Der näheren Erörterung bedarf daher allein der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Insofern hat auch der Generalbundesanwalt beantragt, die Strafbarkeit entfallen zu lassen.
3
Das Landgericht hat aufgrund einer rechtlich nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung zur Tat II. 2. der Urteilsgründe festgestellt: In der Nacht zum 21. Januar 2006 kamen B. K. und Ü. Y. überein, „gemeinsam Kokain zu konsumieren“. B. K. wandte sich deshalb an den u.a. wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln vorbestraften Angeklagten, „von dem er wusste, dass man bei ihm Kokain erhalten“ konnte. Dieser erklärte sich bereit , B. K. und Ü. Y. „Kokain zu überlassen“, holte aus seinem Vorrat Rauschgift und portionierte dieses in zwei zusammengerollten Zehn-EuroScheinen , die er B. K. und Ü. Y. zum Konsum übergab. „In diesem Moment wusste er jedoch nicht, dass es sich bei dem von ihm mitgeführten Rauschgift nicht um Kokain handelte, sondern um reines Heroin. Tatsächlich hielt er das mitgebrachte Rauschgift für eine Mischung aus Kokain, Amphetamin und gekochtem Marihuana. Entweder hatte er das Heroin von seinem Lieferanten als das entsprechende Kokaingemisch erhalten oder er hatte sowohl reines Heroin als auch die entsprechende Mischung vorrätig und sorgfaltswidrig die Mengen bei Herausnahme aus seinem Vorrat verwechselt.“ B. K. konsumierte das Heroin und verstarb wenige Stunden später infolge eines ausschließlich hierdurch verursachten zentralen Regulationsversagens. Diese Folge hätte der Angeklagte bei pflichtgemäßem und sorgfältigem Handeln erkennen und vermeiden können.
4
2. Der Generalbundesanwalt meint, diese Feststellungen würden die Verurteilung wegen - tateinheitlich zum Verstoß gegen § 29 Abs. 1 Nr. 6b 2. Alt. BtMG begangener - fahrlässiger Tötung nicht tragen. Der Angeklagte habe sich lediglich an einer vorsätzlichen Selbstgefährdung B. K. s beteiligt und daher nicht gemäß § 222 StGB strafbar gemacht. Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zu folgen.
5
a) Allerdings trifft es zu, dass eigenverantwortlich gewollte, mithin zumindest in Kauf genommene Selbsttötungen, -verletzungen und -gefährdungen nicht dem Tatbestand eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts unterfallen. Wer sich daran beteiligt, nimmt an einem Vorgang teil, der - soweit es um die Strafbarkeit wegen eines solchen Delikts geht - keine Tat im Sinne der §§ 25, 26, 27 Abs. 1 StGB darstellt. Der sich vorsätzlich Beteiligende kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs infolgedessen nicht als Anstifter oder Gehilfe bestraft werden. Wer das zumindest selbst gefährdende, eigenverantwortliche Verhalten eines anderen fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs nicht strafbar sein, wenn er sich im Falle vorsätzlichen Handelns nicht strafbar machen würde (grundlegend BGHSt 32, 262, 263 ff.; s. auch BGH NStZ 2001, 205).
6
b) Hieran gemessen hat sich der Angeklagte auch wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht.
7
aa) Denn die Straflosigkeit eines Beteiligten setzt voraus, dass der andere sich „frei und eigenverantwortlich gewollt“ selbst gefährdet (vgl. BGH NStZ 1985, 25, 26; NStZ 1985, 319). Die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses begrenzt die Strafbarkeit (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 21). An dieser fehlt es aber nicht nur, wenn ein autonomes Handeln beispielsweise infolge einer Intoxikationspsychose ausgeschlossen ist (BGH NStZ 1983, 72), sondern auch bei einem die Selbstverantwortlichkeit betreffenden Irrtum (vgl. BGH NStZ 1986, 266, 267).

8
Einem derartig rechtserheblichen Irrtum war B. K. unterlegen. Zwar hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend darauf hingewiesen, dass den sich am illegalen Umgang mit Betäubungsmitteln beteiligenden Personen die Wirkstoffkonzentration und der Gehalt eventuell beigemengter Stoffe regelmäßig nicht bekannt sind und Konsumenten daher riskieren, nicht nur eine zu hohe Dosierung des von ihnen gewünschten Rauschgifts, sondern zusätzlich unbekannte, möglicherweise ebenfalls gesundheitsgefährdende Stoffe zu sich zu nehmen. Das vom Landgericht festgestellte Geschehen lag aber außerhalb eines solchen üblichen Gefahrenbereichs, so dass B. K. das von ihm eingegangene Risiko grundlegend verkannte. Denn er erhielt vom Angeklagten nicht - wie gewünscht und ihm zugesagt - Kokain, das lediglich einen höheren Wirkstoffgehalt hatte, als von ihm angenommen, und dem weitere Substanzen beigegeben waren, sondern Heroin. Dieses ist nicht nur generell gefährlicher als Kokain, wie die deutlich divergierenden Grenzwerte für die jeweils nicht geringe Menge erkennen lassen (vgl. BGHSt 32, 162: 1,5 g Heroinhydrochlorid; BGHSt 33, 133: 5 g Kokainhydrochlorid), sondern war vorliegend „rein“ und damit von weit überdurchschnittlicher Gefährlichkeit (vgl. den Deutschland betreffenden Bericht 2007 des nationalen Knotenpunkts des Europäischen Informationsnetzwerks zu Drogen und Sucht [REITOX] an die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, S. 122, 125, wonach im Jahr 2006 der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Heroin im Straßenhandel 15,6 % und im Großhandel 38,1 % betrug).
9
bb) Das Landgericht hat angesichts dessen im Ergebnis zutreffend angenommen , dass B. K. s Tod auf einem sorgfaltswidrigen Verhalten des Angeklagten beruht und diesem zuzurechnen ist. Die im Rahmen der rechtlichen Würdigung für die Bejahung des § 222 StGB gegebene Begründung, der Angeklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, B. K. „über die Tatsache aufzuklären, dass er ihm statt reines Kokain eine Mischung überließ“, erweist sich jedoch als nicht tragfähig. Diese Fehlvorstellung des Angeklagten war für die Erhöhung des für B. K. bestehenden Risikos ohne Bedeutung; eine entsprechende Mitteilung hätte diesem keine realistischere Beurteilung des Risikos ermöglicht.
10
Als der Angeklagte das Rauschgift zum Konsumieren zur Verfügung stellte, verhielt er sich aber insofern sorgfaltswidrig, als er dabei unter Berücksichtigung des Vorverhaltens der Beteiligten (konkludent) zum Ausdruck brachte , dem Wunsch B. K. s und seiner Zusage entsprechend handele es sich um Kokain. Denn eine solche Erklärung durfte der Angeklagte nur abgeben, wenn er sich zuvor vergewissert hätte, dass er tatsächlich dieses Rauschmittel aushändigt. In diesem Fall hätte er das tatsächliche Risiko und die daraus erwachsenden Folgen ebenso erkennen können (vgl. Hardtung in MüKo-StGB § 222 Rdn. 22) wie den Umstand, dass B. K. sein sich selbst gefährdendes Verhalten falsch einschätzen würde (s. auch Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 21).
11
Einer solchen Prüfungspflicht steht nicht entgegen, dass der unerlaubte Umgang mit Betäubungsmitteln generell und hier konkret das Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch (§ 29 Abs. 1 Nr. 6b 2. Alt. BtMG) unter Strafe gestellt ist. Denn anderenfalls würde derjenige, der sich in ohnehin strafbarer Weise verhält, gegenüber demjenigen besser gestellt, der grundsätzlich erlaubt potentiell risikobehaftete Stoffe an andere weitergibt. Beispielsweise haben Ärzte und Apotheker zuvor zu prüfen, ob sie dem Kunden das richtige Medikament aushändigen. Eine solche Auslegung würde darüber hinaus dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel zuwiderlaufen, gerade die durch unerlaubte Betäubungsmittel verursachten Gefahren einzudämmen. Ob sich eine solche Prüfungspflicht auch auf den jeweiligen Wirkstoffgehalt des von den Beteiligten (qualitativ und quantitativ ) zutreffend eingestuften Rauschmittels erstreckt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Bei solchen Konstellationen wird jedenfalls zumeist - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat - keine relevante Abweichung von der Vorstellung des Rauschmittelkonsumenten hinsichtlich des von ihm eingegangenen Risikos und damit ein eigenverantwortliches Verhalten vorliegen.
12
3. a) Gegen die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung spricht ferner nicht die Kontrollüberlegung, ob der Angeklagte bei vorsätzlichem Verhalten straflos geblieben wäre. Dies wäre nicht der Fall. Denn hätte der Angeklagte dem lediglich Kokain erwartenden B. K. vorsätzlich reines Heroin zum Konsumieren ausgehändigt, ohne ihn darüber aufzuklären, wäre er wegen eines in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 2. Alt. StGB) begangenen vorsätzlichen Tötungsdelikts zu verurteilen gewesen, wobei die Annahme eines Heimtückemordes nahe gelegen hätte. Das sog. Teilnahmeargument geht somit fehl, weil B. K. irrtumsbedingt das tatsächliche Risiko verkannte.
13
b) Einer Bestrafung nach § 222 StGB steht schließlich auch nicht eine privilegierende Spezialität des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG mit daraus ggf. folgender Sperrwirkung entgegen. Privilegierende Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren (spezielleren) Gesichtspunkt erfasst, und der Täter durch die Spezialvorschrift privilegiert werden soll. In diesem Fall ist ein Rückgriff auf das allgemeinere Delikt ausgeschlossen, da hierdurch die Pri- vilegierung beseitigt würde. Ob die speziellere Vorschrift den Täter begünstigen soll, ist anhand des Zwecks dieser Vorschrift, des inneren Zusammenhangs der miteinander konkurrierenden Bestimmungen und des Willens des Gesetzgebers zu prüfen (BGHSt 49, 34, 37).
14
Die anhand dieser Kriterien vorgenommene Prüfung ergibt zwar, dass § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG hinsichtlich des herbeigeführten Todes leichtfertiges Verhalten verlangt und dieses zudem gegenüber der offenen Tathandlung beim § 222 StGB konkretisiert, diesem gegenüber also lex specialis ist (ebenso Rahlf in MüKo-StGB § 30 BtMG Rdn. 173). Da aber im Hinblick darauf sein Strafrahmen deutlich erhöht ist, sperrt er die Anwendung des § 222 StGB nicht, wenn dieser, jedoch § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht erfüllt ist (s. auch BGHSt 19, 188, 190; 30, 235, 236; 49, 34, 38).
15
Dieses Ergebnis wird durch die Entstehungsgeschichte der neuen Betäubungsmittelvorschriften , die durch das Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl. I S. 681) geändert worden sind, bestätigt. Wie sich aus den Materialien ergibt (BTDrucks. 8/3551 S. 37; auch 7/4141, S. 5 f.), sollte wegen der steigenden Zahl der Drogentoten durch die Einfügung des Merkmals der (nicht mehr vorsätzlichen, sondern nur noch) leichtfertigen Herbeiführung des Todes eines Menschen das diesbezügliche Strafrecht verschärft werden. Nack Wahl Graf Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 157/00
vom
23. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. Mai 2000 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 21. Juli 1999, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Totschlags (durch Unterlassen) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; eines Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf es daher nicht. 1. Nach den Feststellungen beteiligte sich der "schwer alkoholisierte" Angeklagte am Abend des 2. November 1998 in der Wohnung des Mitange-
klagten W. an einer gegen den später getöteten Andreas T. gerichteten tätlichen Auseinandersetzung. Gemeinsam mit anderen schlug er mit Fäusten auf T. ein. Als danach weiter gestritten wurde, beteiligte sich der Angeklagte daran nicht, sondern schlief ein; er konnte nur noch "Teile des Geschehens passiv mitverfolgen, war jedoch körperlich nicht mehr in der Lage, einzugreifen" (UA 23). In dieser Zeit wurde T. “über Stunden hinweg” (UA 38) gequält und mißhandelt. Der Angeklagte, "der die Geschehnisse nicht billigte , war aufgrund seines desolaten körperlichen Zustands nicht in der Lage, einzugreifen oder aber sich zu entfernen und Hilfe zu holen" (UA 26). Gegen 24.00 Uhr "bemerkten einige der Anwesenden, daß T. k eine Lebenszeichen mehr zeigte". W. s agte daraufhin, "daß T. aus der Wohnung entfernt werden müsse". Zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte erwacht und "konnte wieder aktiv am Geschehen teilnehmen". Als T. aus der Wohnung geschleift und in der Nähe von Garagen "abgelegt" wurde, stand der Angeklagte "beobachtend" dabei. Er ging davon aus, "daß der Geschädigte noch nicht verstorben war" (UA 28). Nachdem er an einer Tankstelle Bier gekauft und dieses zusammen mit Teilnehmern des Geschehens getrunken hatte, ging er nach Hause. Andreas T. verstarb noch in derselben Nacht an den ihm von den übrigen Beteiligten (UA 38/39, 40) zugefügten Verletzungen. 2. Die Jugendkammer hat den Angeklagten wegen der "Schläge gemeinsam mit anderen" der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen. Aufgrund "seines Zustandes" sei ihm zwar das weitere Tatgeschehen nicht mehr zuzurechnen; er habe sich jedoch des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht, weil er "am Beginn der Handlungen aktiv mitgewirkt" habe, er, als der Geschädigte aus der Wohnung verbracht worden sei, zutreffend davon ausgegangen sei, daß T. noch lebte, ihm bewußt gewesen sei, daß Lebensgefahr bestanden habe und er es gleichwohl unterlassen habe, Hilfe
herbeizuholen. Damit habe er akzeptiert, "daß diese als möglich vorgestellte Folge [nämlich der Tod des Andreas T. ] auch (eintrete). Hätte er Hilfe geholt , (so) hätten nach Aussagen des Sachverständigen We. durchaus Überlebenschancen bestanden" (UA 41). 3. Diese Wertung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand:
a) Zum einen begegnet die vom Landgericht "aus Ingerenz" hergeleitete Garantenstellung des Angeklagten Bedenken; denn pflichtwidriges Vorverhalten begründet nur dann eine Garantenstellung, wenn es die nahe Gefahr des Eintritts des konkreten tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht (vgl. BGH NStZ 1998, 83, 84; NJW 1999, 69, 71 f. m.w.N.). War dem Angeklagten - wovon das Landgericht ausgeht (UA 40) - der Erfolg der Exzesshandlungen anderer nicht zuzurechnen, so kann aus diesen nicht seine Garantenstellung für die Nichtabwendung des späteren Todeseintritts abgeleitet werden (s. BGH a.a.O.). Allerdings hat das Landgericht nicht - wie es erforderlich gewesen wäre - geprüft und erörtert, ob die Schläge des Angeklagten oder sein sonstiges der Tötung vorausgegangenes Verhalten eine Gefahrerhöhung für das Opfer dadurch bewirkten, daß die anderen in ihrem zum Tod führenden Vorgehen bestärkt wurden, und hierdurch eine Garantenstellung des Angeklagten begründet wurde (vgl. BGH NStZ 1992, 31 f.; StV 1998, 127, 128; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 13 Rdn. 11).
b) Die Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen kann auch deswegen keinen Bestand haben, weil nicht belegt ist, daß durch ein Eingreifen des Angeklagten der Tod des Andreas T. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre; denn nur dann könnte das Unter-
lassen für den Erfolgseintritt ursächlich geworden sein (vgl. BGHSt 6, 1, 2; 43, 381, 397; BGH bei Dallinger MDR 1971, 361; NStZ 1992, 31; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Brandstiftung 1). Allein, daß - im Urteil nicht näher begründete - "Überlebenschancen" für das Tatopfer bestanden hätten, reicht hierfür nicht aus (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O. § 13 Rdn. 14). 4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Wegen des engen sachlichen Zusammenhangs zwischen dem festgestellten aktiven Tun (gefährliche Körperverletzung) und der vorgeworfenen Unterlassungstat hebt der Senat das Urteil, soweit es den Angeklagten betrifft, insgesamt auf, um dem nunmehr erkennenden Tatrichter die Möglichkeit zu geben, eine Entscheidung ohne Bindung an rechtskräftige Feststellungen zu treffen. Bei der neuen Rechtsfolgenentscheidung wird zu prüfen sein, ob bei dem Angeklagten, der in dem angefochtenen Urteil als "pathologischer Alkoholiker" (UA 21) bezeichnet wird, die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB vorliegen.
5. Da sich das weitere Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, verweist der Senat die Sache an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. BGHSt 35, 267).
Maatz Kuckein Athing Ernemann

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 354/16
vom
22. November 2016
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Bei einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge ist der erforderliche
spezifische Gefahrzusammenhang regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe für
einen Ausschluss der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – gegeben,
wenn der Garant in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand
herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt.
BGH, Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 354/16 – LG Bamberg
ECLI:DE:BGH:2016:221116U1STR354.16.0

in der Strafsache gegen

wegen Mordes und versuchten Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. November 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte – in der Verhandlung –, Justizobersekretärin – bei der Verkündung – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 10. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere als Schwurgerichtskammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, vor allem gegen die Beweiswürdigung des Tatgerichts gerichteten Revision.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf der an einer Abhängigkeit von Opiaten, Benzodiazepinen, Amphetaminen und Gammabutyrolacton (letzteres nachfolgend: GBL) leidende Angeklagte in der Tatnacht in einem Bamberger „Club“ auf eine Gruppe, zu der auch die später Geschädigten G. und B. gehörten. G. lud die Gruppe und den Angeklagten dazu ein, in der Wohngemeinschaft des Geschädigten G. weiter zu feiern. Unmittelbar nach Eintreffen dort konsumierte der Angeklagte auf der Toilette GBL in einer Dosis von etwa 2 bis 2,5 ml. Die Konsummenge entnahm er mittels einer Spritze einer ½-Liter PET-Flasche, die mit unverdünntem und hochkonzentriertem GBL gefüllt war. Diese Flasche führte er in seiner Hosentasche mit sich.
3
Im Wohnzimmer stellte der Angeklagte die Flasche auf dem Boden neben seinen Füßen ab. Zumindest gegenüber einigen der in der Wohnung Anwesenden äußerte er, dass sich in der Flasche GBL befinde und dieses nur in ganz kleinen Konsumeinheiten eingenommen werden dürfe. Zwischen 4.45 Uhr und 5.00 Uhr nahm der zu diesem Zeitpunkt stark alkoholisierte später verstorbene G. die PET-Flasche des Angeklagten an sich und trank daraus eine nicht näher bekannte Menge GBL. Anschließend reichte er die Flasche an den ebenfalls erheblich unter Alkoholeinfluss stehenden ZeugenB. weiter. Dieser trank wenige Schlucke des GBL. Beiden war bewusst, dass sich GBL in der Flasche befand. Sie gingen jedoch jeweils von einer konsumfähigen, keine Lebensgefahr hervorrufenden Dosierung aus. Der Angeklagte hatte die Einnahme des GBL durch den Zeugen B. gesehen.Über den Konsum seitens des später verstorbenen Geschädigten G. unterrichteten ihn andere in der Wohnung Anwesende.
4
B. und G. hielten sich noch kurze Zeit im Wohnzimmer auf. Aufgrund der Wirkungen des GBL wurden sie jedoch müde und gingen in das Schlafzimmer von G. , wo sie alsbald einschliefen. In der Folgezeit begab sich der Angeklagte wie andere in der Wohnung befindliche Personen auch in das Schlafzimmer, um nach beiden zu sehen. Dabei hatten diese Personen nicht den Eindruck, die schlafenden B. und G. befänden sich in Lebensgefahr. Während seines Aufenthalts im Schlafzimmer erhielt der Angeklagte keine Informationen, die auf eine Verschlechterung des Zustands der beiden hätten hindeuten können. Im weiteren Verlauf des Geschehens wurden die beiden Geschädigten von den Zeugen Bu. undGr. auf dem Bett jeweils in eine stabile Seitenlage gebracht und beobachtet.
5
Einige Zeit später kehrte der Zeuge W. , ein weiteres Mitglied der Wohngemeinschaft, in die Wohnung zurück. Gemeinsam mit dem Angeklagten begab er sich in das Schlafzimmer des Geschädigten G. . Dort wurde der Zeuge über den GBL-Konsum der beiden unterrichtet. Der Zeuge W. erkannte keine gefährliche Situation für die Geschädigten. Veranlassung, Rettungskräfte zu verständigen, sah er daher nicht. Vielmehr ging er davon aus, dass die Zeugen Bu. und Gr. , den er – ebenso wie der Angeklagte – fälschlich für einen Sanitäter hielt, sich weiter um die Geschädigten kümmerten. Der Zeuge W. forderte die noch anwesenden Gäste auf, die Wohnung zu verlassen. Nachdem der Angeklagte noch einmal mit W. gesprochen hatte, kam er dessen Verlangen nach und verließ die Wohnung.
6
Als der Zeuge W. erneut in das Schlafzimmer des Geschädigten G. kam, sah W. , dass dessen Gesundheitszustand sich erheblich verschlechtert hatte und der Geschädigte sich in lebensbedrohlichem Zustand befand. Der Zeuge setzte einen Notruf ab. Beide Geschädigten wurden in ein Krankenhaus eingeliefert. Der Geschädigte G. war vor dem Transport dorthin durch einen Notarzt reanimiert worden. G. verstarb vier Tage später infolge des durch das GBL verursachten Atemstillstands und einer dadurch hervorgerufenen hypoxischen Hirnschädigung. Der Zeuge B. wurde zwischenzeitlich maschinell beatmet und konnte bereits an dem auf die Tat folgenden Tag ohne überdauernde gesundheitliche Beeinträchtigungen aus stationärer Behandlung entlassen werden.
7
2. Das Landgericht hat das Geschehen als durch den Angeklagten im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit begangene fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) zum Nachteil des getöteten G. in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) zu Lasten des Zeugen B. gewertet. Die Überzeugung vom Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes bei dem Angeklagten hat es sich weder bezogen auf den Zeitpunkt des Abstellens der Flasche mit dem GBL auf dem Fußboden des Wohnzimmers noch für den der Wahrnehmung des Konsums durch B. und G. oder auf einen späteren Zeitpunkt, etwa dem der Kenntnis des Angeklagten davon, dass die Geschädigten schlafend auf dem Bett lagen, zu bilden vermocht (UA S. 28). Insbesondere ergaben sich nach der Wertung des Landgerichts keine Umstände , aus denen ausreichend tragfähig darauf hätte geschlossen werden können, dass der Angeklagte den Tod der beiden Geschädigten bzw. eines von ihnen billigend in Kauf genommen hatte (UA S. 29 ff.).

II.


8
Die vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
9
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zum Nachteil des verstorbenen G. abgelehnt hat, weisen durchgreifende Rechtsfehler auf. Insbesondere ist vom Landgericht nicht erkennbar in den Blick genommen worden, dass nach den getroffenen Feststellungen als Grunddelikt der Erfolgsqualifikation des § 227 StGB eine Körperverletzung durch Unterlassen (§ 223 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) in Betracht kam. In Bezug auf Straftaten zum Nachteil des geschädigten Zeugen B. ist das Landgericht seiner Kognitionspflicht nicht in vollem Umfang nachgekommen, weil es die angeklagte Tat ausschließlich als durch positives Tun begangene fahrlässige Körperverletzung gemäß § 229 StGB, nicht aber unter dem Aspekt einer durch Unterlassen verwirklichten vorsätzlichen Körperverletzung gewürdigt hat.
10
1. Das Tatgericht hat eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 Abs. 1 StGB zu Lasten des Geschädigten G. mit der Begründung verneint, es habe sich nicht von der Begehung einer vorsätzlichen Körperverletzung durch den Angeklagten überzeugen können (UA S. 34). Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
11
a) Ausdrückliche beweiswürdigende Erwägungen zu den Gründen, aufgrund derer das Landgericht eine solche Überzeugung nicht hat gewinnen können , enthält das angefochtene Urteil nicht. Aus dessen Gesamtzusammenhang lassen sich für das Revisionsgericht nachvollziehbar dargelegte Gründe dafür allenfalls insoweit entnehmen, als Körperverletzungsvorsatz für den Zeitpunkt bzw. Zeitraum vor dem Konsum des GBL durch die Geschädigten verneint wird. Nach den getroffenen Feststellungen und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung hätte der Angeklagte zwar bei dem Abstellen der Flasche mit dem GBL im Wohnzimmer angesichts des Zustands der übrigen Gäste in der Wohnung damit rechnen müssen, dass die Kenntnis vom Vorhandensein des Stoffs „Neu- gierde und Begehrlichkeiten“ bei diesen wecken würde (UA S. 7). DasTatge- richt hat aber gerade nicht feststellen können, dass der Angeklagte bezogen auf das Abstellen der Flasche und die Mitteilung über ihren Inhalt, die Möglichkeit eines Konsums durch in der Wohnung Anwesende und dadurch bewirkter gesundheitlicher Beeinträchtigungen konkret erkannt hat. Diese Wertung wird durch die übrigen Feststellungen und die Beweiswürdigung insgesamt auch ohne nähere Ausführungen getragen.
12
b) Die tatrichterliche Beweiswürdigung lässt aber nicht erkennen, aus welchen Gründen es an einem jedenfalls auf das Merkmal der Gesundheitsschädigung i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB bezogenen Vorsatz des Angeklagten für den Zeitraum nach dem von diesem beobachteten (bzgl. des geschädigten Zeugen B. ) bzw. ihm bekannt gewordenen (bzgl. des Geschädigten G. ) Konsum von GBL durch die Geschädigten fehlen soll. Das Landgericht hat – anders als bzgl. seiner Ausführungen zu einem durch Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) verwirklichten Totschlag (§ 212 StGB) oder Mord (§ 211 StGB) zum Nachteil von G. – die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen Körperverletzung durch Unterlassen zu Lasten beider Geschädigter aufgrund des Verhaltens des Angeklagten nach Kenntnis der durch Trinken aus der Flasche erfolgten Aufnahme von GBL nicht erkennbar in Betracht gezogen. Es fehlt dementsprechend an einer Beweiswürdigung, die die Wertung des Landgerichts stützen könnte, vom Vorliegen eines Körperverletzungsvorsatzes nicht überzeugt zu sein. Einer solchen Beweiswürdigung hätte es aber bedurft. Nach den im Übrigen getroffenen Feststellungen kam eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung durch Unterlassen (§ 223 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) zu Lasten beider Geschädigter in Betracht.
13
aa) Vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB kann durch einen Garanten verwirklicht werden, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges trotz vorhandener Möglichkeit dazu pflichtwidrig nicht abwendet. Ein von § 223 Abs. 1 StGB erfasster Erfolg in Gestalt der Gesundheitsschädigung kann auch darin liegen, dass bei einem behandlungsbedürftigen Zustand einer Person die gebotene ärztliche Versorgung nicht bewirkt wird (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 – 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 mwN; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Januar 1989 – 2 Ss 302/88, NStZ 1989, 269 f.; BeckOKStGB /Eschelbach, 32. Edition, § 223 Rn. 30 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 StR 238/07 [insoweit in NStZ 2008, 150 f. nicht abgedruckt ]).
14
(1) Eine solche Situation war auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen gegeben, nachdem die Geschädigten unverdünntes GBL in nicht genau bekannter Menge direkt aus der Flasche des Angeklagten getrunken hatten. Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, bewirkt GBL im Verlaufe der Zeit eine Atemdepression und im Weiteren eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff, wenn nicht rechtzeitig – wie beim geschädigten Zeugen B. – eine künstliche Beatmung erfolgt. Unterbleibt die gebotene ärztliche Behandlung , erweist sich die Verschlechterung des durch die Wirkung des GBL ohnehin hervorgerufenen pathologischen Zustands als Gesundheitsschädigung i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB. Diese hätte durch das Herbeirufen ärztlicher Hilfe abgewendet werden können.
15
(2) Für die Abwendung dieses Erfolges der Körperverletzung hatte der Angeklagte gemäß § 13 Abs. 1 StGB auch rechtlich einzustehen. Dies resultiert aus seiner tatsächlichen Herrschaft über die von ihm in die Wohnung mitgebrachte und dort für andere zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits - und lebensgefährlichen GBL (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 9).
16
(3) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen war seine aus der Herrschaft über die Gefahrenquelle resultierende Pflicht zur Abwendung der vorstehend dargestellten Gesundheitsschädigung auch nicht durch eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung der Geschädigten B. und G. ausgeschlossen. Denn es mangelt bereits an der Eigenverantwortlichkeit der Selbstgefährdung beider. Diese setzt voraus, dass der sich selbst Gefährdende (oder Verletzende) das eingegangene Risiko für das betroffene eigene Rechtsgut jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannt hat (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 17; in der Sache ebenso bereits BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80), wenn ihm auch nicht sämtliche rechtsgutbezogenen Risiken im Einzelnen bekannt zu sein brauchen (so BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe zudem BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 f.; BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 17). Nach den tatgerichtlichen Feststellungen haben beide Geschädigte das Ausmaß des mit dem Trinken des GBL aus der Flasche verbundenen Risikos grundlegend verkannt. Sie gingen nämlich beide von einer Konzentration des Wirkstoffs in einer konsumfähigen Dosis (UA S. 7), d.h. in einer verdünnten Form aus. Angesichts des tatsächlich unverdünnten und hochkonzentrierten GBL war ihnen damit der wesentliche Grad des mit dem Konsum für ihre jeweilige Gesundheit verbundenen Risikos nicht bewusst. Bereits dies schließt die Eigenverantwortlichkeit aus. Zudem standen beide Geschädigte im Zeitpunkt der Einnahme unter nicht unerheblichem Einfluss von Alkohol sowie THC, Amphetamin und (insoweit nur der Geschädigte G. ) Methamphetamin (UA S. 10 f.). Das ist regelmäßig für die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung von nicht unerheblicher Bedeutung.
17
bb) Drängte sich daher das Vorliegen des äußeren Tatbestandes von Körperverletzungen durch Unterlassen zum Nachteil beider Geschädigter auf, hätte das Landgericht den jeweils darauf bezogenen, wenigstens bedingten Vorsatz des Angeklagten beweiswürdigend näher erörtern müssen. Daran fehlt es.
18
cc) Beweiswürdigende Darlegungen zum Vorsatz einer Körperverletzung zu Lasten beider Geschädigter durch Unterlassen waren nicht deshalb verzichtbar , weil das Landgericht mit einer für sich genommen rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung einen (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hinsichtlich beider Geschädigter für den Zeitraum nach der Einnahme des GBL durch B. und G. ausgeschlossen hat (UA S. 28 ff.). Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht zwar, insbesondere aus den Wahrnehmungen der übrigen Gäste in der Wohnung und vor allem des Zeugen W. über den Gesundheitszustand der beiden Geschädigten, den möglichen Schluss gezogen, dass auch der Angeklagte aufgrund der ihm bekannten konkreten Umstände nach dem Konsum nicht von einer konkret lebensbedrohlichen Lage ausgegangen und den Tod beider nicht billigend in Kauf genommen hat (UA S. 29 und 30). Diese Erwägungen schließen jedoch einen (bedingten) Körperverletzungsvorsatz, der auf eine – nicht notwendig lebensbedrohliche – Verschlechterung des Gesundheitszustandes und der Möglichkeit von deren Abwendung gerichtet ist, nicht aus.
19
c) Hinsichtlich des Geschädigten G. kam darüber hinaus auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge (§ 227 Abs.1, § 13 Abs. 1 StGB) in Betracht.
20
aa) Die Möglichkeit, § 227 StGB durch einen Garanten aufgrund einer Körperverletzung durch Unterlassen zu verwirklichen, ist in der Rechtsprechung (BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 118 und vom 20. Juli 1995 – 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 f.; Beschluss vom 20. Juli 2006 – 3 StR 244/06, StraFo 2006, 466 f.; vgl. auch Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 StR 238/07 Rn. 30 [insoweit in NStZ 2008, 150 f. nicht abgedruckt]) und der Strafrechtswissenschaft (siehe nur Ingelfinger GA 1997, 573 ff.; BeckOK-StGB/ Eschelbach aaO § 227 Rn. 3 und 11; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 227 Rn. 1 und 6a; Hardtung in Münchener Kommentar zum StGB, Band 1, 3. Aufl., § 18 Rn. 47; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 227 Rn. 1) anerkannt.
21
bb) Nach den bislang vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist eine Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 227 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB auch nicht aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen. Weder die sogenannte Modalitätenäquivalenz (§ 13 Abs. 1 StGB „das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht“) noch der bei erfolgsqualifizierten Delikten erforderliche spezifische Gefahrzusammenhang stünden entgegen.
22
Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der in dem Urteil des 4. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 f.) geäußerten Rechtsauffassung, in Fällen, in denen die Körperverletzung durch Unterlassen verwirklicht werde, komme eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen wird, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden könnte (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 – 3 StR 244/06, StrafFo 2006, 466 f.). Denn der 4. Strafsenat hat in dem genannten Urteil entschieden, von den vorgenannten Voraussetzungen sei „ohne Weiteres in den Fällen auszugehen , in denen erst der Unterlassungstäter den zum Tode führenden Zustand verursacht hat“ (BGH aaO NStZ 1995, 589, 590). Dementsprechend hatte derselbe Senat in einer früheren Entscheidung die Verurteilungen der dortigen Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in einer Fallgestaltung nicht beanstandet, in der diese ihr Kind unzureichend versorgt und der dadurch hervorgerufene atrophische Zustand die unmittelbare Ursache für den später – bei dem Bemühen, nunmehrdas Kind mit Nahrung zu versorgen – eingetretenen Erstickungstod des Kindes bildete (BGH, Beschluss vom 18. März 1982 – 4 StR 12/82 bei Holtz MDR 1982, 624, zustimmendWolter GA 1984, 443, 446). Soweit in der Strafrechtswissenschaft das Urteil des 4. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (aaO) dahingehend gedeutet wird, der Senat habe sämtliche Fallgestaltungen aus dem Anwendungsbereich von § 227 StGB226 StGB aF) ausnehmen wollen, in denen das Unterlassen an eine erhebliche lebensgefährliche Vorschädigung des später zu Tode Gekommenen anknüpft (Ingelfinger GA 1997, 573, 582), findet dies in dem Urteil selbst so keine Stütze. Vielmehr hat der 4. Strafsenat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, vom Vorliegen des spezifischen Gefahrzusammenhangs stets bei Verursachung des zum Tode führenden Zustands durch den Garanten auszugehen (BGH aaO NStZ 1995, 589, 590). In Übereinstimmung damit ist der Senat der Auffassung, dass der spezifische Gefahrzusammenhang bei einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe eines Ausschlusses der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – dann gegeben ist, wenn der Garant bereits in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt. In welchen Konstellationen darüber hinaus die Voraussetzungen einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge gegeben sein können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
23
Bei Anwendung der vorgenannten Maßstäbe kam eine Strafbarkeit des Angeklagten aus § 227 StGB zu Lasten des Geschädigten G. in Betracht. Diese hat das Landgericht aus den dargelegten Gründen mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint.
24
2. Im Hinblick auf nach den getroffenen Feststellungen ernsthaft in Betracht kommende Straftaten zum Nachteil des geschädigten Zeugen B. ist eine solche – wie dargelegt – wegen Körperverletzung durch Unterlassen vom Landgericht unter Verstoß gegen seine Pflicht zur erschöpfenden Aburteilung der angeklagten Tat (§ 264 StPO) nicht erörtert worden.
25
3. Die teils rechtsfehlerhafte, teils unterbliebene Erörterung vorsätzlicher Körperverletzungsdelikte zum Nachteil beider Geschädigter führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Da das Landgericht bezüglich vorsätzlicher Körperverletzungsdelikte zu Lasten des verstorbenen Geschädigten G. einen solchen Vorsatz rechtsfehlerhaft verneint hat, bedarf es auch der Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu sämtlichen in Betracht kommenden Straftatbeständen zu Lasten der beiden Geschädigten zu ermöglichen , erfasst die Aufhebung sämtliche Feststellungen.

III.


26
1. Soweit die Staatsanwaltschaft sich dagegen wendet, dass das Tatgericht bedingten Tötungsvorsatz (auch) für den Zeitraum nach dem ihm bekannten Konsum des GBL durch die Geschädigten verneint hat, bliebe das Rechtsmittel ohne Erfolg. Wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts näher ausgeführt, enthält die zugrunde liegende Beweiswürdigung keine durchgreifenden Rechtsfehler (siehe auch bereits oben Rn. 17).
27
2. Dagegen hielte die Annahme durch den Konsum von Benzodiazepinen und GBL bei Tatbegehung bewirkter erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung letztlich darauf beschränkt , dem Gutachten des gehörten psychiatrischen Sachverständigen zu folgen, der aufgrund der Mischintoxikation vom Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung und „im vorliegenden Fall“ von erheblich geminderter Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist (UA S. 32 f.). Es wäre aber geboten gewesen , die wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen des Sachverständigen im Urteil so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich gewesen wäre (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZRR 2016, 135 f.; vom 27. Januar 2016 – 2 StR 314/15 und vom 20. April 2016 – 1 StR 62/16, NStZ-RR 2016, 239 f. mwN).
28
3. Sollte das neue Tatgericht sich bezüglich Taten zum Nachteil des verstorbenen Geschädigten G. weder vom Vorliegen der Voraussetzungen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen noch einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge überzeugen können, werden diejenigen einer Strafbarkeit wegen Aussetzung mit Todesfolge gemäß § 221 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 StGB zu bedenken sein.
Graf Cirener Radtke
Mosbacher Fischer

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
17
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
19
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
22
d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



II.


23
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
24
1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 295/11
vom
21. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Bundesanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 17. Februar 2011 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit dem Jahre 2006 mit der Geschädigten befreundet. Es entstand eine intime Beziehung , in der sich der Angeklagte dominant zeigte, während ihm die Geschädigte "in Hörigkeit und Liebe" zugetan war. Der Angeklagte war zeitweise aggressiv. Er demütigte die Geschädigte in diesen Phasen durch sexuell motivierte Machtspiele und betrieb "emotionale Erpressung". Die Geschädigte zog sich in ihrer Familie und im Freundeskreis immer mehr zurück. Sie verfolgte aber ihre Ausbildung zielstrebig und nahm zum Wintersemester 2008/2009 ein Studium in Trier auf. Vor diesem Hintergrund erklärten der Angeklagte und die Geschä- digte jeweils, dass sie ihre Beziehung beenden wollten. Der Angeklagte wandte sich einer neuen Freundin zu, mit der er sich verlobte. Er stand aber weiter mit der Geschädigten in Kontakt, rief sie am 7. Juni 2009 nach einem Streit mit seiner Verlobten an und vereinbarte mit ihr, dass beide einige Zeit gemeinsam in Trier verbringen würden, wo die Geschädigte über ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft verfügte. Der Angeklagte nahm eine zu mehr als der Hälfte gefüllte Flasche "Cleanmagic" dorthin mit. Dabei handelte es sich um ein Reinigungsmittel mit dem Wirkstoff Gamma-Butyrolacton. Er hatte sich im Internet über die Wirkungsweise informiert und benutzte es sehr vorsichtig in genau dosierten Mengen als Drogenersatz. Er hatte auch der Geschädigten angeboten, ebenfalls dieses Mittel zu konsumieren, was aber nicht erfolgt war. Die Geschädigte wusste von der Gefährlichkeit des Mittels, ohne ebenso eingehend wie der Angeklagte darüber informiert zu sein. Der Angeklagte stellte die Flasche "Cleanmagic" im Zimmer der Geschädigten auf den Wohnzimmertisch. Das Paar verbrachte in den folgenden Tagen die meiste Zeit in diesem Zimmer und war mehrfach täglich miteinander intim. Die Geschädigte, die den Angeklagten als "die Liebe ihres Lebens" bezeichnete, hoffte wieder auf eine gemeinsame Zukunft.
3
Am 12. Juni 2009 erklärte ihr der Angeklagte jedoch, dass er weiter an seiner Verlobung mit einer anderen Frau festhalte. Die Geschädigte war darüber tief enttäuscht. Gegen 23.00 Uhr hörte W. , die in derselben Wohngemeinschaft lebte, laute Geräusche aus dem Zimmer der Geschädigten und erkundigte sich durch die geschlossene Zimmertür, ob alles in Ordnung sei, was die Geschädigte bejahte. Danach, jedenfalls aber vor 23.35 Uhr, nahm die Geschädigte, die nie zuvor Selbsttötungsgedanken geäußert hatte, aus einem spontanen Entschluss heraus die Flasche "Cleanmagic", schüttete vor den Augen des Angeklagten etwa 30 Milliliter des Reinigungsmittels in ein Glas, mischte dies mit einem Getränk und trank die Hälfte der Mischung, darunter 15 bis 25 Milliliter des Reinigungsmittels. Bereits 6 bis 7 Milliliter bewirken bei einer Person von ihrer Statur Bewusstlosigkeit, Verflachung der Atmung und Atemstillstand.
4
Der Angeklagte, der am Computer saß, hatte zuvor die Verzweiflung der Geschädigten bemerkt und wahrgenommen, dass sie aus der Flasche von "Cleanmagic" trank. Er erkannte an der verbleibenden Restmenge die erhebliche Dosis. Er wusste um die schnelle Resorption und die Lebensgefährlichkeit des Mittels für Menschen, die es trinken. Er forderte die Geschädigte auf, sich zu übergeben. Diese erbrach aber erst fünf Minuten nach dem Verschlucken des Reinigungsmittels einen Teil der Flüssigkeit und verfiel in Bewusstlosigkeit. Der Angeklagte suchte im Internet nach Informationen über Gegenmaßnahmen, unterließ es aber, notärztliche Hilfe zu rufen, und nahm dabei den Tod der Geschädigten in Kauf. Er beobachtete lediglich die Situation und recherchierte weiter im Internet. Hätte er unverzüglich einen Notarzt gerufen, so hätte die Geschädigte zumindest innerhalb einer halben Stunde nach Einnahme des Mittels gerettet werden können. Gegen 00.30 Uhr klopfte W. an der Zimmertür , um sich nach der Geschädigten zu erkundigen. Der Angeklagte hatte sich aber dazu entschlossen, keine fremde Hilfe heranzulassen und erklärte, dass sie schlafe. Um 01.55 Uhr beendete er seine Computerrecherchen und verließ die Wohnung. Danach entdeckten W. und deren Freund die leblose Geschädigte und riefen den Notarzt, der sie dann aber nicht mehr retten konnte.
5
Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte sei verpflichtet gewesen , unverzüglich ärztliche Hilfe zu rufen; dem stehe keine Eigenverantwortlichkeit der Geschädigten entgegen. Der Angeklagte habe seine Rettungspflicht mit bedingtem Tötungsvorsatz verletzt und den Tod des Opfers verursacht.

II.

6
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Er hat sich des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht (§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).
7
Nach allgemeinen Grundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen schafft, die erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen (vgl. BGHSt 53, 38, 42). Da eine absolute Sicherung gegen Gefahren nicht erreichbar ist, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein umsichtiger Mensch für notwendig hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Strafbar ist die Nichtabwendung einer Gefahr aus der vom Garanten eröffneten Gefahrenquelle dann, wenn eine nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können. Der Angeklagte hatte durch Abstellen der Flasche mit dem gefährlichen Mittel auf dem Wohnzimmertisch im Zimmer der Geschädigten eine erhebliche Gefahrenquelle geschaffen. Er hatte der Geschädigten früher den Konsum angeboten, weshalb auch die Möglichkeit bestand, dass sie davon trinken würde. Eine Handlungspflicht für den Angeklagten wurde in dem Augenblick begründet, in dem er wahrnahm, dass die Geschädigte tatsächlich davon trank. Da er nach den Feststellungen genau um die rasche Wirkung und die besondere Gefährlichkeit der Einnahme des Mittels durch Menschen wusste und erkannte, dass die Geschädigte eine erhebliche Menge des Mittels getrunken hatte, hätte er nachdem er bemerkt hatte, dass sie die Flüssigkeit nicht sogleich erbrach, unverzüglich den Notarzt rufen müssen. Diese Pflicht hat er schuldhaft nicht erfüllt. Das Unterlassen ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts für den Tod der Geschädigten im Sinne einer hypothetischen Rettung bei unverzüglichem Herbeirufen des Notarztes ursächlich geworden.
8
Eine eigenverantwortlich versuchte Selbsttötung der Geschädigten lag nicht vor. Fehlt es an einer ernst gemeinten und freiverantwortlichen Entscheidung des Opfers sich zu töten, dann ist das Nichtverhindern des Todes durch einen Garanten als Totschlag durch Unterlassen zu beurteilen (vgl. Wessels/ Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil, Bd. 1, 34. Aufl. 2010, Rn. 54). Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dem spontanen Trinken des Reinigungsmittels habe kein ernstlicher Selbsttötungsentschluss zu Grunde gelegen. Da die Geschädigte in Anwesenheit des Angeklagten von dem Reinigungsmittel trank, ist davon auszugehen, dass sie dies tat, um auf sich aufmerksam zu machen. Es lag kein freiverantwortlicher Selbsttötungsentschluss zugrunde. Dies wird daraus deutlich, dass sie der Aufforderung des Angeklagten, sich zu erbrechen , Folge leistete.
Fischer Schmitt Berger Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
17
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
19
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
22
d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



II.


23
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
24
1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
17
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
19
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
22
d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



II.


23
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
24
1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 295/11
vom
21. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Bundesanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 17. Februar 2011 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit dem Jahre 2006 mit der Geschädigten befreundet. Es entstand eine intime Beziehung , in der sich der Angeklagte dominant zeigte, während ihm die Geschädigte "in Hörigkeit und Liebe" zugetan war. Der Angeklagte war zeitweise aggressiv. Er demütigte die Geschädigte in diesen Phasen durch sexuell motivierte Machtspiele und betrieb "emotionale Erpressung". Die Geschädigte zog sich in ihrer Familie und im Freundeskreis immer mehr zurück. Sie verfolgte aber ihre Ausbildung zielstrebig und nahm zum Wintersemester 2008/2009 ein Studium in Trier auf. Vor diesem Hintergrund erklärten der Angeklagte und die Geschä- digte jeweils, dass sie ihre Beziehung beenden wollten. Der Angeklagte wandte sich einer neuen Freundin zu, mit der er sich verlobte. Er stand aber weiter mit der Geschädigten in Kontakt, rief sie am 7. Juni 2009 nach einem Streit mit seiner Verlobten an und vereinbarte mit ihr, dass beide einige Zeit gemeinsam in Trier verbringen würden, wo die Geschädigte über ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft verfügte. Der Angeklagte nahm eine zu mehr als der Hälfte gefüllte Flasche "Cleanmagic" dorthin mit. Dabei handelte es sich um ein Reinigungsmittel mit dem Wirkstoff Gamma-Butyrolacton. Er hatte sich im Internet über die Wirkungsweise informiert und benutzte es sehr vorsichtig in genau dosierten Mengen als Drogenersatz. Er hatte auch der Geschädigten angeboten, ebenfalls dieses Mittel zu konsumieren, was aber nicht erfolgt war. Die Geschädigte wusste von der Gefährlichkeit des Mittels, ohne ebenso eingehend wie der Angeklagte darüber informiert zu sein. Der Angeklagte stellte die Flasche "Cleanmagic" im Zimmer der Geschädigten auf den Wohnzimmertisch. Das Paar verbrachte in den folgenden Tagen die meiste Zeit in diesem Zimmer und war mehrfach täglich miteinander intim. Die Geschädigte, die den Angeklagten als "die Liebe ihres Lebens" bezeichnete, hoffte wieder auf eine gemeinsame Zukunft.
3
Am 12. Juni 2009 erklärte ihr der Angeklagte jedoch, dass er weiter an seiner Verlobung mit einer anderen Frau festhalte. Die Geschädigte war darüber tief enttäuscht. Gegen 23.00 Uhr hörte W. , die in derselben Wohngemeinschaft lebte, laute Geräusche aus dem Zimmer der Geschädigten und erkundigte sich durch die geschlossene Zimmertür, ob alles in Ordnung sei, was die Geschädigte bejahte. Danach, jedenfalls aber vor 23.35 Uhr, nahm die Geschädigte, die nie zuvor Selbsttötungsgedanken geäußert hatte, aus einem spontanen Entschluss heraus die Flasche "Cleanmagic", schüttete vor den Augen des Angeklagten etwa 30 Milliliter des Reinigungsmittels in ein Glas, mischte dies mit einem Getränk und trank die Hälfte der Mischung, darunter 15 bis 25 Milliliter des Reinigungsmittels. Bereits 6 bis 7 Milliliter bewirken bei einer Person von ihrer Statur Bewusstlosigkeit, Verflachung der Atmung und Atemstillstand.
4
Der Angeklagte, der am Computer saß, hatte zuvor die Verzweiflung der Geschädigten bemerkt und wahrgenommen, dass sie aus der Flasche von "Cleanmagic" trank. Er erkannte an der verbleibenden Restmenge die erhebliche Dosis. Er wusste um die schnelle Resorption und die Lebensgefährlichkeit des Mittels für Menschen, die es trinken. Er forderte die Geschädigte auf, sich zu übergeben. Diese erbrach aber erst fünf Minuten nach dem Verschlucken des Reinigungsmittels einen Teil der Flüssigkeit und verfiel in Bewusstlosigkeit. Der Angeklagte suchte im Internet nach Informationen über Gegenmaßnahmen, unterließ es aber, notärztliche Hilfe zu rufen, und nahm dabei den Tod der Geschädigten in Kauf. Er beobachtete lediglich die Situation und recherchierte weiter im Internet. Hätte er unverzüglich einen Notarzt gerufen, so hätte die Geschädigte zumindest innerhalb einer halben Stunde nach Einnahme des Mittels gerettet werden können. Gegen 00.30 Uhr klopfte W. an der Zimmertür , um sich nach der Geschädigten zu erkundigen. Der Angeklagte hatte sich aber dazu entschlossen, keine fremde Hilfe heranzulassen und erklärte, dass sie schlafe. Um 01.55 Uhr beendete er seine Computerrecherchen und verließ die Wohnung. Danach entdeckten W. und deren Freund die leblose Geschädigte und riefen den Notarzt, der sie dann aber nicht mehr retten konnte.
5
Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte sei verpflichtet gewesen , unverzüglich ärztliche Hilfe zu rufen; dem stehe keine Eigenverantwortlichkeit der Geschädigten entgegen. Der Angeklagte habe seine Rettungspflicht mit bedingtem Tötungsvorsatz verletzt und den Tod des Opfers verursacht.

II.

6
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Er hat sich des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht (§§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).
7
Nach allgemeinen Grundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen schafft, die erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen (vgl. BGHSt 53, 38, 42). Da eine absolute Sicherung gegen Gefahren nicht erreichbar ist, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein umsichtiger Mensch für notwendig hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Strafbar ist die Nichtabwendung einer Gefahr aus der vom Garanten eröffneten Gefahrenquelle dann, wenn eine nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können. Der Angeklagte hatte durch Abstellen der Flasche mit dem gefährlichen Mittel auf dem Wohnzimmertisch im Zimmer der Geschädigten eine erhebliche Gefahrenquelle geschaffen. Er hatte der Geschädigten früher den Konsum angeboten, weshalb auch die Möglichkeit bestand, dass sie davon trinken würde. Eine Handlungspflicht für den Angeklagten wurde in dem Augenblick begründet, in dem er wahrnahm, dass die Geschädigte tatsächlich davon trank. Da er nach den Feststellungen genau um die rasche Wirkung und die besondere Gefährlichkeit der Einnahme des Mittels durch Menschen wusste und erkannte, dass die Geschädigte eine erhebliche Menge des Mittels getrunken hatte, hätte er nachdem er bemerkt hatte, dass sie die Flüssigkeit nicht sogleich erbrach, unverzüglich den Notarzt rufen müssen. Diese Pflicht hat er schuldhaft nicht erfüllt. Das Unterlassen ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts für den Tod der Geschädigten im Sinne einer hypothetischen Rettung bei unverzüglichem Herbeirufen des Notarztes ursächlich geworden.
8
Eine eigenverantwortlich versuchte Selbsttötung der Geschädigten lag nicht vor. Fehlt es an einer ernst gemeinten und freiverantwortlichen Entscheidung des Opfers sich zu töten, dann ist das Nichtverhindern des Todes durch einen Garanten als Totschlag durch Unterlassen zu beurteilen (vgl. Wessels/ Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil, Bd. 1, 34. Aufl. 2010, Rn. 54). Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dem spontanen Trinken des Reinigungsmittels habe kein ernstlicher Selbsttötungsentschluss zu Grunde gelegen. Da die Geschädigte in Anwesenheit des Angeklagten von dem Reinigungsmittel trank, ist davon auszugehen, dass sie dies tat, um auf sich aufmerksam zu machen. Es lag kein freiverantwortlicher Selbsttötungsentschluss zugrunde. Dies wird daraus deutlich, dass sie der Aufforderung des Angeklagten, sich zu erbrechen , Folge leistete.
Fischer Schmitt Berger Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
17
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
19
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
22
d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



II.


23
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
24
1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 328/15
vom
5. August 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Eine bewusste Selbstgefährdung lässt grundsätzlich die Erfolgsabwendungspflicht
des eintrittspflichtigen Garanten nicht entfallen, wenn sich das allein auf
Selbstge- fährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den
Verlust des Rechtsguts entwickelt.
BGH, Beschluss vom 5. August 2015 - 1 StR 328/15 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags durch Unterlassen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2015 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Dezember 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen und wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
2
Seine dagegen auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 212 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) im Fall B.II.1. der Urteilsgründe (Geschehen vom 18. April 2013). Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler den Angeklagten für rechtlich verpflichtet gehalten, den Tod des später verstorbenen A. zu verhindern und hat ihm den eingetretenen Tod des Geschädigten zu seinem Vorsatz zugerechnet.
4
1. Nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen hatten sich mehrere Personen, u.a. der Angeklagte und A. , bereits im Verlaufe des Nachmittags getroffen und gemeinsam Alkohol sowie verschiedene Betäubungsmittel konsumiert. Gegen Abend begab sich die Gruppe in die in einem größeren Gebäudekomplex gelegene Wohnung des Angeklagten. Dort nahmen die Anwesenden weiterhin u.a. Alkohol, Amphetamin und Cannabis zu sich. Im Verlaufe des Abends bot der Angeklagte den übrigen Personen in der Wohnung an, Gammabutyrolacton (GBL) zu konsumieren. Dieser Stoff befand sich unverdünnt in einer im Besitz des Angeklagten befindlichen Glasflasche. Außer dem nicht revidierenden Mitangeklagten F. ging keiner der sonstigen Anwesenden auf das Angebot ein. Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte etwa zwei bis drei Milliliter GBL, verdünnt in einem halben Liter Wasser, konsumiert hatten, blieb die Flasche mit dem GBL frei zugänglich in der Wohnung des Angeklagten stehen. Spätestens nach dem eigenen Konsum wies der Angeklagte seine Gäste darauf hin, dass GBL nicht unverdünnt zu sich genommen werden dürfe.
5
Einige Zeit danach setzte der später verstorbene A. die Flasche mit dem unverdünnten GBL direkt an und trank eine durch das Landgericht nicht mehr näher feststellbare Menge der Substanz. Der Angeklagte und der Mitangeklagte , die von der Aufnahme einer tödlich wirkenden Menge ausgingen, versuchten erfolglos, A. zum Erbrechen zu veranlassen. Dieser verlor vielmehr das Bewusstsein. Nachdem A. in eine stabile Seitenlage gebracht worden war, beschränkte sich der Angeklagte – wie auch die übrigen Anwesenden darauf – die Atemfrequenz des bewusstlosen Geschädigten zu kontrol- lieren. Spätestens als der Angeklagte wahrnahm, dass A. lediglich noch alle sechs bis acht Sekunden atmete, nahm er billigend in Kauf, dass der Geschädigte ohne das unverzügliche Herbeirufen von ärztlicher Hilfe an den Folgen der Einnahme des unverdünnten GBL versterben werde. Dennoch blieb er untätig. Hätte er zu diesem Zeitpunkt medizinische Hilfe angefordert, wäre das Leben des Geschädigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet worden. Auch nachdem – vom Angeklagten wahrgenommen – die Atemfrequenz von A. noch niedriger, die Atmung zudem unregelmäßig und geräuschintensiv wurde, leitete der Angeklagte zunächst weiterhin keine Rettungsmaßnahmen ein.
6
Später wurde, nicht ausschließbar auf die Initiative des Angeklagten, ein erster Rettungswagen verständigt. Als der Angeklagte beobachtete, dass dieser Rettungswagen abfuhr, ohne A. aufgenommen zu haben, ließ er einen zweiten Rettungswagen herbeirufen. Dessen Besatzung unternahm Wiederbelebungsversuche. Diese führten jedoch nicht zum Erfolg. A. verstarb an einem durch den Konsum von GBL ausgelösten Atemstillstand und der dadurch bewirkten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
7
2. Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht.
8
a) Der Angeklagte hatte im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB rechtlich dafür einzustehen, dass der Tod des Geschädigten A. nach dessen Konsum von GBL nicht eintritt. Diese Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs resultierte aus der tatsächlichen Herrschaft des Angeklagten über die in seinem Besitz befindliche und von ihm in seiner Wohnung für die übrigen dort Anwesenden frei zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits- und lebensgefährlichen GBL.
9
aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen hat (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f. Rn. 16 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die entsprechende Pflicht beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. Eine aus der Zuständigkeit für eine Gefahrenquelle folgende Erfolgsabwendungspflicht gemäß § 13 Abs. 1 StGB besteht allerdings lediglich dann, wenn mit der Eröffnung der Gefahrenquelle die nahe liegende Möglichkeit begründet wurde, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. bereits BGH, Urteil vom 13. November2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). In welchem Umfang die Erfolgsabwendungs- pflicht besteht, bestimmt sich nach dem Grad der Gefahr. Die Anforderungen an den für die Gefahrenquelle Zuständigen sind umso höher, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind (BGH, Urteil vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 42 Rn. 16 mwN).
10
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist die rechtliche Würdigung des Tatgerichts, der Angeklagte sei Garant für das Leben des später verstorbenen A. gewesen, nicht zu beanstanden.
11
Die dem Konsum des unverdünnten GBL durch A. zeitlich vorausgegangenen Umstände legten die Möglichkeit nahe, dass es wegen des freien Zugangs aller in der Wohnung des Angeklagten Anwesenden zu einem Zugriff auf die Flasche mit dem GBL kommen werde. Alle sich dort Aufhaltenden und damit auch A. hatten bereits im Verlaufe des Nachmittags außerhalb der Wohnung unterschiedliche Suchtmittel zu sich genommen. In der Wohnung war es zu weiterem Konsum von Alkohol und verschiedenen Betäubungsmitteln gekommen. Angesichts dieses wahllosen Suchtmittelkonsumverhaltens der in der Wohnung anwesenden Personen war trotz der zunächst ausbleibenden Reaktion der Gäste auf die Aufforderung des Angeklagten, von dem GBL zu konsumieren, die Gefahr eines Zugriffs auch auf diese Substanz nahe liegend. Unabhängig von dem jeweils konkreten Umfang des Suchtmittelkonsums der verschiedenen Gäste und den jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung, entspricht eine enthemmende Wirkung von Suchtmittelkonsum allgemeiner Erfahrung. Dass es angesichts des bis zum Vorfallzeitpunkt von allen Anwesenden gezeigten Konsumverhaltens auch zu der Einnahme von GBL kommen würde, war daher eine voraussehbare Entwicklung.
12
Wegen der mit einer Einnahme des unverdünnt in der für jeden Anwesenden frei zugänglichen Flasche befindlichen GBL einhergehenden hohen Gefährlichkeit für das Leben und die Gesundheit von Konsumenten waren an den Angeklagten als Inhaber der Sachherrschaft über den gefährlichen Gegenstand hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, um der Lebensgefährlichkeit des Konsums zu begegnen. Die ausgesprochene Warnung des Angeklagten, GBL nicht unverdünnt zu sich zu nehmen, genügte angesichts des frei zugänglichen Aufstellens der Flasche in der Wohnung in Anwesenheit mehrerer Personen, die bereits zuvor Alkohol und verschiedene Drogen konsumiert hatten, dazu nicht. Der Angeklagte hat daher als für die Flasche zuständiger Besitzer durch den geschilderten Umgang mit ihr eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies begründete grundsätzlich seine Pflicht, dem von dieser Quelle für die Rechtsgüter Dritter ausgehenden Gefährlichkeitspotential durch geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen zu begegnen.
13
b) Diese Pflicht entfiel – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – auch nicht deshalb, weil der später verstorbene A. trotz der ausgesprochenen Warnung des Angeklagten aus eigenem Entschluss das GBL unverdünnt zu sich genommen hat.
14
aa) Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts , wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 167 Rn. 71 mit zahlr. Nachw.). Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 Rn. 71).
15
bb) Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung seines Lebens durch den Verstorbenen A. schloss jedoch die aus der Herrschaft über eine Gefahrenquelle resultierende Pflicht des Angeklagten zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs gerade nicht aus, als sich nach der unverdünnten Einnahme von GBL gerade das Gefahrenpotential für das Leben A. s zu reali- sieren begann, das der Angeklagte durch das dem Zugriff seiner Gäste offene Abstellen der Flasche mit dem genannten Stoff gerade eröffnet hatte.
16
(1) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass die Erfolgsabwendungspflicht eines Garanten nicht entfällt, wenn sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjenigen Person ermöglicht , für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB einzustehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändere nichts daran, dass für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden (BGH, Urteile vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84; in der Sache ebenso BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319).
17
(2) An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten, wenn – wie nach den tatrichterlichen Feststellungen hier (UA S. 22) – das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft. Entgegen in der Strafrechtswissenschaft geäußerter Kritik (etwa Roxin, Strafrecht, AT/1, 4. Aufl., § 11 Rn. 112; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vor § 211 Rn. 16; Fünfsinn StV 1985, 57 f.) ist es in diesen Konstellationen nicht wertungswidersprüchlich, zwar jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei zu stellen, bei Realisierung des von dem betroffenen Rechts- gutsinhaber eingegangenen Risikos aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB anzunehmen. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang (Kenntnis sämtlicher rechtsgutsbezogener Risiken des fraglichen Verhaltens wird nicht gefordert, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 und 81) einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung gerade nicht notwendig verbunden (siehe insoweit auch Freund in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 190; in der Sache anders dagegen Murmann NStZ 2012, 387, 388 f.).
18
Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts (vgl. Freund aaO). Eine Person, die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.
19
Dem ist der Angeklagte nicht nachgekommen, weil er in dem Zeitraum, in dem noch die Möglichkeit der Abwendung des Todes von A. bestand, auf das Herbeirufen der lebensnotwendigen medizinischen Hilfe verzichtet hat.
20
(3) Ob für den Fall eines eigenverantwortlichen Suizids nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Landgericht hat einen Selbsttötungswillen des Verstorbenen A. mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeschlossen (UA S. 40).
21
c) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht, vor allem gestützt auf das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten, festgestellt, dass A. bei rechtzeitigem Verständigen von medizinischer Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (UA S. 60–62).
22
d) Die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz werden durch eine umfassende, die Anforderungen an die Wissens- und die Willenskomponente dieser Vorsatzform berücksichtigende Gesamtwürdigung getragen (UA S. 63–

67).



II.


23
Der Schuldspruch wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung im Fall B.II.2. der Urteilsgründe (Geschehen vom 26./27. Mai 2013) weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
24
1. Die getroffenen Feststellungen belegen die Tathandlung des SichBemächtigens im Sinne von § 239a Abs. 1 Halbs. 1 StGB spätestens ab dem Zeitpunkt des Verbringens des Nebenklägers in die Wohnung des (weiteren) nicht revidierenden Mitangeklagten J. . Sich-Bemächtigen liegt bereits vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt hat; dafür ist weder eine Ortsveränderung erforderlich noch muss der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ 2010, 516). Die Umstände des Festhaltens in der fraglichen Wohnung (UA S. 26 und 27) ergeben die Erlangung physischer Herrschaft über den Nebenkläger. Dass es diesem zwischenzeitlich gelungen war, sich aus einer Fesselung durch Handschellen zu befreien, steht dem angesichts der sonstigen Umstände seines Festhaltens in der Wohnung nicht entgegen.
25
2. Soweit das Landgericht bezüglich § 239a StGB auf eine stabilisierte Bemächtigungslage abgestellt hat (UA S. 91), wäre es darauf nicht angekommen , weil der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter F. nach den getroffenen Feststellungen (auch) die Sorge des Vaters des geschädigten Nebenklägers um dessen Wohl zu einer Erpressung ausnutzen wollten. In solchen meist sog. Drei-Personen-Verhältnissen kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Bemächtigungslage und deren Stabilisierung geringere Bedeutung zu als in sog. Zwei-Personen-Verhältnissen (Nachw. bei Fischer, StGB, 62. Aufl., § 239a Rn. 8b). Dass das Tatgericht sogar strengere Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestands gestellt hat, geht ersichtlich nicht zu Lasten des Angeklagten.

III.


26
Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.
27
Das Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler mit dem Fehlen eines Hangs des Angeklagten, alkoholische Getränke oder sonstige berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet.
28
1. Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indessen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 mwN; Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13 Rn. 10 [in NStZ-RR 2014, 271 nur LS]).
29
2. Diese Grundsätze hat das Landgericht zugrunde gelegt, sachverständig beraten jedoch die Voraussetzungen des Hangs weder im Sinne körperlicher Sucht noch psychischer Disposition, sondern lediglich einen schädlichen Gebrauch von Alkohol und sonstigen Mitteln festzustellen vermocht. Dabei hat es im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass vorhandene Beeinträchtigungen der Gesundheit sowie der Arbeits- und Lebensfähigkeit ebenso lediglich indizielle Bedeutung für den Hang haben wie umgekehrt das (bisherige) Fehlen solcher Beeinträchtigungen nur Indizien sind, die auf die Abwesenheit eines Hangs hindeuten können.
30
Da dem Landgericht die jeweils allein indizielle Bedeutung bewusst war, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass es unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte vor allem aus dem geregelten Arbeitsleben des Angeklagten, seiner Fähigkeit, bisherige soziale Bindungen fortzuführen und neue zu knüpfen , sowie eingelegten Konsumpausen und dem Fehlen von Entzugserscheinungen nach der Festnahme in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen einen Hang verneint hat.
31
3. Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob auch – wie das Landgericht in Hilfserwägungen meint – der symptomatische Zu- sammenhang zwischen den begangenen Taten und einem (unterstellten) Hang fehlte.
Raum Jäger Radtke Mosbacher Fischer

(1) Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß zehn Jahre. Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht.

(2) Die Jugendstrafe ist so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 136/04
vom
7. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Oktober
2004, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Winkler
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Becker,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. November 2003 wird, soweit es die Angeklagte B. betrifft, verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die der Angeklagten B. dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
Die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erbracht (§ 349 Abs. 2 StPO).
Dies gilt auch hinsichtlich der von der Revision in mehrfacher Hinsicht beanstandeten Beweiswürdigung der Jugendkammer.
Das Ergebnis der Beweisaufnahme festzustellen und zu würdigen ist allein Sache des Tatrichters. Die sachlichrechtliche Prüfung durch das Revisionsgericht beschränkt sich auch insoweit darauf, ob die Entscheidung Rechtsfehler aufweist. Gemessen an den nach ständiger Rechtsprechung maßgebli-
chen Grundsätzen (vgl. nur BGHSt 10, 208, 209; 21, 149, 151; 29, 18, 20; Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 51), läßt die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin erweist sich die Beweiswürdigung der Jugendkammer insgesamt betrachtet weder als widersprüchlich noch als lückenhaft. Das Tatgericht hat vielmehr eine erschöpfende Würdigung der vorhandenen Beweisanzeichen vorgenommen und sich auf dieser Grundlage anhand möglicher Schlüsse von dem festgestellten Geschehensablauf überzeugt. Zwingend brauchen die gezogenen Schlußfolgerungen nicht zu sein. Eine Gesamtbetrachtung der Beweiswürdigung ergibt im übrigen, daß das Landgericht sich seine Überzeugung von der Richtigkeit der Einlassung der Angeklagten anhand einer Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses unter Berücksichtigung aller für und gegen die Darstellung der Angeklagten sprechenden Einzelumstände gebildet hat (vgl. BGHR StPO § 261 Einlassung 6).
Der Senat verkennt nicht, daß auch eine Würdigung der Beweise im Sinne der Anklage möglich gewesen wäre, vielleicht sogar näher gelegen hätte. Doch rechtfertigt dieser Umstand nicht einen Eingriff des Revisionsgerichts in die tatrichterliche Beweiswürdigung.
Winkler Pfister von Lienen Becker Hubert